Die große Reise

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Die große Reise
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Evelyn Steiner

Die große Reise

Jerusalem – Ephesus – Pola – Florentia, Eine Erzählung aus der Zeit des römischen Imperiums

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Inhaltsverzeichnis

Titel

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

Anmerkungen

Dank

Impressum neobooks

für meine Mama

die mich gelehrt hat, auf der großen Reise

des Lebens auf Jesus zu vertrauen.

I.

Die beiden Mädchen pressten sich angstvoll aneinander. "Schhh! Keine Sorge, hier finden sie uns nicht", versuchte die Ältere die Jüngere flüsternd zu beruhigen. Doch ihre zittrige Stimme verriet sie. Die andere schwieg, sie hatte bereits zu viel Grauen gesehen, um den Worten ihrer Schwester Glauben schenken zu können.

Ein ohrenbetäubender Knall ließ die beiden zusammenzucken. "Was wohl jetzt eingestürzt ist?", fragte die Jüngere schaudernd und brach in Tränen aus. "War das unser Haus?“

Die Ältere setzte zu einer Erwiderung an, doch dann blieben ihr die Worte im Hals stecken. Hierauf gab es nichts mehr zu sagen, denn ihre Schwester hatte wahrscheinlich Recht.

Plötzlich stockte beiden der Atem. Auf dem Treppenabgang der zum Keller hinabführte, hörten sie schwere Schritte. Und dann Stimmen. Sie waren tief, aber nicht vertraut hebräisch. Es hörte sich vielmehr an wie Latein. Soldaten! Sie hatten in ihrem jungen Alter schon genug gesehen und gehört, um zu wissen, was das bedeutete. Sie hielten den Atem an und rutschten noch ein Stück tiefer hinter die großen, leeren Steinkrüge.

Die Männer waren nun unten angekommen, einer musste eine Fackel tragen, da die stockdunkle Finsternis von einem schwachen Schein erleuchtet wurde. Der eine rief dem anderen etwas Unverständliches zu, dieser lachte. Nun kamen die Schritte immer näher. Nur die Amphoren und die Dunkelheit schützten die Mädchen noch.

Dann kam ein leises Kratzen aus einer Ecke. Es musste eine Maus sein, die auch hier Schutz gesucht hatte. Der eine Soldat rief: "Mus!" Er lachte und Schritte entfernten sich. Doch der andere mit der Fackel war noch nicht fertig. "Mane!", rief er. Plötzlich fiel der Lichtschein geradewegs in die blassen Gesichter der beiden Mädchen.

"Ha!", schrie der Mann auf und der zweite war sofort zur Stelle. Er stieß einen aufgeregten Redeschwall aus, bis der andere ihn zurechtwies. Dann kamen sie grinsend auf die verängstigten Mädchen zu.

"Surge!", brüllte der Soldat und riss das eine Mädchen hoch. Der andere Soldat hatte seine Schwester schon gepackt. Er ignorierte ihr Schreien und Herumschlagen und ging mit ihr auf den Aufgang zu. Bald folgte ihm auch der andere mit seiner um sich tretenden Last über der Schulter.

In einem leerstehenden Gebäude wurden alle Juden, die gefangen genommen worden waren, zusammengepfercht. Es war heiß und stickig. Manche weinten leise, andere klagten laut oder schrien die Soldaten an. Babys brüllten, Kinder wimmerten und Verletzte stöhnten.

Hannah und Rahel hielten sich fest umschlungen, um in dem Tumult nicht voneinander getrennt zu werden. Nach einigem Zappeln und Schreien hatten sie bemerkt, dass es keinen Sinn machte, sich mit den Soldaten anzulegen. Auch bitten und betteln hatte ihnen nicht geholfen. Sie waren zu dem Haus gebracht worden, in dem alle Gefangenen eingesperrt wurden.

