Dicke Luft in der Küche

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Trubel im Guest House

»So isst doch kein zivilisierter Mensch! Maria, du hättest sehen sollen, wie der Dicke seine doppelte Portion Porridge reingeschaufelt hat. Das grenzt an Fresssucht! Incredibile!« Alberto Vitiello führte sein Guest House in Fountainbridge seit Jahrzehnten. Dennoch fand der Italiener noch immer einen Anlass, um sich aufzuregen. Seine Echauffiertheit stieg mit der Entfernung, aus der die Gäste anreisten. »Ein Japaner im Schottenrock, mit passenden, langen Strümpfen und Messer! So etwas habe ich noch nie gesehen. Fehlt nur noch, dass er Gälisch mit mir reden möchte.« Gegen seine Frau und die Schwiegermutter hatte er nicht ganz so viel einzuwenden. Sie benahmen sich einigermaßen zivilisiert. Und irgendwie schien ihnen das Geschmatze auch peinlich zu sein, denn sie sahen den Dicken immer wieder besorgt an. Der Schwiegervater wiederum, so klein er war, stand ihm kaum nach. Sie hätten im Nachmittagsprogramm der BBC Scotland als Kinderschrecke auftreten können. Alberto beherbergte den seltsamen Tross nur, weil die hübsche, junge Dame im Tourist Board ihn darum gebeten hatte. Er konnte sich allerdings nicht verkneifen zu fragen, welcher Reisebus die Vier unterwegs verloren hatte, denn seines Wissens reisten Japaner nur in Großbusstärke um den Erdball. Sie hatte gelacht, ihm dann aber bestätigt, dass die beiden Ehepaare tatsächlich einer größeren Gruppe angehörten. In ihrem Hotel hatte man sich bei der Buchung der Zimmer vertan, so dass sie gewissermaßen auf der Straße standen. Seit Stunden schon regte er sich über diese Gäste auf. Und noch immer wollte er keine Ruhe geben. Von seiner Frau Maria konnte er keine moralische Unterstützung erwarten. Trotz seines heftigen Aufbegehrens dachte sie nicht im Traum daran, früh am Morgen unnötig Energie zu vergeuden und zog es vor, am Frühstückstisch zu sitzen und entspannt an einer Tasse Tee zu nippen. Der war so schwarz, dass er problemlos als Kaffee durchgegangen wäre. Sie trug blaue Wollhosen und einen fliederfarbenen Pullover. Auch im Alltag legte sie großen Wert auf elegante Kleidung. Alberto, der gerne ein einfaches Hemd und an besonders kalten Tagen zusätzlich eine Anglerweste anzog, bewunderte die Konsequenz seiner Frau, wenn es um Fragen des Stils ging. Maria hatte den »Scotsman« vor sich ausgebreitet. Angeblich wollte sie über die aktuelle weltpolitische Lage im Bilde sein. Doch Alberto hegte den Verdacht, dass sie mehr an spannenden Kriminalfällen interessiert war. Nachts schlief er oft unruhig, denn wer wusste schon, auf welch abenteuerliche Ideen seine Frau nach der Lektüre ihrer Zeitungen und Kriminalromane kam? An diesem grau-kalten Tag, in Schottland »a dreich day« genannt, verweilte sie allerdings noch immer auf der ersten Seite der Tageszeitung. Und für diese Verzögerung war ganz allein ihr Mann verantwortlich.

»Maria«, insistierte er, »du musst doch irgendeine Ansicht dazu haben?«

Nach einem weiteren Schluck Tee stellte sie die Tasse ab und blickte ihrem Ehemann tief in die haselnussbraunen Augen.

»Schau doch nur, was diese Typen für ein Spektakel in unserem schönen Diningroom veranstalten!«

»Du willst meine Ansicht dazu hören?«

Alberto nickte angestrengt.

