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Die Träger des deutschen Idealismus

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Solche Fassung der Religion macht es möglich, wie schon die Reden deutlich zeigten, mit der Ergreifung der Wirklichkeit unter der Form der Ewigkeit, auf welcher die Religion bestehen muß, eine geschichtliche Betrachtungsweise zu verbinden, der Verschiedenheit der Zeiten ihr volles Recht zu gewähren, ohne einem haltlosen Relativismus zu verfallen. Es leuchtet ein, wie mächtig das für eine Verständigung der Religion mit der Wissenschaft und dem Ganzen des Kulturlebens ist. Auf eine solche Verständigung beider Gebiete hat Schleiermacher stets mit größtem Eifer gedrungen, er hat in dieser Richtung stark auf das deutsche Leben und darüber hinaus gewirkt.

Die Religion im Ganzen des Kulturlebens

Gewiß steht diese Fassung der Religion manchem Zweifel offen, im besonderen mag sich die Frage erheben, die so oft in der geistigen Arbeit auftaucht, ob die Persönlichkeit nicht größer war als das Werk, ob Schleiermachers innerliche und reiche, dazu in geschichtlichen Zusammenhängen wurzelnde Persönlichkeit in die Lehren und Begriffe nicht mehr hineingelegt hat, als sie an sich selbst enthielten. Aber unberührt von solchen Fragen und Zweifeln bleibt sowohl die Tatsache, daß er zuerst der Religion in der Wissenschaft und im allgemeinen Geistesleben einen selbständigen Platz erstritten hat, und das von innen heraus, vom eigenen Leben des Menschen her, als die andere, daß die Wiederbelebung der Religion bei uns ihm außerordentlich viel verdankt: er nimmt hier eine führende Stellung ein. Das uns Deutschen eigene Verlangen, bei den letzten Fragen des Menschenlebens Tiefe und Freiheit miteinander festzuhalten, hat er wie kein anderer erfüllt. Auch sei in seinem Bilde stets gegenwärtig gehalten, daß das Abhängigkeitsgefühl, das seine Religion beherrschte, durchaus keine Gedrücktheit des Gemütes noch auch eine matte Ergebung in alle Schlechtigkeit des Weltlaufs erzeugte, vielmehr zog Schleiermacher aus jenem Gefühl den freudigsten Mut zum Handeln und eine unbeugsame Kraft, sich allen Widerständen gegenüber zu behaupten. Wie bei so vielen religiösen Naturen war auch bei ihm das Bewußtsein eines Getragenwerdens von weltüberlegener Macht eine Quelle starken und zuversichtlichen Wirkens in der Welt und einer Standhaftigkeit in allen Lebenslagen.

Pflichten, Güter und Tugenden

Eine Vermengung von Religion und Moral hat Schleiermacher stets bekämpft, aber die Gesinnung, welche seine Religion durchdringt, hat ihn auch die Moral aufs erheblichste fördern lassen, auch hier regte die Lage der Zeit zu bedeutendem Wirken an. Aus der moralischen Verweichlichung hatte Kant die Zeit aufs gründlichste aufgerüttelt, aber nun entstand die Gefahr, daß die Moral das Recht anderer Lebensaufgaben verkümmere und auch bei sich selbst in eine zu enge Bahn gerate; dieser Gefahr hat Schleiermacher durch Lehre und Tat energisch entgegengewirkt. Gewiß läßt sich bestreiten, ob er in seinen Begriffen die eigentümliche Art der Moral mit genügender Schärfe gefaßt und ihre Aufgabe deutlich genug abgegrenzt hat, aber auch wer hier von ihm abweicht, muß ihm große Verdienste auch auf diesem Gebiete zuerkennen: er hat die Moral sowohl den Prinzipien nach in universalster Weise gefaßt als auch sie in die einzelnen Lebensgebiete ebenso kräftig wie geschickt hineingearbeitet, er hat auch das Alltägliche in ihrem Lichte sehen gelehrt. Universal ist seine Behandlung der Moral, indem er diese von der Einseitigkeit des Pflichtgedankens befreit und auch den Gütern und Tugenden ihr volles Recht gewährt – er hat überhaupt diese Einteilung erst aufgebracht –; sie ist universal, indem er das ganze Leben in die ethische Betrachtung hineinzieht und das Sittliche nicht als ein besonderes Gebiet, sondern als ein Naturwerden der Vernunft versteht; sie ist endlich universal, indem sie sich zur besonderen Aufgabe macht, Vernunft und Individualität, Ganzes und Einzelnes zu vollem Ausgleich zu bringen. Darin vornehmlich findet Schleiermacher das Eigentümliche seines Strebens gegenüber der Einseitigkeit Früherer, welche entweder das Ganze dem Einzelnen oder den Einzelnen dem Ganzen aufgeopfert haben, dort zu epikureischem Genuß, hier mit rauhem Pflichtgebot. Immer verficht er das gute Recht der Individualität, aber immer schätzt er das Individuum nur als eine Verkörperung des Ganzen. »Das Gesetztsein der an sich selbst gleichen und selbigen Vernunft zu einer Besonderheit des Daseins«, das bleibt der Grundstein seiner Überzeugung und zugleich der Quell eines eigentümlichen Lebens.