„Was wird nun mit uns geschehen?“, fragte Rahel nach einer langen Zeit des Schweigens. Sie hatten eine Ecke gefunden, in die sie sich quetschen konnten. So saßen sie nun mit dem Rücken an die kalte Steinmauer gelehnt. Rund um sie waren die anderen Menschen, ausgehungerte Elendsgestalten allesamt, viele davon ohne Familie und ohne Hoffnung. Viele leere Augen blickten ins Nichts. Knochige Gestalten, die ihre Arme um sich geschlungen hatten, schaukelten mit dem Oberkörper apathisch vor und zurück.

„Ich weiß es auch nicht“, erwiderte Hannah nach einer langen Pause. Sollte sie Rahel sagen, dass sie nun wahrscheinlich getötet oder in die Sklaverei verkauft werden würden? Sollte sie Rahel sagen, dass sie womöglich getrennt werden würden und dann völlig allein dastanden? Sollte sie Rahel sagen, was die Soldaten vielleicht mit ihnen anstellen würden? Nein, Rahel konnte sich das alles auch selbst denken. So traurig es auch war, dass ihre kleine Schwester mit ihren zwölf Jahren das alles schon mitbekommen musste. Als Hannah selbst so jung gewesen war, war die Welt noch in Ordnung gewesen, zumindest hatte es den Anschein gehabt. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, dass das erst drei Jahre her war. Das alles war so furchtbar, es kam ihr wie eine Ewigkeit vor.

Auf einmal waren mehr und mehr römische Soldaten in Jerusalem aufgetaucht. Jüdische Freiheitskämpfer, Zeloten und Sikarier, hatten Anschläge auf Befehlshaber und Offiziere der Römer verübt. Deshalb gingen die Römer schließlich vermehrt gegen diese Aufständischen vor. Der Hass, der schon jahrelang unterschwellig gegärt hatte, brach an die Oberfläche.

Hannah war damals noch viel zu jung und naiv gewesen, um verstehen zu können, was da vor sich ging. Sie hatte so getan, als ob keine Soldaten in den Straßen patrouillierten. Sie hatte so getan, als sei sie nicht hungrig, wenn einmal nicht genug zu essen da war. Und sie hatte mit aller Macht versucht, Rahel vor dem zu beschützen, was da draußen vor sich ging.

Doch eines Tages, vor etwa einem Jahr, hatte sie sich nicht mehr vor dem Krieg, der in Jerusalem herrschte, verstecken können. Es war der Tag gewesen, an dem ihr Vater ihren großen Bruder nach Hause trug. Er war tot. Nathanael hatte nur Brot kaufen wollen und war in einen Straßenkampf geraten. Ein Stein hatte ihn an der Schläfe getroffen, er war sofort tot gewesen. Ihre Mutter hatte nicht mehr zu weinen aufhören können. Tagelang, ohne Pause. Als sie sich endlich wieder gefasst hatte, wurde sie krank. Sie bekam sehr hohes Fieber und steckte damit ihr jüngstes Kind an. Die fünfjährige Mirjam war schon nach einigen Tagen gestorben, die Mutter folgte ihr wenig später.

Nach diesen Ereignissen gab es kein Lachen mehr im Haus von Jacob ben Ivo. Hannah und Rahel waren mit ihrem Vater allein. Jacob konnte seiner Arbeit als Tuchhändler nicht mehr nachgehen, weil sein Geschäft zerstört worden und die Lagerhalle mit seinen Waren abgebrannt war. Doch das bereitete ihm weniger Kopfzerbrechen, seine einzige Sorgen galt seinen beiden Mädchen und wie er Nahrung für sie auftreiben könnte. Auch hatte er sich Gedanken gemacht, wie sie aus der Stadt flüchten könnten. Doch es hatte keinen Weg gegeben.