»Andere Länder, andere Sitten, kann ich nur sagen. Außerdem hat sich von den übrigen Gästen keiner beschwert. Sieh mich nicht so entsetzt an. So ist es doch.«

»Was soll das bedeuten?«

Maria strich sich die Pulloverärmel in Form und erwiderte: »Ich denke, dass vier erwachsene Japaner in einem europäischen Land, fern von ihrer gewohnten Umgebung, verständlicherweise auffallen.«

Alberto las seiner Frau die Worte von den Lippen ab. »Aber darum geht es doch gerade! Wir sind hier nicht in Peking …«

»Tokio, wenn schon«, korrigierte Maria.

»… sondern in Edinburgh. Und dass sich die anderen Gäste noch nicht beschwert haben, ist mehr als ungewöhnlich. Aber glaube mir, ewig wird das nicht gut gehen.«

Maria wusste, dass sie ihrem Mann Einhalt gebieten musste, denn sonst würde sich das Zetermordio bis zum Lunch hinziehen. Sie antwortete nicht mehr, blickte ihn nur sehr streng an.

Alberto schaute aus dem Fenster. »Hast du Charles schon gefüttert?«

»Wie käme ich dazu, deinen geliebten Pfau zu versorgen? Das macht doch der Herr des Hauses, oder?«

»Gut. Du erinnerst dich aber vielleicht noch, wie es den Iren erging? Was wäre wohl geschehen, wenn ich ihnen seinerzeit nicht beigestanden hätte?«

»Möglicherweise hätten sie die Polizeistation erst zehn Minuten später gefunden und den Diebstahl der Handtasche mit dieser Verzögerung gemeldet.«

»Das ist nicht dasselbe!«

»Stimmt«, sagte Maria, »du hast den armen Menschen in einer schweren Stunde ihres Lebens beigestanden. Dennoch finde ich, dass wir die Überwachung unserer Gäste reduzieren müssen.«

»No! Das wäre sträflicher Leichtsinn!«

»Ich verstehe immer noch nicht, warum er inmitten der Konversation davongerannt ist! So verhält sich kein Gentleman. Schon gar nicht im Beisein einer Dame. Welcher Einheit gehörte er denn an?«

»Sie dürfen nicht so streng mit ihm sein, mein lieber Mister MacDonald. Der Schock steckt ihm noch in den Gliedern. Er hängt sehr an der Kleinen. Sie ist sein Ein und Alles.«

MacDonald bemerkte durchaus, dass sie die Frage nach des Majors Einheit nicht beantwortete. »Sie beziehen sich auf seine Enkeltochter?«

»Ja, Catriona ist wirklich reizend.«

»Haben Sie sie schon gesehen?«

»Ein paar Mal sogar.«

»Im Rahmen einer Verabredung?«

»Was sollte ein schneidiger Herr wie er von einer alten Fregatte wie mir denn wollen? Wir sind uns immer rein zufällig begegnet, im botanischen Garten, mehrfach im Ocean Terminal, auf diversen Spielplätzen.«

»War er alleine mit Catriona?«

»Manchmal. Oft war aber auch seine zweite Frau dabei. Sie scheint ebenfalls sehr an des Majors Enkelin zu hängen.«

»Wie alt ist Mrs Lockhart, die Zweite?«

»Man wagt es kaum auszusprechen. Sie ist 30 Jahre jünger als der Major. Und er geht auf die Siebzig zu.«

»Ein großer Altersunterschied. Gibt es, äh, Probleme in der Ehe?«

»Wie meinen Sie das?«

Genau diese Frage hatte er befürchtet. »Ich meine es nur so ganz, äh, allgemein. Möchte die zweite Gemahlin Nachwuchs haben?«

»In dem Alter? Wie kommen Sie denn darauf?«

»Heutzutage ist es doch fast schon an der Tagesordnung, wenn eine Frau nach dem dreißigsten Lebensjahr noch Kinder bekommt. Versteht Ann sich gut mit ihrer Mutter?«

»Sie waren ein Herz und eine Seele. Der Major sagte, sie hätten sich nach seinem Auszug sogar regelrecht gegen ihn verschworen. Ihm tat es leid, denn er mochte seine Tochter sehr. Ich glaube, dass es immer noch so ist. Auch wenn er es sich nicht anmerken lässt.«

