Ausbeutung - made in Germany

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Nach fünf Monaten im Zuschnitt stelle ich Veränderungen an mir fest. Ich wache des Nachts öfters in Unruhe auf und höre das Wummern der Presse. Ich habe Probleme mit meinen Händen, genauer mit den Gelenken in den Fingern, die mir mittlerweile fast jeden Morgen wie steif und verkrampft vorkommen. Es dauert dann jedes Mal eine Weile, bis das Gefühl und die Beweglichkeit wieder zurückkehren. Allgemein sind meine Hände irgendwie lederartig geworden, als ob sie schon über 70 Jahre alt wären, obwohl ich sie tagtäglich eincreme und sie auf der Arbeit meistens in öligen Handschuhen stecken. Doch gerade dieses Spezial-Öl zum Tiefziehen der Bleche muss es molekular in sich haben: Es reizt die Haut, vielleicht nicht unbedingt so schlimm am Anfang, doch dann kommt es mit den Monaten, und es scheint sich auch indirekt mit auf die Gelenke auszuwirken. Ich gehe von bestimmten Stoffen aus, die im Öl-Gemisch enthalten sind, die ich dann über die Haut mit in meine Knochen und Finger-Gelenke aufnehme. Oder eben ich liege total falsch und bilde mir das alles nur ein. Wahrscheinlich habe ich schon immer so eine Art Arthritis gehabt und suche bloß einen plausiblen Grund, um endlich vor der ätzenden Maschine flüchten zu können. Ich spiele quasi mit dem Gedanken, aufzuhören. So muss es wohl sein: Selbst von den Stammmitarbeitern ist dazu durchgesickert, dass kaum einer wirklich lange an dieser öligen Presse durchgehalten hat. Allein schon wegen der aufkommenden Rückenschmerzen, die auf Dauer durch die stundenlange gebückte Arbeitshaltung entstehen. Niemand kann diesen Job als Berufs- und Lebenserfüllung ansehen, als Lern- und Wirkungsziel oder so etwas Ähnliches. Es ist eben nur ein Bedienerjob, bei dem man abstumpft, abnutzt, etwas Unliebsames und Unbequemes tut, etwas zum Ranklotzen für getriebene Leiher. Und dennoch will man andererseits wiederum durchhalten, weil man (Verdammt nochmal!) muss.

Ja, ich muss durchhalten, irgendwie weitermachen …, von irgendeiner Arbeit leben, von dem halt, was meine Brötchengeber mir zugestehen wollen. Dieses Zugeständnis scheint aber kontinuierlich kleiner zu werden, während meine Leistungen dafür immer größer werden. Und warum werden sie das? Weil ich nicht nur von oben, sondern neuerdings sogar von unten aus den eigenen Reihen dazu gezwungen werde. Das soziale Klima ist kälter geworden, das soziale Netzwerk brüchiger, umso größer dafür die Raffgier der Besitzergreifenden. Auch wenn ich es nicht wahrhaben will, ich fühle mich zunehmend von Egoisten und ferngesteuerten Konsumidioten umgeben. Ein Konsum, der ausufern tut, der vermeintlich beruhigend auf das Gemüt wirkt. Doch man sieht und hört ja überall die Wirklichkeit: Selbst die kleinen Kinder im Land schreien bereits nach immer mehr!

Ich selbst habe mich inzwischen von den deutschen Durchschnittsbürgern weit entfernt, und offensichtlich, nach dem Zwei-Klassen-Gesellschaftssystem, soll ich auch gar nicht mehr zum Durchschnitt gehören. Ranschaffen soll ich für die »besser gestellte« Seite der Deutschen – für selbsternannte Globalisten! Ich kann mich somit ganz klar zu den deutschen Absteigern zählen, dem Landesheer der Arbeitssklaven – das Kanonenfutter sozusagen, das es im Wahn des Kapitalstrudels gewissenlos zu verpulvern gilt.

Ich lebe in einem Land umgeben von »modernen« Menschen, die mit Vollgas auf dem Weg in den Egoismus sind.

Wiederum 3 Monate später: Wumm, wumm, wumm! Es ist monoton, es ist stumpfsinnig und einfach nur zum Kotzen. Hilfe, ich will hier raus! Hört mich denn niemand? Ach so, du natürlich, liebe Maschine!

