Die Pfaffin

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So meint die Magdalen Pichlerin, weil sie ein früh verdorrter Baum ist, ein zeitig ausgeschöpfter Brunnen.



Der jungen Emerenz Pichlerin geschieht aber dennoch hart. Geschieht ihr hart, weil sie der wenigen seligen Augenblick’ entbehren sollt’, wie viel Bitternis nehmet sie dafür hin, ein nicht gar leichtes Kreuz wollt’ sie auf ihr Kalvari schleppen darum. Und hart geschieht der Emerenz Pichlerin darum, weil einer von Zeit zu Zeit nach St. Jakob hereinkommt und an der Widumtür klockt, dem sie dann mit zitternder Hand auftut, der aber ihre scheue Sehnsucht nicht acht’. Er bittet den Schaudermann an kein Sterbebett und dingt sich keinen Verspruchtag, er holt sich für sein schweres Herz nur etlich’ Trostwörtlein vom Herrn Vikar.



Das ist der junge Veit Kramer, dem seine Stiefmutter, die Kreszenz Trogerin, Haus und Hof verramscht, dem sein Vater darüber ein wüster Saufbold worden ist. Er klaget niemandem vom argen Hausunfrieden vor, nur beim Schaudermann tut er manchmal

seinen Sorgenpack ein Lützl auseinander, läßt ihn ein wenig hineinschauen und kann immer wieder um etliche kluge, weise Wort’ reicher von dannen gehn. Sonst könnt’ er das böse Weib lang nimmer ertragen, das ihm der Vater wie ein Kuckucksei in sein Erbe gelegt hat. Könnt’ nicht auch noch in der Argen ein letztes Menschliches achten und verschonen, könnt’ nicht immer wieder über seinen Vater, der ein halbes Vieh worden ist, einen Mantel breiten, wenn er trunken auf dem Mist seiner Armseligkeit liegt, daß keiner, der vorbeigeht, seines Elends zu spotten wagt.



Und diesen großen Kreuztrager liebt die Emerenz mit einer stillen, heimlichen Glut, die etwas von ihren großen Kindersehnsüchten hat. Und vielen und manchen Trost wüßt’ auch sie ihm zu sagen, aber er geht immer still und versonnen an ihr vorbei, ist scheuer als je, ist scheuer als sie selber.



Das ahnt kein Mensch, ahnt der Schaudermann nicht und ahnt die Emerenz nicht, daß ihn schon eine Weil’ des Vikars Trostworte allein nimmer hereintreiben, daß ihm auch der flüchtige Handgruß der Emerenz ein Trost und ein kleines Aufrichten ist. Der Handgruß, wenn er der jungen Pfaffin zuckende Finger wie einen scheuen Vogel in den seinen hält und die jagenden Pulse fühlt, wenn er ihr blaues Auge warm aufleuchten sieht in der dämmerigen Labediele. Dann denkt er wohl auch voll heimlichen Mitleids: Das ist auch eine, die heimlich verblühen muß, weil der Rechte ihr nie in den Weg kommen wird, dem eingesperrten Finklein, das kein freies Bauernkind hat werden dürfen.



Er ist auch kein freies Bauernkind mehr. Ihn binden des eigenen Vaters Verblendung und eines Weibes irrwegige Bosheit an die verblutende Scholle, bis er selber verblutet ist. Er darf kein Weib an das verlotterte Gelumpe daheim verkaufen, nicht die armseligste Dirn in so ein Fegefeuer schicken, eine Pfaffin schon gar nicht. Er nicht; der Vater hätt’ es dürfen damalen, er darf es heut nimmer, es ist alles verspielt und vertan. In Gottes heiligem Namen, einen breiten, breiten Buckel hermachen. Der junge Veit Kramer ist ein weltstolzer, himmelsdemütiger Kreuzträger im Herrn. Und die Emerenz Pichlerin hat schon von klein auf nach Absonderlichem getrachtet; etwan tut sie auch darum just diesem Veit heimlich beide Herztüren weit auf, mag er noch so blind und taub vorbeigehn.



