Revierkampf

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»Natürlich habe ich die, aber man kann es dem Tier doch nicht übel nehmen, oder? Ich mache alles so wie immer und versuche, nicht an Sonnabend zu denken.«

»Flieger meinte, dass es ungewöhnlich wäre, dass männliche Affen weibliche Pflegerinnen angreifen.«

»Flieger?« Nora Stern stutzte, dann erhellte sich ihr Gesicht. »Herr Flieger von den Reptilien? Na ja, ich weiß nicht, ich bin noch nicht so lange hier, um alles zu wissen. Man müsste sich einmal informieren.«

Es schepperte an der Tür und der Zooinspektor kam mit Uhlmann im Schlepptau herein. »Herr Hauptkommissar«, grüßte er völlig emotionsfrei und sah doch angespannt aus.

»Herr Wittstock, ist alles in Ordnung mit Ihnen?« Tauner reichte dem Mann die Hand, und Nora Stern verdrückte sich.

»In Ordnung? Haben Sie nach draußen gesehen? Seit wir geöffnet haben vor zehn Minuten, müssen 3.000 Leute hereingekommen sein und alle stehen da draußen! Die tun ja gerade so, als würde Theo gleich wieder jemanden umbringen.«

»Dem Zoo kann’s nicht schaden, oder? So viel Besucher hätten Sie sonst nicht.« Eigentlich hatte Tauner den Mann wirklich aufmuntern wollen. Da Uhlmann aber leise grunzte, hatte er wohl wieder einmal die falschen Worte benutzt.

Wittstock schüttelte den Kopf. »Sie wollen doch nicht behaupten, wir würden Kapital aus dieser Situation schlagen?«

»Wollte ich nicht. Sie wussten von der Doppelliaison Frau Weigelts mit Bormann und Flieger?«

Wittstock verzog den Mund. »Frau Weigelt war eine beliebte und angesehene Person. Ihre persönlichen Belange spielen dabei keine Rolle. Wenn Männer und Frauen täglich zusammenarbeiten, kann es vorkommen, dass sich dabei gewisse Sympathien entwickeln. Es ist nicht verboten, und bis jetzt hatte es auch keinerlei Einfluss auf unsere tägliche Arbeit. Es sind nämlich alles Erwachsene!«

»Bis jetzt?« Tauner konnte nicht anders, er musste an dieser Stelle einhaken, ob es nun süffisant klang oder nicht, sie war wie geschaffen dafür.

»Herr Tauner, Sie wissen was ich meine. An meiner Aussage hat sich nichts geändert, es war ein tragischer Unfall, und damit habe ich schon genug zu tun. Die meisten Zeugen hatten nichts Besseres zu tun, als sofort die einschlägigen Zeitungen und Fernsehsender anzurufen oder unscharfe Videos im Internet zu verbreiten. So viel schlechte Publicity können wir nicht gebrauchen. Die Presse stürzt sich auf jeden Vorfall. So oft wie in den letzten drei Tagen werden unsere Affen sonst in drei Jahren fotografiert. Da sind Sie mit gutem Beispiel vorangegangen, Sie haben wenigstens versucht, etwas zu tun. Die anderen Zeugen haben nur zugesehen. Und jetzt glaubt jeder, seinen Senf dazugeben zu müssen. Die einen meinen, man müsste Theo einschläfern, andere werfen uns eine falsche Behandlung der Tiere vor, der Zoo wäre gar ein Konzentrationslager für Tiere. Es gab sogar schon Leute, die behauptet haben, das alles wäre nur ein Werbegag! Außerdem muss ich jetzt wieder zusehen, wie ich die Personalprobleme kläre. Zu den Primaten kann man nicht einfach jemanden hinstecken. Die Affen suchen sich ihre Pfleger aus, nicht umgekehrt.«

»Das hab ich auch schon gehört!«

»Aha, von wem denn?« Wittstock sah nicht aus, als würde es ihn wirklich interessieren. Er wartete auch gar nicht erst die Antwort ab. »Frau Müller?«, rief er halb laut. »Ich habe hier die neuen Schichtpläne!«

Müller kam nach vorn und warf Uhlmann einen schelmischen Blick zu. Und wäre Uhlmanns Glück so etwas wie Schaum in einer vollen Badewanne, wäre sie jetzt übergelaufen.

