Die Väter-Casting-Liste

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Die Väter-Casting-Liste
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Eva Markert



Die Väter-Casting-Liste





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Inhaltsverzeichnis





Titel







Kapitel 1







Kapitel 2







Kapitel 3







Kapitel 4







Kapitel 5







Kapitel 6







Kapitel 7







Kapitel 8







Kapitel 9







Kapitel 10







Kapitel 11







Kapitel 12







Kapitel 13







Kapitel 14







Kapitel 15







Kapitel 16







Kapitel 17







Kapitel 18







Kapitel 19







Kapitel 20







Kapitel 21







Kapitel 22







Kapitel 23







Kapitel 24







Kapitel 25







Kapitel 26







Ein gutes Jahr später







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Impressum neobooks







Kapitel 1



„Tschüss, ihr zwei, ich muss los!“ Frau Berggrün hatte ihren Mantel schon angezogen. Sie gab den Kindern einen hastigen Kuss. Einer landete auf Hannahs Ohr und einer auf Patricks Nase. „Bis heute Abend. Wahrscheinlich komme ich später. Im Augenblick ist viel zu tun in der Firma.“



Kurz darauf knallte die Haustür.



Patrick schaute seine Schwester an und zuckte die Schultern.



Hannah seufzte. „Ich wünschte, wir würden im Lotto gewinnen. Dann müsste Mama weniger arbeiten.“



„Und wir könnten in einer Villa mit Garten wohnen ...“



„Umziehen möchte ich nicht“, fiel Hannah ihm ins Wort. „Das fände ich schrecklich. Weißt du noch, wie traurig die Zwillinge und ihre Mutter waren, als sie raufkamen, um uns auf Wiedersehen zu sagen? Außer dir haben wir alle geheult, sogar Mama. ‚Ich werde dich schrecklich vermissen‘, hat sie zu Lauras und Marens Mutter gesagt. Ich bin auch immer noch traurig, dass meine besten Freundinnen jetzt in einer anderen Stadt wohnen.“



„Na, das kommt doch prima hin! Wenn du eh im Moment keine Freundin hast, ist es egal, wenn wir woanders hinziehen.



„Was faselst du da! Natürlich habe ich Freundinnen! Zum Beispiel Lisa. Nur habe ich im Moment eben keine

besten

 Freundinnen. Außerdem ist es schön, dass Oma eine Wohnung im selben Haus hat wie wir. Nein, ich will hier nicht weg.“



„Oma nehmen wir natürlich mit in unsere Villa. Stell dir vor: Wenn wir ein Haus für uns hätten, könnten wir so viel Krach machen, wie wir wollen. Das wäre cool!“



„Schon, aber ich möchte auf keinen Fall in eine andere Schule gehen. Und ich will meine Klassenlehrerin behalten.“



Patrick schnaufte durch die Nase. „Bist halt noch ein Baby“, stieß er verächtlich hervor.



„Selber!“



Wütend starrten sie sich an. Plötzlich brach Patrick in Gelächter aus. „Vergiss nicht“, prustete er, „bisher haben wir noch nicht im Lotto gewonnen.“



Da hatte er natürlich Recht. Hannah musste auch lachen.



Sie räumten den Frühstückstisch ab, wie sie es jeden Morgen taten.



„Trotzdem wäre es super, wenn Mama weniger Arbeit hätte“, kam Hannah auf das ursprüngliche Thema zurück.



„He, warte mal!“ Mit einem Rums setzte Patrick das Marmeladenglas ab, das er gerade vom Tisch genommen hatte. „Mir kommt da eine Idee ...“



Gespannt schaute Hannah ihren Bruder an. Der starrte mit gerunzelter Stirn vor sich hin.



„Nun sag schon.“



„Ach nee.“ Patrick hockte sich vor den Kühlschrank und stellte das Glas hinein. „Das kann überhaupt nicht klappen. Wie sollten wir das anstellen?“



„Patrick! Sag mir auf der Stelle, wovon du sprichst!“



„Ich dachte nur ...“ Patrick drehte sich um. „Ich fände es toll, wenn Mama wieder heiraten würde. Papa ist schon so lange tot ...“



„Ich erinnere mich gar nicht an ihn“, warf Hannah ein.



