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Schulmeisters Marie

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Wäre Frau Lindner nicht mit all dem, was ihr die Muhme erzählt, so sehr beschäftigt gewesen, sie hätte sehen müssen, daß eine auffallende Veränderung mit ihrer Tochter vorgegangen sei. Marie war so zerstreut und in sich versunken, daß die kleine Christel zweimal bitten mußte, sie doch hinüber ins Bett zu bringen, und dann faßte sie die Kleine, ganz gegen ihre sonst so sanfte Art und Weise, ungestüm bei der Hand und zog sie in die Kammer.

Als Christel ihr Abendgebet gesprochen hatte, schlang sie ihre Arme um Maries Hals, die vorsorglich die Decke über das Schwesterchen breitete, und sagte leise: »Höre, Marie, ich muß dir noch was sagen.«

»Nu, da sag‘s, Christelchen.«

»Wie ich heute mit Müllers Lenchen auf dem Tanzboden war, da hab‘ ich auch Mamsell Dore und Frau Sanner gesehen. Die saßen gerade bei der Tür, wo alle Kinder standen und zusahen. Da sagte Mamsell Dore auf einmal: ›Na, Frau Sanner, wo steckt denn eigentlich der Joseph, man sieht ihn ja nirgends?‹ – ›Ei, Mamsell Dore‹, sagte des Müllers Lenchen, ›wissen Sie‘s denn nicht? Der steht ja droben bei Schulmeisters Marie.‹

Guck«, unterbrach sich hier die Kleine, »ich war noch einmal bei den Ziegen, eh‘ ich auf den Tanzboden ging, und da war Müllers Lenchen auch mit. Auf einmal sagte die: ›Du, dort steht ja Sanners Joseph bei deiner Marie!‹ – und das war richtig so. «

Marie errötete in heißer Scham, daß die Kinder Zeugen des Zusammentreffens gewesen waren, noch mehr aber erschrak sie über Lenchens Plauderei.

»Wie das Lenchen sagte«, fuhr Christel fort, »da wurde doch auch die Margarete wie eine geweißte Wand und ging fort, ohne daß sie auch nur ein Wörtchen herausgebracht hätte. Der Wirt und der Schulze waren auch dabei. Der Wirt schlug eine helle Lache auf, so daß ich ordentlich zusammenfuhr, und der Schulze machte ein Gesicht – na, ich kann dir gar nicht sagen, wie schlimm. Da sagte Mamsell Dore: ›Ei, Frau Sanner, da darf man ja wohl gratulieren?‹, und der Wirt meinte, da käme sie ja in eine recht saubere Verwandtschaft. Aber Frau Sanner sagte – warte nur, wie sagte sie doch gleich – ja, so war‘s, ich hab‘ jedes Wörtchen gemerkt: ›Was meint Ihr denn wohl, Mamsell Dore? Eure Gratulation ist ganz am unrechten Platze. Mein Sohn wird der Schullehrerstochter zufällig begegnet sein. So weit vergißt sich der nie, mir eine Schwiegertochter ins Haus zu bringen, die keinen ehrlichen Namen hat. Und selbst wenn er das wollte, so würde ich‘s nicht leiden – das bin ich meinem sel‘gen Mann unter der Erde noch schuldig —, denn der hat durch sein ganzes Leben streng auf Ehre und Reputation gehalten.‹«

»Guck, Marie«, sagte die Kleine weiter, »die Frau Sanner hat immer ein so gutes Gesicht; aber wie sie das sagte, war sie recht böse… Gleich darauf kam auch der Joseph herein, der war aber so vergnügt, als ob die ganze Welt sein wäre. Er bestellte beim Wirt einen ganzen Eimer Bier; denn er wollte alle Burschen freihalten, sagte er… Weiter habe ich nachher nichts mehr gehört«, fuhr Christel fort, »denn die Mutter ließ mich vom Tanzboden heimholen… Siehst du, das war‘s, was ich dir noch erzählen wollte… Na, gute Nacht, Marie!«