Wittstock bemerkte das und verzog das Gesicht zu einer Fratze, die so viel bedeutete wie: auch das noch. »Melden Sie jeden Vorfall sofort, egal ob drinnen oder draußen. Diskutieren Sie nicht mit den Leuten. Wir haben das Sicherheitspersonal aufgestockt, die können in einer Minute bei Ihnen sein. Und Frau Müller, geben Sie auch auf Frau Stern acht.«

Müller nickte und wollte keine Rücksicht auf Wittstocks geschundene Nerven nehmen. »Sie könnten mir den großen Polizisten hierlassen, damit er mich beschützt.«

Der große Polizist war verheiratet, dachte Tauner mürrisch, doch er blieb still, denn wer im Glashaus saß, sollte nicht mit Fettnäpfchen werfen.

»Die gefällt dir, was?«, fragte Tauner. Unter ihnen rauschte die Autobahn. Es galt, wieder Kilometer zu schrubben. Die Kinder der Weigelt wohnten gut verteilt im schönen Sachsenlande. Tauner drückte aufs Gas und sah den Geschwindigkeitsanzeiger der 200 den Kopf tätscheln.

»Mir gefiele es, wenn du nicht so schnell wärst, dann bräuchten die Retter nicht so weit zu laufen, um uns zu suchen, wenn wir bei einem Unfall durch die Gegend fliegen. Ansonsten hast du recht. Und ich weiß ungefähr, was du mir mit deinem Tonfall sagen willst. Und glaubst du, der Flieger könnte seine Pfoten im Spiel haben?« Uhlmann hatte sich nicht einen Millimeter gerührt, nicht einmal die Mundbewegung konnte man im dichten Gesichtsbewuchs erkennen.

Tauner warf seinem Kollegen einen kurzen Blick zu.

Jetzt bewegten sich Uhlmanns Augen hart backbord. »Guck nach vorn und fahr endlich langsamer!«, knurrte er.

Tauner ging vom Gas und ordnete sich rechts ein. Sofort wurden sie von drei, vier Boliden überholt, denen es nicht schnell genug gegangen war. »Wie meinst du das denn mit dem Flieger? Der wäre doch schön blöd, zu uns zu kommen, wenn er seine Finger im Spiel hat.«

Uhlmann regte sich. »Ich meine, der ist so eifrig gewesen. Wenn er einen Verdacht hat, kann der ihn auch sagen.«

Tauner warf seinem Kollegen einen kurzen Blick durch die abgewetzte Sonnenbrille zu. »Hat er doch, er hat gesagt, Bormann wäre daran schuld. Dann ist er zurückgerudert, weil Bormann ein Alibi hat. Daraufhin wusste er nicht, wie er sich aus der Sache herauswinden sollte. Ich habe eher das Gefühl, du willst die Geschichte ein wenig ausbauen, um der Müller schöne Augen zu machen. Was wird denn deine Frau dazu sagen?« Jetzt war es ihm herausgerutscht und er ärgerte sich darüber.

»Was soll sie denn sagen, wenn sie nichts weiß? Und vor allem, was soll sie denn wissen? Und vor allem bist du bloß neidisch! Gönn deinem dicken alten Kollegen mal was, wie viel Frauen, glaubst du denn, stehen auf Männer wie mich?«

»Ist ja schon gut! Gehen wir ein Bierchen trinken heute Abend?«

»Können wir machen. Gehen wir in den Großen Garten, dann können wir behaupten, wir kommen direkt von der Arbeit aus dem Zoo. Ich halte den Flieger übrigens für einen Schleicher.«

Leipzig kam in Sicht und das Navigationsgerät meldete die entscheidende Abfahrt an.

»Was soll das denn für einer sein, ein ›Schleicher‹?« Ambach hatte dasselbe Wort benutzt.

»Ich weiß auch nicht. Der ist so weich. Einer, der nie direkt zum Ziel kommt. Hat monatelang eine Affäre mit der Weigelt hinter dem Rücken von Bormann und wagt es dann nicht, ihre Eltern vom Tod der Tochter zu unterrichten. Genau das meinte ich gerade, verstehst du? Der kommt zu uns und sagt irgendwas, aber darum geht es nicht, er will wohl etwas anderes.«

Tauner fuhr von der Autobahn ab. »Und was soll der wollen?«

»Das weiß ich doch nicht!«

Leise knirschend kam der BMW auf staubigem Pflaster zu stehen. Die Sonne stand hoch am Himmel und auf dem heruntergekommenen Bauernhof zeigte sich kein lebendes Wesen. Brütende Hitze ließ die Luft über der Motorhaube flimmern.

»Lebt hier jemand?«, fragte Uhlmann leise und es behagte ihm nicht, dass Tauner den Motor und mit ihm die Klimaanlage abstellte.