So bedrückt die Stimmung auch gewesen war und so aussichtslos die Situation, der Vater hatte nie versäumt, sich mit seinen Töchtern zum Gebet zu versammeln. Manchmal waren auch andere dabei anwesend, die ihren Glauben teilten, doch meistens waren sie nur zu dritt. Jacob ben Ivo mochte zwar voll Sorge gewesen sein, so war er doch auch voller Hoffnung. „Der Herr wird uns retten!“, pflegte er zu sagen, „Ob so oder anders, das steht nicht in unserer Macht. Wir müssen Ihm nur vertrauen.“

Dieses Vertrauen wurde oftmals auf eine harte Probe gestellt. Wenn die Mädchen vor Angst nicht schlafen konnten, weil ununterbrochen die eisenbeschlagenen Schuhe der Soldaten über die Straßen klapperten. Wenn der Vater wieder einmal ohne ein einziges Stück Brot heimgekommen war und der Bauch vor Hunger schmerzte. Wenn sie die Trauer über den Verlust von Mutter, Bruder und Schwester einholte.

Dann kam eines Tages der Vater nicht mehr nach Hause. Tagelang warteten sie vergeblich auf ihn. Jacob ben Ivo war entweder gefangen genommen worden oder gestorben. Als den Mädchen das klar wurde, verkrochen sie sich vor Angst im Keller.

Doch selbst in ihrer Verzweiflung sagten sie einander immer wieder vor, was sie gelernt hatten und fest glaubten:

Der Herr ist mein Hirte;

Nichts wird mir fehlen.

Der Herr lässt mich lagern auf grünen Auen.

Und weiter:

Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht,

ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir.

II.

Die Mädchen erwachten vom Gebrüll mehrerer Männer. Erschrocken fuhren sie hoch. Nach Tagen des untätigen Wartens geschah nun etwas - ob das die Situation zum Guten oder Schlechten wenden würde, war unsicher, aber ein Funken Hoffnung blieb.

 

Die Zeit, die sie mit den vielen anderen Menschen in dem Gefängnis verbracht hatten, war ihnen endlos vorgekommen. Der Platzmangel und die Hitze hatten allen zu schaffen gemacht, aber einige waren verrückt geworden. Kreischend und um sich schlagend hatten sie um ihre nötigsten Bedürfnisse gerungen und waren dafür mit dem Tod bestraft worden.

Auch Hunger und Durst waren mit der Zeit unerträglich geworden. Nicht wenige waren gestorben, ausgemergelt von den Entbehrungen des letzten Jahres. Nur zweimal in dieser Zeit hatten die Soldaten etwas zu essen und trinken ausgegeben. Doch nur die Stärkeren unter ihnen hatten einen Becher Wasser und ein kleines Stückchen Brot ergattern können.

Hannah und Rahel waren unbeweglich in ihrer Ecke festgesessen. Manchmal hatten auch sie geglaubt, vor Angst und innerlichem Druck schreien zu müssen. Doch sie hatten einander immer wieder gestärkt und ermutigt. Dennoch waren sie nicht ohne Hoffnung. Sie hatten einen auf ihrer Seite, der viel größer und mächtiger war als das römische Imperium. Leise beteten sie miteinander und flehten ihren Gott um Hilfe an. Mochte man ihnen auch alles nehmen, ihren Glauben konnte niemand rauben.

Am Eingang schrien Frauen auf. Bewegung entstand im Raum. Auf einmal drängten sich alle zur Tür und hinaus ins Freie. „Sie lassen uns wieder laufen?“, fragte Rahel aufgeregt und mit unterdrückter Freude in der Stimme. „Ich bin mir nicht sicher“, entgegnete Hannah nüchterner, „aber zumindest werden wir wieder einmal an der frischen Luft sein.“ Sie nahm Rahel fest an der Hand, um sie nicht zu verlieren.

Nachdem sie sich mitten im Gedränge der verängstigten Menschen endlich einen Weg nach draußen gebahnt hatten, atmeten die Mädchen erst einmal erleichtert auf. Frische Luft und ein strahlender Himmel über ihnen! Wie sehr hatten sie diese sonst so alltäglichen Dinge während ihrer Gefangenschaft vermisst und nun kamen sie ihnen kostbarer vor als Gold.

