Die NATO

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3.3 Die deutsche Frage: Wiederbewaffnung, NATO-Beitritt und die Folgen

SeitWiederbewaffnung 1950 wurde in alliierten Kreisen die Einbeziehung der BRD in die Verteidigungsbemühungen diskutiert, sollte doch ein Teil der Verteidigung des westlichen Bündnisses auf ihrem Gebiet stattfinden, ohne dass Westdeutschland in seinem nach dem Zweiten WeltkriegZweiter Weltkrieg unbewaffneten Zustand eigene Kräfte dazu beitrug. Diese Überlegungen standen auch unter dem Eindruck eines zunehmenden gesellschaftlichen Unsicherheitsbewusstseins in der BRD mit Blick auf die Aufrüstung im Osten (Ismay 1955, 32ff.). Wenngleich IdeeIdeen (Konzept)n zur WiederbewaffnungWiederbewaffnung Westdeutschlands aufgrund der mehrmaligen Kriegserfahrungen des vergangenen Jahrhunderts auf starken Widerstand aus Frankreich stießen (Grosser 1986, 99, 108ff.; Kaplan 1984, 24f., 154ff., 160ff.; Raflik 2011, 212ff.), war die IdeeIdeen (Konzept) militärisch mit Blick auf die VorneverteidigungVorneverteidigungsdoktrin einleuchtend.

Ein Ausweg aus dem deutsch-französischen Problem wurde schließlich durch den im Oktober 1950 aufgestellten Plan des französischen Außenministers René PlevenPleven-PlanEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) gefunden, der die Gründung der Europäischen VerteidigungsgemeinschaftEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) (EVGEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG)) vorsah. In der EVGEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) sollte eine WiederbewaffnungWiederbewaffnung Deutschlands mit 100.000 Soldat*innen (es sollte zunächst ausschließlich ein Heer geben) bei gleichzeitig kompletter Einbettung dieser Kräfte in eine multinationale KommandostrukturMilitärstruktur erfolgen (Kaplan 1984, 162f.). Die Staaten Westeuropas – Belgien, Frankreich, Italien, LuxemburgLuxemburg und die Niederlande – würden eigene Armeen behalten. Aufgrund seiner MachtMachtposition auf dem europäischen Festland wäre Frankreich eine Führungsposition zugekommen, was nach Ansicht der USA in den EVGEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG)-Plänen zu offensichtlich verankert war. Großbritannien wiederum fürchtete durch die EVGEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) den Verlust der WestbindungWestbindung und somit der Anbindung der beiden amerikanischen Alliierten an die europäische Verteidigung (Duke 2005, 18f.). Diese und andere Punkte wurden lange kontrovers diskutiert, weil Deutschland als Gegenleistung für seine Integration in eine europäische Armee das BesatzungsstatutBesatzungsstatut (Deutschland) weitgehend aufgehoben sehen wollte, um seine eigene Souveränität wiederzuerlangen (Grau und Würz 2016; Schöllgen 2013b, 50ff.).

Während die Verhandlungen zur EVGEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) über die kommenden Jahre weiter fortgesetzt wurden, bereiteten Frankreich zwei Entwicklungen Bauchschmerzen: Zum einen wurde deutlich, dass eine so tiefgreifende Verteidigungsintegration langfristig nicht unabhängig vom Integrationsprozess West- und Südeuropas in der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) implementiert werden könnte, den Belgien, Frankreich, Italien, LuxemburgLuxemburg, die Niederlande und Westdeutschland 1952 ins Leben gerufen hatten. Damit wäre langfristig ein Verlust nationaler Souveränität in der Verteidigungspolitik einhergegangen, den das unabhängigkeitssensitive Frankreich im Verteidigungsbereich noch nicht bereit war zu gehen, sondern nur im ökonomischen (Cerny 1980; Raflik 2011; Vaïsse 2009b, 93f.). Zum anderen achtete Deutschland darauf, dass in den Verhandlungen zur EVGEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) die WestbindungWestbindung an die USA nicht verloren ging. Bei der Ratifizierung durch den Bundestag und Bundesrat wurde dem EVGEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG)-Vertrag daher eine Präambel vorangestellt, die ebendies ausdrückte. Frankreich wollte einen derart direkten Bezug auf die USA wiederum nicht akzeptieren. Der neuen französischen Regierung aus rechten Gaullist*innen gingen somit viele Bestimmungen der EVGEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) zu weit und die deutsche WiederbewaffnungWiederbewaffnung war eine bittere Pille, die man in Anbetracht der Vergangenheit von drei Kriegen nur schmerzlich schlucken wollte (Kaplan 1984, 25). Diese Schwierigkeiten, schlechtes Management und Verhandlungsgeschick sowie Ereignisse in Indochina, die die französische Aufmerksamkeit banden, führten schließlich zur Ablehnung des EVGEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG)-Vertrags durch die Assemblée nationale im August 1954 (Duke 2005, 26ff.; Raflik 2011, 213f.). Frankreich war in seinem MachtMachtanspruch als Mitglied des UN-Sicherheitsrats und ehemalige Weltmacht nicht bereit, sich in dieser Weise an die USA und Europa zu binden und seine Souveränität einschränken zu lassen – erwartete aber eben dies vom besiegten Westdeutschland.