»Meinen Sie, die Geschichte mit Prinz Philip stimmt?«

»Major Lockhart ist ein aufrechter Mann! Niemals würde er lügen.«

»Natürlich nicht. Aber er machte doch eine Andeutung, dass seine Gattin ihn ehemals mit dieser Marotte aufzog. Es könnte ja sein, dass sie das nun wieder macht?«

»In einer schlimmen Situation wie dieser? Nein, ich denke, dass die ehemalige Mrs Lockhart noch immer ein Fan des Duke of Edinburgh ist. Wie steht es übrigens mit Ihrem Privatleben? Fühlt Doktor Miller sich wohl?«

»Pudelwohl sogar«, stotterte er. »Meinen Sie, ich könnte ein weiteres Gespräch mit dem Major führen? Möglicherweise in einer weniger sprengstoffartigen Stimmung?«

»Ich hoffe es.«

Vor Ort gab es noch einen doppelten Dram aus dem Hause Laphroaig. Und als er dann über wenig befahrene Straßen in formschönen Schlangenlinien heimwärts tuckerte, war er sehr froh, dass sein Wagen den Weg kannte. Über die Princess Street hatte er für seine Route nicht nachdenken müssen. Seit man in Edinburgh mit dem Bau der Straßenbahn begonnen hatte, versank die Innenstadt im Chaos. Nur die Mäuse hatten unaufhörlich Kirchtag. Sie krochen aus allen Löchern, besetzten sogar Teile des Polizeireviers in Fettes. Über die Kantine der Ordnungshüter hatte man bereits Quarantäne verhängen müssen. Und so hatten die Edinburgher bei all den Verkehrsbehinderungen wenigstens die Gewissheit, dass alle Menschen gleich waren, jedenfalls, wenn es nach der Weisheit der grauen Mäuse ging. Zu Hause braute er sich einen starken Tee und ließ sich in seinen Winston-Churchill-Sessel sinken. Mrs Sinclair hatte wahrlich und wahrhaftig ein Auge auf den Major geworfen, auch wenn sie das nicht zugeben würde. Ob sie wohl einst eine Liaison mit ihm gehabt hatte? War dem noch immer so? Wenn er so darüber nachdachte, wusste er mit Ausnahme der Geschichten über ihren Herrn Vater und wenige Bekannte kaum etwas über ihr Privatleben. Hatte sie jemals geheiratet? Existierten Kinder und Enkelkinder?

Alberto empörte sich. »Von Überwachung kann keine Rede sein! Mir liegt das Wohlergehen unserer Gäste am Herzen. Ist das etwa ein Verbrechen?«

»Überhaupt nicht. Komisch ist nur, dass wir im Hotelbetrieb so lange überleben konnten, ohne dass unser Haus zum Hochsicherheitstrakt wurde.«

»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest, Maria.«

»Dann will ich dir mal auf die Sprünge helfen. Neben deiner persönlichen Supervision kommen unsere Gäste und ich seit Kurzem auch noch in den Genuss von Kameras und Bewegungsmeldern.«

Alberto schluckte kräftig. »Dabei handelt es sich um eine sehr nützliche Hilfe im Hotelbetrieb und …« Er wurde von einem durchdringenden Quak-Laut aus seinem Plädoyer gerissen.

»Nützliche Hilfe Nummer eins schlägt Alarm«, sagte Maria.

»Was folgern wir daraus?«

»Dass die Japaner in ihre Zimmer gegangen sind.«

»Eben nicht, denn sie bekämpfen immer noch ihr Frühstück. Schau auf den Monitor. Ich habe ihn nicht ohne Grund auf die Fensterbank gestellt.«

 

»Wir benötigen also dringend noch eine Überwachungskamera für den Flur?«, fragte Maria mit aller möglichen Ironie.

Alberto schaute seine Frau bewundernd an. »Jetzt, wo du es sagst, kann ich dir ja anvertrauen, dass ich selbst bereits daran gedacht habe.«

Nachdem alle Gäste mit Frühstück versorgt waren, begannen die Vitiellos wie üblich mit der Reinigung des Hauses. Alberto polierte gerade das Schränkchen vor der Eingangstür, als sich ein gewaltiger Schatten darauf legte. »Porca miseria«, rutschte es ihm heraus.

