Twinlight - Die Stunde des suessen Blutes

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Twinlight - Die Stunde des suessen Blutes
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– Francesca Gierke –

Twinlight – Die Stunde des süßen Blutes

Teil 1

Imprint

Twinlight – Die Stunde des süßen Blutes

Francesca Gierke

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

Copyright: © 2013 Francesca Gierke

ISBN 978-3-8442-5651-2

RICHTER-VERLAG

Hans-Peter Richter

Paul-Schroeder-Strasse 18

D-24229 Dänischenhagen

Tel: 0049-4349-1725

Fax: 0049-4349-571

E-Mail: richter-verlag@t-online.de

U-St-Ident-Nr.: DE 134812988

Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform

1. Auflage

© 2013 – Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Francesca Gierke

Herstellung: Stamp Media GmbH

Schmidt & Klaunig e.K.

Medienhaus Kiel

Über die Autorin:

Francesca Gierke wurde am 16.01.2000 in Eckernförde geboren. Sie lebt im Kreis Rendsburg-Eckernförde. Bücher schreibt sie seit ihrem zehnten Lebensjahr. Twinlight ist Ihre erste Veröffentlichung, aber es werden noch viele weitere folgen. Weitere Infos zur Autorin und weiteren Projekten unter: www.vampirwelten.de


1 – Trauriger Blick in die Nacht

Das Käuzchen schlug die schwarzen Augen auf. Das Erste, was es sah, waren die dunklen Ahornblätter des jungen Ahornbaumes, auf dem es saß. Als Nächstes erspähte das Käuzchen ein Reh, das durch das raschelnde Laub lief und wenig später in der Dunkelheit verschwand. Das kleine Eichhörnchen, welches gerade den Ahornstamm hinaufkrabbelte, schaute einmal prüfend zum Käuzchen hinüber, um sich zu vergewissern, dass es nicht gefährlich war, und setzte dann seinen Weg nach oben in die Baumkrone, wo sich der kleine Kobel befand, fort. Das Käuzchen streckte einmal seine Flügel aus, die den ganzen Tag eingefaltet gewesen waren und daher heftig schmerzten, und glitt dann lautlos vom Ast hinaus in die schwarze Nacht. Es flog knapp über dem Boden, die wachsamen Augen starr nach vorne gerichtet und die Ohren aufgestellt. Seine Augen waren so scharf, dass es an jedem Ast, der im Weg war, mühelos vorbei flog. Selbst durch die verzweigten Tannen- und Laubbaumäste wand es sich hindurch und schwebte lautlos weiter. So erreichte es schließlich die beiden uralten, ineinander verwachsenen Bäume, die im Garten eines kleinen Häuschens standen.

In dem Häuschen brannte nicht ein einziges Licht. Das Fenster, durch das man die alten Bäume sah, die der Nebel gerade verschluckte, stand sperrangelweit offen, so dass man das Wohnzimmer halbwegs erkennen konnte. Die beiden alten, abgewetzten Vorhänge hingen schlaff neben dem Fensterrahmen und hoben sich bei jedem kleinen Windstoß.

Stumm und starr saß das Käuzchen zwischen den Ästen und schaute auf das Haus. Keiner in der Umgebung wusste, warum es genau an diesem alten Haus wartete. Es saß jeden Abend auf diesem Baum. Daher hatte es auch mitbekommen, wie immer wieder Menschen hier herkamen, um sich das Haus anzusehen.

Kaum merklich zuckte das Käuzchen zusammen, als plötzlich das grelle Licht von Scheinwerfern die Dunkelheit erhellte.

Die neue Familie kam also vom Einkaufen zurück. Eigentlich schienen sie eine ganz normale Familie zu sein, dennoch war etwas anders bei ihnen.

Wachsam blickte das Käuzchen zur Einfahrt. Kurze Zeit später erschien ein Auto. Kurz nachdem es gehalten hatte, öffneten sich schwungvoll alle vier Türen. Ein Mann, eine Frau und zwei Kinder stiegen aus. Die beiden Kinder rannten mit ihren Taschen zur Eingangstür und stießen diese auf.

Das Käuzchen hörte das leise Murmeln der Kinder und erhaschte noch einen kurzen Blick auf die beiden Zwillinge, Jan und Luca, die gerade das inzwischen beleuchtete Wohnzimmer betraten, bevor es sich auf den Weg machte, um etwas Essbares zu finden.

Das Käuzchen lebte, ebenso wie die Familie, in einer anderen Welt. Diese Welt war nicht dieselbe, die wir kennen. Es war die Welt der Unsterblichen. Sie lag versteckt, doch man konnte sie durch das spezielle goldene Eingangstor betreten.