Damit war die Europäisierung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik und die Lösung des deutschen Problems durch die EVGEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) zunächst gescheitert. Dem britischen Außenminister Anthony EdenEden, Anthony wird daraufhin allgemein die IdeeIdeen (Konzept) zugeschrieben, Deutschland (und Italien) dem Brüsseler VertragBrüsseler Vertrag (der Westunion) beitreten zu lassen.1 Durch die 50-jährige Vertragslaufzeit der Westunion (nur 20 Jahre im NordatlantikvertragNordatlantikvertrag) war eine ausreichend lange Gültigkeit gewährleistet, um Frankreich zu beruhigen, was zudem durch schriftliche Bekenntnisse Großbritanniens und der USA zur langfristigen Truppenpräsenz untermauert wurde. Die NeunmächtekonferenzNeunmächtekonferenz2 am 28. September 1954, auf der die Londoner AkteLondoner AkteNeunmächtekonferenz verabschiedet wurde, und die Pariser VerträgePariser Verträge vom 23. Oktober 1954 regelten zusammen den Beitritt Deutschlands zur Westunion, die zur Westeuropäischen Union (WEUWesteuropäische Union (WEU)) umbenannt wurde, und die direkte Anbindung der WEUWesteuropäische Union (WEU) an die NATO (Duke 2005, 39; Georgantzis 1998, 35; Schöllgen 2013b, 50ff.). Da der SACEURSACEUR gleichzeitig den Oberbefehl über alle Truppen der WEUWesteuropäische Union (WEU) und der Alliierten in Europa erhielt, die nicht explizit ausgeschlossen waren (und Deutschland keine Truppen außerhalb Europas unterhielt), war die Einbindung der BRD in die NATO und die WEUWesteuropäische Union (WEU) somit vollumfänglich (Georgantzis 1998, 35; Grosser 1986, 137ff.) Westdeutschland brachte diese Lösung einen weiteren Zuwachs seiner Souveränität (bpb 2014; Bockenförde 2013, 36f.).3

Der Beitritt der BRD zur NATO erfolgte formal am 6. Mai 1955 nach der Ratifizierung der Pariser VerträgePariser Verträge durch Bundespräsident Theodor HeussHeuss, Theodor (nach Abstimmungen im Parlament). Der Beitritt institutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)ierte zusammen mit der Gründung des Warschauer PaktWarschauer Paktes als formales Verteidigungsbündnis der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten in Mittel- und Osteuropa den Kalten Krieg bis zu seinem Ende zu Beginn der 1990er Jahre und ließ das Streben nach der deutschen Einheit in den Hintergrund treten (Bockenförde 2013, 26). In der Folge musste Deutschland wieder Streitkräfte aufbauen. Zu diesem Zweck wurde aus der sich mit den Alliierten in Militärfragen koordinierenden Dienststelle BlankDiensstelle BlankBundeswehr, benannt nach ihrem Leiter Theodor BlankBlank, Theodor, das neue Bundesministerium für Verteidigung gegründet und BlankBlank, Theodor erster Verteidigungsminister der BRD. Die BundeswehrBundeswehr wurde formal am 12. November 1955 mit der Aushändigung der Ernennungsurkunden für 101 Soldaten gegründet. Daraufhin begann die WiederbewaffnungWiederbewaffnung Westdeutschlands, die durch die WEUWesteuropäische Union (WEU) kontrolliert wurde (bpb 2014; Georgantzis 1998, 36ff.). 1.000 freiwillige Rekruten traten ihren Dienst im Januar 1956 in Heer, Luftwaffe und Marine an. Die nächsten Jahre waren vom Aufbau von Strukturen, der Ausbildung der Soldaten und Beschaffung von Material geprägt, das vor allem von den USA geliefert wurde. Anfang 1957 waren die ersten drei deutschen Divisionen einsatzbereit und wurden der NATO zugewiesen. Der Einzug von 100.000 Wehrpflichtigen begann ebenfalls im Januar 1957 und stellte die BundeswehrBundeswehr als gemischte Berufs- und Wehrpflichtarmee auf – ein System, das bis ins Jahr 2011 beibehalten wurde (Schlaffer 2015, 176ff.). Im Laufe des Kalten KriegsKalter Krieg erreichte die BundeswehrBundeswehr eine Größe von ca. 486.000 Soldat*innen (Varwick 2007; Wehrbeauftragter 2020, 96f.).


