Seewölfe - Piraten der Weltmeere 654

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 654
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Impressum

© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-96688-068-8

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Frank Moorfield

Gefangen auf Madagaskar

Auf der Suche nach Proviant geraten die drei Arwenacks in große Gefahr

Die dunkelhäutigen Männer, die zu einer Wildbeutergrupe der Sakalava gehörten, starrten wie gebannt in die Flammen des heiligen Feuers.

Keiner von innen schien zu bemerken, daß Oturi, ein hochgewachsener, muskulöser Mann, seinen Platz verließ und zwischen den Stämmen einiger Sandelholzbäume verschwand. Doch dann erhob sich Amabosu und folgte ihm nahezu geräuschlos – so als würde er sich an ein Stück Wild heranpirschen …

Die Hauptpersonen des Romans:

Oturi – der ehemalige Jäger vom Stamm der Sakalava bringt Old Donegal und seine Enkel in tödliche Gefahr.

Ekianga – beherrscht als Häuptling die Fischerdörfer der Vezo und verfügt über ein gesundes Rechtsempfinden.

Mustafa El-Sabri – der Araber handelt mit schwarzen Sklaven, die ihm mehr einbringen als der Verkauf von Seide und Gewürzen.

Hasard und Philip Killigrew – erweisen sich im Kampf gegen die Sklavenfänger als geschickte Strategen.

Old Donegal – als er ein „kleines Karavellchen“ entdeckt, ist er nicht mehr zu halten – und stur war er schon immer.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Die Sonne, die langsam hinter den Wipfeln der Bäume hervortauchte, vertrieb die letzten Schatten der Nacht. Die Luft war kühl und feucht, so daß man die Erde und das üppige Gras des Dschungels, der weite Teile der Insel Madagaskar überwucherte, regelrecht riechen konnte.

Oturi fand rasch, was er gesucht hatte.

Zwischen zwei mächtigen Baobab-Bäumen, deren flaschenförmige Stämme wie Türme einer Festung in den Himmel ragten, klaffte eine Lücke, die ungefähr zwanzig Schritte breit war. Genau dort wollte Oturi das Netz aufspannen, das er aus einem Versteck geholt hatte. Er wußte, daß er sich beeilen mußte. Das heilige Feuer, das dem Urwald als Opfer dargebracht wurde, weil er alles gab, was man zum Leben brauchte, würde bald verlöschen. Das wiederum bedeutete den Beginn der großen Treibjagd.

Während Oturi eine Seite des Netzes an einem der Baumstämme befestigte, verzog sich sein Gesicht, das besonders durch seine breitflächige Nase und die etwas wulstigen Lippen auffiel, zu einem erwartungsvollen Grinsen.

Doch der dunkelhäutige Jäger konnte sein Werk nicht vollenden.

„Bei allen guten Geistern – was tust du da, Oturi?“ Die Stimme Amabosus klang scharf und durchdringend.

Oturi zuckte zusammen, als habe ihn ein Pfeil getroffen. Er hatte nicht bemerkt, daß Amabosu ihm gefolgt war. Gewiß, der Dschungel gab vielfältige Geräusche von sich – vom Gurren der Wildtauben bis hin zum Geschrei der Vasa-Papageien. Doch hatte er nicht schon als Kind gelernt, die Laute der Tiere von den Geräuschen des Menschen zu unterscheiden? Wie immer das auch passieren konnte – zum Nachdenken blieb keine Zeit.

Oturi ließ das Netz aus der Hand gleiten und griff blitzschnell nach seinem Speer.

„Seit wann schleichst du hinter mir her, Amabosu?“ Seine dunklen Augen glänzten böse.

Der etwas kleinwüchsige Amabosu, der um einige Jahre älter war als Oturi, ging nicht auf die Frage ein.

„Gib es zu Oturi!“ rief er mit einer Stimme, die vor Zorn und Abscheu bebte. „Du wolltest dein Netz, ungeachtet der Rangordnung, heimlich vor den Netzen der anderen befestigen, damit gleich das erste Beutetier dir gehört. Bist du dir darüber klar, daß du damit ein strenges Gesetz unseres Volkes übertreten hast?“

O ja, Oturi kannte dieses Gesetz, deshalb hob er mit haßverzerrtem Gesicht den Speer.

