1001 Dattelkeks

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Kapitel 4
Smaragdgrüne Flammen

Golroo und Taliman fingen Shanli im Hof ab.

»Und? Was hat er gesagt?«, fragte Taliman sogleich.

Golroo schimpfte: »Wie kannst du so was fragen? Siehst du nicht, wie elend sie aussieht.« Sie legte Shanli den Arm auf die Schulter. »Was hat der Schah gesagt?«

Niedergeschlagen murmelte die Bäckerstochter: »Dass er eine schöne Ehefrau an seiner Seite braucht.«

Talimans Brauen zogen sich zusammen. »Oh, das ist aber nicht ganz das, was wir erwartet haben.«

»Nein, nicht ganz«, pflichtete Shanli ihm unglücklich bei. »Er schickte alle fort, die ihm nicht hübsch genug waren. Auch Nisra, die Metzgerstochter.«

Golroo nickte verärgert. »Wegen ihrer Nase wahrscheinlich.«

»Ja, die ist recht ungewöhnlich, mit ihrem Buckel«, sagte Taliman.

»Sie ist das gutherzigste Mädchen, das ich kenne. Nisra würde alles für einen tun.« Shanli wurde wütend. »Und Bitu, die gewöhnlich immer ein Lächeln auf den Lippen trägt und immer ein offenes Ohr für einen hat, wurde aus dem gleichen Grund wie ich abgewiesen: weil sie zu dick ist!«

»Ja, natürlich«, empörte sich Golroo. »Sie ist ja noch dicker als du!«

Taliman fuhr seine Frau an: »Na, jetzt übertreib mal nicht so! Bitu ist gar nicht so dick wie Shanli!«

Wäre ihr nicht zum Heulen zumute gewesen, hätte sie über die zwei Alten gelacht. Aber momentan war ihr überhaupt nicht danach. Viel lieber wollte sie sich nur noch in ihr Bett verkriechen, sich die Decke über den Kopf ziehen und es nie wieder verlassen.

Shanli beschloss, dass das die beste Idee des Tages war, und verabschiedete sich von dem Ehepaar. Mit hängenden Schultern schlurfte sie heim. Sie verschloss die Eingangstür ihres Hauses, schlüpfte aus ihren Schuhen und ließ den Korb, der die unberührten Süßigkeiten enthielt, an Ort und Stelle fallen. Die Küche sah noch immer wie ein Schlachtfeld aus, was Shanli seufzen ließ. Überall standen verklebte Schüsseln und lagen benutzte Rührlöffel herum, die sie an ihre vergebene Mühe erinnerten. Nuss- und Eierschalen lagen zum Teil auf dem Boden. Spuren von Mehl und Sesam zogen sich durch den ganzen Raum.

In der Nacht war sie zu müde gewesen, um aufzuräumen, und am Morgen konnte sie nicht schnell genug zum Palast gelangen. Und für was? Um auf ganzer Linie zu versagen. Sie war weder Hoflieferantin geworden noch in die Brautauswahl gelangt. Wie hatte sie nur glauben können, eins dieser Ziele zu erreichen?

Tränen kullerten über Shanlis Wangen. Sie brachte nicht mehr die Kraft auf, Ordnung zu schaffen. Ausgelaugt bis auf die Knochen, schien das Bett sie magisch anzuziehen.

In ihrem Schlafzimmer ließ sie sich sofort auf die Matratze fallen und rollte sich zu einer Kugel zusammen. Mit dem Kissen unter dem Kopf, das den wohlvertrauten Geruch ihres Zuhauses in sich trug, kamen Erinnerungen an ihre Kindheit.

