Zärtlich ist die Nacht

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III



»Wir dachten, Sie seien vielleicht mit im Komplott«, sagte Frau McKisco. Sie war eine hübsche junge Frau mit nichtssagenden Augen und entwaffnender Lebhaftigkeit. »Wir wissen nicht, wer im Komplott ist und wer nicht. Ein Herr, zu dem mein Mann besonders nett gewesen war, entpuppte sich als Hauptperson – praktisch als rechte Hand des Helden.«



»Ein Komplott?« fragte Rosemarie, die nur halb begriff. »Gibt es ein Komplott?«



»Das wissen wir nicht, meine Liebe«, sagte Frau Abrams unter stoßweisem, behäbigem Lachen. »Wir sind nicht inbegriffen. Wir sind die Galerie.«



Herr Dumphry, ein flachsköpfiger, weibischer junger Mann, bemerkte: »Mama Abrams ist ein Komplott für sich.« Campion jedoch drohte ihm mit seinem Monokel und sagte:  »Royal, sei nicht so schrecklich ungezogen.« Rosemarie blickte unbehaglich von einem zum andern und wünschte, ihre Mutter wäre mit ihr heruntergekommen. Ihr gefielen diese Leute nicht, ganz besonders in unmittelbarem Vergleich mit denen, die am andern Ende des Strandes ihr Interesse erregt hatten. Das bescheidene, aber ausgeprägte gesellschaftliche Talent ihrer Mutter pflegte mit unerwünschten Situationen schnell und sicher fertig zu werden. Aber Rosemarie war erst seit einem halben Jahr berühmt, und mitunter zeitigten die französischen Sitten und Gebräuche ihrer frühesten Jugend, zu denen sich später die demokratischen Gepflogenheiten Amerikas gesellt hatten, eine gewisse Verwirrung, durch die sie unfehlbar in solche Lagen geriet.



Herr McKisco, ein knochiger Mann um die Dreißig mit rotem, sommersprossigem Gesicht, fand das »Komplott« als Gesprächsstoff nicht erheiternd. Er hatte auf die See hinausgestarrt – nun, nach einem schnellen Blick auf seine Frau, wandte er sich zu Rosemarie und fragte herausfordernd:



»Schon lange hier?«



»Erst einen Tag.«



»Ach so.«



Offenbar merkte er, daß das Gespräch eine völlig andere Wendung genommen hatte, und blickte die anderen der Reihe nach an.



»Werden Sie den ganzen Sommer bleiben?« fragte Frau McKisco unschuldig. »Wenn ja, dann können Sie beobachten, wie sich das Komplott entwickelt.«



»Um Gottes willen, Violet, hör endlich auf damit!« explodierte ihr Mann. »Denk dir einen neuen Ulk aus, ich flehe dich an!«



Frau McKisco beugte sich zu Frau Abrams und schnaubte hörbar:



»Er ist nervös.«



»Ich bin nicht nervös«, widersprach McKisco. »Zufällig bin ich überhaupt nicht nervös.«



Er war sichtlich wütend – eine graue Röte hatte sich über sein Gesicht gebreitet, und jeglicher Ausdruck darin war einer nichtssagenden Mattigkeit gewichen. Plötzlich wurde er sich seines Zustandes irgendwie bewußt; er erhob sich, um ins Wasser zu gehen, seine Frau folgte ihm, und Rosemarie ergriff die Gelegenheit, um es ihnen gleichzutun.



Herr McKisco holte tief Atem, warf sich in das seichte Wasser und begann, mit steifen Armen auf das Mittelmeer einzuschlagen, augenscheinlich in der Absicht, ein Kraulen anzudeuten. Als ihm die Luft ausging, stellte er sich auf, blickte um sich und machte ein erstauntes Gesicht, weil das Ufer noch in Sicht war.



»Ich habe noch nicht gelernt, richtig zu atmen. Ich habe nie recht begriffen, wie man atmen muß.« Er blickte Rosemarie fragend an.



»Sie müssen unter Wasser ausatmen«, erklärte sie. »Und nach jedem vierten Stoß nehmen Sie den Kopf, nach oben, um Luft zu schnappen.«



»Das richtige Atmen fällt mir am allerschwersten. Wollen wir aufs Floß?«



Der Mann mit dem Löwenhaupt lag ausgestreckt auf dem Floß, das mit der Bewegung des Wassers auf und nieder schaukelte. Als Frau McKisco danach griff, neigte sich das Floß plötzlich nach der anderen Seite und riß ihren Arm hart nach oben, worauf der Mann aufstand und sie an Bord zog.