„Geht mir fast genauso. Ich weiß kaum noch was. Nur, dass er mich abends oft ins Bett gebracht hat. Oder dass ich auf seinen Schultern durch die Wohnung reiten durfte. Und wie die Polizei kam und Mama erfuhr, dass er einen Unfall hatte. Sei bloß froh, dass du zu klein warst, um davon was mitzukriegen.“



Hannah schwieg. Sie konnte sich sehr gut vorstellen, wie furchtbar das gewesen war.



„Einmal waren wir alle im Zoo“, fuhr Patrick fort, „und ein Affe hat durch das Gitter gepackt und Papa die Brille von der Nase gerissen. Das war komisch!“



„Es muss herrlich sein“, meinte Hannah sehnsuchtsvoll, „wenn eine Familie was zusammen unternimmt. Mama macht zwar ab und zu was mit uns. Aber ich habe oft das Gefühl, dass sie denkt, sie müsste eigentlich was Wichtigeres tun.“



„Als Papa noch lebte, war Mama bestimmt glücklicher“, fügte Patrick nachdenklich hinzu. „Nicht so hibbelig und immer gleich auf 180, wenn was schiefgeht.“



„Und für uns wäre es unheimlich schön, wenn wir einen Vater hätten.“



Hannah wünschte sich schon lange einen Vater. Der sie ab und zu in den Arm nahm und der sie tröstete, wenn sie traurig war oder Angst hatte. So einen lieben wie zum Beispiel Lisas Papa.



„Einen Vater hätte ich auch gern“, erwiderte Patrick. „Aber da können wir wohl nichts machen. Einen Mann muss Mama sich schon selbst aussuchen.“



„Wie ich sie kenne, hat sie dafür zu wenig Zeit“, bemerkte Hannah mit einem grollenden Unterton in der Stimme.



Patrick warf einen Blick auf die Uhr. „Himmel, unser Bus kommt gleich!“



Hastig warfen die Kinder ihre Anoraks über, griffen nach ihren Rucksäcken und sprinteten zur Haltestelle.





Kapitel 2




Wenn Patrick und Hannah von der Schule kamen, gingen sie immer zu Oma.



Hannah musste wieder an das Gespräch am Frühstückstisch denken. Patrick anscheinend auch, denn er fragte: „Oma, wie hast du eigentlich Opa kennengelernt?“



Ich habe damals in einer Apotheke gearbeitet“, erzählte sie. „Eines Tages kam euer Opa herein. Er sah schrecklich aus: Er hatte eine knallrote Nase, rote Augen und ein ganz verquollenes Gesicht.“



„Er war erkältet“, stellte Patrick fest.



„Und wie! Mit Husten, Schnupfen, Heiserkeit und Fieber – das volle Programm. Er röchelte dermaßen, dass ich ihn kaum verstehen konnte, als er ein Medikament ‚gegen alles‘ verlangte, wie er sich ausdrückte.“



„Warum hast du dich in ihn verliebt, wenn er so schrecklich aussah?“, wollte Hannah wissen.



Oma streichelte ihre Wange. „Ich musste lachen über ‚ein Medikament gegen alles‘ und ich habe trotz der Erkältung sofort gesehen, was für ein attraktiver Mann er war. Bald ging es ihm wieder gut. Doch er erschien weiterhin regelmäßig in der Apotheke und kaufte Bonbons, Pflaster, Tees, alles Mögliche.“



Oma trat an ihren Schrank und holte ein Album hervor. „Ich zeige euch mal unsere Hochzeitsfotos.“



Man konnte erkennen, dass die strahlende, junge Braut auf den Bildern Oma war, obwohl sie vollkommen anders aussah als heute. Der Mann an ihrer Seite war schlank, dunkelhaarig und hatte ein freundliches Gesicht.



„Nett“, stellte Hannah fest.



