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Kapitel 2: Die Rückkehr zum reisenden Arbeiter

Einer Lösung – wie kreativ und intelligent sie auch sein mag – ist niemals Erfolg beschieden, wenn das Problem nicht richtig definiert wurde. Anders gesagt: Es ist wichtiger, die richtigen Fragen zu stellen, als die richtigen Antworten zu geben … Es genügt nicht, einfach nur die Materialien, Programme und Aktivitäten auszutauschen. Ändern muss sich unsere Vorstellung von Gemeinde, unsere Sicht, wie Gott sich durch die Gemeinde in der Welt Ausdruck verschafft, und wie wir Gemeinde praktisch leben.

William A. Beckham

Im letzten Kapitel bin ich auf die vier Arten von Gemeindegründung im ersten Jahrhundert eingegangen. Heute sind diese weitgehend in Vergessenheit geraten. Obwohl man inzwischen viel von der „Zurüstung der Heiligen zum Werk des Dienstes“ spricht, wird diese „Zurüstung“ in der Praxis kaum umgesetzt. Die Nagelprobe für einen Gemeindegründer ist aber, ob er von einer Ortsgemeinde weggehen kann und diese dann in der Lage ist zu funktionieren, ohne dass er zuvor offizielle Leiter eingesetzt hat. Genau auf diese Weise ging Paulus von Tarsus mit den von ihm gegründeten Gemeinden immer wieder vor und überprüfte damit, ob das von ihm verkündete Evangelium und seine Art der Zurüstung der Gläubigen nachhaltig waren.

Das stellt uns vor eine kritische Frage: Was braucht es nach der Bibel, damit wirklich organische Gemeinden entstehen können?

Der Arbeiter und das Werk

Im ersten Jahrhundert entstand fast jede Gemeinde durch einen auswärtigen reisenden Arbeiter, der die Gemeinde irgendwann sich selbst überließ. (Beachten Sie: Die wenigen neutestamentlichen Gemeinden, die nicht unmittelbar durch einen reisenden Arbeiter1 gepflanzt wurden, erhielten fast immer kurz nach ihrer Gründung die Hilfe eines solchen.)

Solche Personen nannte man „Apostel“, „Gesandte“, „Arbeiter“, „Grundleger“, „Gemeindegründer“ usw. Ein Apostel ist, wie gesagt, jemand, der Gemeinden gründet. William S. McBirnie sagt:

Nachdem ich das Leben der Apostel anhand sämtlicher mir verfügbaren wissenschaftlichen Quellen sorgfältig untersucht habe, komme ich zu dem Ergebnis, dass sich die Apostel ohne Ausnahme mit der Gründung von Gemeinden befassten … Die Quellen belegen, dass die Apostel Gemeinden gründeten.2

Der Ausdruck Arbeiter ist vorteilhaft. Jesus verwendet diesen Begriff in seinen Reden (Mt 9,37-38; 20,1-2; Lk 10,2.7), und Paulus in seinen Briefen (1 Kor 3,9; 2 Kor 6,1; 11,13; Kol 4,11). Lukas nennt das Pflanzen und Aufziehen örtlicher Gemeinden „das Werk“:

Als sie aber dem Herrn dienten und fasteten, sprach der Heilige Geist: Sondert mir aus Barnabas und Saulus zu dem Werk, zu dem ich sie berufen habe (Apg 13,2; LU84).

Und von da fuhren sie mit dem Schiff nach Antiochia, wo sie der Gnade Gottes befohlen worden waren zu dem Werk, das sie nun ausgerichtet hatten (Apg 14,26).

Paulus aber hielt es nicht für richtig, jemanden mitzunehmen, der sie in Pamphylien verlassen hatte und nicht mit ihnen ans Werk gegangen war (Apg 15,38).

