Die Pfaffin

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»Kommt nit vom Magersein, ist was anders«, will die Granteggerin wissen.

»Scho, Narre, was werd etwan das sein?« sagt sie für sich, etwas versonnen.

»Was meinst?« fragt die Holzerin bang.

»Drei Falten über der Stirn, für ein Dirndlein viel zu viel Weisheit. Wenn’s ein Bueb wär’, kunnt’s ein’ Magister, ein’ Gerichtsherrn, kunnt gar ein’ Kardinal abgeben. Hinter drei Stirnfalten steckt dreierlei Weisheit, ist für ein Dirndlein vom großen Übel. Hüt es gut, das Kind! Sollst die Kirchen nahender haben, sollst mit dem Kindl bei unserm Herrn aus und eingehen können wie in der eignen Labediele. Bei euch zu Holzer droben ist die Kirche gar weit vom Schuß.«

Die Holzerin ist ganz stumm und dumm vor Schreck. Heiße Angst steht in ihren aufgerissenen Augen. Froh ist sie nur, weil ihr die Granteggerin das Kindl wieder auf die Arme legt und sich der Starritzen zuwendet. Wie hat sie gesagt? Sollst mit dem Kindl bei unserm Herrn aus und ein gehn wie in der eignen Labediele? Wenn das wahr ist, darf sie dann länger da in der Einschicht heroben bleiben? Müßt’ sie dann nicht die Schollen Schollen sein lassen? Oh, was einem ein einziger Tag alles über den Weg werfen kann! Das Holzergütl schaut ihr entgegen, wie ein Vertrautes schaut es sie an. Der Veit hat sie einmal voll Freuden in das arme Gehaus seiner Väter geholt. Ist gar nicht lange her - und doch wieder lang. Die Zeit her hat sich ein hoher Berg zwischen ihnen aufgeschichtet, ein wüster Berg des Grollens. Das da heroben aber ist verblieben, ist Heimat. Beim eigenen Bruder, in der Kindheit Heimat, ist sie lang schon fremd geworden, seit die Eltern unter der Erde sind. Heimat ist ihr das arme, braune Hüttl mit Stall und Stadl, mit Wiese und kleinem Ackerland. Notige, bluteigne, vielliebe Heimat. Einer ist der Heimat untreu worden. Soll sie es auch noch werden? An der Lärche vorbei geht die Magdalen, nur mehr etlich schwere Schritt; noch schwerer ist ihr Sinnen.

Das Davidle steht vor der Tür, hat die Händ’ tief im Sack und laßt Arbeit Arbeit sein. Er ist zu müd und zu mürbe, sich um die Zeit noch warmzuschanzen da am zähen Holz, das er fürs Herdfeuer aufklieben will. Er friert. - Wenn nit die arme, verlassene Weibin wär’ ...

Und die Holzerin denkt sich zu anderer Sorg’ die neue hinzu. Wenn nit der arme Lotter auch noch wär’! Ohne Heimstatt überm strengen Winter. Ein Jahr wird er wohl noch hausen wollen da heroben bei ihr. Etwan kommt der Veit dann heim, etwan ist er schon müd und abgezeitiget bis dort. Der Veit, in einem Jahr, oh, wie sie ihn kennt, in einem Jahr wohl nicht. So einer nicht, der kein Begier hat nach Weib und Kind und Heimat. Bitter ist die Magdalen Pichlerin.

»Ist dir kalt, Davidle? Der Jochwind blast scharf her, da bei uns heroben.« Das Kindl drückt sie wärmend an die Brust.

»Das Kindl werd viel frieren müssen da in den letzen kalten Kammern«, jammert das Mandl und denkt dabei auch an seine Not.

»Könnt’ es leicht wärmer kriegen, wenn ich wollt’, wenn ich könnt’ - der Herr Vikar von St. Jakob möcht’ haben, daß ich ihm Hauserin mach’, tät’ mich gern nehmen mitsamt dem Kindl.«

Da springt das Davidle zappelnd hin und wider und schreit sie in Freuden an: ,,O Holzerin, wenn das ist, pack zusamm’, ich packet gern mein’ Sach’, so ich eine hätt’, und wandert’ wieder Lüentz zu, wenn du so wohl geborgen wärst. Holzerin, mir wär’ damit wohl geholfen, weil ich die Kälten flieh’ wie der Teufel das Kreuz.«

Die Magdalen laßt den Kopf auf die Brust sinken, das Kind ist ihr schwer im Arm: »Wenn das ist, bist frei von Stund’ an, soll dir wohl geholfen sein.«

»Was bist du für eine Gute, so sag’ ich dir grad noch viel tausend Vergeltsgott und mach’ mich auf und davon. Bis in die Starritzen geht’s heut noch, die Nächt’ sein dort schon minder kalt wie da heroben!«

Die Holzerin ist bitter bis ins Herz hinein. Jetzund ist sie ganz verlassen. Nit einmal ein Lotter bleibt um Gottes willen bei ihr.

