Ausbeutung - made in Germany

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Mein Blick kreuzt sich mit dem des Kollegen, und im Grunde wissen wir ja, was wir davon zu halten haben. Aber wir sagen nichts. Es ist auch so klar für uns. Wir werden wohl qualitativ und quantitativ noch viel besser werden müssen.

»Sagt mal, Jungs«, will der Einrichter wissen, »als Zeitarbeiter ist es doch manchmal auch gar nicht so schlecht. Ich meine, ihr kommt doch viel rum und habt bestimmt immer so eure Abwechslung, nicht?«

»Na ja«, sage ich, »das mit der Abwechslung kann man jetzt so oder so sehen. Nur ab einem bestimmten Punkt steigt jedem Menschen die Flexibilität zu Kopf. Und als Zeitarbeiter ist es leider so: Wir müssen uns ständig aufs Neue beweisen und fangen mit jeder Arbeitsstelle faktisch wieder von vorne an. Das macht oft Kopfschmerzen!« Es sollte eine Anspielung auf die Kopfschmerzen sein, die bei mir durch das ständige Wummern der Hydraulik-Presse herrühren. Fast könnte ich schon wieder eine Tablette gebrauchen.

»Ähm, ich habe gehört«, spricht der Einrichter nun direkt mich an, »dass du normalerweise Koch bist. Stimmt das?«

»Ja, so ist es«, bestätige ich.

»Wieso haben sie dich dann ausgerechnet hierher geschickt?«

»Keine Ahnung. Vermutlich hatten sie gerade keine Kochaufträge gehabt. Aber ich denke, hier an der Presse kann ich mich ebenso gut neu beweisen.«

»Stimmt auch wieder …«, sagt er. »Jungs, es ist nur wichtig, dass ihr die richtige Einstellung habt. In Metall ist das nämlich so: Bla, bla, bla …«

Am nächsten Morgen: Der Kollege ist natürlich nicht fertig geworden. Ich hatte schon damit gerechnet, weil das Lochprogramm in einer Schicht einfach nicht zu schaffen ist. Jedes Tablett muss 3x gelocht werden, 3 x neu angesetzt und ausgerichtet werden, ganz zu schweigen davon, dass man sehr genau arbeiten muss.

Ich schaue in die Wertstofftonne neben der Presse. Mindestens 20 Tabletts an Ausschuss liegen bereits drin. Weitere 20 hat mein Kollege auf den Tisch gepackt, die ich offenbar für ihn auf die Schnelle nachschleifen soll. Ich schaue genauer und sehe etliche Sprenkel und Kratzer auf dem Blech, was zusätzlich Arbeit bedeutet. Außerdem ist es ringsherum schmutzig und irgendwie will mir das alles gleich den frühen Morgen verderben. Zirka 400 Tabletts, schätze ich, muss ich selbst noch lochen. So beginne ich, zuerst das Lochwerkzeug von unten her mit einem Lappen zu reinigen.

Die Zeit rast dahin: Wumm, wumm, wumm!

Erst lochen, dann schleifen und schließlich schmirgeln …

Nach gut 5 Stunden ranklotzen bin ich dann endlich fertig. Auch ich habe Ausschuss produziert. Aber eben nur ein Drittel von dem, was der Kollege fabriziert hat. Seine Tabletts, die er mir hingelegt hat, habe ich ein wenig mit nachgearbeitet, und ich sage mir: Ach, vielleicht hat er nur einen schlechten Tag gehabt.

Ich gehe durch zwei Werkhallen und dann hinauf in einen Bereich, wo etliche Drehmaschinen stehen. Hier arbeiten diejenigen Metaller, die so richtig Ahnung von der Materie haben, und nicht solche Laien wie ich und der Kollege. Außerdem, wie ich inzwischen mitbekommen habe, sollen noch mindestens 3 Dutzend weitere arme Teufel vom Leihbudenverein im Betrieb tätig sein. Im Grunde sieht man die Unterschiede allein schon an der Bekleidung: Festangestellte haben bessere Blaukombis, besseres Schuhwerk, dazu erhellte Gesichter – fast jeder kommt mit dem Auto gefahren. Ich denke an die magere Bezahlung als Leiher. Den Rest kann sich dann jeder alleine denken. Ich warte heute noch auf die versprochene Wattehose und die Thermoweste von der Zeitarbeit. Was stattdessen kam, war ein lächerlicher Regenschirm mit Firmenslogan und eine Packung harte Müsliriegel, damit wir entsprechend mehr ranpowern können. Doch sage ich mir: Wenigstens habe ich ein Paar neue Arbeitsschuhe mit Stahlkappe bekommen. Na ja, ich habe sie nur bekommen, weil sie in der Metallbranche Pflicht sind. Schöne billige Arbeitsschuhe …, scheiß harte Botten!