1957 122.400 1985 495.361 2000 318.713
1960 258.000 1989 486.825 2005 251.722
1965 437.236 1990 458.752 2010 245.823
1970 468.484 1991 476.288 2015 179.633
1975 486.206 1992 445.019 2020 184.289
1980 490.243 1995 344.960

Tabelle 10:

 

Truppenstärke der BundeswehrBundeswehr, ohne Aufwuchskräfte (Quelle: BundeswehrBundeswehr (2020), Schlaffer (2015, 180), Wehrbeauftragter (2020, 96f.), eigene Darstellung)

Abbildung 8:

Truppenstärke der BundeswehrBundeswehr 1959-2019 (Quelle: Wehrbeauftragter (2020, 96f.), eigene Darstellung)

Die neue Verteidigungspolitik der BRD sah im Rahmen der Bündnisvereinbarungen einen Verzicht auf eigene NuklearwaffenAtomwaffen und eine Fokussierung auf ein großes konventionelles Militär vor (Küntzel 1992, 19ff., 58ff.). So sollte Westdeutschland einen substantiellen Beitrag zur VorneverteidigungVorneverteidigung leisten und die Alliierten in die Lage versetzen, das Bündnisgebiet bis an die Grenzen des Warschauer PaktWarschauer Paktes an der innerdeutschen Grenze zu verteidigen, bis Verstärkung aus Westen/ Übersee eintreffen konnte. Gleichzeitig ließen sich solche FähigkeitenKapazitäten (militärische) in Anbetracht des entwaffneten Status der BRD bis 1955 natürlich nicht über Nacht herstellen. Es dauerte bis zur Mitte der 1960er Jahre, bis die Einsatzbereitschaft der BundeswehrBundeswehr hergestellt war und die VorneverteidigungVorneverteidigungslinie (s. Abb. 7) ab 1960 deutlich nach Osten verschoben werden konnte (NATO 2013). Als erste Rückfalllinie der VorneverteidigungVorneverteidigung sollten die vorteilhaften Flusssysteme in Nord- (Aller, Leine, Weser), Mittel- (Fulda, Main) und Süddeutschland (Donau) fungieren. Erst wenn diese Linie wegen sowjetischer Übermacht nicht mehr haltbar war, sollte auf die Rheinlinie zurückgefallen werden. Kugler unterstreicht auch die politische Bedeutung dieser Strategie, die letztlich die Bürger*innen der BRD davon überzeugen musste, dass ihr ganzes Territorium verteidigt werden sollte, auch wenn die wirklichen, militärisch haltbaren Sicherheitslinien letztlich weiter im Westen lagen. Es war daher auch die Strategie der westdeutschen Regierung, die Alliierten mit ihren Truppen zur Verteidigung Deutschlands Seite an Seite einzuplanen und so einen Angriff durch die Sowjetunion wirklich zu einem Angriff auf alle Bündnispartner werden zu lassen. Die NATO setzte diese IdeeIdeen (Konzept)n in ihrer VerteidigungsplanungVerteidigungsplanung um, obwohl nicht alle militärischen Argumente dafürsprachen. Ultimativ war dies also eine konventionelle AbschreckungAbschreckung (nuklear)sstrategie (Kugler 1991, 112ff.), die die NATO heute z. B. auch im Baltikum gegen Russland einsetzt (NATO 2018c). Das so aufgestellte VorneverteidigungVorneverteidigungskonzept der NATO blieb bis zum Ende des Kalten KriegsEnde des Kalten Kriegs in seinen groben Zügen erhalten. Der Beitritt der Bundesrepublik zur NATO war 1955 somit der folgerichtige Schritt der ContainmentContainment-Politik und des Marshall-PlanMarshall-Plans, der die BRD fest im freiheitlich-westlichen Politik- und Bündnissystem verankern sollte, um ideologiIdeologiesch wie politisch stark gegenüber der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten dazustehen. Die relativ kompromisslose Haltung der USA bezüglich einer Lösung der Berlin-KriseBerlin-Krise ab 1958 zeugt von der wichtigen Rolle, die Deutschland im Kampf gegen den KommunismusKommunismus und die Sowjetunion beigemessen wurde (Münger 2003, Kap. 2). Diese Absicherungspolitik, die darauf abzielte, das militärische Kapazitäts- und MachtMachtgefälle mit der Sowjetunion auszugleichen, lässt sich mit neorealistischer Theorie gut erklären. Die Staaten der Atlantischen Allianz reagierten in ihrer Außenpolitik auf die Bedrohung durch die UdSSR und bauten einen entsprechenden Sicherheits- und Verteidigungsapparat auf. Die gewählte Form der intensiven Zusammenarbeit in einem formalen und institutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)ierten Militärbündnis wurde zusätzlich durch ideologiIdeologiesche und zunehmend auch institutionelle Gründe unterstützt (s. Kap. 2, 6).