Der Neutestamentler Robert Banks unterscheidet sorgfältig zwischen „dem Werk“ und „der Gemeinde“:

„Gemeinde“ und „Werk“ darf man nicht miteinander verwechseln, wie im christlichen Denken häufig geschehen. Paulus sieht seine missionarische Tätigkeit nicht als „ekklesia“, sondern als etwas, was unabhängig und neben den verstreuten christlichen Gemeinden existiert … Das Werk ist zunächst dazu da, das Evangelium zu verkündigen und Gemeinden zu gründen, und danach, den Gemeinden zu helfen, zur Reife zu gelangen.3

Watchman Nee fügt hinzu:

Nach dem Willen Gottes geht es in der „Gemeinde“ und dem „Werk“ um zwei verschiedene Linien. Das Werk ist Aufgabe der Apostel und die Gemeinde Aufgabe der Gläubigen am Ort. Die Apostel sind für das Werk in der ganzen Welt verantwortlich und die Gemeinden für alle Kinder Gottes an einem Ort.4

Auf den sehr wichtigen Unterschied zwischen Werk und Gemeinde gehe ich später noch genauer ein.

Verwalter des Geheimnisses

Nach der Schrift ist ein Apostel ein Gesandter. Er ist ein Botschafter, ein Bote, der eine bestimmte Botschaft auszurichten hat. Dabei muss er selber lebendiges Zeugnis für seine Botschaft sein. Aus dieser Botschaft heraus kann der Heilige Geist dann eine geistliche Gemeinschaft entstehen lassen. Beachten Sie folgende Stellen:

… und er bestimmte zwölf, die er Apostel nannte. Sie sollten ständig bei ihm sein, und er wollte sie aussenden, damit sie seine Botschaft verkündeten (Mk 3,14 NGÜ).

Denn Christus hat mich nicht beauftragt zu taufen, sondern das Evangelium zu verkünden (1 Kor 1,17 NGÜ).

Und die Botschaft kann nur verkündet werden, wenn jemand den Auftrag dazu bekommen hat. Genau das ist ja auch geschehen, denn es heißt in der Schrift: Was für eine Freude ist es, die kommen zu sehen, die eine gute Nachricht bringen! (Röm. 10,15 NGÜ).5

Als Gesandte waren die Arbeiter im ersten Jahrhundert Reisende. Sie waren Pioniere und Forschungsreisende und meistens auf Achse.6 Mehr als das waren sie auch Verwalter. Diese Verwalterschaft drehte sich darum, Gottes Geheimnis den Gläubigen verständlich zu machen (1 Kor 4,1 ff.). Das „Geheimnis“, wie Paulus es nannte, ist die überwältigende Offenbarung von Gottes ewigem Ratschluss in Christus, die im Herzen eines jeden brennt, der wirklich gesandt wurde.7

Eine der wichtigsten Aufgaben der Arbeiter war es, dem Volk des Herrn diese Offenbarung oder Vision zu vermitteln. In Sprüche 29,18 heißt es: „Wo keine Offenbarung ist, wird das Volk wild und wüst; aber wohl dem, der auf die Weisung achtet.“ Ohne eine gemeinsame Schau des Herrn und seiner ewigen Ziele wird Gottes Volk zersetzt, gerät in Verwirrung und zerfällt. Ohne die innere „Sicht“ Jesu Christi verzagt es, wird demotiviert, verliert das Ziel aus den Augen und wird uneins.

Eine gemeinsame Vision von Christus und Gottes ewigem Ratschluss in seinem Sohn hat tragende Kraft, schafft Einheit und ist die einzige Grundlage, auf der sich eine Gemeinde errichten lässt.

Zu den vorrangigen Aufgaben des christlichen Mitarbeiters gehörte deshalb die Verkündigung der unerforschlichen und unaussprechlichen Reichtümer Christi (Eph 3,8). Die Arbeiter des ersten Jahrhunderts verfügten über eine einzigartige Offenbarung von Jesus Christus und von dem Geheimnis des ewigen Ratschlusses Gottes in ihm. Sie verstanden es auch, das Volk Gottes mit ihrer Darstellung dieses Ratschlusses zu fesseln. Dies war ein besonderes Kennzeichen der paulinischen Gemeindegründung. Beachten Sie folgende Stellen:

Mir, dem allergeringsten unter allen Heiligen, ist die Gnade gegeben worden, den Heiden zu verkündigen den unausforschlichen Reichtum Christi und für alle ans Licht zu bringen, wie Gott seinen geheimen Ratschluss ausführt, der von Ewigkeit her verborgen war in ihm, der alles geschaffen hat (Eph 3,8-9 LU84).

… auch für mich, damit mir das Wort gegeben werde, so oft ich meinen Mund auftue, freimütig das Geheimnis des Evangeliums bekannt zu machen … (Eph 6,19).

