Glauben ist ganz einfach - wenn man nicht muss

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Die Kulturretter

Während die erste ungewöhnliche Gruppe gern die Welt vor einer vermeintlich zu fehlerhaften Kirche retten will, möchte die zweite in erster Linie die gute Kirche vor der ach so bösen Realität retten, weil sie das Gefühl hat, dass die üblen Machenschaften der modernen Gesellschaft die Institution bedrohen. Diese beiden Rettertypen machen also, wenn man so will, genau das Gleiche - nur aus verschiedenen Positionen heraus. Und das zeigt: Das Problem einer voreiligen Abgrenzung aufgrund von klischeehaften Verallgemeinerungen haben nicht nur kritische Zeitgenossen mit den Kirchen, sondern gerade auch die Kircheninsider mit den Alltagsmenschen.

Ein gesunder Umgang mit Fehlern sollte ein Grundwert jeder christlichen Gemeinschaft sein.

Als man im Zeitalter der Aufklärung anfing, bis dahin stets als selbstverständlich angesehene religiöse Strukturen in Frage zu stellen, entstand bei vielen Christinnen und Christen eine große Angst, die Kirchen könnten ihre Bedeutung verlieren. Kein Wunder, dass diese Entwicklung in den folgenden Jahrzehnten zu einem ungeheuren Drang nach Bewahrung führte: »Wir müssen die guten und schönen Traditionen der Kirche gegen die kritische, uns angreifende Welt verteidigen.« (Da ist es wieder: das »Muss«.) Und dieser Drang war so groß, dass man irgendwann begann, auch diejenigen Traditionen vehement zu schützen, die eigentlich nur kulturell bedingt oder längst überholt waren und sind. Als »heilig« galten auf einmal nicht mehr nur Gott und seine Botschaft, sondern auch die Musik, die Liturgie, die Sprache, der Altar, die Kirchenbänke, die Hierarchie und die Talare.

Als »heilig« galten auf einmal nicht mehr nur Gott und seine Botschaft, sondern auch die Musik, die Liturgie, die Sprache, der Altar, die Kirchenbänke, die Hierarchie und die Talare.

Auch die evangelikale Bewegung, die weitgehend konservativ geprägt ist und sich auf die Irrtumslosigkeit der Bibel beruft, entwickelte sich erst im 19. Jahrhundert als Antwort auf den allgemeinen Relativismus. All die Jahrhunderte vorher hatte die Christenheit überhaupt kein Problem mit der Vorstellung, dass im Alten und Neuen Testament begeisterte Menschen sehr subjektiv von ihren vielfältigen Erfahrungen mit Gott erzählen. So hätte Martin Luther zum Beispiel den Jakobusbrief, der seiner eigenen theologischen Konzeption im Wege stand, am liebsten aus der Bibel herausgeworfen. Er hat ihn dann zwar doch dringelassen, aber weit nach hinten verschoben, um seine Bedeutung zu schmälern.

Die katholische Lehre, der Papst sei bei bestimmten Verlautbarungen »unfehlbar«, wurde ebenfalls erst 1870 zum Dogma erhoben - und entspringt letztlich ebenfalls der (leider nicht sehr auf Gott vertrauenden) Angst vor Autoritätsverlusten. Da sind also Protestanten und Katholiken in die gleiche Falle gelaufen. Anstatt sich hinzustellen und zu sagen: »Unser Glaube ist so groß, heilsam, wunderbar und millionenfach durch Erfahrungen bestätigt, dem kann eure Kritik gar nichts anhaben«, fingen viele Christinnen und Christen an, sich hinter selbst gemachten dogmatischen Bollwerken zu verschanzen: »Die Bibel ist heilig. Und wer sie kritisch hinterfragt, ist ein Feind des Glaubens. Mit dem brauchen wir uns gar nicht erst auseinanderzusetzen.« Wer so denkt, merkt oft gar nicht, dass dies keine Position der Stärke, sondern eine der Schwäche ist. Trotzdem ist es ein beliebtes und häufig vorgebrachtes Argument.