Inzwischen waren beinahe zwei Wochen vergangen, seit die Familie eingezogen war. Alle Möbel waren da und die Familie saß gerade beim Abendbrot und es gab mal wieder einige Kabbeleien zwischen den beiden Jungen…

„Luca! Pass doch mal bitte auf!“, rief Jan genervt. Luca hatte gerade seinen Kirschsaft über den Tisch verschüttet. Er grinste schelmisch. „Warum bist du so patzig? Ist doch viel lustiger, wenn wir unsere Ferien genießen!“, grinsend langte er über den Tisch und angelte sich eine Pflaume.

„Bin ja mal gespannt“ - Luca konnte den Satz nicht zu Ende bringen, weil er von seinem Vater unterbrochen wurde. „Luca“, sagte er streng, „geh in die Küche und hol dir einen Lappen, damit du die Schweinerei wieder beseitigen kannst!“

Luca nickte gekränkt und tapste in die Küche. Jan musste nicht den Hellseher spielen, um zu erahnen, dass sein Bruder wieder etwas im Schilde führte.

„Papa?“ Lucas Wuschelkopf blickte um die Ecke.

„Ja?“, fragte sein Vater mit vollem Mund, „was ist los?“

„Ich wollte nur mal so fragen, wo denn der Lappen liegt. Ich hab ihn nämlich nicht gefunden!“

„Warte, ich komme!“, sagte Jans Mutter und gleichzeitig kam von Jan: „Oh mein Gott!“ Jan schlug sich die Hand spielerisch an die Stirn. „Wie kann man nur so dämlich sein?“

Lucas Mutter drehte sich um und sah Jan mit einem zweifelnden Blick an. Jan, der dies bemerkte, sagte schnell: „Ich mach das schon.“ Er stand auf und schlenderte langsam in Richtung Küchentür.

Luca, der diese Bemerkung gehört hatte, lächelte erbost. „Dann hol ihn dir doch selber, Zwillingsbruder!“

Jan, der die Küche schon fast erreicht hatte, rechnete damit, dass sein Bruder wieder etwas angestellt hatte. Der Lappen hing normalerweise immer am Haken hinter der Tür, doch heute Abend hing er da nicht.

,Ich hab es doch gewusst!’, dachte Jan und schüttelte den Kopf.

„Da hab ich auch schon nachgesehen. Da ist nichts!“, sagte Luca. Doch der Unterton in der Stimme verriet Jan, dass sein Bruder ihn anlog. Jan wusste auch ohne Hilfe, wo ein zweiter Lappen lag und öffnete kurzerhand die Schranktür. Im Hintergrund hörte er Luca leise fluchen, da der nun verspielt hatte.

Triumphierend hielt Jan den Lappen hoch.

„So“, sagte er, „hier hast du deinen Lappen! Und jetzt mach die Tischdecke sauber, bevor das alles eintrocknet!“

Luca verdrehte die Augen und schlurfte aus der Küche.

Nach dem Abendessen gingen Jan und Luca wie üblich ins Bett. Doch sie schliefen noch lange nicht. Immer, wenn sie sicher waren, dass sich ihre Eltern unten aufhielten, öffneten sie leise die Balkontür und sahen sich die Sterne an.

Teilweise verbrachten die Zwillinge anderthalb Stunden in der kühlen Abenddämmerung damit, sich zu unterhalten. Oft standen sie auch nur still nebeneinander und hingen ihren Gedanken nach.

Heute Abend schien es ewig zu dauern, bis ihre Eltern nach unten gingen, nachdem sie den beiden ein ,Gute Nacht’ gewünscht hatten. Immer wieder kam ihre Mutter hinauf ins Badezimmer, um irgendetwas nachzuschauen.

Einmal kam sie, um das brennende Licht im Bad auszuschalten. Ein anderes Mal waren es die noch offenen Vorhänge oder das geöffnete Fenster. Und an schlimmen Tagen konnte alles zusammenkommen…

Unruhig drehte sich Jan auf die andere Seite, so dass er seinen Bruder direkt ansah.

„Herr Gott noch mal! Wie oft will Mom denn noch checken, dass die Lampe im Badezimmer aus ist! Die war auch schon vor zehn Minuten aus“, stöhnte Jan.

„Falsch. Dad war doch zwischenzeitlich drin und hat sie aus Versehen angelassen.“

„Ja, schon, aber… die Vorhänge waren auch schon seit geraumer Zeit zu!“

„Genau wie das angeblich geöffnete Fenster.“, fügte Luca hinzu.