Betet zugleich auch für uns, damit Gott uns eine Tür öffne für das Wort, um das Geheimnis des Christus auszusprechen, um dessentwillen ich auch gefesselt bin (Kol 4,3; vgl. Röm 16,25; 1 Kor 2,7; Eph 1,9; Kol 1,26; 2,2).

Geistliche Ausrüster

Zu den Hauptaufgaben der christlichen Mitarbeiter im ersten Jahrhundert gehörte die Zurüstung der Gläubigen, einander in Christus zu dienen. R. Paul Stevens erklärt, was damit gemeint ist:

„Katartismos“ ist der griechische Begriff für zurüsten und erscheint als Substantiv nur einmal: in Epheser 4,12. Im klassischen Griechisch hat der Ausdruck einen interessanten medizinischen Hintergrund. „Zurüsten“ hieß, die Knochen oder ein Organ auszurichten und in das rechte Verhältnis zum gesamten Körper zu rücken, damit alle Teile wieder zueinander passten … Ein griechischer Arzt „rüstete“ einen Körper „zu“, indem er einen Knochen einrenkte und seine Beziehung zu den anderen Körperteilen wiederherstellte.8

Wie haben die apostolischen Mitarbeiter die Heiligen konkret zugerüstet? Wie haben sie die unterschiedlichen Glieder am Leib Christi miteinander koordiniert, sodass jedes Glied zu seiner Funktion ermächtigt wurde? Neben der Ausstattung der Gemeinde mit einer tiefen Schau Christi kamen noch weitere Elemente hinzu. Die folgenden sechs sind die wichtigsten:

1. Das Sündenbewusstsein beseitigen

In den Zusammenkünften einer organischen Gemeinde hat jeder die Freiheit, etwas mit den anderen zu teilen, was er vom Herrn bekommen hat. Eines der größten Hindernisse, dass die Gläubigen sich in rechter Weise beteiligen können, ist ein (falsches) Sündenbewusstsein. Einzelne können sich schuldig, verdammt oder unwürdig fühlen.

Eine der Aufgaben des christlichen Arbeiters im ersten Jahrhundert war es, die Gläubigen zu bevollmächtigen, indem er sie von Schuld freisetzte. Dies tat er, indem er den Gläubigen ihre Makellosigkeit vor dem Herrn offenbarte. Er vermittelte ihnen, dass Gott Christus in ihnen sah und dass das vergossene Blut Christi den Forderungen Gottes genügte. Wo es notwendig war, mahnte der Mitarbeiter auch zur Umkehr.

 

Indem er ein Evangelium der unerschöpflichen Gnade, fern aller Gesetzlichkeit, verkündigte, stattete der Mitarbeiter des ersten Jahrhunderts die Gläubigen mit einem reinen Gewissen aus – sie waren nunmehr frei vom Bewusstsein der Schuld. Dies befähigte die frühen Christen dazu, freimütig über den Herrn zu sprechen – sowohl untereinander als auch mit Ungläubigen (Heb 9,14; 10,1-25).

2. Praktische Hilfsmittel bereitstellen

Die Botschaft des Arbeiters im ersten Jahrhundert war Christus. Wenn er die Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi verkündete, hatte der Arbeiter auch die Verantwortung, Gottes Volk zu zeigen, wie man die Herrlichkeit Gottes anhand einfacher und umsetzbarer Mittel erfahren kann.

Dieses Element ist besonders wichtig, denn eine organische Gemeinde kann nur bestehen, wenn ihre Glieder eine dauernde und persönliche Beziehung zu Christus unterhalten. Hierin liegt eine der wichtigsten Aufgaben eines Arbeiters: Er muss selbst eine frische, lebendige, dauerhafte persönliche Beziehung mit seinem Herrn pflegen und wissen, wie er andere in eine solche Beziehung hineinführen kann.

Will sagen: Wo das Volk Gottes nicht auf den innewohnenden Herrn hört, kann organische Gemeinde nicht gedeihen.

