Tatort Bodensee

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29

Grübelnd und etwas geknickt schlurfte Horst an seinen Schreibtisch bei der Mordkommission zurück. Dort stapelten sich die Notizen, Aktenordner und Formulare zu einem furchterregend hohen Berg. Und da sollte er sich jetzt durchwühlen und die Vorgänge von Konstanz, Überlingen und Meersburg so einfach vergessen? Müde schüttelte er den Kopf und setzte sich auf seinen Drehstuhl. Er legte die Ellbogen auf eine freie Stelle des Schreibtischs und stützte sein Kinn darauf. Aber wo anfangen, wo war bloß die zündende Idee? Vielleicht hatte ja Protnik mittlerweile eine Vorstellung, wie es weitergehen konnte! Er griff zum Telefonhörer, als sein Blick auf einen auffällig gekennzeichneten Briefumschlag fiel. Vor allem die Briefmarken erweckten sein Interesse, denn solche Marken kannte er aus Deutschland nicht. Er legte den Telefonhörer langsam zurück und nahm prüfend den Brief in die Hand. Tatsächlich, es handelte sich um englische Marken. Aber wer sollte ihm schon aus England schreiben? Sicher irgendetwas Werbemäßiges, die Welt war ja längst zum Dorf zu­sam­men­geschrumpf und Werbesendungen wurden inzwischen sogar irgendwo in der entlegensten Bambushütte am Ende der Welt eingetütet und losgeschickt.

Aber nein, in diesem Fall konnte es sich kaum um solch eine Werbebotschaft handeln. Sein Name war immerhin handschriftlich mit Kugelschreiber auf den Umschlag geschrieben worden, Kommissar Horst Meier (aha, wieder mal ein sorgloses Wesen, das halt in der Eile das »i« mit dem »y« verwechselt hatte). Neugierig geworden riss er mit dem Zeigefinger den Umschlag auf und fingerte ein zusammengefaltetes handgeschriebenes Blatt hervor. Kaum hatte er die ersten Zeilen gelesen, setzte er sich kerzengerade auf. Das war ja unglaublich, was in dem schwer zu entziffernden, mit ungelenker Handschrift verfassten Schreiben stand!

So rasch es ging, überflog er den Text, um den Brief am Ende ein zweites Mal zu lesen. Anschließend ließ er das Blatt sinken, schloss die Augen und holte tief Luft. War das die Wende in dem Fall, die er für völlig undenkbar gehalten hatte? Lag da vor ihm auf dem Schreibtisch nun der Beweis für Hefters Schuld? War das der Strick, mit dem er den Kiesbaron nun doch noch fesseln konnte? Fast zu schön, um wahr zu sein! Horst griff ein zweites Mal an diesem Vormittag zum Telefon. Langsam drückte er die Tasten zu Protniks Telefonnummer. Nach dem zweiten Läuten hob sein Kollege ab. Ohne die geringste Zeit mit irgendwelchen Begrüßungsfloskeln zu verschwenden, legte Horst mit vor Aufregung zitternder Stimme los: »Du, Michael, ich glaube, wir haben ihn!!!«

30

Keine zehn Minuten waren seit seinem Telefonat mit Protnik vergangen, als Horst sich bereits in seinem Wagen befand und Kurs in Richtung Süden nahm. Diesmal, das wusste er genau, würde er diesen elenden Verbrecher am Kragen packen können! Jetzt hatte er den definitiven Beweis!

Claudia und seinen Chef würde er gleich nachher von unterwegs mit dem Handy darüber verständigen, was er vorhatte, aber nun galt es erst einmal, so schnell wie möglich an den Bodensee zu kommen, bevor die letzte Chance, die sie in diesem Fall erhalten hatten, wieder unter seinen Fingern zerrinnen würde! Mühsam ordnete er seine Gedanken, die in hektischer Folge durch sein Gehirn pul­sier­ten.