„Stirb, du hinterhältige Schlange!“

Er holte weit aus und schleuderte die Waffe Amabosu mit aller Kraft entgegen.

Sein Wunsch, den lästigen Zeugen loszuwerden, ging jedoch nicht in Erfüllung, denn Amabosu, der wohl nichts Gutes erwartet hatte, reagierte schnell. Noch bevor ihn die todbringende Waffe erreichte, warf er sich flach auf den Boden. Der Speer flog lautlos über ihn weg und bohrte sich mit einem dumpfen Geräusch in die Erde.

Einen Atemzug lang stand Oturi wie erstarrt, doch dann stieß er einen heiseren Schrei aus und riß sein Messer hervor. Noch bevor es Amabosu gelang, wieder aufzuspringen, jagte der muskelbepackte Oturi auf ihn zu – das Messer zum tödlichen Stoß erhoben.

Der ältere und schwächere Amabosu hätte kaum eine Chance gehabt, diese heftige Attacke zu überstehen, wenn nicht plötzlich eine schrille Stimme, die beiden gleichermaßen bekannt war, Einhalt geboten hätte.

Die Stimme gehörte Basisi, dem Oberhaupt der Wildbeutergruppe. Er war mit vier anderen Jägern zwischen den Bäumen aufgetaucht. Alle trugen ihre Speere bei sich.

Oturi wurde schlagartig klar, daß sein Verschwinden wohl doch nicht so unbemerkt geblieben war, wie er geglaubt hatte. Vielleicht war Amabosu sogar hinter ihm hergeschickt worden. Basisi war zuzutrauen, daß er ihn beobachten ließ – bei all den Streitigkeiten, die es seit einiger Zeit in der Gruppe gab.

Oturi hatte seine Schritte abrupt gestoppt und ließ die Hand mit dem Messer sinken. Amabosu aber, der ein Stück zurückgewichen war, deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf ihn.

„Er wollte mich töten!“ schrie er. „Ihr alle habt es mit eigenen Augen gesehen!“

Basisi, ein mittelgroßer, stämmiger Mann mit auffallend hoher Stirn, sorgte mit einer unwirschen Geste für Ruhe.

„Wir haben es gesehen, Amabosu. Und nun sag uns, warum er dich töten wollte.“

„Weil ich ihn dabei überrascht habe, wie er die uralten und heiligen Jagdgesetze unseres Volkes brechen wollte …“

„Er ist ein Lügner!“ unterbrach ihn Oturi mit lauter Stimme. „In Wirklichkeit ist er wie eine beutehungrige Schlange hinter mir hergeschlichen und hat mich beleidigt. Er ist einer von denen, die ständig Übles über mich reden und damit Unruhe in unser Lager und in unsere Familien tragen. Er hat mich so gereizt, daß ich nicht mehr wußte, was ich tat. Ihn solltest du zur Rede stellen, Basisi.“

Das Oberhaupt der Wildbeutergruppe trat einige Schritte vor. Das Gesicht des stämmigen Mannes wirkte ernst.

„Ein Jäger aus dem Volk der Sakalava muß stets wissen, was er tut, es sei denn, sein Geist ist verwirrt, weil er sich den Unwillen der Götter zugezogen hat. Auch dein Geist scheint verwirrt zu sein, Oturi, denn er ist ein Geist der Unruhe und der Zwietracht. Außerdem vermag ich deiner Rede nicht zu folgen. Warum hast du dich heimlich vom heiligen Feuer entfernt? Was suchtest du – noch vor Beginn der Treibjagd – hier im Jagdgebiet?“

Jetzt konnte der schmächtige Amabosu die Worte nicht mehr zurückhalten. Während der verlegen dreinblickende Oturi noch über eine passende Antwort nachdachte, deutete er erregt in die Richtung, aus der der Angriff Oturis erfolgt war.