Das Davidle ist überlings zum Gehen bereit. So legt sie das Emerenzelein in ihrer zugigen Kammer in den Bettschragen hinein und binkelt dem Davidlein was zusammen. Ein bißl Gewand vom Veit, Brot und Speck, einen gebrennten Kräuterer. Münz hat sie keine im Haus, seine Arbeit und Hilf’ zu lohnen, nur ein herbes: »Vergelt’s Gott!« Er horcht nicht auf das und nicht auf was anders, hat selber nur flüchtigen Dank und dankt ihr mehr fürs Gehendürfen wie fürs Bleibenkönnen.

Langhin schaut die Holzerin dem Lotterdavidle nach. In der Kammer droben greint das Kindl auf, da geht sie ins einsame Haus hinein. Zwei Nächte lang durchwandert die Magdalen Pichlerin Stuben und Kammern, geht von einer Fensterluken zur andern und schaut in die mondscheinige Nacht hinaus. So viel schön ist es da in der Höh’ heroben.

Drunten liegt das Dorf in lieber Ruh’. Die Kirchturmspitze falbt dem Sternhimmel entgegen, als ob sie stille Sehnsucht hätte. Herbstnebel steigen aus dunklen Ackerflächen empor. Hüben wie drüben wuchtet der Wald und über dem Wald der Berg. Und alles, was aus dieser Erden steigt, atmet lauteren Frieden.

Drunten wird es nie mehr so sein! Unter Botmäßigkeit muß sie stehn. Heroben ist Einsamkeit. Aber ein freier Mensch ist sie gewesen. Hat ihr nur Gott und die Not befohlen. Und wenn sie auch mit dem Kindl allein hausen müßt’, es müßte wohl zu schaffen sein in der Liebe zur Heimat. Aber wenn sie an die Granteggerin denkt, was die gesagt, wegen der drei Falten auf des Kindes Stirn, das treibt sie niederwärts zu den Menschen! Treibt sie niederwärts, dem Herre Gott vor die Füße! Was nutzet das Freisein, wenn man die Banden der Sünde ums Herz trägt? Über den Bettschragen wirft sie sich weinend, wo sie das Kindl vertrauend empfangen, wo sie es bitter schmerzlich geboren.

Am dritten Abend steigt die Magdalen Pichlerin mit dem Kindlein am Arm niederwärts. Klopft ans Widumtor des Barthlmä Schaudermann, klopft mit dem Klöppel, zag, zag. Er selber tut ihr auf: »So kommst du doch, komm in der Liebe Christi.«

»Ich komm’ nit wegen der Not, nit wegen der Einschicht, ich komm’, weil die Emerenzia Granteggerin sagt, das Kindl da hätt’ drei Falten über der Stirn, und das sei für ein Dirndlein von großem Übel. Sie sagt, ich soll nahender zur Kirchen, soll mit dem Kindl beim Herre Gott ein und aus gehn können wie in der eignen Labediele.«

Der Barthlmä Schaudermann nickt vor sich hin und meint: »Die Granteggerin ist eine fromme, vielgescheite Weibin.« Und er schließt hinter der Holzerin und ihrem Kindl wieder das Tor ab. Es ist schon spät am Abend.

* * *

Droben im Holz steht eine kleine, braune Hütte, einsam und verlassen. Mondlicht schleicht traurig herum. Die Kammern sind leer, das Haus ist blind; das Haus hat kein Leben mehr, es atmet nimmer. An der mageren Lärche silbert der Mond empor, wirft einen Schatten her und geht müde den Berg hinauf und hinab.

Draußen in Lüentz ist das Davidle auch schon glücklich untergeschloffen und träumt hinter dicken, bergenden Mauern vom Holzer ober St. Veit. Sieht die Lärche und die Weibin drunter stehen, hört den klagenden, flehenden Schrei: »Veit! Veit!«

Im St. Jakober Widum blitzt ein Lichtlein auf. Eine Mutter mit ihrem Kindl muß sich in fremder Heimstatt zurechtfinden, wirft sich noch einmal in die Knie. »Jetzund bin ich der Heimat fern und dem Herre Gott nah, alles dem Kindl zulieb!«

Der Barthlmä Schaudermann schlaft mit viel Behagen wieder ein. Es sind wieder einmal zweie in seiner und der Liebe Christi geborgen. Und dennoch hat das schlafende Kindl seine bitterharte Weltfahrt begonnen, in der ihm seine arme Mutter Magdalen Pichlerin leidgetreues Vorspann sein wird.