„Und wie kam es, dass ihr geheiratet habt?“, wollte Patrick wissen.



„Weil dein Opa behauptete, er hätte Durchfall.“



„Hä?“, machten beide gleichzeitig.



Oma lachte wieder. „Eines Tages kam er in die Apotheke und verlangte ein Mittel gegen Durchfall. ‚Das Medikament ist nur für den Notfall gedacht‘, erklärte ich ihm. ‚Es wäre besser, wenn Sie zum Arzt gingen.‘ Auf einmal wirkte er verlegen. Das konnte ich verstehen, denn wer redet schon gern mit Fremden über seine Verdauung. Plötzlich räusperte er sich. ‚Ich habe übrigens gar keinen Durchfall‘, gestand er. ‚Mir fiel bloß nichts mehr ein, was ich sonst noch bei Ihnen kaufen könnte.‘ So kamen wir ins Gespräch und er schlug mir vor, abends einen Spaziergang durch den Park zu machen Von da an trafen wir uns regelmäßig und kurz darauf haben wir uns verlobt.“

 



Später sagte Hannah zu ihrem Bruder: „Schade, dass Mama nicht in einer Apotheke oder einem Geschäft arbeitet.“



„In ihrer Firma könnte sie auch jemanden treffen“, entgegnete der. „Zum Beispiel einen Kollegen. Aber anscheinend ist da niemand, der ihr besonders gefällt.“



„Wenn wir doch einen Mann für sie auftreiben könnten!“, seufzte Hannah.



„Das dürfte schwierig werden. Trotzdem kann es nichts schaden, wenn wir die Augen offen halten.“



„Möglicherweise will sie gar nicht mehr heiraten“, gab Hannah zu bedenken.



„Das können wir leicht herauskriegen. Ich frage sie einfach.“



Und das tat er. Als sie abends im Wohnzimmer beisammensaßen, platzte er plötzlich mit seiner Frage heraus: „Mama, hättest du Lust, wieder zu heiraten?“



Erstaunt blickte die Mutter ihn an. „Wie kommst du denn auf diese Idee?“



„Wir fänden es gut“, setzte Hannah hinzu.



Ihre Mutter schwieg einen Moment. „Ich würde es nicht grundsätzlich ablehnen“, erwiderte sie. Aber ich habe euren Vater sehr lieb gehabt, und ich denke, dass es kaum einen Mann gibt, der ihm das Wasser reichen könnte.“



„Vielleicht doch“, meinte Patrick. „Du musst dich bloß umgucken.“



Seine Mutter strich ihm übers Haar.



Sie sah traurig aus, fand Hannah. „Arme Mama“, sagte sie.



„Wieso arm?“, widersprach Frau Berggrün. „Ich habe doch euch!“






Kapitel 3




„Ich wette, sie hält keine Sekunde Ausschau nach einem Mann“, sagte Patrick zu seiner Schwester, als ihre Mutter aus dem Zimmer ging.



„Irgendwann vielleicht doch“, hoffte Hannah.



„Sie tut es nie im Leben“, widerholte Patrick. „Das müssen wir für sie erledigen.“



„Und was machen wir, falls wir einen Mann für sie finden?“



„Das werden wir dann schon sehen.“



„Ich kenne niemanden, den sie heiraten könnte“, setzte Hannah hinzu. „Mir würde zwar der Vater meiner Freundin gefallen, aber der ist ja leider schon verheiratet.“



„Ich denke da gerade an jemanden“, begann Patrick zögernd. „Nämlich an Leons Vater. Leons Eltern sind geschieden. Und der Herr Schafmeister, der ist echt cool.“



Hannah feixte. „Schafmeister! Ein irre komischer Name!“



Patrick rollte die Augen. „Jedes Mal, wenn du den Namen hörst, fängst du an zu gackern. Sooo komisch ist er nun auch wieder nicht.“



Hannah lachte laut auf. „Stell dir vor, du würdest Patrick Schafmeister heißen. Und ich Hannah Schafmeister.!“