Ich wüßt’, wo die meine ist, und will sie grad nur zuweilen anschaun, das muß mir leicht genug sein für alle Lebenszeit. Mehr denkt der Veit Kramer nicht über sein großes Verzichten, er rauft um die Scholle. Der junge Veit ist ein Geschworener, so sehr achten die Leut’ den Sohn - trotz des trunkenen Vaters und der argen Weibin, die er Mutter nennen müßt’. Aber auch dies Amt legt der Veit wieder nieder. »Mir steht es nit zu, wenn ich mich nimmer erwehr’, ist der Schuldturm meiner Ehre End’.«



Es ist eben um die Zeit, da der Tod an des Schaudermann Bettseiten das Uhrenglas schon nimmer aus der Hand läßt, wie der Veit Kramer sich noch einmal bei dem Sterbenden Trost holen will. Aber er kommt auch um der Emerenz letzten, flüchtigen Händedruck.



Die Mutter Magdalen kann ihn nimmer in die Sterbekammer lassen, und die Emerenz will in die Kuchl flüchten, und er hätt’ doch all beide so bitter nötig gebraucht. Da heißt ihn die Pichlerin eine Weil’ in die Kuchl sitzen, sie könne den Sterbenden nit in letzter Leibesnot alleine lassen. Für des Schaudermann Unsterbliches sei eben ein geistlicher Freund kommen, der geleitet sein’ Seel’ bis zum großen Welttor hin; über die Schwellen hinaus kommt niemand mehr mit. In der Kuchl sitzt der Veit langhin stumm vor der Emerenz, und weil sie auch noch allweil kein Wörtl wagt, würgt er sich endlich das Schlimmste vom Herzen, das er dem Schaudermann hat auspacken wollen.



»Den Vater hab’ ich gestern begraben.«



»Oh, aber er wird wohl gerastet gangen sein, hat wenig Freud’ zurücklassen müssen«, will sie trösten und schnauft denno erleichtert auf. Ein Kreuz hat der Veit nun wohl weniger zu tragen, denkt sie.



»Er ist nit gerastet gangen«, sagt der Veit schwer und trüb.



»Nit?« Der Emerenz wird ganz bang um den Ernst des jungen Menschen.



»Es ist etlich Wochen her, hat der Vater einmal das Weib in rauschiger Verzweiflung geschlagen, ich selber hab’ sie ihm müssen aus den Fäusten reißen, er hätt’ sie sonsten derdroschen. Seitdem ist sie oft irr im Kopf, bei gutem Trost ist sie wohl so nie im Leben gewesen. Der Vater aber hat sein Schuld ganz ersaufen wollen. Da hat’s ihn gach geworfen vor zweien Wochen. Kein Tropfen hat er mehr anschauen wollen, kein Aug’ mehr schlafen wollen voll bitterer Reu’ über alles, auch weil er die Hand aufgehebt hat wider seine Peinigerin. Die Liebe Gottes werd ihm verzeihen, in seine Wunden hat er die letzten Zacher geweint, die Gnad’ ist ihm noch worden.«



»Und was denn jetzund?« haucht die Emerenz.



»Jetzund muß ich wohl schauen, wie man mit ihr zu fahren kommt; halt fest die Faust im Sack stecken; will mir um ihretwillen nit annoch die Hand versehren und die Sterbestund’ vergällen.«



»Bist dir genug so allein wider den weibischen Teufl?« Ängsten stehn auf ihrem Gesicht.



Und der Veit wird blaß wie die Wand, hat sie ein Ahnen, was ihn daheim erwartet; daß das Ziefer auch ihn noch eingarnen möcht’ ins Netz, halb irr geschlagen vom Vater, hat sie immer noch ein Ziel vor den Augen. Aber die letzten Wiesen und Ackerflecklein will er noch aus ihrer Teufelsklaue reißen, die Schollen, die heilige Schollen, einen Rest will er sich noch erretten!



»Sollst dir ein Weib heimnehmen, deucht mich.« Die Emerenz flüstert den Rat, und brennend vor Scham und Verlangen zugleich wird ihr Gesicht.



