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Im Hause des Kommerzienrates

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»Auch ein Messer, das wir nicht führen sollen, zu diesem Zweck nämlich«, sagte Flora mit erzwungenem Scherz halb über die Schulter nach dem Doktor hin, der während des Sprechens einmal im Zimmer auf- und abgegangen war. »Aber merkwürdiger Weise hat unser um acht Lot ärmeres Frauengehirn doch das mit den Herren der Schöpfung gemein, dass es schärfer denkt und angeregter arbeitet – beim Rauchen. Sie brannte die Zigarre an und schob sie zwischen die nervös-lächelnden Lippen.«

Die Klavierspielerin im Nebenzimmer hatte längst ihre rauschende Salonpièce geschlossen und traten diesem Augenblick auf die Schwelle des Salons. »Flora, Du rauchst, Du, die den Zigarrenqualm nie ausstehen konnte?« rief sie und schlug lachend die Hände zusammen.

»Meine Braut scherzt«, sagte Doktor Bruck vollkommen ruhig. Er trat wieder an den Schreibtisch. »Sie wird es bei diesem einen Versuch bewenden lassen; ein Mehr könnte ihr teuer zu stehen kommen.«

»Willst Du es mir verbieten, Bruck?« fragte sie in kaltem Ton, aber in ihren Augen glomm ein unheimliches Feuer auf. Sie hatte die Zigarre für einen Moment aus dem Munde genommen und hielt sie zierlich zwischen den Fingern.

Der Doktor schien nur darauf gewartet zu haben. Mit unzerstörbarem Gleichmut, ohne alle Hast, nahm er ihr die Zigarre aus der Hand und warf sie in den Kamin. »Verbieten, als Dein Verlobter?« wiederholte er achselzuckend. »Noch steht mir das Recht nicht in dem Maße zu. Ich könnte Dich bitten, aber ich bin kein Freund von Wiederholungen und unnützen Worten; Du hast ja gewusst, dass ich die Zigarre im Frauenmunde verabscheue. In diesem Falle verbiete ich sie einfach als Arzt – Du hast alle Ursache, Deine Lunge zu schonen.«

Flora stand einen Augenblick wie erstarrt vor seiner Kühnheit, und jetzt, bei seinen letzten Worten, durchzuckte es sie sichtlich; aber sie beherrschte sich sofort. »Das ist ja eine haarsträubende Diagnose, Bruck«, rief sie spöttisch lächelnd. »Und davon hat mir der abscheuliche Medizinalrat, der mich seit meiner Kindheit behandelt, nicht ein Wort gesagt. Ach was, damit schreckt man Kinder! Übrigens habe ich keine Ursache, das Leben so zu lieben, dass ich mir zu seiner Erhaltung irgendeinen Genuss versagen möchte – im Gegenteil. Ich werde nach wie vor rauchen; es ist mir dies bei meinem schriftstellerischen Beruf nötig, und dieser Beruf ist mein Glück, mein moralischer Halt; in ihm lebe und atme ich –«

»Bis Dich ein unvermeidlicher Wendepunkt Deinem eigentlichen Beruf zuführt«, warf der Doktor ein. Seine Stimme klang hart wie Stahl.

Ein erschreckendes Rot überflammte ihr Gesicht; sie öffnete die Lippen zu einer schneidigen, rücksichtslosen Antwort, aber ihr Blick fiel auf Fräulein Giese, die Klavierspielerin, das moquante Hoffräulein, das mit spitzem Gesicht und spitzen Schultern vorgeneigt auf der Schwelle stand, als sauge sie mit Ohren und Augen, ja mit allen Poren aus diesem scharfen Wortwechsel und den verlegenen Gesichtern der Umstehenden das Material zu einem vergnüglichen Hofklatsch, und der war nichts weniger als erwünscht. Flora wandte sich plötzlich mit einer graziös schmollenden Bewegung ab. »Ach, geh doch, Bruck!« schalt sie. »Wie prosaisch! Kommst eben von einer Vergnügungsreise zurück, hast Dich amüsiert –«

Sie verstummte – Bruck hatte mit festem Druck ihr Handgelenk umfasst. »Willst Du die Freundlichkeit haben, meinen Beruf aus dem Spiel zu lassen, Flora?« fragte er, seine Worte scharf markierend.