Das führt uns zur Frage der „Gemeindeleitung“. Eine gute Definition für einen Leiter ist: Jemand, der den nächsten Schritt kennt. Dieses „Wissen“ ist eigentlich ein „Sehen“. Mose konnte die Stiftshütte erst bauen, nachdem er Gott auf den Berg gefolgt war und sich von ihm den himmlischen Plan hatte zeigen lassen. Ähnlich hatten die Mitarbeiter im ersten Jahrhundert tiefe Einsicht in Gottes ewigen Plan. Sie besaßen geistlichen Einblick – die Fähigkeit, das Unsichtbare zu sehen.

Paulus, das Vorbild des christlichen Arbeiters schlechthin, bezeichnete sich selbst als einen „Baumeister“ (1 Kor 3,10). Vom griechischen architekton („Baumeister“) leitet sich unser Begriff Architekt ab. Damit ist die geistliche Gabe gemeint, die einen sehen lässt, wie die unterschiedlichen Teile von Gottes geistlichem Gebäude zueinander passen.

Ein Architekt sieht, wohin das Treppenhaus passt, wo das Badezimmer hingehört, wo die sanitären Anlagen anzubringen sind, wo und wann die Stromleitungen und Steckdosen installiert werden müssen usw. So ist es auch beim Bau des geistlichen Hauses Gottes. Melvin Hodges sagt dazu:

Der Gemeindegründer ist ein Visionär: Wo andere Hindernisse sehen, erkennt er Möglichkeiten. Er ist hochmotiviert und bleibt trotz entmutigender Rückschläge beharrlich am Ball. Seine Vision gründet auf dem festen Glauben, dass Gott ihn gesandt hat, dieses Werk auszurichten, und ihm durch alle Schwierigkeiten hindurchhelfen wird. Die meisten Gemeinden verdanken sich der Vision, der geistlichen Last, dem Opfer und dem Ausharren eines Einzelnen, der sich der Aufgabe der Gemeindegründung verschrieben hatte.9

Die Mitarbeiter des ersten Jahrhunderts folgten dem Herrn von ganzem Herzen, sahen stets den nächsten Schritt und konnten dem Volk Gottes den Weg weisen. Sie waren nicht nur fähig, anderen ihre Vision zu vermitteln, sondern konnten andere auch zur gemeinsamen Verwirklichung der Vision bewegen.

3. Vertrauen in geistliche Begabungen erzeugen

Ohne Vertrauen bleibt das Volk Gottes stumm und passiv. Paulus kommt in seinen Briefen wiederholt auf das Vertrauen zu sprechen, das er in die Gläubigen und in deren Gaben setzte (Gal 5,10; 2 Thess 3,4; 2 Kor 2,3; 7,16; 8,22; Röm 15,14; Phil 1,6).

Die Arbeiter des ersten Jahrhunderts machten aus ihrem Vertrauen in Gottes Wirken in der Gemeinde keinen Hehl. Indem sie selbst dem Volk Gottes Vertrauen einflößten, stärkten sie es zum Dienst. So ist es auch heute: Die Arbeiter im Reich Gottes vertrauen auf den Heiligen Geist und auf die Gläubigen, die ja alle vom Geist gesalbt sind.

4. Vorbild sein

So wichtig die eben genannten Dienste für den Aufbau der Gemeinde auch sein mögen: Entscheidend ist das Vorbild, das ein christlicher Mitarbeiter für Gottes Volk abgibt. Eine Gemeinde wird nicht nur durch die Predigt aufgebaut, sondern auch durch das Vorbild des Predigers. Die Arbeiter im ersten Jahrhundert lebten vor, was sie predigten. Paulus kommt in seinen Briefen auf diesen Aspekt oft zu sprechen:

Folgt alle meinem Beispiel, Geschwister, und richtet euch an denen aus, deren Leben dem Vorbild entspricht, das ihr an uns seht (Phil 3,17 NGÜ).

Das wurde schon damals deutlich, als wir euch das Evangelium verkündeten: Gott redete nicht nur durch unsere Worte zu euch, sondern auch durch das machtvolle Wirken des Heiligen Geistes und durch die große Zuversicht, die uns erfüllte, sowie überhaupt durch unser ganzes Verhalten euch gegenüber, das euch zeigte, dass es uns um euch ging und nicht um uns selbst. Und ihr habt das Evangelium auch wirklich angenommen, obwohl ihr schweren Anfeindungen ausgesetzt wart, und habt diese mit einer Freude ertragen, wie nur der Heilige Geist sie schenken kann. Damit seid ihr unserem Beispiel und dem Beispiel des Herrn gefolgt (1 Thess 1,5-6 NGÜ).