Wumm! Die Antwort.

Ich stehe auf und muss unbedingt erst einmal den steifen Hals und meine eingeschlafenen Füße bewegen. Ich will gar nicht so recht an das Körperliche denken, an meine »tollen« Perspektiven und die »üppige« Bezahlung, ich will eigentlich gedanklich defokussieren, und genau deshalb schaue ich aus dem Fenster hinaus, um mir das Positive in Erinnerung zu holen. Es muss definitiv dort draußen zu finden sein, nicht hier drinnen, zumindest nicht für mich, denn was hier in Metall läuft, das habe ich ja nun monatelang in Erfahrung gebracht. Außerdem ist die Zeit ran, das Ende »unserer« 9-monatigen Vertragsdauer naht, nach deren Ablauf und bei gleichzeitiger Weiterbeschäftigung sie normalerweise den vollen tariflichen Lohn wie bei ihrer Stammbelegschaft zahlen müssten. Aber das wird die Ausbeutung mit Sicherheit nicht tun und es gibt bereits deutliche Anzeichen dafür, dass man uns bald wieder einfach in die »Freiheit« entlässt. Ich recke und strecke mich, und ich weiß natürlich, dass es so oder so nicht viel besser werden wird. Doch nun, in Gedanken zumindest, fühle ich mich für einen kurzen Moment tatsächlich ein bisschen befreit.

Ich frage mich schon, warum die werte Lady von nebenan, die große »Alleskönnerin« an der Finn-Power, sich zwei Dosen Handpflegecreme und drei Packungen Handschuhe auf der Werkbank hinter mir bereitlegen tut. Sie schaut nicht gerade begeistert aus und es würde mich auch sehr wundern, dass sie es rein aus Nächstenliebe neuerdings gut mit mir meinen würde. Sie sagt erst einmal nichts dazu. Im Grunde spricht sie so gut wie nie mit mir. Aber jetzt, dem Gefühl nach, kann ich mir irgendwie denken, dass sie hier an der Presse schon bald die Nachfolgerin sein wird. Zwar hat der Kollege noch eine Spätschicht zu fahren, doch hat auch er längst mitbekommen, was offenbar läuft. Und gerade der Kollege hat ja immer auf einen Festvertrag in der Metallbranche gehofft. Nur leider lässt dieser bislang auf sich warten. Aber wie sagt man so schön: Die Hoffnung stirbt immer zuletzt!

Der Einrichter erscheint zur Ablöse pünktlich und sagt: »So, Jungs!« Und wir beide spitzen gespannt die Ohren. »Ab nächste Woche ändert sich hier einiges im Ablauf. Die Aufträge wurden vorerst gedrosselt, das heißt, ihr werdet erst einmal anderweitig eingesetzt. Du fährst die 2. Schicht noch zu Ende, und ab nächste Woche wird eine Kollegin von der Stammbelegschaft hier weitermachen. Ihr beide geht dann Montag mit rüber in die Werkstatt, und ihr fangt dort nicht wie bisher 0545 Uhr an, sondern zur Normalschicht um drei viertel sieben.«

»Als was wird man uns einsetzen?«, frage ich neugierig im Vorab.

»Keine Ahnung, da müsst ihr euch einfach überraschen lassen. Aber vermutlich seid ihr ganz der Willkür von Herbert und Achim ausgeliefert. Das sind die beiden Vorarbeiter dort drüben.« Er grinst. »Na ja, den einen kennt ihr ja bereits, den mit den großen Muskeln.«

»Ich hab gehört, er soll Bodybuilder sein«, sagt der Kollege.

»Ja, er ist auch ein Fitnesstrainer und er hat viele gute Ideen im Kopf. Aber verarschen lässt er sich nicht, und wenn es zufällig einmal hitzig unter den Männern werden sollte, dann ist er ebenso der Rausschmeißer hier im Betrieb.« Eine klare Ansage. »Sonst noch was?«, fragt er recht zufrieden und reibt sich die Hände. »Ach so, das mit der Demontage der Laufschienen von vorige Woche hat sich inzwischen geklärt: Den Auftrag wollte sich tatsächlich ein Schlawiner aus der Spätschicht mit auf die Abrechnung schreiben.«