„Mensch, bist du doof! Unser Name wäre doch gar nicht Schafmeister, sondern weiter Berggrün.“



„Was ist denn so cool an diesem ... diesem ...“ Hannahs Stimme wackelte schon wieder. „... Herrn Schafmeister?“



„Zum Beispiel meckert er nie, wenn Leon Ärger in der Schule hat. Und er hilft ihm bei Mathe.“



„Mama war früher auch gut in Mathe“, warf Hannah ein. „Nur hat sie leider alles vergessen, sagt sie.“



„Wahrscheinlich hatte sie einen besseren Lehrer als ich“, brummte Patrick. „Diesen Graupe kann man in der Pfeife verbrennen.“



„Mir braucht zum Glück niemand zu helfen“, sagte Hannah. Es klang ziemlich eingebildet.



„Noch nicht“, entgegnete Patrick. „Warte mal ab, bis du in die fünfte Klasse kommst. Ab da wird alles viel schwerer.“



„Pf“, machte Hannah. „Glaube ich nicht. Aber erzähl weiter von Leons Vater.“



„Leon darf jeden Abend bis neun Uhr fernsehen. Am Wochenende länger. Und sonntags gehen sie oft zu McDonalds oder Burger King.“



„Klingt gut“, meinte Hannah anerkennend.



„Tagsüber, wenn Herr Schafmeister arbeitet, kann Leon allein zu Hause bleiben“, fuhr Patrick fort. „Und am Wochenende unternehmen sie meistens was zusammen. Neulich waren sie auf einer Gokart-Bahn. Und sie gucken gern Fußball. Ab und zu nimmt Herr Schafmeister Leon sogar mit ins Stadion.“



„Ins Stadion würde ich auch mal gern“, erwiderte Hannah. Aber Gokartfahren – nee, danke!“



„Feigling! Ich fände das toll. Außerdem wäre es superpraktisch, wenn ich einen Vater hätte, der mir zeigt, wie man ein Rad repariert. Weißt du noch, wie ich vor Kurzem einen Platten hatte? Mama und Oma haben null Ahnung von Fahrrädern. Ich musste das Ding kilometerweit ins Fahrradgeschäft schieben.“



„Du hättest doch diesen großartigen Herrn Schafmeister um Hilfe bitten können.“



„Das wollte ich ja. Aber Mama hat es verboten. ‚Du kannst fremde Leute damit nicht belästigen‘, hat sie gemeint. Als ob der Vater meines besten Freundes ‚fremde Leute‘ wäre! Er hätte mir bestimmt geholfen. Ich sage dir: Über den sollten wir ernsthaft nachdenken.“



„Halt, halt, halt!“, fuhr Hannah dazwischen. „Erst muss ich gucken, ob ich ihn genauso super finde wie du.“



Patrick hielt das für vollkommen überflüssig, aber Hannah gab nicht nach. Widerstrebend machte er sich am Sonntag darauf mit seiner Schwester im Schlepp auf den Weg zu Leon.



Leon war alles andere als begeistert, als er die Tür öffnete. „Wozu hast du die mitgebracht?“, fragte er unwirsch und wies mit dem Kopf auf Hannah.



„Sie wollte unbedingt mitkommen.“



„Na und? Seit wann tust du, was sie will?“



„Sie stört bestimmt kaum“, versuchte Patrick seinen Freund zu beschwichtigen.



„Kleine Kinder stören immer.“



„He!“ Hannah war es satt, dass man über sie sprach, als wäre sie nicht da. „Keine Bange, ich bleibe höchstens ein paar Minuten. Länger halte ich es bei euch nicht aus.“



„Du kannst meinetwegen sofort abhauen.“



Hannah platzte der Kragen. „Blödmann!“, schrie sie. „Dich will ich nie im Leben zum Bruder haben!“



„Zum Bruder?! Was soll der Quatsch?! Das würde mir gerade noch fehlen!“, schrie Leon zurück.



„Hört auf zu schreien!“, schrie Patrick.



„Was ist denn hier los?“



Die drei schauten den Mann an, der in den Flur getreten war.