Wie glücklich sie gewesen war, ohne es zu ahnen. An ihre Mutter erinnerte sie sich nur vage. Denn diese war gestorben, als sie fünf Jahre alt gewesen war. Aber umso mehr Platz nahm ihr Vater in ihren Gedanken ein. Vor ihren Augen formten sich Bilder, als er ihr zeigte, wie man Eischnee besonders steif schlug. Oder als sie beim Gewürzhändler die Säcke nach neuen Aromen durchschnüffelten. Oder wie sie stundenlang Mandeln aus den nassen Häuten flutschen ließen und sich dabei scheckig lachten, weil die Kerne durch die ganze Küche hopsten. Sogar dann noch, als es ihm immer schlechter ging und er sich nicht mehr allein auf den Beinen halten konnte, hatte er es genossen, mit ihr die kleinen Arbeiten zu verrichten, die die Süßbäckerei mit sich brachte. Wie sehr sie sein Lachen vermisste!

Lange bevor seine letzte Stunde geschlagen hatte, sagte er ihr voraus, dass er bald sterben würde. Zuerst hatte sie seine Aussagen als grundlose Ängste abgetan und ihm widersprochen. Aber dann, als er nicht mehr gesund wurde, sondern immer schwächer und kränklicher, begriff sie, dass er sein Ende spürte. Ab jenem Zeitpunkt war ihr jeder Tag, den sie mit ihm verbringen durfte, wie ein Geschenk vorgekommen. Omid hatte sie gut vorbereitet auf seinen Tod, denn er hatte gewusst, dass es für sie nicht leicht werden würde. Nachts hatte sie sich lautlos in den Schlaf geweint, um ihm tagsüber ein Lächeln schenken zu können. Doch nun, wo er nicht mehr hier war und alles, wofür er sein Leben lang hart gearbeitet hatte, unterzugehen drohte, schmerzte sie seine Abwesenheit stärker als je zuvor.

Sie hatte nicht nur sich enttäuscht, sondern auch ihren Vater. Ohne die Einnahmen vom Markt würde sie bald keine Zutaten mehr kaufen können. Das Wenige, was der Verkauf über das Küchenfenster einbringen würde, könnte nie und nimmer die Ausgaben für die teuren Gewürze oder Mandelkerne decken. Bald wären ihre Vorräte aufgebraucht, und dann musste sie Zutaten minderer Güte kaufen, was sich unweigerlich auf den Geschmack ihrer Süßigkeiten auswirken würde und dies wiederum auf ihren Verkauf. Womöglich würde sie irgendwann gar kein Geld mehr haben, um Zutaten zu kaufen. Wie sollte es nur weitergehen?

Musste sie wirklich das einzig Wertvolle, das sie von ihrem Vater geerbt hatte, verkaufen müssen? Omid hatte ihr das Amulett kurz vor seinem Tod gegeben. Sie war überrascht gewesen, denn sie hatte nicht gewusst, dass er ein solch wertvolles Schmuckstück besaß. Mitten in der Nacht hatte er es ihr in die Hand gedrückt und sie ermahnt, es niemandem zu zeigen.

Verstohlen suchte Shanli in der Innenseite ihres Kopfkissens nach der geheimen Tasche, wo das Amulett versteckt war. Kaum hatten ihre Finger das Fach ertastet, zwängten sie sich durch die kleine Öffnung und wurden fündig. Sie barg das schwere Schmuckstück, dessen Kälte sie leicht erschaudern ließ. Wehmütig betrachtete sie den daumengroßen Smaragd, der die Form eines Tropfens hatte und an einer groben Goldkette hing. Seine goldene Fassung war kunstvoll verarbeitet und mit vielen winzigen Diamanten verziert. Selbst jetzt noch, in der schwachen Nachmittagssonne, glitzerten diese wie blanke Sterne. Und der geschliffene Smaragd schien regelrecht zu glühen, als loderte eine Flamme in ihm. Wie gebannt starrte Shanli auf das Medaillon. Sie konnte sich gar nicht satt sehen an seiner Schönheit.