»Ich dachte schon, Sie hätten sich wehgetan.« Er sprach langsam und schüchtern, und sein Gesicht war eins der traurigsten, die Rosemarie je gesehen hatte, mit hohen Backenknochen wie ein Indianer, einer langen Oberlippe und großen, tiefliegenden, dunkel goldbraunen Augen. Er sprach aus dem Mundwinkel heraus, als hoffe er, seine Worte würden auf Umwegen unaufdringlich zu Frau McKisco gelangen. Einen Augenblick später stieß er sich vom Floß ab, und sein langer Körper lag in Richtung des Strandes bewegungslos auf dem Wasser.



Rosemarie und Frau McKisco beobachteten ihn. Als sein Schwung nachließ, drehte er sich mit einem Male kopfüber um sich selbst; seine dünnen Oberschenkel erschienen auf der Oberfläche, dann verschwand er ganz und gar und ließ nur einen Schaumfleck zurück.



»Er ist ein guter Schwimmer«, sagte Rosemarie.



Frau McKiscos Antwort kam mit erstaunlicher Heftigkeit.



»Das schon, aber ein erbärmlicher Musikant.« Sie wandte sich an ihren Mann, dem es nach zwei erfolglosen Versuchen gelungen war, auf das Floß zu klettern, und der, nachdem er das Gleichgewicht wiedererlangt hatte, zum Ausgleich etwas Besonderes vollbringen wollte und dabei nur neuerlich ins Straucheln geriet. »Ich sagte gerade, daß Abe North zwar ein guter Schwimmer, aber ein schlechter Musikant sei.«



»Ja«, pflichtete McKisco widerwillig bei. Offenbar hatte er die Welt seiner Frau geschaffen und gestattete ihr wenig Freiheit darin.



»Antheil ist ein Mann nach meinem Geschmack.« Frau McKisco kehrte sich herausfordernd Rosemarie zu. »Antheil und Joyce. Ich nehme an, Sie werden in Hollywood nicht viel von solchen Leuten hören; aber mein Mann hat über den ›Ulysses‹ die erste Kritik geschrieben, die in Amerika erschienen ist.«



»Ich wünschte, ich hätte eine Zigarette«, sagte McKisco ruhig. »Das ist mir im Moment wichtiger.«



»Das Buch hat's in sich – du denkst es doch auch, Albert?«



Ihre Stimme erstarb plötzlich. Die Dame mit den Perlen hatte sich zu ihren Kindern im Wasser gesellt, und nun tauchte Abe North unter einem von ihnen auf wie eine vulkanische Insel und hob es auf seine Schultern. Das Kind kreischte vor Schreck und Begeisterung, und die Dame sah mit lieblicher Seelenruhe zu, ohne zu lächeln.



»Ist das seine Frau?« fragte Rosemarie.



»Nein, das ist Frau Diver. Sie wohnen nicht im Hotel.« Ihre Augen blieben wie photographische Linsen an dem Gesicht  der Dame haften. Nach einer Weile wandte sie sich ungestüm an Rosemarie.



»Waren Sie schon früher im Ausland?«



»Ja – ich bin in Paris zur Schule gegangen.«



»Also – dann werden Sie wahrscheinlich auch wissen, daß man unbedingt ein paar waschechte französische Familien kennenlernen muß, um sich hier zu amüsieren. Was haben die Leute davon?« Sie wies mit der linken Schulter nach dem Strand. »Sie bilden kleine Cliquen miteinander. Wir hatten natürlich Empfehlungsschreiben und haben die bedeutendsten französischen Künstler und Schriftsteller kennengelernt. Dadurch hatten wir es sehr hübsch.«



»Das glaube ich.«



»Mein Mann beendet nämlich seinen ersten Roman.«



Rosemarie meinte: »Ach, wirklich?« Sie dachte an nichts Besonderes, außer daß sie gern gewußt hätte, ob ihre Mutter bei der Hitze wohl schlafen könne.