MacDonald trat ein und zog einen imaginären Hut vom Kopf. »Buon giorno, signore.«

»Buon giorno, Angus.«

»Habe ich dich erschreckt?«

»No. Was führt dich zu uns?«

Der Geruch deiner wohlschmeckenden Suppen, hätte MacDonald gerne geantwortet. Doch wollte er sich nicht als Gast aufdrängen. Stattdessen stammelte er: »Ich komme von Mrs Sinclair.«

»Sie wohnt nicht gerade in unserer Nachbarschaft.«

»Unbestritten, aber ich wollte dir unbedingt gleich von meinem neuesten Fall erzählen.«

»Was, schon wieder einer?«, fragte sein Freund ein wenig zu gleichgültig.

MacDonald wusste genau, welche Klaviatur er beim Familienmenschen Alberto spielen musste. »Eine junge Frau und ihre kleine Tochter sind verschwunden.«

»Pfui Teufel! Wer eine Mutter und ihr Kind entführt, gehört für den Rest seines Lebens weggesperrt. Sind es Verwandte von Mrs Sinclair?«

»Nein, Tochter und Enkeltochter eines gewissen Major Lockhart. Es ist übrigens nicht sicher, dass sie entführt wurden.«

»Kennst du den Herrn?«

»Ich habe ihn heute zum ersten Mal gesehen und leider nur kurz sprechen können. Denn er ist abrupt aufgebrochen.«

»Was hat der Fall mit der Kulinarik zu tun?«

»Meines Wissens nichts. Doch dem flehentlichen Blick Mrs Sinclairs konnte ich einfach nichts entgegensetzen.«

»Ich nehme an, du möchtest, dass ich dir wieder bei den Ermittlungen unter die Arme greife?«, fragte Alberto feierlich.

»Thank you, das wäre zu viel des Guten. Du bist schließlich ein vielbeschäftigter Mann und hast ein renommiertes Guest House zu führen.«

»Aber ich fühle mich in meinem eigenen Haus nicht mehr sicher und wäre deshalb für jede Ablenkung dankbar.«

»Jetzt hast du mich gedanklich verloren.«

»Ich rede von den japanischen Gästen, die unter meinem Dach wohnen. Komische Gestalten sind das. Sie führen etwas im Schilde.«

»Ist das so?«

»Certo. Ich werde dir alles erzählen.«

Albertos nicht enden wollenden Geschichten über schlimme Gäste wollte MacDonald sich heute gerne ersparen. »Oh, wie gerne täte ich das, doch ruft mich die Pflicht.«

»Wovon redest du?«

»Ich muss meine neue Fernsehsendung vorbereiten.«

»Capito. Worum geht es denn dieses Mal?«

»Um einen der Grundpfeiler der schottischen Küche, den Hafer.«

»Und unser neuer Fall?«

»Ich hole dich morgen früh ab, dann legen wir los. Apropos, was weißt du über Prinz Philip?«

»Was alle wissen.«

»Würdest du dir zutrauen, ihn zu imitieren?«

»Für ein Stück im King’s Theatre?«

»Eher für eine Laienaufführung.«

»Seit wann interessierst du dich für das englische Königshaus?«

»Ich mache es notgedrungen für den Fall. Die Mutter der vermissten Frau befindet sich in einer Blase, gefüllt mit ihrer überbordenden Phantasie. Sie reagiert nur noch auf den Duke of Edinburgh.«

»Molto bene! Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr mich das freut.«

Angus hütete sich nachzufragen, wie sein Freund das meinte. Denn dann würde er das Haus erst gegen Abend wieder verlassen.

Zu Hause versuchte er mehrfach, Mrs Sinclair anzurufen, um sie noch einmal um die Vermittlung eines zweiten Gesprächs mit dem Major zu bitten. Doch sie hob einfach nicht ab. Wo konnte sie jetzt, so kurz nach dem Vorfall nur stecken? Ging sie doch selten aus dem Haus. Mittlerweile fragte er sich, ob sie mehr über den Fall wusste, als sie zugab.

