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Im Hause des Kommerzienrates

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3

Der Schlossmüller hatte in der Tat seine Enkelin, Katharina Mangold, testamentarisch zu seiner Universalerbin ernannt und den bereits von ihrem verstorbenen Vater für sie bestellten Vormund auch seinerseits bestätigt. – Dieser Vormund war der Kommerzienrat Römer. Bei der Eröffnung des Testamentes war diesem doch sehr wunderlich zumute gewesen, und er hatte den Kopf geschüttelt über die Widersprüche, die ungeahnt in der Menschenseele nebeneinander liegen. Der alte Mann, der ihn in dem jähen Wahne, er wolle ihn seines Goldes berauben, nahezu erwürgt, hatte ihn kaum eine Stunde zuvor bezüglich der Verwaltung des Vermögens mit beinahe unumschränkter Vollmacht betraut. Er hatte verfügt, dass, falls die beabsichtigte Operation seinen Tod nach sich ziehe, sofort sein gesamter Besitz an Liegenschaften, mit Ausnahme der Schlossmühle, verkauft werde. In Betreff dieser Ausnahme hatte er bemerkt, die Mühle habe ihn zum reichen Manne gemacht, und seine Enkelin, selbst wenn sie »so stolz und hochnäsig, wie ihre Stiefschwestern« geworden sei, brauche sich nicht zu schämen, sie ihrem künftigen Ehemanne mitzubringen. Das Rittergut sollte zerschlagen, die Waldungen, Ländereien und die Wirtschaftsgebäude inmitten der weiten Gras- und Gemüsegärten je einzeln an den Meistbietenden veräußert werden; bezüglich der Villa und des dazu gehörigen Parkes solle jedoch der Kommerzienrat Römer, sofern er darauf reflektiere, die Vorhand haben, und sei ihm der Besitz mit fünftausend Talern unter dem Taxwert zuzuweisen. Diese fünftausend Taler habe er nicht allein als Entschädigung für seine vormundschaftliche Mühewaltung, sondern auch als ein Zeichen der »Erkenntlichkeit« des Testators anzusehen, da er sich niemals hochmütig, wie »die anderen in der Villa«, sondern weit eher wie ein anhänglicher naher Verwandter bezeigt habe. Ferner sollte auf Grund des Testamentes das Gesamtvermögen in Staatsobligationen und anderen soliden Papieren angelegt und die Wahl derselben dem Ermessen des Vormundes, als eines tüchtigen und umsichtigen Geschäftsmannes, überlassen sein.

Die junge Erbin lebte seit sechs Jahren entfernt von der Heimat. Ihr sterbender Vater hatte sie der Gouvernante, einem Fräulein Lukas, übergeben, welche die Erziehung des Kindes seit dessen erstem Lebensjahre in den Händen gehabt und in der Tat Mutterstelle an ihm vertreten hatte. Bankier Mangold hatte sehr wohl gewusst, dass er seinen Liebling, der sich stets scheu von den weit älteren Stiefschwestern ferngehalten, dieses Schutzes nicht berauben dürfe, und deshalb verfügt, dass Katharina mit nach Dresden gehen solle, wo die Erzieherin nach langjährigem Brautstand mit einem Arzte gerade um jene Zeit ihren eigenen Hausstand begründete. … Das junge Mädchen hatte in ihren Briefen an den Vormund nie den Wunsch ausgesprochen, die Heimat wiederzusehen; ebenso wenig war es ihrem Großvater, dem Schlossmüller, eingefallen, sie je zurückzufordern; er war damals vollkommen mit ihrer Übersiedlung nach Dresden einverstanden gewesen, weil ihr Anblick den Gram um das einzige Wesen, das er geliebt, um seine Tochter, stets erneute. Nun, nach seinem Tode, hatte der Vormund ihre Rückkehr auf einige Zeit gefordert; er hatte ihr zugleich mitgeteilt, dass er sie selbst mit Eintritt der wärmeren Jahreszeit, Ende April, abholen wolle, weil – was er selbstverständlich verschwieg – die Präsidentin Urach sich entschieden gegen eine etwaige Begleitung der ehemaligen Gouvernante verwahrte. Die Mündel war mit allem einverstanden gewesen, und hatte ihn nur auf seine Frage, ob sie bei Ausführung der testamentarischen Bestimmungen irgendeinen persönlichen Wunsch habe, dringend gebeten, bei Verpachten der Schlossmühle die große Eckstube nebst Alkoven zu reservieren und beide Räume genau zu belassen, wie sie zu des Großvaters Lebzeiten eingerichtet gewesen seien. Das war geschehen. – –

Es war im Monat März, da kam eine junge Dame von der Stadt her. Sie ging auf der Chaussee, die mit den letzten vereinzelten Ausläufern der Straße, hübschen, kleinen Landhäusern, zu beiden Seiten besetzt war, und bog in den breiten Fahrweg ein, der nach der Schlossmühle führte. Noch war das Schmelzwasser des letzten Schneefalles nicht ganz versickert; es stand in den breiten Furchen, welche die Räder der Mühlenwagen gewühlt hatten, und in den tiefeingedrückten Spuren der vielen Sohlen, die hier verkehrten; aber die schlanken Füße des junge Mädchens steckten in festen Lederstiefelchen, und das schwarze Seidenkleid war so hoch aufgeschürzt, dass der elegant bordierte Saum mit dem triefenden Geröll nicht in Berührung kam. Es war durchaus keine Elfe oder Sylphide, das Menschenkind, das so kräftig und sicher dahergeschritten kam, weit eher eine Gestalt, wie man sich ein schönes Schweizermädchen denkt, dem die kräuterwürzige Alpenmilch und der reine Atem der Bergluft das Blut mischen und Adern und Sehnen vor Gesundheit strotzen machen. Eine anliegende, mit Pelz besetzte schwarze Sammetjacke bezeichnete die kräftigen, aber schön geschwungenen Linien der Taille und des Busens, und auf dem lichtbraunen Haare saß, ein wenig schief gerückt, eine Mütze von Marderfell. Das Gesicht war weit entfernt, proportioniert oder gar klassisch regelmäßig zu sein – das gebogene Näschen war zu kurz im Verhältnis zur Wölbung und Breite der Stirn, der Mund zu groß, das runde Kinn mit dem Grübchen ein wenig zu kräftig vorgeschoben, der Bogen der Brauen nicht bestimmt genug, aber diese Mängel wurden aufgewogen durch die reine, von den breiten Schläfen ausgehende Ovallinie und die unvergleichliche Jugendfrische und Blüte der Gesichtsfarbe.

Die junge Dame trat in das offene Hoftor der Schlossmühle. Eine Schar Hühner, die, einer Spur verstreuter Getreidekörner nachgehend, eben auf den Fahrweg hinausspazieren wollte, stob gackernd vor ihr auseinander, und die Hofhunde fuhren mit wütendem Gebelle aus ihrem trägen Halbschlummer empor. Wie floss das neue Frühlingssonnenlicht goldglänzend über die Mauern des alten, prächtigen Hauses, deren gewaltige Quadern vor alten Zeiten unter den Augen des fürstlichen Erbauers aufeinander getürmt worden waren! Vorgestern erst war die letzte dicke Eiszacke klingend von dem aufgesperrten Löwenrachen der blechernen Dachrinne gefallen, und heute zitterte und flimmerte die Luft über dem sonnenerhitzten Schiefer des Daches. Aus den dicken, braunen Knospen der Kastanien quoll das Harz und ließ sie glitzern, als seien sie mit Diamantenstaub bestreut; ein paar Töpfe mit halbverkümmerten Stubenpflanzen standen, zum ersten Male wieder in die laue freie Luft gerückt, vor dem einen Fenster der Knappenstube, und auf dem hölzernen, ausgetretenen Freitreppchen, das von dieser Stube direkt in den Hof führte, saß ein weißbestäubter Müller und schnitt sich tüchtige Brocken von Brot und Käse.

»Mohr! Wächter!« rief die junge Dame mit schmeichelnder Stimme über den Hof hinüber. Die Hunde gebärdeten sich wie toll und rissen winselnd an der Kette.

»Was wünschen Sie?« fragte der Müller, sich schwerfällig erhebend.

Sie lachte leise in sich hinein. »Ich wünsche gar nichts, Franz, als Ihnen und Suse guten Tag zu sagen.«

Im Nu flogen Brot, Käse und Messer hinter das Treppengeländer. Der Mann war nicht groß. Er war kleiner als das junge Mädchen – er sah sprachlos in das blühende Gesicht, das er zum letzten Male gesehen, wie es, noch nicht einmal in der Höhe seiner breiten Schultern, auf einem schmächtigen Kindeskörper gesessen; sie hatte »das Müllermäuschen« geheißen und war ihm in der Mühle und auf dem Kornboden, in der Tat quecksilbern wie eine Maus, auf Schritt und Tritt nachgehuscht – und jetzt war sie die Herrin hier, und er, der ehemalige Obermüller, ihr Pächter. »Kurios«, sagte er, in unbeholfener Verlegenheit den Kopf schüttelnd, »die Grübchen in den Backen und die Augen sind’s noch, aber, aber das unmenschliche Wachstum!« Er ließ seine Augen scheu und ungläubig messend an der hohen Gestalt emporgleiten. »Na ja, da hat eben der Trieb von der Sommers-Großmutter her dahintergesteckt; die war auch so wie Milch und Blut und – wollt ihr wohl still sein, ihr Racker!« unterbrach er sich scheltend und drohte mit der Faust nach den unaufhörlich bellenden Hunden. »Die Schlingel kennen Sie wirklich noch, gnädiges Fräulein –«

»Besser als Sie; das ›unmenschliche Wachstum‹ hat sie nicht irre gemacht«, versetzte sie, zu den Hunden tretend und die hoch an ihr aufspringenden Tiere streichelnd. »Sie titulieren mich ja wunderlich, Franz. Ich bin nicht avanciert in Dresden, das kann ich Ihnen versichern.«

»Aber die Fräuleins drüben in der Villa lassen sich ja auch so benennen«, sagte er mit steifem Nacken und starrköpfig.

»Ah so!«

»Und Sie sind doch zehnmal mehr. So jung und schon so reich, so unmenschlich reich! Die Mühle da, die schönste weit und breit – Sapperment, das will was heißen! Herrje – nur ein Mädchen, und kaum achtzehn Jahre alt, und das Kommando über eine solche Mühle!«

Sie lachte. »Das steht mir allerdings zu, und ich will Ihnen das Leben schon sauer machen, alter Franz. … Wo steckt denn Suse?«

»Die hat Stubenarrest, hat’s wieder einmal in der rechten Seite, das arme, alte Frauenzimmer. Die Hausmittel wollen nicht mehr recht verfangen. Doktor Bruck ist eben bei ihr.«

Die junge Dame reichte ihm die Hand und trat sofort in das Haus. Die schwere Bohlentür fiel rasselnd, mit gellendem Geklingel hinter ihr zu, und der Lärm hallte von allen vier Wänden des weiten Flurs zurück. … Unter den Füßen der Eingetretenen schütterte der Boden sehr stark. Das Tosen und Stampfen des Mahlwerkes dröhnte dumpf durch die kleine, klaffende Tür im gewölbten Steinbogen, und der Duft des frisch zermalmten Kornes füllte kräftig durchdringend die Luft. In tiefen Zügen sog ihn das junge Mädchen ein – eine ganze Flut von Erinnerungen überwältigte sie; sie wurde blass vor innerer Bewegung und blieb mit gefalteten Händen einen Augenblick stehen. Ja, sie war um alles gern in der alten Mühle »herumgekrochen«, wie die Präsidentin von ihr sagte, und der Papa hatte ihr oft genug den Mehlstaub von Zöpfen und Kleidern geklopft – er hatte sie lächelnd »sein weißes Müllermäuschen« genannt. Der finstere Mann, ihr Großvater, der meist von dort oben, über das Treppengeländer hinweg, mürrisch, mit herrisch polternder Stimme seine Befehle herabgerufen, er hatte sie nie geliebt. Sie war fast immer vor seinem feindseligen Blicke in Susens blanke Küche oder zu Franz geflüchtet, und doch dachte sie mit bitterer Wehmut seiner und wünschte, er möge wieder da herabsteigen mit den wuchtigen Tritten, unter denen die Treppenstufen geächzt; vielleicht fürchtete sie sich nicht mehr vor dem Gesichte, das, wie sie nun wusste, hauptsächlich Geldstolz und Protzentum so abstoßend gemacht hatten; vielleicht wäre er jetzt auch milder und zugänglicher, weil sie der Großmutter ähnlich geworden.

 

Sie fand die Tür der Eckstube droben verschlossen, aber aus dem schmalen Gange, der das Hintergebäude mit dem Vorderhause verband, scholl Susens weinerlich klagende Stimme. Ach ja, dort war die Schlafkammer der alten Jungfer, das dunkle Stübchen mit den runden, in Blei gefassten Fensterscheiben und der Aussicht auf das graue Schindeldach eines Holzschuppens und das niemals trocknende Pflaster des Seitenhöfchens. Sie schüttelte unwillig den Kopf und betrat den Gang.

Eine heiße, dumpfe, mit Rauch erfüllte Krankenluft schlug ihr beim Öffnen der Tür entgegen, und dort in dem hässlichen Zwielicht, welches das erblindete, fahlgrüne Fensterglas verbreitete, stand ein Mann, mit dem Rücken ihr zugewandt. Er war sehr groß – er überragte sie offenbar um ein Bedeutendes – und breit von Schultern. Jedenfalls war er im Begriffe, zu gehen, denn er hielt Hut und Stock in der Hand… Ah, das war also Doktor Bruck, von welchem Schwager Moritz vor acht Monaten, bei Gelegenheit der Verlobungsanzeige geschrieben hatte, dass er ihre schöne Schwester Flora schon als Gymnasiast heimlich geliebt, selbstverständlich aber damals nicht gewagt habe, zu dem geistreichen, hochgefeierten Mädchen emporzusehen, und nun sei er doch am schwererkämpften und errungenen Ziel – das war er also. Sie hatte seitdem die Verlobung eigentlich wieder vergessen, und auch während ihrer Herreise war ihr nicht ein einziges Mal eingefallen, dass sie ja ein Glied der Familie mehr vorfinden würde.

Hatte das Seidenkleid der jungen Dame gerauscht – die angelehnte Tür hatte sich vollkommen geräuschlos in ihren Angeln gedreht – oder wehte ein reinerer Luftstrom mit ihr herein, die in der Tat so frühlingsfrisch auf die Schwelle trat, als gehe der Veilchenhauch, den man bereits in den letzten Märztagen zu spüren meint, von ihr aus – der Arzt drehte sich rasch um.

»Doktor Bruck? Ich bin Käthe Mangold«, sagte sie, sich kurz und flüchtig vorstellend; dabei ging sie rasch an ihm vorüber und streckte Suse, die, in Bettkissen gepackt, zusammengekrümmt auf einem Lehnstuhle hockte, beide Hände entgegen.

Die Alte starrte sie mit blöden Augen an.

»Ich komme da herein, wie vom Himmel geschneit, nicht wahr, Suse? Aber gerade zur rechten Zeit, wie ich sehe«, sagte sie und strich der Kranken die unordentlich um die Stirn hängenden greisen Haare unter die Nachthaube. »Wie kömmt es, dass ich Dich hier finde, in dieser elenden Hinterstube? Der Ofen raucht, und bei aller Glut, die er ausströmt, sitzen die Moderspuren an den Wänden. Hat man Dir nicht gesagt, dass Du in der Eckstube wohnen und im Alkoven schlafen sollst?«

»Ja wohl, das hat der Herr Kommerzienrat gesagt, aber es müsste doch da bei mir rappeln«, sie tippte mit dem Zeigefinger auf die Stirn, »wenn ich mich mutterseelenallein in die gute Eckstube setzen wollte, wie eine Gnädige, oder gar wie die selige Schlossmüllern selber.«

Die junge Dame verbiss ein schalkhaftes Lächeln. »Aber, Suse, hattest Du nicht auch beim Großpapa das Recht, Dich in der Wohnstube aufzuhalten? Im Fenster stand Dein Spinnrad – ich habe Dir’s oft genug in Unordnung gebracht – und auf der Kommode Dein Nähkästchen… Ist ein Zimmerwechsel zulässig, Herr Doktor?« wandte sie sich ohne Weiteres an den Arzt.

»Dringend nötig sogar, aber ich bin bisher auf einen entschiedenen Widerstand der Kranken gestoßen«, versetzte er achselzuckend. Er hatte eine sonore und doch sanfte Stimme, die in diesem Augenblicke jenen moderierten Klang nicht verkennen ließ, den man dem Leiden gegenüber so leicht annimmt.

»Nun, dann wollen wir aber auch keinen Augenblick verlieren«, sagte Käthe. Sie nahm das Pelzbarett ab, legte es auf Susens Bett und zog die Handschuhe aus.

»Nicht um die Welt bringen Sie mich ’nüber«, protestierte die Haushälterin. »Fräulein Käthchen, tun Sie mir das nicht an!« bat sie weinerlich. »Die Stube ist mein Augapfel; ich putze und blinke alle Tage drin auf, seit mir der Herr Kommerzienrat gesagt hat, dass Sie kommen wollten. Erst vorgestern habe ich neue Vorhänge drin aufstecken lassen.«

»Nun gut, so bleibe! Ich hatte mir vorgenommen, wie in meiner Kindheit, nachmittags den Kaffee in der Mühle zu trinken. Wenn Du aber so eigensinnig bist, dann komme ich gar nicht; darauf kannst Du Dich verlassen. Ich bleibe ohnehin nur vier Wochen in M. – und dann magst Du Deine ›aufgeblinkte‹ Stube mit den geschonten Gardinen präsentieren, wem Du Lust hast.«

Das half. In Gesicht und Haltung des jungen Mädchens lag so viel strafender Ernst, so viel Entschiedenheit, dass man sofort sah, sie habe nicht zum ersten Mal mit einer widerspenstigen Kranken zu tun.

Suse zog aufseufzend den Stubenschlüssel unter ihrem Kopfkissen hervor und reichte ihn der jungen Dame hin, die nun auch rasch ihre Sammetjacke abstreifte. »Die Eckstube ist jedenfalls nicht geheizt«, sagte sie und griff nach dem Holzkorbe, der neben dem Ofen stand.

»Nein, das können Sie unmöglich«, sagte Doktor Bruck mit einem Blick auf ihren eleganten Anzug. Er legte rasch Hut und Stock auf den Tisch.

»Es wäre sehr beschämend für mich, wenn ich das nicht könnte«, versetzte sie ernsthaft, aber mit tieferröteten Wangen – sie hatte seinen zweifelhaften Blick wohl bemerkt.

Sie ging hinaus, und wenige Minuten darauf prasselte ein tüchtiges Feuer im Ofen, während Doktor Bruck die Fenster der Eckstube öffnete, um den lauen Märzodem erst noch einmal durch den mit dumpfer Scheuerluft erfüllten Raum strömen zu lassen.

Käthe trat ein. »Ich bitte, sich zu überzeugen, dass ich salonfähig geblieben bin, Herr Doktor«, sagte sie, nicht ohne einen Anflug von Spott ihm ihre schlanken, rosigen Hände mit dem tadellos weißen Leinwandstreifen am Armgelenk hinstreckend.

Ein ausdrucksvolles Lächeln ging über sein ernstes Gesicht, aber er schwieg und war bemüht, das südliche Eckfenster wieder zu schließen, durch welches der Zugwind die Eingetretene so derb anblies, dass das braune Lockengeringel von ihrer Stirn wegwehte. Auch der Vorhang blähte sich auf und flog in die Stube herein; Käthe griff mit flinken Händen zu und suchte den steifen Faltenwurf wieder zu ordnen.

»Die gute Suse – wenn sie nur wüsste, welchen Streich sie mir spielt mit diesen Gardinen!« sagte sie halb lächelnd, halb verdrießlich. »Ich muss das Zeug nun wohl oder übel hängen lassen, denn sie hat es sicher vom Vormund für mich erpresst. Gemusterte Mullgardinen vor solchen Fensterbögen, in der schönsten mittelalterlichen Wohnstube, die sich denken lässt! … Ich hatte mir vorgenommen, sie wieder einzurichten, wie sie vor drei Jahrhunderten gewesen sein mag – mit runden, bleigefassten Glasscheiben, mit Klappsitzen von Eichenholz, hier zu beiden Seiten der Fensternischen in die Wand eingefügt und mit Polstern belegt, und dort auf die massive Haustür, von der die Stufen herabführen, sollten neue Metallbeschläge kommen. Die alten hat jedenfalls erst der Großpapa abreißen lassen; man sieht deutlich, wo sie gesessen haben. Und nun denken Sie sich die alte Suse mit ihrem Spinnrad in dem einen Fenster! … Ich hatte mir das wirklich sehr hübsch und anheimelnd ausgedacht – nun werde ich’s bei ihr nicht durchsetzen.«

»Aber ich begreife nicht – sind Sie denn nicht die Herrin?«

»O, die kann ich niemals herauskehren, wenn es dergleichen Wünsche gilt – ich kenne mich schon«, versetzte sie fast kleinlaut. »Darin bin ich entsetzlich feig.« Der Kontrast zwischen diesem aufrichtigen Bekenntnis und der äußeren gebietenden Erscheinung der jungen Dame war so groß, dass es in der Tat eines scharfen Blickes in ihre rehbraunen Augen bedurfte, um sich zu überzeugen, dass sie vollkommen wahr spreche. Sie hatte ein nicht sehr großes, aber schöngeschnittenes klares Auge mit einem kühlen Blick; er harmonierte mit der unbefangenen Sicherheit ihres ganzen Wesens. Wie ruhig und praktisch traf sie die Anstalten zur Aufnahme der Kranken! Das Sofa wurde als Bett eingerichtet, der plumpe mit Leder bezogene Lehnstuhl des Schlossmüllers aus der Fensterecke tiefer in das Zimmer gerückt, damit kein Zuglüftchen die Patientin streife; sie holte einen kleinen Tisch aus dem Alkoven und die weißgescheuerte Fußbank unter dem hochbeinigen Kanapee hervor – das geschah so unbefangen und selbstverständlich, als sei sie nie von der Mühle fort gewesen. Sie war aber auch so vertieft in ihre augenblickliche Aufgabe, dass man meinen konnte, sie habe die Anwesenheit des Mannes dort im südlichen Eckfenster ganz vergessen. Nur als sie die obere Schublade der Kommode aufzog und ein weißes Tuch mit rot eingewirkter Kante herausnahm, um es über das Tischchen vor dem Lehnstuhle zu breiten, wandte sie das Gesicht nach ihm und sagte: »Es ist etwas Schönes um diese altbürgerliche Ordnung – alles steht und liegt am altgewohntem Orte. So ist es gewesen, ehe ich geboren wurde, und während meiner sechsjährigen Abwesenheit sind die Einrichtungsgesetze unverrückt geblieben – man ist sofort wieder heimisch.« Sie zeigte auf den Spiegel über der Kommode. »Da hinter dem Rahmen guckt die Ecke des Hauskalenders, in den der Großpapa seine Notizen schrieb, und darüber steckt noch die Rute mit dem verblichenen Bande, die schon der Schrecken meiner Mutter gewesen ist.«

»Auch der Ihrige?«

»Nein, mich kleines Ding beachtete der Großpapa nicht genug, um sich mit meiner Besserung zu befassen.« Sie sagte das durchaus nicht bitter; eher mit einer Art lächelnder Resignation. Dabei wischte sie den leichten Staubanhauch, der sich während Suses Kranksein abgelagert hatte, von den Möbeln und schloss auch die anderen Fenster. »Hier auf dem Steinsims müssen notwendig Blumen stehen; ihr Duft soll meine arme Suse erquicken. Ich werde Schwager Moritz um einige Hyazinthen- und Veilchentöpfe aus dem Wintergarten bitten –«

»Da werden Sie sich an die Frau Präsidentin Urach wenden müssen; sie hat einzig und allein über den Wintergarten zu verfügen; er gehört zu ihrer Wohnung.«

Das junge Mädchen sah ihn groß an. »So streng ist die Etikette drüben? Zu Papas Lebzeiten war der Wintergarten Gemeingut der Familie.« – Sie zuckte die Achseln. – »Damals freilich war die vornehme Schwiegermutter meines Vaters nur dann und wann Gast in der Villa.« Ihre klangreiche Stimme verschärfte sich ein wenig bei diesen Worten, aber sie warf gleich darauf den Kopf in den Nacken, als könne sie damit eine augenblickliche unangenehme Empfindung abschütteln, und setzte heiter lächelnd hinzu: »Nun, dann um so besser, dass ich zuerst in die Mühle ging, um mich zu akklimatisieren!«

Er verließ die Fensternische und trat zu ihr. »Ob man Ihnen aber drüben nicht sehr verargen wird, dass Sie sich nicht sogleich in den Schutz der Familie begeben haben?« fragte er mit ernstem Nachdrucke, aber auch mit jenem Anteile, der zart einen Rat, einen Wink zu geben versucht, ohne zudringlich zu werden.

»Dazu hat man doch wohl nicht das Recht«, versetzte sie rasch und lebhaft, während der leuchtende Karmin auf ihren Wangen sich verdunkelte. »Dieses ›Drüben‹ ist für mich gleichbedeutend mit der Fremde, in der ich den Familienschutz, wie Sie ihn nennen – nämlich das Gefühl der Zusammengehörigkeit – nicht voraussetzen kann, auch nicht bei den Schwestern. Wir kennen uns gar nicht näher; nicht einmal das dürftige Band eines kleinen Briefwechsels existiert zwischen uns – ich habe nur mit Moritz korrespondiert. Als Papa noch lebte, wurde Henriette bei ihrer Großmama erzogen. Wir sahen uns äußerst selten und auch dann nur unter der Aufsicht der Frau Präsidentin. Meine Schwester, die Kommerzienrat Römer, wohnte in der Stadt und starb auch sehr frühe. Und Flora? Sie war sehr schön und sehr gescheit; sie war eine hochgefeierte junge Dame und machte bereits die Honneurs in unserem Hause, als ich noch tief in den Kinderschuhen steckte. Flora muss großartig beanlagt gewesen sein, weil man sich stets so namenlos bedrückt und eingeschüchtert in ihrer Nähe fühlte. Ich habe nie gewagt, sie anzureden, oder auch nur ihre wunderschönen Hände zu berühren, und noch heute fühle ich, dass es sehr unbescheiden von mir sein würde, wollte ich den Umgangston zwischen ihr und mir beanspruchen, wie er sonst zwischen Schwestern üblich ist.«

 

Sie unterbrach sich und sah ihm erwartungsvoll in das Gesicht, aber sein weggewendeter Blick schweifte über die Gegend draußen. Er ermutigte sie mit keiner Silbe – hatte er doch auch um das seltene Mädchen dienen müssen, wie Jakob um die Rahel. Möglicher Weise war er nicht einmal duldsam gegen die Schwesterliebe in dem Herzen, das sich ihm endlich zugeneigt. … Bei aller Milde und sanften Schlichtheit, die er wohl in Folge seines ärztlichen Berufes äußerlich angenommen, sah er doch aus, als könne er auch sehr ernstlich und entschieden auf seinem Rechte bestehen.

»Wie die Sachen stehen – die Villa ist ja nicht mehr mein Vaterhaus – kann ich dort nur als Gast, als Besuch gelten, wie jeder andere auch«, hob sie nach einer augenblicklichen Pause wieder an. »Hier in der Mühle stehe ich auf meinem eigenen Grund und Boden; da ist Heimatluft und Heimgefühl, und das alte Schieferdach droben und Franz und Suse werden mich und meine unmündigen achtzehn Jahre wohl ebenso treu beschirmen, wie es die Villa mit ihrer strengen Etikette nur immer vermag.« Ein mutwilliges Lächeln schwebte um ihren Mund. »Übrigens wird man über diesen ›Formfehler‹ rascher hinweggehen, als Sie denken, Herr Doktor – man kann es von ›der Müllermaus‹ nicht besser erwarten.«

Der Schmeichelname, mit welchem der Papa sie einst genannt, konnte nun allerdings nicht mehr gelten: Huschen und Schlüpfen und unversehens in einem Verstecke verschwinden – dieses Gesamtbild von zarter Gliedergeschmeidigkeit und furchtsamer Seele passte nicht zu dem Mädchen, das der Welt den fleckenlos weißen Schild der Stirn so ruhig zukehrte, das seine kraftvollen, plastisch ausgeprägten Glieder bei aller jugendfrischen Regsamkeit dennoch mit einer Art von stiller Würde beherrschte.

Allmählich kam eine behagliche Wärme vom Ofen her; Käthe zog ein Flacon aus der Tasche und goss einige Tropfen Eau de Cologne auf die heiße Eisenplatte; ein lieblicher, luftreinigender Duft verbreitete sich. »Suse wird ganz feierlich zumute sein, wenn sie herüberkommt«, sagte sie heiter und ließ ihre Augen noch einmal musternd durch die Stube gleiten; es war alles in Ordnung; nur die Alkoventür stand noch offen, und durch den breiten Spalt sah man gerade auf die bunten Nelkensträuße der Bettstelle, die drinnen in der Nähe des Fensters stand. Jetzt erst fiel der Blick des jungen Mädchens auf die plumpen wohlbekannten Blumengebilde, die einst das Entzücken ihrer Kinderseele gewesen waren – die ganze Rosenfrische wich plötzlich von ihren Wangen, selbst ihr roter Mund war blass geworden.

»Dort ist mein Großpapa gestorben«, flüsterte sie ergriffen.

Doktor Bruck schüttelte den Kopf und zeigte schweigend nach dem südlichen Eckfenster.

»Sie waren bei ihm?« fragte sie hastig und trat ihm näher.

»Ja.«

»Er ist so plötzlich gestorben, und Moritz hat mir den Trauerfall in so wenig eingehender Weise angezeigt, dass ich nicht einmal weiß, was die Ursache seines Todes gewesen ist.«

Der Doktor stand so, dass sie nur sein Profil sehen konnte; er war sehr bärtig um Kinn und Lippen; dennoch konnte sie bemerken, wie sich diese Lippen fest aneinanderlegten, als werde es ihnen schwer, zu antworten. Nach einem augenblicklichen Schweigen wandte er ihr langsam und voll das Gesicht zu und sah sie ernst an. »Man wird Ihnen sagen, er sei an meiner Ungeschicklichkeit im Operieren gestorben«, sagte er mit einer Stimme, der die innere Bewegung fast allen Klang nahm.

Das junge Mädchen fuhr vor Schrecken und Bestürzung zurück; ihr Auge streifte noch einmal den Mund, der gesprochen hatte, dann suchte es den Boden.

»Einzig und allein um Ihrer eigenen Beruhigung willen möchte ich Ihnen die Versicherung geben, dass das durchaus unwahr ist«, fuhr er mit sanftem Ernste fort; »aber wie kann ich von Ihnen verlangen, dass Sie mir glauben sollen? … Wir sehen uns heute zum ersten Male und wissen nichts voneinander.«

Sie hätte sich mit einer einzigen oberflächlichen Phrase aus dieser peinvollen Lage helfen können, aber das fiel ihr nicht ein. Er hatte Recht – wie konnte sie wissen, ob er schuldlos, und die anklagende öffentliche Meinung im Unrechte sei? Freilich trug seine ganze Erscheinung den Stempel einfacher Geradheit und Wahrhaftigkeit. Sie fühlte sogar heraus, dass es eigentlich seine Art gar nicht sein könne, ungerechten Verdächtigungen gegenüber auch nur ein Wort zu verlieren, ja, dass er sich in diesem Augenblicke mit seiner Versicherung gleichsam herablasse. Dennoch war sie nicht fähig, etwas auszusprechen, für das sie keine innere Rechtfertigung fand.

Er hatte wohl auch keine Antwort erwartet; denn er wandte sich ab, aber mit so viel Würde und stolzer Gelassenheit, dass in Käthe ein Gefühl plötzlicher Beschämung aufstieg und ihre Wangen heiß rötete. »Darf ich die Kranke nun herüberbringen?« fragte sie mit unsicherer Stimme.

Er bejahte, und sie verließ mit raschen Schritten das Zimmer. Drüben in der Hinterstube wischte sie sich die hervorquellenden Tränen von den Wimpern und ließ sich den erschütternden Vorgang von der Haushälterin erzählen.

»Die Geschichte hat dem Doktor in der Stadt schrecklichen Schaden gebracht«, sagte Suse schließlich. »Erst gab’s keinen Besseren und er hatte alle Hände voll zu tun, und nun sagen sie auf einmal, er verstände seine Sache nicht. So sind eben die Menschen, Fräulein Käthchen. Und er ist nicht schuld an dem Unglücke. Es war alles gut; ich hab’s ja mit meinen eigenen Augen gesehen. Aber da sollte sich der Schlossmüller ganz ruhig verhalten – ja, der und ruhig! Ich weiß am besten, wie er beim kleinsten Ärger gleich kirschbraun wurde. Da darf nur der Franz draußen zu laut gesprochen haben, oder der Wagen ist zu schnell in den Hof gefahren – da hat schon die Wut in ihm gekocht. So war er. Ich hab’ genug mit ihm ausgestanden, und zum Dank dafür hat er mich auch mit keinem Pfennig bedacht« – sie lachte scharf und zornig auf – »wenn Sie nicht für mich sorgten, da könnte ich jetzt betteln gehen.«

Käthe hob unwillig warnend und Schweigen gebietend den Zeigefinger.

»Nun meinetwegen auch – ich will still sein«, grollte die Alte und ließ es still geschehen, dass das junge Mädchen ihren vertrockneten Körper wie ein hilfloses Kind in Decken und Kleider einmummte. »Es tut mir nur leid, dass so ein guter Herr, wie der Doktor, deswegen nun angeschwärzt wird und sein Brot verliert, und seine arme Tante, für die er sorgt und arbeitet, dauert mich auch. Sie hat ihn von ihrem bisschen Vermögen studieren lassen, die alte Frau Diakonus. Sie wohnt bei ihm; er ist immer ihr ganzer Stolz gewesen – und nun muss sie das miterleben.« –

Käthe machte der Mitteilung, die sehr ins Breite zu gehen drohte, ein Ende, indem sie die Kranke vorsichtig aus dem Lehnstuhle hob. Sie war der früheren Heimat zu sehr entfremdet und wurzelte mit ihrem Denken und Empfinden viel zu sehr in ihrem Dresdener Heim, um sich für die Privatverhältnisse dessen so rasch zu erwärmen, der Floras Bräutigam war. Allerdings bedauerte sie den Arzt in ihm, dem das Misslingen einer Kur so plötzlich Existenz und Stellung gefährdete, allein das Weh um den Großvater, der jedenfalls schwer gelitten hatte, überwog bei Weitem auch diesen Anteil.

Halb und halb getragen von den starken Armen des jungen Mädchens, hinkte Suse über den Vorsaal. Die Tür der Eckstube war offen, und am Fuße der herniederführenden Stufen stand Doktor Bruck mit ausgestreckten Händen, um die Leidende in Empfang zu nehmen und ihr herabzuhelfen. … Es war eine charakteristische Gruppe, die der Türrahmen einen Augenblick umschloss. Käthe hatte sich den gesunden Arm der Kranken um den Nacken gelegt und hielt die knochige braune Hand mit ihren rosigen Fingern auf der linken Achsel fest, während ihr rechter Arm die Hüften Susens umschlang. Ausdrucksvoller konnte die opferwillige Barmherzigkeit nicht verkörpert sein, als in diesem Mädchen, das, seitlich über die gekrümmte Hilflose gebeugt, ihr strahlend junges Gesicht an den grauen Scheitel, die runzelvolle Wange des alten Frauenkopfes legte.