Marie lehnte starr, wie ein Steinbild, am Bett des Kindes – nur ihre Hand fuhr mechanisch nach dem Herzen – es stand fast still unter dem entsetzlichen Schlag, der so unerwartet alle geträumte Glückseligkeit zerschmetterte… Sie habe keinen ehrlichen Namen mehr, hatte die Frau gesagt. Oh, barmherziger Gott, man hatte ihr das einzige geraubt, was sie besessen, was sie behütet mit wachsamem Auge wie ein Heiligtum – verloren, verloren, wenn auch ohne Schuld!… Und dieser Verlust zog noch einen anderen nach sich – einen unsäglich bitteren – sie mußte Joseph entsagen. Dieser Gedanke raubte ihr alle Selbstbeherrschung – sie stürzte hinaus ins Gärtchen und lief durch den schmalen Weg. Unten am Apfelbaume stand sie still und bog sich über den Zaun. Durch die dunkle Nacht schimmerten die trüben Lichter des Tanzbodens herüber, und die hellen, schneidenden Töne der Trompete, vermischt mit dem Johlen und Stampfen der Kirmsenburschen, durchschnitten die Luft.

Das junge Mädchen starrte mit heißen, tränenlosen Augen hinüber… Dort stand er vielleicht in diesem Augenblick, umringt von den böswilligen Menschen, die seine Liebe zu der übelberufenen Schulmeisterstochter in den Staub zu reißen suchten, sie lächerlich machten und alles aufboten, ihn von seinem Vorsatz abzubringen… Und die Mutter erinnerte ihn wohl an den strengen, rechtlichen Vater, an ihr eigenes reines Leben, an den Namen, den er trug und an welchem auch nicht der leiseste Makel haftete. Sie sagte sich mit einem Gemisch von Luft und unsäglichem Schmerz, daß das alles nichts helfen und daß er eher einen Kampf mit der ganzen Welt aufnehmen als von ihr lassen würde. Ihr Glaube an seine Liebe war unerschütterlich, aber gerade diese Überzeugung machte ihr auch den Weg, den ihr das Gewissen unerbittlich vorschrieb, zu einem entsetzlichen.

Das trübe Morgenlicht, das heute nur mühsam durch graue Nebelschichten drang, fand Marie an der Kirchhofsmauer. – Das Ergebnis der qualvollen Kämpfe, die während der durchwachten Nacht ihr Inneres durchstürmt hatten war eine scheinbare äußere Ruhe – und die brauchte sie, denn sie hatte eine unsagbar schwere Aufgabe zu erfüllen… Sie wußte, daß sie gezwungen sei, das Band zu zerreißen, welches der Mutter des Geliebten so verhaßt war… Im Fieber der Verzweiflung hatte sie anfänglich während der schlaflosen Stunden eine Menge Pläne verfolgt, die eine Vereinigung mit Joseph ermöglichen sollten. Immer wieder aber siegte ihr besseres Selbst und der ihr von ihrem Vater unauslöschlich eingeprägte Grundsatz: Ehre Vater und Mutter, auf daß es dir wohlgehe… Wie hätte sie nun Joseph verleiten mögen, seine Mutter so tief zu betrüben und gegen ihren Willen zu handeln? Auch das Gefühl ihrer weiblichen Würde erwachte. War es nicht eine Erniedrigung, dieser Frau, die sie auf ein bloßes Gerücht hin so streng beurteilte und verachtete, sich aufzudrängen? Mußte sie nicht damit deren üble Meinung bestärken?… Ja, wenn die alte Frau sie verschmähte, bloß weil sie arm war, dann wäre es ein anderes gewesen – dann hätten ihre fleißigen Hände, ihr guter Wille einigen Ersatz bieten können. Was aber ersetzt einen ehrlichen Namen?… In dieser Nacht war es ihr zur Gewißheit geworden, daß Frau Sanner ihren Ruf nicht allein durch das Vorhandensein des Kindes in ihrem Hause für befleckt hielt, sondern auch durch den schmachvollen Verdacht, der auf ihrer Mutter lastete. Das erstere mußte die Zukunft aufklären – was aber das letztere betraf, so gab es keine Hoffnung mehr…