»Aha!«, sage ich. Er meint die 240 Teile, die ich während einer halben Schicht demontiert hatte, und die dann irgendjemand aus der Werkstatt wieder abgeholt hat, den ich aber nicht weiter kenne. Im Betrieb ist es so: Hier wird der Arbeiter fast ausschließlich nach Auftragsbearbeitung/​Stückzahlen bezahlt – außer wir Zeitarbeiter natürlich. Wenn ich den Metall-Tariflohn für die Demontage der 240 Laufschienen bekommen würde, dann wäre allein diese halbe Schicht bereits der Lohn wie für 8 Stunden Vollzeit bei Zeitarbeittarif gewesen. Und da ich es nebenbei gemacht habe, ist es sicher ein lukrativer Zuverdienst für so manch kühnen Rechenkünstler oder auch Kleinkapitalisten im Arbeitnehmerverschnitt!

»Aber jetzt sagt mal ehrlich, Jungs, so schlecht habt ihr es hier drüber an der Laufer-Presse doch gar nicht gehabt, oder?«

Ich schaue den Kollegen an, der Kollege schaut den Einrichter an und zuckt mit den Schultern. Etwas Fantastisches fällt uns beiden dazu nicht wirklich ein.

»Na ja …« Der Einrichter schaut zur Uhr. »Oh, das Taxi hätte ich fast vergessen!« Er kramt sein i Pad hervor. »Ich fliege heute noch nach Mallorca«, verkündet er stolz und tippelt fix eine Nummer. »Wisst ihr, eigentlich seht auch ihr beide so aus, als ob ihr mal Urlaub gebrauchen könntet …«

Der Kollege verdreht die Augen, und ich denke mir meinen Teil.

»Ja, hallo, ich benötige ein Taxi um 1600 Uhr von der Gartenstraße 20 nach Flughafen Tegel. Geht das so weit klar?« Er lauscht am i Pad und seine Mundwinkel ziehen sich in die Breite. Es scheint ganz gut für ihn auszusehen. »Okay, dann bis später.« Grinsend schaut er wieder auf und sagt: »Tja, Jungs, ihr wisst ja sicher, wie es ist, wenn man ein verlängertes Wochenende hat. Das muss gleich ausgenutzt werden!«

Wie immer geben wir uns Mühe: Unser neuer Vorarbeiter, der Muskelmann und Einrichter in der Werkstatt, ist tatsächlich noch eine Ecke autoritärer als der Micha, der bisher für uns Zeitarbeiter zuständig war. Wir machen jetzt verschiedene Sachen in der Produktion, die niederen unbequemeren Arbeiten natürlich. Dazu war ich bereits gestern und vorgestern zum Drehmeln in der Schleiferei gewesen. Heute haben sie den Kollegen dort eingesetzt. Ich laufe gerade an ihm vorbei, weshalb er kurz aufschaut, und ich kann förmlich die Begeisterung in seinen Augen sehen. Schließlich wissen wir beide, dass diese Arbeit kein Zuckerschlecken ist und schon gar nicht der Job, bei dem man sich unbedingt beweisen muss, wie lange zum Beispiel die eigene Lunge das Dreckschlucken verkraften kann. Andererseits wieder hat er nun wunderbare »Ruhe« im abgeschirmten Bereich und er kann sich von seinem Schleiferkumpel den ganzen Tag lang beraten lassen, wie er vielleicht doch noch zu einer Festanstellung als Handlanger in Metall kommt.

 

Im Grunde weiß jeder im Betrieb, dass gerade in diesem Bereich der Produktion die Fluktuation sehr hoch ist, dass niemand länger als ein oder höchstens zwei Jahre diesen Job ausführen kann. Ich muss die Umstände dafür auch nicht länger beleuchten, selbst jetzt noch kann ich das Piken des Metallstaubes in meiner Lunge spüren. Fix hole ich mir neue Handschuhe und etwas Mineralwasser vom Spender, da ich gerade Zeit dazu habe.

Hier drüben in der Werkstatt wird so alles Mögliche fabriziert – alles, was mit Sterilisationsöfen und anderweitigen medizinischen Geräten zu tun hat. Auf den ersten Blick ist es sicher interessant, es kommt dann nur darauf an, an welcher Stelle man eingesetzt wird. Und im Moment kann ich nicht einmal klagen, es ist abwechslungsreicher für mich geworden. Oder anders gesagt, ich mache mich bei meinen jetzigen Aufgaben noch nicht einmal tot. Ich führe verschiedene Bohrtätigkeiten aus – es sind Bohrungen für Schraub- und Nietverbindungen, die ich teilweise mit einem konischen Bohrer absenken muss, damit sich später die Verschraubung möglichst in die Gehäuseoberfläche einfügen kann.