»Ich sprach von Vergnügen«, antwortete sie impertinent und zog ihre Hand aus der seinen.

Das Gesicht der Präsidentin mit seinem kühlen Ausdruck war Käthe zu allen Zeiten unsympathisch und flößte ihr bei einem unerwarteten Entgegentreten stets eine Art von scheuem Schrecken ein; in diesem Augenblick aber atmete sie freier auf, als die alte Dame plötzlich in das Zimmer trat. Sie kam ungewöhnlich rasch, sichtlich verdrießlich und ärgerlich. »Ich werde wohl künftig meine Spieltische hierherstellen müssen, wenn ich nicht will, dass meine Freunde vernachlässigt werden«, sagte sie in sehr gereiztem Ton. »Wie kannst Du zu so früher Stunde schon die Teemaschine im Stiche lassen, Henriette? Es wird mir nichts übrigbleiben, als meine Jungfer dahinter zu setzen. Und Dich, Flora, begreife ich nicht, wie Du Dich an den Schreibtisch zurückziehen magst, wenn wir Gäste haben. Wirst Du wirklich von Deinem Verleger so gedrängt, dass Du abends arbeiten musst, dann schließe Deine Tür, wenn die Sache nicht sehr nach Ostentation und gelehrter Koketterie aussehen soll!« Sie musste sehr aufgebracht sein, dass sie sich so unumwunden vor einer Dame vom Hofe aussprach.

Flora legte ihr Manuskript zurecht und tauchte die Feder ein. »Beurteile das, wie es Dir beliebt, Großmama!« sagte sie kalt. »Ich kann nicht dafür, dass man mich hier aufsucht, und säße längst mit Aufopferung meiner selbst an einem Deiner grünen Tische, wenn man mich nicht gestört hätte.«

Henriette schlüpfte an der Präsidentin vorüber und winkte Käthe verstohlen, ihr zu folgen. »Diese Aufregungen töten mich«, flüsterte sie drüben im leeren Musikzimmer.

»Sei ruhig! Flora kämpft vergeblich; er zwingt sie doch zu seinen Füßen.« sagte Käthe mit eigentümlich erregter Stimme. »Aber ihn begreife ich nicht. Wäre ich ein Mann wie er –« sie richtete sich mit flammenden Augen hoch und stolz empor.

»Weißt Du, wie die Liebe tut, Käthe? Richte nicht! Du mit Deinem kühlen Blicke und blumenfrischen Gesichte bist noch unberührt von dem rasenden Rausche, der die Menschenseele erfasst.« Sie unterbrach sich und schöpfte tief und mühsam Atem. »Du weißt ja nicht, wie hinreißend und verführerisch Flora sein kann, wenn sie will; Du kennst sie nur in ihrer jetzigen nichtswürdigen Rolle, diese feige, selbstsüchtige, erbarmungslose Seele. Wer sie einmal Liebe gebend gesehen hat, der begreift, dass ein Mann eher den Tod sucht, als dass er sie aufgibt.«

9

Sie ging, ihr vernachlässigtes Amt am Teetische wieder aufzunehmen. Käthe aber blieb am Flügel stehen und blätterte in den Noten. Die letzten Worte Henriettens hatten sie tief bewegt. War verschmähte Liebe wirklich so seelenerschütternd, dass man um ihretwillen sterben möchte? Und hatte sie diese tragische Gewalt auch über einen Mann wie Bruck?

Er verließ eben mit festen Schritten Floras Zimmer; auch die Präsidentin rauschte eilig vorüber; es hatten sich noch zwei ältere Damen im Salon eingefunden, welche sie begrüßen musste. Die Tür nach dem Arbeitszimmer blieb nach wie vor offen; jedenfalls wurde der fragliche Artikel konsequentermaßen beendet, denn nachdem auch Fräulein von Giese wieder herübergekommen war und sich abermals präludierend an den Flügel gesetzt hatte, wurde es ganz still drüben.