Diese Erwägungen hatten nach und nach ihrem zerrissenen Gemüt einen festeren Halt gegeben, so daß sie sich zuletzt die Kraft zutraute, ihr Versprechen zu halten und an die Mauer zu gehen, was ihr erst fast unmöglich geschienen hatte. Ja, sie gewann es sogar über sich, ruhig zu scheinen, wenn sie auch zu Tode erschrak und sich an den Zweigen eines danebenstehenden Kirschbäumchens halten mußte, als sie nach einigem Warten Joseph über den Kirchhof fliegen sah.

Er eilte, einen wahren Sonnenglanz von Glückseligkeit in den Augen, mit ausgebreiteten Armen auf sie zu und zog sie an seine Brust. Er küßte sie auf beide Augen, auf Stirn und Lippen und flüsterte die zärtlichsten Schmeichelnamen… Ihr kam der Wunsch, sie möchte so sterben, und fast brach auch ihr Herz unter dem Gemisch von Lust und Leid.

»Hast du lange warten müssen, mein Liebchen?« begann er endlich. »Verzeih mir‘s… Der Schulze hielt mich mit langweiligen Reden so lange auf. Ich stand wie auf Kohlen und lief endlich fort – mag er denken, was er will!«

»Nun, und deine Mutter?… Mit der hast du wohl gar noch nicht gesprochen?« fragte Marie mit unsicherer Stimme, aber Joseph fest in die Augen blickend.

Er stutzte und zögerte mit der Antwort.

»Na, sprich nur, Joseph«, sagte das junge Mädchen ganz ruhig, »ich bin auf alles gefaßt.«

»Wie du sonderbar bist – auf was brauchst du dich denn gefaßt zu machen?… Lügen war nie meine Sache, und deshalb will ich dir auch gar nicht verheimlichen, daß ich gestern abend noch einen recht ärgerlichen Auftritt mit meiner Mutter hatte… Der elende Schuft, der Tannenwirt, hat der alten Frau allerlei vorgeschwatzt und ihr alberne Dinge in den Kopf gesetzt, die ich mit aller Mühe und allen Vernunftgründen nicht wieder herausbrachte.«

»Er hat auch meinen guten Namen verlästert, nicht wahr, Joseph?«

»Laß das doch sein, Marie, laß ihn doch schwatzen; wenn ich‘s nur nicht glaube… Ich kenne freilich die Verhältnisse nicht, aber wenn deine Mutter in bezug auf das fremde Kind die Leute aufklären könnte, so sollte mir‘s lieb sein, nicht meinetwegen – versteh mich recht, Marie, mein Glaube an dich ist fest —. aber wegen meiner Mutter möchte ich‘s wünschen.«

»Das geht nicht, Joseph… Das Glück der Eltern und die Zukunft des Kindes hängen von unserem Schweigen ab, und nichts in der Welt wird meine Mutter und mich zwingen, unser gegebenes Wort zu brechen!… Will der liebe Gott, daß ich dieser Sache wegen mein Lebensglück opfern soll, so muß ich‘s geduldig über mich ergehen lassen – durch Treulosigkeit kann ich auch nicht glücklich werden.«

»Aber, wo gerätst du denn hin, Marie? Wer spricht denn von einem Opfer?… Geht es nicht an, gut, so schweigen wir und lassen die Leute reden, was sie wollen – das soll doch nun einmal unser Glück ganz und gar nicht stören… Sieh«, fuhr er fort und schlang seinen Arm zärtlich um das Mädchen, »ich bin selbständig, bin in jeder Hinsicht unabhängig von meiner Mutter, denn ich besitze ein vom Vater ererbtes Gut. Dorthin führe ich dich als meine junge Frau – dort sollst du schalten und walten und mich über alle Maßen glücklich machen… Nichts wird uns fehlen…«