Ich stelle mein Mineralwasser ab und warte nun auf den Einrichter, der mir zum anstehenden Gewindeschneiden noch etwas zu erklären hat. Er kommt auch schon um die Ecke gefegt. Es ist nicht der Super-Muskelmann, sondern der ältere der beiden Vorarbeiter in der Werkstatt. Aber er schaut erst noch woanders.

Zwei Minuten später dann: »So, jetzt bei dir weiter«, sagt er. »Hatte ich dir den Gewindeschneider vorhin schon gegeben?«

»Ja, er liegt hier auf dem Tisch.« Ich reiche ihn rüber.

»Gut. Also, die oberen zwei Bohrungen haben wir abgesenkt und in die unteren schneidest du jetzt das Gewinde. Ich zeige es dir kurz …« Er nimmt eine Edelstahlplatte und setzt an der entsprechenden Stelle an. »Siehst du, mit etwas Gefühl das Gewinde schneiden. Nicht ewig hin- und herdrehen und auch möglichst nicht verkannten dabei, einmal vor und wieder zurück. Dann probiere das jetzt bitte …«

»Okay.« Ich gebe mir Mühe, und es geht tatsächlich leichter, als ich gedacht hätte.

»Sieht doch ganz gut aus«, sagt der Einrichter. »Dann machst du genau so den Auftrag zu Ende.«

»Sind noch mehr von diesen Teilen da?«, frage ich.

»Oh ja, jede Menge. Aber, ich denke, heute wirst du höchstens 200 Stück schaffen. Ja, und falls nachher noch was ist, dann meldest du dich …« Er geht weiter zur nächsten Station.

Ich schaue zur Uhr hinauf. Oh, zwei Stunden noch! stelle ich fest. Ich schaue zu meinem türkischen Kollegen rüber. Er grinst mich an, und er wird sich sicherlich seinen Teil denken. Vermutlich wird er wissen, woher ich komme und in welche Kategorie von Arbeiter ich einzustufen bin.

Als ich später mit dem Gewindeschneiden überpünktlich fertig bin und selbst meinen Arbeitsplatz bereits gesäubert habe, fällt mir nichts Besseres ein, als den Besen noch ein bisschen weiter zu schwingen. Das findet natürlich Anerkennung und keiner sagt etwas dagegen, wenn ich Bohr- und Feilspäne anderer mit zusammenkehre.

Ich hocke mit meiner Kehrschaufel gerade beim Türken und er fragt mich plötzlich: »Du sagen mal, kommen jetzt immer mehr von euch hierher?«

»Keine Ahnung. Mich und meinen Kollegen haben sie jedenfalls zu euch hier rüber geschickt.«

»Kollegen?«

»Na ja, so in der Art …«, sage ich und mache eine Kopfbewegung, weil mein Kollege von der Zeitarbeit gerade kommt, aber gleich weiter geht. Er hat es verdammt eilig Richtung Waschraum.

»Puh! Er ganz schön schwarz im Gesicht«, bemerkt der Türke und grinst wieder.

»Ja, er hat wohl einiges geschluckt«, sage ich und grinse nicht. Trotzdem kann ich mir denken, wie ihm gerade zumute sein muss.

»Ich haben gehört, ihr seien mindestens fünfzig bei uns im Betrieb …«

»Ach, sind es doch so viele?!«, tue ich so, als ob. Aber wirklich erstaunt bin ich darüber nicht.

»Ja, ganze Pin-Wand neben der Uhr ist voller Zeitkarten.«

»Ich habe sie gesehen. Der Einrichter hat jedoch erzählt, dass die Aufträge vorerst zurückgefahren worden sind, zumindest an der Laufer-Presse.«

»Ah, du waren drüben an der Presse …«

»Ja, fast neun Monate lang.«

Er schaut mich an und legt auf einmal die Stirn in Falten. »Jetzt ich verstehen. Du müssen da weg, sonst sie mehr zahlen müssen.«

»Vermutlich«, sage ich. Natürlich weiß ich, dass es genau so ist. »Hat der Betrieb hier auch mal Zeitarbeiter übernommen?«, hake ich dennoch nach.