Die Soldaten gaben schreiend Befehle. Das meiste verstanden sie nicht, doch dann wurde klar, was sie wollten. Die Gefangenen sollten eine Reihe bilden. Jeder bekam einen Schluck Wasser und zwei Datteln. Danach wurde losmarschiert.

Hannah wandte sich auf dem Weg noch einmal um und Tränen stiegen in ihre Augen. Rahel griff nach ihrer Hand, auch sie schluchzte. Die beiden Mädchen blickten zurück auf ihrer Heimatstadt. Einst war es die Stadt des Friedens gewesen, heute war es nur noch eine Stadt der Ruinen.

Über ihnen erhob sich der Zion, doch kein wunderschöner Tempel bildete mehr das Zentrum Jerusalems. Das Haus der Gegenwart des Herrn war zerstört und ein einzelner, dünner Rauchfaden stieg vom letzten Feuer auf zum Himmel wie vormals der Weihrauch. Wohin war die Herrlichkeit der Stadt Davids verschwunden? Und nun wurden sie fortgetrieben aus ihrer geliebten und beweinten Stadt.

Rechts und links von bewaffneten Wächtern eskortiert, zog sich die Schlange armseliger Gestalten lange dahin. Je länger der Marsch dauerte, desto mehr Juden stolperten und viele konnten nicht mehr aufstehen. Wenn auch die Peitsche sie nicht mehr auf die Beine brachte, wurden sie mit einem einzigen Lanzenstich getötet.

Hannah hielt Rahel die Augen zu, als sich dieses grausige Schauspiel direkt neben ihnen erneut abspielte. Doch was Rahel hörte, war ohnehin schon mehr als genug. Sie hätte geweint, wenn sie nicht so ausgetrocknet gewesen wäre. Obwohl nun jeden Tag ein wenig Wasser und etwas Nahrung ausgeteilt wurde, zehrte der anstrengende Weg enorm an den Kräften.

Nach drei Tagen erreichte der Menschenzug den Hafen in Caesarea. Nun wartete eine beschwerliche Schiffsreise auf die gefangenen Juden, doch die meisten jubelten, denn nun mussten sie zumindest nicht mehr laufen.

Hannah ließ sich erschöpft neben Rahel auf den Boden fallen. Nun mussten sie nur noch warten, auf welches Schiff sie verladen werden würden. Die Mädchen nutzten die Zeit, um zu schlafen, aber selbst jetzt ließen sie einander nicht los. Sie hielten sich auch im Schlaf noch umschlungen, denn ihre größte Angst war getrennt zu werden.

Rahel erwachte nach wenigen Stunden. Sie sah ihre schlafende Schwester an. Hannah war alles, was ihr geblieben war. Vater, Mutter, Bruder und kleine Schwester waren gestorben. Sie musste sich sehr zusammennehmen, um sich den Schmerz nicht zu sehr anmerken zu lassen, der in ihr tobte. Doch ihre große Schwester sorgte sich schon genug um sie und hatte selbst mit dem Verlust zu kämpfen.

Ohne sich zu bewegen, um Hannah nicht zu wecken, hob Rahel ihre Augen zum Himmel, um zu beten.

„Herr, du Gott aller Dinge, du Schöpfer des Universums, du Retter und Erlöser! Hilf uns doch in unserer Not! Jesus, Messias, du hast gesagt, du bist der Weg und die Wahrheit und das Leben. Bitte, lass uns leben. Lass nicht zu, dass die Römer uns etwas antun. Wenn wir auch in die Sklaverei gehen sollen, bitte, lass uns zusammenbleiben. Wir wollen unser Leben lang dir gehören, lass nicht zu, dass die Römer uns zwingen, einem anderen Gott zu dienen. Denn du bist der einzige Gott, Jesus!“

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