„Dreh dich um, Basisi!“ rief er. „Und du wirst sofort eine Antwort erhalten. Das Netz Oturis, das bereits an einem der beiden Baobab-Bäume befestigt ist, wird dir bestätigen, daß ich die Wahrheit gesagt habe. Oturi hat das Gesetz der Rangordnung übertrieben, indem er heimlich ein weiteres Netz vor die Netze der anderen spannen wollte, um schon das erste Beutetier für sich vereinnahmen zu können. Deshalb hat er sich vom heiligen Feuer weggeschlichen, und deshalb wollte er mich töten.“

Basisi und seine vier Begleiter fuhren herum, um sich mit eigenen Augen von der Richtigkeit der Anklage Amabosus zu überzeugen. Ihre Blicke verfinsterten sich.

„Das ist in der Tat ein schwerwiegendes Vergehen“, sagte Basisi, „ein Betrug an unserem ganzen Stamm. Du wirst dich vor den Alten Männern verantworten müssen, Oturi. Und ich fürchte, daß sie ein hartes Urteil über dich und deine Sippe fällen werden.“

Die Befürchtung Basisis sollte sich bald bestätigen.

Die geplante Treibjagd wurde auf den nächsten Tag verschoben, weil der für eine erfolgreiche Jagd erforderliche Gemeinschaftsgeist unter den Jägern durch die Vorgänge um Oturi gestört worden war. Statt dessen trat Basisi mit der gesamten Gruppe den Rückmarsch zum Dorf an. Es lag im Interesse aller, daß die Angelegenheit unverzüglich bereinigt wurde.

Der Marsch durch den dichten Dschungel verlief ohne besondere Vorkommnisse. Die Männer verhielten sich schweigsam, und Oturi starrte finster vor sich hin.

 

Stunde um Stunde verging. Die Sonne hatte bereits ihren höchsten Stand erreicht, als die Jäger ihr Dorf erreichten.

Die korbartigen, aus geflochtenen Ruten, Zweigen und Blättern errichteten Hütten standen auf einer Lichtung, deren Ränder einen dichten Bestand von Ravinal-Bäumen aufwiesen. Über zahlreichen Feuerstellen kräuselte sich der Rauch. Lautes Kindergeschrei und geschäftig hin und her huschende dunkelhäutige Frauen erfüllten die Siedlung mit Leben.

Die Dorfbewohner blickten den Jägern verwundert entgegen. Niemand hatte so früh mit ihrer Rückkehr gerechnet. Von einer Jagdbeute war auch nichts zu sehen. Dafür aber sprach sich in Windeseile herum, was geschehen war, und Oturi erfuhr sehr rasch, wie die Dorfgemeinschaft über seine Handlungsweise dachte.

Basisi ließ ihn vor den Rat der Alten Männer führen, nachdem er dort in kurzen Worten berichtet hatte, was vorgefallen war.

Zunächst herrschte eisiges Schweigen. Oturi ging auf den Platz zu, auf dem er sonst zu sitzen pflegte, wenn wichtige Angelegenheiten besprochen wurden. Aber dort hatte sich bereits einer der jungen Männer niedergelassen. Normalerweise wäre ihm sein Platz, der Rangordnung gemäß, sofort überlassen worden. Diesmal aber bedachte ihn der junge Mann lediglich mit herausfordernden Blicken.

„Verschwinde, Kuesa!“ herrschte ihn Oturi an und vollführte eine unmißverständliche Geste.

Der junge Mann grinste frech. „Du solltest froh sein, wenn man deinen Füßen noch erlaubt, die Erde unseres Dorfes zu betreten.“

Oturi wollte aufbrausen, doch dann besann er sich darauf, daß dies seine derzeitige Lage nur noch verschlechtern würde. Gleichzeitig wurde ihm zum erstenmal richtig bewußt, daß er sich selbst in eine bedrohliche Lage gebracht hatte. Ein junger Mann verweigerte ihm, ohne von den Alten Männern gerügt zu werden, den Platz. Das ließ nichts Gutes erwarten.

Er sollte sich nicht getäuscht haben.