Sollte sie diese Kostbarkeit wirklich verkaufen? Sicher würde sie für das Schmuckstück eine Menge Geld bekommen, aber sie würde es nie wiedersehen. Das war ebenso sicher. Denn nie im Leben würde sie mit ihren Süßigkeiten so viel verdienen, um dieses Schmuckstück zurückkaufen zu können. Verzweifelt schloss Shanli die Augen und die Hand, in der das Amulett lag. Sanft rieben ihre Fingerspitzen über den kühlen Stein.

Alles könnte so einfach sein, wenn nur … Ja, es gab einiges, was ihre aussichtslose Situation verbessern würde.

»Ich wünschte … ich wünschte …«, nuschelte Shanli in die Stille ihres Zimmers.

Ja, was sollte sich alles erfüllen? Dass Parviz sich in sie verlieben würde, dass sie nicht mehr dick war, dass sie genügend Geld hatte … oder wenigstens, dass sie auf dem Markt verkaufen dürfte. Oder etwas, dass dies alles unnötig machen würde.

»Ich wünschte … Ich wünschte, ich wäre ein Mann!«

Erschrocken öffnete Shanli die Augen, denn ein Ruck war durch das Medaillon gegangen. Was war nur mit ihr los? Wieso sah sie plötzlich Sterne vor Augen? Vielleicht war sie übermüdet.

Shanli kniff die Augen zusammen und hörte im nächsten Moment eine Männerstimme.

»Naja, ich weiß nicht, ob das jetzt eine Verbesserung ist?«

Sie riss ihre Lider auf und rang nach Luft, denn vor ihrem Bett stand ein Mann. Ein Kerl in einer lila Pumphose! Er hatte die Arme vor seiner Brust verschränkt, die in einer seidenen Tunika mit Weste steckte. Die Krönung seiner Erscheinung waren jedoch seine Glitzerschuhe, deren Spitze sich zu einer Schnecke kringelten.

Ungläubig starrte Shanli nach deren Musterung wieder in sein Gesicht, und als sich seine Braue in einer zynischen Geste erhob, war es soweit: Sie holte tief Luft und brüllte sich die Seele aus dem Leib.

Doch anstatt zu flüchten, runzelte der braunhaarige Eindringling lediglich die Stirn und meinte: »Was schreist du denn so? Du hast mich doch herbeigerufen.«

Weil er nach wie vor keine Anstalten machte, zu flüchten, sprang Shanli aus dem Bett und begann, mit dem Kissen auf ihn einzuschlagen.

Das Amulett noch immer fest in der Hand, brüllte sie ihn an: »Verschwinde! Was willst du von mir? Ich bin eine anständige Frau! Raus aus meinem Haus!«

Der Mann wehrte sich nicht, sondern versuchte bloß, sich vor den Schlägen zu schützen. »Aua! Hör auf mit dem Unfug! Autsch! Bist du verrückt?«

Schließlich konnte er ihr das Kissen wegnehmen, wobei das Amulett zu Boden fiel. Doch das kümmerte den Eindringling nicht, vielmehr fing er Shanlis Handgelenke ein, weil sie angefangen hatte, ihm eine Ohrfeige nach der anderen zu verpassen.

Erneut fing sie an, zu schreien, allerdings in Richtung Fenster: »Hilfe! So helft mir doch!«

»Wieso rufst du denn jetzt nach Hilfe?«, fragte er kopfschüttelnd.

Shanli geriet in Panik, denn der Kerl schaute sie so komisch an. »Er will mir Gewalt antun!«

»Äh, igitt, nein, will ich nicht!« Angewidert verzog sich das Gesicht des jungen Mannes.

»Ein Frauenschänder! So kommt mir doch zur Hilfe!«, rief die Bäckerstochter und versuchte vergeblich, sich von ihm zu befreien.

Verdattert zog der Braunhaarige den Kopf ein und ließ Shanlis Hände los. »Nur zur Erinnerung: Du bist keine Frau mehr!«

»Was?!«, murmelte sie und hielt verdutzt inne. Seine Worte, wie auch seine erhobenen Hände, die ihr seine Handinnenflächen zeigten, in einer Gebärde des Aufgebens, verwirrten sie.

