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Schulmeisters Marie

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Diese Gedanken jagten sich förmlich und verursachten dem armen Mädchen die bitterste Qual. Ihre Hände arbeiteten mechanisch fort, aber ihre Schläfen klopften fieberhaft… Es trieb sie, sich an die Brust der Mutter zu werfen und sich dort auszuweinen… Aber durfte sie so grausam sein, auf dies gramgebeugte Herz neuen Kummer zu laden?… Es half nichts, sie mußte ihr tiefes Weh allein tragen, und zum erstenmal in ihrem Leben sah sie sich gezwungen, die schwere Kunst zu üben, die eine glatte, ungetrübte Stirn, ein harmloses Lächeln verlangt, während das Herz in seinem Leide fast vergeht.

An diesen Entschluß knüpfte sich noch der feste Vorsatz, niemand in der Welt solle je diese Demütigung ihres Herzens erfahren, am allerwenigsten aber der, dem sie, wenn auch ganz ohne seine Schuld, diesen schwersten Kampf ihres Lebens verdankte.

Ihre Mutter trat zu ihr. Sie wollte schon jetzt ihre schwere Rolle beginnen und sah lächelnd auf – aber das war ein herzzerreißendes Lächeln, die zuckenden Lippen wollten sich nicht fügen. Rasch griff sie nach dem Notenblatt, das Frau Lindner auf das Nähtischchen legte.

»Der Schullehrer schickt dir hier den Psalm«, sagte die Mutter, »den du morgen in der Kirche singen sollst. Du möchtest heute abend hinüberkommen zur Probe.«

»Ich kann heute unmöglich singen, Mutter«, sagte Marie gepreßt. »Du weißt«, fügte sie verbessernd hinzu, »daß ich notwendig zu arbeiten habe… Ich kann den Psalm übrigens ganz gut, denn ich habe ihn beim Vater oft gesungen – er wird auch ohne Probe gehen.«

Und nun beugte sie sich auf ihre Arbeit und sprach kein Wort mehr, denn es wollte mit der Selbstbeherrschung doch nicht so gutgehen, wie sie gemeint hatte.

Der erste Kirmsenmorgen war da, und zwar so klar und schön, wie man nach dem gestrigen ungestümen Wetter nicht hätte vermuten können. War es doch, als sammle der Herbst, wie ein unten liegender Streiter, noch einmal alle Kräfte, um mit einem Schlag dem Winter den Sieg zu entreißen. Der Himmel zeigte sich tiefblau und wolkenlos, und warmer Sonnenschein lag über den öden Fluren wie das letzte, verklärende Lächeln auf dem Antlitz eines Sterbenden. Auf den Dächern sonnten sich in Reih und Glied die Tauben, emsig bemüht, unter kokettem Gurren ihr Federkleid auszustäuben und blank zu machen, und nur selten wagte hier und da ein bissiger Hofhund die sonntägliche Stille belfernd zu unterbrechen. Vor den Türen lehnten die Burschen in weißen Hemdärmeln, und drin vor dem kleinen Spiegel legten die Jungfern die letzte Hand an den Kirmsenstaat oder steckten den mützengekrönten Kopf durch das niedere Fenster, spähend, ob vielleicht schon »Kamerädinnen« draußen auf und ab spazierten.

Bald durchzitterte helles Glockengeläute die klare Morgenluft. Aus allen Häusern strömten die Kirchengänger, und von den Bergen stiegen die Bewohner der Filiale hernieder.

Marie trat, das Gesangbuch in der Hand und begleitet von ihrer kleinen Schwester, ins Gärtchen. Vielleicht nennt es mancher Leser psychologisch unrichtig, wenn ich sage, »sie war taufrisch wie eine junge Rose«; denn es ist althergebracht, daß die Heldin im Roman nach einem Herzenssturm, wie ihn Marie erlitten, bleich, angegriffen und deshalb um so interessanter erscheint. Ich kann jedoch mit dem besten Willen diesen Brauch nicht berücksichtigen, wenn ich wahr sein will. Maries Gesundheit war viel zu fest, ihre Jugendblüte zu kräftig, als daß eine schlaflose, durchwachte Nacht den Glanz ihrer Augen erlöschen und die rosige Frische auf ihren Wangen zerstören konnte – sie war nie schöner gewesen als heute.