„Die ist mitgekommen“, antwortete Leon mürrisch und zeigte auf Hannah.



„Na und?“ Herr Schafmeister gab Hannah die Hand. „Du bist sicher Patricks kleine Schwester.“



Sie nickte ein wenig verlegen. „Ich geh gleich wieder“, murmelte sie.



Leons Vater lachte. Es klang fröhlich und richtig nett. „Könntest du denn wenigstens noch auf ein Eis bleiben?“, fragte er.



Für Eis tat Hannah beinahe alles. „Ja, danke“, antwortete sie leise.



Sie setzten sich an den Küchentisch und Herr Schafmeister machte drei Eisschälchen fertig.



„Nehmen Sie kein Eis?“, fragte Hannah ihn.



„Eigentlich hast du Recht“, erwiderte er. Als er sich umdrehte, um eine vierte Eisschale aus dem Schrank zu nehmen, streckte Hannah den Daumen nach oben. Das hieß: „Einverstanden, den nehmen wir.“



Leider sah es nicht nur Patrick, sondern auch Leon. „Warum tut die das?“, fragte er misstrauisch.



Hannah wurde puterrot.



„Ihr schmeckt das Eis“, antwortete Patrick geistesgegenwärtig. „Stimmt’s, Hannah? Das wolltest du sagen.“



Sie nickte dankbar und stand auf. „Jetzt muss ich aber gehen.“



Leons Vater brachte sie hinaus. Richtig höflich. Hannah gab ihm die Hand und schlüpfte durch die Tür. Herr Schafmeister winkte, ehe er die Tür schloss.



Hannah sprang die Treppe hinunter. „Ist der lieb!“, dachte sie. „Den hätte ich gern zum Vater. Bloß dieser dämliche Leon, der stört. Auf den könnte ich gut und gern verzichten.“



Dasselbe teilte sie abends ihrem Bruder mit.



„Ich fände es klasse, wenn mein bester Freund mein Bruder würde“, entgegnete der.



„Na toll! Und ich hätte die Arschkarte gezogen. Zwei gegen einen – das ist unfair.“



„Du gewöhnst dich daran. Außerdem: Was soll ich erst sagen? Im Augenblick bin ich der einzige Mann hier im Haus. Ich wäre froh, wenn außer mir noch andere männliche Wesen bei uns herumliefen.“



„Du und Mann“, stieß Hannah verächtlich hervor.



Patrick holte tief Luft – und blies sie wieder aus. „Ich streite mich nicht mit dir“, sagte er großzügig. „Zumindest im Moment nicht. Überlegen wir lieber, wie wir Mama und Herrn Schafmeister zusammenbringen können.“



„Sie kennen sich ja schon“, wandte Hannah ein. „Die Frage ist vielmehr, wie wir sie dazu bewegen könnten, sich ineinander zu verlieben.“



„Vielleicht sollte ich Leon einweihen“, überlegte ihr Bruder.



„Bist du bescheuert? Dieser Mistkerl blabbert doch bestimmt sofort alles aus.“



Nun wurde Patrick doch wütend. „Leon ist kein Mistkerl! Und wenn er ebenfalls dafür wäre, dass sein Vater und unsere Mutter heiraten, erreichen wir zu dritt sicher mehr als wir beide allein. Ich frage ihn morgen.“



Hannah war fest davon überzeugt, dass dies ein Fehler war. Aber eine bessere Idee hatte sie leider auch nicht.






Kapitel 4




Am nächsten Morgen ging zunächst alles schief. Hannah hatte ziemlich schlecht geschlafen und wild geträumt. Ganz benebelt stand sie auf.



Sie lauerte durch die Gardinen. Draußen war alles Grau in Grau, und es regnete. Na bravo!



Beim Frühstück verursachte sie eine Riesenschweinerei. Als sie Milch in ihre Müslischale schütten wollte, ergoss sich ein Schwall auf den Tisch. Die Schale und ihr Glas Apfelsinensaft standen in einer Milchpfütze. Ihre Mutter, die sich mal wieder verschlafen hatte und dementsprechend nervös war, musste ihr helfen und meckerte dabei mit ihr herum.