»Ah, bist wohl schon fertig geworden«, sagt mein Einrichter zu mir, als er an einer Drehmaschine gerade einen neuen Drehmeißel justiert.

»Ja, eben gerade. Ich musste zwar noch etliche Tabletts nachschleifen, aber es ging so voran.« Das großartige Lamentieren darüber spare ich mir lieber.

»Gut. Ich komme dann gleich rüber, ich muss hier nur noch kurz die Feineinstellungen vornehmen.«

»Alles klar«, sage ich und gehe wieder.

Während ich durch die Halle laufe, schaue ich links und rechts, was so passiert. Und plötzlich kommt mir das wie eine Abwechslung von der monotonen Arbeit vor, vom ewigen Hin- und Herbewegen der Bleche. Auch hier sind werktypische Geräusche zu vernehmen: Es wird gebohrt, gefräst und getackert, geschliffen und gebürstet. Arbeiter nieten irgendwelche Teile zusammen. Sie schweißen auch mit Lichtbogen-Geräten an speziell gefertigten Gehäusen. Ich vermute, dass es sich dabei um die Gehäuse der Sterilisationsöfen handelt. Und noch etwas habe ich bereits mitbekommen: Hier im Dreher- und Fräserbereich (in der so genannten Werkstatt) sind überwiegend mehr ostdeutsche Arbeitnehmer beschäftigt. Im Zuschnitt hingegen schaffen außer mir fast ausnahmslos »Altbundesbürger« ran. Die meisten Maschinen im Zuschnitt sind computergesteuert, und angeblich soll man dort auch einiges mehr an Geld verdienen. Allerdings wären dazu entsprechend höhere Qualifikationen erforderlich – uns Leihkräfte an der alten Hydraulik-Presse mal ausgenommen. Es gibt sogar einige böse Zungen, die behaupten, dass es bei den Ostlern genau an diesen Qualifikationen mangeln würde, und so höre ich selbst in diesen Tagen, im Jahre 2011 noch: ›Was habt ihr im Osten schon groß vollbracht? Die »Ruinen« der Ex-DDR haben deutlich gezeigt, wohin Sozialismus und Mangelwirtschaft führt. In den Untergang!‹

Sind es nun tatsächlich die angeblich mangelnden Qualifikationen oder geht es hier nach wie vor um das Prinzip in einer ohnehin geteilten Tariffrage? Wie gut, dass wenigstens mein Einrichter, der ebenfalls oststämmig ist, noch mit einem Taschenrechner umgehen kann. Kann ich es überhaupt?

Ich kehre zurück in den Zuschnitt und sehe sogleich, was man noch so alles mit einer guten Software und den vielen West-Qualifikationen anfangen kann.

Dem Mannsweib an der Finn-Power scheint es gerade recht gut zu gehen – ihre Maschine hämmert und tackert vollautomatisch nach dem Programm. Meine Nachbarin sieht kein bisschen gestresst aus, sie sitzt in ihrem Sessel und spielt ganz entspannt Karten am Computer. Das ist so eine Art Zeitvertreib, damit es offenbar nicht zu langweilig wird. Auch ihr Kompagnon daneben, der den Laserzuschnitt programmiert hat, lässt es sich gerade bei Kaffee und Kreuzworträtsel ziemlich gut gehen. Der Kollege dahinter ebenso, der daneben, und der rechts von mir …

Im Grunde ist es kein Wunder, denn ich habe gehört, dass der Leiter der Produktion gerade Urlaub macht. Aber eigentlich soll ich all diese Annehmlichkeiten des Stammpersonals gar nicht sehen und noch viel weniger dürfe ich darüber reden, was so vonstatten geht, wenn man gewissermaßen mehr Privilegien hat. Außerdem stehe ich gerade selbst umher und warte im Leerlauf, weshalb ich wohl auch zu viel Zeit zum Nachdenken habe. Und ich warte und warte …

Nachdem der Einrichter das neue Werkzeug installiert hat, sagt er zu mir: »Jetzt geht der Durchgang wieder von vorne los. Wie viel Zeit hast du noch?« Er schaut zur Uhr und beantwortet sich dann selbst die Frage: »Na ja, zwei Stunden sind es dicke noch. Ich denke, da schaffst du gut den halben Auftrag.«

Ich sage nichts weiter dazu.