Der Brief war von Markus Wälder gewesen. Der hatte darin klipp und klar zugegeben, von den Umweltvergehen der »Bodenseekies« selbstverständlich gewusst zu haben. Auch die Tatsache, dass sich ein Polizeibeamter namens Thomas Grundler immer näher an die kriminellen Machenschaften der Firma herangetastet hatte, war dem Geschäftsführer und seinem Chef, dem Kiesbaron Dr. Hubert Hefter, nicht verborgen geblieben. Da selbst das engmaschige Geflecht aus Beziehungen, Spenden, Parteizugehörigkeit und gegenseitiger Abhängigkeit in diesem speziellen Fall nicht so einsetzbar war wie gewöhnlich, hatten sich Hefter und Wälder zu drastischen Methoden entschlossen. Sie waren zu dem Schluss gekommen: Thomas Grundler musste sterben! Wenn irgend möglich sollte die Sache anschließend so dargestellt werden, als habe sich der Polizist aus privaten Gründen das Leben genommen, was sich angesichts der Ehekrise, die ein von ihnen beauftragter Privatdetektiv natürlich schnell entdeckt hatte, sogar als recht plausibel entpuppt hatte. Und so war das Todesurteil für Thomas Grundler gesprochen worden!

Weder bei Wälder noch bei Hefter handelte es sich jedoch um Personen, die sich selbst die Finger beschmutzten. Nein, in diesem Fall ließ man andere für sich tätig werden. Für Hefter war es ein Leichtes gewesen, den von der »Bo­den­­see­kies« und ihren zahlreichen und kräftigen Spenden völlig abhängigen Besitzer der Konstanzer »De­vil Divers«-Tauchschule für das Todeskommando zu verpflichten. Ein, zwei leise Drohungen mit künftig ausbleibenden Schecks für die seit Jahren schon marode und vom Konkurs bedrohte Tauchschule hatten genügt, um Wolfgang Förster, den Inhaber der »Devil Divers«, zum Mörder zu machen. Doch der besaß sozusagen geradezu ideale Möglichkeiten, die Tat auszuführen. Es war für die mit einem Kompressor für Pressluftflaschen ausgerüstete Tauch­­schule keine schwierige Aufgabe, Thomas Grundlers Flasche zu manipulieren. Förster hatte sich in der Nacht Zugang zu Grundlers Garage verschafft, die dort gelagerte Pressluftflasche mitgenommen, die Luft abgelassen und sie mit Sauerstoff gefüllt, der in einer Tauchbasis von der Größe der »Devil Divers« als Notfallmedizin für von Dekounfällen betroffene Taucher immer vorhanden war. Horst schauderte es noch nachträglich beim Gedanken daran, dass er kurzzeitig erwogen hatte, auch seine Press­luft­flasche bei Thomas in der Garage abzustellen. Nicht auszudenken, welche Folgen dies gehabt haben könnte!

Keine zwei Stunden später war die nun mit Sauerstoff gefüllte Taucherflasche wieder in Thomas Grundlers Garage zurückgestellt worden. Und damit hatte das Verhängnis, dem Thomas nun praktisch chancenlos ausgeliefert war, seinen Lauf genommen …

Als Wälder und Hefter klar geworden war, dass der Mord an Thomas Grundler, den sie im offiziellen Polizeibericht als Selbstmord hatten hinstellen können, die Ermittlungen gegen die Firma dennoch nicht hatte stoppen können, drehten die beiden weiter an der Todesspirale! Das nächste Opfer hieß Alex Winter, den sie schon länger im Verdacht hatten, mit Thomas Grundler gemeinsame Sache zu machen. Als sie Winter von da an intensiver beobachten ließen und registrierten, dass er sich dann noch lange mit den beiden Polizisten auf dem Überlinger Kran­ken­haus­park­platz unterhalten hatte, da stand für sie fest, dass er offenbar weiter in Sachen Kiesgrube recherchierte. Das war sein Todesurteil gewesen.

Förster hatte den völlig ahnungslosen Winter seitdem verfolgt und ihn schließlich am Aussichtsturm mit einem gezielten Karatehieb bewusstlos geschlagen. Anschließend hatte er Winter im Turm an ein Seil gehängt und danach kräftig an seinen Füßen gezogen: Der ohnmächtige Journalist starb an dem Strick, ohne noch einmal das Be­wusst­sein wiedererlangt zu haben. Eindeutiger Fall von Selbstmord! So hatte ja bekanntlich die blitzschnelle Analyse der beiden von Anfang an darauf gepolten Kommissare gelautet!