Längst bereute MacDonald, dass er Alberto die Geschichte mit der Prinz-Philip-Imitation erzählt hatte. Nicht dass er ihm das Talent zu Imitation und Komik abspräche. In diesem Fach war er ein ungekrönter König. Unvergessen zum Beispiel die Tüte mit Scherzartikeln, die er seinen Verwandten in Italien präsentiert hatte: Bleistifte, die beim Schreiben umknickten, Blumen, die auf Knopfdruck Wasser verspritzten und weitere kurzweilige Dinge des absurden Lebens. Misslich war nur, dass Prinz Philip nicht mit italienischem Akzent redete. Und wie sollte er das Alberto schonend beibringen? Der stand bereits vor der Haustür und wartete auf ihn. MacDonald hielt mangels eines Parkplatzes mitten auf der Straße und ließ ihn einsteigen.

»Da brat mir einer einen Storch. Der Herr trägt nach langer Zeit wieder einmal sein Röckchen.«

»Deine Witzeleien fechten mich nicht an. Ein Schotte steht zu seinem Land.«

»Sag, wie kommt es zu dieser Kostümierung?«

»Ich verkörpere Prinz Philip, auch unter dem Namen Duke of Edinburgh bekannt.«

»Wer hat dir seinen spärlichen Haarwuchs verpasst?«

»Eine Kollegin vom Maskenbildnerteam der BBC war mir freundlicherweise behilflich.«

»Eccellente. Angus, ich muss dir etwas beichten. Leider hatte ich überhaupt keine Zeit, mich vorzubereiten. Aber wie ich dich kenne, hast du wieder ein komplettes Drehbuch verfasst.«

»In der Tat habe ich einiges Material gewälzt und mir auch Stichworte notiert. Vorbereitung ist oft die halbe Schlacht.«

»Allora, wie gehen wir vor?«

»Meine Idee war, zuerst einen Monolog zu halten, genauer gesagt ein Potpourri einiger der lustigsten Äußerungen des Prinzen. Dann könnten wir zu einem dialogischen Teil übergehen.«

»Va bene. Was mache ich dabei?«

»Du, mein Freund, könntest mir bei der Konversation zur Seite stehen, denn ich kann sie schwerlich alleine bestreiten.«

»Hm. Was hältst du davon, wenn ich Sean Connery imitiere?«

MacDonald schwante Schlimmes. »Warum denn das?«

»Maria ist doch ein großer Fan von ihm. Aber sie behauptet immer, ich könne ihn nicht gut nachmachen. Deshalb habe ich den Burschen in der letzten Zeit studiert, heimlich seine Filme angesehen und sogar über ihn gelesen.«

Deswegen hatte er sich bei ihrem letzten Gespräch also so sehr über den Termin gefreut, dachte MacDonald. »Das ist alles ganz vorzüglich, aber vielleicht lieber ein anderes Mal.«

MacDonald fädelte den Volkswagen in eine schmale Lücke.

»Respekt. Angus, das war eine Meisterleistung. Ein Parkplate direkt vor einer Buchhandlung.«

»Angenehm, doch völlig zufällig. Mrs Lockhart wohnt nur einige Häuser weiter.«

MacDonald öffnete den Kofferraum auf der Vorderseite des Wagens und nahm ein kleines Köfferchen an sich. »Folge mir unauffällig, Alberto.«

»Was hast du da drin?«

»Eine Überraschung.« Er schlug den gewaltigen, schmiedeeisernen Griff gegen die massive Holztür.

»Die würde einer Burg gut stehen. Mir ist nie aufgefallen, dass es auf der George Street solche Häuser gibt. Wohnen die Lockharts alleine hier?«

»Mittlerweile nur noch die Mutter.« Bevor MacDonald dem noch etwas hinzufügen konnte, wurde die Tür geöffnet. Eine ältere Dame mit Mittelscheitel und dickem mausgrauem Zopf starrte sie an. Im Hochland des 19. Jahrhunderts, eine Laterne in der Hand, wäre sie besser aufgehoben gewesen. »Die Gentlemen wünschen?«

»Mein Name ist Angus Thinnson MacDonald. Der Herr zu meiner Rechten ist mein guter Freund Alberto Vitiello. Wir möchten bitte mit Mrs Lockhart parlieren.«