Das bisherige Schweigen der Alten Männer, die im Kreis um eine Feuerstelle saßen, wich sehr schnell einer lebhaften und erregten Debatte.

„In letzter Zeit hat es sehr viel Ärger und Streit wegen dir gegeben, Oturi“, klagte ihn Monibu, ein Mitglied des Ältestenrates an. „Nun aber hast du ein sehr wichtiges Gesetz unseres Volkes übertreten und dich damit außerhalb unserer Gemeinschaft gestellt. Aber was noch schlimmer ist: Beinahe hättest du aus blinder Wut Amabosu umgebracht. Der Zorn der Götter wird unser Dorf treffen, wenn solche Vergehen ohne Strafe bleiben …“

Oturi unterbrach den alten Mann.

„Das alles ist Lüge!“ schrie er. „Man hat übles Geschwätz an euch herangetragen, Monibu. Weibergeschwätz! Wirklich schlimm ist, daß ich als Jäger wie ein Tier behandelt werde. Man verweigert mir sogar meinen Platz. Und junge Männer dürfen mich ungestraft beleidigen. Ist es das, was den Göttern wohlgefällt?“

Die Alten Männer zeigten sich von seinen leidenschaftlichen Worten unbeeindruckt.

„Du scheinst zu vergessen, daß es Zeugen gibt, Oturi“, fuhr Monibu fort. „Basisi und seine Begleiter haben deutlich gesehen, wie du Amabosu töten wolltest. Außerdem können sie bestätigen, daß bereits ein Teil deines Netzes an einem Baobab-Baum befestigt war. Wenn hier einer die Unwahrheit spricht, dann bist du es!“

„So ist es!“ rief Amabosu mit schriller Stimme dazwischen. „Auch ich kann das, was geschehen ist, bei allen Göttern bezeugen. Zum Glück konnte ich seinem Speer noch rechtzeitig ausweichen, sonst würde meine Familie jetzt ohne Oberhaupt und Ernährer dastehen. Oturi ist ein heimtückischer Mörder, daran gibt es keinen Zweifel.“

Die Debatte wurde immer hitziger und wogte noch eine Weile hin und her. Doch so sehr Oturi auch versuchte, sich mit fadenscheinigen Ausreden zu entlasten oder durch heftige Gefühlsausbrüche Mitleid zu erregen – den Urteilsspruch der Alten Männer konnte das nicht beeinflussen.

Als Monibu die Stimme erhob, um die Entscheidung zu verkünden, wurde es totenstill im Dorf.

„Der Rat der Alten Männer hat beschlossen, daß Oturi mit seinen Frauen und Kindern unser Dorf verlassen muß. Keine Wildbeutergruppe darf ihn oder ein Glied seiner Familie aufnehmen oder in irgendeiner Weise unterstützen. Das Recht, ein Jäger zu sein, wird ihm aberkannt. Möge er mit seiner Sippe in die Fremde ziehen und dort nach seinen eigenen Gesetzen leben.“

Die Frauen Oturis begannen laut zu klagen. Er selber war für einen Augenblick wie betäubt, denn er wußte nur zu gut, wie folgenschwer ein solches Urteil sein konnte. Dennoch halfen alle seine lautstarken Proteste nichts. Er wurde von jetzt an behandelt wie ein Aussätziger.

Es blieb ihm in der Tat nichts anderes übrig, als seine Habe zusammenzupacken und mit seiner Familie das Dorf der Wildbeuter zu verlassen. Den Schutz und die Geborgenheit der Gemeinschaft hatte er ein für allemal verloren, es blieb ihm nur noch der Weg in die Fremde.

Nach einem langen, viele Tage umfassenden und entbehrungsreichen Marsch in Richtung Sonnenuntergang, sah Oturi von weitem das Meer. Einen halben Tagesmarsch danach stieß er auf ein Fischerdorf der Vezo, die ebenso zum großen Volk der Sakalava gehörten wie die Wildbeuter, die Hirten und die ackerbautreibenden Masikoro.