Ihr wisst doch, wie ihr euch verhalten müsst, um unserem Beispiel zu folgen. Wir haben, als wir bei euch waren, kein ungeordnetes Leben geführt (2 Thess 3,7 NGÜ).

Sei du selber ihnen ein Vorbild darin, Gutes zu tun. Wenn du lehrst, tu es aufrichtig und glaubwürdig (Tit 2,7 NGÜ).

Folgt meinem Beispiel, so wie ich dem Beispiel folge, das uns Christus gegeben hat (1 Kor 11,1 NGÜ).

Das heißt nun freilich nicht, dass ein Arbeiter vollkommen und ohne Fehler wäre. Petrus ist das Paradebeispiel dafür, dass auch Apostel gefallene Menschen sind und Fehler machen – manchmal sogar sehr große.10 Das apostolische Vorbild hat vielmehr mit Charakter zu tun, der sich im Alltag nachhaltig bewährt.

Bei sorgfältiger Lektüre der paulinischen Briefe zeigt sich, dass Paulus vorgelebt hat, wie eine Gemeinde für ihre Glieder sorgen und welche Liebe sie den Verlorenen entgegenbringen sollte. Er lebte vor, wie die Glieder mit ihrem Herrn Gemeinschaft pflegen und füreinander beten sollten. Er zeigte, wie man Probleme löst, wie man anbetet und wie man aus dem Leben des innewohnenden Herrn lebt.

Lehre und Predigt für sich greifen zu kurz: Vorbild sein ist mindestens ebenso entscheidend.

5. Fremde Elemente beseitigen

Ein weiterer Punkt, wie Arbeiter dem Volk Gottes helfen können, auf rechte Weise zu funktionieren, ist, dass sie verhindern, dass Fremdkörper, die das Leben der Gemeinde ersticken und ihre natürlichen Eigenschaften entstellen, Einlass in die Gemeinde finden. Das mag folgende Begebenheit verdeutlichen:

Ein Bewunderer fragte Michelangelo einmal, wie er die bekannte Davidstatue in Florenz angefertigt habe. Der berühmte Bildhauer erklärte ganz einfach: „Ich habe mir den rohen Marmorblock zuerst genau angesehen, und dann habe ich alles weggemeißelt, was nicht David war.“

Diese Beschreibung lässt sich auf apostolische Arbeiter übertragen, die Gemeinden gründen und zurüsten. Eines ihrer größten Ziele ist, alles zu entfernen, was nicht Jesus Christus ist. Die Arbeiter errichteten nicht nur ein solides Fundament, sondern achteten sorgsam darauf, dass alles, was nicht Christus war, entfernt wurde.

6. Der Entropie entgegenwirken

Eine Sache, die das Leben im Leib Christi zum Erliegen bringt, ist die Entropie: Entropie ist der natürliche Zerfall, der in allen Lebensformen auftritt. Was sich selbst überlassen bleibt, tendiert zu Entropie. Entropie tritt aber nicht nur im Physischen auf, sondern ist auch eine Bedrohung für christliche Gemeinschaft.

Jede menschliche Unternehmung ist früher oder später von Entropie bedroht. Mit der Zeit geht uns allen die Luft aus. Der ständige Einsatz, der nötig ist, damit eine Gruppe von Christen ohne institutionelle Strukturen vorwärts geht, kann sehr kräftezehrend sein.

Setzt in einer organischen Gemeinde Entropie ein, ergreifen meist Alpha-Menschen das Ruder, wie ein Blick in die Kirchengeschichte lehrt. Aufgrund der mächtigen Kraft der Entropie erstarrte das gemeinschaftliche organische Leben der Urgemeinde bald zu einer hierarchischen, pyramidalen und kopflastigen Organisation.

Die Arbeiter im ersten Jahrhundert widerstanden der unausweichlichen Wirkung der Entropie. Sie richteten die Gemeinde immer wieder auf Christus aus, um sie mit neuer Energie zu erfüllen und ihr neue Wegweisung zu geben. Auch dies ist ein Teil der Aufgabe eines Gemeindegründers, das Volk Gottes zu seinem Dienst zuzurüsten und funktionsfähig zu erhalten.