Doch was hatten Protnik und Meyer in der Zwischenzeit herausgefunden? Das Risiko, sie am Leben zu lassen, erschien den beiden Drahtziehern der Affäre zu groß und so wurde nun anstelle von Förster, der allmählich durchzudrehen begann und sich standhaft weigerte, einen weiteren Mord zu begehen, der Fahrer des Müllwagens engagiert, dessen Gesicht Horst nie mehr vergessen würde.

Giuseppe Voltera hatte seinen Auftrag freilich nicht zur Zufriedenheit des Kiesbarons erledigt und so wurde er beauftragt, einen zweiten Anschlag auszuführen. Das freilich war bereits ohne Mitwirkung des Geschäftsführers geschehen, denn der befand sich mittlerweile auf der Flucht. Als die Polizei vor dem Verwaltungsgebäude der »Bo­den­see­kies« angerückt war, sei ihm plötzlich bewusst geworden, dass alle Akten, Schriftstücke und sämtliche anderen Beweise für Umweltstraftaten einzig und allein auf ihn, Markus Wälder, hindeuteten. Und das habe ihm der Kiesbaron auch höhnisch ins Gesicht geschleudert, verbunden mit der Drohung, ja nicht den Mund aufzumachen, falls ihm sein Leben lieb sei!

Darauf ergriff Wälder Hals über Kopf die Flucht. Offenbar aber hatte er in den Jahren zuvor schon für diese Eventualität vorgesorgt, denn sein Weg führte ihn über die Schweiz zu den dort aufbewahrten großen Geldbeträgen auf geheimen Nummernkonten weiter zu Helfershelfern nach England. »Dort«, so schrieb Wälder abschließend, »verliert sich meine Spur für Sie. Versuchen Sie nicht, mich zu finden, sie werden keine Chance haben. Dazu habe ich in den letzten Jahren schon viel zu viel Geld und Überlegung in eine mir immer drohende Flucht ins Ausland gesteckt. Wenn Sie sich fragen, weshalb ich Ihnen dies alles geschrieben habe, so kann ich Ihnen nur – ohne mich von eigener Schuld freisprechen zu wollen – sagen, dass Hefter einen Großteil der Verantwortung für all die hier geschilderten Vorgänge trägt. Nachdem er mir die Gesamtverantwortung zugeschoben und mir außerdem mit Mord gedroht hat, ist es nun an der Zeit zurückzuschlagen. Sie werden mich nie mehr wiedersehen!« Unterschrift: »Markus Wälder, unbekannt verzogen«.

Horst drückte auf die Hupe seines Wagens: Wann gab der Schleicher da vor ihm endlich die linke Spur der Autobahn frei? Fluchend betätigte er die Lichthupe. Hoffentlich war Protnik ebenfalls schon unterwegs. Sie würden sich auf jeden Fall zuallererst den Tauchlehrer schnappen und ihn ordentlich unter Druck setzen. Das war seiner Meinung nach ihre einzige Chance.

Na endlich! Der Kerl vor ihm wechselte auf die rechte Seite und Horst drückte das Gaspedal voll durch.

31

Mit quietschenden Bremsen stoppte Horst seinen Wagen vor der Basis der »Devil Divers« in der Nähe des Kon­stanzer Fährhafens. Hastig zog er die Handbremse an und schaute sich um. Von Protnik noch keine Spur, ebenso wenig von Förster, einem Angestellten oder einem Kunden der Tauchbasis. Horst blickte auf die Uhr am Armaturenbrett. Na ja, kein Wunder. Es war gerade 14 Uhr – immer noch Mittagspause. Und die dauerte bei den »Devil Divers« – er registrierte es mit einem leisen Fluch auf den Lippen – bis 16 Uhr. Mist! Was jetzt?

 

Er zog das Handy aus der Tasche und wählte Protniks Nummer. Nach dem dritten Klingeln meldete sich der, kaum verständlich vor lauter Nebengeräuschen, aus dem Auto.

»Protnik, wo steckst du denn?«

Die Stimme war wirklich kaum zu verstehen, entweder befand sich Protnik gerade im Funkschatten oder aber er drückte gerade so heftig aufs Gas, dass die Funksignale fast nur noch zerhackt im Handy ankamen, dieses Phänomen hatte Horst bei Geschwindigkeiten jenseits von 160 Stundenkilometern schon häufiger erlebt.