Die Frau sah nur MacDonald an und behandelte Alberto wie Luft. »Sie hatten sich angemeldet? Mrs Lockhart fühlt sich gar schlecht!«

»Ich bin ein Freund von Mrs Sinclair.«

»Eine Dame dieses Namens kenne ich nicht.«

»Hören Sie, wir wollen Licht ins Dunkel des Verschwindens von Mrs Lockharts geliebter Tochter Ann und Enkeltochter Catriona bringen. Wenn Ihnen das nicht behagt, gehen wir besser wieder.«

Die Frau deutete drohend auf sein Köfferchen. »Sie wollen doch nicht etwa hier einziehen?«

»Keineswegs. Mir kam zu Ohren, dass Mrs Lockhart ausschließlich auf den Duke of Edinburgh reagiert. Deshalb habe ich einige Accessoires mitgebracht.«

»Treten Sie ein«, sagte sie sehr höflich.

MacDonald und Alberto sahen sich verdutzt an. Sollte sich hinter dem ruppigen Kern eine weichere Schale verbergen?

»Ich heiße Ailsa Craig.«

»Ailsa Craig? Wie die schöne einsame Insel im Firth of Clyde?«

Mrs Craig taute über der Bemerkung noch etwas auf. Der Herr schien sein Land gut zu kennen. »So ist es. Wissen Sie, in diesen ruppigen Zeiten weiß man nie, wer einem Übles will tun.«

»Aber ja, man kann nicht vorsichtig genug sein.«

»Sind Sie die Haushälterin?«, wollte Alberto wissen.

»Wahrlich bin ich das nicht! Eine gute Freundin nur, die in Zeiten der Not aushilft. Wenn Sie mir bitte in den hinteren Trakt des Hauses folgen möchten. Mrs Lockhart ist sehr lichtempfindlich.«

»Bevor wir eintreten, hätte ich noch eine Frage, Gnädigste.«

»Und die wäre?«

»Verfügt der Raum über einen roten Teppich?«

»Unfassbar! Woher nur wissen Sie es?«

Mrs Abercromby ging Doktor Karen Miller an diesem Vormittag wieder einmal gehörig auf den Geist. Nicht nur, dass sie vergesslich und schusslig war, jetzt hatte sie auch noch den Tick entwickelt, alles zwei Mal zu sagen. Der Tag begann mit »guten Morgen, guten Morgen« und endete mit »schönen Abend, schönen Abend«. Wenn sie nicht von einem Freund ihrer Eltern empfohlen worden wäre, hätte sie schon längst den Hut, in ihrem Fall die Kappe, nehmen und für immer nach Hause gehen können. »Knock, knock«. Hatte sie die Tür geöffnet, ohne vorher anzuklopfen und in der offenen Tür »knock, knock« gesagt? So langsam wurde es absurd. Karen Miller blinzelte. In der letzten Zeit hatte sie nicht gut geschlafen. Zu viele Gedanken kreisten durch ihren Kopf. Alle hatten mit Veränderung zu tun. »Was gibt es, Mrs Abercromby?«

»Dieser Herr hat schon wieder angerufen.«

»Welcher Herr?«

»Na, Sie wissen schon.«

»Wenn ich es täte, würde ich doch nicht fragen. War es Mister MacDonald?«

»Der Dicke? Verzeihung, das sollte ich ja nicht mehr sagen. Nein, der war’s nicht. Mir fällt gerade auf, dass er sich schon lange nicht mehr gemeldet hat. Es wird ihm doch nichts passiert sein?«

Angus rief fast ausschließlich zu Hause an. Doch das musste sie ja nicht auch noch erfahren. »Also, wer war es?«

»Er hatte viele ›a‹ im Namen.«

»Tannahill?«

»Ja, woher wissen Sie das?«

»Das spielt keine Rolle. War das alles?«

»Bitte, was, bitte?«

»Haben Sie weitere wichtige Fragen für mich?«

Mrs Abercromby stützte das Kinn mit der Hand ab und schüttelte dann den Kopf. »Ich denke nicht.«