Wie Gott apostolische Arbeiter hervorbringt

Eines der heute vielleicht am wenigsten verstandenen Prinzipien, wie Gott sein Werk vorantreibt, ist, dass reisende Arbeiter immer aus einer bestehenden Gemeinde erwuchsen. Es waren Menschen, die eine einzigartige Offenbarung über Christus und über den ewigen Ratschluss Gottes in ihm hatten. Sie waren mit dem Geheimnis Gottes wohlvertraut und in besonderem Maße befähigt, dieses Geheimnis anderen verständlich zu machen (Eph 1,9; 3,2-11; Kol 1,24-29). Darüber hinaus erlernte der christliche Arbeiter all diese geistlichen Wahrheiten als normales Glied einer bestehenden organischen Gemeinde, in der er kein Leitungsamt ausübte.11

Ein großer Teil der Vorbereitung eines Arbeiters auf seinen Dienst ist das Leben in einer organischen Gemeinde – bevor er ausgesandt wird. In diesem seltenen Rahmen erfährt und lernt der christliche Arbeiter die geistliche und praktische Realität des Leibes Christi. Die Arbeiter des ersten Jahrhunderts gingen nicht samstags aus der Synagoge hinaus, um am folgenden Sonntag Gemeinden zu gründen. Sie mussten erst selbst das erleben, was zu gründen sie dann ausgesandt wurden. Dieses Prinzip ist enorm wichtig. Möchtegern-„Gemeindegründer“, die selbst noch keine Erfahrung im Umfeld einer authentischen organischen Gemeinde gesammelt haben, tun gut daran, dies zu tun.

Kein Studium an einem theologischen Seminar oder einer Bibelschule kann jemanden dazu befähigen, eine Gemeinde des lebendigen Gottes ins Leben zu rufen. Auch eine Position in einer institutionellen Kirche oder einem Bibelkreis ermächtigt einen nicht dazu. Die einzige Voraussetzung dafür ist, dass man Zeit in einer organischen Gemeinde des Leibes Christi verbracht hat.

Anders gesagt: Man kann nicht produzieren, was man nicht selbst erlebt hat. Mehr noch: Die Höhen und Tiefen, das Erprobtwerden und die daraus resultierende Veränderung, Zerbruch und Auftrieb, Aufgedecktwerden und Erweiterung – kurzum alles, was organisches Gemeindeleben mit sich bringt, ist Grundvoraussetzung für die Vorbereitung der zu Gottes Werk Berufenen.

Ohne eine solche Vorbereitungszeit draufloszumarschieren und Gemeinden zu gründen, ist daher nichts als Torheit. Wer so vorgeht, beweist, dass er Gottes Wege gründlich missverstanden hat. Das herausfordernde Leben im Leib Christi ist dazu da, dass Möchtegern-Arbeiter zu „fahrenden Geistlichen“ werden, die über das Volk des Herrn herrschen, wie distanzierte Bosse. Als einfacher Christ in einer organischen Gemeinde zu leben, führt zu Zerbrochenheit und Demut. Es ist dazu da, den Arbeiter zu formen, sodass er dem Volk Gottes nicht zur Gefahr wird. (Eines der wichtigsten Kennzeichen, dass jemand geistlich gesehen „sicher“ ist, ist, dass er in einem Team arbeitet.) Dieses Leben dient auch ihrer Aus- und Zurüstung, damit sie wissen, was sie tun, wenn es um den Aufbau von Gottes Haus geht. Anders ausgedrückt: Im Werk Gottes ist nicht nur die Methode von Bedeutung; die Person als solche ist genauso wichtig. Es ist, wie Watchman Nee sagt:

Wir müssen bedenken, dass wir mit apostolischen Methoden kein apostolisches Ergebnis erzielen, wenn wir nicht auch dieselbe Hingabe, denselben apostolischen Glauben und die apostolische Vollmacht haben. Wir dürfen den Wert ihrer Methoden nicht unterschätzen, denn sie sind unbedingt notwendig, um Frucht zu ernten. Wir dürfen aber auch nicht übersehen, dass apostolische Geistbevollmächtigung dazu gehört, und dürfen uns auch nicht vor der Verfolgung fürchten, die die Apostel zu erleiden hatten.12