Aus dem braunen, raschelnden Laub auf den Rabatten nickten noch einige blaue, vom Wind geschonte Zwergastern; die pflückte sie und trat dann durch die kleine Gartentür auf den Kirchhof. Wie gern aber wäre sie ebenso schnell geflohen und hätte sich hinter der Mauer geborgen, wenn es nur nicht gar so auffällig gewesen wäre; denn seitwärts, den ziemlich steilen Bergweg herauf, kam die Schulzenfamilie, in der Mitte Frau Sanner und ihr Sohn. Alle erwiderten ihren ernsten Gruß sehr freundlich, nur Margarete ging ziemlich hochmütig an Josephs Seite vorüber.

Oh, wie zuckte Maries Herz, wie bäumten sich ihre aufgeregten Gefühle gegen den schwachen Damm der Selbstbeherrschung!… Mit umflorten Blicken trat sie in die Kirche, wo ihr schon voller Orgelton entgegenscholl. Noch nie hatte dieser erhabene Klang seine Wirkung auf ihr Gemüt verfehlt, und so stieg sie denn auch jetzt, wunderbar schnell gefaßt und erhoben, die Treppe hinauf, die zum Chor führte.

Der erste Choral war verhallt. Der Geistliche hatte die Liturgie gesprochen, und nun begann Marie den Psalm. Der erste Ton, glockenrein und voll, bebte von ihren Lippen. Der mächtige Widerhall ihres wirklich schönen Soprans wirkte erschütternd, aber auch begeisternd auf sie zurück, und sie schwebte, all ihr Leid vergessend, selig auf den Wellen des Gesanges, der ihr ja von jeher als das Herrlichste in der Welt erschienen war – sie sang einfach, aber tief ergreifend.

Als der letzte Ton verklungen war, blickte sie auf; aber im Innersten erbebend, senkte sie schnell den Blick wieder zu Boden und wandte sich zum Gehen. Nicht weit von ihr saß Joseph. Über die Brüstung geneigt, schien er alles um sich zu vergessen – sein Blick haftete unverwandt und glutvoll auf ihrem Gesicht —, wie tief bewegt waren seine Züge!… Was hätte sie nicht darum gegeben, wenn es ihr vergönnt gewesen wäre, noch einmal hinüberzusehen, um sich ganz gewiß zu überzeugen, ob dieser Blick auch wirklich ihr gegolten habe oder ob es vielleicht nur ein Spiel ihrer Einbildungskraft war. Aber sie mußte fort, mußte hinunter in die Weiberstühle, denn die Predigt begann bereits.

Als sie nach Beendigung des Gottesdienstes aus der Kirchtür trat, eilte ihr auf dem Friedhof ein hübsches junges Frauenzimmer in städtischer Tracht entgegen und umarmte sie herzlich. Es war Anna, die einzige Tochter des Wirtes, die seit ihren Kinderjahren in der Stadt bei einer alten, kinderlosen, aber sehr vermögenden Muhme lebte, aus welch letzterem Grunde der Tannenwirt seine Tochter sehr gern bei ihr wußte.

»Marie«, sagte Anna leise, aber dringend, »ich gehe jetzt gleich mit zu euch hinüber. Glaube mir, ich halte es nicht länger aus – monatelange Trennung!… Ich meinte schon, ich müsse vergehen vor Sehnsucht.«

»Aber dein Vater?«

»Er weiß darum. Zwar brummte er gewaltig, wie immer, als ich ihm ankündigte, daß ich dich jedenfalls besuchen würde; aber da die Muhme vorbat und erklärte, daß auch sie heute nachmittag zu deiner Mutter gehen wolle, da schwieg er… Komm nur, komm!… Ich bin auf der Folter!«

Beide huschten in das Haus, und so konnte Marie nicht sehen, daß Margarete mit den Ihrigen und Frau Sanner allein nach Hause gehen mußte. Sie tat dies mit einem schmollenden, mürrischen Gesicht und wandte sich oft zurück nach dem Kirchhof, wo Joseph anscheinend sehr eifrig die Inschriften der Leichensteine studierte.

Nachmittags waren Anna und ihre Muhme bei der Schulmeisterin. Anna hatte den kleinen Pflegling auf dem Arm und sprang singend und lachend mit ihm in der Stube herum. Die Muhme und Frau Lindner saßen gemütlich plaudernd am Fenster, und letztere war zum erstenmal nach langer Zeit ganz vergnügt und aufgeheitert. Es tat ihrem Herzen unendlich wohl zu sehen, daß es Leute gab, die an ihre Unschuld glaubten und dies ungescheut an den Tag legten.

Draußen zogen die Burschen und Mädchen unter schmetternder Musik und unaufhörlichem Juchheschreien nach dem Tanzboden… Na, das gab eine Pracht! Die Tanzjungfern strahlten förmlich mit ihren goldenen Ketten, Nadeln, reichgestickten Mützenstückchen, so daß die kleine Christel entzückt meinte, man könne gar nicht lange hinsehen, denn es flunkere einem ordentlich vor den Augen.

Am prächtigsten und in den Augen der Ringelshäuser am schönsten aber war die rotbackige Schulzens Margarete. Die schritt einmal stolz daher im seidenen Kleide und von zahlreichen Haubenbändern umrauscht, die an Schwere und Breite alles übertrafen, was Ringelshausen jemals in seinem Bereiche gesehen. Joseph ging an ihrer Seite. Sie blickte lächelnd und vertraulich zu ihm auf; aber er schritt so still und einsilbig dahin, daß sie sich endlich unwillig abwandte.

»Schulzens können sich über den künftigen Schwiegersohn freuen«, sagte die alte Muhme, indem sie dem Paar nachsah. »Ich kenne die Frau Sanner recht gut – sie besucht mich öfter und ist eine ganz prächtige Frau… Da steckt ein Vermögen! Ich glaube, die weiß selbst nicht, wieviel sie hat… Der Joseph ist ein bildschöner, grundgescheiter Mensch, aber ein wenig sonderbar. Er war früher öfter bei mir, als er in der Stadt die Schule besuchte – seine Lehrer lobten ihn gar sehr – den sollten Sie einmal Klavier spielen hören, Schulmeisterin!… Der könnte sich in A. die Schönste und Reichste aussuchen – er kriegte sie; darauf können Sie sich verlassen; aber nie hat er vom Heiraten hören wollen… Warum er nun gerade die Margarete nimmt, begreife ich eigentlich nicht so recht.«

»Da ist also die Sache im reinen?« fragte die Schulmeisterin.

»Seine Mutter wenigstens, mit der ich heute in der Kirche sprach, leugnete nicht viel«, entgegnete die Muhme.

Marie hörte dies Gespräch wie im Traume. Ihr Herz war zum Ersticken gepreßt. Sie schlich hinaus ins Gärtchen, um sich recht satt zu weinen. Hier fand sie wenigstens in der sterbenden Natur ein Echo für ihren Schmerz… Auf der Gegend lag spätherbstlicher Duft. Die Luft war so still, daß man das Rollen weit entfernter Wagen und die taktmäßigen Schläge der Holzhauer droben in den Wäldern deutlich hören konnte. Bisweilen fiel ein vereinsamtes, gelbes Blatt, langsam sich drehend, zu Maries Füßen, oder ein kleiner Emmerling hüpfte geräuschvoll durch das knisternde Laub auf den Beeten.

Das junge Mädchen hatte sich an die Kirchhofsmauer gelehnt. Ihre Hand lag auf derselben und zupfte mechanisch an dem Gras, das dürr und trocken aus den Steinspalten hervorsah, während ihr Auge über den Kirchhof glitt… Dort, das kleine Kirchenfenster war genau hinter dem Platz, wo Joseph heute morgen gesessen, von wo aus er mit einem so unerklärlich wunderbaren Ausdruck nach ihr hinübergeschaut hatte. Mit schmerzlicher Freude haftete ihr Blick an jener Stelle – war sie doch einen Augenblick unaussprechlich glücklich da drüben gewesen! Freilich nur einen Augenblick; denn ihr Verstand sagte ihr gleich nachher, daß sie sich geirrt haben müsse und daß es sündhaft sei, nachzugrübeln und das Wahrgenommene günstig für sich zu deuten, da ja bereits eine andere gegründete Rechte auf den geliebten Mann hatte… Joseph liebte die Musik; er sang selbst so hübsch – war es da wohl ein Wunder, wenn er so gespannt und aufmerksam der Kirchenmusik folgte? Hätte eine andere an ihrem Platze gestanden, er würde gewiß ebenso hinübergesehen haben.

 

Auf diese Weise bemühte sie sich, wenn auch unter unaussprechlichem Leid, jeden Hoffnungskeim zu ersticken und alles, was sie während der kurzen Zeit ihres glückseligen Traumes in ihrem Herzen gehegt und bewahrt hatte, unbarmherzig zu vernichten.

Sie hatte wie träumend die Augen geschlossen. Aber wie erschrak sie, als eine warme Hand sich auf die ihrige legte! Mit einem lauten Schrei fuhr sie in die Höhe und traute ihren Sinnen kaum – Joseph stand vor ihr, nur durch die dünne, niedere Mauer von ihr getrennt.

»Seid nicht böse – ich wollte Euch gewiß nicht erschrecken«, sagte er mit einer so bittenden, weichen Stimme, wie sie Marie bei seinen trotzigen, kühnen Zügen nimmermehr vermutet hätte.

Als sie schwieg – aus dem einfachen Grunde, weil ihre Zunge wie gelähmt war —, trat er dicht an die Mauer und beugte sich tief, um in ihr gesenktes Gesicht blicken zu können.

»Gönnt mir doch wenigstens ein Wort«, bat er beklommen. »Wenn Ihr so eiskalt und ernsthaft dasteht – wo soll ich den Mut hernehmen zu sprechen?… Seht, ich kann es nicht mehr zählen, wie oft ich schon über den Kirchhof gegangen bin, nur mit dem Gedanken, Euch einmal sprechen zu können… Ihr lebt so zurückgezogen, daß man Euch nie begegnet, und ich muß deshalb auch denken, daß Ihr mich gar nicht kennt.«

Marie gewann allmählich ihre Fassung wieder. Ihr Vorsatz, sich so zu beherrschen, daß Joseph ihre unglückliche Neigung nie ahnen solle, trat mit einemmal fest vor ihre Seele – sie stand vor Margaretes Bräutigam, dieser Gedanke stählte sie.

»Ich kenne Euch wohl; Euer Bruder hat des Schulzen Katharine zur Frau«, entgegnete sie ruhig. »Sprecht nur. Wenn ich mir auch nicht denken kann, was Ihr wollt, so will ich Euch doch herzlich gern auf Eure Fragen Bescheid geben.«

Ihr Ernst schien den jungen Mann ein wenig außer Fassung zu bringen. Er errötete und strich langsam mit der Hand über sein glänzendes Haar. Endlich, nach einem peinlichen Schweigen, begann er: »Ihr habt heute früh so wunderschön gesungen – mir geht Gesang über alles. Wie Eure Stimme aber, so habe ich noch keine gehört – das mußte ich Euch sagen.«

»Wenn Euch die Musik gefallen hat«, antwortete Marie, »so ist das gar nicht mein Verdienst – der Psalm ist so schön – Ihr singt ja auch?«

»Habt Ihr mich gehört?«

»Ja, bei der Katharine ihrer Hochzeit.«

»Ihr waret ja nicht dabei.«

»Freilich nicht – aber Eure Stimme klang laut genug – ich hab‘ deutlich gehört, daß Ihr gut singt.«

»Woher wißt Ihr denn, daß ich‘s war?«

»Der Mond schien ja so hell…«

»Ach – und da habt Ihr hinübergesehen?« unterbrach sie Joseph mit strahlenden Blicken.

Wie ungeschickt! – Sie hatte sich verraten. Noch konnte sie jedoch einlenken.

»Nun, das ist doch eben kein Wunder. Wenn ich ans Fenster trat, mußte ich Euch ja sehen – Ihr saßet ja gerade gegenüber.«

Sie sprach diese Worte so gleichgültig wie nur möglich. Der junge Mann senkte traurig den Kopf und schwieg.

Sie meinte innerlich, nun habe sie wohl lange genug dagestanden.

Er schien nichts mehr sagen zu wollen, und doch ging er auch nicht fort. Ihre Lage wurde immer peinlicher, so daß sie endlich einen Schritt zurücktrat und verlegen sagte: »Ich werde nun wohl hineingehen müssen – wir haben Gäste. Auch ist‘s nicht ratsam für Euch, so lange hier zu stehen – die Nachbarn sind bös… Wenn Euch jemand hier sieht, so könnt Ihr bei Schulzens großen Schaden davon haben.«

»Nun, und was kümmert mich das?«

Marie sah hastig und erstaunt auf. Sein Ton klang so merkwürdig gleichgültig und kalt.

»Ihr sprecht recht sonderbar«, sagte sie betroffen. »Ich meine, Ihr solltet nicht so unhöflich gegen die Leute sein, wo Ihr zu Gast seid – und Margarete…«

Sie geriet immer mehr ins Stocken – sah sie doch der Joseph so eigentümlich an, daß sie nicht mehr wußte, wo sie ihre Blicke hinwenden sollte.

»Margarete?« fragte er lächelnd. »Was hätte denn die dabei zu sagen?«

»Ihr versteht mich ganz und gar nicht!« rief das junge Mädchen jetzt aufgeregt und im Begriff, die mühsam behauptete Fassung zu verlieren. »Oder Ihr wollt Euch einen Spaß mit mir erlauben, und das dürft Ihr doch wahrhaftig nicht.«

Bei diesen Worten traten Tränen in ihre Augen. Er faßte erschrocken ihre Hand.

»Das glaubt Ihr nicht im Ernst von mir – so sehe ich doch wohl nicht aus«, sagte er rasch.

»Nun ja – ich muß wohl so denken«, antwortete sie ruhiger, indem sie ihre Hand zurückzog, »denn ich habe so deutlich gesprochen, daß Ihr mich nicht anders verstehen konntet.«

»So sagt mir nur um alles in der Welt, was hat denn Margarete mit meinem Hiersein zu schaffen?… Glaubt Ihr denn, ich frage des Schulzen Töchter um Rat und Erlaubnis, wenn ich ausgehen will?«

»Ja, ich meine allerdings, daß Eure Braut das von Euch verlangen kann.«

»Meine Braut?… Ja, wer ist denn die?«

»Nein, das geht zu weit!… Wollt Ihr Eure Neckerei so weit treiben, daß ich Euch noch den Namen sagen soll?«

»Sagt ihn, sagt ihn – denn ich weiß ihn nicht! Aber ich müßte auf den Kopf gefallen sein, wenn ich aus Euren Reden nicht merken sollte, daß mir die Ringelshäuser Klatschweiber Margarete als Braut zuweisen – da irren sich die Leute aber stark —, habt Ihr das wirklich von mir geglaubt, Marie?«

»Ja, warum sollte ich denn nicht?… O mein Gott!… Aber seid Ihr denn nicht öfter zu Schulzens auf Besuch gekommen?«

»Habt Ihr das bemerkt?« fragte Joseph rasch, und sein leuchtender Blick hing an ihrem Munde.

»Die – Nachbarin sagte es.«

»Nun – und mußte denn das gerade Margaretes wegen sein?«

Er hielt einen Augenblick inne, während er sie mit brennenden Blicken betrachtete.

»Könnt Ihr Euch gar nicht denken, was mich immer wieder hierherzog?« fuhr er fort. »Seht mich nur ein einziges Mal freundlich an, und ich sage es Euch!«

Joseph bog sich bei diesen Worten über die Mauer und drückte die Hand des jungen Mädchens leidenschaftlich an sich. Um Maries Selbstbeherrschung war es jetzt geschehen. Dieser Mann, dem ihr ganzes Herz entgegenschlug, er war frei, frei!… Ihre Seele jauchzte – er stand vor ihr und bettelte um einen freundlichen Blick, er, der ihr noch vor wenigen Stunden unerreichbar fern gestanden, er, den die Nachbarin stolz wie einen Edelmann genannt hatte!… Sie erfüllte seine Bitte und sah schüchtern zu ihm auf.

»Ach – Ihr wollt es wissen?« rief er, und seine Stimme bebte vor innerer Aufregung. »Ich darf sprechen, wie mir ums Herz ist?… Seht, eine unglückliche Frau wurde von einem ehrlosen Buben beleidigt. Es standen viele Leute da, aber keiner nahm sich ihrer an… Da kam plötzlich ein schönes Mädchen – mir war‘s, als sähe ich den Engel mit dem feurigen Schwert!… Und als sie nun sprach, so gewaltig und furchtlos, und ich sah in ihre Augen, da fuhr es mir durch das Herz, und seitdem ist mir, als hätte ich bis dahin in Blindheit gelebt… Ich hatte von dem Augenblick an im eigenen Hause keine Ruhe mehr. Ich ritt nach Ringelshausen, so oft ich konnte… Der Schullehrer, Euer alter Freund, Marie, mußte mir dann von Euch erzählen – von seinem Fenster aus konnte ich das Gärtchen hier übersehen… Dann saget Ihr zuweilen da drunten am schmalen Weg, unter dem Apfelbaum. Niemals ruhte die Nadel in Eurer flinken Hand; dabei überhörtet Ihr die Aufgabe der kleinen Schwester und konntet sehr ernst aussehen, wenn die Sache nicht recht ging. Oder Ihr verscheuchtet die Fliegen von dem kleinen Kind, das neben Euch im Korbwagen schlief… Ich sah Euch aber noch lieber, wenn Ihr da droben am Dachfenster einsam standet, da, wo Ihr Nelken und Reseda in Töpfen zieht – da blickten Eure Augen hell in die weite Welt hinein, Euer Gesicht sah so glücklich aus, und ich wünschte dann allemal, Ihr möchtet in einem solchen Augenblick – an mich denken.«

Marie barg ihr erglühendes Gesicht in beiden Händen – sie hatte ja da droben stets die Richtung gesucht, in der Wallersdorf liegen mußte; die Dachluke mit ihrer Aussicht in die weite Welt war das stille Plätzchen gewesen, wo sie sich am ungestörtesten den Gedanken an ihn hingegeben hatte…

Er schwieg einen Augenblick; dann fuhr er hastiger, aber leiser fort: »Mein Herz war bis zu jenem Tage frei geblieben – frei wie der Falk in der Luft… ja, ich glaube, es war hochmütig, es wollte sich nicht unterwerfen —, und jetzt, was täte ich nicht, um die zu gewinnen, ohne die ich nicht mehr leben kann – ich ginge durch die Hölle, wenn es sein müßte!«

Marie war unwillkürlich und erschreckt zurückgewichen, denn er hatte die letzten Worte so leidenschaftlich herausgestoßen. Er aber hielt ihre Hände fest und zog sie näher an sich.

»Gehe jetzt um Gottes willen nicht fort!… Ich bin ein heftiger Mensch!« rief er. Als sie aber scheu zu ihm aufsah, da schmolz sein Blick, und seine Stimme wurde weich.

»Nein«, sagte er, »fürchten darfst du dich nicht… Wie könnte ich dir etwas zuleide tun, dir, die ich so lieb habe – so lieb, daß es nicht auszusprechen ist!… Jetzt ist‘s gesagt… jetzt weißt du, was ich von dir will. Aber ich sage dir auch – ich gehe nicht eher von dieser Stelle, bis du entschieden hast, was mit mir werden soll!«

Mit welchem Ausdruck sprach er!… Wie glühte sein Gesicht vor innerer Bewegung!… Marie schwindelte es. So plötzlich dem Schmerz der Entsagung entrissen und auf den Gipfel eines unaussprechlichen Glückes gehoben, schien es ihr ganz unmöglich, an dasselbe zu glauben, und doch – stand er nicht da vor ihren Augen, ihre beiden Hände krampfhaft drückend und mit wahrer Seelenangst ihren Ausspruch erwartend? Durfte sie da auch nur um einen Augenblick die Gewährung verzögern, ohne sich schwer an ihm zu versündigen?… Es bedurfte übrigens der Worte gar nicht, die ihr unsäglich schwer wurden – sie blickte auf, und er las sein Glück in ihren verklärten Zügen – mit einem Satz sprang er über die Mauer und zog jauchzend das Mädchen an sein Herz…

»Aber deine Mutter, was wird die dazu sagen?« fragte Marie, plötzlich aufschreckend, mit beklommener Stimme – der Gedanke schien ihr schwer aufs Herz zu fallen.

»Die wird sich freuen, endlich eine Tochter ins Haus zu bekommen – und was für eine!… Sie ist die beste Mutter unter der Sonne und will nur mein Glück – sie wird sehr bald begreifen, daß ich das nur bei dir finden kann. Still«, sagte er, als das junge Mädchen zu einem abermaligen Einwand die Lippen öffnete, »das ist die schönste Stunde meines Lebens, und die sollst du mir nicht verderben mit deinen Zweifeln… Ich habe dir gesagt, ich liebe dich, und das heißt soviel als: Ich gebe dich nicht wieder her, und wenn Himmel und Hölle gegen mich sind.«

»Um Gottes willen, Joseph, sprich nicht so frevelhaft!«

»Nun, dann sei auch du hübsch artig und folgsam… Sieh mich freundlich an, und du sollst sehen, das wird immer Wunder bei mir wirken.«

Er hob ihr liebliches Gesicht so, daß der letzte Sonnenstrahl darauffiel, und vertiefte sich förmlich in die schamerglühten Züge. Wahrscheinlich würde erst die Nacht diesen eifrigen physiognomischen Studien ein Ende gemacht haben, wenn nicht Frau Lindner laut nach ihrer Tochter gerufen hätte. Joseph wollte bleiben, denn er meinte, die Mutter dürfe ja alles wissen. Aber Marie bat ihn, ihr das zu überlassen – sie müsse sich erst sammeln und verspare deshalb auch das Geständnis auf den anderen Morgen.

Nachdem ihr Joseph das Versprechen abgenommen hatte, morgen in aller Frühe an der Mauer zu sein, weil seine Mutter sehr bald Ringelshausen wieder verlassen wolle und nur er sie fahren dürfe, trennten sie sich, gegenseitig sich zuwinkend, bis keines das andere mehr sehen konnte.

In welcher Aufregung Marie sich befand, als sie das Stübchen wieder betrat, das wird sich der Leser wohl vorstellen können. Anna und die Muhme waren im Begriff fortzugehen, denn sie wollten noch nach der Stadt zurück. Marie erhielt einen sanften Verweis von der Mutter, daß sie gegen alle Sitte und Höflichkeit fortgegangen war. Sie ließ alles geduldig über sich ergehen – die Mutter hatte ja recht —, ach, wieviel Ärgerem hätte sie sich unterworfen, denn sie war ja so glückselig. Wie beflügelt war ihr Gang. Sie mochte jedem um den Hals fallen und ihm ihr süßes Geheimnis mitteilen, und doch hätte sie gerade jetzt um alles die Worte nicht dazu gefunden.