»Es ist zumindest die Adresse, die ich ins Navi eingegeben habe«, erwiderte Tauner, legte seine Sonnenbrille ab und stieg aus. Draußen verschlug es ihm fast den Atem. Grillen zirpten träge. Ansonsten war totale Stille. Tauner schützte seine Augen mit der rechten Hand vor dem Sonnenlicht und sah sich um. Er wusste nicht einmal ansatzweise, wohin er sich wenden sollte, denn keines dieser Gebäude sah nach einem Wohngebäude aus. Links von ihm standen mehrere landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge, die so sehr verrostet waren, dass sie bei der ersten Bewegung zusammenbrechen mussten. Zwischen den Speichen ihrer Räder und den Zuggestängen wuchs meterhoch Unkraut. Alte Reifen lagen auf einem Stapel, außerdem alte Plastikplanen. Dahinter erhob sich ein hölzernes Gebäude, völlig windschief und schwarz von der Zeit. Sämtliche Türen standen offen und sahen so einladend wie der zahnlose Mund eines Obdachlosen aus. Daneben ein steinernes Gebäude, dessen Putz selbst jetzt im mittäglichen Sonnenschein klamm und moderig aussah. Feuchtigkeitsflecken zogen sich bis ins erste Stockwerk hinauf, die Fenster waren klein und schief. Tauner drehte sich weiter im Kreis, betrachtete das zweistöckige Gebäude aus Blech, das am besten erhalten aussah. Es schien so etwas wie eine Garage zu sein. In allen Ecken wuchs Unkraut und verrotteten undefinierbare Haufen.

»Jana Weigelt?«, rief Tauner. »Wohnt hier Jana Weigelt?« Er lauschte und drehte sich dabei einmal um die eigene Achse. »Hallo?«

»Was ist denn?«, rief eine Männerstimme von irgendwoher. Dann sah er einen Mann in blauer Arbeitsmontur aus dem Blechgebäude kommen. Er war sehr groß und seine Hände wie auch seine Kleidung waren voller schwarzer Flecken.

Tauner holte seinen Ausweis hervor, obwohl er lieber seine Pistole gezogen hätte. »Falk Tauner, Kripo Dresden. Kennen Sie Jana Weigelt?«

»Das ist meine Zukünftige, die ist nicht da!« Der Mann kam näher und wurde immer bedrohlicher. Niemals hätte Tauner das zugegeben, doch jetzt war er heilfroh, als er hörte, wie Uhlmann sich aus dem Wagen schälte.

»Schuster ist mein Name. Wir sind seit sieben Jahren verlobt. Was wollen Sie denn?«

»Das ist mir jetzt sehr unangenehm«, meinte Tauner und musste nicht einmal lügen. »Die Mutter von Jana Weigelt ist letzten Sonnabend ums Leben gekommen.«

 

Herr Schuster nickte und Schweißperlen malten helle Spuren über sein Gesicht. »Können wir nicht reingehen?«

»Gern!«, meinte Tauner, und sie folgten dem Mann in das feuchte Steingebäude.

Es war eine Art Waschküche, die sie betraten. Angenehme Kühle herrschte hier, aber es war das einzige Angenehme. Der Raum stand voller Müll, alte Waschmaschinen stapelten sich an den Wänden, Pappkartons schimmelten in den Ecken. Schuster bemerkte Tauners Blick und hob entschuldigend die Schultern. »Wir haben es eine ganze Zeit lang als Antik- und Trödelhändler versucht. Wir wollten hier so einen wöchentlichen Markt machen, aber es war den Leuten wohl zu weit, immer hier rauszufahren, obwohl es von Leipzig keine halbe Stunde ist.«

Wegen einer versifften alten Waschmaschine würde er nicht einmal eine halbe Sekunde lang fahren, dachte Tauner.

»Und wo ist Ihre Verlobte?«

»Die ist in Leipzig arbeiten.«

Tauner versuchte, nicht zu atmen, gerade hatte er sich vorgestellt, wie bei jedem Atemzug Millionen von Schimmelsporen den Weg in seine Lungen fanden. »Weiß sie vom Tod ihrer Mutter?«

»Ja, sie weiß das, wir haben einen Anruf erhalten. Vom Zoo.« Herr Schuster sah Tauner unverwandt an und lehnte sich schließlich an eine der Waschmaschinen.

Falk zögerte und sah Uhlmann hilflos an. Schien es denn niemandem etwas auszumachen, dass die Weigelt tot war?, fragte er sich. »Werden Sie denn zur Beerdigung kommen? Die Staatsanwaltschaft will den Leichnam morgen freigeben. Wer organisiert das eigentlich alles?«

Jana Weigelts Verlobter hob wieder die Schultern. »Es ist nicht so einfach in dieser Familie. Deshalb hat Jana sich hierher zurückgezogen. Der Kontakt zu ihrer Mutter ist schon vor Jahren abgebrochen. Es gab da einen Streit. Das war vor meiner Zeit. Und mit den Ambachs hat sie schon seit ihrer Kindheit nicht mehr zu tun. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob wir kommen. Jana entscheidet das.«

»Sie hat mit ihren Großeltern nichts mehr zu schaffen? Warum denn das?«, schaltete Uhlmann sich ein.

