Cannabis und Cannabinoide

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3.1.5 2016–2017: vom Gesetzentwurf zum Gesetz

Parallel mit dieser juristischen Entwicklung gab es in den vergangenen Jahren eine zunehmende Offenheit aller im Bundestag vertretenen Parteien hinsichtlich der Notwendigkeit, Patienten einen Zugang zu einer Therapie mit Cannabisprodukten unabhängig von ihren finanziellen Möglichkeiten zu eröffnen. Als Alternative zum Eigenanbau entwickelte die Bundesregierung einen Gesetzentwurf, der vorsah, dass die gesetzlichen Krankenkassen verpflichtet werden, unter bestimmten Voraussetzungen eine Behandlung mit Cannabisprodukten zu finanzieren. Dieser Gesetzentwurf wurde von der Bundesregierung am 28. Juni 2016 in den Bundestag eingebracht (Deutscher Bundestag 2016) und dort am 7. Juli in erster und am 19. Januar 2017 in 2. Lesung beraten (Deutscher Bundestag vom 18. und 19. Januar 2017). Das Gesetz wurde am 19. Januar 2017 im Bundestag einstimmig verabschiedet (Deutscher Bundestag 2017) (Zusammenfassung s. Tab. 1).

Tab. 1 Einige Meilensteine auf dem Weg zur medizinischen Cannabisverwendung in Deutschland (Grotenhermen 2018)


1998 Änderung der Einstufung von Dronabinol – (-)-trans-Delta-9-Tetrahydrocannabinol – von der Anlage II in die Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes
2000 Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, nach dem Patienten einen Antrag auf eine Ausnahmeerlaubnis zur Verwendung von Cannabisblüten beim BfArM stellen können
2000–2005 Ablehnungen aller Anträge von Patienten auf eine solche Ausnahmeerlaubnis
2005 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, nach dem das BfArM diese Anträge nicht pauschal ablehnen darf
2007 erste Ausnahmeerlaubnis durch die Bundesopiumstelle beim BfArM, zunächst für einen Cannabisextrakt, später überwiegend für Cannabisblüten
20011 arzneimittelrechtliche Zulassung von Sativex® für die Behandlung der therapieresistenten mittelschweren bis schweren Spastik bei Erwachsenen mit multipler Sklerose
2016 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, nach dem einem Patienten eine Ausnahmeerlaubnis für den Eigenanbau von Cannabisblüten erteilt werden muss Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Veränderung betäubungsmittelrechtlicher Bestimmungen zu Cannabis und cannabisbasierten Medikamenten
2017 einstimmige Verabschiedung des Gesetzes am 19. Januar im Deutschen Bundestag und Inkrafttreten des Gesetzes am 10. März 2017

3.1.6 2016: erste Kritik am Gesetz in der Anhörung im Gesundheitsausschuss

Am 21. September 2016 fand im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags eine öffentliche Anhörung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 28. Juni 2016 statt. Dabei wurde unter anderem bemängelt, dass die Krankenkassen eine Therapie mit Cannabis genehmigen müssen. Der Gesetzentwurf sah vor, dass schwer kranke Patienten künftig auf Kosten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mit Cannabisarzneimitteln und Rezepturen versorgt werden können.

Sowohl die Bundesärztekammer (BÄK) und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) als auch andere Sachverständige wiesen den Genehmigungsvorbehalt durch die Krankenkassen als nicht sachgerecht zurück. So sollte nach dem Gesetzentwurf die medizinische Verwendung von Cannabis von den Krankenkassen nur erstattet werden, wenn eine „allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung im Einzelfall nicht zur Verfügung“ steht.

Die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. (ACM) bemerkte zum Gesetzentwurf in ihrer Stellungnahme:

1. Obergrenzen für Ärztinnen und Ärzten bei der Verschreibung von Medikamenten bzw. drohende Regressforderungen wegen Budgetüberschreitung sollten nicht zu vermeidbaren Versorgungslücken bei der Verschreibung von cannabisbasierten Medikamenten führen. Daher ist es erforderlich, dass die Verschreibung von cannabisbasierten Medikamenten wie eine Praxisbesonderheit behandelt wird. Sonst droht das Gesetz ein Gesetz für Privatpatienten zu werden, von dem gesetzlich versicherte Bundesbürger nicht in dem erforderlichen Umfang profitieren können.

2. (…) Ebenso wie für andere Therapieverfahren sollte auch für eine Behandlung mit Cannabis und Cannabinoiden gelten, dass eine einmal als wirksam und verträglich festgestellte Therapie beibehalten werden kann.

3. (…) Die Risiko-Nutzen-Bewertung einer Behandlung muss grundsätzlich immer auch mögliche Langzeitschäden im Blick haben – dieses ethische Prinzip sollte auch im Falle einer Entscheidung für oder gegen eine Therapie mit cannabisbasierten Medikamenten Anwendung finden und im Hinblick auf eine Kostenerstattung durch die Krankenkassen berücksichtigt werden.

„Aus Sicht der Patienten und der Ärzteschaft muss es darauf ankommen, dass die Entscheidung, ob ein Patient mit cannabisbasierten Medikamenten behandelt wird, eine Entscheidung von Arzt und Patient ist. Ansonsten bleibt es bei einer Zweiklassenmedizin, mit größeren Optionen für vermögende Patienten.“ (ACM 2016)

3.2 Hintergründe und Meilensteine der rechtlichen und politischen Entwicklungen zwischen 1995 und 2018
3.2.1 1995: Gutachten des BfArM vom November

Ein Gutachten des BfArM vom 2. November 1995 auf Anforderung der Bundesregierung, ist die Grundlage für die Beantwortung einer kleinen Anfrage der PDS, Vorläuferin der im Jahr 2005 gegründeten Partei Die Linke, im Deutschen Bundestag (Deutscher Bundestag 1995).

„So entbehrt sowohl eine unkritische Euphorie hinsichtlich der therapeutischen Möglichkeiten von Cannabis bzw. THC der Grundlage wie andererseits eine auf entgegengesetzten Positionen resultierende generelle Ablehnung mit der Behauptung, es gebe „auf jedem Gebiet bessere therapeutische Alternativen.“ (Goedecke u. Karkos 1996)

3.2.2 1997: erste Fachtagung „Cannabis und Cannabinoide als Medizin“

Am 12. April 1997 wurde die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. in Köln gegründet. Am 22. November 1997 führte sie die erste Fachtagung im deutschen Sprachraum zum Thema „Cannabis und Cannabinoide als Medizin“ durch.

In einem Grußwort von Dr. Ingo Flenker, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe und Vorsitzender des Ausschusses Sucht und Drogen der Bundesärztekammer, zur Tagung hieß es:

„Der erwiesenermaßen nützliche medizinisch-therapeutische Einsatz von Cannabis muss legal möglich werden, damit die derzeitige Kriminalisierung von Ärzten und Patienten endlich aufhört.“ (Flenker 1997)

3.2.3 1998: Verschreibungsfähigkeit von Dronabinol/THC

Der Sachverständigenausschuss für Betäubungsmittel empfahl auf seiner Sitzung am 29. Januar 1996 der Bundesregierung eine Umstufung von Dronabinol/THC in die Anlage 3 BtMG. Am 1. Februar 1998 wurde der Cannabiswirkstoff Dronabinol in Deutschland von der Anlage 2 in die Anlage 3 des Betäubungsmittelgesetzes umgestuft, sodass dieses Cannabinoid von da an verschreibungsfähig wurde. Da eine Behandlung mit Dronabinol von den Krankenkassen nicht erstattet wurde, hatten nur wenige Patienten Zugang zu einer solchen Therapie. Zunächst musste Dronabinol in Kapselform (Marinol®) aus den USA aufwendig importiert werden. Später produzierten zunächst die Firma THC Pharm und schließlich die Bionorica AG Dronabinol zur Abgabe als Rezepturarzneimittel in Apotheken. Im August 2014 kaufte die Bionorica AG das Unternehmen THC Pharm (THC Pharm). Im Mai 2019 kaufte schließlich der kanadische Hersteller Canopy Growth Corporation für 225,9 Millionen Euro das Cannabisgeschäft des Phytopharmaherstellers Bionorica.

3.2.4 1998: Frankfurter Resolution

Bei der Tagung „Medical Marijuana“ in Frankfurt vom 2. bis 4. Dezember 1998 haben die AIDS-Hilfen und die Hessische Gesellschaft für Demokratie und Ökologie die Frankfurter Resolution zur medizinischen Verwendung von Marihuana vorgestellt.

Die Resolution besagt:

„In der Erkenntnis, daß zur Heilung Kranker und zur Minderung ihres Leids alle menschenwürdigen medizinischen Möglichkeiten auszuschöpfen sind, fordern wir den Bundestag auf:

1. Die medizinische Nutzung von Marihuana zu erlauben,

2. zu therapeutischen Zwecken auch die rauchbare Anwendung natürlichen Marihuanas zu gestatten,

3. die medizinische Verwendung von Marihuana begleitend wissenschaftlich zu erforschen und diese Forschung zu fördern.“ (ACM-Mitteilungen 2017)

 

3.2.5 1999: Verfassungsbeschwerde

Am 14. Dezember 1999 haben acht Mandanten von Lorenz Böllinger, Professor an der Juristischen Fakultät der Universität Bremen, und Robert Wenzel, Assistent von Prof. Böllinger, mit Unterstützung der ACM e.V. vor dem Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen das Verbot der medizinischen Verwendung von Cannabis eingelegt. Die Mandanten litten an verschiedenen Erkrankungen (Multiple Sklerose, HIV-Infektion, Hepatitis C, Migräne, Tourette-Syndrom, Epilepsie). Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Januar 2000 kommentierte Lorenz Böllinger wie folgt:

„Die Entscheidung zeigt trotz der Nichtannahme, dass das BVerfG die Option einer medizinischen Behandlung mit Cannabis ernst nimmt und bemüht ist, dafür einen gangbaren Weg aufzuzeigen. Sie bindet Verwaltung und Gerichte für zukünftige Verfahren. Patienten können nunmehr über ihre Behandler entsprechende Anträge beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte stellen, welches die Maßgaben des BVerfG berücksichtigen muss. Gegebenenfalls muss eine ablehnende Entscheidung dann vor den Verwaltungsgerichten angefochten werden. Im äußersten Falle bleibt eine erneute Verfassungsbeschwerde.“ (ACM-Mitteilungen 2017)

3.2.6 2000: Unterstützung durch den Petitionsausschuss des Bundestages

Am 28. Juni 2000 befürwortete der Petitionsausschuss des Bundestages eine Petition der Selbsthilfegruppe Cannabis als Medizin in Berlin und der ACM e.V. für die Möglichkeit einer medizinischen Verwendung natürlicher Cannabisprodukte und einzelner Cannabinoide. Am 6. Juli 2000 folgte der Deutsche Bundestag der Empfehlung des Petitionsausschusses und überwies die Petition „zur Berücksichtigung“ an die Bundesregierung. Mit den Stimmen der Ausschussmitglieder von PDS, Bündnis 90/Die Grünen und SPD, gegen die Stimmen der CDU/CSU und bei Enthaltung der FDP hatte der Petitionsausschuss sich für die Petition ausgesprochen, weil das vorgebrachte Anliegen begründet sei. Der Ausschuss kam zu dem Ergebnis, dass Cannabis vielen Erkrankten hilft, „ihre Erkrankungen zu heilen bzw. zu lindern und ihr Leben wieder lebenswert zu gestalten“.

Die Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit, Christa Nickels (Bündnis 90/Die Grünen), hat im Namen der Bundesregierung am 28. September 2000 dem Petitionsausschuss auf die Petition geantwortet. In ihrem Schreiben hieß es:

„Aus der Sicht des Bundesministeriums für Gesundheit wird der Einsatz von Arzneimitteln auf der Basis von Cannabis befürwortet. Ordnungsgemäß ist dies nur möglich, wenn dabei die arzneimittelrechtlichen Bestimmungen eingehalten werden.

„Zusammenfassen kann festgestellt werden, dass bereits jetzt Arzneimittel mit den Cannabiswirkstoffen Dronabinol und Nabilon auf ärztliche Verschreibung zur Verfügung gestellt werden können. Die Bereitstellung von Arzneimitteln mit standardisiertem Cannabisextrakt wird vorbereitet. Somit besteht für die arzneiliche Anwendung von ungeprüften Cannabisprodukten auf der Grundlage von § 3 Abs. 2 BtMG kein Bedarf mehr, auch wenn es im Einzelfall nachvollziehbar ist, dass schwerkranke Patienten diesen Wunsch äußern. Es ist jedenfalls nicht gewünscht, dass diese Menschen strafrechtlich verfolgt werden.“ (ACM-Mitteilungen 2017)

3.2.7 1999–2002: THC Pharm und Bionorica stellen Dronabinol zur Abgabe durch Apotheken her

Die Bock-Apotheke in Frankfurt am Main bot seit Januar 1999 Dronabinol/THC für etwa ein Viertel des Preises an, der in deutschen Apotheken für das US-amerikanische Dronabinol-Präparat Marinol® gezahlt werden musste. Dronabinol wurde in der Apotheke in Zusammenarbeit mit der Firma THC Pharm hergestellt und konnte so als apothekenübliche Rezeptur abgegeben werden. Im Juli 2000 hat das Unternehmen die Erlaubnis erhalten, andere Apotheken in Deutschland mit Dronabinol zu beliefern. Zunächst betrug der Preis 1.200 DM pro 1.000 mg. THC wurde zunächst halbsynthetisch durch Isomerisierung aus Cannabidiol (CBD), das aus Faserhanf extrahiert wurde, gewonnen.

Die Cannabinoidsparte der Bionorica AG (Neumarkt) beliefert seit 2002 ebenfalls Apotheken mit Dronabinol, die daraus nach entsprechenden Rezepturvorschriften des deutschen Apothekerverbandes Medikamente (Kapseln, Tropflösungen) herstellen können. Die Konkurrenz führte zu Preissenkungen für Dronabinol. Diese Sparte gehört heute zum internationalen Unternehmen Canopy Growth.

3.2.8 2001: Vorschlag der ACM zur Straffreiheit von Cannabispatienten

Die Vorstandsvorsitzenden der ACM e.V. und der International Association for Cannabinoid Medicines (IACM) haben am 24 Juni 2001 alle Bundestagsabgeordneten angeschrieben und gebeten, sich für einen neuen Paragrafen im Betäubungsmittelgesetz, einen § 31b, einzusetzen, der es Richtern und Staatsanwälten ermöglichen würde, bei medizinischer Verwendung sonst illegaler Cannabisprodukte in Analogie zum § 31a BtMG unter bestimmten Bedingungen von der Strafverfolgung abzusehen, da auch bei der medizinischen Verwendung von Cannabis von einer geringen Schuld, wenn überhaupt, ausgegangen werden kann und zudem kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht.

§ 31a BtMG: Absehen von der Verfolgung

(1) Hat das Verfahren ein Vergehen nach § 29 Abs. 1, 2 oder 4 zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre, kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht und der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut, herstellt, einführt, ausführt, durchführt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt. (…) (Betäubungsmittelgesetz, Stand: 30. Oktober 2018)

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hatte in einem Antwortschreiben die Ablehnung des Vorschlags zum Ausdruck gebracht. Es wurde darin betont, dass als Arzneimittel nur Stoffe definierter Qualität Verwendung finden sollten und daher keine gesetzlichen Ausnahmegenehmigungen für die Verwendung sonst illegaler Cannabisprodukte geschaffen werden sollten. Daher komme eine solche Gesetzesänderung für das Bundesgesundheitsministerium „nicht in Betracht“. Unterstützung für den Vorschlag kam hingegen aus den Bundestagsfraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS. Auch einige Länderjustizminister nahmen den Vorschlag wohlwollend auf. Justizminister Prof. Christian Pfeiffer aus Niedersachsen fand ihn sogar nicht weitgehend genug.

3.2.9 2003: erster Freispruch eines Patienten aufgrund eines rechtfertigenden Notstands

Am 27. November 2003 erhielt Michael Große aus Berlin, der an einem Morbus Crohn litt, die richterliche Erlaubnis zum Anbau und zur Verwendung von Cannabis. Richter Michael Zimmermann vom Amtsgericht Tiergarten in Berlin urteilte, dass sich der Angeklagte in einer Notstandslage befunden habe und die medizinische Verwendung von Cannabis daher gerechtfertigt sei (ACM-Mitteilungen 2017). Der Staatsanwalt verzichtete darauf, in Revision zu gehen. Damit durfte erstmals seit vielen Jahrzehnten ein Patient in Deutschland Cannabis zu medizinischen Zwecken anbauen und verwenden. In den folgenden Jahren folgten in verschiedenen Bundesländern weitere etwa 10 Freisprüche dieser Art.

Zuvor, am 15. Mai 2003 war erstmals ein Patient (Michael Fischer), der an multipler Sklerose litt, in Deutschland von einem Mannheimer Amtsgericht freigesprochen worden. Allerdings war der Staatsanwalt in Revision gegangen, sodass dieses Urteil noch nicht rechtskräftig war. Später wurde auch Michael Fischer nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe im Jahr 2004 freigesprochen.

3.2.10 2004: Oberlandesgericht Karlsruhe bestätigt rechtfertigenden Notstand

Das Oberlandesgericht Karlsruhe urteilte, dass die Einnahme von Cannabis zur medikamentösen Behandlung aus Notstandsgesichtspunkten gerechtfertigt sein kann.

In einer Pressemitteilung schrieb das Oberlandesgericht:

„Dies hat heute der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe entschieden, jedoch an das Vorliegen einer Straffreiheit strenge Anforderungen geknüpft. Der 44-jährige Angeklagte leidet als Folge einer Mitte der 80er-Jahre bei ihm aufgetretenen Multiplen-Sklerose-Erkrankung an einer Ataxie, welche zu einer Störung seiner Grob- und Feinmotorik, seines freien Gangs, des Standes sowie des Sprachvermögens führt. Diese Ataxie ist nach derzeitigem Stand der Wissenschaft nicht behandelbar. Zur Linderung seiner Beeinträchtigungen nimmt der Angeklagte seit 1987 Haschisch und Marihuana vornehmlich in Form von „Joints“ zu sich, wobei er u.a. Hanfstauden in einer Zwischendecke in seinem Wohnzimmer selbst aufgezogen hat. Wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge – insgesamt wurden bei einer Wohnungsdurchsuchung im Februar 2002 bei ihm 381,99 Gramm Marihuana sichergestellt – erhob die Staatsanwaltschaft Mannheim deshalb im Juli 2002 Anklage zum Amtsgericht Mannheim, welches den Angeklagten im Mai 2003 vom Vorwurf eines strafrechtlichen relevanten Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz freisprach. Nach Ansicht des Amtsgerichts hat sich der Angeklagte nicht strafbar gemacht.“


„Zwar sei der Besitz von Betäubungsmitteln nach dem BtMG verboten, der Angeklagte könne sich jedoch auf den Rechtfertigungsgrund des Notstandes (§ 34 StGB) berufen, weil die bei ihm vorliegende Ataxie nicht anders behandelbar sei und sein Interesse, ein annähernd erträgliches Dasein zu führen, die Belange des Staates am Verbot von Betäubungsmitteln überwiege.“ (Oberlandesgericht Karlsruhe 2004)

3.2.11 2005: Start der Hanfapotheke

Die Hanfapotheke startete im August 2005. In einer Veröffentlichung heißt es: „Die Hanfapotheke soll Schwerkranken helfen, Cannabis zu medizinischen Zwecken zu erhalten, denn die Betroffenen können nicht warten, bis die Politik akzeptable Lösungen findet, und auch die Ratschläge des Bundesverfassungsgerichts sind nicht realitätstauglich. Den Cannabis erhalten sie von anonymen Spendern, die den Betroffenen konkret helfen möchten. Die Hanfapotheke (www.hanfapotheke.org) startet im August 2005“ (ACM-Mitteilungen 2017). Die Hanfapotheke hat bis 2007 gearbeitet, bis erstmals eine Patientin eine Ausnahmeerlaubnis für die Verwendung von Cannabis durch die Bundesopiumstelle erhielt.