»Horst! Du, tut mir leid, ich bin gleich hinter Ulm in einen Mega-Stau geraten! Jetzt bin ich grade kurz vor Stockach!«

»Ach, du große Güte!« Horst war alles andere als erbaut darüber, dass sein Kollege mindestens noch ei-

ne halbe Stunde auf sich warten lassen würde. »Und jetzt?«

»Jetzt mach du mal halb lang und warte auf mich! Hast du verstanden?« Tatsächlich war Protnik so gut wie nicht zu verstehen.

»Sputnik, ich kann dich kaum verstehen! Also, komm so schnell wie möglich, ich mach Schluss jetzt, okay?« Horst drückte auf den Aus-Knopf und schob das Handy zurück in die Tasche. Was nun? Auf keinen Fall würde er sich hier die Füße in den Bauch stehen und einfach nur die Zeit totschlagen. Nein! Mit einem Mal kam ihm ein Gedanke. Ja, das würde er jetzt tun, das konnte auch nicht allzu viel Zeit in Anspruch nehmen. Er setzte sich in seinen Wagen und fuhr los in Richtung Grenzübergang nach Kreuzlingen.

32

Gerade hatte Horst seinen Wagen auf dem Parkplatz in Bottighofen abgestellt, um zu Fuß das letzte Stück zum Bodenseeufer zurückzulegen, da fielen ihm zwei Autos ins Auge, die sofort seine Neugier weckten. Zum einen der Golf GTI, wo hatte er den … War das nicht dasselbe Baujahr wie der, dessen Besitzer ihm damals in Meersburg knapp entkommen war? Die Farbe, der schlechte Zustand des Wagens, das FN-Nummernschild, der »Italia«-Aufkleber! Alles stimmte! Es musste sich um das Fahrzeug des flüchtigen Giuseppe Voltera handeln! Und der neben ihm parkende Wagen? KN-Kennzeichen, silber­farbener Audi A6, Aufkleber wie »Diving is fun«, »PADI« oder mehrere der »Devil Divers« sprachen eine überdeutliche Sprache! Hatten sich hier in Bottighofen, direkt an der Stelle des ersten Mordes, bei der vor über 100 Jahren in den Schlick des Bodensees gesunkenen »Jura« die beiden Killer des Kiesbarons zu einem Treffen verabredet? Hatte Horst mit seiner Fahrt hierher, ohne es zu wissen, einen Volltreffer gelandet?

Hastig zog er sein Handy heraus. Hoffentlich war diesesmal wenigstens der Empfang in Ordnung!

»Protnik? Hallo, Protnik? Ja, ich bin’s, Hotte! Nein, ich bin weitergefahren nach Bottighofen! Und wo steckst du? Bei der Tauchschule? Gut, dann mach kehrt und komm so schnell wie möglich hierher! Ich habe jetzt keine Zeit für große Erklärungen, komm!«

Damit beendete er das kurze Gespräch. Fieberhaft kreisten seine Gedanken um die beiden Fahrzeuge, deren Besitzer und den möglichen Grund für ihr Zusammentreffen. Doch bevor Horst weitere Überlegungen anstellen konnte, sah er aus den Augenwinkeln, wie sich von ganz weit hinten, vom See her, eine Person eindeutig in Richtung Parkplatz bewegte. Vorsichtig schob sich der Kommissar hinter die Fahrzeuge und wartete ab, bis er den Neuankömmling genauer betrachten konnte. Das war ein Taucher, so viel ließ sich jetzt schon sagen, offensichtlich ein Mann im Trockentauchanzug, nicht sehr groß, dunkle Haare. Angestrengt spähte Horst nach vorne. Mit einem Mal schien ihm das Blut in den Adern zu gefrieren: ein Mann mit Schnauzbart! Der Killer! Der Kerl, der sie schon zweimal versucht hatte zu ermorden!