Exkurs: Die Berlin-Krise(n)

BerlinBerlin-Krise geriet aufgrund seiner Teilung zwischen den vier Besatzungsmächten (Frankreich, Großbritannien, UdSSR, USA) und seiner exponierten Lage inmitten der sowjetischen Zone (später die DDR) mehrfach zwischen die Fronten und wurde zum Zankapfel zwischen den Mächten.

Die erste Krise war die sogenannte Berlin-BlockadeBerlin-Krise vom 24. Juni 1948 bis 12. Mai 1949. Noch vor der Gründung der BRD und DDR riegelte die Sowjetunion das zwischen den vier Besatzungsmächten geteilte Berlin ab. Grundlage war ein Streit zwischen der UdSSR und den Westmächten über Reparationszahlungen Deutschlands an die Sowjetunion, die Gründung eines westdeutschen Staates aus den drei Westzonen, die dazu eingeführte Währungsunion und den WiederaufbauWiederaufbau Deutschlands. Aufgrund einer Blockadehaltung der UdSSR entschlossen sich die drei Westmächte zur Aufnahme der Westzonen in den Marshall-PlanMarshall-Plan und die o. g. Schritte, um Deutschland wirtschaftlich wieder auf eigene Beine zu stellen. Durch die dadurch entstehende Teilung Deutschlands sah die UdSSR keinen Grund mehr, mit Westberlin eine westliche Insel in seinem Territorium zu dulden und riegelte die drei Westzonen Berlins und ihre Versorgung ab. Da den Westalliierten schriftlich nur ein Luftzugang zugesichert worden war und Präsident TrumanTruman, Harry S. darüber keinen Krieg vom Zaun brechen wollte, entwickelten die Alliierten den Plan einer Luftbrücke, über die Berlin versorgt wurde. Dazu landete im Schnitt alle 90 Sekunden ein Versorgungsflugzeug in Berlin-Tempelhof. 5.000 Tonnen (teilw. 13.000 t) Lebensmittel und Treibstoff (zur Stromerzeugung) wurden so für die zwei Mio. Westberliner*innen jeden Tag transportiert. StalinStalin, Josef gab die Blockade nach 318 Tagen auf, weil sie den Westen stärker einte, als dass sie ihn spaltete, und so die eigenen Ziele konterkariert wurden (Allinson 2019; Combs 2012, 214f.; Schöllgen 2013b, 26ff.).