»Nichts als der Segen deiner Mutter!« unterbrach ihn Marie, der dies Vorführen künftiger Seligkeit, die sie nie genießen sollte, das Herz zerriß. – »Aus dem, was du mir eben sagtest«, fuhr sie fort, »geht hervor, daß sie ihre Einwilligung nicht gibt.«

 

»Nun, und wenn auch?«

»Wie, du sagst das so gleichmütig?… Du wärest im Ernste fähig, deine alte Mutter, deren alles du bist, die nur für dich lebt, trotzig zu verlassen?«

»Höre, Marie«, sagte er nachdrücklich, und seine Stimme klang noch tiefer als gewöhnlich, »ich bin bisher ein treugehorsamer Sohn gewesen, habe alles getan, was ich meiner Mutter an den Augen absehen konnte, ja, ich glaubte früher, so wie sie könne ich gar niemand wieder lieben. Das hat sich aber gewaltig geändert – du gehst mir über alles —, ich weiß, daß ich ohne dich elend werden muß. Da hat der kindliche Gehorsam ein Ende, wenn die Eltern, an einem Vorurteil hängend, das ganze Lebensglück der Kinder zerstören wollen.«

»Ach, Joseph, deine Mutter ist nicht allein zu berücksichtigen – auch die meine. Sie ist streng rechtlich und wird mir sagen – ich weiß es vorher, denn mir sagt es mein Gewissen, und das spricht stets wie sie —, es sei Sünde, einer so vortrefflichen Mutter den Sohn zu entreißen; und dann wird sie sich anklagen und sich namenlos unglücklich fühlen, durch eine vorschnelle Handlung – denn das ist doch wohl die Aufnahme des Kindes in unser Haus – sowie durch den schrecklichen Verdacht, der auf ihr ruht, dich und mich elend gemacht zu haben. Aus dem Grunde, Joseph, darf meine Mutter nie erfahren, was zwischen uns abgemacht war, und wir… wir wollen das auch zu vergessen suchen.«

Joseph stand erst wie versteinert, dann schleuderte er Maries Hand, die sie ihm tiefbewegt bot, von sich und stieß ein so entsetzliches Lachen aus, daß das junge Mädchen schauderte.

»Wie du das so leicht sagst!« knirschte er. »Ich möchte es nicht einmal denken, weil es mich um den Verstand bringt… und du?… Ja, ja, du hast mich gern, aber wie?… Wenn sich die Verhältnisse dieser Liebe nicht gleich anpassen lassen, so streift man sie ab, wie einen Rock, den der Schneider nicht recht gemacht hat… Ha, ha… vielleicht hast du auch über Nacht dein Gelöbnis bereut – schwach sind die Weiber alle!«

»Joseph, Gott mag dir vergeben! – Du versündigst dich grausam an mir!«

»So?… Ich soll wohl auch noch die Hand streicheln, die mich umbringt?«

»Ich bitte dich um Gottes willen, mäßige dich!«

»Nein und abermals nein!… Du freilich kannst nicht begreifen, was ich leide. Dir genügt die Erfüllung deiner Pflichten. Da kommt zuerst deine Mutter, dann die meine, dann kommen ganz wildfremde Menschen, und zuletzt bleibt ein armseliges Plätzchen für mich, wofür ich mich auch noch schön bedanken soll… Du hast gelogen, hast schändlich an mir gehandelt! Du bist eine Heuchlerin, die kein Herz hat… aber du sollst mich kennenlernen… du gehörst mir für Zeit und Ewigkeit!… Denke ja nicht, daß du je in deinem Leben loskommst – eher gibt es Mord und Totschlag!«