Da loht ihm das Herz auf in der Brust, aber er wehrt sich, er ist ja das Wehren gewohnt. »Nit, o Emerenz, nit, nit um mein Leben, bei dem Raufen kann ich ein Weib nit brauchen, da muß ich wohl Schwung haben stubenein, stubenaus - es kann nit sein.«



Da birgt die Emerenz ihr Gesicht in den Händen und schluchzt bitterlich auf. In ihm dröhnt das Herz gegen die Brustwand, es will aus, braust das Blut und würgt ihm die Kehle, der Atem will ihm vergehen. Aber er wehrt sich, ganz rauh ist seine schwankende Stimm’: »Was weinst denn so, Emerenz, wein nit!«



Die rauhe Stimm’ scheucht ihren Stolz wieder auf, der sich vor der großen Liebe hat ganz niederducken müssen: »Weil …, es ist soviel Elend in mir und Verzagen.«



Den Veit Kramer schüttelt es wie im Sturm.



Die Emerenz sucht eine Ausred’, sucht ein’ Strohhalm, daß sie nit versinkt vor seiner und ihrer eignen Qual. »Weil, weil unser Herr Vikar im Sterben liegt - weil, weil alles so viel traurig ist auf der Welt.«



Jetzund schnauft der Veit auf wie erlöst. Und wird dennoch fahl im Gesicht, seine Schultern fallen ab, wie unter einer drückenden Last, wie in großer Müdigkeit, schwer ist dies Wehren und Raufen gewesen, schwer wie nit bald was.



Die Emerenz weint stille vor sich hin, läßt das Gesicht verhüllt, zeigt es ihm nimmer, ist still und stumm, nur das ergebene Weinen schüttert ihren jungen Leib.



»Glaub’ es dir wohl, ist wie ein Vater gewesen, glaub’ es dir wohl, Emerenz.« Und ganz lind streicht seine Hand über ihr weiches Braunhaar. Sie zuckt weh zusammen, er kann es doch nimmer linder tun, wo seine Händ’ so schwer von Arbeit und Kreuztragen sein.



Dann geht er stille fort, hat solche Schwäche in allen Gliedern, daß ihm die Tür aus der Hand kommt und grob zuschnöllt, daß der Verscheidende droben noch einmal die Augen aufreißen muß. Sie folgen ihm nimmer, sie sinken. - Das heiß drängende, bittersüße Leben pocht vergebens noch einmal an diese Pforte.



Und wie die junge Emerenz Pichlerin mit ihrer Mutter an des Schaudermann Totenbett kniet, ist noch immer das stille, schmerzlich ergebene Weinen in ihr.





* * *





Daß der Emerenz Wangen schmal und blaßelet werden, schreiben sie dem Schmerz um den Heimgegangenen zu. Daß in des Vikar Schaudermann Todesstund’ auch ihre junge Liebe hat versterben müssen, wer kann das ahnen. Die Mutter Magdalen nicht; ihr Sinnen ist der Liebe zu sehr abgewendet, sie kann sich ein liebend Herz nimmer vorstellen. Die Emerenz Granteggerin auch nicht; sie ist zu fromm und zu weltfremd. Und so kommt es, daß eine böse Wunden ungewartet schwären und ungesalbt vernarben muß.



Und daß dem Veit Kramer nicht viel Jahr’ über die Dreißig das Haar über den Schläfen schon stark zu grauen beginnt, das, mutmaßen die Leut’ wieder, hätt’ seines Vaters elender Tod verschuldet und das böse Gewüte seiner Stiefmutter.



Wer kann es ahnen, daß er auch noch ohne Herz leben muß?



Dem Veit Kramer sein Herz ist in der Widumkuchl zu St. Jakob drinnen unter einer Steinquader begraben. Ob es auch rostet und falbt, wie der Wallensteinorden unter der Lärche droben beim Holzer?

 



Rosten und falben wird es wohl nicht, es wird noch eine Weile bluten.



Ja, bei dem Raufen hätt’ er ein Weib nie brauchen können, und wär’ es nit um das Restlein väterliche Schollen gewesen, er wär’ zu gern geflohen über Berg und Tal. Nach vielen, langen Wochen hat die Kreszenz Trogerin endlich ausgetollt. Früh gealtert, sich selber verraten und verkauft, zwei Mannsleut’ mit ins Elend gerissen und jetzund zum armseligen Schluß ein stiller Narr worden. Pflegsüchtig ist sie wie ein Wiegenkindl. Der Bettschragen ihre ganze Welt, eine aufgedingte Warterin ihr letzter Freund.