»Er geht vom selben Gedanken aus wie der ›Ulysses‹«, fuhr Frau McKisco fort. Nur statt vierundzwanzig Stunden nimmt mein Mann hundert Jahre. Er schildert einen alten, dekadenten französischen Aristokraten und bringt ihn in Gegensatz zum mechanisierten Zeitalter –«



»Um Himmels willen, Violet, erzähl doch nicht jedem Menschen den Inhalt«, protestierte McKisco. »Ich will nicht, daß er überall bekannt ist, bevor das Buch erscheint.«



Rosemarie schwamm zum Strand zurück, wo sie sich den Bademantel über ihre bereits schmerzenden Schultern hing, und legte sich wieder in die Sonne. Der Mann mit der Jockeimütze ging jetzt von Schirm zu Schirm; er trug eine Flasche und kleine Gläser in den Händen, und sofort wurden alle lebhafter, rückten näher zusammen, und im Nu befanden sie sich unter einem Dach von aneinandergestellten Schirmen – sie schloß daraus, daß jemand wegfahren würde und daß dies ein Abschiedstrunk am Strand sei. Selbst die Kinder merkten, daß unter dem Schirmdach lebhaftes Treiben herrschte, und  näherten sich ihm – und Rosemarie schien es, als ginge alles von dem Mann mit der Jockeimütze aus.



Die Mittagsstunde beherrschte See und Himmel – sogar der fünf Meilen entfernte weiße Strich von Cannes wurde zu einer Luftspiegelung dessen, was vorher frisch und kühl gewesen war; ein hereinkommendes rotbauchiges Segelboot hinterließ eine Kiellinie, hinter der die offene dunklere See lag. An der Küste, in ihrer ganzen Ausdehnung, schien kein Leben vorhanden, ausgenommen in dem gedämpften Sonnenlicht unter den Schirmen, wo es, inmitten der Farben und des Stimmengewirrs, hoch herging.



Campion kam auf sie zu, blieb ein paar Schritte von ihr entfernt stehen, und Rosemarie schloß die Augen und tat, als ob sie schliefe; dann öffnete sie sie halb und beobachtete zwei dunkle, verschwommene Säulen, die Beine waren. Der Mann versuchte, sich einen Weg durch eine sandfarbene Wolke zu bahnen, aber die Wolke schwebte davon, in den weiten, heißen Himmel hinein. Rosemarie schlief wirklich ein.



Sie erwachte in Schweiß gebadet und fand den Strand öde und verlassen bis auf den Mann mit der Jockeimütze, der den letzten Strandschirm zusammenklappte. Als er Rosemarie blinzeln sah, kam er näher und sagte:



»Ich hätte Sie geweckt, bevor ich weggegangen wäre. Es tut nicht gut, sich gleich zu sehr verbrennen zu lassen.«



»Danke.« Rosemarie sah an ihren roten Beinen herunter. »Du lieber Himmel!«



Sie lachte fröhlich, als Aufforderung zu einem Gespräch; aber Dick Diver schleppte bereits ein Zelt und einen Strandschirm zu dem wartenden Wagen hinauf, und so ging sie ins Wasser, um den Schweiß abzuspülen. Er kam zurück, suchte einen Rechen, eine Schaufel und ein Sieb zusammen und verstaute sie in einer Felsspalte. Er blickte den Strand entlang, um zu sehen, ob er etwas vergessen hätte.

 



»Wissen Sie, wieviel Uhr es ist?« fragte Rosemarie.



»Ungefähr halb zwei.«



Gemeinsam betrachteten sie die Landschaft.



»Es ist keine schlechte Zeit«, sagte Dick Diver. »Es ist nicht die schlechteste Zeit des Tages.«



Er blickte sie an, und eine Sekunde lebte sie in der strahlend blauen Welt seiner Augen, verlangend und zuversichtlich. Dann nahm er das letzte Stück der liegengebliebenen Sachen auf die Schulter und ging zu seinem Wagen, und Rosemarie kam aus dem Wasser, schüttelte ihren Badeumhang aus und ging zum Hotel hinauf.





IV



Es war fast zwei Uhr, als sie in den Speisesaal gingen. Über die verlassenen Tische huschte ein scharf geprägtes Muster von Lichtern und Schatten hin und her, der Bewegung der Pinien folgend, die draußen standen. Zwei Kellner, die Teller aufeinanderstapelten und laut italienisch miteinander redeten, verstummten, als sie hineinkamen, und brachten ihnen die dürftigen Überreste des Table d'hôte-Lunchs.



»Ich habe mich am Strand verliebt«, sagte Rosemarie.