Marie ließ diesen Sturm der Leidenschaft widerstandslos über sich dahinrasen. Jedes beschwichtigende Wort entflammte Josephs Wut immer mehr und brachte ihn außer sich. Auch schwand ihre künstlich aufrechterhaltene Ruhe immer mehr vor der Macht dieser Leidenschaft, deren Höhe sie nicht geahnt hatte… Gerechter Gott, wie wurde sie geliebt!… Und diesem Glück sollte sie entsagen?… Es war ein übermenschliches Opfer, und doch mußte es gebracht werden. Sie durfte Joseph unmöglich in dem Vorsatz, seine Mutter zu verlassen, bestärken, und daß diese wiederum nicht nachgeben würde, das wurde ihr aus seinem Reden klar… Sie konnte und durfte ja der alten Frau nicht einmal unrecht geben, denn einen geachteten, unbescholtenen Namen mit einem befleckten zu verbinden, davor wird selbst die mildeste Denkungsweise zurückbeben… Sie durfte mithin nicht schwanken in ihrem Vorsatz – ohne alle Hoffnung aber konnte sie Joseph auch nicht von sich stoßen – bei seinem Ungestüm ließ sich in dem Fall irgendein verzweifelter Schritt voraussehen. Sie faßte deshalb nochmals seine Hand und beschwor ihn unter Tränen, nur einmal zu schweigen und auf sie zu hören.

Er warf einen finsteren, scheuen Blick auf ihre verweinten Augen und preßte die Lippen fest aufeinander.

»Joseph«, sagte sie sanft, »glaubst du denn wirklich, ich wäre imstande, dir je die Treue zu brechen? Und wenn es Gottes Wille ist, daß wir getrennt werden sollen, so wirst du erleben, daß dir trotzdem mein ganzes Herz bleibt… Aber wir brauchen ja auch nicht gleich das Schlimmste anzunehmen. Haben wir nicht täglich vor Augen, daß sich mit der Zeit auch die Verhältnisse ändern?… Ich glaube ganz gewiß, daß der Augenblick nicht mehr fern ist, der die Nachrede, die meinen Namen verunglimpft, zuschanden macht – wenn dann deine Mutter sieht, wie irrig sie in der Sache berichtet worden ist, wird sie dann nicht auch zu der Überzeugung kommen, daß meine Mutter ebenfalls unschuldig verleumdet sein könne?«

»Und mit dieser Vertröstung soll ich mich begnügen? Soll mit einem Fünkchen Hoffnung mein Leben hinschleppen, während ich glücklich sein könnte?… Nein, ein solcher Schwachkopf bin ich nicht, daß ich die Hände in den Schoß legen und geduldig warten sollte, bis vielleicht ein glücklicher Zufall nach so und so viel durchhofften Jahren eine Änderung herbeiführt… Du weißt also doch noch, Marie, daß du mir gestern Treue geschworen hast?« fragte er plötzlich.

»Ja, Treue bis in den Tod!« entgegnete das junge Mädchen mit erschöpfter Stimme.

»Gut – ich glaube dir… Ich werde alles tun, um dein Gewissen in bezug auf meine Mutter zu beruhigen. Bleibt sie aber bei dem Vorsatz, mich unglücklich zu machen, dann frage ich nach nichts mehr – hörst du, Marie?… Auch nicht danach, ob du willst oder nicht – ich halte mich an dein heiliges Versprechen und will doch sehen, wer mich zwingen kann, mein gutes Recht aufzugeben.«

Er drückte einen Kuß auf ihre Lippen und eilte über den Kirchhof den Berg hinab.

Zehn Minuten darauf brauste ein Geschirr wie rasend durch das Dorf. Aller Köpfe fuhren entsetzt aus den Fenstern und sahen erstaunt den Joseph ohne Hut auf dem Bocke sitzen. Er trieb sein Gespann wie wütend an und hatte weder für die verwunderten Leute noch für seine ängstlich bittende Mutter, die neben ihm saß, einen Blick.