Das kostet dem Veit Schollen um Schollen, Handbreit um Handbreit Kramerischen Grund und Boden, altverbriefte Rechte, die schwere, gute herbe Bauernerde bröselt ihm durch die Finger wie Sand, Sand.



»Warum denn mich auch, Herre Gott?« schreit er manchmal verzweifelt auf. Dann ist ihm, als ob er des Schaudermann Trostwort hören tät’.



»Lieber Veit, wär’ dir wahrhaftig leichter, wenn du verschuldeter büßen müßt’? Es gibt viel schwache Menschen, die ihr’ Bürd’ nimmer ertragen, das lad’t er halt den Starken mit auf; du bist ein Starker, Veit, sei froh.«



Dann geht es wieder große Wegstück’ im Frieden der Seele weiter. Geht Tag und Jahr in Gottes heiligem Namen.



Die Witib Magdalen Pichlerin kann beim neuen St. Jakober Pfarrherrn bleiben. Die Emerenz aber ist herangewachsen und muß ihr Brot leicht woanders verdienen, vermag wohl eines Pfarrers Haushalt selber zu führen, denn der St. Jakober Zehent und die Giebigkeiten sein nit danach, drei ausgewachsne Leut’ zu ernähren und zu gewanden.



Und die Emerenz hat’s gut getroffen, ist draußen beim St. Veiter Vikar aufgenommen worden. Der stillen Mutterliebe ein Rückl ferner, der heimlich-bittern Lieb’ zum Veit Kramer ein Rückl näher; aber wer heimlos ist, darf sich nit an die kleinste Zaunspelte klammem, muß wandern, kurze oder lange Wege, wie es ihm auferlegt ist. Am letzten Abend ist’s, wie Mutter und Kind noch einmal in der dumperen Kuchl sitzen, daß die Magdalen ihrem Kind vom Holzergütl erzählt. Von ihrem Daheim draußen in St. Veit erzählt sie. Das Davidle hat sich schon in die drei Jahr’ nimmer anschau’n lassen, aber sie hat reden gehört, es soll überm Sommer immer noch ein Zeitl in ihrer alten Heimat hausen. In dem armen Geschlitter ist es ihm frei nichts zu gut. Daß er nimmer hereinkommen ist zu ihnen, werden wohl auch seine datterigen Füß’ daran schuld sein, und der Spieldocken, die er allweil mitgebracht, ist die Emerenz so schon eine Weil’ entwachsen. Aber einmal soll sich die Emerenz denno auf den Weg machen und die liebe, verlassene Heimat aufsuchen in ihrem Namen.



»Mir selber will ich die schwere Wunden nit wieder aufreißen, du hast es, dem Herrn sei Dank, ja noch nit empfunden, wie weh es gewesen, weil ich von der lieben Heimstatt hab’ lassen müssen.«



Von den Stuben, von den Kammern redet die Magdalen, von dem alten Lärch, vom Wallensteinorden, der drunter verscharrt liegt.



Da sein der Emerenz Augen dunkel und hart. Das ist, was sie nimmermehr verstehen kann. Um so ein Poßlzeug sein sie heimlos worden, müssen Mutter und Kind sich auch noch trennen, müssen sie herumdienen in der Welt.



Lange noch sitzen Mutter und Kind schweigend voreinander. Und also ist die Emerenz im St. Veiter Widum, ist es zufrieden, muß es ja sein. Den Veit Kramer kriegt sie völlig nie zu Gesicht, es ist Langes und Aussaatzeit. Sie versieht ihr Hauswesen, er schuftet und schanzt von früh bis spat im blutigen Robot seines armen Erbes.