Oturi hatte Glück, die Fischer nahmen ihn und seine Angehörigen auf. Doch die Umstellung vom Wildbeuter zum Fischer war hart. Die Vezo halfen ihm, aber Oturi dankte ihnen die Hilfsbereitschaft nicht. Er blieb stur, verschlossen und bösartig, und seine heranwachsenden Söhne traten in seine Fußstapfen.

Die Zeit verging. Tage und Nächte, Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge wiederholten sich im ewigen Wechsel. Die Erinnerung Oturis an sein Heimatdorf und die vielen erfolgreichen Jagdzüge verblaßten mehr und mehr. Bevor er sich versah, waren fünf lange und ereignisreiche Jahre ins Land gegangen.

2.

An jenem Apriltag im Jahre 1599 wölbte sich der Himmel strahlend blau über dem Indischen Ozean. Die Sonne hatte trotz der frischen Brise, die über die glitzernde Wasseroberfläche strich, viel Kraft, und die Wärme kroch angenehm über die Haut.

Dagegen hatte die dreiköpfige Besatzung der kleinen Jolle, die mit achterlichem Wind gute Fahrt lief, nichts einzuwenden – vor allem jetzt nicht, da die Südwestküste der Insel Madagaskar bereits in Sicht war.

Old Donegal Daniel O’Flynn blickte zu dem schwarzen Strich hinüber, der an der Kimm aufgetaucht war. Dann verzog er das braungebrannte, von Wind und Wetter gegerbte Gesicht zu einem zufriedenen Grinsen.

„Hab ich euch nicht gleich gesagt, daß die Jolle in Ordnung ist? Seit Tagen sind wir gut vorangekommen und wenn es sein muß, segeln wir mit diesem Schiffchen bis nach Indien. Ein besseres Abschiedsgeschenk hätten uns die Schnapphähne gar nicht überreichen können.“

Hasard junior, einer der Zwillingssöhne des Seewolfs, zwinkerte mit den Augen.

„Jetzt trägst du aber reichlich dick auf, Admiral“, erwiderte er. „Soweit ich mich erinnern kann, hat man uns diese Jolle – noch dazu unsere eigene – nicht gerade auf einem silbernen Tablett serviert. Wenn wir nicht kräftig zugelangt hätten, wären unsere Klamotten reichlich naß geworden.“

Hasard spielte damit auf die harte Auseinandersetzung an, die sich nahe dem Kap der Guten Hoffnung auf der Karavelle der Deserteure abgespielt hatte.

Sobald die drei schiffbrüchigen Seewölfe bei der Atlantikinsel Ascension notgedrungen als Arbeitssklaven an Bord gegangen waren, hatte der Ärger begonnen. Während sich das verluderte Piratenpack reichlich dem Suff und dem Faulenzen widmete, mußten Old Donegal, Philip und Hasard im Schweiße ihres Angesichtes schuften, bis Hasard beim Holzhacken der Kragen platzte.

Der junge Riese hieb zu, daß die Fetzen flogen, und als die Kerle den Wassereinbruch bemerkten, war es schon zu spät. Die Karavelle war nicht mehr zu retten, und die drei Arwenacks hatten bei einer wilden Prügelei im wahrsten Sinne des Wortes alle Hände voll zu tun gehabt, um sich ihre eigene Jolle zu sichern.

„Hähähä!“ Old Donegal bedachte den Einwand Hasards mit einem meckernden Lachen. „Bei nassen Klamotten wär’s da nicht geblieben. Beim Schwimmen hätten wir mit den Ohren ganz schön vor den Wind gehen müssen, um Fahrt aufzunehmen.“

„Und mit unseren Achtersteven womöglich auch noch“, ergänzte Hasard, „was sonst hätte uns als Besan-Segel dienen sollen?“

Philip, der seinem Bruder zum Verwechseln ähnlich sah, schüttelte den Kopf. Das sonnengebräunte Gesicht unter dem pechschwarzen Haar wirkte etwas mißmutiger.