»Ich kann es Ihnen leider nicht so genau sagen. Aber hat das denn mit ihrem Unfall etwas zu tun?«, fragte Schuster ein wenig provozierend.

Tauner schüttelte den Kopf und fühlte sich ganz schummerig von seinem kurzatmigen Gehechel. »Es hat nichts damit zu tun, es kam uns nur so seltsam vor.«

Herr Schuster stieß sich von der Waschmaschine ab. »Möglicherweise hat Jana das Ganze noch nicht realisiert. Ich hab immer zu ihr gesagt, sie soll sich mit ihrer Mutter versöhnen. Irgendwann ist es zu spät, und nun ist es zu spät. Sie tut zwar, als macht es ihr nichts aus, aber Sie wissen ja, was in einem innen drin vorgeht, ist immer etwas anders. Das Unterbewusstsein verarbeitet alles auf seine Weise. So hat jeder sein Kreuz zu tragen. Sie wollen nicht zufällig den Hof kaufen?«

»Hä?«, fragte Tauner verblüfft.

»Ja, wir wollen weg, ist doch zum Kotzen hier, hab ich von Anfang an gesagt. Aber was tut man nicht für eine Frau.«

»Betreiben Sie Landwirtschaft?«, fragte Uhlmann.

»Ach was, ich bin Automechaniker und Jana arbeitet in einer Steuerkanzlei. Sie hatte sich das hier so romantisch ausgemalt.« Schuster lachte und winkte ab, dann tat er einen Schritt in Richtung Ausgang.

Tauner verstand seine Bewegung und tat ihm den Gefallen, er selbst war froh, wenn er wegkam.

»Was ist denn mit der Schwester Ihrer Verlobten?«, fragte Uhlmann.

Der Mann hielt inne und konnte nicht ganz verbergen, wie sehr ihm die Fragerei auf die Nerven ging. »Haben Sie nicht gesagt, dass es mit dem Unfall gar nichts zu tun hat?«

»Stimmt, ich will nur wissen, ob sie vom Tod ihrer Mutter weiß.«

»Jemand wird es ihr gesagt haben!«

»Also nicht Sie?«

Schuster schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Ich nehme an, dass Ihre Verlobte auch keinen Kontakt zu ihrer Schwester hat.«

»Das nehmen Sie richtig an. Darf ich Sie jetzt nach draußen bitten, ich habe heute noch viel zu arbeiten.«

»Und was ist mit dem Vater von Jana und ihrer Schwester, also dem Exmann von Frau Weigelt?«

»Hans, lass es gut sein jetzt!«, mahnte Tauner und öffnete selbst die Tür nach draußen, sofort schwoll ihm heiße Luft entgegen.

»Für Polizisten scheinen Sie recht schlecht informiert zu sein.« Schuster hatte seinen Spaß daran. »Der Mann hat Janas Mutter vor über 20 Jahren verlassen, er behauptete, beide Kinder wären nicht von ihm.«

»Hat er einfach so gesagt?«, fragte Uhlmann.

»Hat er! Ich sage ja, jeder hat sein Kreuz zu tragen!«

»Fahren wir jetzt noch nach Plauen?«, fragte Uhlmann eine Viertelstunde später.

Tauner hatte für einen kleinen Imbiss bei einer Tankstelle gehalten und bestaunte eine halbe Meter lange Bockwurst. Der Tankstellenpächter hatte mit seiner Werbung nicht untertrieben. Uhlmann hatte die halbe Wurst verputzt, da hatte Tauner sich nicht einmal mit seiner bekannt gemacht. »Müssen wir, ja«, erwiderte er und fragte sich, wie er abbeißen sollte, ohne dass es ordinär aussah.

»Ziemlich schräge Familie, die Weigelts, oder? Scheint keinen zu interessieren, dass Martina Weigelt tot ist. Alle sind untereinander zerstritten. Selbst die Geschwister.«

»Na ja«, sagte Tauner und brach die Wurst entzwei.