Weiter aber hat Schleiermacher eine besondere Stärke darin, alle Lebensverhältnisse in eine ethische Beleuchtung zu stellen, und damit auch das zu vertiefen, ja zu heiligen, was leicht der bloßen Oberfläche des Lebens anzugehören scheint. Über Ehe, über häusliches Leben, über Erziehung usw., auch über gesellige Umgangsformen ist kaum je treffender und edler gesprochen worden als von Schleiermacher. In höchstem Maße schätzt er aber Staat und Vaterland, er erweist sich in ihrer Verfechtung als einen der tüchtigsten und mutigsten Vorkämpfer unseres Volkes vor und in den Freiheitskriegen. Mit Unrecht wird das Große, das er in dieser Richtung gewirkt hat, hinter die Leistung Fichtes ganz und gar zurückgestellt; man kann diesen sehr schätzen und muß es dennoch unrichtig finden, wenn er als der einzige geistige Führer der Befreiungskriege hingestellt wird, da Schleiermachers Wirken dem seinigen durchaus ebenbürtig war.

Beteiligung am bürgerlichen Leben

Schleiermacher brauchte nicht erst durch die Katastrophe von Jena aus dem Weltbürgertum aufgerüttelt zu werden wie Fichte, er hat sich schon vorher als sein Gegner bekannt, er hat gemäß seiner Richtung auf Individualität und Mannigfaltigkeit stets sowohl den allgemeinen Gedanken der Nation als seinen besonderen Staat in hohen Ehren gehalten. Kurz vor jener Schlacht bekennt er die Überzeugung, jedes Volk solle durch seine besondere Einrichtung und Lage eine besondere Seite des göttlichen Ebenbildes darstellen; der Sache der Menschheit dienen könne man nur, wenn man vom Wert des eigenen Volkes überzeugt sei. »Nur wer die Bestimmung des eigenen Volkes kennt, wird die rechte Freude haben an der Sache der Menschheit.« So hat er wiederholt schöne Worte gesprochen über die Bedeutung eines Volkes, zugleich hat er Pflichten des einzelnen daraus abgeleitet. »Ein Volk ist ein ausdauerndes Gewächs in dem Garten Gottes; es überlebt manchen traurigen Winter, der es seiner Zierden beraubt, und oft wiederholt es seine Blüten und Früchte.« »Ein Volk soll eine lange Reihe aufeinanderfolgender Geschlechter aufs engste verbinden, die alte heilige Gemeinschaft ihr Recht in jedem Gemüt ausüben und das Gemeinwesen jedem wichtiger sein als alles, was sich auf sein persönliches Wohl bezieht.« Demgemäß hat Schleiermacher eine allgemeine Beteiligung am öffentlichen Leben für eine Pflicht im besondern auch des Christen erklärt. Er findet es, so spricht es eine Predigt von 1809 aus, dem Christentum widersprechend, nur um der Strafe willen untertan zu sein und nur zu gehorchen, um ein Übel zu vermeiden. Denn das Wesen der Frömmigkeit sei Selbständigkeit und fester Mut – wer aber nicht aus Lust und Liebe sich am bürgerlichen Leben beteilige, der verliere diesen Geist. Solcher Schätzung des Volkes und eines politischen Wirkens entsprach die entschiedenste Absage an den Kosmopolitismus jener Zeit. Schon vor der großen Katastrophe mahnte Schleiermacher: »Wer anstatt auf sein Volk und mit seinem Vaterlande zu wirken, sich weiter ausstreckt und es gleich auf das Ganze des menschlichen Geschlechts anlegt, der wird in der Tat erniedrigt, anstatt erhöht zu werden. Denn wer jene große Haltung, jene mächtige Hilfe verschmäht, kann doch auf das Ganze unmittelbar nicht anders wirken, als indem er als einzelner auf einzelne wirkt.« Mit großer Energie verwirft er »die gemeine Rede, die, dem Himmel sei Dank, noch jung ist und nur einer schlechten erschlafften Zeit angehört, daß die wissenschaftlich Gebildeten am wenigsten ein Vaterland hätten«. Dem setzt er die Worte entgegen: »Alle, die Gott zu etwas Großem berufen hat in dem Gebiete der Wissenschaften, in den Angelegenheiten der Religion, sind immer solche gewesen, die von ganzem Herzen ihrem Vaterlande und ihrem Volke anhingen und dieses fördern, heilen, stärken wollten.« Auch den Krieg für das Vaterland findet er mit seiner religiösen Überzeugung ganz wohl vereinbar: »Wo Gott ist, ist Friede; wo das Göttliche sich erst bildet, Streit.« »Gott kämpft immer gegen das Böse und bleibt ein Gott des Friedens.«