„Sprichst du heute mit ihm darüber?“, fragte Hannah ihren Bruder, als die Mutter aus dem Haus gehetzt war. Sie hatte sich inzwischen schon ziemlich an den Gedanken gewöhnt, Herrn Schafmeister zum Vater zu bekommen. Den bekloppten Leon musste sie eben in Kauf nehmen.



Auch ihr Bruder sah ziemlich mürrisch aus. „Mit wem soll ich worüber sprechen?“, brummte er.



„Mensch, Patrick! Bist du blöd, oder was? Natürlich mit Leon, über seinen Vater.“



„Ach, das meinst du. Mal sehen.“



„Mal sehen, mal sehen“, äffte Hannah ihn nach. „So wird das nie was!“



„Ich muss abwarten, ob es passt, du Null!“, fuhr er seine Schwester an. „Ich kann nicht einfach hingehen und sagen: Ach übrigens, wie wär’s, wenn dein Vater unsere Mutter heiratet?“



„Streng dich gefälligst an, damit es klappt.“



„Reg dich ab. Ich krieg das schon hin!“



„Viel Glück!“, rief Hannah ihm nach, als er aufbrach.



Patrick machte im Hinausgehen eine abwehrende Handbewegung.



„Bestimmt ist er zu feige, um mit Leon zu sprechen“, dachte sie.



Weil sie heute erst zur zweiten Stunde hatte, musste sie den Frühstückstisch allein abräumen. Das machte ihr überhaupt keinen Spaß, zumal es urplötzlich acht Uhr war und sie sich höllisch beeilen musste.



Das Ende vom Lied war, dass sie fünf Minuten zu früh an der Bushaltestelle stand. Nun zu allem Überfluss noch warten! Bei dem Regen!



Als der 732iger endlich kam, war Hannahs Stimmung um einige weitere Striche auf ihrem Launometer gefallen.



Beim Einsteigen sah sie, dass ein Platz frei war. Das kam nur selten vor. Und dieser Platz befand sich neben dem netten Mann, den sie regelmäßig im Bus traf, wenn sie um Viertel vor neun Schule hatte. Aufatmend ließ sie sich auf den Sitz neben ihm fallen.



Der Mann wandte den Kopf zu ihr um. „Hallo“, sagte er.



Kurz zweifelte Hannah. „Du darfst nie mit fremden Männern sprechen“, hatte ihre Mutter ihr eingeschärft. Aber der Mann hatte sie offensichtlich erkannt, so wie sie ihn. Also war er nicht wirklich fremd. „Hallo“, antwortete sie deshalb mit einer kleinen Verzögerung. „Falls es mit Leons Vater nichts wird“, dachte sie, „dieser Mann käme durchaus in Frage.“ Merkwürdig, dass ihr das erst jetzt einfiel. Sie mochte ihn, seit sie ihm das erste Mal im Bus begegnet war, kurz nach dem Umzug in die Wohnung im Hochhaus. Er sah einfach irgendwie nett aus. Wenn er lächelte, wie gerade, blitzten seine Augen. Waren sie eigentlich blau oder grau? Hannah schielte zu ihm hin, doch er schaute aus dem Fenster und sie sah nur seinen Hinterkopf. Waren seine Haare nun dunkelblond oder hellbraun? Hannah konnte sich nicht entscheiden. „Ein Mittelding“, beschloss sie. „Sie waren braun-blond. Oder blond-braun, je nachdem, wie man es betrachtete. In dem Augenblick wandte er ihr sein Gesicht zu, als ob er gespürt hätte, dass Hannah ihn betrachtete. Seine Augen waren graublau – oder nein, doch eher blaugrau.

 



Hannah nahm sich vor, Patrick von ihm zu erzählen.



Als sie nachmittags aus der Schule kam, stand vor dem Hochhaus ein Möbelwagen. Zog jemand ein? Das war nichts Ungewöhnliches. In dem Wohnturm herrschte ein ständiges Kommen un