Jan nickte.

„Ich glaube, heute können wir das mit den Sternen eh vergessen!“, murrte Luca, während er den Nebel musterte, der sich um den Balkon schlang.

„Spinnst du?“, fragte Jan etwas zu laut.

Ihre Eltern, die in diesem Augenblick die Treppe hinuntergingen, hielten inne. Die Jungen hörten leises Gemurmel, dann öffnete sich die Tür einen Spaltbreit. Doch sie schloss ich sogleich wieder und die schweren Schritte des Vaters schleppten sich die Treppe hinunter und ins Wohnzimmer.

Wenig später hörten die Zwillinge, wie der Fernseher aktiviert wurde.

„Jetzt!“, flüsterte Jan und stieg aus dem Bett.

„Ich muss aber mal aufs Klo!“, beschwerte sich Luca.

Im Dunkeln verdrehte Jan die Augen. „Dann geh, aber mach schnell!“

Lautlos verließ sein Bruder das Zimmer.

Leise öffnete Jan die Balkontür und trat ins Freie. Ein Schauer lief über seinen Rücken, als seine nackten Füße die eiskalte Steinplatte des Balkons berührten. Doch schon nach wenigen Sekunden hatten sich seine Füße an die kühle Bodentemperatur gewöhnt und es kam ihm vor, als würde er auf angewärmten Badezimmerfliesen herumlaufen. Der Nebel an diesem Tag überraschte ihn nicht. Er war schon die ganze Zeit hier gewesen. Und er wunderte sich, wie warm es auch heute wieder war. Obwohl er nur ein T-Shirt und eine kurze Hose trug, war ihm nicht kalt.

Gedankenverloren blickte Jan zu den Sternen hinauf. Wie an jedem Abend fand er mühelos sein Sternzeichen am Himmel. Es schien schon immer da gewesen zu sein und Jan hatte den Eindruck, dass es momentan an seinem Platz blieb. Es hatte sich seit einer Woche nicht bewegt. Die Sterne des Wassermanns leuchteten heute irgendwie heller als sonst. Vielleicht… Jan wurde ganz aufgeregt. Seit Jahren hoffte er darauf, dass es endlich soweit war. Denn Jan war älter, als man ihn nach seinem Aussehen einschätzen würde. Man konnte ihn für einen dreizehnjährigen Jungen halten, der gerade auf dem Balkon stand und sich die Sterne anschaute.

 

Inzwischen fand er es lästig, immer wie dreizehn auszusehen, denn in Wirklichkeit war Jan schon zwanzig. Er war nur in seinem dreizehnten Lebensjahr stehengeblieben. Nun, stehengeblieben war nicht das richtige Wort. Jan war unsterblich. Und er hatte eine Aufgabe bekommen. Er wartete schon seit sieben Jahren darauf, seine Aufgabe erfüllen zu können. Seine Eltern waren auch unsterblich, genauso wie sein Bruder.

Hätte Jan nicht den leisen Ruck der Tür gehört, hätte er seinen Bruder nicht bemerkt. Denn Luca besaß genau wie Jan die Fähigkeit, sich lautlos zu bewegen.

Ziemlich oft fand Jan dies sehr nützlich. Es gab aber auch Momente, in denen er sich wünschte, nicht immer lautlos zu sein. Doch wenn sie sich jeden Abend hier hinausschlichen, war es wirklich vorteilhaft.

Luca stellte sich neben ihn und blickte zum Himmel hinauf. Luca musterte ihn. Jan sah sehr traurig aus.

Denn er wünschte sich nichts sehnlicher, als endlich das Mädchen zu finden, das für ihn in seiner Aufgabe bestimmt war. Denn für jeden von ihnen gab es nur ein bestimmtes Mädchen auf der Welt. Und die Zwillinge würden alles tun, um es möglichst bald zu finden.

„Hoffst du auch gerade, dass wir sie schnell finden?“, fragte Luca.

Jan seufzte. „Du triffst den Nagel auf den Kopf“, flüsterte er, während er weiter in den Himmel starrte.

„Aber wir werden sie finden und wir werden nicht mehr lange warten müssen!“, sagte Jan. Doch so zuversichtlich, wie diese Worte klangen, war er tatsächlich nicht. ,Ich hoffe, dass wir nicht mehr lange warten müssen!’, fügte er in Gedanken hinzu.

„Tja, wenn wir noch zehn Jahre warten müssen, hilft unsere Unsterblichkeit wirklich weiter!“, sagte Luca.

„Allerdings!“, pflichtete Jan ihm bei.