»Ja, ich mich erinnern an einen. Aber der seien längst wieder weg. Nicht gut gewesen.«

»Also, ist es derzeit nur noch ein Kommen und Gehen von Zeitarbeitern?«

Er zuckt mit den Schultern.

»Wie lange bist du überhaupt schon hier?«, frage ich direkt.

»Oh, zwanzig Jahre jetzt …?«

»Damals waren sicher noch bessere Zeiten«, sage ich so dahin und kippe den Kehrdreck in den Eimer.

Er nickt dazu. »Wir damals hier ruhiger gearbeitet und mehr Zuschläge bekommen«, sagt er. Aber eigentlich will er mir etwas anderes sagen. »Seit so viel mit Zeitarbeit ist, ist auch schlecht für uns.«

»Hm!«, mache ich und kehre in einer anderen Ecke weiter. Er wollte mir mit anderen Worten sagen, dass wir bei der Stammbelegschaft längst nicht mehr so willkommen sind wie noch vor Jahren, und das spüren wir jetzt. Den Personalchefs, die diese neue Arbeitspolitik ins Leben gerufen haben, traut er sich dies sicher nicht zu sagen.

Heute bin ich beim Einnieten beschäftigt, das heißt, ich stelle Nietverbindungen zwischen zwei Metallteilen her. Mein jetziges Arbeitsgerät ist absolut klassisch – Baujahr 1932 steht darauf. Es hat also schon seine Dienste getan, als in Deutschland noch ein anderer Zeitgeist herrschte, und es arbeitet sogar nur rein mit Muskelkraft und Kraftübersetzung, sodass über ein ausgefeiltes Schneckengetriebe eine Druckkraft von bis zu 2 Tonnen erzeugt werden kann. Sonderlich schwer ist meine Aufgabe nicht: Ich lege das Werkstück auf den Nietteller, setze die Nieten ein – die Enden der Nietbolzen schauen dabei durch eine Ritze auf dem Nietteller –, und niete mit einem kräftigen Schwung am Handschwungrad des Arbeitsgerätes nacheinander die Nieten ein. Nach gut zwanzig Durchgängen hat man es locker kapiert, und dann wird es auch schon wieder monoton. Ich habe viel Zeit zum Überlegen, zum Überlegen über das Danach.

Mein früherer Einrichter taucht plötzlich bei mir auf und fragt erstaunt: »Ach, haben sie dich jetzt hierher gesteckt?«

»Ja, ich bin heute mit Nietverbindungen beschäftigt.«

»Na ja, ziemlich eintönige Angelegenheit«, sagt er und kramt sogleich im ersten großen Blechschrank gegenüber an der Wand.

»Och, für mich ist es schon eine Abwechslung«, bemerke ich. Für mich ist es immerhin was Neues, denke ich. Für ihn sicher nicht.

»Ah, da sind ja die Messingstifte!«, sagt er erfreut und wirft den Schrank wieder hinter sich zu. Er kommt näher, schaut auf den Auftrag und grinst. »Man, Fränki, da hast du ja mindestens zwei volle Tage zu tun.« Er klopft mir auf die Schulter, geht und sagt noch: »Dann lass dir die Zeit bloß nicht zu lang werden …«

Ich schaue ihm hinterher und frage mich: Wie locker er auf einmal ist? Ach so! fällt mir wieder ein. Er ist ja nun auch nicht mehr zuständig für mich … Ich versuche, an etwas anderes zu denken.

Leute kommen und gehen. Meistens suchen sie in den Blechschränken nach bestimmten Metallteilen, die von anderen Zulieferern herstammen.

»Ey, bist du ein Leiher oder hast du jetzt bei uns angefangen?«, fragt ein Mann im blauen Schlosseranzug.

»Ich bin ein Leiher«, sage ich.

Keine fünf Minuten später stellt ein anderer fest: »Oh, ein neues Gesicht!«

»Ja, ich bin der Neue«, sage ich.

Eine ganze Weile vergeht, dann aber geht die Fragerei weiter: »Von der Leihfirma?«

»Ja, von der Leihfirma«, bestätige ich.