Die Aufklärung betonte vor allem einen Grundgedanken: »Wage es, selbst zu denken.«

Gehen wir noch einmal einen Schritt zurück. Die Aufklärung betonte ja vor allem einen Grundgedanken: »Wage es, selbst zu denken.« Ein Impuls, der eigentlich gut zu einer christlichen (besonders einer protestantischen) Kirche passen würde. Mündige Menschen, die Verantwortung übernehmen können, sind ja durchaus auch ein Idealbild der Bibel. Bei vielen Kirchenvertretern entstand jedoch die Angst: »Moment mal. Wenn jeder denkt, was er will, endet der Glaube möglicherweise in völliger Beliebigkeit.

Also müssen wir - unter Hinweis auf den Offenbarungscharakter der Bibel und mit den Mitteln der Vernunft - den Glauben in ein festes und eindeutiges System einordnen. Richtig glauben heißt vor allem richtig über den Glauben denken, und was richtig ist, wird von anerkannten theologischen Lehrern ausgearbeitet.« Glauben wird dann nicht durch Beispiel und Erfahrung, also durch gelebtes Leben weitergegeben, sondern durch Erziehung und Belehrung. Im Gottesdienst tauscht man keine Glaubenserfahrungen aus, sondern lauscht einer Predigt. Nicht umsonst hört man oft, die Kirche wolle die Menschen zum Nachdenken bringen: Einer denkt vor und die anderen müssen das dann nachdenken.

Die Folge davon war: Jahrhundertelang wurden Glaube und individuelles Denken nicht nur gegeneinander ausgespielt, sie wurden sogar zwei völlig verschiedenen Sphären der Weltwahrnehmung zugeordnet. Das ist insofern skurril, als die frühen Aufklärer wie Lessing oder Kant ja äußerst leidenschaftlich nach der Wahrheit suchten und sich im Kern gar nicht gegen den Glauben an sich, sondern nur gegen seine institutionalisierten Machtstrukturen gewandt hatten.

Diese Entwicklungen hatten markante Folgen. Erstens: Das offene, kritische Gespräch über den Glauben wurde zugunsten des Lehrens kirchlich anerkannter Begrifflichkeiten immer mehr zurückgedrängt. In den tradierten Kirchenstrukturen gibt es kaum noch Formen, in denen Menschen ihren persönlichen Glauben frei und gemeinschaftlich thematisieren können. Der ursprünglich rein politisch motivierte Satz »Glauben ist Privatsache« wurde damit von den Kirchen selbst massiv gefördert. Kein Wunder, dass es bald zu einer Gegenwehr kam: Weil die allzu trockene Vernünftelei vielen Gläubigen nicht ausreichte, entstanden vielerorts neue Gruppierungen (zum Beispiel die heutigen Freikirchen), die gerne etwas von der ursprünglichen Leidenschaft, der persönlichen Spiritualität und der intensiven Gemeinschaft wiederentdecken wollten.

Zweitens: Die Tatsache, dass die neu aufkeimende Sehnsucht nach gelebter Religiosität oft in theologischem Fundamentalismus, in Enge und in Radikalismus endete, führte unglücklicherweise noch mehr dazu, dass in den meisten christlichen Gemeinschaften heute ein relativ leidenschaftsloser Glaube gepflegt wird. Die Emotionen wurden immer kritischer betrachtet und die Fixierungen auf das Wort immer stärker. Getreu dem Motto: »Entscheidend ist, dass wir richtig über den Glauben denken«, konzentrierte man sich auf dogmatische »Richtigkeiten«. Dabei geriet der eigentliche Lebensvollzug oftmals in den Hintergrund. Und so kam und kommt es zu der Absurdität, dass bis heute viele Menschen meinen, wenn man nur genügend über Freude gesprochen hätte, müsse man sie nicht mehr erleben. Der Pfarrer, der mit Grabesstimme über die Freude redet, ist jedenfalls ein beliebtes Kabarettmotiv.

Uns geht es darum, den Ansatz der Aufklärung für das Christentum neu zu entdecken und zu sagen: »Wage es, selbst zu glauben!«

Drittens: Das Aufkommen unterschiedlichster Glaubensgemeinschaften förderte darüber hinaus auf allen Seiten unangenehme Distanzierungen. Anstatt miteinander die Wahrheit zu suchen oder einander darin zu unterstützen, gab es plötzlich ganz viele »Wahrheiten«: die katholische, die evangelische, die freikirchliche und so weiter. In den Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Konfessionen geht es meistens weniger um die Frage, ob und auf welche Weise Jesus Christus »die Wahrheit« ist, sondern darum, die eigene, »allein richtige« Interpretation dieser Wahrheit als allgemein verbindlich durchzusetzen. Die Folge: Jede dieser Gemeinschaften versucht krampfhaft und mit viel Energie, sich von den anderen abzugrenzen und sich selbst als die »wahrste« Konfession zu etablieren. Kein Wunder, dass viele durch diese Streitereien abgestoßen werden: »Die wissen ja selbst nicht, was sie glauben. Und sehr christlich gehen die auch nicht miteinander um.«