Die Kreszenz Trogerin ist ein Siechenweiblein worden, eine Last, ein Fluch Gottes, ein auferlegtes Kreuz. Und der Veit Kramer trägt es, schaut nit hin und nit her, hat kein Ranftlein Zeit dazu. Nur nächtens, wenn er trotz aller Müdigkeit oft langhin wach liegen muß, spürt er Sand zwischen den Fingern rieseln. Und wenn er einmal Sonntag der Emerenz unter die Augen kommt, neigt er den Kopf ein wenig vornüber, das ist sein stiller Gruß, sie kennt ihn wohl. Die Emerenz aber zwingt sich zu einem kleinen Lacherlen; es ist beileibe kein junges mehr, wo sie doch erst wenig über die Zwanzig ist, aber es ist ein lichtes Schimmerlein, über viel dunkle Sorgen.



Einmal an einem Feiertag bittet sie den Herrn Vikar um Freizeit und will bergauf zum Holzer, der Mutter Auftrag zu erfüllen.



Sie ist aber auch von einem eignen Sehnen getrieben. Die Stube, die Kammern, die Herdstatt, die alte Lärche möcht’ sie sehn, und auch das Stücklein Erden, auf dem ihr Vater einmal gepflügt und geackert. Und wo sie stille steht und wo sie verschnauft, muß sie Bitteres denken. »Mein Daheim soll es sein - Vater und Mutter soll ich droben aufsuchen können; wie leicht wär’ das Dienen dann. Warum bin ich nit das worden, was mir von Gottes Rechts wegen zugestanden wär’? Wenig Ruh’ werd mir auf der Welt beschieden sein.«



So geht sie zum erstenmal im Leben den Niesenwald aufwärts, und weil sie in die Lichten tritt, sucht ihr Auge voll Sehnsucht nach einer Freude. Es ist aber ein betrübliches Stück Land. Wild und verwachsen, alles verlassen, das Stubenhaus wie ein Rauberschlupf. Die Brunnstuben verfallen, der Trog vertrocknet und geborsten, der Brunnquell weiß wie viel Jahr’ her schon verronnen, versickert. Die Lärche steht falb, verwittert und überständig, der Hofzaun vertreten und morsch, die Gatter hängt aus den Angeln und garretzt hin und her, weil sie die Emerenz streift und traurig übers Hofmarch tritt.



»Das soll eine Heimat sein?« fragt sie verzagend und setzt sich hin unter die Lärche, die so schütter ist, daß sie kaum mehr Schatten dergibt. Sie kann sich nicht freuen des Anblicks, sie muß weinen vor Weh und bitterm Verlassensein.



Ins Haus will sie gar nimmer, das hat ein gar zu wüst Gesicht; dies Haus, wo Vater und Mutter einmal gehaust, ist heut nur mehr ein Freithof.



Ein Bergfink zirpt sie vertraulich an, aber weil sie die Hand nach ihm ausstreckt, fliegt er auf und davon. Sie ist so voll Sehnsucht gewesen nach dem einzig Lebendigen, hat es nicht verscheuchen wollen. Die Emerenz hat ihr Weh noch lang nit verwunden, da schreit sie eine krächzende Stimm’ an: »Hoi, hoi! Was hat denn der Teiglbam, daß alle Weibsleut’ drunter greinen müssen? Was ist denn grad das?« Ein Nörgele steht vor ihr, uralt, aber zwischen graugrünem Bartwust lachen ihr zwei kreuzfidele Augen entgegen.



Die Emerenz springt auf: »Das Davidle!«



Mit dem Fürtuchzipfl wischt sie sich das verweinte Gesicht trocken, daß das frohe Lächeln drauf besser Platz hat. »Hast kein’ Docken für mich?« fragt sie auf einmal ganz übermütig.



»Dundersdirn, Dundersdirn, was fallt denn dir ein, die Emerenz, du ein’ Docken? Ja weiter, was denn, du brauchst eine Wallfahrt für einen guten, schönen, für einen braven Mann!«



»Tust du dasselb’ awohl, für andre Leut’ wallerfahrten gehn?« lacht sie hellauf.



»Alles tu’ ich, was Gott angenehm und den lieben Mitmenschen nit gar zuwider ist!« grölt das Mandl und haspelt von einem Fuß auf den andern; ganz rebellisch ist es vor Freud’. »Jetzund aber geh einer ins Haus und schneid dir a Brot ab in deiner Heimat, Holzerdirndl du!« Die Emerenz will was sagen, möcht’ sich noch gern wehren, er aber läßt ihr nit Zeit dazu.



»Ja, da unter dem Lärch hab’ ich dein’ Mueter zum erstenmal getroffen, nach ihrem Kindsvater hat sie geschrien, wie nur ein Weib schreien kann in seiner ärgsten Not. Du hast heut awohl schon gegreint da im mageren Schatten, hast also dein Schuldigkeit getan, bist deiner Mueter Kind und deines Vaters Waisl; aber lustig hellauf, ein Fleckl Erden ist allweil noch dein!«



Das Davidl führt die Emerenz ins Haus. Unter der Labentür schaut er sie zum andermal an, und seine verschmitzten Augen blitzen ganz verwundert auf. »Ja, ja, wallerfahrten, bis in die Maria Luggaue, muß ich für deiner gehn, das ist eine gar gewichtige Sach’, das wohl; o Sakradirndl, hast du dich prächtig verwachsen!«



Dann torkelt er der Emerenz voran, in die finstere Rauchkuchl hinein. Auf der Herdstatt funkelt noch ein Glütlein, die Luft ist voller Ruß und Pechgestank, ein geiler Ruch von versottener Rübsuppen liegt unter den dichten Rauchschwaden gebannt und benimmt einem völlig den Atem. Die heiße Mittagssonn’ druckt alles nieder, drum hat die Emerenz auch keinen Hüttenrauch steigen sehen, hat meinen müssen, das Haus sei leer und ganz ohne Leben.



Und nun lebt es doch, aber wie es lebt.



Jetzt, weil sie mit tränenden Augen sich tapfer vorwärtstappt, kann sie langsam die Dinge um sich unterscheiden und den elenden Hausrat sehen. Der Kuchltisch ist zerkloben, zerschunden, drauf kliebt das Davidle wohl grad Spanholz, und arg vertrenzt ist das grauschwarze Holz von allerlei Gesuppe, das Davidle ist ein fackisches Hausgeistl. Die Emerenz kriegt schon ein Würgen im Hals, weil ihr das gastliche Mandl so voller Freud’ ein halbes Brotlaibl hinschiebt und ein verrostetes, klebriges Steckmesser aus der Lederscheiden zieht und daneben hinlegt.



»Emerenz, Emerenz, jetzund mußt Brot abschneiden, tu mir ja die Ehr’ an. Holzerbrötl ist es wohl keins, scho Narre, wo soll es auferwachsen! In der Starritzen drinnen hab’ i’s gelottert, aber a Brötl ist allweil ein heilig Ding. Mir geht es halt guet, brauch’ nit saanen, nit dreschen und nit mahlen, i leb’ decht!« Damit stößt er mit den Füßen die Gadentür auf, foppt und lacht und spaßt aus übermütigstem Herzensgrund.



»Dirndl, Dirndl, heut bist du meine hohe Gastin. Narre, hätt’ i das geschmeckt, daß du um die Wege bist, hätt’ i leicht a Zöggerl voll Gekrapfe zusammenderlottert. Aber schmeck’s mit einer alten, rinnenden Nasen!«



Die Emerenz späht vorsichtig ins dämmerige Gelaß hinein. O liebe Zeit, schaut’s in dem Gaden drinnen aus! Die Fensterstangen hat wohl einmal ein Diebskerl aus dem Mauerwerk gestemmt, im Meinen, er könnt’ seinen Hunger stillen herinnen. Dem trockenen Viehmist nach, der schon schuhtief auf der Erden liegt, nehmen Geißen und Schaf’ hier ihren Wetterschutz. Von einer verdreckten Drahne nimmt das Davidle einen irdenen Schüsselscherben herab, auf dem ein gansgelbes Lotterbatzl liegt, faustgroß, wie es die Bäuerinnen aus dem Butterfaß heraus für die Bettlleut’ formen. Das stellt er ganz stolz der Emerenz vor. »Iß, iß, liebe Gastin, und laß dir’s gut schmecken!«



Die Emerenz möcht’ ihm trotz allem Grausen gern die Ehre antun, aber mit dem versauten Messer sich Butter anschneiden – ihre Augen suchen über den Tisch hin. Da reißt das Davidle wie erleuchtet die Tischlade heraus und scheppert etliche Holzlöffel durcheinander; der Wust, der sonst auch noch drinnen ist, geschmiedete Nägel, ein Stückl Schleifstein, Lunten und Zunder zum Feuerschlagen, schwarze Grallen von einer zerrissenen Betschnur, alles rührt er gach durcheinander; von den Löffeln ist keiner mehr ganz, den mit dem kleinsten Schaden sucht er heraus, ist der seine; o Jammer, ist wohl auch der schmierigste. Sommerlang wischt er ihn nach dem Essen nur mit seinen schrundigen Fingern ab; einen Wassertropf’ hat das Ding schon lang, lang nimmer gesehn.