»Stimmt ja«, sagte Uhlmann leise, und beide dachten sich ihren Teil über Tauners Verhältnis zu seinem Bruder, der vor der Wende in den Westen abgehauen und offenbar zum Millionär geworden war. Tauner ließ seine Cola zischen. »Aber dass sogar die Großeltern den Kontakt zu ihren Enkeln abbrechen, ist doch verrückt, oder? Immerhin sind es die Enkel!«

Tauner setzte die Cola ab und schob die Riesenwurst von sich, kaum dass er zwei Bissen gemacht hatte. Uhlmann sah ihn fragend an und Tauner nickte, woraufhin sein Teller auf Uhlmanns Tischhälfte entschwand. »Versuchst du hier künstlich etwas aufzubauschen? Wenn du dich mit der Müller treffen willst, verabrede dich mit ihr. Ich halte dir den Rücken frei!«

Die Bockwurst verharrte wenige Zentimeter vor Uhlmanns Mund. »Das würdest du?«

»Ja, aber weißt du was? Du bist viel zu gut. Du würdest ein schlechtes Gewissen bekommen und die Sache abblasen. Außerdem kenne ich die Frauen, die macht dir schöne Augen und flirtet ein bisschen, man sollte sich nicht zu viel auf so etwas einbilden.«

»Ja und was ist denn dann mit der Kleinen?«

»Was soll mir der sein?«

»Du fährst doch ab auf die!«

»Ach was, die steht unter Schock, wenn du mich fragst.«

»Ich frag dich aber nicht.«

Sonja Weigelt, verheiratete Dombusch, fanden sie in einer Plattenbausiedlung am Rande Plauens. Dombusch war klein und dick und trug ihr Haar modisch bunt, schwarz, rot, blond. Sie wirkte ein wenig übernächtigt. Im Wohnzimmer stand der Zigarettenrauch. Aus dem Nebenzimmer ertönte aggressives Kindergeschrei. Sonja schien das nichts auszumachen, obwohl es sich in Tauners Ohren anhörte, als brächten sich die Kinder gegenseitig um. Er konnte sich nicht entsinnen, seine Kinder jemals so brüllen gehört zu haben. Die Einrichtung war billig und Sonjas Mann nicht zu Hause. Der Name Dombusch kam Tauner irgendwie bekannt vor, er wusste jedoch nicht genau, woher.

Uhlmann war da schon einige Schritte voraus. Unauffällig, wie ein großer Mann nur sein konnte, hatte er sich zur Schrankwand geschoben und betrachtete die Fotos in den kleinen Bilderrahmen. Er gab Tauner ein Zeichen, doch Sonja Dombusch war schneller.

»Was hat er denn nun wieder angestellt?«, fragte sie müde und setzte sich auf die Couch.

Tauner wusste nichts dazu zu sagen. »Ich bin wegen Ihrer Mutter hier«, sagte er und blieb stehen.

»Mama?« Die Dombusch sah Tauner fragend an.

Die wusste von nichts, dachte Falk Tauner und – vielen Dank auch. »Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Mutter bei einem Unfall im Zoo ums Leben kam. Es ist letzten Sonnabend passiert.«

»Im Zoo?«, fragte Sonja leise, im nächsten Moment presste sie sich die Hände auf das Gesicht und begann zu weinen.

Tauner war ein wenig hin und her gerissen. Einerseits wollte er endlich wissen, was Uhlmann ihm zu zeigen hatte, andererseits brauchte Dombusch eine tröstende Hand. Weil er sich nicht entscheiden konnte, blieb er einfach stehen und suchte nach tröstenden Worten, fand aber keine, weil er kein Tröster war – sondern ein Ermittler.

»Was ist denn passiert?«, schluchzte die Dombusch, die anscheinend keinen Trost gewohnt war und ihn auch nicht vermisste.

Uhlmann, der mehr Geduld hatte als Tauner, riss das Gespräch an sich. »Es war ein Unfall. Eines der Tiere hat sie angegriffen.«

Sonja Dombusch sah ihn kläglich an. »Eine Schlange?«

»Nein, ein Affe, ein Orang-Utan.«

»Seit wann arbeitet sie denn mit Affen?«, fragte Dombusch. Plötzlich platzten ihre Kinder ins Wohnzimmer. Es waren zwei Jungs im Alter von sechs und acht Jahren, schon deren Anblick reizte Tauner zu einer Ohrfeige. Anscheinend realisierten sie weder ihre weinende Mutter noch die beiden fremden Männer. Schreiend rannten sie eine Runde um den Couchtisch.

»Jungs!«, rief die Mutter. »Jungs!«

Die beiden ignorierten es. Kreischend jagten sie aus dem Zimmer und der Größere warf die Tür so hinter sich zu, dass die Gläser in der Vitrine klirrten.

»Ich werd nicht mehr fertig mit denen«, hauchte Sonja und vergaß dabei, was die beiden Polizisten ihr gesagt hatten.