Mit heftig pochendem Herzen schob er sich hinter den Audi des Tauchschulbesitzers zurück. Jetzt hieß es, vorsichtig zu sein: Er musste den richtigen Augenblick abpassen. Langsam griff er in seine Jackentasche und tastete sie ab: nichts! Noch einmal, seine Hand fuhr über den ganzen Oberkörper, an den Gürtel: nichts! Er hatte seine Pistole in der Dienststelle vergessen!!! Und das jetzt!

Der Kerl war kurz vor seinem Auto angelangt und hatte aus dem wasserdichten Behälter um seinen Hals den Wagenschlüssel herausgenommen. Jetzt ohne Pistole erst recht den richtigen Moment erwischen! Horst entschied sich dafür, ihn die Autotür aufschließen zu lassen und dann mit einem Satz hervorzuhechten.

Voltera steckte den Schlüssel in das Schlüsselloch der Beifahrertür, drehte ihn leicht nach oben und öffnete die Tür. Er beugte sich in das Innere des Wagens, offensichtlich um seine in einem Beutel verstauten Sachen hervorzuholen. Jetzt war der Moment gekommen: Horst schoss nach oben und schnellte auf den Mann zu. Doch war es die Aufregung, war es mangelnde Fitness, war es das gerade eben mit hoher Geschwindigkeit auf den Parkplatz einbiegende Auto, das ihn in der Konzentration gestört hatte: Wie auch immer, der Sprung war viel zu kurz geraten, er strauchelte und wäre fast auf den Boden gefallen, hätte er sich nicht gerade noch mit den Händen auf dem Asphalt abstützen können. Dadurch war wertvolle Zeit verstrichen – zu viel Zeit, um den Killer nicht rechtzeitig zu warnen. Der nämlich drehte sich mit einer blitzschnellen Bewegung in Horsts Richtung. Egal, weiter! Doch im selben Moment erstarrte der Kommissar: Der Killer hielt, weiß der Teufel, wie er das fertiggebracht hatte, eine Pistole in der Hand und zielte mit entschlossenem Gesichtsausdruck direkt auf Horsts Kopf. »Stehen bleiben, keinen Zentimeter weiter, sonst bist du ein toter Mann!«

Horst nickte vorsichtig und streckte langsam die Hände in die Höhe, um dem anderen zu signalisieren, dass er kapituliert hatte. Nur jetzt nicht mit hektischen Bewegungen irgendwelche Kurzschlussreaktionen bei dem anderen auslösen.

Der Italiener richtete sich voll auf und lächelte Horst böse ins Gesicht. »Habe ich dich also doch noch erwischt!« Er streckte den Arm mit der Pistole aus und Horst hörte ein leises Klicken. Der Kerl hatte die Schusswaffe entsichert! Ein gefährliches Glimmen in den Augen des Killers ließ die Knie des Kommissars weich werden. Das war das Ende!

Ein Schuss! Horst schloss die Augen! Ein erstickter Aufschrei! Der Aufprall eines metallischen Gegenstandes auf dem Boden, gefolgt von einem dumpfen Gurgeln. Horst glaubte, ersticken zu müssen! Mühsam zwang er sich zur Ruhe und öffnete die Augen wieder. Das konnte doch nicht wahr sein! Direkt vor ihm lag Giuseppe Voltera ausgestreckt auf dem Boden, Blut sickerte aus seinem geöffneten Mund, die Augen waren starr in den Himmel gerichtet. Voltera war tot! Mit einem einzigen Schuss mitten ins Herz getötet! Eine wahre Meisterleistung!

Irritiert drehte sich Horst in die Richtung, aus der der Schuss gekommen sein musste! Protnik! Das war Protnik! Protnik musste der Autofahrer gewesen sein, der da gerade eben herangeprescht war, als er sich auf den Killer hatte stürzen wollen, und er war es, der geschossen hatte!

Langsam ließ Protnik den ausgestreckten Arm mit der Pistole niedersinken. Kreideweiß im Gesicht wankte er auf Horst zu.

Im Näherkommen sah Horst, dass sein Kollege zitterte. »Verdammt! Das war knapp! Wahnsinnig knapp! Du hast mir mit deinem Schuss das Leben gerettet, Michael!«

Protnik nickte stumm, ließ die Pistole zu Boden fallen und umarmte Horst mit festem Griff. Eine Zeit lang standen sie so eng umschlungen auf dem Parkplatz, keiner von ihnen sagte auch nur ein Wort.