Wiederum später: »Hab ich dich nicht neulich erst drüben an der Laufer-Presse gesehen?«

»Kann sein …«

Einer, der schon mal da war und wieder etwas sucht, fragt: »Sag mal, lohnt sich das überhaupt als Leiher?« Er reibt den Daumen und Zeigefinger aneinander, er meint das Geld damit.

»Eigentlich nicht«, sage ich.

»Also, zum Leben zu wenig und zum Sterben zuviel?«

»Ja, so ungefähr.«

Er rümpft die Nase und geht wieder vor zu den Kollegen. Aber er hat wenigstens einmal einen Gedanken daran verschwendet.

Zeit verstreicht. Ich gebe mir Mühe, perfekte Nietverbindungen herzustellen.

In der nächsten Schicht brauche ich nicht lange zu warten und werde erneut gefragt: »Schon lange hier?« Offenbar ist das so eine Standardfrage.

»Ja und nein«, lautet meine Antwort.

»Also, jein!«, sagt der unrasierte Typ vor mir und grinst sich einen an die Backe. »Das ist gut, Kumpel. Du musst immer positiv denken, immer positiv …«

Der Nächste fragt genau dasselbe: »Schon lange hier?«

»Eine Weile«, antworte ich diesmal.

»Dann lass dir die Weile aber nicht zu lang werden.«

Die Nr. 3 steht auf der Matte: »Kann es sein, dass wir uns vor zwei Monaten schon mal gesehen haben?«

»Bestimmt.«

»Ah, unser Muskelprotz hat dir da Handschuhe für den Zuschnitt mitgegeben«, erinnert er sich.

»So wird es wohl gewesen sein …«, sage ich.

Die Nr. 4 fragt: »Ruhige Ecke hier hinten, nicht?«

»Na ja, eigentlich nicht.«

Die Nr. 5 wühlt erst im Schrank. Er findet, nach was er sucht uns schaut mich dann grinsend an. Er meint: »Irgendwie erkennt man euch immer gleich an der Kleidung.«

»Ach, echt?«

»Ja.«

Selbstkritisch schaue ich an mir herunter. Bisher kam mir das gar nicht so vor. Nach wie vor trage ich meine Privatsachen bei der Arbeit. Die seit Monaten versprochene Arbeitsbekleidung ist nie bei mir angekommen – beim Kollegen ebenso nicht. Stattdessen schenkte man mir einen Stoffbeutel, einen Kugelschreiber, einen lächerlichen Regenschirm und zwei Tüten Lutschbonbons: Selbstverständlich alles in Verbindung mit dem dicken Werbeslogan unserer Leihfirma. »Du meinst die Schuhe?«, bilde ich mir ein und schaue wieder zu ihm auf.

»Nee, so allgemein.«

Schon klar, denke ich. Er meint damit, ich bin ein armes Schwein.

Die Nr. 6 schreit: »Scheiße! Wo sind jetzt bloß diese verdammten 11er Federringe abgeblieben?«

Ich zucke mit den Schultern.

»Ach so«, erinnert er sich, »ihr Externen wisst das ja eh nicht.«

Ein jeder macht so seine eigenen Feststellungen: Allgemein merke ich, dass Stammmitarbeiter (Facharbeiter in höherer Stellung) oft besser gelaunt sind und die Arbeit in der Regel überlegter angehen. Auch sie erkennt man sofort an der Kleidung. Reine Produktionshelfer hingegen kommen meistens aus der unteren Bildungsschicht. Sie meckern und nölen häufiger als die Facharbeiter, und doch sind sie als Festangestellte rechtlich weit besser gestellt, als wir externe Leihkräfte das sind. Für Festangestellte gilt der Tarif der IG Metall. Für uns Leihkräfte der Tarif der Zeitarbeit.

Wir von der Zeitarbeit dürfen nicht nölen, nicht beklagen und nichts bemängeln. Wir Zeitarbeiter haben lediglich abzuarbeiten, was uns aufgetragen wird. Unseren eigenen Frust dürfen wir dabei kommentarlos herunterschlucken.

Ich schlucke an einem mächtig dicken Brocken.

Der Produktionsleiter kommt geradewegs auf mich zu und er sagt: »Es gibt Neuigkeiten für dich! Du darfst bald wieder den Kochlöffel schwingen.«

»Den Kochlöffel schwingen?«, frage ich erstaunt.