1 Monat später: Ich schaue auf meine Abrechnung von der Zeitarbeit und kann genau ersehen, was dabei rauskommt, wenn man Volltags für einen Stundensatz von 6,70 € schuften geht. Ich kann es drehen und wenden wie ich will, es werden einfach nicht mehr als knappe neunhundert Euro Netto. Selbstverständlich sind da alle Schichtzuschläge bereits mit inbegriffen. Mir wird ganz komisch im Bauch und irgendwie habe ich noch in Erinnerung, dass das Stammpersonal der Metallhandwerker in derselben Firma, oft sogar für dieselbe Arbeit, so ungefähr das Doppelte an Lohn dafür rausbekommt. Das ist natürlich nicht besonders schön für uns Leihkräfte. Jedoch haut es dann das Fass zum Boden raus, wenn sich obendrein einige Spezies extra vor uns damit brüsten, was sich doch ein »fleißiger« Arbeiter so alles für fantastische Dinge leisten kann: Schicke Markenklamotten, der neue Golf, die extra Reise nach Las Palmas darf nicht fehlen …

Ich selbst scheine Lichtjahre davon entfernt zu sein, und es sieht auch nicht unbedingt danach aus, dass ich in absehbarer Zeit mal selbst auf die Überholspur gelangen würde. Auch mein Einrichter gehört zu denen, die den Mund des Öfteren ganz schön voll nehmen – einerseits den Sozialen predigen, dann aber plötzlich wieder den Antreiber spielen. Ich habe den Eindruck, dass er sich mehr und mehr als eine Art Kleinkapitalist entpuppt. Und überhaupt scheint die Ideologie des Geldes einigen Menschen in den Kopf zu setzen, dass man auf Gott und Verderb immer mehr kontrollieren und besitzen muss – das schließt die Ausbeutung des Menschen mit ein. Es ist Kapitalismus. Es ist eben das, was ihn definiert. Und die feine über alles krönende Demokratie wird jedes Mal sagen: ›Liebe Menschen, liebe Bürger, so wolltet ihr die Geldwirtschaft haben. Das habt ihr gewählt!‹

Tatsache ist auch: Der globale Finanzkapitalismus hat sich bis heute nicht mit einer Ideologie von Maßhaltung und einer Wirtschaft in Nachhaltigkeit vertragen, und es dürfte sehr fraglich sein, dass die jetzige Weltwirtschaft erkennt, sich als Teil der Natur zu verstehen. Wie auch, wenn ein genereller Grundwiderspruch besteht: Das Wesen des Kapitals liegt in der Profiterzielung. Diese basiert auf Wachstum – sehr viel Wachstum! Und oft kommen hohe Profite nur durch Plünderei der umliegenden Landschaften zustande.

 

Oder anders herum: Ich als kleiner Zeitarbeiter bin einfach nur neidisch, wenn ich auf meine magere Abrechnung schaue und mir deshalb eben nicht all die schönen Dinge in dieser kapitalistischen Konsumwelt leisten kann.

Aber egal ob im Kleinen oder auf den globalen Wirtschafts- und Klimabarometern im Großen gesehen, es sagt nur aus: Der moderne Turbo-Kapitalismus hat die Gier ganz klar nicht im Griff.

Wiederum 1 Monat später: Für mich liegen 1000 neu zugeschnittene Bleche bereit. Daraus sollen am Ende möglichst genauso viele Tabletts werden. Auch das Werkzeug zum Beschneiden der Ecken ist bereits installiert. Ich kann also ohne Verzögerung gleich voll loslegen.

Als ich mir den ersten Stapel Bleche zum Arbeitstisch hole, sehe ich, dass sie diesmal anderweitig zugeschnitten worden sind. Irgendwie sauberer, viel glatter, zumindest was die Schnittfläche anbetrifft. Dafür liegen heute umso mehr Späne zwischen den einzelnen Blechen, oder vielleicht ist es auch eine Art gesprühtes Material. Ich kehre die Bleche einfach ein bisschen ab.