 

Der Eindringling zuckte mit den Schultern. »Du hast dir doch gewünscht, ein Mann zu sein. Jetzt bist du einer.«

»Wie?« Shanli schüttelte unverständig den Kopf.

Doch als der Pumphosen-Mann mit seinem Kinn auf sie deutete, blickte sie an sich herunter. Der nächste Schock stand ihr bevor: Ihr Busen war weg, dafür war ihr Bauch noch kugliger als zuvor.

Mit riesigen Augen starrte Shanli wieder den Eindringling an, der sie still beobachtete. Abermals senkte sie ihren Blick und fasste sich nach kurzem Zögern zwischen die Beine, um gleich darauf zu schreien – mit einer Stimme, die, wie sie nun bemerkte, viel tiefer war, als gewöhnlich. Völlig entgeistert, aber immerzu brüllend, schlug sie die Hände vors Gesicht, wo sie prompt einen Bart fand. Total überfordert von ihrem neuen männlichen Körper, fing sie an, vor dem Fremden zu flüchten. Denn nur er konnte schuld daran sein. Rückwärtslaufend, stetig schreiend, wich sie zurück, und als sie glaubte, den Ausgang hinter sich zu haben, drehte sie sich um. Allerdings donnerte sie mit ihrer Stirn gegen die Tür, was ihre Flucht abrupt beendete.

Besinnungslos sank Shanli zu Boden. Der Fremde trat näher an Shanli heran. »Wunderbar! Da kommt man nach einem Jahrhundert endlich mal wieder an die frische Luft, und dann das!« Er schnaufte laut. »Vergiss es! Dich werde ich nicht ins Bett tragen! Bei so einem Brocken, wie dir, heb ich mir ja einen Bruch!«

Kapitel 5
Glitzerschuhe und andere schreckliche Dinge

Langsam öffnete Shanli ihre Lider. Im selben Moment malträtierte sie ein wummerndes Pochen an ihrer Stirn.

Was war geschehen? Ach, ja sie war gegen die Tür geknallt, wegen des komischen Kerls. Kerl?!

Die Erinnerung stürzte auf Shanli ein wie ein Eimer eiskaltes Wasser. Sofort rappelte sie sich auf, bis sie, aufrecht sitzend, mit ihrem Rücken an der geschlossenen Tür lehnte. Zu ihrem Entsetzen stand der seltsame Eindringling nach wie vor in ihrem Zimmer herum. Was bedeutete, dass es kein verrückter Traum gewesen war und dass sie … Nein, das konnte sie nicht glauben!

Ängstlich blickte sie an sich hinunter. Tatsache, sie war ein Mann!

»Nein, nein, nein! Das kann nicht sein!«, hechelte Shanli und verfiel zusehends erneut in Panik.

Der Mann hatte sich, in seiner anscheinend typischen Pose, mit verschränkten Armen, vor ihrem Bett aufgebaut. Seine Brauen wanderten seinem braunen Haarschopf entgegen, als er sie argwöhnisch betrachtete.

»Jetzt komm mal wieder runter von der Palme!«, fuhr er sie an, was sie wohl beruhigen sollte. »Du tust so, als wäre es das Schrecklichste auf der Welt, ein Mann zu sein!«

Fassungslos starrte Shanli den braunhaarigen Eindringling an, der lediglich ein paar Jahre älter als sie sein konnte. »Das ist es doch auch!«

»Naja, wenn man so aussieht wie du, dann wahrscheinlich schon!«, meinte er amüsiert.