»In wen?«



»Zuerst in eine ganze Menge Leute, die nett aussahen. Dann in einen Mann.«



»Hast du mit ihm gesprochen?«



»Nur ein paar Worte. Sieht sehr gut aus. Hat rötliches Haar.« Sie aß mit Heißhunger. »Aber er ist verheiratet – immer dieselbe Geschichte.«



Ihre Mutter war ihre beste Freundin und hatte alles bis zum Letzten in ihre Ausbildung gesteckt – nichts Seltenes im Theaterberuf, in diesem Fall aber etwas Besonderes, weil Frau Elsie Speers sich für ihre eigenen Verzichtleistungen nicht schadlos hielt. Dem Leben gegenüber kannte sie weder Bitterkeit noch Groll; zweimal befriedigend verheiratet und zweimal verwitwet, hatte sich ihr heiterer Gleichmut mit jedem Male verstärkt. Ihr erster Mann, Rosemaries Vater,  war Militärarzt gewesen, der zweite Kavallerieoffizier; jeder hatte ihr etwas vererbt, und sie war bestrebt, es Rosemarie unangetastet zugute kommen zu lassen. Dadurch, daß sie Rosemarie nicht geschont hatte, war diese hart geworden – dadurch, daß sie selbst keine Arbeit und keine Mühe gescheut hatte, war in Rosemarie eine Schwärmerei großgezogen worden, die sich gegenwärtig ganz auf ihre Mutter konzentrierte, so daß sie die Welt mit deren Augen betrachtete. Wenngleich also Rosemarie Hoyt noch ganz kindlich war, hatte sie doch einen doppelten Schutz: die Lebensauffassung ihrer Mutter und ihre eigene – sie hatte ein ausgesprochenes Mißtrauen gegen alles Triviale, Oberflächliche und Gewöhnliche. Frau Speers jedoch fühlte nach Rosemaries plötzlichem Filmerfolg, daß es Zeit sei, sie seelisch zu entwöhnen; ja, es hätte sie weniger geschmerzt als gefreut, wenn diese etwas übertriebene, atemraubende und aggressive Schwärmerei sich außer auf sie noch auf ein anderes Objekt gerichtet hätte.



»Demnach gefällt es dir hier?« fragte sie.



»Es könnte nett sein, wenn wir die Leute kennenlernen würden. Es waren auch noch andere da, aber sie waren nicht sympathisch. Sie erkannten mich – wir können hinfahren, wohin wir wollen, jeder hat ›Vatis Mädelchen‹ gesehen.«



Frau Speers wartete, bis sich die Woge der Selbstgefälligkeit gelegt hatte, dann sagte sie in sachlichem Ton: »Übrigens, ich denke gerade daran – wann wirst du Earl Brady aufsuchen?«



»Ich dachte, wir könnten heute nachmittag hin, wenn du ausgeruht bist.«



»Du allein – ich komme nicht mit.«



»Dann warten wir eben bis morgen.«



»Ich möchte, daß du allein hingehst. Es ist doch nicht so weit – und schließlich sprichst du ja französisch.«



»Mutter – gibt's nicht irgend etwas, was ich nicht tun muß?«



»Nun gut, dann geh ein andermal, aber noch bevor wir fortfahren.«



»Gut, Mutter.«



Nach dem Lunch wurden sie beide von der plötzlichen Langeweile gepackt, wie sie amerikanische Reisende an stillen ausländischen Orten überfällt. Keine Anregung war vorhanden, keine Stimmen riefen von draußen nach ihnen, keine Bruchstücke ihrer eigenen Gedanken sprangen ihnen plötzlich aus den Köpfen anderer entgegen, und da sie den Trubel von New York vermißten, kam es ihnen vor, als stünde das Leben hier still.



»Wir wollen nur drei Tage hierbleiben, Mutter«, sagte Rosemarie, als sie wieder in ihren Zimmern waren. Draußen wirbelte ein leichter Wind die Hitze umher, drängte sie zwischen die Bäume und sandte kleine heiße Böen durch die Jalousien.



»Und was ist mit dem Mann, in den du dich am Strand verliebt hast?«



»Ich liebe nur dich allein, Mutter, mein Liebling.«



Rosemarie begab sich in die Halle und sprach mit Gausse Vater über Züge. Der Portier, der in hellbrauner Khakiuniform hinter seinem Tisch faulenzte, starrte sie unbeweglich an, dann plötzlich besann er sich darauf, was seinem Beruf zukam. Sie benutzte den Autobus und fuhr mit zwei unterwürfigen Kellnern zum Bahnhof. Ihr ehrerbietiges Schweigen irritierte sie, und sie hätte ihnen am liebsten gesagt: »Reden Sie doch, amüsieren Sie sich. Es stört mich nicht.«



In dem Erster-Klasse-Abteil war es erstickend heiß; die lebendigen Reklamebilder der Eisenbahngesellschaften – der Pont du Gard in Arles, das Amphitheater in Oranien, Wintersport in Chamonix – wirkten frischer als die weite, bewegungslose See draußen. Im Gegensatz zu amerikanischen Zügen, die von ihrer eigenen unbedingten Notwendigkeit durchdrungen sind und Leute aus einer anderen, weniger flinken und atemlosen Welt verachten, war dieser Zug ein Bestandteil des Landes, durch das er fuhr. Sein Luftzug wehte  den Staub von den Palmblättern, die Kohlenasche vereinigte sich mit dem getrockneten Mist in den Gärten. Rosemarie hatte den Eindruck, sie könne sich aus dem Fenster lehnen und Blumen pflücken.