Nachdem sie noch ein paar Minuten draußen gestanden hatten, sagte Jan plötzlich: „Ich gehe wieder ins Zimmer. Ich möchte schlafen.“

Bevor er sich jedoch umdrehen konnte, griff Luca schnell seinen Arm. „Wieso?“

Luca sah seinem Bruder tief in die Augen. Er zögerte, dann seufzte er.

„Je schneller der morgige Tag kommt, desto eher kommt unsere Hoffung. Ich will endlich mal glücklich mit einem Mädchen herumtollen, anstatt ständig aufpassen zu müssen, dass—“

„Ja, ich weiß!“, fiel Luca seinem Bruder ins Wort. Er hatte keine Lust, darüber zu sprechen. Es genügte ihm schon, wenn sie ihre Mädchen bald finden würden. Dann schaute er zu den Sternen hinauf. ,Vielleicht werden sie ja heute oder morgen geboren’, überlegte er. Dann begannen seine Augen zu leuchten. Lächelnd drehte er sich um und sah Jan an.

„Du hast recht. Gehen wir schlafen!“

2 – Die Geschichten der Unsterblichen

„Hey, Jan! Schau dir das mal an!“, rief Luca aufgeregt. Er hatte die Zeitung aufgeschlagen und fuhr mit seinem Zeigefinger rasend schnell über das Blatt. Passend dazu bewegten sich seine Augen wie Scheibenwischer hin und her. Bei diesem Anblick musste Jan kurz grinsen. Doch ihn interessierte viel mehr, was Luca gefunden hatte, als wie er las.

Jan beugte sich zu seinem Bruder, beachtete sein Kirschsaftglas nicht und stieß es um. Der Kirschsaft spritzte über den Tisch und hinterließ einen riesigen Fleck auf dem Tisch.

„Na toll!“, murmelte er genervt.

„Lappen holen und aufwischen!“, rief Luca vergnügt. Er grinste höhnisch und sah seinen Bruder an.

Seufzend rückte Jan seinen Stuhl zurück, stand auf und ging zügig in die Küche. Seine Augen glänzten, als er den gelben Lappen nahm und ihn unter sein T-Shirt steckte. Dann öffnete er den Schrank, wie gestern Abend, nahm den roten Lappen heraus und steckte ihn zusammengefaltet in die Hosentasche.

Nun, da beide Lappen weg waren, streckte er den Kopf um die Ecke und rief seinem Bruder zu: „Ey. Du weißt doch, wo die ganzen Lappen liegen, oder? Ich glaub, ich bin zu dumm, um mir das zu merken.“ Jan fand, dass dies ziemlich logisch klang, auch wenn er sich nun prompt die zweifelnden Blicke seiner Eltern einfing.

Luca stand auf, ein Grinsen auf dem Gesicht.

Während die Eltern in schallendes Gelächter ausbrachen, da sie sich denken konnten, worauf Jan hinauswollte, verließ Luca das Wohnzimmer und betrat die Küche.

Als er zu suchen begann, ging Jan aus der Küche, wischte den Kirschsaft weg, tupfte den Fleck sogar noch etwas trocken und ging dann zurück in die Küche. Forschend sah er seinen Bruder an. „Immer noch nichts?“

Luca schüttelte den Kopf. „Ich hab schon Gott weiß wo gesucht, aber ich konnte die Lappen nirgends finden!“

„Na ja, das wird schon“, Jan ging zur Spüle und wusch den gelben Lappen aus. Dann ging er, ohne zu zögern, zum Schrank und packte den roten Lappen unauffällig wieder an seinen Platz. Luca war derweil noch so beschäftigt mit dem Durchsuchen der Geschirrspülmaschine, um zu bemerken, dass die Lappen wieder an dem ursprünglichen Platz hingen. Danach verließ er die Küche, setzte sich an den Tisch und nahm sich die Zeitung. Dabei achtete er darauf, sein Glas nicht noch einmal umzustoßen, und begann zu lesen.

„Super!“, stöhnte er und ließ die Zeitung enttäuscht sinken.

„Was ist denn?“, fragte seine Mutter.

„Ich dachte schon, Luca hätte irgendetwas gefunden, aber nein, er interessiert sich ja nur für Sport! Und ich dachte, das Warten hätte endlich ein Ende!“ Jan knallte die Zeitung zusammengefaltet auf den Tisch und verschränkte die Arme vor der Brust, während er zum Fenster hinausstarrte.

„Und ich weiß, dass das Lappensuchen jetzt ein Ende hat!“, fauchte Luca, der die Lappen anscheinend entdeckt hatte und setzte sich zurück an den Tisch. Zornig blickte er seinen Bruder an.