Der Rauter in der Starritzen hat der Holzerin Vieh und Fahrnis übernommen. Für Wies’ und Ackerland zahlt er wohl den Pachtgroschen, auf dem aber liegt Schuldpfand, das dem Veit Pichler besser angewachsen ist wie der Anbau vom Gerstenkorn und der klebere Winterroggen. Also wandert vom Holzgütl kaum ein Scheiblein Brot, kaum ein Knöllele Butter ins St. Jakober Widum hinein als der Holzerbäurin Heimzehrung. Sie leidet aber darum nicht Hunger. Was sie und ihr Kindl brauchen für des Leibes Notdurft, dafür ist wohl gesorgt.

Des Schaudermann alte Hauserin lebt just so lange noch, daß sie der Neuen, die ja von der groben Bauerei gekommen ist, Weis’ und Lehr’ gibt für den üblichen Hausbrauch eines geistlichen Herrn. Dann tut sie stillzufrieden die Augen zu; das kleine Rasterlein, die letzte Wegstund’ ihres Lebens, hat ihr unendlich wohlgetan. Daß neben ihrem Bettschragen noch einmal eine Wiege gestanden ist, das hat ihr letztlich auch unendlich wohlgetan. Ihr Leben ist liebeleer geblieben, ohne Weibtum und Mutterschaft, ist nur ein schwesterliches, nimmermüdes Sorgen um ihren Herrn gewesen; wohl auch eine Art Liebe, aber eine seltsam stille, der man selber nie bewußt ist, die nicht beseliget, die nicht verwundet. Jetzt aber, in diesen letzten Wochen, im halben Hinüberdämmern, wo Kindheit, Jugend und Alter einander die Hände reichten und zu ganz wunderlichen Klängen einen lieben Reigen tanzten, sind ganz ferne, feine Träume lebendig geworden, ist ihr gewesen, als wären sie auf einmal in Erfüllung gegangen. Sie hat sich das Wiegenband um die vergilbten Finger gewunden und mit schwacher, letzter Kraft das Wiegenholz über die Diele rumpeln lassen; hat dazu ganz selig gelächelt und mit einem zirpenden Stimmlein leise gesungen:

Hoi, hoi, Kindle, schlaf recht guet,

Bist von meines Herzens Bluet,

Bist von meines Herzens Lieb,

Von meinem Stamm ein grüner Trieb,

Bist meiner Liebe Segensguet.

Hoi, hoi, Kindle, schlaf recht guet!

So hat sie gesungen und hat es völlig geglaubt und ward von erster und letzter Weltseligkeit voll. Der Herr Vikar Schaudermann hat seine alte Hauserin recht gut verstehen können; der Schaudermann wohl. Derweil der Winter eine hohe, weiche Decken über der Heimgegangenen Grab geworfen hat, ist das Emerenzelein schon aufgeblüht wie ein vorzeitiges Maienrösl. »Die Kirchen tut ihm so viel gut«, lobt die Taufgote, die Emerenzia Granteggerin.

 

»Das Weizenbrötl etwan nit minder«, wagt die Magdalen dazuzuraten. Die drei Falten über der Stirn sind nur mehr drei feine Strichlein; kaum sieht man sie noch, so prall ist das Gesichtlein worden seither. Die Augen sind auch nimmer so groß und so unheimlicher Klugheit voll; lieb sind sie aber, so viellieb. Zwischen den Rosenwangelein liegen sie wie zwei kleine, blaue Seen gebettet. Vergißmeinnicht aus dem Kinderparadies.

»Vergißmeinnicht«, das ist ein bitteres Kräutlein für die Magdalen Pichlerin. Sie kann nicht vergessen und kann auch das Hoffen nicht lassen, und auch das Bangen legt sich mit ihr am Abend nieder und steht mit ihr am Morgen auf. Das Bangen um Mann und Kind. Das Bangen um das Kind hat noch viel Süße, das Bangen um den Mann nur mehr Herbe. Sonst schafft sie von früh bis spät, und der Schaudermann kann wohl zufrieden sein. Wenn manchmal ein Lotter landfremd an das Widumtor klockt und die Magdalen auftut, ihn zu laben, schaut einer oft verwundert und neubegierig nach der Wiege und schmunzelt. Nun, es ist um die Zeit zuweilen schon auch vorkommen, daß in einem Pfarrhof das Wiegenholz gerumpelt hat, weil sich die lutherische Wirrnis wie ein Geschwär bis ins beste Fleisch hineingefressen hat. Der Magdalen aber macht das Schmunzeln nicht heiß, dem Schaudermann auch nicht, nicht einmal, wenn er gar selber just das Kind heidelt. Wenn er aber hin und wieder mit besonderer Andacht über des Kindleins Schlaf wacht, ist er gewiß von einem Sterbebett kommen, das ist ihm allemal ein viellieber Ausgleich.