»Soviel ich weiß, arbeitet Ihre Mutter seit mehreren Jahren mit den Affen«, half Uhlmann der Frau auf die Sprünge. Nebenan scherbelte es laut. Dombusch sprang auf und rannte aus dem Wohnzimmer. Zwei Sekunden später keifte sie ihre Kinder an. Tauner nutzte den Moment und eilte zu seinem Kollegen. Der deutete auf ein Foto, welches Sonja Dombuschs Mann zeigte, sofern sie nicht offen mit ihren Affären hausieren ging. »Hab mich schon die ganze Zeit gefragt, woher ich den Namen Dombusch kenne.«

Tauner betrachtete das Foto genauer. »Den haben wir mal hochgenommen. Muss schon Jahre her sein. Was war das denn?«

»Versuchter Totschlag, 98. Eric Dombusch, der war in so einer Bande, die haben in Dresden-Nickern einen überfallen.«

»Jetzt weiß ich es wieder. Da war sogar sein Bruder dabei. Die haben sich alle gegenseitig verpfiffen und sich schließlich darauf geeinigt, dass der Dombusch den entscheidenden Schlag ausgeführt hat.«

Uhlmann zeigte seine Zähne und zog leise Luft ein. »Soweit ich mich erinnern kann, haben du und unser alter Kollege Pulster sich darauf geeinigt, dass der Dombusch es war. Der musste zwei Jahre in den Bau.«

»Und? Scheuen wir eine Begegnung mit ihm?« Tauner sah seinen Kollegen fragend an. »Ich kann das hier alles nicht mehr sehen. Und vor allem will ich die Kinder nicht mehr hören, da platzt mir sonst der Kragen.«

Nun zeigte sich, dass Uhlmann auch kein Kind von Traurigkeit war. Er begann richtig zu grinsen. »Hast du Angst vor dem Dombusch?«

Er hatte keine Angst, aber es war ihm unangenehm. Tauner versuchte, das Gefühl auszuloten. Nicht nur einmal hatte er nachts wach gelegen und sich gefragt, was so ein wütender Ex-Knasti alles anstellen könnte, wenn er auf Rache aus war. Die meisten mochten geläutert sein, oder einfach nur froh, alles hinter sich zu haben. Aber eine gewisse Quote gab es immer. Der Dombusch hatte Dresden verlassen, um in Plauen von vorn anzufangen. Welches Leben er jetzt führte, ließ sich aus der Wohnsituation nicht abschließend schlussfolgern, erst recht nicht, welche Affinitäten sein Handeln bestimmten. »Bleiben wir eben hier!«, knurrte Tauner.

Uhlmann winkte gutmütig ab. Er hatte seinen Kollegen nur ärgern wollen. »Glaubst du denn, hier kommt irgendetwas heraus?«

»Entschuldigen Sie!«, keuchte Frau Dombusch, stapfte an ihnen vorbei und setzte sich wieder auf die Couch.

»Sie hatten lang keinen Kontakt zu Ihrer Mutter«, nahm Uhlmann den Faden gleich auf.

»Wir haben telefoniert – ab und zu. Gesehen haben wir uns zuletzt bei der Geburt vom Dominik. Jana hat wohl auch schon ewig keinen Kontakt mehr zu ihr.«

»Und Sie und Ihre Schwester?«

Sonja Dombusch senkte den Kopf. »Die ganze Familie ist futsch. Vater wollte schon früh nichts mehr von uns wissen und die Großeltern haben uns immer behandelt wie Fremde. Ich weiß gar nicht, ob ich die alle wiedersehen möchte. Ich bin froh, dass ich Eric habe. Der hat wenigstens seine Eltern und Brüder, die zu ihm halten.«

Und ihn unter anderem verpfiffen hatten, dachte Tauner und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Mit einem Mal hatte ihn ein so furchtbares Mitleid gepackt, dass er hätte heulen können. Selbst die beiden brüllenden Rotzlümmel im Nebenzimmer taten ihm leid. Seine eigene Familie war ein halber Trümmerberg, seinen Bruder mochte er nicht mehr, die Besuche bei seinen Eltern verteilte er strategisch auf ein paar Pflichttermine und seine eigene Ehe lag in Scherben. Aber wenigstens redeten noch alle miteinander, und seine Kinder waren groß genug, um ein bisschen Verständnis aufzubringen oder wenigstens zu heucheln. Was in der Familie der Weigelt vorgefallen war, wollte er gar nicht erst wissen. Es reichte ihm schon, wenn ihn manch tote Gesichter von Mordopfern beim Einschlafen aus dem Halbschlaf rissen. Er war nicht grundlos zu dem Stinkstiefel geworden, den zu beklagen alle anderen nicht müde wurden. Es tat ganz gut, sich abzuschirmen und nichts Gutes zu erwarten.