Uns geht es in diesem Buch darum, den Ansatz der Aufklärung »Wage es, selbst zu denken« für das Christentum neu zu entdecken und zu sagen: »Wage es, selbst zu glauben!« Denn dann wird nicht nur der persönliche Glauben neu relevant werden, sondern die Leidenschaft auch ohne dogmatische Engführung wachsen und die Abgrenzung einem echten Miteinander weichen.

Die Seelenretter

Ein weiterer charakteristischer Typus, der in vielen christlichen Kreisen auftritt, fühlt sich persönlich dafür verantwortlich, dass die Seelen aller Menschen gerettet werden. Die Seelenretter verstehen die befreiende Botschaft Jesu so, dass eigentlich jeder Nichtbekehrte aufgrund der menschlichen Verderbtheit erst einmal verdammt ist und in die Hölle kommt - wenn nicht sie, die Seelenretter, dem Verlorenen rechtzeitig die rettende Hinwendung zu Gott nahebringen.

Theologisch brauchen wir hier gar nicht zu streiten. Natürlich betont die Bibel, dass es nicht egal ist, wie ein Mensch lebt. Was das bedeutet, werden wir später noch genauer betrachten. Dennoch sei hier vorab schon einmal die Frage erlaubt, wie sich die Vorstellung von der allgemeinen Verdammung und der Entsendung aller Sünder in die ewigen Qualen der Unterwelt überhaupt mit einem liebenden Gott vereinbaren lässt, dem laut Zeugnis der Bibel jeder Mensch unendlich wichtig ist: »Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst?«, heißt es in Psalm 8. Als Väter von je zwei Kindern können wir nur sagen: Wenn unsere Kinder sich aus lauter Übermut mal gegen uns wenden oder unsere »Gebote« missachten, schicken wir sie jedenfalls nicht gleich in die Hölle. Und wir können uns nicht vorstellen, dass Gottes Liebe kleiner ist als die von einfachen Familienvätern.

Viel entscheidender ist im Moment, was die Einstellung des »Seelenrettens« für die Menschen bedeutet. Es mag überspitzt klingen, aber wir haben mal einen jungen Mann getroffen, der uns Folgendes erzählte: »Ich kann nachts nicht schlafen, weil ich andauernd daran denken muss, wie viele Menschen wegen mir in die Hölle kommen.« Und als wir verdutzt nachfragten, sagte er: »Ja, ich sitze jeden Morgen in der U-Bahn und versuche möglichst jedem Menschen von Jesus zu erzählen, damit er nur ja nicht verloren geht. Aber ich schaffe es einfach nicht, allen ein Traktat in die Hand zu drükken.« Natürlich nicht. Und das ist wahrscheinlich auch besser so. Das Letzte, was Menschen heute brauchen und suchen, sind Fließband-Missionare. Und: Ahnen Sie, unter welchem Druck dieser Mann steht? Er glaubt tatsächlich, das Heil der Menschen läge in seinen Händen. Ist der wohl frei? Nein. Er ist voller Angst, zu versagen, und wird zeit seines Lebens das grausame Gefühl haben, nicht genug für Gott getan zu haben. Ja, er wird möglicherweise sogar denken, sein eigenes Seelenheil sei in Gefahr, wenn er nicht genügend in die Bekehrung anderer investiert.

 

Kein Mensch, keiner von uns kann die Welt retten. Und das muss er auch nicht. Das mit der Weltrettung ist Gottes Sache.