Die zweite Berlinkrise begann 1958, als ChruschtschowChruschtschow, Nikita erneut die Entmilitarisierung Berlins forderte, um sich der westlichen Truppen inmitten der DDR zu entledigen und die Westalliierten zu einem FriedenFriedensvertrag zu zwingen, der die DDR anerkennen, die Besatzung beenden und so die westalliierten Truppen nach Hause schicken würde. Die BRD hielt von diesem Angebot nichts, weil sie sich damit der alliierten Sicherheitsgarantien der NATO hätte entledigen müssen. Gespräche zwischen den vier Mächten führten zu keinem Ergebnis. Der neue US-Präsident John F. KennedyKennedy, John F. machte nach seinem Amtsantritt im Januar 1961 klar, dass es eine US-amerikanische militärische Präsenz in Berlin geben würde, dass Berlin einen Zugang zur BRD haben müsse und dass die Stadt selbstbestimmt leben können müsse, dass also Berliner*innen nicht erneut als Geiseln gebraucht werden dürften wie zuletzt 1948/49 (KennedyKennedy, John F.s three essentials). 1963 bekräftigte er dieses Bekenntnis mit seinem berühmten Satz „Ich bin ein Berliner!“. In der Zwischenzeit erfolgte allerdings mit dem Mauerbau vom 13. August 1961 die Abriegelung Westberlins, die auch von Seiten der UdSSR einer Absage an die IdeeIdeen (Konzept) einer baldigen deutschen Einheit unter neutralem Status gleichkam. Die Situation blieb nach dem Mauerbau angespannt und im Oktober 1961 kam es zur ebenfalls berühmten Konfrontation sowjetischer und US-amerikanischer Panzer am Checkpoint Charlie, als dort US-Soldat*innen und Diplomat*innen trotz des vereinbarten freien Grenzverkehrs kontrolliert werden sollten. ChruschtschowChruschtschow, Nikita und KennedyKennedy, John F. mussten sich persönlich einschalten, um die Situation zu entspannen. Die Situation endete schließlich, weil ChruschtschowChruschtschow, Nikita aufgrund der US-amerikanischen nuklearen Überlegenheit kein ultimatives Druckmittel in der Hand hatte. Im Herbst 1962 wurde aber als Folge der Niederlage in Berlin erneut Druck auf die Westmächte aufgebaut, als die KubaKuba(krise)krise ausbrach und so diese Unterlegenheit wettgemacht werden sollte (s. Abschnitt 3.4; Münger 2003, Kap. 2; Schöllgen 2013b, 70ff.; Wettig 2005).

3.4 Nuklearstrategien: Abschreckung, massive Vergeltung, Kuba, und flexible response
3.4.1 Die Entwicklung der nuklearen Abschreckung: Grundsätze und massive Vergeltung

Es wurdeAbschreckung (nuklear) bereits abmassive Vergeltung Mitte derflexible response 1950er Jahre deutlich, dass das alliierte Ziel der 90 einsatzbereiten Divisionen nicht gehalten werden konnte. Daher spielten NuklearwaffenAtomwaffen1 früh eine Rolle in den VerteidigungsplanungVerteidigungsplanungen der NATO (Bockenförde 2013, 37ff.; Pedlow 1997, XVII). Dabei ging es zunächst weniger um atomare LangstreckenraketeLangstreckenraketeICBM (Nuklearwaffe)n (Inter-Continental Ballistic MissileICBM (Nuklearwaffe)s, ICBMICBM (Nuklearwaffe)s), die sich noch in der Entwicklung befanden, sondern primär um den Einsatz von Langstreckenbombern. Während die vorhergehenden strategischen Konzeptestrategische Konzepte der NATO bisher nur verklausuliert den Einsatz von AtomwaffenAtomwaffen vorsahen, formulierte das 1957er Strategische Konzept erstmals klar die Prinzipien zur Nutzung von NuklearwaffenAtomwaffen: AtomwaffenAtomwaffen sollten nicht als erstes Mittel eingesetzt werden, aber ihr Einsatz war in der Verteidigungsdoktrin auch nicht ausgeschlossen (NATO 1957; Bockenförde 2013, 40). So sollte die NATO nach Auffassung des US-amerikanischen Außenministers John Foster DullesDulles, John F. eine Politik verfolgen, „AtomwaffenAtomwaffen als konventionelle Waffen gegen die militärischen Ziele des Gegners anzusehen, wo und wann auch immer das vorteilhaft sein würde.“ (DullesDulles, John F., zitiert nach Pedlow 1997, XVII). Dies sei mit Blick auf die konventionelle Unterlegenheit der NATO in Europa nur folgerichtig (NATO 1957, 9, Art. 13.c).