Wütend wippte Shanli mit ihrem Kopf. »Sagt der Mann in lila Pumphose.«

»Hey, zu meiner Zeit war das total angesagt, ja?!«

Shanli prustete: »Wann soll das gewesen sein? Im letzten Jahrhundert?«

Der Eindringling verfiel ins Grübeln. »Nein, das muss schon länger her sein. Denn als ich das letzte Mal draußen war, war Kiomars Schah, und davor waren schon zwei Jahrhunderte vergangen, seit ich verwandelt worden bin.«

Shanli sah den Mann befremdlich an. Draußen? Hatte man ihn eingesperrt? Aber …

»Kiomars war … Schah Parviz' Urgroßvater oder so, glaub ich«, nuschelte sie mehr zu sich selbst.

Der Typ war doch nicht ganz klar im Kopf. Was erzählte der ihr da? Gut, sie selbst war auf einmal ein Mann, was ja noch viel verrückter war. Vielleicht war sie diejenige, die einen Sprung in der Schüssel hatte? Bildete sie sich das alles nur ein, träumte sie doch?

»Also, was ist jetzt?«, fragte der Fremde und riss Shanli damit aus ihren Gedanken. »Soll ich dich wieder zurückverwandeln? Ehrlich gesagt ist es sowieso ein Wunder, dass das auf Anhieb geklappt hat. So etwas musste ich nämlich noch nie machen!«

Shanli legte den Kopf schief. »Du hast das getan? Warum?«

Er schüttelte den Kopf, und vorwurfsvoll tönte seine Stimme. »Weil du es dir gewünscht hast! Schließlich muss ich die Wünsche erfüllen, die du aussprichst.«

Verdutzt schaute sie den Eindringling an. Es stimmte, sie hatte sich laut gewünscht, ein Mann zu sein. Mit großen Augen starrte Shanli ihn an.

»Du kannst mir meine Wünsche erfüllen?«

»Jaahaa, solange du das Amulett besitzt.« Der Fremde nickte gemächlich und hatte einen Ton angeschlagen, der deutlich machte, dass er sie für dumm wie Fladenbrot hielt.

Langsam zog ein Strahlen auf Shanlis Gesicht. »Du bist ein Dschinn! Ein Dschinn, so wie der aus dem Märchen mit der Wunderlampe.«

»Naja, so etwas Ähnliches wie ein Dschinn«, gab der Mann zu. »Eigentlich bin ich nur verflucht dazu, anderen zu dienen. In Wirklichkeit bin ich ein Mensch, verstehst du?«

Aufgeregt schüttelte Shanli kurz den Kopf. »Nein. Aber das ist im Grunde ja auch egal. Wichtig ist nur, dass du meine Wünsche erfüllen kannst. Hab ich das richtig verstanden?«

Das Gesicht des Dschinns verfinsterte sich. Er war ein Hohlkopf. Warum glaubte er immer noch, nach all der Zeit, dass sich irgendein Besitzer des Smaragdes für seinen Fluch interessieren würde? Nach vier Jahrhunderten, die es jetzt wohl sein dürften, und den vielen Herren, denen er hatte dienen müssen, sollte er doch allmählich wissen, dass es nur um die Wünsche ging, die er ihnen erfüllen konnte. Auch diesmal würde er den Diener machen und jeden Wunsch, den das pummlige Mädchen aussprach, in die Tat umsetzen. Und verflucht noch mal, er konnte sich schon denken, wohin die Reise gehen würde. Eindeutig zu oft hatte er das durchgemacht.

Mit einem tiefen Atemzug gestand der Dschinn letztlich: »Ja. Leider!«

»Das ist ja wundervoll!«, kiekste Shanli, sprang auf und begann vor Freude, wild auf und ab zu hüpfen.

Der Dschinn rieb sich die Stirn und schloss genervt die Augen. »Kann ich dich jetzt, bitte, zurückverwandeln? Es ist wirklich ein erschreckender Anblick, wenn ein übergewichtiger Kerl in einem zu engen Kleid herumhopst und trällert wie ein zehnjähriges Mädchen.«

»Ja, ja!«, jauchzte Shanli, mit einem Grinsen, das bis an ihre Ohren reichte. Sie trat näher an den Dschinn heran. »Solange ich nicht solche abartigen Glitzerschuhe wie du tragen muss.«

Mürrisch schaute er sie an. »Ja, sehr witzig! Also sprich es aus, damit das Elend ein Ende hat.«

Shanlis Brust hob sich in freudiger Erwartung. »Ich muss es mir nur laut wünschen?« Der Dschinn nickte und Shanli sprach es aus.