Später schaut der Pole um die Ecke und fragt: »Na, alles okay bei dir?«

»Ja«, sage ich und staple mir nebenher neue Bleche.

»Hab diesmal den Zuschnitt am Laser getätigt«, sagt er und kommt ein Stück näher. »Das kommen aber von den Büroleuten oben. Sehen doch ganz gut aus, oder?«

»Ja, echt saubere Schnittfläche! Es liegen nur mehr Späne drauf als sonst.«

»Späne? Na ja, der Laser halt ein wenig sprühen. Aber du hast ja einen Handfeger, wie ich sehen. Und sonst, machen es Spaß?«

Er fragt das nicht zum ersten Mal, und ich sage ihm wie jedes Mal: »Es ist ziemlich monoton, aber das weißt du ja selbst.«

»Schönes Wetter heute draußen, es scheinen Frühling zu werden …«

»Ja …« Ich drehe mich kurz um und schaue ebenfalls zum Fenster, und tatsächlich sehe ich erst jetzt, wie schön es draußen geworden ist. Ich bin aber auch nicht blöd und merke genau, dass er eigentlich ein wenig Kontakt knüpfen möchte, weil ohnehin die Unterhaltung im Zuschnitt eher dürftig ist. Er scheint offenbar gerade ein wenig Luft zu haben. Ich höre, dass der Laser im Hintergrund arbeitet. Was er gerade ausbrennt, verrät er mir nicht. Ich frage auch nicht. Stattdessen frage ich: »Lohnt es sich immer noch in Polen zu tanken?«

»Ja, aber nur in Grenznähe. Am besten man hat eine Autogasanlage installiert.«

»Du wohnst in Grenznähe?«

»Nein. Früher haben in Cedynia gewohnt. Jetzt ich wohnen hier.«

»Aber du fährst doch zu Besuch zu deinen Eltern?«

»Nicht so oft …« Er lächelt über irgendwas. »Du klingen auch nicht wie von hier.«

»Ja, ich bin aus Sachsen«, sage ich, weil der Preuße das immer denkt, dass ich das bin, obwohl ich selbst ein Preuße bin.

Ich schalte die Presse ein und er hebt die Hand – wir müssen wieder. Einen Blick werfe ich noch aus dem Fenster, es ist die kräftige Märzsonne, die so fasziniert.

Der Pole ist mit Abstand der netteste Mitarbeiter im Zuschnitt. Eigentlich kein Wunder, wenn er ein Gastarbeiter aus Polen ist, zumindest wäre das nach seinem polnischen Autokennzeichen so zu vermuten. Und im Gegensatz zu mir kann er sich wenigstens ein Auto leisten, ein ziemlich neues sogar. Bei mir hingegen reicht es derzeit nicht einmal für ein gut gehendes Fahrrad. Doch eines verbindet uns dennoch: Wir beide wollen arbeiten, etwas bewegen, auch wenn unsere heimatlichen Wurzeln vom Lande herstammen.

Es geht zur Sache: Ich schlage voll rein …, das heißt, ich bin gerade beim Lochen der Tabletts angekommen und will nun unbedingt meine Quantität etwas steigern. Zwar könnte ich mich genauso gut fragen, warum ich das bei der mageren Bezahlung überhaupt tue, aber genau diesen Punkt versuche ich heute, zu verdrängen. Es muss wohl vielmehr so sein: Ich hab schon die Taschen voller Geld – zumindest in den Träumen. Ich tue es, um mir selbst etwas zu beweisen, so eine Art Test. Nein. Damit der Einrichter nicht wieder rumnölt, dass wir zu langsam sind. Verdammt! Ich will einfach nur ordnungsgemäß den Auftrag erledigen.

Nach gut fünf Stunden ist jedoch klar, dass ich ganz sicher keine neuen Rekorde aufstellen werde. Wie auch, wenn ich erst bei Tablett 430 bin. Scheinbar habe ich mir zu viel vorgenommen. Zwar ist es schön, wenn der Wille da ist. Nützt aber wenig, wenn der Motor die ganze Zeit über stottert.

Warum suche ich überhaupt die Schuld bei mir, dass es nur schleppend voran geht? Soll ich das vielleicht sogar, damit andere es einfacher im Leben haben?

Tatsächlich sieht die Sache nämlich so aus: Fast jedes 10. Tablett hat einen sichtbaren Sprenkel (eingepressten Metallsplitter) beim Lochen abbekommen, weshalb ich nun wie ein Blöder die Tabletts nachschleifen muss. Und obwohl ich das Werkzeug inzwischen nach jedem zweiten Lochdurchgang mit einem Öl-Lappen reinige, wird es nicht viel besser. Ich kotze voll ab, und irgendwie schleicht sich auch die Einbildung heran, dass ich es bin, der hier in der Metallverarbeitung pfuscht. Aber mehr wie Mühe geben, kann ich mir nicht. So versuche ich, das Beste daraus zu machen.

Mit der Zeit, nach viel Schleifarbeit und einigen Überlegungen habe ich so einen Verdacht: Der viele »Ausschuss« entsteht, weil sie neuerdings die Bleche mit dem Laser zuschneiden. Der Laser sprüht, und er sprüht so feines Material auf die Oberflächen der Bleche, dass ich fegen und mit dem Lappen wischen kann wie ich will, es bleiben dennoch fast unsichtbar feine Metallblättchen zurück, die sich dann mit verpressen.

Es ist kurz nach 1930 Uhr und ich beschließe, es vorerst zumindest dem Polen zu sagen.

Es geht richtig zur Sache: Ich trete meine Spätschicht an und schaue als Erstes in die Tonne der Wahrheit. Die Tonne ist bis oben hin voller Ausschuss. Mich wundert es nicht. Mein Kompagnon, der Kollege, hat noch nie gerne Tabletts nachgeschliffen. Stattdessen raucht er gerade umso genüsslicher seine Feierabend-Zigarette.

»Also, Jungs«, sagt der Einrichter, als er unser Arbeitspensum einmal genauer durchrechnet. »Wir ziehen hier ständig einen Faden hinterher, und der Faden wird dann von Woche zu Woche immer länger. Es muss so gearbeitet werden, dass die nächste Schicht, also du jetzt, einen ganzen Auftrag bewältigen kann.« Gemeint ist natürlich: Ihr seid zu langsam und wenn ihr nicht schneller werdet, dann hat das Konsequenzen. Er schaut nun konkret mich an: »Zum Beispiel hat dein Kollege vor zwei Stunden den neuen Auftrag angefangen, und wenn du jetzt gut weiterarbeitest, dann bist du wahrscheinlich so gegen 1900 Uhr schon fertig. Dann ist aber keiner mehr da, der die Presse für den nächsten Arbeitsschritt umbauen kann. Versteht ihr, ein Auftrag pro Schicht! Übrigens schaffen das unsere Leute hier ganz locker, und ihr beide müsst euch einfach nur richtig ins Zeug legen.«

»Ja, weißt du«, bemerke ich, »neuerdings werden die Bleche auch mit dem Laser zugeschnitten, und komischerweise verpressen wir seitdem viel mehr kleine Metallblättchen als früher. Ich meine, wir schleifen uns dann dumm und dämlich …«

»Dann müsst ihr das Werkzeug eben sauberer abwischen, und die 60 oder 70 Tabletts mit den Sprenkeln werft ihr halt gleich in die Tonne.«

»Wie jetzt? Ich denke, wir sollen nicht so viel Ausschuss produzieren?«

»Hm!«, macht der Einrichter und schaut nun ernster. »Du sollst nicht so viel denken, du bist nämlich schneller, wenn du noch 400 Teile mehr durch die Presse jagst, anstatt den Schrott 2 Stunden lang akribisch zu schleifen. Kapiert?!«

Nun ist es soweit und ich lasse es heraus: »Weißt du, wie du redest, und weißt du überhaupt, was ich für die Maloche hier bekomme? Ich habe bei Vollzeit letzten Monat knappe neunhundert Eier auf die Hand gehabt, und jetzt soll ich noch einen Zahn mehr auf die Tube drücken? Hier unten bekommt man Kopf- und Rückenschmerzen, und von der kalten Zugluft, der wir ausgesetzt sind, will ich gar nicht erst reden …«

»Schon mal mitbekommen, dass im Zuschnitt nach Akkord gearbeitet wird?«, fragt der Einrichter dagegen.

»Bei uns kommt aber kein Akkordlohn an! Der kommt nur bei eurer Stammbelegschaft an. Die bekommen nämlich mehr als das Doppelte für vergleichbare Arbeiten gezahlt.«

»Mag sein. Ich bin aber nicht die Personalabteilung! Das mit der Bezahlung müsst ihr schon mit eurer Zeitarbeit klären. Ich habe hier einen Auftrag zu erfüllen, und da habt ihr beide gefälligst mitzuspielen!«

»Klingt für mich wie nach Ausbeutung. Von wegen einig Ossiland, sozialer Zusammenhalt und so ein Gelabere …«

»Ach, halt doch die Klappe!«

Die Wut steigt in ihm auf, und ich kann es deutlich in seinen Augen sehen.

Der Kollege dagegen sagt nichts. Er raucht einfach nur seine nächste Zigarette. Fast scheint es so, als ob ihn das geforderte Arbeitspensum und die Bezahlung nicht sonderlich anheben tut.

Der Einrichter deutet nun gezielt mit dem Finger auf mich und spricht Klartext: »Entweder du machst mit, oder du bist raus!« Er lässt uns stehen und geht kopfschüttelnd hinaus.

»Und du, wie siehst du das eigentlich hier?«, frage ich den Kollegen. »Hast du auch eine Meinung dazu?«

Er hebt die Brauen und sagt: »Ja, weißt du …, das mit dem Hungerlohn, das stimmt natürlich schon. Nur was sollen wir alleine dagegen tun?«

»Na, wir müssen uns mit den anderen zusammenschließen!«, sage ich klar heraus. »Wir müssen uns organisieren, eine einheitliche Richtung strukturieren, uns formieren, und dann unsere Forderungen mit vereinter Kraft vor den Arbeitgebern demonstrieren.«

»Ach, das ist doch alles viel zu anstrengend, das bringt höchstens nur noch mehr Ärger ein.« Darauf muss er erst einmal einen kräftigen Zug Nikotin nehmen. »Du müsstest doch selbst am besten wissen, wie viele Rechte du bei der Zeitarbeit hast. Glaub mir, niemand wird dir zuhören wollen, einen Betriebsrat gibt es nicht wirklich, geschweige denn eine Gewerkschaft. Was willst du da organisieren? Du hast ja selbst gehört: ›Entweder du machst mit, oder du bist raus.‹«

»Also, würdest du niemals an einer Kundgebung für eine gerechtere Bezahlung mit teilnehmen, wenn dich andere Zeitarbeiter darum bitten würden?«

»Ich sage dir, damit erreichst du nichts!«

»Und ich sage dir, es wird noch viel schlimmer werden, wenn wir gar nichts dagegen tun!«

»Okay. Geh du demonstrieren, ich mache solange hier …«

»Ich war schon auf drei Kundgebungen gewesen und habe sogar einige Flyer mit verteilt.«

»Und, hat dich jemand erhört?«

Ich lege die Stirn in Falten. Zumindest hört er mir gerade zu und ich sage ihm: »Du wirst es nicht glauben, aber einige interessiert das schon.«

»Ich gehe mal davon aus, dass es nach wie vor einige viel zu wenige sind.«

»Ist gut«, sage ich. »Wir lassen das einfach im Raum hier stehen. Ich merke schon, Solidarisierung ist nicht so dein Ding. Und trotzdem prophezeie ich dir: Die da oben werden nicht aufhören, dir und mir, uns allen Arbeitern noch mehr Rechte wegzunehmen.«

Er winkt nur ab und holt sich einen Stapel neuer Bleche ran. Da bleibt mir nichts anderes übrig, als nach Hause zu gehen.

Mehr Quantität? Denkste! Wir sind kein bisschen schneller geworden – am allerwenigsten der Kollege. Wir reden kaum noch miteinander, eigentlich so gut wie überhaupt nicht mehr. Dafür hat der Kollege sich neuerdings viel mit den Stammmitarbeitern zu erzählen, und es sieht ganz danach aus, als ob er jetzt richtig gute betriebliche Kontakte knüpfen will. Meine Wenigkeit grüßt er zur Schichtübergabe nur flüchtig, aber fast allen anderen Maschinenbedienern drückt er extra die Hand. Offensichtlich ist das seine Art der Solidarisierung. Unter uns Zeitarbeitern hingegen – wie er schon sagte: ›Viel zu anstrengend der ganze Ärger!‹ Demnach bin ich der Querulant und er derjenige, der nun umso mehr Vitamin B aufbaut, oder so in der Richtung …

Aus meiner Sicht ist er eben nicht der fleißige Arbeiter, für den er sich ausgibt. Er tut nur so, wenn gerade ein Vorarbeiter in der Nähe ist. In Wirklichkeit aber ist er faul und oberflächlich. Jedoch ist er auch einer, der andere ganz gut blenden kann. Fakt ist: In den letzten 3 Wochen hat er niemals mehr Stückzahlen erbracht, niemals sauberer gearbeitet und keineswegs weniger Ausschuss produziert. Er labert nur um den heißen Brei herum und hat für eigene Verfehlungen tausend Ausflüchte parat. Wenn ich schon allein in den Aschenbecher schaue und die 20 Kippenstummel sehe, die er pro Schicht raucht, sehe ich die Wirklichkeit, wie es tatsächlich mit seiner Arbeitseinstellung aussieht. Im Grunde sind wir auch gar keine richtigen Kollegen, wir sind vielmehr Einzelkämpfer, wenn nicht gar Konkurrenten. Das zeigt sich nun umso deutlicher, seitdem neulich ein paar ernste Worte gefallen sind.

 

Mir ist klar, dass der Kollege versucht, sich bei den Einrichtern einzukratzen, damit er in das vermeintlich feste Arbeitsverhältnis kommt. Ich dagegen versuche, so gut wie möglich weiterzumachen. Ich sehe das so: Es sind nur rein die Aufträge in Metall wichtig, die abzuarbeiten sind. Hier wird nicht wirklich jemand von uns Zeitarbeitern fest eingestellt, hier wird lediglich mit einer Festanstellung gelockt, damit trotz Dumpinglohn dann auf akkordähnliche Weise gearbeitet wird.

Wie mir längst zu Ohren kam, soll es bereits 3 Jahre her sein, wo der Metallbetrieb einen Zeitarbeiter übernommen hat. Altmetaller reden nur hinter vorgehaltener Hand darüber. Viele haben inzwischen selbst Angst um ihren Job – um die Metalltarifklasse, nach der sie derzeit noch ganz gut bezahlt werden. Manch einer traut sich dennoch und sagt uns Leihkräften ganz klar: Echte Perspektiven am deutschen Arbeitshorizont sind mit EU-Freizügigkeit und noch mehr Werkverträgen wohl eher nicht in Sicht.

Und am Ende dann: Man hat eingesehen – sowohl die grauen Theoretiker aus dem Planbüro als auch der stellv. Produktionsleiter –, dass der Zuschnitt mit dem Laser eben doch nicht der effektivste Schritt vor der Bearbeitung mit der Hydraulik-Presse ist. Nun ist alles wieder beim Alten, und es wäre auch nicht das erste Mal gewesen, wie ein Insider an der Bandsäge verlauten ließ, dass die BWLer versuchen, die solide Praxis in Frage zu stellen.

Ich bin dann mal schnell weg …

Wenn der Hausherr nicht da ist, tanzen die Mäuse ein Fest auf dem Tisch! heißt es so schön aus der deutschen Literatur her. Oder anders herum: Die einen legen die Beine hoch, und die anderen sind plötzlich schnell verschwunden, um gewisse Wege zu erledigen, wie sie selbst zu sagen pflegen. So ist es meistens am Wochenende und an den Feiertagen, wo ich als Leiharbeiter dann ab und an die hochehrenvolle Aufgabe habe, die Stellung zu halten. Davon abgesehen kann es mir auch ziemlich egal sein, was das Stammpersonal in der Beziehung macht. Für mich selbst gilt: Der Leiher hat sich strickt an die Anweisungen des Entleihers zu halten und darf ohne ausdrückliche Genehmigung (Ausnahme im Brandfall) während der Arbeitszeit niemals seinen Arbeitsplatz verlassen!

Es ist Samstagabend so gegen 1900 Uhr und viel geht nicht zur Sache: Der Pole scheint ein verlängertes Abendbrot zu machen, er isst süße Riegel und spielt nebenher Karten am Computer. Nein, jetzt steht er auf – ihm muss wohl gerade etwas »Sinnvolleres« eingefallen sein, um die verbleibende Zeit irgendwie rumzukriegen. Offenbar hat er heute so schnell vorgearbeitet, dass er blank noch einen Auftrag durch den Laser jagen könnte, wenn dies arbeitstechnisch unbedingt erforderlich wäre.

»Na, seien alles klar bei dir?«, fragt er mich, als ich gerade die nächste Palette Alu-Bleche rankarre.

»Ja«, sage ich. »Der eine Auftrag ist erledigt, und jetzt fange ich den nächsten an.«

»Hm!«, macht er und rümpft nachdenklich die Nase. Er weiß schon ungefähr, wie die Produktionsleitung gerade verfährt. Das wäre dann Plan B zur Produktionssteigerung. Quasi zweimal hintereinander denselben Auftrag durch die Presse jagen, damit fünfmal das Umbauen der Maschine eingespart werden kann, und wir somit durchgängig fließender arbeiten können. »Man, es ist Wochenende!«, erinnert er mich daran. »Du müssen hier nicht ständig wie ein Blöder ackern … Ähm, sag mal, brauchen du irgendwas aus dem Supermarkt? Vielleicht was zu trinken, oder was zu rauchen?«

»Ach, eigentlich nicht«, sage ich, weil ich aus meiner Sicht alles mithabe, was ich für die laufende Schicht brauche.

»Gut. Ach so, du wissen ja bestimmt Bescheid. Was hier am Wochenende passiert, bleibt natürlich unter uns.«

»Ist schon klar …«

Er wollte es nur noch einmal sagen, damit ich nicht auf dumme Gedanken komme.

Eine halbe Stunde später: Der Pole ist unterwegs. Vetter scheint hinten ›Indiana Jones‹ zu gucken, der Musik nach zumindest, und Schulze, der an der Finn-Power, putzt gerade keine 10 Meter von mir entfernt sein heiß geliebtes Rennrad. Das sagt mir: Hier wird offensichtlich bereits auf den Feierabend gewartet. Und es sagt mir noch: Ich müsste mich normalerweise eine Idee mehr anpassen. Scheiße nur, dass die Laufer-Presse eben nicht automatisch per Mausklick arbeiten kann. Ist auch kein Wunder, mein Gefährt ist bereits seit 1982 im Einsatz. Ich schaue dennoch für die nächsten 10 Minuten aus dem Fenster und dann auch kurz vor das Waren-Annahmetor – es ist die abendliche Maisonne, die mich für einen Moment so wunderbar entspannen lässt.

Eine junge Dame kommt über den Hof gelaufen und steuert geradewegs auf mich zu. »Hallo!«, sagt sie mit freundlicher Stimme. »Ich möchte nur mal schnell den Herrn Vetter überraschen.«

»Aber immer hereinspaziert«, sage ich ebenso freundlich, »… er muss hinten an der Bandsäge sein.«

»Schön …« Sie grinst verschmitzt und geht rein, und ich grinse ihr hinterher. Ich kenne sie bereits, sie ist nicht das erste Mal zum »Zeitvertreib« hier.

Wenig später kommt ein nagelneuer Insignia direkt vor die Laderampe gefahren. Es ist der Pole, der gerade vom Supermarkt-Ausflug zurückkehrt.

»Ah, du beschneidest ja immer noch die Ecken«, sagt er, als er mit zwei 6er-Packs Cola an mir vorbeimarschiert.

Ich sage nichts und beschneide meine Bleche weiter im gewohnten Takt.

Wiederum nicht viel später: Vetter stolziert guter Dinge mit seiner schicken Freundin vorbei, grüßt lässig ab und sagt: »Ich bin dann mal schnell weg …«

MC Doof! vermute ich. Sie gehen jetzt essen … Auch das wäre am Wochenende keineswegs neu für mich.

Ich weiß nicht so recht, aber irgendwie haben die mich angesteckt, und ich erinnere mich plötzlich wieder an die Worte, die Vetter bereits Ostern zu mir gesagt hat: ›Immer mit der Ruhe. Als Leiharbeiter musst du hier keine Rekorde brechen.‹ Und er als Vorarbeiter und Einrichter aus dem »goldenen« Westen muss es eigentlich noch am allerbesten wissen.

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