»Iß lei grad, iß lei grad! Bei mir kannst das Butterschmalz awohl mit Löffeln essen, für mich werd im ganzen Tal Butter geschlagen, iß lei grad! Bist ja meiner Hausherrin einzig Kind, bist ja ein richtiges Holzerdirndl!« Und er nötet ihr den Löffel voll Eifer in die Hand.



Jetzt weiß die Emerenz gar nimmer, wie tun. Aber derweil das Davidl schwatzt und schwatzt und in der Rauchkuchl umschießt, schabt sie sich am Löffelrand heimlich das Messer rein, so gut es sich tun läßt. Schneidet sich nun ein Ranftlein vom greinsauren Brot und streicht auf die graue, gleime Schnittflächen ein bißl vom gelben, ranzigen Butterschmalz. Also würgt sie mit gutem Mut Stücklein um Stücklein hinunter. Wenn es dem Lottermandle Tag um Tag so recht und gut ist, wird es sie das einemal auch nit umbringen. Dann läßt sie sich vom Davidle in die oberen Kammern führen. Ganz stolz will er ihr zeigen, was alles zu zeigen ist, wo sie einmal auf die Welt gekommen. Die altersmüde, ausgedörrte Stiegl schwankt unter ihrem jungen, vollsaftigen Gewicht. Spinnweben hängen vom Gebälk herab, schwarz und schwer vom jahrelangen Staub und Ruß. Die Dielenbretter krachen und ächzen von den ungewohnten Tritten, die Fugen klaffen auseinander, da herauf ist das Davidle all die Sommer nie gekommen; warum denn Stiegen steigen, wenn einen so gar kein Wunder plagt? Die Kammertüren hängen halb aus den Angeln, und drinnen in den Bettschragen liegt zerwühltes Stroh, von Mäusen zerbissen und zerzaust. Ein verschwärztes Bild hängt schief an der Balkenwand, ein Kräuterbüschl steckt in einer Klunsen; wie die Emerenz darüberfährt mit der Hand, raschelt und staubt es.



»Schau, Emerenz, da bist auf die Welt kommen. Dieselb’ Nacht bin i zum erstenmal beim Holzer unter Dach gelegen, hab’ dein’ ersten Schrei mit mein’ Vergeltsgott begrüßt, weil dein’ Mueter gut gewesen ist mit mir. Dieselb’ Nacht hab’ i awohl etlichmal hingehorcht, ob dein Vater nit denno wieder heimkommt. Aber hab’ mir’s ja gleich gedenkt, wie er mir übern Weg gelaufen ist, der greift gar weit aus und kommt lang nimmer heim. Ist so gewesen, ist nimmer umkehrt.«

 



Ein Mäusl raschelt im Stroh, unter einem Deckenbalken zirpen junge Bergschwalben. An eine schwere Truhen geht die Emerenz heran. Muß eine alte Brauttruhen sein, hat geschnitzeltes Rahmenwerk und geblümelte Felder. Neugierig will sie den Deckel heben, er ist schwer, das Davidle hilft ihr. Das ausgedörrte, wurmstichige Holz garretzt, und ein verstaubter Ruch von vielerlei Kräuterwerk steigt ihnen scharf in die Nasen. Ein Sonnenstreifen schielt neugierig in die geheimnisvolle Tiefe des Truhenbodens. Dort liegt, Schütt um Schütt nebeneinander geschichtet, Melissen- und Münzkraut, Kalmus, Speik, Himmelbrand, Alraun- und Nießwurz, etliche Wachsfladen. Viel kleine Kastlein sein an der rückwärtigen Truhenwand. Die Emerenz zieht an den vergriffenen Knöpfen. Manche sein leer, nur am Boden vermoderter Unrat, in ein und dem andern liegt kleiner, vergessener Plunder. Eine Lichtscher’, klein verrostet, ein verbogener Talgleuchter, eine verrußte Schelmlatern’ voll Unschlittresten. Ein Spielhahnstoß, den die Milben halb aufgefressen haben, ein roter Zopfbötl, wie ihn die Bräute ins Haar flechten, ein bunter, zerschlissener Brustich, von den Schaben ganz verwüstet. Die Emerenz kriegt heiße Wangen. Da ist Atem der Heimat, aus dem sie herausgewachsen ist, eh sie hineinwachsen konnte. Eine hölzern’ Gespattl, spröd zum Brechen ist das dünnblättrige Holz. Schnallen und Haften sein drinnen, eine grüne, seidene Nestl, wer mag sich über den Brustich das Mieder geschnürt haben damit? Etwan Vaters Ähne? Wie Zunder ist das Zeug. In einem der Kastlen liegt ein schöner Glitzerbuschen mit einem langen, geblümelten Seidenband, rote Rosen und goldene Blätter hinein gewebt. Das Stück hat gar von den Schaben noch Ruh’ gehabt.



Die Emerenz nimmt den Fund an sich, muß ein Hochzeitsbuschen sein, die Farben frisch und voller Lebigkeit, gar nit viel

zerknittert.



»Den kann dein Vater noch tragen haben, ist nit alt und ein schön Stückl«, mutmaßt das Davidle.



Die Emerenz nickt nur, schließt wieder Lädlein um Lädlein, behält den Buschen und will den Truhendeckel zutun, tut ihn wieder auf, als ob sie das schöne, geschmiedete Schnappschloß wollt’ prüfen. Spreizt den Deckel zum andermal an die Kammerwand und läßt die Augen durch den Raum schweifen. Am Bettschragen bleiben sie hängen und werden ganz dunkel; schwere Gedanken kommen über sie. »Oh, wär’ ich damalen auf dem Stroh geblieben und nie auf den Boden zu stehn kommen!« Daß es Heimweh ist, weiß sie selber nit, wie soll sie das Heimweh kennen, wenn sie keine Heimat kennt? Den Truhendeckel laßt sie ungut fallen, daß es einen lauten Schnöller tut und der Staub ringsum erschreckt auffährt wie graue Schleier der Vergessenheit. Und dann geht die Emerenz noch auf den Sölder hinaus. Oh, da haben Wintersturm und Regenschauer arg gehaust. Für gerade Glieder ist es nicht ratsam, sich auf dem Lustgangl da lang zu ergehn. Aber das Tal breitet sich friedvoll zu den Füßen, dunkel schimmern die Wälder und goldig leuchtet das Korn, Atem der Heimat sättigt berauschend die Lüfte. Der St. Veiter Kirchturm funkelt in der Sonn’ und die Emerenz schrickt auf.



Sie muß ja wieder abwärts, der Herr Vikar möcht’ greinen, wenn sie ihrer Pflicht so unverlässig ist. Das Davidle ist auch ein bißl mundmüd worden, schaut aber die junge Dirn immerfort an. Wie sie sinnt und stumm bleibt, den Hochzeitsbuschen an die Brust drückt, die Rosenbänder umschmeicheln ihr dunkles Gewand im leichten Wehen, der offenen Türe Luftzug bewegt sie leise.



Jetzt wendet sie sich wieder der Stiegl zu, das Davidle tappt ihr nach. Drunten stoßt er noch die Tür zur Stuben auf. Die tragt wenigstens Spuren von seiner Behausung. An der getäfelten Wand hängt altes, zerlumptes Gefatze, und die Decken sackt in der Mitte nieder, bald wird sie als wüster Haufen auf dem Stubenboden liegen. Auf dem Tisch liegt Davidles Plunder verstreut. Wann ist zum letztenmal drauf gegessen worden? An dem Morgen, wie der Vater auszogen ist?



Das Davidle redet in ihr Sinnen hinein. »Essen tu’ i allweil in der Kuchl, wenn man wohl blinder auch zum Maule

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