»Ich wünsche mir, wieder eine Frau zu sein!«

Ein Sternenregen wirbelt um Shanli auf, und bevor sie es sah, wusste sie, dass sie wieder ihren weiblichen Körper hatte, denn es fühlte sich richtig an. Lächelnd sah sie auf ihren großen Busen und ihren runden Bauch hinab.

Höhnisch kommentierte der Dschinn das Ergebnis: »Ja, das erklärt einiges. Da du nicht wieder schreist, gehe ich davon aus, dass dein … mehr als runder Zustand normal ist. Und kein Fehler von mir.«

Verärgert schaute Shanli zu dem Geist des Amuletts auf. Nun, wo sie dicht vor ihm stand, bemerkte sie, dass seine Augen voller Spott waren und die gleiche giftige Farbe wie der Smaragd hatten.

»Wie bekomme ich dich nervigen Dummschwätzer eigentlich wieder in den Anhänger hinein? Spuck es aus, du Scherzkeks! Was ist das Zauberwort?«

In zynischer Lässigkeit verzog der Dschinn einen Mundwinkel. »Nett, wirklich! Im Allgemeinen nennt man mich allerdings Navid. Und wenn du meine Dienste nicht mehr benötigst, solltest du Folgendes sagen: Oh, wundervoller Navid, schönster, edelster Mann, der auf Erden wandelt, auf ewig werde ich dir dankbar sein.«

Shanli versteinerte augenblicklich und betrachtete ihr Gegenüber. Der Kerl nahm sie doch auf den Arm und war eingebildet, dass es nur so krachte. Gut, seine Mähne hatte eine Farbe, die sie an leckere Haselnüsse denken ließ. Mochte sein, dass diese ungezügelten Wellen, die um sein markantes Gesicht fielen, auf manche Frauen einen gewissen Reiz ausübten. Ohne Frage auch seine grünen Augen. Dennoch war seine Hakennase nicht zu übersehen. Aber zusammen mit den schmal geschwungenen Lippen und dem kantigen Kinn war sein Gesicht alles andere als hässlich. Offensichtlich hatte der Pumphosen-Dschinn jedoch eine übergroße Schwäche für Schmuck, denn die goldenen Kreolen an seinen Ohrläppchen blitzten bei jeder Bewegung auf. Sogar seine Handgelenke wurden von breiten Goldspangen umfasst. Sie könnte wetten, dass er mehr als einen protzigen Fingerring an jeder Hand trug. Schade, dass sie ihre Vermutung nicht überprüfen konnte. Er hielt nämlich seine Hände unter den verschränkten Armen verborgen. Doch alles wies daraufhin, dass der Dschinn, welcher sich als Navid vorgestellt hatte, ein eitler, eingebildeter Pfau war. Und so, wie er sich benahm und aus seiner bestickten Seidenweste schaute, einer der allerschlimmsten Sorte. Na, das würde etwas geben! Dem Herrn würde sie gleich mal zeigen, wo das Kamel seine Locken hatte!

»Klar! Wundervoll! Schönster Mann!«, wiederholte Shanli vermeintlich ruhig seine Worte. Doch dann verpasste sie Navid einen unerwarteten Schlag auf den Hinterkopf und schrie ihn laut an: »Du hast sie doch nicht mehr alle! Ich geb dir gleich wundervoll!«

»Aua! Ist ja gut, Dickerchen. Das war es!«, entgegnete Navid kleinlaut und zog den Kopf ein.

»Wie: ›Das war es‹?«, wollte Shanli wissen.