Käthe verfolgte mit einem Seitenblick den Doktor, wie er den Salon durchschritt. Er trat an den Teetisch, um mit Henriette zu sprechen; allein eine der neuangekommenen Damen hielt ihn fest und verwickelte ihn in ein Gespräch. Er war ritterlich verbindlich und sehr ruhig in seinen Gebärden, aber Käthe hatte vorhin bei Floras maliziöser Antwort eine Flamme in seinen Augen lodern sehen; er hatte jäh die Farbe gewechselt, und auch jetzt noch brannte ein erhöhtes Rot auf seinen Wangen – er war nicht so ruhig heiter, wie er zu sein schien. Und seine schöne Widersacherin drüben im roten Arbeitszimmer war es ebenso wenig; schon nach fünf Minuten stieß sie hörbar ungeduldig den Stuhl zurück und kam herüber.

»Nun, Flora, schon fertig?« fragte das Hoffräulein und ließ die unermüdlichen Finger in Terzen über die Tasten laufen.

»Bah, glaubst Du, man schüttelt einen wirksamen Schluss nur so aus dem Ärmel? Ich bin eben nicht mehr aufgelegt, und ohne Inspiration schreibe ich nun einmal nicht; dazu ist mir der Schriftstellerberuf zu heilig.«

Fräulein von Giese zwinkerte eigentümlich boshaft mit den Augen; sie hatte einen falschen Blick. »Ich bin sehr gespannt, wie die Kritik Dein großes Werk ›Die Frauen‹ aufnehmen wird. Du hast uns so viel davon erzählt. Hat der Verleger es angenommen?«

Flora hatte das Augenspiel wohl bemerkt. »Es wäre Euch schon recht, Ihr treuen Seelen, wenn es Fiasko machte – nicht wahr, Margarethe?« sagte sie beißend. »Aber das Gaudium erlebt Ihr nicht; das sagt mir mein – nun, mein kleiner Finger.« Sie lachte leise und übermütig, schüttelte die duftigen Löckchen aus der Stirn und schickte sich an, den Salon mit jener vornehmen Nachlässigkeit zu betreten, welche sie wie eine stolze Fürstin anzunehmen wusste.

»Kind, Du stehst ja da, mit dem Notenhefte in der Hand, als wolltest Du auch unsere Ohren in Anspruch nehmen«, sagte sie im Vorübergehen zu Käthe mit spöttischem Tone und einem sprechenden Seitenblicke nach der emsigen Klavierspielerin. »Singst Du denn?« Käthe schüttelte den Kopf. »Das müsste ein Sommers-Erbteil sein; unsere Familie hat keine Singstimmen.«

»Ja, Flora, Käthe treibt Musik«, rief der Kommerzienrat herüber. Er sprach mit einem Herrn in der Nähe der Tür und trat jetzt näher. »Ich weiß es aus den Rechnungsbelegen der Doktorin. Viel Geld, Käthe! Ich habe es Dir schon sagen wollen: Du hast sehr teure Lehrer.«

Das junge Mädchen lachte. »Die besten, Moritz. Wir in Dresden sind praktische Leute; das Beste ist das Billigste.«

»Nun, mir ist’s schon recht. Hast Du denn aber auch Talent?« fragte er in zweifelhaftem Tone; »die musikalische Begabung lag allerdings nicht in der Familie Mangold.«

»Den Trieb wenigstens«, versetzte sie einfach, »und die Neigung, Melodien zu ersinnen.«

Flora, die eben auf die Schwelle des Salons trat, wandte sich überrascht um. »Geh’ doch, Käthe!« sagte sie hastig. »Melodien ersinnen! Du siehst mir danach aus mit Deinen roten Backen und Deiner Hausfrauenerziehung. Eine Polka oder ein Walzer läuft wohl jedem, der gerne tanzt, einmal durch den Kopf –«

»Und ich tanze leidenschaftlich gern, Flora«, unterbrach Käthe sie heiter und aufrichtig bekennend.

 

»Siehst Du? Wer wird sich da gleich den Anschein tiefsinniger Produktivität geben! Und daraufhin nimmst Du wohl gar Unterricht in der Komposition?«

»Ja, seit drei Jahren.«

Flora schlug die Hände zusammen und kam ganz erregt in das Musikzimmer zurück. »Ist denn Deine Lukas«, – sie nannte die ehemalige Gouvernante immer noch bei ihrem Mädchennamen – »von Sinnen, dass sie das Geld so zum Fenster hinauswirft?«

Es war ziemlich still im anstoßenden Salon. Die drei alten Herren am Kamine und die Dame, welche mit dem Doktor gesprochen, hatten eben auch einen Spieltisch besetzt; Doktor Bruck saß in leisegeführter Unterhaltung neben Henriette, und Fräulein von Giese pausierte aufhorchend für einen Moment; so konnte man jedes Wort dieses ziemlich lauten Gespräches drüben hören.

Henriette sprang auf und kam herüber. »Du bist musikalisch, Käthe«, fragte sie erstaunt, »und hast, so lange Du da bist, nicht eine Taste berührt?«

»Der Flügel steht neben Floras Zimmer; wie konnte ich denn so anmaßend sein, sie mit meinem Klavierspiele im Arbeiten zu stören?« antwortete das junge Mädchen unbefangen und natürlich. »Ich habe freilich schon den lebhaften Wunsch gehabt, und es hat mir in den Fingern gezuckt, auch einmal auf dem Instrumente hier zu spielen, denn es ist herrlich, und mein Pianino daheim taugt nicht viel. Wir haben es vor fünf Jahren alt gekauft. Die Doktorin will schon seit lange ein besseres von Dir fordern, aber ich war immer dagegen. Es war mir fatal, dass Du von dieser Forderung auf meine Leistungen schließen könntest. Nun aber, nachdem ich heute den bewussten Schrank gesehen habe, bin ich durchaus nicht mehr so blöde; ich wünsche mir ein Instrument wie dieses.«

»Es kostet tausend Taler; tausend Taler für eine kleine Mädchenpassion! Das will überlegt sein, Käthe.«

»Und wer im Hause spielt denn auf Eurem Instrumente?« fragte sie jetzt mit fast harter Stimme und aufglühenden Augen; man sah, sie war im Innersten verletzt. »Wem verschafft es einen Genuss in stillen Stunden? Es steht nur für Gäste da. Muss denn das Kapital immer so angelegt sein, dass es nur brilliert?«

Der Kommerzienrat trat ihr ganz betroffen näher und erfasste ihre Hand; er hatte diesen Ausdruck voll Energie und eigener fester Urteilskraft noch nicht in dem blühenden Mädchenantlitze gesehen. »Ereifere Dich nicht, liebes Kind!« begütigte er. »Bin ich denn je ein harter und knickeriger Vormund gewesen? Geh’, spiele eine Pièce und beweise uns, dass Dir die Beschäftigung mit der Musik wirklich Herzenssache ist! Mehr verlange ich gar nicht, und Du sollst ein Instrument haben, wie Du es Dir wünschest.«

»Nun, nach dem Vorhergegangenen tue ich’s nicht gern«, sagte sie aufrichtig und unumwunden und entzog ihm ihre Hand. »›Erspielen‹ will ich mir den Flügel keinenfalls, wer weiß denn, was für eine Leistung Du unter der ›Herzenssache‹ verstehst! Aber ich werde meine Noten holen, weil mir das ›Sichnötigenlassen‹ verhasst ist.«

Sie wollte sich entfernen.

»Wozu denn Musikalien? Spiele doch eine Deiner ›Kompositionen‹!« sagte Flora, ein sardonisches Lächeln halb verbeißend.

»Ich kann auch meine eigenen Arbeiten nicht auswendig«, antwortete Käthe hinausgehend.

Sie kam sehr rasch mit einem Notenhefte in der Hand zurück. Während sie sich auf den Klavierstuhl setzte, den ihr Fräulein von Giese bereitwillig einräumte, nahm Flora das Heft vom Notenpulte. »Von wem?« fragte sie, das Titelblatt aufschlagend.

»Nun, hast Du nicht eine Komposition von mir zu hören gewünscht?«

»Allerdings, aber Du hast Dich vergriffen – das Tonstück da ist ja gedruckt –«

»Ganz recht. Es ist gedruckt.«

»Mein Gott, wie kommt denn das?« fuhr Flora so rasch, so naiv erstaunt und betreten heraus, dass sie auf einen Augenblick ihre selbstbewusste Haltung einbüßte.

»Ja, Flörchen, wie kommt es denn, dass Deine Sachen gedruckt werden?« fragte Käthe scherzend, mit Humor zurück und legte ihre schönen, schlankgebauten Hände auf die Tasten. »Ich will Dir sagen, wie ich zu der Ehre gekommen bin«, setzte sie schnell und begütigend hinzu – Flora hatte offenbar ihre Antwort sehr übelgenommen; sie richtete sich beleidigt empor und sah mit hochmütigem Blicke auf die junge Schwester herab. »Meine Lehrer haben die ›Phantasie‹ heimlich drucken lassen, um mir eine Geburtstagsfreude zu machen.«

»Ah so – das konnte man sich denken«, sagte Flora und legte die Noten auf das Pult zurück.

Henriette war währenddem hinter ihr weggeschlüpft; sie bog sich über Käthes Schulter und zeigte mit dem Finger auf das Titelblatt. »Lasse Dir doch nichts weismachen, Flora!« rief sie auflachend. »Sieh her! Da steht der berühmte Verlag von Schott und Söhne – die Firma gibt sich doch zu einem Geburtstagsspaße nicht her. Käthe, sage die Wahrheit!« bat sie mit strahlenden Augen. »Man spielt Deine Sachen draußen in der Welt – sie werden gekauft?«

Das junge Mädchen nickte errötend und bestätigend mit dem Kopfe. »Die Wahrheit ist aber auch, dass ich um mein eigenes Hinaustreten nicht gewusst und das erste Opus gedruckt auf meinem Geburtstagstische gefunden habe«, sagte sie und begann ihren Vortrag.

Es war eine ganz einfache Melodie, welche an das Ohr der Hörer schlug, aber schon nach einigen Takten ließen die am Spieltische Sitzenden die Whistkarten sinken, so sammetweich quollen die Töne aus dem Instrumente, und so durch und durch originell und herzergreifend klang die neue Weise. Die junge Komponistin saß da, die Augen ernst sinnig auf die Noten geheftet, in so ruhiger Haltung, dass man das schwarze Jetkreuz auf ihrer Brust unter den Atemzügen beben sehen konnte. Da war kein Brillieren mit Fingerfertigkeit, kein »Wühlen in den Tönen« – man fragte sich nicht, ob das Spiel korrekt sei; man dachte überhaupt nicht an das Spiel, so wenig wie man bei einem erschütternden Gesange an die Mundstellung des Sängers denkt, und als die Melodie schwieg, die nicht einmal zum Schlusse in die rauschende Gangart eines modernen Konzertstückes verfallen war, da blieb es noch einen Augenblick so atemlos still, als dürfe die entfliehende Tonseele, die eben noch so innig gesprochen, nicht durch lautes Geräusch erschreckt werden. Dann aber wurde es lebendig drüben im Salon. Die Herren riefen »Bravo!« »Scharmant!« und »Superbe!«, und die Damen bedauerten, dass der Papa Mangold das nicht erlebt habe. Man war überrascht, gerührt und – griff wieder zu den Karten.

»Die reizende ›Phantasie‹ müssen Sie mir geben, Fräulein. Ich werde sie der Fürstin vorspielen«, sagte die Hofdame mit Protektormiene.

»Und den schönsten Konzertflügel, der je gebaut worden ist, sollst Du haben, Käthe!« setzte der Kommerzienrat enthusiastisch hinzu.

Henriette aber schmiegte liebkosend ihr blasses Gesicht an die blühende Wange der Schwester und flüsterte mit feuchten Augen: »Du Auserwählte!«

Schon nach den ersten Tönen war Flora wie verscheucht vom Flügel weggetreten und geräuschlos hinausgegangen. Langsam glitt sie drüben im roten Zimmer hin und wieder, bei jeder herzerschütternden Wandlung der Melodie einen förmlich erschreckten Blick nach dem genialen Mädchen am Klavier werfend, und nun, als der letzte Ton verklungen, war die ruhelos schwebende weiße Gestalt verschwunden; sie hatte sich jedenfalls in die Schreibtischecke am Fenster zurückgezogen.

»Ah, mir scheint, Flora nimmt es übel, dass sie nun nicht mehr die einzige ›Berühmtheit‹ der Familie Mangold sein wird«, sagte Fräulein von Giese halb für sich, halb zum Kommerzienrat gewendet mit boshaftem Geflüster.

Der Kommerzienrat lächelte; er lächelte stets, wenn jemand vom Hofe vertraulich zu ihm sprach, aber er vermied es, zu antworten.

»Auf Deine Doktorin bin ich übrigens sehr böse, weil sie mir niemals Näheres über Deine musikalische Begabung mitgeteilt hat«, sagte er zu Käthe, die eben ihren Platz am Flügel verließ.

Sie lachte.

»Bei uns daheim wird überhaupt kein Aufhebens davon gemacht«, versetzte sie unbefangen. »Die Doktorin ist eine Frau, die mit ihrem endgültigen Urteil kargt und zurückhält; sie weiß, dass ich noch sehr viel zu lernen habe.«

»Ach, geh’ mir doch! Das ist schon mehr spartanische Erziehung –«

»Oder auch das ausgesuchteste Raffinement, mit welchem man einen großen Erfolg in Szene zu setzen wünscht«, fiel Flora ein, die eben unter die Tür trat; ihr Gesicht glühte wie im Fieber. »Mir machst Du nicht weiß, Käthe, dass Du so harmlos bescheiden über Dein Talent denkst, dass Du wirklich so wenig Gewicht darauf legst, um bei einem fünftägigen Aufenthalt in unserem Hause gar nicht zu tun, als kenntest Du auch nur eine Note – das ist falsch, hinterlistig gegen mich, gegen uns alle.« Der aufquellende Groll erstickte fast ihre schöne, klangreiche Stimme.

»So urteilst Du, Flora?« brauste Henriette empört auf. »Du, die nie müde wird, ihre schriftstellerischen Bestrebungen, ihre ›gelehrten Studien‹ in jedes Gespräch zu ziehen und breitzutreten, die sich in ihrem Bekanntenkreise bereits auf Erfolge stützt, welche noch abzuwarten sind –«

»Henriette, besorge den Tee!« rief die Präsidentin in scharfem, strengem Tone herüber – man war zu laut im Musikzimmer.

Die Angerufene ging grollend hinaus.

»Du irrst, Flora, wenn Du denkst, ich lege kein Gewicht auf mein Talent«, sagte Käthe vollkommen ruhig, während die geistesstolze Schwester zornig an der Unterlippe nagte und die Hinausgehende mit einem bitteren Blicke verfolgte. »Dann wäre ich unwahr gegen mich selbst und auch namenlos undankbar, denn es verschafft mir himmlische Stunden. Es ist Zufall, dass ich nicht gleich bei meiner Ankunft darüber gesprochen habe; denn gerade die Musik ist schuld, dass ich einen Monat früher hierhergekommen bin. Mein Lehrer in der Komposition musste auf vier Wochen verreisen, und weil ich dann volle zwei Monate den Unterricht eingebüßt haben würde, entschloss ich mich rasch und verließ Dresden mit ihm zugleich.«

Bei diesen letzten Worten des jungen Mädchens ging Fräulein von Giese in den Salon, sichtlich widerwillig sich losreißend – die Erörterungen waren ja doch zu pikant – aber ihr Vater, ein alter pensionierter Oberst, war eben gekommen; er musste begrüßt werden, auch der Kommerzienrat ging hinaus.

Flora trat wieder an den Flügel und nahm das Notenheft vom Pult. Käthe sah, wie sich der schöne Busen der Schwester unter fliegenden Atemzügen hob, wie ihre Hand in nervöser Aufregung bebte; Käthe bereute bitter die Arglosigkeit, mit der sie das kleine Werk in diesem Kreise vorgeführt hatte.

»Man hat Dir wohl viel Schmeichelhaftes darüber gesagt?« fragte Flora und schlug mit der umgekehrten Rechten auf das Titelblatt – ihre Augen hingen verzehrend an den Lippen der Schwester.

»Wer denn?« entgegnete Käthe. »Meine Lehrer sind ebenso zurückhaltend mit ihrem Lob wie die Doktorin, und andere wissen nicht um meine Autorschaft; Du siehst doch, der Name des Komponisten fehlt.«

»Aber das Werkchen wird viel gekauft?«

Käthe schwieg.

»Sage nur die Wahrheit! Ist es schon mehr als einmal aufgelegt worden?«

»Nun ja.«

Flora warf das Heft auf den Flügel. »Zu solch einem Backfisch mit dem dicken Posaunenengel-Gesicht und der unverkümmerten Seelenruhe kommt der Ruhm im Schlafe, und andere müssen qualvoll kämpfen um jede Staffel; sie sterben fast im glühenden Ringen und Streben, ehe sie auch nur genannt werden«, stieß sie bitter heraus. Sie schlug die Arme unter und ging auf und ab.

»Nun, was tut’s im Grunde?« sagte sie plötzlich stehenbleibend, wie erleichtert. »Die glänzendste Rakete verpufft spurlos droben in der Luft; sie ist dagewesen, während der Feuerkern im Vesuv fort und fort glüht; die Welt weiß um sein Dasein, und wenn er seine Flammen ausstößt, dann jubelt oder zittert das Menschenherz. Ganz gut so, da sind es eben Zwei aus der Familie Mangold, die hinaustreten in die Arena. Wir wolle sehen, Käthe, wer von uns beiden die brillanteste Karriere macht.«

»Ich ganz gewiss nicht«, rief Käthe heiter und strich sich ein rebellisches Löckchen aus der Stirn. »Ich werde mich hüten, in die Arena zu gehen. Denke ja nicht, dass ich unempfindlich bin gegen Erfolge! Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, zu sehen, dass man mit seinen Schöpfungen die Herzen anderer rührt und bewegt, und das gäbe ich nicht hin um alle Schätze der Welt. Aber bloß dafür und deshalb zu leben? Nein, ich sehe daheim zu viel Glück, zu viel beseligendes Zusammensein und Zusammenwirken – was hilft mir der Ruhm, wenn er mich einsam lässt?«

»Aha, da haben wir ja die Bescherung, die ganze hausbackene Quintessenz deiner Erziehung! Wie es dieses Fräulein Lukas selbst unablässig erstrebt und schließlich durchgesetzt hat, so wirst Du es auch machen – Du willst Dich verheiraten.« Sie dachte in verletzendem Spott hell und schneidend auf.

 

Das köstliche Karminrot auf den Wangen des jungen Mädchens breitete sich plötzlich bis an die Haarwurzeln der Stirn; es lief selbst über den schneeweißen runden Hals hinab. »Du lachst und spottest, als sei es Dir nie eingefallen, dasselbe zu tun«, sagte sie entrüstet, aber mit unwillkürlich gedämpfter Stimme, »und doch –«

Flora streckte so rasch die Hand aus, als wolle sie die schönen Mädchenlippen zupressen. »Bitte, kein Wort weiter!« rief sie gebieterisch. Sie verschränkte die Arme wieder unter dem Busen und neigte langsam zustimmend den Kopf. »Ja, mein sehr weises Fräulein, ich war allerdings für einen Moment so schwach und verblendet, mir ein Netz überwerfen zu lassen, aber Gott sei Dank, der Kopf ist wieder draußen; er ist klar und stark genug, sich die Freiheit zurück zu erobern.«

»Und hast Du gar kein Gewissen, Flora?«

»Ein sehr empfindliches sogar, mein Schatz; es sagt mir eben, dass es ein unverantwortlicher Leichtsinn gewesen ist, mich selbst so hinzuwerfen. Du wirst bibelfest genug sein, um zu wissen, dass jeder dafür verantwortlich gemacht wird, wie er sein Pfund verwertet. Sieh mich an, kannst Du Dir wirklich denken, ich würde zeitlebens als simple Frau Doktorin am Herde stehen und Gemüse kochen? Und für wen?« Sie neigte den Kopf bezeichnend nach dem Salon, aus welchem jetzt lebhaftes Stimmengeräusch herüberscholl; mit dem Eintritte des alten Obersten von Giese war Leben und Bewegung in die Gesellschaft gekommen, nur Doktor Bruck saß allein am Teetische und las in einer Zeitung; er war scheinbar sehr vertieft und hatte kaum aufgesehen, als Henriette an seine Seite zurückgekehrt war.

»Siehst Du, dass auch nur einer der Herren mit ihm verkehrt?« fragte Flora mit unterdrückter Stimme. »Er ist geächtet, und mit allem Recht. Er hat mich und die Welt betrogen; sein ihm vorausgegangener brillanter Ruf ist eitel Reklame gewesen.«

Sie brach ab und zog sich rasch in ihr Zimmer zurück, jedenfalls, um dem alten redseligen Obersten aus dem Wege zu gehen, der jetzt in Begleitung seiner Tochter und des Kommerzienrates in das Musikzimmer trat und sich Käthe vorstellen ließ. Auf seine Bitte setzte sich das junge Mädchen noch einmal an das Instrument und spielte. Wunderlich! Mit was für Augen ihr Schwager und Vormund nach ihr hinsah, sobald sie den Blick vom Notenblatte hob, so feurig, so unerklärlich, durchaus nicht so brüderlich vertraut, wie er ihr als Kind die Bonbontüten und gestern noch ein schönes Bouquet aus der Stadt mitgebracht hatte. Sie ließ ihm stets willig die Hand, wenn er sie im Gespräche erfasste, und litt es, dass er ihr liebkosend die Locken aus der Stirn strich; er tat das so harmlos, wie es ihr Vater einst getan, und jetzt, als sie die Hände von den Tasten sinken ließ, trat er unter dem rauschenden Beifall der anderen rasch auf sie zu und legte seinen Arm um ihre Schultern.

»Käthe, was ist aus Dir geworden!« flüsterte er, sich über sie herabbeugend. »Wie erinnerst Du mich an Clotilde, Deine selige Schwester! Aber Du bist schöner, ungleich begabter.«

Sie griff mit der Linken nach dem Arme, um ihn abzustreifen, aber Moritz erfasste nun auch die Hand und hielt sie mit festem Drucke, als sei es fürs ganze Leben. Für die Anwesenden war das ein hübsches Bild, eine selbstverständliche, harmlose Gruppe. Der Vormund umarmte stolz und hingerissen seine Mündel, das ihm anvertraute Kind seines Schwiegervaters. Nur Henriettens bleiches Gesicht war sehr rot geworden; sie lächelte so eigentümlich. Doktor Bruck neben ihr sah nach seiner Uhr, dann reichte er Henriette verstohlen die Hand und benutzte die allgemeine Aufregung, um sich unbemerkt zu entfernen.