Nun, das mag ein Extremfall sein, das dahinterstehende Denken ist es jedoch nicht. Zu viele Menschen in den Gemeinden glauben, sie müssten (!) die Seelen der Leute retten. Und wenn dann noch leichtsinnig Parolen ausgestreut werden, die besagen, Gott könne nur durch uns handeln, wir seien »seine Hände und Füße auf Erden« und ohne uns sei er machtlos, ist das nicht nur theologisch fragwürdig, sondern auch ein wenig überheblich. Kein Mensch, keiner von uns kann die Welt retten. Und das muss er auch nicht. Welch ein Glück. Das mit der Weltrettung ist Gottes Sache. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Natürlich sind alle Glaubenden herzlich eingeladen, immer wieder und überall begeistert von ihrem Glauben zu schwärmen, anderen von dieser lebensverändernden Liebe zu erzählen und intensiv am Bau des Reiches Gottes mitzuwirken. Ja, wenn man sich die Realität ansieht, sollte man sogar deutlich sagen: Das passiert viel zu wenig. Es ist also bestimmt nichts Schlechtes daran, wenn jemand anderen Menschen etwas von dem Glauben weitergeben will, der sein Leben reich macht und ihm die Perspektive der Ewigkeit eröffnet. Uns geht es hier vor allem um die dahinterstehende Einstellung. Wenn das Ganze von einem »Muss« geprägt ist, stimmt etwas nicht, weil sich Begeisterung eben nicht befehlen lässt. Das Schwärmen und Mitanpacken werden die Menschen von sich aus tun, wenn ihr Glaube sie frei macht und fasziniert. Das ist der richtige Weg.

Die Lust, das Evangelium weiterzusagen und anderen Menschen von Gott zu erzählen, sollte immer die Folge eines gesunden Glaubens sein, niemals ein Zwang.

Natürlich: Jesus fordert seine Jünger ganz offiziell auf, seine Botschaft zu verkündigen. Aber er verknüpft diese Forderung nicht mit irgendwelchen Erfolgsprämien. Im Gegenteil, er sagt: »Wenn man euch nicht zuhören will, dann zieht eben weiter.« (Lk. 10,1-12) Die Lust, das Evangelium weiterzusagen und anderen Menschen von Gott zu erzählen, sollte immer die Folge eines gesunden Glaubens sein, niemals ein Zwang: Weil ich mit Gott herrliche Erfahrungen mache, will ich, dass alle Welt davon erfährt. Nicht, weil mir jemand befiehlt: »Du musst den Leuten sagen, dass du froh bist.« Das endet immer im Krampf. In diesem Zusammenhang darf man auch nicht verschweigen, dass die Abneigung, die viele gegenüber evangelistischen Veranstaltungen empfinden, genau der Tatsache entspringt, dass sie eben nicht nach einer herzlichen Einladung klingen, sondern nach einem: »Du musst.«

Dazu kommt, dass die zwanghafte Einstellung mancher Seelenretter leider zu einem äußerst fragwürdigen Menschenbild führt: Derjenige, der noch nicht glaubt, wird als defizitär, als mangelhaft betrachtet - und allzu oft auch so behandelt: »Dir fehlt etwas! Du bist ungenügend.« Das scheint zwar aus der Sicht einer von Gott bewegten Person richtig zu sein, schreckt aber ab. Wer will schon von oben herab behandelt werden? Darum heißt es im ersten Petrusbrief in der Bibel ja auch sehr nachdrücklich: »Wenn man euch nach eurer Hoffnung fragt, dann seid immer bereit, darüber Auskunft zu geben, aber freundlich und mit Achtung für die anderen.« (1. Petr. 3,15-16)

Glaube breitet sich aus, wenn er Menschen frei macht. Es gehört zum Wesen des Glaubens, dass er ansteckt - und nicht erobert.

Das alles bedeutet: Wer denkt, es läge an ihm, ob seine Nachbarschaft den Himmel kennenlernt, wird nie befreit glauben können, weil er sich eine Verantwortung aufbürdet, die er nicht tragen kann. Und die auch niemals zu erfüllen ist. Die aber enorm unter Druck setzt. Früher haben wir in Gemeindegruppen zum Beispiel viel darüber diskutiert, was denn wohl mit dem armen »Kind im abgelegenen afrikanischen Busch« sei, das in seinem gesamten Leben nichts von der guten Botschaft Jesu hören könne. Und im Hintergrund klang da immer ein leichter Vorwurf mit: »Ja, wenn du nicht in die AfrikaMission gehst, dann kommt das kleine Wesen eben in die Hölle.« Nein, kommt es nicht. Jedenfalls nicht wegen uns.

Ganz nebenbei: Heute hat man den Eindruck, dass der Glaube der meisten Christinnen und Christen »im abgelegenen Busch« wesentlich intensiver, fröhlicher und entspannter ist als der unsere. Es gibt glücklicherweise immer wieder Menschen, die begeistert in die Mission gehen. Das ist wunderbar. Aber Zwang bringt keinen Segen.

Glaube breitet sich aus, wenn er Menschen frei macht - weil sich alle nach Freiheit sehnen. Es gehört zum Wesen des Glaubens, dass er ansteckt - und nicht erobert.

Die Selbstretter

Wahrscheinlich ist diese Gruppe die größte von allen: Menschen, für die - auch wenn sie es vermutlich anders gelernt haben - der Glaube im Wesentlichen ein gutes Geschäft ist. »Ich muss etwas Bestimmtes leisten oder erfüllen, dann komme ich in den Himmel. Wenn ich halbwegs anständig lebe, wenn ich die Gebote halte, wenn ich Geld spende, wenn ich die Umwelt schone, wenn ich in die Kirche gehe, wenn ich mich in der Gemeinde engagiere, wenn ich Gutes tue, wenn ich Kröten vor den Autofahrern rette ... dann, ja dann belohnt mich Gott.« Zusammenfassend könnte man sagen: Es geht bei dieser Form des Glaubens vor allem um einen Handel. Ich muss hier auf Erden etwas investieren, um am Ende meinen verdienten Lohn abholen zu können: den Einzug ins Paradies. Und daraus entsteht dann oft die Vorstellung, das ganze Leben sei irgendwie eine einzige »Castingshow«, in der Gott in der Jury sitzt und am Ende alle Fehler und Patzer aufrechnet.

Schon kleinen Kindern wird eingetrichtert, dass Gott nur darauf wartet, dass sie einen Fehler machen:

»Achte genau darauf, was du tust, denn sonst verspielst du dir den Himmel.«

Das mag überdreht klingen, aber die wirklichen Gottesbilder, die in den Selbstrettern herumgeistern, sind manchmal noch viel schlimmer: Da ähnelt Gott einem »Big Brother«, der im Himmel sitzt, Wohlverhalten erwartet und uns tagein, tagaus kontrolliert. Gott wacht nicht nur, er überwacht. Und jeder muss immerzu aufpassen, dass er nicht versagt. Kennen Sie das gruselige Kinderlied »Pass auf, kleines Auge, was du siehst, denn der Vater im Himmel schaut herab auf dich. Drum pass auf, kleines Auge, was du siehst«? Wenn Sie es nicht kennen, seien Sie froh. Da wird schon kleinen Kindern eingetrichtert, dass Gott nur darauf wartet, dass sie einen Fehler machen: »Achte genau darauf, was du tust, denn sonst verspielst du dir den Himmel.«

Der Haken dabei ist, dass die Selbstretter Gott nicht deshalb achten, weil sie ihn lieben und ihm vertrauen, sondern weil sie sich etwas davon versprechen. Letztlich stellen alle, die so denken, nicht Gott, sondern sich selbst in den Mittelpunkt. Es geht ihnen darum, dass sie etwas vom Glauben haben. Die Motivation dahinter ist dabei allerdings nicht Ehrfurcht, sondern wieder einmal Angst. Die Selbstretter fürchten Gott insgeheim. Und das führt - wie viele Psychologen bestätigen können - auf Dauer zu echten Persönlichkeitsschäden. Kein Mensch kommt damit klar, dass Gott ihm wie ein personifiziertes schlechtes Gewissen im Nacken sitzt und ihm deutlich macht: »Ich warte nur darauf, dass du einen Fehler begehst.« Und das ist keineswegs persifliert. Schauen Sie sich mal die vielen heiteren Cartoons, Filme, Comics oder Bilder an, auf denen ein Engel als himmlischer Stellvertreter versucht, den Menschen ja auf der rechten Bahn zu halten. Nur sitzt leider auf der anderen Schulter immer das Teufelchen, das offensichtlich viel mehr vom Lebensgenuss versteht als der Spielverderber mit Flügeln.

Der Druck, perfekt zu leben, um Gott zu gefallen, kann richtig krank machen.

Angst ist und bleibt eine schlechte Glaubensmotivation.Vor allem ist sie das Gegenteil von dem, was Jesus verkündet hat. Er will doch gerade, dass Menschen ihre Angst verlieren. Insofern stimmt etwas an dem Selbstrettungsmodell nicht. Ähnlich wie bei den Seelenrettern kommt dazu, dass der seltsame Wunsch nach Selbsterlösung unsere Kräfte einfach übersteigt. Wir wissen doch, dass wir immer wieder Dinge falsch machen. Der Druck, perfekt zu leben, um Gott zu gefallen, kann deshalb richtig krank machen.

Martin Luther, der große Reformator, ist sicherlich das beste Beispiel für den Ausstieg aus dem unschönen Selbstrettungsansatz. Luther lebte im 16. Jahrhundert, in einer Zeit, in der Menschen die Angst vor der Verdammnis so verinnerlicht hatten, dass sie bereit waren, für viel Geld sogenannte »Ablässe« zu kaufen, also sich geistlich zu »entschulden«, indem sie für eine bestimmte Missetat einen bestimmten Betrag entrichteten: »Einmal fremdgegangen - macht drei Goldstücke. Bezahle und der Seitensprung wird im Himmel vergessen.« Sünden wurden zu einer Handelsware, die man mit Geld entsorgen konnte. So wie man heute für die Schadstoffentsorgung auf der Deponie bezahlt. Letztlich wird etwas von diesem merkantilen Denken auch da sichtbar, wo man für einen Fehltritt »vier Ave-Maria und drei Vaterunser« beten muss. Für viele Selbstretter läuft dieses Handeln andauernd innerlich ab: »Ich muss mich bewähren - und habe dabei die ganze Zeit die Angst, es womöglich am Ende doch nicht zu schaffen.«

Luther, der sich über Jahre verzweifelt fragte, wie er denn »einen gnädigen Gott« bekomme könne, stieß bei seinem Studium auf einige markante Bibelverse. Verse, die dem frommen Handelsdenken ganz klar widersprachen, irgendwie in Vergessenheit geraten waren und das Dasein des späteren Reformators von Grund auf veränderten. Sie stehen im Römerbrief und lauten zusammengefasst: »Alle Menschen sind Sünder und nicht so, wie Gott sie sich gedacht hat, aber durch Gottes Gnade, durch die Erlösungstat Jesu, werden sie gerecht . Das heißt: Sie werden nicht dadurch gerecht, dass sie sich an das Gesetz halten, sondern nur durch den Glauben.«

Dieser Gedanke war und bleibt eine Revolution in der gesamten Religionsgeschichte und wird so pointiert auch nur im Christentum geglaubt: Kein Mensch kann sich den Himmel verdienen. Nicht mit dem »heiligsten« Leben der Welt. Und auch nicht durch »fromme« Aktivitäten wie Gebete, Bibellese, Bußübungen oder Gottesdienstbesuche. Deswegen sind alle Selbstretter auf einem fürchterlichen Holzweg und ist der christliche Glaube erst einmal ungemein entspannend. Niemand muss gut sein oder die Gebote halten, um vor Gott als gerecht, also als »angenommen« zu gelten. Keine noch so hehre Tat kann dazu irgendetwas beitragen. Es geht nur um den Glauben. Aber das ist eher eine Herzens- als eine Verstandesangelegenheit. Wenn ich glauben kann, dass Gott mich mit all meinen Ecken und Kanten liebt, und es zulasse, dass diese Liebe in mir wirksam wird, dann freut sich Gott darüber mehr als über alle Wohlanständigkeit - und dann ist meine Schuld, meine Fehlerhaftigkeit ein für allemal getilgt. Denn wer versteht, dass Gott selbst alles aus dem Weg geräumt hat, was zwischen ihm (sprich: dem so begehrten »Himmel«) und den Menschen steht, und wer das für sich annehmen kann, der hat etwas so Grundlegendes über die Liebe verstanden, dass er Gott schon sehr nah ist.

Kein Mensch kann sich den Himmel verdienen. Auch nicht mit dem »heiligsten« Leben der Welt.

Heißt das nun, dass Christinnen und Christen jeden Unsinn machen sollten? Natürlich nicht. Und sie werden es auch gar nicht wollen, wenn sie von der Liebe erfüllt sind. Dazu kommen wir ausführlich im Kapitel über die 4. Freiheit, bei der wir die Frage der Ethik genauer betrachten. An dieser Stelle ging es erst einmal darum, einen weiteren kleinen Denkfehler aufzuzeigen, der immer wieder für Unfreiheiten sorgt.