Jan hingegen lächelte und sagte eiskalt: „Ich dachte eigentlich, dass du mich nach zwanzig Jahren ganz gut kennen müsstest. Aber ich trickse dich immer wieder gerne aus. Heute hat es ja bestens funktioniert!“

„Ja, ganz brillant! Ich sag’s dir, Bruder, das gibt Rache, und zwar heftig!“, während Luca versuchte, bei seiner Drohung ganz ernst und zornig zu klingen, strich Jan Honig auf sein Brötchen.

„Möchte mal wissen, warum du dich so aufregst!“, murmelte er. „War doch voll lustig!“

„Ja!“, zischte Luca, „für dich war es lustig!“ Er schlug die Zeitung wieder auf. „Hast du dir wenigstens gemerkt, auf welcher Seite der Artikel war?“, fragte er. Jan schüttelte den Kopf und biss von seinem Brötchen ab. „Wieso sollte ich?“

Luca sah ihn böse an. „Deinetwegen muss ich jetzt die ganze Zeitung noch einmal durchblättern!“ Da fiel Jan ein: „Ach, apropos Zeitung. Was war da jetzt so toll dran?“

„Na das!“, sagte Luca und zeigte auf die Läuferin, die er inzwischen entdeckt hatte.

Jan stöhnte. „Au Mann!“

„Was ist denn?“, fragte Luca verwirrt, „das ist doch voll cool!“

„Da machst du so einen Aufstand und ich denke schon, dass das Warten endlich ein Ende hat, und dann ist das nur wegen einer Läuferin, die einen Weltrekord gebrochen hat! Das ist doch bescheuert!“

Jan stand auf, nahm sein Brötchen in die Hand und verließ das Wohnzimmer. Als er am Spiegel im Flur vorbeikam, blieb er kurz stehen und musterte sich. Seine Haare waren zerzaust und sein T-Shirt ungebügelt. Jan eilte ins Badezimmer und spritzte sich kühles Wasser ins Gesicht, dann lief er die Treppe hinauf in sein Zimmer und trat auf den Balkon hinaus.

Der morgendliche Wind blies seine Wut weg. ,Warum interessiert sich Luca mehr für Sport, als für sich selbst?’ Dies erschien Jan komplett unnormal. Doch sein Bruder hatte Sport schon immer mehr interessiert, als die Frage, ob er nun noch zehn oder hundert Jahre warten müsse, um endlich das passende Mädchen zu finden. Das war ihm anscheinend egal. Doch Jan war es nicht egal. Er hatte nun schon sieben Jahre im dreizehnten Lebensjahr gelebt und wollte auch endlich mal mit einem Mädchen zusammen sein, die Liebe und die schönen Gefühle spüren, die es so nicht gab.

Luca hingegen nahm dies gelassener hin. Jan beruhigte sich langsam wieder.

Nach einer halben Stunde ging er zurück ins Zimmer.

Er setzte sich an den Schreibtisch und begann das Mädchen seiner Träume zu zeichnen. Das entstandene Gesicht wurde durch schmale Augenbrauen gekennzeichnet und die dunklen Haare waren kurz und struppig. Sie standen zu beiden Seiten ein wenig ab und drei Blumen saßen wie Spangen darauf. Das Mädchen hatte die Augen geschlossen und schlief. Sie hatte grauen Lidschatten aufgetragen, pechschwarze mittellange Wimpern und ein geschwungenes Muster auf der Wange.

Das Mädchen trug ein schulterfreies Oberteil. Ob es ein Kleid oder ein Top war, wusste Jan nicht genau. Jedenfalls war es dunkelgrau und hatte einen Spitzenbesatz. Auf der linken Schulter saß ein wunderschöner Schmetterling, der, wie auch die Blumen im Haar, von fast schwarz in der Mitte in ein dunkles Lila am Flügelansatz zerfloss und schließlich von einem Helllila in ein cremiges Weiß überging. Die Ränder der Blütenblätter und die Flügelenden waren mit einem dünnen Goldrand verziert. Auf den Flügeln waren hin und wieder schwarze Tupfen zu sehen und dünne gezackte und gleichzeitig geschwungene Linien teilten sie in zwei, manchmal sogar in drei Teile ein. Nachdem Jan noch ein paar Einzelheiten verbessert und einige Linien verändert hatte, nahm er das Blatt und legte es in die Mitte auf seinen Schreibtisch.

Er ging noch einmal auf den Balkon und schaute zu dem Käuzchen, das in dem Doppelbaum saß. Es hatte seine Augen geschlossen, doch kaum fiel Jans Blick auf es, schlug es die pechschwarzen kreisrunden Augen wieder auf, sah Jan einmal durchdringend an und erhob sich dann in die Luft. Normale Menschen hörten die Käuzchenflügelschläge nicht, doch Jan hörte sie. Wenn auch nur leise, aber er nahm sie wahr.

Aber wer, der wie er oder Luca war, war schon normal?

Jan starrte in den blauen Himmel. „Ich will die Sterne zurück!“, flüsterte er. Seufzend schloss er die Augen und rief das Sternenbild der letzten Nacht noch einmal in seine Gedanken.

„Ich versteh nicht, was mit Jan los ist!“, seufzte Luca. „Ich habe ihm doch überhaupt nichts getan.“

Sein Vater sah ihn an. „Ich glaube, du weißt, wie Jan sich fühlt, Luca. Dir ist klar, dass er sich nichts sehnlicher wünscht, als eine Freundin. Auch ich kann nachempfinden, wie er sich fühlt. Ich habe nämlich auch ziemlich lange auf deine Mutter gewartet“, er lächelte seiner Frau zu.

„Wie alt warst du eigentlich?“, fragte sie.

„Ich, och, ich war schon ein bisschen älter. Nein, um genau zu sein, war ich schon für normale Menschenverhältnisse einundfünfzig.“ – „Stopp, stopp, stopp, Papa! Ich steig hier nicht durch! Was bedeutet, normale Menschenverhältnisse’?“, fragte Luca.

Sein Vater grinste und antwortete:

„,Normale Menschenverhältnisse’ bedeutet: die Zeit in Jahren von deiner Geburt bis genau jetzt. Bei dir wären das 20 Jahre, weil du eben schon zwanzig Jahre lebst. ,Die Verhältnisse der Unsterblichen’, beschreiben das Alter, so wie du aussiehst. Da bist du 13. Und ich versuche deiner Mutter gerade zu erklären, wie alt ich bei bestimmten Sachen war.“

„Wieso versuchst du Mama das zu erklären?“, fragte Luca.

„Weil ich glaube, sie hätte am Ende die gleiche Frage gestellt, weil sie es vergessen hat. Ich hab ihr das nämlich schon mal erklärt!“, er grinste.

„Ja“, knurrte Lucas Mutter, „als ich noch ein Mensch war, ja. Da hatte ich auch noch ein Miniaturgedächtnis.“

Luca kicherte. „Okay, jetzt versteh ich das auch besser. Erzähl mal weiter!“

„Also: Demnach war ich, als wir zusammenkamen, vierundsechzig Jahre alt. Aber natürlich sah ich immer noch wie dreizehn aus. Das Schreckliche war nur“ - er brach ab und sah aus dem Fenster.

„Was war schrecklich?“, wollte Luca wissen. Er war ganz heiß darauf, endlich die ganzen Geschichten über seinen Vater zu erfahren.

„Bevor ich dir die Geschichte erzähle, musst du erst einige Einzelheiten über unser Leben erfahren. Das musste ich damals auch“, wandte sein Vater ein.

„Damit bin ich auch einverstanden.“, sagte Luca fröhlich und lehnte sich in seinen Stuhl zurück.

„Was ist mit Jan?“, fragte seine Mutter, „sollte er nicht ebenfalls Bescheid wissen?“

Lucas Vater lächelte. „Glaube mir, Katharina, er weiß das schon alles. Frag mich nicht, woher.“

Katharina nickte. „Okay, dann würde ich sagen, dass du einfach mal anfängst, Thomas!“

 

„Also zuerst: Es gibt nicht viele, die wie ihr als Unsterbliche auf die Welt kommen. Im ganzen Land sind es insgesamt nur 10 Stammbäume. Da jede unsterbliche Frau nur ein unsterbliches Kind, selten zwei Kinder zur Welt bringt, bleibt die Anzahl klein genug, um etwas Besonderes zu sein“, fing Thomas an.

„Und wie werden die anderen unsterblich, die nicht als Unsterbliche geboren werden?“, fragte Luca neugierig.

„Immer mit der Ruhe. Das kommt jetzt. Die meisten von uns werden aus von den Menschen hierher gebracht und als Baby verwandelt. Wiederum andere Menschen verlieben sich in einen der Unsrigen. Sie werden verwandelt und gelangen so in unsere Welt.

Und ihr beide seid etwas ganz Besonderes.“

„Wieso sind wir besonders?“, wollte Luca wissen.

„Weil ihr eine Aufgabe bekommen habt. Diese lautet:

Findet das bestimmte Mädchen, verwandelt es und bringt es mit in das Land der Unsterblichen. Es hätte allerdings auch anders kommen können. Folgendes wäre die zweite Möglichkeit gewesen:

Finde ein Mädchen, das bereits zu den Unsterblichen gehört.

Das hört sich ziemlich langweilig an, ist es allerdings bei Weitem nicht. Denn, wie du sicherlich schon weißt, ist unser Land ziemlich groß. Und hier das passende Mädchen zu finden, ist wesentlich schwerer als eure Aufgabe.“ Thomas trank einen Schluck Kirschsaft.

„Aber wenn manche von uns als Baby verwandelt werden, müssen sie dann nicht für immer Babys sein?“, fragte Luca. Sein Vater trank noch einen Schluck Kirschsaft. Doch bevor er etwas sagen konnte, schaltete sich Katharina kurz dazwischen.

„Ich bin im Garten. Die Rosen sehen schlimm aus. Außerdem ist der Rasen schon seit der Ankunft überfällig. Bis später ihr beiden!“, sagte sie und verschwand durch die Glastür in den Garten.

Thomas räusperte sich einmal und erklärte weiter:

„Sie altern bis zu einem bestimmten Lebensjahr heran, das ihnen vorgegeben wird. Wird zum Beispiel ein Baby verwandelt, kann es bis zum achtzehnten oder auch bis zum vierundzwanzigsten Jahr altern. Ganz wie es die Vorgabe bestimmt hat.“

„Und warum genau zwischen achtzehn und vierundzwanzig?“, fragte Luca.

„Weil kein Unsterblicher jünger als achtzehn und keiner älter als vierundzwanzig ist“, sagte Thomas.

„Aber du bist doch auch um die neunzig, oder?“

„Ja, wenn du die Jahre zählst, bin ich tatsächlich schon um die neunzig. Aber die Zahlen, 18 – 24, beziehen sich ja nicht auf die Länge deines Lebens, sondern auf das Alter, in dem du stehen bleibst. Außerdem bist du doch auch als Unsterblicher auf die Welt gekommen und in deinem dreizehnten Lebensjahr stehen geblieben, oder?“

„Ja, das stimmt. Aber wieso denn nicht im fünfzehnten oder im zwölften? Wieso ausgerechnet im dreizehnten?“, fragte Luca und trank ebenfalls einen Schluck von seinem Kirschsaft.

„Weil die Ältesten es so vorgesehen haben, Luca!“, erwiderte Thomas.

„Was haben die Ältesten eigentlich mit alledem zu tun?“, fragte Luca.

„Vor rund zweitausend Jahren wurde Ryan, der erste Unsterbliche geboren. Er lebte zur damaligen Zeit noch in der Menschenwelt, bis er im Alter von neunzehn Jahren nicht mehr alterte. Aus Verzweiflung floh er in einen dunklen Wald. Immer weiter und immer weiter, bis er zu einem goldenen Tor gelangte, das aus dem Nebel hervorragte. Ryan öffnete das Tor und fand sich in der Welt der Unsterblichen wieder.

Als hätte man ihn verzaubert, wusste er plötzlich, was er war. Er erbaute mit Hilfe einer seltenen Gabe ein Schloss, das heute als Sitz der Ältesten genutzt wird. Er brachte einen riesigen Rosenquarz in einen ebenso riesigen Raum und entdeckte seine magische Kraft.

So konnte er in die Menschenwelt blicken. Mit der Hilfe dieser Gabe sah er sein altes zu Hause und seine Eltern, die nach ihm suchten.

Er erarbeitete einen Plan und kehrte nach zwei Jahren zurück in die Menschenwelt.

Er verwandelte weitere fünf Menschen: Elisa, Kevin, Mia, Dolran und Alexa. Zusammen bildete Ryan mit ihnen den Rat der Ältesten.

Ein Jahr später gingen sie zurück in die Menschenwelt und verwandelten weitere dreißig Menschen. Zehn von ihnen waren Frauen. Sie alle konnten ein Kind gebären. Sie bildeten die zehn Urstammbäume, zu denen wir auch gehören.

Die Jahre verstrichen und die Ältesten hatten alle Hände voll zu tun. Einige der Verwandelten mussten zurück in die Menschheit, andere mussten warten.

Alle zehn Jahre bringen die Ältesten zehn bis fünfzehn verwandelte Menschen mit hierher. Leider bleiben nicht alle der Unsterblichen am Leben. Einige werden von Orks getötet, die in der Menschenwelt leben.“ Thomas trank einen weiteren Schluck.

„Ich dachte, wir können nicht sterben. Was ist denn nun richtig?“, fragte Luca.

„Wir können hier, im Land der Unsterblichen, nicht sterben. Es gibt keine Möglichkeiten. Es gibt kein Kupfer hier. Du weißt ja, ein Dolch aus Kupfer kann uns, mit einem Schlag ins Herz umbringen. Dieser Stoß kann von allen ausgeführt werden. Meistens sind es allerdings nur Orks, die uns töten. Kaum ein Unsterblicher tötet einen Unsterblichen, es sei denn, dieser tut etwas Verbotenes.“ Thomas schluckte.

„Wenn er was tut? Mein Interesse ist geweckt“, fragte Luca aufgeregt und begann mit den Beinen zu wippen.

„Zum Ersten dürfen sie nicht beliebig viele Menschen verwandeln. Zum Zweiten dürfen sie keine Menschen gegen ihren Willen verwandeln. Zum Dritten darf von ihnen nicht verraten werden, dass sie unsterblich sind. Verstoßen sie gegen diese Regeln, werden sie von einem der Ältesten gerichtet.“

Betroffen schaute Luca zu Boden. Doch nach kurzer Zeit hob er den Kopf und fragte seinen Vater:

„Wieso müssen die Menschen zusagen? Warum das?“, Luca runzelte die Stirn.

„Ja, müssen sie, denn der Verwandlungszauber wirkt nur dann richtig, wenn es die Menschen wollen“, erwiderte Thomas.

„Okay. Aber wenn ich meinem für mich bestimmten Mädchen sage, dass ich ein Unsterblicher bin, bevor sie verwandelt ist, dann ist das doch auch ein Regelverstoß, oder?“

Thomas kicherte. „Nein. Bei euch ist es eine Ausnahme, da eure Bestimmten ja wissen müssen, was ihr seid.“

„Andere Frage: Was sind Orks?“, fragte Luca.

„Orks sind grauenhaft und gewalttätig. Sie treten meistens in Gruppen von fünf bis zehn auf. Sie sehen aus wie normale Menschen, allerdings kräftiger und größer. Ein kurzer Hals, überlange Nasen und riesige Ohren sind einige Erkennungsmerkmale, an denen sich Unsterbliche orientieren. Außerdem stinken sie nach Schwefel. Nicht besonders schön.“ Thomas streckte sich.

„Okay. Was weiß ich denn jetzt noch nicht?“, fragte Luca.

„Du weißt im Augenblick noch gar nichts über deinen bevorstehenden Umzug“, sagte Thomas sofort.

„Ach ja, genau! Das hätte ich fast vergessen. Dann schieß mal los. Ich bin auch ganz leise.“ Luca grinste und Thomas fing an zu lachen. Dann räusperte er sich. „Also gut:

Einer der Ältesten, Dolran, besitzt die Gabe, die Zukunft aller Unsterblichen zu sehen. Also deine, meine, die deiner Mutter und deines Bruders. So sieht er auch, wo du in der Menschenwelt zur Schule gehen wirst und wann du dein Mädchen finden wirst.

Ob du es schaffen wirst, sie zu verwandeln, oder ob sich der Zauber des Alleinseins auf dich legen wird, bleibt Dolran jedoch verborgen. Wenn du dein Mädchen gefunden hast, wird ein paar Tage darauf einer der Ältesten kommen und dir noch mal erklären, wann du in die Menschenwelt gehen wirst.

Ein Elternteil wird dich in die Menschenwelt begleiten. Wenn ihr eure Mädchen allerdings zusammen findet, dann kommen deine Mutter und ich mit.

Wie die Ältesten es regeln, dass wir in die Stadt kommen, wo eure Mädchen leben, wie ihr auf die gleiche Schule kommt, das ist mir ein Rätsel. Du wirst erst kurz vor dem Schulanfang des Jahres, in dem du dein Mädchen verwandeln sollst, in die Menschenwelt gehen. Wenn ihr allerdings eure Mädchen zu unterschiedlichen Zeiten findet, gibt es noch eine andere Möglichkeit.“

Thomas trank einen weiteren Schluck.

„Welche gibt es denn?“, fragte Luca mit gerunzelter Stirn.

„Angenommen du findest dein Mädchen morgen in den Geburtsanzeigen, dann läuft für dich die Zeit, weil du sie ja im dreizehnten Lebensjahr verwandeln musst. Demnach zieht man mit seinen Eltern für diese Zeit in die Menschenwelt und dort in die Nähe des Mädchens. Wenn Jan sein Mädchen erst ein Jahr später findet, kann unsere Familie nicht zusammen in die Menschenwelt ziehen.“

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