Aber kaum hatte die letzte Silbe ihren Mund verlassen, musste sie zusehen, wie Navid anfing, sich um seine eigene Achse zu drehen. Er wurde immer schneller und schneller. Schließlich verwandelte er sich in einen grünen trichterförmigen Wirbelwind, der röchelnd in den Smaragd eingesaugt wurde. Zum Schluss hinterließ er nur noch ein leises Pupsgeräusch, das als letztes Anzeichen seiner Existenz im Raum nachhallte. Innerhalb von Sekunden war der Dschinn verschwunden. Nur noch das Amulett mit dem grün funkelnden Juwel lag am Boden, als wäre nie etwas geschehen.

Geschockt von Navids plötzlichem Verschwinden nuschelte Shanli benommen: »Jetzt hat der Kerl hier noch einen fahren lassen. Direkt vor meiner Nase! Ich fass es nicht!«

Vorsichtig schnüffelte sie. Zumindest war sein Abgang ohne Gestank. Ein Dschinn, der furzte, wenn er sich dünne macht. Unglaublich! Und … wie bekam sie ihn jetzt da wieder heraus?

Auf Zehenspitzen näherte sie sich dem Schmuckstück und hob es mit spitzen Fingern vom Boden auf. Damit sie den Smaragd besser untersuchen konnte, ließ sie ihn vor ihrer Nase, an der Kette, herunterbaumeln. Dämmriges Tageslicht fiel durch das Fenster und ließ den Edelstein hell leuchten. Das dunkle Grün war faszinierend und erinnerte sie an Navids Augenfarbe.

Shanli konnte es nicht glauben, sie hatte einen Dschinn. Zwar einen selbstgefälligen Angeber-Dschinn, aber immerhin konnte er ihr alle Wünsche erfüllen, die sie sich vorstellen konnte. Genau! Das war es – nein, halt! Das war der Satz, den sie sagen musste, wenn er verschwinden sollte. Aber kurz bevor er aufgetaucht war, hatte sie dreimal laut gesagt: Ich wünschte. Das musste es sein.

Und so sprach Shanli die Sätze laut in ihr verlassenes Zimmer: »Ich wünschte. Ich wünschte. Ich wünschte.«

Gebannt hielt sie die Luft an und wurde aus nächster Nähe Zeuge, wie … nichts passierte. Nach wie vor baumelte der Smaragd träge an der Kette, doch von Navid und seiner lila Pumphose war weit und breit keine Spur.

Shanli seufzte. War er sauer? Wollte der kleine Wichtigtuer etwa nicht mehr herauskommen? Konnte er sich da drin womöglich festhalten?

Die Bäckerstochter nahm den Smaragd in die Hand und schüttelte ihn. »Komm raus! Los mach schon, du Drückeberger, du hast lange genug auf der faulen Haut gelegen«, brüllte sie den Stein an.

Abermals geschah nichts. Shanli versuchte, sich an das zu erinnern, was sie getan hatte, als sie den Dschinn herbeigerufen hatte. Niedergeschlagen hatte sie sich ins Bett fallen lassen. Sich in Selbstmitleid geaalt und an ihren Vater gedacht, dann hatte sie den Smaragd aus seinem Versteck geholt. Sie hatte ihn in den Händen gehalten, fest umschlossen. Und … ja, sie hatte ihn gerieben, während sie die Sätze laut ausgesprochen hatte.

Aufatmend entschloss sich Shanli, es gleich noch mal zu probieren, und diesmal würde sie den Smaragd reiben.

Getan, gesagt.

»Ich wünschte … ich wünschte … ich wünschte«, und schon ging ein Ruck durch den Smaragd, und Navid, der Dschinn, stand, in seiner üblichen Haltung mit verschränkten Armen, wieder vor ihr. Seinen Kopf hatte er leicht in den Nacken gelegt, und von oben herab (was keine Kunst war, da er sie um einen guten Kopf überragte) schaute er sie an.

 

»Na, welchen Wunsch hat unser Schwabbelchen denn jetzt schon wieder?«