„Ihr habt ein Gemüt wie Nilkrokodile“, sagte er. „Mir knurrt der Magen, weil wir so gut wie nichts mehr zum Beißen an Bord haben, und unsere letzten Tropfen Wasser sind voller Algen und schmecken abscheulich. Trotzdem treibt ihr beide eure Späßchen, als hättet ihr gerade ein festliches Bankett bei der Königin hinter euch gebracht.“

„Ein festliches Bankett bei der alten Lissy?“ fragte Old Donegal und kriegte einen träumerischen Blick. „Das wäre jetzt gerade das Richtige. Aber ein Dutzend Speckpfannkuchen, vom Kutscher an Bord unserer Schebecke frisch zubereitet, wäre auch nicht zu verachten.“ Er seufzte. „Man kann jedoch nicht alles haben. Eine Jolle und Speckpfannkuchen – das ist zuviel auf einmal. Und bis jetzt war mir, ehrlich gesagt, die Jolle lieber.“

„Mir auch“, warf Hasard ein. „Auf einem Speckpfannkuchen kann man nämlich nicht nach Madagaskar segeln, nach Indien schon gar nicht. Trotzdem ist dir mein Mitgefühl sicher, Bruderherz. Mir hängt der Magen auch schon bis auf die Stiefelspitzen.“

„Dann paß gut auf, daß du nicht aus Versehen drauftrittst.“ Das Gesicht Old Donegals ließ erkennen, daß er gut gelaunt war. „Bald sehen wir uns auf Madagaskar ein bißchen um. Und natürlich segeln wir erst dann weiter, wenn wir uns so richtig kugelrund angenudelt haben, und die Jolle vor lauter erlesenen Speisen und edlen Getränken bis zum Dollbord im Wasser liegt.“

„Dein Wort in Gottes Ohr, Admiral“, meinte Philip. Jetzt huschte sogar ein Lächeln über sein Gesicht. „Einem großen Festschmaus steht dann ja nichts mehr im Weg, falls wir irgendwo auf unsere Leute treffen sollten.“

Er sprach damit die Hoffnung aus, die sie alle hegten, seit sie bei den Kapverdischen Inseln durch einen von der mauretanischen Küste heranfegenden Sandsturm von ihrem Schiff und den Kameraden getrennt worden waren. Ihre Erwartungen waren noch gestiegen, seit sie mit der Jolle Kurs auf Madagaskar genommen hatten.

Immerhin war es möglich, daß die Schebecke der Seewölfe ebenfalls irgendwo an der Westküste dieser Insel ankerte, um Trinkwasser und Proviant zu ergänzen. Doch unabhängig von einem solch zufälligen Zusammentreffen, waren die drei Arwenacks in der Jolle fest entschlossen, die Augen offenzuhalten.

Notfalls würden sie den Törn nach Indien mit der Jolle fortsetzen, um dort, am eigentlichen Ziel der Schebecke, wieder auf die anderen zu stoßen.

Bombay, Surat und Madras hießen die Stationen, die die Seewölfe im Auftrag der Königin anlaufen sollten, um dem Boden für künftige Handelsbeziehungen vorzubereiten. Old Donegal und seine beiden Enkel würden auf jeden Fall alles daransetzen, die Kameraden zu finden. Zunächst aber galt es, auf Madagaskar frische Vorräte an Bord zu nehmen.

Der Wind blähte das Segel, die Jolle glitt leicht und mit einem Hauch von Eleganz durch das Wasser. Der schwarze Strich am Horizont hatte längst deutlichere Konturen angenommen, die große Insel im Indischen Ozean wuchs vor ihnen aus dem kristallklaren Wasser.

Philip legte die flache Hand über die Augen und blickte nach Backbord. Dann deutete er auf einige dunkle Schatten, die sich dicht unter der Wasseroberfläche auf die offene See zubewegten.

„Das sieht vielversprechend aus“, sagte er. „Wo es solch große Wasserschildkröten gibt, braucht so schnell niemand zu verhungern. Wer weiß, vielleicht segeln wir direkt auf das Paradies zu.“

Hasard grinste. „Vielleicht sitzt unser Stammvater Adam drüben am Strand, um uns willkommen zu heißen.“

„Eva wäre mir lieber“, entgegnete Philip, „nur dürfte die Lady inzwischen auch nicht mehr die Jüngste sein.“

Old Donegal, das alte Rauhbein, schüttelte tadelnd den Kopf. „Laß bloß die Weiber aus dem Spiel, du Grünschnabel, die haben uns hier gerade noch gefehlt.“

„Na, na, was sind das für Töne?“ entgegnete Hasard. „Was glaubst du, was los wäre, wenn das eine gewisse Missis Mary O’Flynn, geborene Snugglemouse, wohnhaft auf der wunderschönen Karibikinsel Great Abaco, gehört hätte?“

 

„Mein Eheweib habe ich damit nicht gemeint“, erklärte Old Donegal. „Meine Mary ist nämlich eine anständige Frau. Die stiehlt nicht dem Herrgott den Tag und nascht von verbotenen Früchten. Aber diese – diese Eva, damals im Garten Eden, das war ein regelrechtes Luder, das kann ich euch sagen. Die mogelte sich nicht nur an den Befehlen des Großlords vorbei und naschte von einem Baum, der sie gar nichts anging, sondern führte auch noch Adam an der Nase rum, indem sie ihn dazu überredete, ebenfalls nach den verbotenen Früchten zu greifen. Und was war die Folge?“

„Der Großlord hat sie aus dem Paradies rausschmeißen lassen“, erwiderte Philip.

„Richtig.“ Old Donegal nickte. „Und deshalb sind auch wir außerhalb des Gartens Eden geboren worden und müssen all die Nachteile in Kauf nehmen, die sich diese Lady damals eingehandelt hat. Und was lernen wir daraus, Leute?“

„Wie wir dich kennen, wirst du es uns sicherlich gleich sagen, Granddad“, entgegnete Philip.

„Na schön“, fuhr Old Donegal fort, „ich kann ja meine Herren Enkel nicht ein Leben lang dumm herumlaufen lassen, nicht wahr? Also, ähem, das ist nämlich so: Wenn der Großlord im Himmel seine Befehle erteilt, hat man gefälligst darauf zu hören, statt in einen süßen Honigtopf zu tappen, den einem verführerische Ladys vor die Füße stellen. Wenn man’s trotzdem tut, bleibt man darin kleben und hat verdammt viel Mühe, wieder aus diesem Topf rauszusteigen …“

Hasard unterbrach die Erklärungen Old Donegals mit einem verblüfften Ausruf.

„Was ist denn das? Wie ein Honigtopf sieht das wohl nicht aus, sondern eher wie ein Fischerboot.“

Old Donegal und Philip gingen blickmäßig auf den Kurs, den Hasards Zeigefinger anlag. Und siehe da, Steuerbord voraus hoben sich tatsächlich die Konturen eines Bootes mit einem großen quadratischen Segel vor den Landmassen der Insel ab.

Jetzt vergaß sogar Old Donegal den Garten Eden.

„Mir scheint“, sagte er, „wir segeln wieder mal genau zum richtigen Zeitpunkt auf den richtigen Ort zu.“ Er kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. „Ich lege nicht gerade Wert darauf, mich gleich irgendwelchen Eingeborenen vorstellen zu müssen. Wenn die nämlich gerade schlecht gelaunt sind, wird’s so schnell nichts mit all den Leckerbissen, die wir an Bord nehmen möchten.“

„Das erzähl mal meinem knurrenden Magen“, sagte Philip. „Ich glaube nicht, daß er das einsieht.“

Die drei Arwenacks ließen das vermeintliche Fischerboot nicht mehr aus den Augen, und schon bald stellten sie fest, daß es sich um ein Auslegerboot handelte, dessen Segel viele Löcher aufwies. Das seltsame Gefährt schien ohne Ziel im Wasser zu treiben. So sehr sie ihre Augen auch bemühten, ein menschliches Wesen war nirgends zu entdecken.

„Das ist ja ein regelrechtes Geisterschiffchen“, sagte Old Donegal und schielte mit einem Auge auf das längliche Paket, das achtern in ihrer Jolle verstaut war.

Säuberlich in ein Stück Segeltuch eingewickelt, befanden sich darin außer den Pulvervorräten einige erbeutete Musketen und Pistolen. Wenn es also irgendwelchen Ärger geben sollte, würden sie dem nicht hilflos gegenüberstehen. Zunächst aber sahen sie keine Veranlassung, nach den Waffen zu greifen.

„Vielleicht ist das Boot bei einem Unwetter abgetrieben worden“, meinte Philip. „Es muß ja nicht aus der Küstengegend dort drüben stammen. Ich sehe jedenfalls keinen Grund, wegen einer halbwracken Nußschale auf unseren Landgang zu verzichten.“

In diesem Punkt herrschte absolute Übereinstimmung. Die Arwenacks setzten ihren Kurs unbeirrt fort.

Schon wenig später glitt die Jolle an dem Steuerbord querab dümpelnden „Geisterschiffchen“ vorbei. Die Entfernung betrug jetzt kaum noch den vierten Teil einer Kabellänge. Das quadratische Segel war arg mitgenommen, an der Steuerbordseite des Bootes klaffte in Höhe des Dollbords und zwei Handbreiten darunter ein zersplittertes Loch im Holz. Sonst schien das Boot kaum beschädigt zu sein. Auch an dem weit herausragenden Ausleger der Steuerbordseite war kein Schaden festzustellen.

„Segel und Bordwand sehen aus, als seien sie mit einer kleinen Kanone beschossen worden“, sagte Old Donegal. „Weiß der Teufel, was sich da abgespielt hat.“

Der geschwungene Bug, der den rückwärts gebogenen Hörnern eines Ziegenbocks glich, wies zahlreiche Schnitzereien auf. Hölzerne Streben verstärkten das Boot, um ihm mehr Stabilität zu verleihen.

„Vielleicht leben dort drüben an der Küste Fischer, die von Piraten überfallen wurden“, sagte Hasard. „Wie sonst wurde das Holz aus der Bordwand gefetzt? Ein Aufprall auf irgendwelche Klippen scheidet aus, sonst wären als erstes die Ausleger zerstört worden.“

„Mit dieser Vermutung könntest du recht haben“, entgegnete Philip, und mit einem schiefen Seitenblick zu Old Donegal fügte er hinzu: „Womöglich ist das erwartete Paradies gar keins, und wir segeln direkt in die finsteren Schlünde der Hölle.“

Old Donegal legte die Stirn in Falten.

„Willst du wohl damit aufhören, den Teufel an die Wand zu malen, du gepökelter Hering? Schließlich ist es nicht das erste Mal, daß wir ein verlassenes oder beschädigtes Boot sichten. Trimm lieber das Segel etwas nach, damit wir nicht die herrliche Bucht dort drüben verfehlen.“

Die Küstenlandschaft und der Sandstrand, der die großzügige Bucht säumte, boten in der Tat einen paradiesischen Anblick, Scharen von Reihern, Sturmtauchern und Feenseeschwalben erhoben sich lärmend in den tiefblauen Himmel oder zogen sich in die Wipfel der hochaufragenden Takamaka-Bäume zurück.

Diese Giganten mit ihrer grauen Rinde und den großen, dunkelgrünen Blättern reichten an die beachtliche Größe der Palmen heran und gaben dem bis dicht an den Strand reichenden Regenwald ein majestätisches Aussehen.

Die Jolle segelte zunächst an üppigem Mangrovendickicht vorbei, dessen Luftwurzeln bizarr über das Wasser hinausragten. Philip und Hasard bargen das Segel, kurz darauf schob sich der Bug knirschend auf den weißen Sandstrand.

Tatsächlich hatte es den Anschein, als seien die Seewölfe weit und breit die einzigen menschlichen Wesen. Nirgends waren weitere Boote zu sehen, und nichts wies auf das Vorhandensein eines Fischerdorfes hin.

Da die Platzverhältnisse in einer kleinen Jolle bei einem längeren Törn doch recht beengend waren, tat es den drei Mannen gut, wieder mal festen Boden unter den Füßen zu spüren. Old Donegal behauptete sogar, daß der warme, weiche Sand seinem Holzbein guttäte.

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