»Bis später. Sie können die Tür schließen. Von außen bitte sehr.«

Nachdem die Sprechstundenhilfe gegangen war, stand sie auf und ging durch das Zimmer. Bei ihrem energischen Schritt musste sie oft kehrtmachen. Doch die Bewegung beruhigte sie ein wenig. Tannahill also. Sie hatte sich in Edinburgh auch deshalb niedergelassen, weil sie ihre Ruhe haben wollte. Und nun tauchte er wie aus dem Nichts wieder auf. Theoretisch konnte Mrs Abercromby sich natürlich verhört haben. Doch diesem frommen Wunsch wollte sie sich gar nicht erst hingeben. Tannahill war kein Name, den man an jeder Ecke hörte. Gerne hätte sie etwas Kräftiges getrunken, um die Nerven zu beruhigen. Einen guten Single Malt, wie Angus ihn in seiner Hausbar hatte. Es hatte sich alles so gut angelassen, die Praxis, Kollegen, die sie kennenlernte und natürlich der liebe Angus, ein wahrer Gentleman. Bis die Vergangenheit sie abrupt einholte. Als sie Mrs Abercromby um den nächsten Patienten bitten wollte, klingelte das Telefon. Das würde er doch hoffentlich nicht sein. Ein Blick auf das Display versicherte ihr, dass es nicht so war. »Hallo Dad, lange ist es her.«

»Guten Morgen, Liebes. Alles klar bei dir?«

»So weit, so gut. Und bei euch?«

»Alles bestens.«

»Was ist, Dad?«

»Bitte was?«

»Dich bedrückt doch etwas?«

»Wie kommst du denn darauf?«

»Ich merke es an deiner Stimme.«

»Und ich dachte, mein Töchterchen studierte Medizin und nicht Psychologie.«

 

»Um das zu erkennen, muss man keine Universität besucht haben.«

»Tannahill ist auf dem Weg nach Edinburgh.«

»Das darf doch nicht wahr sein! Woher weißt du es?«

»Seine Mutter rief an, um uns zu warnen. Er ist doch noch nicht da?«

»Nein, aber hat schon zwei Mal angerufen.«

»Von wo aus?«

»Das weiß ich nicht.«

»Habt ihr dermaßen alte Telefone?«

»Nein, nur Sprechstundenhilfen.«

»Verzeihung?«

»Nichts, ich habe eine gehässige Bemerkung gemacht. Kannst du bitte einen Moment dranbleiben?«

Sie rannte ins Vorzimmer, schob Mrs Abercromby, die protestierte, mit ihrem fahrbaren Stuhl zur Seite und rief die Liste der Anrufe ab.

»Hat nach Tannahill noch jemand angerufen?«

»Wie meinen?«

»Kommen Sie mir jetzt bloß nicht auf die Tour!«

Mrs Abercromby zog ihren Kopf entsetzt aus der Gefechtslinie. »Nein, er war der Letzte.«

»Sehr gut.« Sie ging in ihr Zimmer zurück und schloss die Tür. »Dad, bist du noch dran?«

»Ja, Liebes.«

»Wie es aussieht, ist er nicht mehr weit weg.«

»Doch nicht in Edinburgh?«

»Nein, aber definitiv irgendwo in der Nähe.«

»Das gefällt mir nicht. Der Bursche soll sich mit zwielichtigen Personen eingelassen haben. Soll ich zu dir kommen?«

»Auf keinen Fall. Ich werde schon mit ihm fertig. Wie ist denn seine Stimmung?«

»Er scheint sehr wütend zu sein, psychisch nicht mehr stabil. Du bist sicher, dass du es alleine schaffst?«

»Aber ja. Mach dir keine Sorgen.«

Doch Karen Miller war überhaupt nicht klar, ob sie mit Tannahill fertig würde. Schon früher war das oftmals keine einfache Aufgabe gewesen.

»Um eine Sache beneide ich die Mitglieder der königlichen Familie. Und das sind ihre niedlichen Kinnpartien. Rasieren muss sehr einfach für sie sein, whoosh, und mit einem Schlag ist alles getan.«

Billy Connolly, Kabarettist und Schauspieler