 

Er gab Uhlmann einen leichten Klaps gegen den Ellbogen. »Lass uns losmachen. Frau Dombusch, wenn Sie Hilfe brauchen, rufen Sie uns an, hier haben Sie meine Karte. Ich kann Sie auch gern anrufen, wenn ich den Termin für die Beerdigung weiß. Die Ambachs organisieren alles … glaube ich zumindest.«

Dombusch machte sich eine Zigarette an und beinahe hätte Tauner sie gefragt, ob er auch eine bekommen konnte. »Ich weiß nicht, ob ich da hingehen kann«, flüsterte sie, dabei Rauch ausstoßend.

»Niemand zwingt Sie dazu«, sagte Tauner. Er wollte nur weg von hier.

»Falk!«, mahnte Uhlmann eine halbe Stunde später auf der Autobahn.

Tauner sah auf das Tachometer und bremste den Wagen ab. »Ich muss meine Kinder dieses Wochenende noch mal zu mir holen. Unbedingt!«

Uhlmann hatte Verständnis. »Das war deprimierend, hab ich recht?«

Tauner nickte. »Und wie. Welches Leben manche Menschen führen. Genauso gut könnten sie …«

»Na was?«, fragte Uhlmann.

»Nichts. Bleibt’s dabei, Bierchen jetzt?« Die Frage blieb unbeantwortet, sein Handy klingelte. Er nestelte es aus seiner Jackentasche und warf einen Blick auf das Display. »Der Meyer! Ob die Dickmann krank ist?«, sagte er zu Uhlmann und nahm das Gespräch an.

»Telefonieren beim Autofahren ist verboten, das gilt auch für dich!«, erwiderte Uhlmann besorgt um seine Sicherheit. Dreimal würde er nicht solch ein Glück haben, hatte er mal zu Tauner und Pia gesagt.

»Warten Sie!«, sagte Tauner ins Telefon, steckte das Gerät in seine Freisprechanlage. »Herr Staatsanwalt? Sie stecken in der Freisprechanlage und der Uhlmann hört zu, falls Sie gerade etwas Beleidigendes über ihn sagen wollten.«

Meyer lachte. »Der Herr Hauptkommissar, wie immer sehr amüsant für jemanden wie mich, der nur selten mit Ihnen zu tun hat. Und Guten Tag an Herrn Hauptkommissar Uhlmann. Ich weiß, Sie sind beide gerade sehr beschäftigt, und ich nehme an, Sie sind gerade im Dienst. Ich hätte trotzdem ein Anliegen in eigener Sache. Es ist wahrscheinlich nichts Besonderes.«

»Worum geht’s denn?«, fragte Tauner, für Staatsanwalt Meyer würde er so ziemlich alles machen, außer mit ihm ins Bett gehen, genau das Gegenteil also zur Staatsanwältin Diekmann-Wachte.

»Ich habe einen Selbstmord in Sebnitz. Wahrscheinlich nichts Besonderes, ich würde es nur gutheißen, wenn Sie mal einen Blick darauf werfen könnten.«

»Was können wir denn dort sehen, was ein normaler Amtsarzt nicht sehen kann?«, fragte Tauner.

»Nichts weiter, es handelt sich um eine ältere Frau, die sich erhängt hat. Ihr Mann hat sie gefunden. Er ist auch schon alt und lebte dort mit seiner Frau in einem sehr großen Haus mit großem Grundstück. Die Erbschaftsverhältnisse sind dort nicht eindeutig geklärt. Ich hätte nur gern, dass jemand nachsieht, ob wirklich alles mit rechten Dingen abgelaufen ist.«

Tauner sah Uhlmann an und hob die Schultern. Uhlmann hob den Daumen, was sollte er schon anderes tun als Opportunist.

»Tun Sie mir nur den Gefallen und sagen Frau Dick… Diekmann-Wachte Bescheid, falls die sich über unsere Abwesenheit mokieren sollte.«

»Das mach ich gern, Herr Tauner, denn ich hatte sie schon um diesen Gefallen gebeten. Vielen Dank, Sie haben etwas gut bei mir«, sagte Staatsanwalt Meyer.

»Worauf Sie wetten können«, knurrte Tauner und erinnerte sich daran, dass auch Meyer nicht mit jedem seiner Schritte einverstanden war. Außerdem war er nicht mal halb so hübsch wie die Staatsanwältin.

Meyer lachte. »Ich schicke Ihnen eine SMS mit der Adresse!«, und legte auf.

»Sebnitz, die Kunstblumenstadt«, murrte Uhlmann.

»Seidenblumen heißt es jetzt!«

»Äh was? Wieso?«

Tauner hob die Schultern, hatte davon gehört und es als unwichtig abgetan. »Ich glaube, der neue Chef der Firma fand den Namen Kunstblume zu DDR-mäßig.«

Uhlmann schnaufte abschätzig. »’n Wessi?«

Tauner musste gegen seinen Willen lächeln. »Ich würde drauf wetten!«

Zehn Sekunden später piepte Tauners Handy und Uhlmann gab die Adresse in das Navigationsgerät ein.

»Mann!«, stöhnte Tauner, als er die geschätzte Ankunftszeit sah. Wieder eine Stunde Fahrt, nur um sich eine tote Frau anzusehen, und schließlich eine weitere Stunde zurück bis nach Dresden.

Das Haus, welches sie suchten, war gar keines, denn es war eine Villa aus der Gründerzeit. Der Bauherr hatte sich wohl damals nicht ganz zum Jugendstil hinreißen lassen, wollte jedoch nicht vollkommen ausgegrenzt werden, weshalb das Äußere ein wenig belanglos abgerundet wirkte.

Der Anstrich müsste mal erneuert werden, dachte Tauner, und eine Hausnummer wäre nicht schlecht, denn im Wesentlichen hatten sie ihr Ziel nur gefunden, weil zwei Polizeiautos auf dem Grundstück standen. Das Navi hatte sich geweigert, die Hausnummer anzunehmen.

Das Haus befand sich am Rande von Sebnitz, auf einer kleinen Anhöhe, inmitten einer großen ungepflegten Rasenfläche, voller altem Laub der groß und breit gewachsenen Buchen, die den gesamten Rasen überdachten und mit Leuchtreklamefarben auf den sich langsam nähernden Herbst aufmerksam machten. Eine niedrige Steinmauer aus Feldsteinen umfasste das Grundstück, ein kleines Nebengelass duckte sich hinter einem Berg Brennholz, weiter hinten eine für die DDR typische Garage aus fertigen Betonplatten. Altes Laub raschelte unter ihren Füßen, als die beiden Kriminalisten aus dem BMW stiegen. Tauner streckte seinen Rücken durch und Uhlmann tat es ihm gleich. Bei beiden knackte es leise.

Ein junger uniformierter Polizist, der sich ihnen genähert hatte, konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Polizeimeister Hegel«, stellte er sich vor. »Sie sind die beiden Hauptkommissare von der Mordkommission?« Dabei wandte er sich an Uhlmann.

»Wir sind zurzeit bei der Affenkommission«, kam Uhlmann jeglicher Spöttelei zuvor, stieß damit allerdings nur auf Unverständnis.

Tauner machte es kurz und knapp. Er hielt dem Polizeimeister seinen Ausweis vor die Nase. »Wo ist die Tote?«

»Auf dem Dachboden.«

»Hängt sie noch?«, fragte Tauner mit leichtem Grausen.

»Nein, die haben sie runtergeholt. Ihr Mann selbst hat versucht, sie zu retten, der war mal Arzt. Doch es war zu spät, sie muss über eine Stunde gehangen haben.«

»Und jetzt liegt sie da?«

»Wir haben auf Sie gewartet. Ich bringe Sie hin.« Der Polizeimeister ging vor, Tauner und Uhlmann folgten ihm, beide die Hände in den Hosentaschen. »Wir gehen gleich hier hinten durch, vorne rum wäre zu umständlich«, erklärte der Polizist, ohne sich umzusehen.

»Was auch immer«, murmelte Tauner.

»Und warum auch immer«, fügte Uhlmann hinzu, und beide fühlten sie sich wie harte Hunde.

»Es gibt ein englisches Wort für uns«, meinte Tauner, als er die Terrasse über eine sandsteinerne Treppe betrat. Die Stufen waren teilweise grün vom Moos, an manchen Stellen bröselte der Stein. Der junge Hegel lief ein paar Meter vor ihnen und sollte sie nicht hören.

»Hm?«, fragte Uhlmann.

»Abgefuckt«, erklärte Tauner, und Uhlmann pfiff, jedoch nur, weil sie durch eine große zweiflüglige Terrassentür eine Art Saal betreten hatten. Unter ihrem Gewicht knarrte das alte Parkett, welches zwar gepflegt schien, trotzdem in den Fugen gerissen war. Ein alter Kronleuchter hing schwer von der Decke, feine Spinnweben zwischen den Lüstern. Die Möbel waren zwar alt, wirkten jedoch aufgrund ihrer Schlichtheit ein wenig unpassend.

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