»Ja, du hast richtig gehört. Natürlich nicht bei uns im Betrieb, schließlich haben wir keine eigene Kantine hier. Aber du sollst dich morgen in deiner Firma melden, und die sagen dir dann konkret, wo du als Nächstes eingesetzt wirst.«

»Also, heißt das jetzt, ich brauche ab morgen nicht mehr zu kommen?«

»Ganz richtig. Aber es sind ja noch andere von euch hier. Na ja, und kochen ist doch schließlich eine feine Sache …« Er lächelt. Fast ist es ein süffisantes Grinsen, und er hebt leicht die Schultern …

Ich weiß, was er eigentlich damit sagen will: Ich brauche dich jetzt nicht mehr, und nach dem wirtschaftlichen Optimierungsprinzip kann ich mich von deiner nun ganz einfach ohne Kündigung und ohne großartige Begründung entledigen. Und er will mir noch etwas sagen: Es ist doch wunderbar in so einer flexiblen Branche wie der Zeitarbeit zu arbeiten, wo man dann automatisch zum rastlosen Menschen gemacht wird. Aber ich kann mir auch selbst einreden, dass ich schon immer ein rastloser Mensch war. Wahrscheinlich habe ich das bisher nur nicht gewusst.

 

»Na schön«, sage ich und kann dennoch keine strahlende Begeisterung rüberbringen. »Dann also wieder kochen. Und die Schicht heute soll ich noch normal zu Ende fahren?«

»So ist es. Du machst den Auftrag fertig, und wenn dann noch Zeit ist, fragst du einfach den Meister, ob er eventuell für dich noch was hat.«

»Okay. Kann ich damit rechnen, später wieder hier eingesetzt zu werden?«

»Oh, natürlich! Schließlich hast du top Arbeit bei uns geleistet. Nur leider ist es immer eine Frage der Auftragslage, und derzeit …, na ja, wir wollen mal hoffen.« Er tritt etwas näher heran. »Also, alles Gute für dich …«

»Danke!«

Die Hand jedoch gibt er mir nicht. Er will nur schnell wieder gehen. Aber er scheint noch etwas vergessen zu haben: »Ach ja, und wenn du nachher gehst, lässt du deine Zeitkarte einfach neben der Uhr an der Pin-Wand stecken.«

»Geht klar«, sage ich und schaue ihm kurz hinterher, wie er von dannen schreitet.

Es ist schon seltsam: Kochen …, denke ich. Komischerweise kann ich mich nicht wirklich darüber freuen. Ich habe keineswegs vergessen, dass selbst ein gelernter Koch bei der Zeitarbeit lediglich einen Küchenhilfenvertrag bekommt, und ich weiß ja, was mich als »Küchenhilfe« dann wieder erwartet. Mit ziemlicher Sicherheit Berge von Abwasch für einen Hungerlohn. Ganz zu schweigen vom Zeitklau und der geforderten Hyperflexibilität. Schöne Scheiße! denke ich.

Als ich später meine Zeitkarte als letzten Akt in einer fast heimatlich gewordenen Firma endgültig zu den anderen an die Pin-Wand stecke, zähle ich trotzdem aus reiner Neugierde noch einmal nach. Ich komme jetzt blank auf 61 Karten von entliehenen Zeitarbeitern. Es kann also keineswegs von einer schlechten Auftragslage die Rede sein. Es ist wohl eher so: In der kommenden Woche hätte ich die 9-Monatsgrenze einer ununterbrochenen Beschäftigungsdauer beim selben Entleihbetrieb überschritten, nach der geregelt ist, dass mir für meine Arbeitsleistung mehr Lohn hätte gezahlt werden müssen. Ich wäre denen somit zu teuer geworden, und genau deshalb muss ich jetzt gehen.

Ich gehe ohne ein Recht darauf zu haben, diese Arbeit fortsetzen zu können, und ich muss mir eingestehen: Ich selbst bin derjenige gewesen, der freiwillig und doch aus freiwilligem Zwang seine Unterschrift unter einen Arbeitsvertrag bei der Zeitarbeit gesetzt hat.

To koniec darmowego fragmentu. Czy chcesz czytać dalej?

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