Protnik war es schließlich, der das Schweigen brach und sich von Horst löste. Zischend stieß er den Atem aus. Mit immer noch zitternder Stimme schaute er seinem Freund direkt in die Augen: »Ich war so verzweifelt wie noch nie in meinem Leben! Was hätte ich tun sollen? Ich wusste, schieße ich nicht, bringt der dich eiskalt um! Und wenn ich schieße und dabei dich treffe, was ist dann? Ich war innerlich noch nie so leer in meinem ganzen Leben wie in diesem Augenblick!« Er drückte ihn von Neuem an sich.

Auch Horst gewann nur ganz allmählich seine Fassung wieder. Sachte löste er sich schließlich aus der Umklammerung. »Das vergesse ich dir nie im Leben, Michael!« Damit zog er das Handy aus der Tasche. »Und jetzt ist es an der Zeit, die Kollegen einzuschalten. Schießerei im Ausland! Das wird einen schönen Aufstand geben!«

33

Stunden später, die Nacht war inzwischen hereingebrochen, verließen Protnik und Horst mit gesenkten Köpfen das Gebäude der Polizeidirektion in Konstanz. Immer noch mehr als aufgewühlt von den dramatischen Sekunden am Nachmittag in Bottighofen, musste Horst sich mit aller Gewalt zwingen, einen klaren Gedanken zu fassen. Sein schlimmster Verdacht, der schon in ihm aufgeflackert war, als er den Killer allein im Taucheranzug aus Richtung See hatte kommen sehen, war bestätigt worden. Polizeitaucher hatten im Wrack der »Jura«, ganz im Laderaum versteckt, die Leiche des Basisleiters der »Devil Divers«, Wolfgang Förster, gefunden. Ohne Tauchanzug, mit einem gezielten Messerstich im Herzen. Es hätte mit Sicherheit Wochen gedauert, bis die Leiche des Tauchlehrers von normalen Sporttauchern in der völligen Dunkelheit des Laderaumes in fast 40 Metern Tiefe gefunden worden wäre. Auf jeden Fall lange genug für den Italiener, um sämtliche Spuren zu verwischen und sich mit seiner Prämie endgültig aus dem Staub zu machen. Doch jetzt waren beide tot: Voltera und Förster. Und damit waren auch die letzten Belastungszeugen für immer verstummt! Die letzten, mit deren Aussage man den Kiesbaron noch hätte überführen können!

Damit war nichts mehr zu machen. Es war letztendlich gekommen, wie Horst und Protnik befürchtet hatten: Die Aussage eines flüchtigen Verbrechers, der seinen ehemaligen Chef der schlimmsten Taten beschuldigt hatte, die man sich vorstellen konnte, war vollkommen wertlos! Sollten etwa die Behauptungen eines Betrügers und Umweltsünders allerübelsten Ranges, eines Menschen, der ja auch aktenmäßig nachweisbar diese Taten begangen hatte, einen Ehrenmann, der sich so viele Verdienste um seine Heimat erworben und so viele Arbeitsplätze hier geschaffen hatte, um seinen guten Ruf bringen? Nie, nein: nie und nimmer! Das würde keiner jemals zulassen, keiner der Freunde vom Rotaryclub: der Innenminister nicht, die Beamten vom Landeskriminalamt nicht, der Landrat nicht und der Kon­stanzer Polizeichef gleich zweimal nicht!

Und es wäre besser, wenn die beiden Polizeibeamten, die für so viel Unruhe hier unten am See gesorgt hatten, einfach wieder verschwinden würden, möglichst kommentarlos, bitte! Das Fazit des Oberrats war eindeutig und bestimmt gewesen, eindeutiger ging es gar nicht!

Protnik sah seinen Kollegen Horst kopfschüttelnd an. Doch der hatte längst verstanden und nickte in stummer Resignation: Und dafür also hatte Thomas Grundler sterben müssen!!!

Wortlos gaben sie sich vor ihren Fahrzeugen noch einmal die Hand und drückten sie gegenseitig lange und innig. Ein letzter tiefer Blick in die Augen, ein stummer Aufschrei: Aus, Schluss, vorbei!

E N D E

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