Vor dem Bahnhof in Cannes schliefen ein Dutzend Droschkenkutscher in ihren Wagen. Gegenüber auf der Promenade kehrten das Kasino, die eleganten Läden und die großen Hotels der sommerlichen See blinde, eiserne Masken zu. Es war unvorstellbar, daß es jemals eine »season« gegeben haben sollte, und Rosemarie, die unter dem Einfluß dessen stand, was für schick galt, hatte ein bedrücktes Gefühl, weil sie sich in der toten Saison hier aufhielt; als würden sich die Leute darüber Gedanken machen, warum sie in der Ruhepause zwischen der Fröhlichkeit des vorigen und des nächsten Winters hier war, während oben im Norden das Leben dahinbrauste.



Als sie mit einem Fläschchen Kokosnußöl aus einer Drogerie kam, kreuzte ihren Weg eine Dame, in der sie Frau Diver wiedererkannte; sie hatte die Arme voller Sofakissen und ging zu einem Wagen, der am Ende der Straße parkte. Ein langer, kurzbeiniger schwarzer Hund bellte sie an, ein Chauffeur, der eingenickt war, fuhr hoch. Sie saß im Wagen, ihr liebliches Gesicht unbeweglich und beherrscht, ihre schönen Augen blickten aufmerksam geradeaus ohne festes Ziel. Ihr Kleid war leuchtend rot, und ihre braunen Beine waren ohne Strümpfe. Sie hatte dichtes, dunkles, goldenes Haar wie ein Chow-Chow.



Da Rosemarie eine halbe Stunde auf ihren Zug warten mußte, setzte sie sich ins Café des Aliées auf der Croisette, wo die Bäume ein grünes Zwielicht auf die Tische zauberten und eine Kapelle ein imaginäres Publikum von Kosmopoliten mit dem Nizza-Karnevalslied und den vorjährigen amerikanischen Schlagern umwarb. Sie hatte Le Temps und The Saturday Evening Post für ihre Mutter gekauft, und während sie ihr Zitronenwasser trank, öffnete sie das amerikanische  Blatt bei den Memoiren einer russischen Fürstin und fand die unklaren gesellschaftlichen Konventionen der neunziger Jahre wirklicher und lebensnaher als die Schlagzeilen des französischen Blattes. Es war das gleiche Gefühl, das sie im Hotel bedrückt hatte. Gewohnt, die ausgefallensten Wunderlichkeiten eines Erdteils, stark unterstrichen, als Komödie oder als Tragödie zu betrachten, und ungeübt in der Kunst, das Wesentliche für sich herauszuschälen, begann sie jetzt, das französische Leben schal und leer zu finden. Dieses Gefühl verstärkte sich noch, als sie den traurigen Melodien der Kapelle lauschte, die an die melancholische Musik bei akrobatischen Darbietungen in Vaudevilles erinnerte. Sie war froh, als sie wieder in Gausses Hotel war.



Ihre Schultern waren zu verbrannt, als daß sie am nächsten Tag hätte schwimmen können. So mieteten sie und ihre Mutter einen Wagen – nach vielem Feilschen, denn Rosemarie hatte die Bewertung des Geldes in Frankreich gelernt – und fuhren an der Riviera, dem Mündungsgebiet vieler Flüsse, entlang. Der Chauffeur, ein russischer Zar aus der Zeit Iwans des Schrecklichen, hatte eigenmächtig die Führung übernommen, und die schillernden Namen – Cannes, Nizza, Monte Carlo – begannen aus ihrer trägen Verschleierung hervorzuleuchten und erzählten flüsternd von alten Königen, die hergekommen waren, um zu schmausen oder zu sterben, von Maharadschas, die englischen Tänzerinnen Edelsteine aus Buddhastatuen zuwarfen, und von russischen Großfürsten, die in den entschwundenen Zeiten des Kaviars ihren Aufenthalt im Süden in nordische helle Nächte verwandelten. Am offensichtlichsten war an der Küste di

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