NebenAbschreckung (nuklear) diesen ÜberlegungenNuklearstrategie zum Einsatz von NuklearwaffenAtomwaffen auf dem Gefechtsfeld oder zumindest der AbschreckungAbschreckung (nuklear) durch sie2 stellt das Strategische Konzept von 1957 eine Doktrin der massiven Vergeltungmassive Vergeltung (massive retaliationmassive retaliationmassive Vergeltung) auf. Den Schlüssel zur Vermeidung eines totalen nuklearen Kriegs sahen die Planer*innen in der Sicherstellung einer ZweitschlZweitschlagsfähigkeitagsfähigkeit (Brodie 1959, Kap. 6). Der Einsatz von NuklearwaffenAtomwaffen durch die Sowjetunion wurde so lange als unwahrscheinlich angesehen, wie der Westen sicherstellen konnte, dass ein russischer Erstschlag zur massiven Zerstörung der UdSSR durch westliche ZweitschlZweitschlagsfähigkeitäge führen würde (NATO 1957, 11, Art. 18). Gleichzeitig wurde aufgrund dieser beiderseitigen Gefahr davon ausgegangen, dass sowjetische Aktionen häufig kleinerer und konventioneller Natur sein würden, um bewusst einen totalen Nuklearkrieg zu vermeiden. Folglich mussten dadurch erhebliche konventionelle Verteidigungskräfte aufrechterhalten werden, was sozusagen die europäische Gegenleistung zur US-amerikanischen Nuklearkapazität war. Die NATO-Strategie war somit nicht eine reine massive Vergeltungmassive Vergeltungsstrategie, aber die Möglichkeit zur Begrenzung von Kriegen, also solchen ohne Einsatz von strategischen NuklearwaffenAtomwaffen mit ihren enormen Folgen für Zerstörung und Menschenleben, wurde gleichzeitig als schwierig angesehen, weil man sich so strategisch seines effektivsten, nuklearen Vorteils beraubte (Brodie 1959, 309ff.; Pedlow 1997, XX).3 Die konventionellen Kräfte sollten deutlich machen, dass ein Angriff der Sowjetunion den gefährlichen Weg in einen totalen, nuklearen Krieg bedeuten würde (Snyder 1961, 6, 126ff.). Sie hatten also eine Stolperdrahtfunktion (engl. tripwire, s. Brodie 1959, 252f.), die der Nuklearstratege Herman Kahn (1960, 34ff.) auch als eine Form der AbschreckungAbschreckung (nuklear) (deterrenceAbschreckung (nuklear)) ansah, weil sie auf den Zusammenhalt und Entschlossenheit der/des Bedrohten gegenüber zu aggressivem Verhalten eines Gegners beruht. Ein gutes Stück der nuklearen AbschreckungAbschreckung (nuklear)sdoktrin basiert somit auf den Prinzipien der Unsicherheit, was bei ihrem Einsatz ausgelöst werden würde (Deudney 2018, 338f.; Snyder 1961, 27ff.), und der Glaubwürdigkeit sowie Überlegungen zu Zielen und möglichen Handlungen des Gegners (Snyder 1961, 12ff.). Bockenförde (2013, 29) beobachtet, dass durch diese Form der AbschreckungAbschreckung (nuklear) seit den 1960er Jahren eine gewisse Stabilität der Auseinandersetzung entstand (s. auch Deudney 2018, 340). Hew Strachan erläutert, dass dies daran liegt, dass Strategie im Nuklearzeitalter kriegsverhindernd und somit zu gewissen Teilen passiv sein musste:

 

„The meaning of strategy had now changed. Conventional strategy was a strategy of action; it prepared for war and then implemented those preparations. Nuclear strategy was a strategy of dissuasion; it prevented war.“ (Strachan 2005, 43)

Snyder nutzt auch die Gegenüberstellung von AbschreckungAbschreckung (nuklear) und Verteidigung, um auf die neue Sicherheitssituation im nuklearen Zeitalter hinzuweisen:

„Essentially, deterrenceAbschreckung (nuklear) means discouraging the enemy from taking military action by posing for him a prospect of cost and risk outweighing his prospective gain. Defense means reducing our own prospective costs and risks in the event that deterrenceAbschreckung (nuklear) fails.“ (Snyder 1961, 3)

Somit ergibt sich auch die Konsequenz, dass AbschreckungAbschreckung (nuklear) bereits zu FriedenFriedenszeiten stattfindet, Verteidigung aber erst im Krieg (Snyder 1961, 4). Wenngleich es also insgesamt eher um Kriegsverhinderung ginge, sei die wichtigste Form der AbschreckungAbschreckung (nuklear) immer noch sehr aktives militärstrategisches Planen und Rüsten, sowohl im nuklearen als auch im konventionellen Bereich (Kahn 1960, 18ff.).

Die Verschiebung zu einer auf nukleare AbschreckungAbschreckung (nuklear) fokussierten Strategie der NATO fand parallel zur Entwicklung der akademisch-strategischen Diskussion darüber graduell ab Mitte der 1950er Jahre statt und setzte darauf, Krieg gar nicht erst stattfinden zu lassen, weil er am Ende des Tages im Nuklearzeitalter zu gefährlich war (Brodie 1959, Kap. 8; Niedhart 2014, 12). Die meisten NATO-Partner sahen in konventionellen Kräften die Garantie einer glaubwürdigen TerritorialverteidigungTerritorialverteidigungLandesverteidigung, während andere aus Kostengründen stärker auf nukleare AbschreckungAbschreckung (nuklear) setzten, vor allem bis zur russischen Entwicklung der AtombombeAtomwaffen (Pedlow 1997, XIX; s. auch Brodie 1959, 201f.; Snyder 1961, 44, 46f., 121; Heuser 1995, 53f.).4 Die AbschreckungAbschreckung (nuklear)sdoktrin sollte ultimativ die Intentionen des Gegners im eigenen Sinne beeinflussen. Gefechtstaktiken mit nuklearen Elementen wurden von den Alliierten aber dennoch durchdacht, um im Angriffsfall der konventionellen Überlegenheit der Sowjetunion etwas entgegensetzen zu können. Die Strategie der NATO wird daher häufig als ein Zwitter aus einem amerikanisch-britischen nuklearen Schwert und einem kontinentaleuropäischen, konventionellen Schild beschrieben (Snyder 1961, 3, 10, 120ff.).


Abk. Waffentyp Reichweite
< 1.000 km
MRBMs 1.000-3.000 km
3.000-5.500 km
Intercontinental Ballistic Missile ballistische Interkontinentalrakete > 5.500 km

Tabelle 11:

Ballistische Trägersysteme für NuklearwaffenAtomwaffen (Quelle: Davenport (2017), Gillis (2017, 63f.), eigene Darstellung)


Abk. Waffensystem Reichweite
Intercontinental Ballistic Missile landgestütze Interkontinentalrakete 13.000 km
Submarine-launched Ballistic Missile U-Boot-gestützte ballistische Rakete > 7.400 km
Strategic bombers strategische Bomber 11.000-16.000 km

Tabelle 12:

Strategische NuklearwaffenAtomwaffen der USA (Quelle: Kristensen (2015), Watson (2017), eigene Darstellung)


USA (1945/ 1945) UdSSR/ RUS (1949/ 1949) UK (1952/ 1953) FR (1960/ 1964) CHN (1964/ 1964) IND (1974/ 1998) PAK (1998/ 1998) NKO (2006/ ?)
1945 2 (1949) - - - - - - -
1950 299 5 (1953) - - - - - -
1960 18.638 1.627 105 (1964) (1964) (1967) - - -
1970 26.008 11.736 375 36 75 8 - - -
1980 24.104 30.665 500 250 205 31 - - -
1990 21.392 32.980 350 505 232 53 (1998) (1998) -
2000 10.577 12.188 280 470 232 72 13 12 (2008)
2010 5.066 5.215 225 300 240 80 80 90 <10
2020 3.800 [1.750] 4.313 [1.572] 195 [120] 290 [280] 320 90 150 160 35
* Zahlen der SIPRI-Jahrbücher sind meist höher, da das SIPRI auch ausgemusterte Sprengköpfe mitzählt.

Tabelle 13: