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Das Eulenhaus

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»Nein, Hoheit! Bei der Liebe zu meinem Bruder schwöre ich Ihnen, ich fühle nichts für Sie!« preßte sie hervor und wich zurück bis an das Fenster.

»Für einen anderen, Klaudine, für einen anderen? Wenn ich das sicher wüßte!« tönte es leidenschaftlich.

Sie antwortete nicht.

Er wandte sich mit einer verzweiflungsvollen Bewegung und ging zu der gegenüberliegenden Tür. Dann kam er noch einmal zurück.

»Glauben Sie denn, daß nicht allen Rücksichten der Ehre genügt werden würde? Glauben Sie, ich könnte Sie erniedrigen?« fragte er, »glauben Sie —«

»Hoheit beginnen bereits damit«, unterbrach sie ihn, »indem Sie mir in dem Zimmer Ihrer kranken Gemahlin von Liebe sprechen.«

»Wenn Sie die Sache so auffassen«, sagte er schmerzlich.

»Ja, das tue ich, Hoheit, bei Gott, das tue ich«, rief das schöne Mädchen.

»Klaudine, ich bitte Sie!« flüsterte er. Wieder schritt er hastig im Zimmer auf und ab und abermals trat er vor sie. »Sie wissen, daß mein Bruder, der Erbprinz, plötzlich starb, kurz vor meines Vaters Tode, vor nunmehr zwölf Jahren?« fragte er.

Sie neigte bejahend den Kopf.

»Nun, Sie wissen aber nicht, daß damals seitens unseres Hofes mit dem Kabinett zu X. Unterhandlungen stattgefunden hatten über das Projekt einer Heirat der Prinzessin Elise mit dem Erbprinzen, meinem Bruder. Man war fast zum Abschlüsse gelangt, das heißt, mein Bruder sollte wie von ungefähr nach X. zur Brautschau kommen – da starb er und mit den Rechten, die ich übernahm, übernahm ich auch die Pflichten. Nach beendeter Trauerzeit reiste ich nach X. und freite die Braut.«

»Es ist freier Wille gewesen, Hoheit!«

»Mitnichten! Mir war diese Heirat eine schwere Bürde mehr zu der, die mir ohnehin die Krone brachte. Prinzessin Elise, die mich ahnungslos empfing und mich mit ihren großen Kinderaugen anstarrte, war von der Bewerbung meines Bruders so wenig unterrichtet, wie von der Absicht, mit der ich ihr entgegentrat. Sie läßt sich leicht begeistern, und mit wenig Mühe gewann ich ihr Herz. Mir waren die Frauen höchst gleichgültig zu jener Zeit, ich kannte die besten nicht, die anderen schienen mir langweilig. Prinzessin Elisabeth war mir unbequem im Anfang, ich vertrage es nicht, wenn Frauen beständig in höheren Regionen schweben. Ich hasse alles exaltierte, dieses himmelhoch jauchzende, zum Tode betrübte, ich konnte anfänglich rasend werden bei ihren Tränenergüssen. Später wurde mir das, was mich anfangs abstieß, im höchsten Grade gleichgültig. Ich bin ihr stets ein aufmerksamer Gatte gewesen und von einer gewissen nachsichtigen Schwäche gegen ihre Launen, seit sie krank ist. Ich ehre und achte sie als die Mutter meiner Kinder, aber mein Herz blieb ruhig und ward immer ruhiger, je inniger ihre Neigung zu mir wurde. Ich kann nicht dafür, es wird auch nicht anders durch Betrachtungen darüber. Da sah ich Sie. Ich weiß, ja, ja, ich weiß, Sie beurteilen das vom herkömmlichen Standpunkte und flüchteten vor dieser Neigung in Ihr Waldidyll, aber mich trieb es nach im alten heißen Sehnen, und ich finde Sie unnahbarer als je, finde Sie als die Freundin der Herzogin.«

Es zuckte unsicher in seinem Gesicht. »Gut, Klaudine, ich werde für jetzt mich bescheiden«, fuhr er fort, »nur die eine Bitte noch, sagen Sie mir, lieben Sie einen anderen?«

Sie schwieg. Eine Purpurglut floß über ihr Antlitz. Stumm senkte sie das blonde Haupt.

»Sagen Sie ›nein‹!« flüsterte der Herzog leidenschaftlich.

»Hoheit wünscht, Fräulein von Gerold möge mit den Aventiureliedern von Scheffel in das Schlafzimmer kommen, um Hoheit vorzulesen«, sagte Frau von Katzenstein eintretend.

Klaudine war erschreckt zusammengefahren und sah ihn an, wie um Erbarmen flehend.

»Ja – oder nein, Klaudine, ist Ihr Herz schon gebunden?« flüsterte er.

Sie trat zurück und verbeugte sich tief. »Ja!« sagte sie fest und schritt hochaufgerichtet an ihm vorüber, in der Hand das Buch, das sie mechanisch vom Tisch genommen hatte. Vorlesen jetzt? Sie war halb betäubt.

Die Herzogin lag in ihrem mächtigen französischen Himmelbette, dessen schwere seidenen Purpurvorhänge zurückgenommen waren. Das ganze Gemach zeigte das tiefe satte Rot, die Lieblingsfarbe seiner Bewohnerin. Unter der Decke hing eine Ampel aus Rubinglas. Neben dem Bette stand ein niedriges, mit roter Seide bezogenes Tischchen, darauf eine Lampe mit ebenfalls rotem Lichtschirme; in einem zusammenlegbaren Juchtenrahmen die Photographie des Herzogs und der Prinzen. An der gegenüberliegenden Wand hing in schweren Goldrahmen eine wundervolle Kopie der Madonna della Sedia, der erste Blick der Erwachenden mußte dieses schöne Bild treffen.

Die fürstliche Frau schien sich ganz erholt zu haben, sie lag mit einer gewissen Behaglichkeit unter ihrer Purpurdecke und lächelte der Eintretenden entgegen. »Setzen Sie sich auf den Hocker hier und lesen Sie mir die Thüringer Lieder, liebe Klaudine. War der Herzog noch bei Ihnen?« fragte sie dann, »ist er sehr geängstigt über den Hustenanfall? Es tut mir so leid, wenn ich in seiner Gegenwart husten muß. War er sehr traurig?«

Die Kranke sah forschend in die bewegten Züge des schönen Mädchens, welches nicht wußte, was sie antworten sollte. Sie nahm Platz und bückte sich nach ihrem Taschentuch zur Erde, um Zeit zu gewinnen. Wie furchtbar war doch ihre Lage!

»Klaudine«, sagte die Herzogin, »ich glaube, ihr haltet mich alle für sehr krank, für kränker, als ich bin. Lesen Sie nur, ich will keine Antwort. Dort, wo das Zeichen liegt.«

Und Klaudine las mit bebender Stimme:

 
»Denn das ist deutschen Waldes Kraft,
Daß er kein Siechtum leidet
Und alles, was gebrestenhaft,
Aus Leib und Seele scheidet – «
 

»Hören Sie?« unterbrach die Herzogin, »hören Sie? Auch ich werde hier genesen! Und morgen wird die Sonne scheinen, und wir wandern hinaus in die Tannen und atmen Gesundheit, Oh meine geliebte Heimat!«

Als Klaudine abends die Treppe hinabstieg, um heimzufahren, trat ihr Herr von Palmer entgegen und begleitete sie vollends hinunter. Er gab hinter Klaudines Rücken der Kammerfrau einen Wink, die sogleich verschwand.

»Mein gnädiges Fräulein«, begann er mit einer geflissentlich zur Schau getragenen Ehrfurcht – »Seine Hoheit hat mich mit dem schmeichelhaften Auftrage betraut, ein Schreiben in Ihre Hände zu legen, was ich hiermit tun möchte.«

Er hielt ihr ein Briefchen hin, mit dem herzoglichen Wappen gesiegelt. »Es betrifft Ihre Hoheit, die Frau Herzogin, und Antwort sei nicht nötig, sagten Hoheit. Darf ich bitten?«

Sie mußte es nehmen, obgleich sie die Hand des Menschen am liebsten zurückgestoßen hätte. Wie konnte der Herzog so unvorsichtig sein, ihr durch diese Kreatur einen Brief, einen verschlossenen Brief zu senden! Sie riß den Umschlag in seiner Gegenwart auf und las. Es waren nur wenige Zeilen:

»Klaudine!

Sie sind ein ungewöhnlicher Charakter und werden dementsprechend auch das Ungewöhnliche richtig beurteilen. Nach Ihrem letzten Wort – habe ich nur noch eine Bitte: bleiben Sie der Herzogin auch trotzdem eine Freundin, geben Sie meinem Bekenntnis nicht die Folge, Altenstein zu meiden! Sie haben es nicht nötig, Klaudine! Bei meinem Wort, Sie dürfen mir vertrauen!

Adalbert.«

Sie ging rasch, Brief und Umschlag in der herabhängenden Rechten tragend, weiter. Herr von Palmer folgte ihr und half ihr dienstbeflissen in den Wagen, er ließ es sich sogar nicht nehmen, behutsam die Schleppe ihres Kleides zusammenzulegen, und trat erst mit tiefer Verbeugung zurück, als der Diener die Wagentür schloß.

»Auf Wiedersehen!« sagte er, als jetzt der Diener zum Kutscher auf den Bock sprang und die Pferde anzogen. Dann nahm er mit lächelnder Miene aus seinem rechten Ärmel ein Papier. »Man muß derartiges fester halten, schöne Klaudine«, murmelte er und überflog die Zeilen beim Scheine der Türlaterne.

Er nickte befriedigt und ging, eine Operettenmelodie vor sich hinsingend, in das Schloß zurück, um sein Zimmer im Erdgeschoß aufzusuchen. Dort zündete er sich eine Havanna an, warf sich auf die Ruhebank und überlas das Schreiben noch einmal.

»Seine Hoheit scheinen einen etwas stürmischen Anlauf genommen zu haben«, murmelte er, »und sie hat ihn in tugendhafter Entrüstung abgewiesen, gedroht, nicht wieder zu kommen. Und nun bittet er, der Herzogin wegen, diesen grausamen Vorsatz aufzugeben, und verspricht Besserung. Zeit gewonnen, alles gewonnen! denkt er. Es entwickelt sich sehr logisch, es ist gar nichts dagegen zu sagen – hm! Sie ist klug, sie wird sich nie begnügen, Seiner Hoheit die Stirn mit Rosen zu bekränzen, sie wird regieren helfen wollen. Diese Damen glauben ja alle, ihre schiefe Stellung durch sogenannte gute Taten zu sühnen, sie wollen den Unglücklichen, den sie in ihrer Macht haben, veredeln, wollen dem Volk zeigen, daß sein geliebter Herrscher keiner Unwürdigen in die Hände fiel, es soll anbetend vor ihnen auf den Knieen liegen und sie >des Landes guten Engel< nennen. Und auch die Klügsten sehen nur das, was ihnen zunächst vor Augen steht, und dieses Nächste könnte möglicherweise im vorliegenden Falle – ich sein!«

Er blies den Rauch seiner Zigarre zur Decke empor und betrachtete die Stuckgewinde dort oben.

»Sie kann mich nicht leiden«, sprach er weiter, »es geht ihr mit mir, wie es weiland dem unschuldigen Gretchen mit Mephisto erging, und es ist klar, daß sie eines Tages zu ihrem fürstlichen Faust sagen wird: ›Der Mensch, den du da bei dir hast, ist mir in tiefer innerer Seele verhaßt‹ – und so weiter. Das möchten wir am Ende doch verhindern! Ich will es nicht darauf ankommen lassen, ob der Herzog ihr glaubt oder nicht. Einstweilen freilich aufpassen! Die Berg wird helfen, sie hat eine hervorragende Begabung für Intrigen, mir selbst graut zuweilen vor diesem Weibe.«

 

»Das Abendessen ist bereit«, meldete der Diener. Herr von Palmer erhob sich ohne allzu große Eile, schloß sorgsam das Briefchen in einen riesigen alten Schreibtisch, dessen Täfelung das Geroldsche Wappen zeigte, ordnete vor einem großen Stehspiegel sein spärliches Haar, wusch sich mit einer wahren Flut von Kölnischem Wasser die mageren feinen Hände, gähnte herzhaft, nahm Hut und Handschuhe von dem ehrerbietig harrenden Diener, und nachdem er noch einen Blick auf die Uhr geworfen, welche die zehnte Stunde anzeigte, ging er nach dem kleinen Speisezimmer, wo die Herren, die der Herzog für seinen hiesigen Aufenthalt gewählt, bereits versammelt waren, der alte Kammerherr von Schlotbach, der Adjutant von Rinkleben, der den Rang eines Rittmeisters besaß, und der Jagdjunker von Meerfeld, ein Kerl wie ein junger Hund – wie Herr von Palmer ihn bezeichnete. Der letztere schien sich im allgemeinen der Freundschaft dieser drei Herren auch nicht besonders zu erfreuen. »Verzeihung«, sagte er zu den in einer Gruppe Versammelten, »ich ließ warten, war im Allerhöchsten Dienste beschäftigt, und ein reizender Dienst, meine Verehrtesten! Ich hatte auf Befehl Seiner Hoheit die schöne Klaudine von Gerold in den Wagen zu heben.«

»Donnerwetter, sie war schon wieder hier?« rief der Jagdjunker mit ungeheucheltem Erstaunen.

»Soeben verließ sie die herzoglichen Gemächer.«

»Sie wollen sagen: ›die Gemächer Ihrer Hoheit‹, mein Herr von Palmer«, berichtigte nicht ohne Schärfe der Rittmeister, und eine leise Röte stieg in sein Gesicht.

»Ich hatte das Glück, den schönsten Gast dieses Hauses auf dem oberen Korridor zu treffen«, erwiderte Palmer vielsagend lächelnd.

»Ah so! ›Man wußte nicht, woher sie kam, und schnell war ihre Spur verloren, sobald sie wieder Abschied nahm‹«, deklamierte der Jagdjunker lachend.

Der Rittmeister warf ihm einen unwilligen Blick zu. »Fräulein von Gerold war bei der Herzogin, hat in ihrem Salon gesungen und ist dann im Schlafzimmer ihrer Hoheit gewesen«, sagte er laut und bestimmt.

»Vorzüglich unterrichtet!« flüsterte Palmer und verbeugte sich tief. Der Herzog war soeben eingetreten. —

»Ich verstehe Klaudine von Gerold nicht«, sagte der Rittmeister ernst, als er nach dem Abendessen neben dem Jagdjunker den Gang entlang schritt, an dessen Ende sich ihre Zimmer befanden. »Es ist Mut am unrechten Platz, sie sollte die Höhle des Löwen meiden. Unglaublich, mit welcher Tollkühnheit ein Weib im Gefühl seiner Sicherheit und Tugend seinen guten Ruf aufs Spiel setzt.«

»Vielleicht macht es ihr Spaß, auf dem gefährlichen Seil zu tanzen«, erwiderte der Jagdjunker leichthin, »strauchelt sie, dann sind ja die Arme längst geöffnet, die sie auffangen, strauchelt sie nicht – um so besser. Ich denke aber, es kann ganz amüsant werden, es ist ohnehin verteufelt langweilig in diesem deutschen Aranjuez.«

»Von einer anderen würde ich vielleicht auch so denken, lieber Meerfeld, aber in anbetracht dieser Dame möchte ich doch bitten, Ihre Kritik etwas mäßigen zu wollen.«

»Na, nur nicht tragisch, Rittmeisterchen«, lachte der andere. »Lassen Sie sich den Schlaf nicht vergehen darüber, vorläufig sehen Seine Hoheit noch nicht aus wie ein Beglückter, Sie waren mehr denn schlechter Laune. Die Langeweile! Die Langeweile! Dieses Altenstein ist aber auch eine tolle Idee. Wenn man hier dumme Streiche macht, so beantrage ich mildernde Umstände.«

12

Klaudine langte vor dem Eulenhause an, sie hatte noch immer ein zerknittertes Papier in der Hand. Der alte Heinemann, der schon lange neben seinem Laternchen vor der Gartentür auf sie gewartet hatte, erhielt kaum mehr als einen flüchtigen Gruß von seiner jungen Herrin. Sie flog förmlich vor ihm her in das Haus, und als er nachkam und die Tür verriegelte, hörte er nur noch das Rascheln ihres seidenen Kleides auf dem oberen Flur. Dann ging eine Tür und es ward still.

Auch in dem kleinen Mädchenstübchen blieb es still und dunkel, als sei niemand drinnen, und doch saß am Fenster eine Gestalt und starrte regungslos in das Waldesdunkel, das schwärzer noch als die lichtlose Nacht das einsame Haus umgab. »Was ist geschehen?« fragte Klaudine sich. »Der Herzog hat mir seine Liebe gestanden und ich wies ihn zurück, auf immer zurück. Aber um welchen Preis?« Um das Bekenntnis ihres tiefsten Geheimnisses, das sie sich selbst noch nicht zu gestehen wagte, ihr Stolz empörte sich gegen diese Tatsache, jetzt wußte es derjenige, der ihr heute mit einem beleidigenden Geständnis genaht! Ob der Herzog ahnte, wen sie liebte? Es wäre unerträglich!

Sie ballte unwillkürlich das Papier in ihrer Hand zusammen, und Tränen heißer Scham traten ihr in die Augen. Rasch erhob sie sich, zündete Licht an, faltete das Papier wieder auseinander und bemühte sich, es zu glätten. Dann stützte sie sich schwer auf den Tisch und starrte auf den zerknitterten weißen Umschlag, es war eben nur der Umschlag, – das Briefblatt fehlte! Unruhig begann sie in der nächsten Minute zu suchen auf dem Tisch, auf dem Boden an dem Fleck, wo sie gesessen, sie schüttelte den Mantel aus und die Falten ihres Kleides, sie nahm endlich den Wachsstock und leuchtete das Treppchen hinunter – auch dort nichts! Wie ein Dieb schlich sie zur Haustür, schob den Riegel zurück und leuchtete hinaus auf die Schwelle und den Sandsteintritt – auch hier nichts zu sehen. In ihrer Besorgnis ging sie, das flackernde Flämmchen mit der hohlen Hand schützend, den Gartenweg entlang bis zur Pforte, möglicherweise war ihr das Papier beim Aussteigen entfallen. Die Gittertür, die auf die Landstraße führte, knarrte, als sie von ihr geöffnet wurde, der Lichtschein flammte geisterhaft über den Weg – nichts helles glänzte ihr entgegen. Mit angstvollen Augen spähte sie unter die Weißdornsträucher zur Seite der Pforte – nichts! Und plötzlich flackerte das Licht auf und erlosch dann und sie befand sich im Dunkeln, und so tief erschien den an das Licht gewöhnten Augen die Finsternis, daß sie einen Augenblick ratlos stand und nicht zu unterscheiden vermochte, wohin sie sich wenden müsse, um wieder in den Garten zu gelangen.

Ah, richtig! Dort über ihrem Fenster leuchtete Joachims Studierlampe friedlich in die Nacht hinaus und sandte einen schmalen Streifen Helligkeit auf das Gärtchen und die Straße. Wenn er ahnen könnte, wie sie hier draußen stand, Angst und Zorn im Herzen! Sie beneidete ihn förmlich und den Frieden seiner engen Stube, in die kein Sturm von außen drang. Sein Schifflein lag im Hafen, und ihres trieb auf dem wilden Meer, und wo es einst einen Hafen finden würde, das mochte Gott allein wissen!

Plötzlich schrak sie zusammen und huschte in die geöffnete Pforte. Auf der Landstraße scholl Hufschlag, nahe schon und immer näher. Ein rascher Trab war es, und jetzt kam der Reiter dicht an ihr vorüber, und just in dem Lichtschein blieb er halten und sah zu dem Fenster des Turmes hinauf. Sie faßte auf einmal, wie nach einer Stütze suchend, in die Latten der Pforte und starrte hinüber – Lothar! Was wollte er hier? Ein fast betäubendes Glücksgefühl überkam sie. Sah sie recht? War er es wirklich? Was wollte er? Kam er wahrhaftig, um nach ihrem Fenster zu spähen? Barmherziger Gott, ein Zeichen, daß sie nicht träume!

Da wandte er das Pferd, und langsam ritt er zurück; die Dunkelheit verschlang aufs neue seine Gestalt, nur der Hufschlag klang noch lange in den Ohren des zitternden Mädchens nach, bis sie sich endlich in das Haus zurückschlich.

Sie dachte nicht mehr an den verlorenen Brief, sie konnte überhaupt nicht mehr denken, ihre Augen brannten, und ihre Lippen waren trocken, es bohrte ihr schmerzend in den Schläfen. »Ruhe! Ruhe!« flüsterte sie und barg die heiße Stirn in die Kissen. – »Ruhe! Schlaf!«

13

Auf Neuhaus herrschte am anderen Tage ein ganz ungewöhnliches Leben. Zu ebener Erde, neben dem Wohnzimmer, links von dem großen Flur, stand in dem hohen geräumigen Speisesaal eine Tafel, die wesentlich abstach von derjenigen, an welcher gewöhnlich hier gegessen wurde. Während sie sonst mit einem blendend weißen, aber doch ziemlich derben Drelltischtuch nebst Servietten von gleicher Qualität gedeckt war, breitete sich heute schimmernder Damast darüber aus und das einfache Geschirr von gewöhnlichem Steingut mit blauen Rändchen war durch köstliches altes Meißner Porzellan verdrängt, das schon seit langer Zeit den Stolz des Neuhäuser Geschirrschrankes ausmachte, reizend geformte Tafelaufsätze, deren Platten Früchte und Backwerk trugen, hatten die Blechkörbchen ersetzt, in denen Beate für gewöhnlich den Nachtisch herumreichen ließ, mochte derselbe in Frühbirnen oder Winteräpfeln oder in kleinem Gebäck bestehen, und die sehr handfesten Solinger Messer und Gabeln mit Griffen von Hirschhorn waren den Silberbestecken gewichen, die Wappen, Namenszug der Gerolds und eine Jahreszahl trugen, welche das hohe Alter verriet, wenn es ihre schöne Form nicht bereits getan hätte.

Die Arme des mächtigen Kronleuchters aus Bergkristall über der Tafel, die übrigens nur sieben Gedecke zählte, waren mit gelblichen Wachskerzen besteckt, ebenso die zahlreichen Wandleuchter. Auf dem riesigen eichenen Kredenztische aber funkelte und blitzte es von silbernem Gerät und prächtigem Kristall, und die Sonne, die täglich um diese Zeit hier herein einen Blick tat, ließ farbige Lichter aufsprühen und streifte das braune Haar über der weißen Stirn Beates, die beschäftigt war, auf einem Tischchen Blumen in ein paar Vasen zu setzen.

»Werdet ihr gleich stehen!« murmelte sie ärgerlich vor sich hin, als ein paar Levkojen immer wieder zur Seite fielen. »So, nun geht’s.« Und sie steckte in die bunte Pracht eine rote Rose, und den zierlichen Aufbau betrachtend, reichte sie ihn dem Stubenmädchen, das daneben stand. »Trag es zur Frau von Berg, Sophie, sie soll es in das Zimmer der Prinzessin Thekla setzen, der Herr habe es befohlen. Dann bist du gleich wieder unten und wischest noch einmal Staub von allen Stühlen und schließest die Läden. Eben kommt die Sonne.«

Nun ging auch Beate noch einmal an der Tafel hinunter und blieb kopfschüttelnd vor dem Platz stehen, den sie, nach der Bestimmung Lothars, neben Ihrer Durchlaucht der Prinzessin Thekla einnehmen sollte, heute abend zum erstenmal und dann täglich vier Wochen lang. Wie würde sie das nur aushaken? Da lag die Suppenkelle, das Symbol ihrer Hausfrauenwürde. Lothar hatte gewünscht, daß sie dieses Amt wie immer verwalten möge, »denn wir sind auf Rittergut Neuhaus, meine beste Beate, und nicht bei Hofe, und nichts in der Welt ist mir unangenehmer, als ein Umhertragen der gefüllten Suppenteller, sie haben so leicht überlaufende Ränder.«

Dies war aber auch so ziemlich das einzige, was in Hinsicht seines hohen Besuches von ihm angeordnet worden war, alles übrige hatte er vertrauensvoll ihrem klugen Kopf und ihren geschickten Händen überlassen und allen Fragen gegenüber nur geantwortet: »Aber du wirst es schon gut machen, tue ganz nach deinem Gefallen,«

Nun war sie auch dieser Riesenarbeit Herr geworden. Sie hatte ein weißes Tuch über ihre glänzend braunen Haare gebunden und war in Hauskleid und Wirtschaftsschürze, mit Schlüsselbund, Staubtuch und Besen im Hause umhergezogen, hatte dem Dienstpersonal »Beine gemacht«, wie sie sich ausdrückte, Möbel rücken, Vorhänge aufstecken, Teppiche auf Treppen und Gängen ausbreiten lassen und Truhen und Spinden das Feinste und Beste entnommen. Und eben war das letzte getan, sie konnte sich noch ein paar Stündchen ausruhen, ehe sie ihren Gästen als Hausfrau gegenübertreten mußte.

Das ganze obere Stockwerk hatte man für die durchlauchtigste Schwiegermutter und die Schwägerin Lothars hergerichtet, der Hofdarme war ein nettes Zimmer neben Frau von Berg eingeräumt, der Kammerherr nebst Diener im Gartenpavillon untergebracht worden und die Kammerfrau ihrer Durchlaucht in der Nähe ihrer Damen. Lothar behielt sein Zimmer rechts vom Hausflur, das liebe alte Wohnzimmer und die Schlafstube Beates sollten ganz und gar abgeschieden bleiben. Einen Zufluchtsort mußte man doch haben.

Beate war eben den Flur entlang geschritten und näherte sich der Tür ihrer Wohnstube, dann nahm sie ein Kreidestückchen aus dem Schlüsselkorb, schrieb auf die braune Täfelung »Verbotener Eingang!« und trat nun lächelnd in ihr Reich. Sie saß ein Weilchen ruhend im Lehnstuhl, dann sprang sie auf und eilte in die Schlafstube. Nach ein paar Augenblicken kam sie zurück, sie hatte einen großen braunen Strohhut aufgesetzt und einen leichten Umhang um die Schultern geworfen. Im Hinausgehen zog sie ein Paar Leinwandhandschuhe an und trat in die Küche, wo die Mamsell mit rotem Kopf vor dem Backofen stand und Mürbkuchen herauszog.

»Gut, Rikchen, daß ein paar fertig sind«, sagte Beate und nahm ein halbes Dutzend des zierlichen Gebäckes, »gebt etwas Papier – so – ich mache noch einen Spaziergang und bin pünktlich zurück. Begeht nur keine Dummheiten mit den Kücken und setzt die Schoten nicht zu früh an, den Rehrücken knapp eine Stunde im Ofen! – Ich sag’s Ihnen noch einmal, ich habe keine Zeit, danach zu sehen, wenn ich bei Tische sitze, und daß nur die Forellen schön blau und krumm sind und im Grünen serviert werden. Es kommt alles auf Sie, Rikchen.«

 

Sie nickte noch einmal und ging raschen Schrittes direkt aus der Küche, einen Seitenweg durch den Park nehmend, auf die Landstraße. Eigentlich war es nicht zu rechtfertigen, daß sie davonlief, heute, wo ihr Ruf als Hausfrau geprüft werden sollte. Wie, wenn irgend etwas mißlang?

»Auch gleich!« sagte ihr eine innere Stimme, »denn wenn die ganze Hatz hier eingezogen ist, komme ich fürs erste nicht wieder nach dem Eulenhause zu Klaudine und zu der Kleinen.«

Sie ging in wahrem Sturmschritt und nahm allerhand Richtwege. Dunkelrot glühte ihr Gesicht, als nach einer halben Stunde das Eulenhaus aus grünen Wipfeln auftauchte. Es war just drei Uhr nachmittags.

Im Schatten der alten Mauer spielte die Kleine mit ihrem Puppenwagen, nun kam sie mit wehenden Locken auf die Tante zugestürmt, und diese hockte sich an die Erde und fing das Kind mit beiden Armen auf.

»Es war gar nicht hübsch, Tante Beate«, klagte es, »immerzu hat es geregnet und Tante Klaudine ist so oft fortgefahren.«

»Aber heute scheint die Sonne und du kannst wieder im Garten spielen. Gelt, das gefällt dir?«

Die Kleine nickte und trippelte neben ihr her. »Und Tante Klaudine ist auch zu Hause«, plapperte sie, »sie sitzt in ihrer Stube und schreibt und ist so fein angezogen.« An der Haustür blieb das Kind stehen und schüttelte den blonden Kopf. »Ich gehe wieder zu Heinemann«, erklärte sie und lief eilends davon.

Beate stieg die schmale Treppe empor und klopfte an die Tür ihrer Cousine. Klaudine saß in der Tat am Schreibtisch, aber sie schrieb nicht mehr. Vor ihr lag ein fertiger Brief.

»O Beate, du?« sagte sie müde und kam der Eintretenden entgegen.

»Ei, ei!« scherzte diese. »In Weiß mit blauen Schleifen? Was ist denn los? Willst du nach Altenstein?«

Das Mädchen nickte.

»Ich hatte abgesagt heute früh, aber die Herzogin ließ es nicht gelten. Sie schrieb mir, wenn ich nicht kommen wolle, würde sie zu mir kommen. Sie will hier vorüberfahren und mich abholen.« Sie schaute dabei ergeben an Beate vorüber. »Es ist so heiß«, fuhr sie fort, »ich sehnte mich nach einem lichten Kleide. Man sagt immer, die Farbe der Kleidung habe Einfluß auf die Stimmung, nun – ich könnte ebensogut —«

»Schwarzen Flor anhaben«, ergänzte Beate und setzte sich. »Was ist dir denn? Du siehst aus, als ob du Kopfweh hättest!« und sie sah befremdet in die abgespannten Züge Klaudines.

»Mir fehlt eigentlich gar nichts, Beate.«

»Eigentlich? Na, das hast du noch vom Hofe, so eine unglückliche Hofdame muß sich immer ›wohl‹ befinden, wie ein Ballettmädel immer lächeln muß, auch wenn sie kaum noch Atem kriegt.«

»Beate, du übertreibst«, sagte Klaudine ruhig, »nein, ich bin nicht krank, aber denke – vielleicht verreise ich auf einige Zeit.«

»Du?« rief die Cousine, »jetzt?«

»Ja, ja! Schweige aber darüber. Joachim weiß es noch nicht«, erwiderte sie. Und ehe noch Beate die Frage aussprechen konnte, die auf ihren Lippen schwebte, fiel Klaudine ein: »Ist dir Joachim nicht begegnet?«

»Nein!« antwortete Beate leise.

»Ich glaube, er wollte Lothars Besuch erwidern! Du weißt, das ist ein Entschluß für ihn. Er ging vorhin erst fort, ich bin überzeugt, er braucht drei Stunden zu dem Wege, denn beim Gehen wird ihm allerlei einfallen, und da setzt er sich dann hin und schreibt und notiert und vergißt Zeit und Ort.«

»Er wird Lothar nicht antreffen«, sagte zögernd Beate. »Lothar ist nach Lobstedt.«

»Nach Lobstedt?« fragte Klaudine, »will er verreisen?«

»Nein, er erwartet Prinzeß Thekla mit Tochter. Weißt du das noch nicht? Sie will vier Wochen in Neuhaus bleiben, um ihr Enkelchen zu genießen.«

»Nein —« sagte Klaudine tonlos.

Es war so still in dem Zimmer, daß selbst das leise Ticken der kleinen brillantbesetzten Taschenuhr hörbar ward, die auf dem Schreibtischchen in zierlichem Perlmutterständer hing. Beate schaute sehnsüchtig durchs Fenster, sie wäre am liebsten gegangen. Sie dachte an ihren Hausfrauenposten, den sie heute, gerade heute treulos verlassen hatte, und dann sah sie eine Männergestalt in dem dämmerigen Flur des Neuhäuser Schlosses, wie sie vor einer Tür stand, auf der in Kreideschrift zu lesen war: »Verbotener Eingang!« Und sie sah, wie dieser Mann den Kopf schüttelte und wieder umwendete. Er durfte nicht so fort, nein, nein! Vielleicht käme er nie wieder!

Sie sprang plötzlich empor.

»Verzeih, Klaudine, ich möchte doch lieber heim, du weißt, es ist allerlei zu besorgen.« Die Lüge erstarb ihr auf den Lippen, sie war jäh errötet. »Leb wohl, mein Schätzchen!«

»Leb wohl, Beate!«

»Um Himmels willen, du bist krank, Klaudine!« rief Beate und starrte ihre Cousine an, erst jetzt bemerkend, daß deren Antlitz völlig entfärbt war.

»Nein, o nein!« wehrte diese. Und jetzt zog eine wahre Purpurglut über Stirn und Wangen. »Ich bin gesund, ganz gesund! Geh nur«, drängte sie dann, »geh, ich bin völlig kräftig, ich begleite dich hinunter. O, sicher hast du noch vieles vorzubereiten, und sage Joachim, wenn du ihn triffst, daß er gehen soll, ehe die Damen anlangen, er ist so scheu, weißt du, so sonderbar.«

»Er braucht sie gar nicht zu sehen! Ich habe mein Zimmer für mich«, murmelte Beate.

»O, da kennst du Prinzeß Helene nicht!« klang es bitter.

»So?« fragte Beate, indem sie neben Klaudine die Treppe hinunterschritt. »Na, da gib mir doch einige Winke über diese kleine Prinzessin, von Lothar ist kein Wort herauszubringen.«

»Beate – ich – weißt du, ich bin nicht unparteiisch genug, um gerecht zu sein. Sie mag mich nicht, glaube ich, und kehrt mir gegenüber stets die schnippische Seite heraus. Diejenigen, denen sie wohl will, sind entzückt von ihr. Sie ist ein Sprühteufelchen, anziehend, ohne gerade hübsch zu sein, voller Leben, launisch —« Sie stockte. »Ja, ja«, sagte sie dann leise, »sie ist sehr reizend, sehr – und nun leb wohl, Beate!«

»Willst du weinen?« fragte die Cousine, »du hast so glänzende Augen!«

»Nein«, sagte Klaudine, »ich will nicht weinen.«

»Na, dann leb wohl, Herzenskind, und denke an frische Toiletten. Lothar will ein Fest geben. Ich meine, du wirst dann selbst diese ›sehr reizende‹ Prinzessin ausstechen, und nicht wahr, du leihst mir ein wenig deinen Rat, ich hin in der Hofsitte so unerfahren wie ein kleines Kind. Leb wohl, Schatz, leb wohl!«

Klaudine eilte ins Haus zurück in ihr kleines Stübchen. Ihr war, als sei die Welt aus den Fugen gegangen seit gestern. Sie wußte ja nur zu gut, warum Prinzeß Thekla ihr zweites Töchterchen nach Neuhaus brachte!

»Verloren!« flüsterte sie, »verloren für immer! Aber – kann man denn etwas verlieren, was man nie besaß?«

Sie war nicht ärmer als bisher, und doch – seit gestern, seit diesem bunten schrecklichen Gestern hatte sich riesengroß eine Hoffnung in ihr Herz gedrängt, sie hatte wider Willen an seinen nächtlichen Ritt tausend süße törichte Gedanken geknüpft. Hoffen und Bangen hatte sie bewegt bis zum grauen Morgen.

Welche Torheit! Er war nicht gekommen, um mit liebendem Auge ihren Schatten zu erspähen, er hatte nachsehen wollen, ob sie daheim sei, wie es ehrbaren Mädchen ziemt! O, er war sehr besorgt um die Ehre seines Namens!

Sie preßte die Hände vor die Augen, so fest, daß sie Feuerfunken zu sehen vermeinte, aber mitten darin gaukelte eine zierliche Mädchengestalt. Sie ließ die Arme wieder sinken und schaute durchs Fenster. War sie überhaupt noch bei Sinnen? Durch die roten Flecke, die noch vor ihren Augen tanzten, leuchtete jenseit des Gitters die Purpurlivree des herzoglichen Dieners, und nun stürzte Fräulein Lindenmeyer bereits ins Zimmer: »Klaudinchen! Fräulein Klaudine, die Hoheiten!«