Manchmal, wenn ein ganz klarer Tag ist, erschaut die Pichlerin den Weg von St. Jakob bis zum Holzer hinauf. Etliche Ellen Schnee liegen auf der alten Heimat. Niemand stampft mehr einen Kirchweg aus, keine Fußspur führt in den nahen Wald, von wo der Veit das Bachholz niedergeschleift hat. Kein Fuchs schleicht um den leeren Hennkotter. Die Heimat ist tot und liegt unterm Schnee begraben. Die Sehnsucht nach ihr aber ist in der Pichlerin Herzen blutwarm und lebendig.

Die St. Jakober haben die neue Pfaffin gern. Sie ist ein stilles Leut, ein gebranntes Kind, hat mit dem eignen Jammer genug zu tun; andrer Leute Sach und Ungemach bekümmert sie nicht viel. Und das ist gut; in einem Pfarrhaus wird gar viel aus und ein getragen, da ist ein verschloßner Mund Goldes wert. Wenn die Magdalen auch wohl von St. Veit draußen ist, aber doch vom selben Tal, von ihrer Art; sie hätten’s ja auch haben müssen, wenn sich eine von weiß woher an den Fleischtopf gesetzt hätte.

So geht der Winter still vorbei, der Winter, vor dem sich die Pichlerin so gefürchtet hat. Und also schaut sie wieder aufwärts, gibt alle Tage acht, wie’s beim Holzer langsam ausapert, wie das Winterkorn grünt, das andre ausgesät haben, nimmer der Veit; wie schon die ersten Flecklein Langesanbau satt aufdunkeln und des Samens harren. Die Scholle wird wieder lebendig, ist wieder bereit. Der Veit führt nimmer den Pflug, der Veit haut der Erde keine Furchen mehr auf, der hat nun ein Schwert und haut es in Fleisch und Bein und Blut. Will er etwan gar ein großer Kriegsmann werden, ein Edelmann? Eija, es sollt’ schon bäurische Edelleut’ geben, geht die Mär. O Herre Gott, erbost sich die Magdalen: »Als Adam pflügt’ und Eva spann, wer war damals ein Edelmann?«

Ein Kriegsmann? Oh, er hat allweil gern über andrer Leute Köpf’ hinausgeschaut, und was in der Erden liegt und aufwachsen will, hat er allweil lieber übersehn, war ihm viel zu gering und nichtig. Robot und Zehent und Giebigkeiten waren ihm Fegefeuer und Höll’ zugleich. Hatt’ nicht ihr Vater selig so viel gehalten auf den Bauernstand und oft, wie oft, den Spruch getan: »Der Bauer und der Alexander, vor Gott ist einer wie der ander’.«

Vor Gott?

Was mag der Veit vor Gott noch sein? O Narre, hätt’ er Ehren errungen wie nur einer! Aber Weib und Kind hat er um der Ruhmsucht willen verlassen.

Wenn die Pichlerin in stillen Feierstunden ihr Kind oft betrachtet, will sie manchmal gar erschrecken. Hat es nicht seines Vaters gierige Hände? Langt es nicht nach allem, was ihm zu hoch ist, und achtet nichts, was ihm in die Händlein gegeben wird? Ist etwan wohl doch nur Kinderart und wächst sich aus, bis das Verstandl kommt und es weiset, was sein ist und was nit. Sonst aber wird das Emerenzelein jeden Tag lieber und lieber.

Weil der Sommer da ins tiefe Tal hereinkommt, schön bedächtig und gar ein wenig feierlich, weil man hier am längsten auf ihn wartet, steht auf einmal das Davidle vor der Widumtür. Es grüßt die Holzerin altbekannt und recht frohgemut. Erzählt, wie es prächtig überwintert hat, grüßt und neckt das kleine Dirndlein, das schon am Boden herumkreucht, will es nimmer erkennen vor Wachstum und Leibigkeit. Dann tut sich das Davidle an des Herrn Vikars Lottertisch gütlich, ein gutes Süppl und ein fettes Backmus, das läßt man sich gern auftischen. Und wie er satt ist, fragt er nach dem Haustürschlüssel vom Holzer droben; er möcht’ gar zu gern die heißen Sommerwochen über droben in der Kühlen hausen. Das Schlüsselwesen ist er von den Stadtleuten her gewohnt.

Die Magdalen sagt ihm, beim Holzer droben gebe es keine Tür zu sperren; ist ja Tür und Tor offen; der Feuerherd in der Kuchl und die Bänk’ in der Stuben sein niet- und nagelfest, die werd niemand vertragen, und wenn es ihn nach der Kühlen so lustet, mög’ er ruhig hausen die Weil’, solang es ihn freut.

Dann meint die Magdalen noch, die Hütten werd froh sein um ein Lebendiges und er soll ihr die Heimat schön grüßen, den Blick in die Tiefen, in die Weiten, die Stube, die Kammern, die alte Lärche vor dem Haus.

Mit solchem Auftrag und noch etlich’ Laib Brot wandert das Davidle frohgemut dorfaus und bergauf. Also ist er sommerlang Herr beim Holzer droben; der Rauter werd nichts dagegen haben, der hat ja Stall und Stubenhaus leerstehen lassen. Leicht weit genug hat sich’s das Davidle gebracht auf seine alten Tag’. Die Magdalen Pichlerin schaut ihm lange nach, sie neidet den Lotter. So gut es ihr geht, sie ist doch ärmer als er. Er hat sommerlang eine Heimat, sie hat sommer und winterlang nur mehr einen Dienst.

* * *

Das Davidle haust schon fünf Sommer droben beim Holzer. Es ist aber die Zeit her nicht ein graugrünes Härlein mehr in seinem Bartwust, nicht ein Fältlein mehr auf seinem Runzelgesicht aufgetaucht, und seine Augen sind noch immer die eines vergnügten, unschuldigen Kindes. Dem Emerenzelein bringt er jedes Jahr eine Spieldocken; ist das eine Freud’, von einem Lotter so beschenkt zu werden. Aber der Lotter ist gar weltläufig und weiß, was die Dirndlein weit draußen im Lüentzerboden für Poßlzeug haben; was sie erfreut und ihnen Kurzweil bringt, das wird dem Töldererkindl nicht minder taugen.

Der Barthlmä Schaudermann aber ist die fünf Jahr her schon arg verschnieben über der Stirn. Nur seine Liebe und Güte zum Nebenmenschen ist die gleich junge und starke geblieben.

Der Magdalen Dirndlein geht beim Herre Gott ein und aus wie in der eigenen Labediele. Die Emerenzia Granteggerin hat ihre Freud’ an dem frommen Kind und nach ihrem Meinen sein die drei Strichlein über der Stirn nun ganz vergangen. Der Holzerin ist so eine Red’ Herzenslabsal, und so ein Tag bringt ihr allemal eine friedvolle Nacht.

Die Nächte der Holzerin sind noch lange nicht alle friedvoll. Auch sonst nagt mancher Kummer an ihr. Wenn der Herr Vikar einmal die Augen zutut, was dann? Beim Holzer droben bringt es eine Weibin nimmermehr zurecht, da müßt’ schon Manneskraft her von der besten Art. Und dem Kinde wär’ es auf das warme Nest hin wohl eine Wüste droben in der scharfen Höh’, in der notigen, halbverfallenen Hütte.

Sie selber aber ist auch verpatzt und vertan für die alte Heimat, kocht feine Sträublein und würzige Weinsuppen und Mehlkoch, bratet Fleisch und Hühner und müßt wieder bös umlernen auf den groben Gerstenbrei, auf die roggen Schlipfkrapfen und das Wassermus. Und kann sie noch beten in die stille Winternacht hinaus, in die reifbehangenen Dornstauden, zur alten lieben Lärche, wenn die Eisflarn und der Wintersturm den Gang zur Kirche verrammeln?

Nimmer kann sie das, nimmer kann sie beten zu diesen lieben Gotteszeugen, die alle seine Allgegenwart verkünden. Sie muß ein und aus gehn können beim Herrgott selber wie in der eignen Labediele. Ihr Herz ist da in der Tiefe stumm und taub geworden gegen die geheimen Boten seiner Allerweltsherrlichkeit. Sie muß den Ruch verbrannter Kerzen spüren und sich ins scharf riechende Gewölk des Weihrauchs hüllen können, daß ihr Herz aufgeht im warmen Bitt- und Dankgebet. Die Magdalen Pichlerin ist recht verwöhnt worden die Zeit her, verwöhnt in mancherlei Dingen, trotz der harben Stunden, in denen ihr Herz den Ersehnten und oft Geschmähten vergeblich erhofft.

Sie ist aber nimmer die Holzerbäurin, sie ist die Pfaffin worden. Der kleinen Emerenz ist Heiland und Tabernakel, ist Mess’ und Litanei, ist Altartuch und Meßgewand so vertraut wie ihr eigen Bettlein in der Kammer, wie das Röckl auf ihrem Leib. Dem Schaudermann ist so ein Wesen nit immer ganz recht: »Ihr zieht mir ein gar zu fromm Ding her, wird es viel Versuchung leiden müssen, weil solche Frommheit Gott selber oft nicht recht glauben mag.«

Aber wo zwei Weibsleut’, die eine der Weisheit, die andre der Liebe voll, das Beste für so ein Kindl meinen, da mag gar ein Herr Vikar die Sache anders meinen und bedenken, es nutzet ihm wenig.

Für den Vater betet die kleine Emerenz auch recht andächtiglich, für den Kriegsmann in der Welt draußen. Sie macht dabei klare, stille Augen her, hat ja den Vater nit kennt. Die Pichlerin zerdrückt dann und wann eine harte Zähre. Und zuweilen kommt ihr ein seltsam kühler Gedanke, wenn sie nach des Kindes Vater sich sehnen will, wenn sie ihm grollt und ihn kaum mehr zu erwarten wagt. »Aber wie wär’ es nun, wenn er käm’? Wär’ es etwan nit einmal mehr gut? Ich hab mein Leben gericht’t nach einer neuen Schnur, nach der ging’ mir der Veit nimmer, und der Kriegsmann erst recht nimmer. Ich hab’ viel geblutet die Jahr’ her, und es ist wohl an der Zeit, daß ich mich ergeb’. Wie bald und wie leicht hat er sich getröst’t.«

Um die Zeit herum klockt einer ans Widumtor, ein St. Veiter Witiber. Sein Erb’ ist schon völlig erwachsen, er aber des Alleinseins müd, und bevor er dem Sohn die Zügel in die Hand gibt, will er selber versuchen, noch ein gut Stück zu fahren, er hofft noch eine Weile auf gut Weg und schön Wetter. »Es geht ein Leutegered’ herum, daß der Veit Pichler verkommen sei draußen im Reich. In Lüentz drunten erzählt einer, er hätt’ sein’ Totenschein schon gesehn.« Sie wird wohl wissen darum und ist gewißlich gericht’t für eine Frag’, die er tun will.

Aber die Magdalen Pichlerin verliert nur alle Farbe im Gesicht, weil ihr der herredet von des Veiten Tod und sie schon als Witib anspricht, und mühsam nur bringt sie die Worte von den bebenden Lippen. Vom Totenschein weiß sie nit ein bißl, nit ein bißl vom Veit selber, seit der Stund’, die sich bald im fünften Jahr wiederholt; das müßt’ und könnt’ nur ein leeres Leutegeschwätz sein.

So muß er freilich wieder umkehren, der Veit Kramer, wenn sie wirklich nichts weiß von der Sach’, so kann er wohl nit weiter handlen mit ihr, und aufgedingen kann er sich das Leut auch nit als sein zweites Eheweib. Wer weiß, wie lang das noch dauert, bis es mit dem Totenschein seine Richtigkeit hat.

Die aber hätt’ ihm schon getaugt, sein angesehen Hauswesen hätt’ eine gute Kuchl leicht vertragen, denn ihm schmeckt ein guter Bissen allemal besser als ein letzer. Seine Erste, die Anna, ist eine gar gleime gewesen, die hat Truhen und Spind besser gefüttert als die Leut’ und allerweg gemeint, ein Bauer soll nur Grobkost essen, so er bei Kraft, bei nüchterm Verstand und bei Zeug und Sach bleiben will.

Die Pichlerin muß seine Gedanken erraten haben, weil er immer noch zögernd vor ihr steht; so muß sie ihm nur kurz und bündig bedeuten, auch wenn sie des Veiten Totenschein in der Hand hätt’, müßt er auch dann unverrichteter Sach’ heimgehn. Das Weibsein hab’ sie verlernt, es sei gar nit so süß und wär’ trotzdem recht wenig, was sie von ihrem Herzen einem andern weiterschenken könnt’.

»Das hast mir nimmer sagen brauchen, stolze Pfaffin du, um das hab’ ich dich nit gefragt!« sagt der Kramer ehrlich erbost.

»Mir aber ist’s denno lieber, daß es ein für allemal gesagt ist«, tut sie nun wirklich stolz und will ihn von der Stubenschwellen weg in die Labe hinausdrängen. Das verdrießt den Veit Kramer nicht wenig, daß sie so kurz ist mit ihm, verdrießt ihn aber auch, daß er auf das Leutegered’ allein so hereingefallen ist. »Ja, ja, ein für allemal hast es mir wohl gesagt, aber kann auch sein, daß denno einmal an mich denkst und an meine Wort’. Wo steht’s denn geschrieben, wo hast du es denn verbrieft, daß du deine Lebetage eine Pfaffin bleibst und hinterm warmen Herd daheim bist?«

 

»Kommt es, wie es kommt, bleibt es gut oder werd es letzer; aber Mann brauch’ ich kein’ mehr, hab’ so einen kleinen Schatz auf euch allesamt.«

Damit läßt sie ihn stehen und kehrt sich der Kuchl und ihrer Arbeit zu. Die kleine Emerenz steht auch unter der Stubentür und schaut verwundert den Kramer an, wie der voller Grantigkeit der Tür zurennt und sie krachend hinter sich zuschlägt.

Hätt’ er grad da nit angeklockt, so eine Abfuhr! Aber er weiß sich schon noch ein Haus; weil er einmal ausgegangen ist um das, geht er leer nimmer heim. Eine Junge weiß er sich noch, mit einem Batzen Geld, er wohl, er getraut sich, mögen sie auf dem Kopf stehn, die Leut’. Und ihr, der abgehausten Keuschlerin, will er’s auch zeigen, was der Veit Kramer an Schneid noch leicht aufbringt. Den Sohn, den laßt er sich nit ins Grün gehn, und übergeben tut der Veit Kramer erst dann, wenn man ihn übers Freithofgatter durchein tragt. So weit aber ist er noch lang, lang nicht.

Und der Veit Kramer hat wirklich Glück.

Die Dirn, die er sich noch zu heuern getraut, hat aber wenig Verstand und viel Eitelkeit im Kopf. Sie trutzt dem jungen Kramer gar zu gern eins auf, weil er beim Tanz wie in der Kunkelstuben sie nicht sieht und nicht hört, so sie doch jedes freundliche Wort an ihn verschwend’t hat. Jetzund soll sie sein’ Mutter werden, und will sein’ Ruten sein. Es redet ihr niemand ab von dem Narrenstuck, sein alle im Haus viel zu froh, wenn die unfriedsame, selbstsüchtige Dirn woanders Unterstand nimmt und Heimrecht erwirbt.

Wie der Kramer vom selben Verspruch wieder nach St. Veit herausstapft, gibt es ihm wohl selber hin und wieder zu denken. Wo es einen nur überallhin vertragen kann, wenn man doch ganz woanders auszielt. Eine arme Haut mit einem Kindl hat er sich holen wollen, eine Junge mit einem Batzen Geld bringt er heim. Was wird der Bue dazu sagen? Und sagt er was, dem Rotzer horcht er gar nit auf, er nit.

Der junge Kramer heißt auch Veit; nach seinem Vater haben sie ihn getauft, und er ist der einzige geblieben. Seine Mutter ist ein kleberes, versperrtes Leut gewesen, gar viel Lust und Freud’ hat der Kramer an ihr nicht gehabt. Und das gute Hausen allein hat er so hoch nicht angeschlagen, das gute Herz auch nicht, weil ihm das doch viel und oft zu wenig gewesen ist.

Der junge Veit steht unter der Tür und haltet Ausschau nach dem Vater. Er ahnt, was der heut für einen Gang getan hat, hat ja dann und wann ein Wort fallen gelassen darüber. Die Pichlerin kennt der junge Veit Kramer nur flüchtig; wird kein unebnes Leut sein. Ein klein Dirndl hat sie auch, das wird ihm völlig das Liebste werden an der ganzen Sach’. Er hat sich all die Jahr’ her viel allein gefühlt im wohlbestallten Gehause, das ihm der Vater aber doch noch lange nicht gönnen will. In Gottes Namen, wer weiß, rennt er nicht auch noch landaus, wenn er nur nicht mit jedem Blutstropfen, mit jeder Herzfaser so an der Heimat hängen müßt’. Er sieht den Vater daherkommen, ein wenig schwer und müd, nein, der Jüngste ist er nimmer.

»Mit der Pichlerin ist es nix«, sagt der Kramer ein bißl unsicher.

»Nix?« fragt der junge Veit und macht dazu gar kein unfrohes Gesicht.

»Ist noch nit sicher, ob sie eine Witib ist, hab’ ich von ei’m reden gehört, der es gewißlich weiß.« Daß ihm die Pichlerin völlig die Tür vor der Nasen zugehaut hat, will er dem Sohn doch nit sagen.

»Du hast ja Zeit, Vater.«

»Zeit, i Zeit? Wie man’s halt nimmt, aber wenn i schon aus bin um das, das Feiertagsgewand anhab’ und den Tag nutzen will - die Kreszenz Trogerin hat mir gern ja gesagt. Der ist es auch eine Ehr’ gewesen, im Herbst zieht sie auf da bei uns, als Kramerin, als meine Kramerin.« Damit eilt er ins Haus, in die Kammer, das Feiertagsgewand drückt ihn, als wär’ es ein Harnisch. Was nur der Bue für Augen hergemacht hat.

Ja, der Veit Kramer hat Augen hergemacht, Augen, in denen eine ganze Welt zusammengebrochen ist. Die Kreszenz Trogerin, die hat wohl auch ihm Fallen gestellt, wo es sich ’geben hat. Die prahlerische, selbstsüchtige Dirn, die mit Sippe und Freundschaft allweil zu hadern hat, der kein Ding rar genug ist, die nur aus einem zinnern’ Teller essen will. Der junge Veit kennt kein Bauernkind weit herum, das vom Hochmutsteufel so besessen wär’; ja, die wird ihm das Landausrennen noch leicht machen, die wird sein Erbe zum Sterben und Faulen bringen, wird es eingraben, daß nix mehr davon zu sehen ist; die ist ja ein Totengräber.

Der junge Kramer hat das große Gedulden seiner Mutter geerbt und ihr zähes Tun. Er will mit dem Vater nicht rechten, und wenn sie mit vollen Händen hinauswirft, will er mit zähen Händen wieder heimholen. Freilich, das Hinauswerfen geht schnell, das Heimholen geht langsam, aber er will den ungleichen Kampf wagen. Ja, so geht es, so wird alle Fürsicht und alles Wehren über den Haufen geworfen; hat er nit schon wegen der Pichlerin heimlich gegrollt und ist voller Bitterkeit gewesen. Und jetzund, wenn es nur grad die Pichlerin wär’, er müßt’ sich auf die Knie werfen und Gott für das kleinere Übel zu tausendmalen danken.

Die Magdalen Pichlerin kümmert sich wenig um die neue Mär.

Der Schaudermann schüttelt bedenklich den Kopf, weil er das ungleiche Paar zusammengeben soll. Die Trogerin nimmt er sich ordentlich her. »Einen alten Mann! Weißt du, was das heißt, Dirn?«

»Bei den Alten ist man warm gehalten«, lacht sie keck dawider.

»Wiegenbänder brauchst dir etwan keine in die Brauttruhen zu tun.«

»Ist mir allein auch gut genug, und steh’ so nit gern auf während der Nacht.«

»Und ein Sohn ist im Haus, der dich eher hätt’ heuern können.«

»Wenn er hätt’ wollen, der Tropf!«

»Dirn, ja, ist das dein Ernst, hätt’st ihn mögen?« fragt der Schaudermann ganz erschreckt.

»Der Alte ist mir der weit liebere!«

Der Schaudermann wird mit der Prahldirn nit fertig, und er lispelt verzagt vor sich hin: »Lieber Gott Vater, die mußt schon du unters Feuer nehmen.«

Sie aber hört sich das als Lossprechung an und verläßt hellauf lachend das St. Jakober Widum.

An demselben Abend schreibt der Schaudermann fein säuberlich sein Sach zusammen, was ihm sein Nachfolger mög’ gütlich übernehmen und weiterverwalten.

Das beste Pergament sucht er sich aus dem Schrank, nimmt einen neuen Kiel.

Einmal die lieben Seelen und Kinder Gottes, so mir von der ganzen Gemein anvertraut gewesen sein.

Sodann die Kirchen, wie sie liegt und steht und wie sie mit Gottes Gnad’ noch schöner und würdiger sollt’ werden, als ein Haus des Herrn.

Um die Sach’ liegt noch ein eigen Inventurverzeichnuß vor.

Und alsdann von mein’ Besitz: Ein dick vergoldet’ Meßkelch. Vier schwere silbern’ Leuchter. Und das Meßgewand mit dem großen Kreuz und dem Dornkranz. Soll alles der Kirchen verbleiben.

Von mein’ Leibzeug: Ein noch guter Tuechtalar. Vier Hemeter. Strümpf’, Halskrausen. Ein neues Paar Schuech. Die alten sein zum verschenken. Alles Bettgewand. Dann noch sieben Erbauungs-püecher in Schweinsleder mit silbern’ Schnallen.

Ein Arzeneikastl: liegt eigen’s Inventurverzeichnuß vor.