Acht Tage waren seit jenem Abschied vergangen – für Marie ein Zeitraum voll schwerer Kämpfe und bitterer Leiden… Das zwischen ihr und Joseph Vorgefallene war im Dorfe ruchbar geworden und hatte eine allgemeine Entrüstung hervorgerufen. Anfänglich kam es allen unglaublich vor, denn daß der Joseph die ernste, arme Marie der grundreichen, rotbackigen Schulzenstochter vorziehen könne, das schien manchem ein größeres Wunder als das biblische mit den Weinkrügen – aus nichts etwas schaffen ist freilich denkbarer als viel haben und nichts mehr wollen. – Auf das Erstaunen folgte gewaltiger Zorn, und die arme Marie lernte erkennen, daß es in den Augen klatschender Weiber kein größeres Verbrechen gibt, als wenn ein armes, unbeachtetes Mädchen sich erkühnt, einem reichen Mann zu gefallen. Sie ging jeden Abend an den Brunnen, um Wasser zu holen. Früher hatte sie selten jemand getroffen; jetzt aber fand sich stets eine Schar Frauen ein, die förmlich auf Marie warteten, um sie mit beißenden Stachelreden zu peinigen. Der Schulze, der einzige, der früher noch gegrüßt hatte, ging jetzt vorbei, starr, ohne Gruß und mit augenscheinlicher Mißachtung nach den Fenstern sehend, über welches Benehmen die Schulmeisterin bittere Tränen vergoß. Der gute Schullehrer, der ihnen stets treulich beigestanden, war versetzt worden und hatte am Tage nach der Kirmse Ringelshausen verlassen. Marie meinte manchmal, ihrem Kummer erliegen zu müssen, den sie allein tragen und auch noch sorgsam vor ihrer Mutter verbergen mußte. Allein hier zeigte sich der Segen ihrer vortrefflichen Erziehung. Sie hatte gelernt, sich über jede innere Regung Rechenschaft abzulegen, die Dinge vom moralischen Standpunkt ins Auge zu fassen und an dem festzuhalten, was ihrer Überzeugung nach das Rechte war. Und das gab ihr die Kraft, alles zu ertragen, was auf diesem rauhen Weg sich vor ihr auftürmte.

Ihr sehnsüchtiger Wunsch war, nur auf einige Stunden einmal ihren Bedrängnissen entfliehen zu können. Allein sein und Bewegung in der freien Luft konnten nur günstig auf ihr geängstetes, gepreßtes Herz wirken, weshalb sie sich denn auch entschloß, sonnabends nach A. zu gehen und dort einige kleine Einkäufe selbst zu besorgen, was sonst die Obliegenheit der Botenfrau war.

Ziemlich spät machte sie sich auf den Weg und erreichte, da die Stadt zwei Stunden von Ringelshausen entfernt war, dieselbe erst zu Mittag. Sie hatte deshalb große Eile bei Besorgung ihrer Geschäfte, denn abends dünkte es ihr ängstlich, den weiten Weg allein zurückzulegen. Trotzdem aber konnte sie sich nicht versagen, Anna und die Muhme aufzusuchen; hatte ihr doch die Mutter herzliche Grüße und ein Körbchen gute Äpfel für beide mitgegeben.

Sie wurde mit großer Freude und Herzlichkeit aufgenommen, obgleich es ihr nicht entging, daß Anna sowohl als auch die Muhme bei ihrem Eintritt ein wenig verlegen aussahen. Auch fiel ihr sogleich ein sorgsam mit weißer Serviette bedeckter Tisch vor dem Sofa in die Augen, der mit seinem Kaffeegeschirr und Kuchenkörben wie am Festtag beladen war.

Marie mußte sich ans Fenster in den weichgepolsterten Lehnstuhl der Muhme setzen, und Anna beeilte sich, ihr eine Tasse heißer Schokolade zu bringen… Sonderbar aber war es doch, daß die Muhme sie einmal über das andere in die Arme schloß und noch dazu mit feuchten Augen. Sie war zwar immer eine gute, prächtige Frau, die gern alle Welt glücklich sehen mochte, aber heute war sie doch zu unerklärlich weich.

Draußen vor den Fenstern – das Haus der Muhme lag am Markt – gab es noch immer großen Lärm, obgleich das eigentliche Marktgetümmel vorüber war. Auf die leer heimkehrenden Bauernwagen postierten sich Mädchen und Frauen, ihre schwerbeladenen Körbe mühsam hinaufhebend und dann selbst schwerfällig hinterdreinsteigend, was nicht ohne Neckerei und lautes Gelächter der Männer abging. Bauernweiber, die ihre Ware nicht losgeworden, gingen mit der blankgescheuerten Buttergelte oder dem Eierkorb im Arm von Haus zu Haus, und die Holzverkäufer en détail zogen ihre kleinen, mit Hunden bespannten Karren rasselnd über den Platz und spähten nach irgendeiner holzbedürftigen Seele, die ihnen die wenigen, mühsam herbeigeschleppten Säcke schon gespaltenen Holzes abkaufen möchte.

Marie schaute hinaus auf dies Treiben, während ihre müden Füße ausruhten. Plötzlich zuckte sie erschreckt zusammen – Frau Sanner trat aus einer Seitengasse und ging schräg über den Markt. Anna stand neben Marie; sie faßte deren Hand und sagte ausdrücklich und bedeutungsvoll: »Ja, Frau Sanner ist hier, und der Joseph auch – sie sind bei uns abgestiegen.«

Marie sprang auf und griff nach ihrem Mantel, aber Anna hielt sie fest.

»Bleibe unbesorgt«, bat sie, »wir haben viel mit dir zu sprechen. Frau Sanner wird vor einer Stunde nicht zurückkehren, weil sie Geschäfte abzumachen hat, und Joseph bleibt höchstwahrscheinlich noch länger aus… Ach, Marie, die alte Frau weinte bitterlich über ihren Sohn!… Er sei ganz verwandelt, klagt sie, sonst die Liebe und Freundlichkeit selbst, spräche er jetzt kein Wort mehr mit ihr. Er begegne den Leuten finster und abstoßend, kümmere sich um kein Geschäft mehr und habe ihr erklärt, er werde nächstens sein Gehöft in Sellheim beziehen… Er ist auch äußerlich ganz verändert und sieht zum Erbarmen aus.«

Marie verbarg ihr Gesicht in beiden Händen – die so lange unterdrückten Tränen brachen nun unaufhaltsam hervor.

»Wir wissen alles«, fuhr Anna fort und umfaßte das junge Mädchen, »aber eben deshalb hielt ich es auch für meine Pflicht zu sprechen. Ich durfte nicht schweigen, wenn ich nicht grenzenlos undankbar gegen dich und deine Mutter sein wollte – Frau Sanner weiß mein Geheimnis.«

»Um Gottes willen, Anna!… Du hättest…«

»Frau Sanner hat heute durch mich erfahren, daß das Pflegekind, um dessentwillen du so viel leiden mußt, das meine ist und daß ich seit anderthalb Jahren die rechtlich angetraute Frau des Rechtsanwalts Börner in hiesiger Stadt bin, dessen Namen ich aber nicht eher öffentlich tragen darf, als bis sich – leider zwingen uns Geiz und Hochmut des alten Mannes – die Augen seines Oheims geschlossen haben —, dessen einziger Verwandter und Erbe mein Mann ist.«

»Aber, Anna, wie konntest du das tun?«

»Du hast alles über dich ergehen lassen; ja, meiner Zukunft wegen hättest du dein Lebensglück geopfert – deine Mutter mußte von meinen eigenen Verwandten ihre Tochter beschimpfen und mit einem Fehltritt beladen sehen, den sie nicht begangen… Ihr habt unter allen Umständen geschwiegen, und ich sollte alle diese Opfer hinnehmen, ohne mich je dankbar zu bezeigen? – Du denkst zu gering von mir. Frau Sanner begriff nun auch, daß wir die Geburt unseres Kindes verheimlichen mußten. Ich erzählte ihr, daß deine Mutter eine treue, aufopfernde Freundin meiner verstorbenen Mutter gewesen und deshalb die einzige Person war, der ich mein Kind anvertrauen mochte… Und siehst du, Marie, ich hatte den schönsten Lohn für meine Aufrichtigkeit, denn die alte Frau weinte heiße Tränen über eure seltene Aufopferung und bat dir immer und immer wieder ihren Verdacht ab.«