Solche Schätzung hat Schleiermacher naturgemäß an erster Stelle seinem eigenen Volk und Vaterlande gezollt. Schon in einer wenig beachteten Stelle der Reden über die Religion (1799) hat er das »väterliche Land« im Gegensatz zu England und Frankreich als eine besonders geeignete Stätte »für heilige und göttliche Dinge« gepriesen; als dann die schwere Erschütterung kam, hat er seine nationale Überzeugung noch kräftiger bekannt und inmitten aller Wirren und Zweifel sie unerschütterlich festgehalten.

In einem Augenblick, wo nach der großen Katastrophe alle Aussicht auf einen Aufstieg zu verschwinden schien, schrieb er die Worte: »Niemals kann ich dahin kommen, am Vaterland zu verzweifeln. Ich glaube zu fest daran, ich weiß es zu bestimmt, daß es ein auserwähltes Werkzeug und Volk Gottes ist. Es ist möglich, daß alle unsere Bemühungen vergeblich sind und vorderhand harte und drückende Zeiten eintreten – aber das Vaterland wird gewiß herrlich daraus hervorgehen in kurzem.« In solcher Gesinnung hat Schleiermacher in den Jahren der Vorbereitung und der Erhebung aufs kräftigste gewirkt, er hat auch politische Sendungen übernommen, besonders aber hat er weiteste Kreise durch seine Predigten in Berlin bewegt, von denen nach allgemeinem Zeugnis eine gewaltige Kraft der Befestigung und der Erneuerung ausgegangen ist. Den Höhepunkt dieses Wirkens bildete seine Predigt am 28. März 1813 bei der Feier des Kriegsanfanges. Ihm zu Füßen saßen die Freiwilligen, die ihre Gewehre draußen an die Wand der Kirche gelehnt hatten. Von der Wirkung dieser Predigt wird berichtet: »Und als er zuletzt noch mit dem Feuer der Begeisterung die zum Kampfe gerüsteten edeln Jünglinge anredete, dann an deren großenteils anwesende Mütter sich wandte – da durchzuckte es die ganze Versammlung, und in das laute Weinen und Schluchzen derselben rief Schleiermacher sein versiegelndes Amen.«

 

Volk und Vaterland

Schleiermacher hat sich dabei Volk und Vaterland stets in engster Verbindung mit dem Staate und seiner Verbindung der Kräfte zu einer dauernden Einheit gedacht. Besonders dem preußischen Staate war seine treue Hingebung zugewandt, und von ihm hat er alles Heil für Deutschlands Zukunft erwartet. Wie klar er in diese Zukunft sah, das zeigen Äußerungen vom 12. Juni 1813 (in einem Briefe an Friedrich Schlegel): »Nach der Befreiung ist mein höchster Wunsch auf ein wahres deutsches Kaisertum, kräftig und nach außen hin allein das ganze deutsche Volk und Land repräsentierend, das aber wieder nach innen den einzelnen Ländern und ihren Fürsten recht viele Freiheit läßt, sich nach ihrer Eigentümlichkeit auszubilden und zu regieren.« Österreich ward dabei ausgeschlossen. So sah Schleiermacher das Werk des Mannes voraus, der später unter seinen Konfirmanden war.

Alles zusammen rechtfertigt es vollauf, daß wir auch Schleiermacher zu den Hauptträgern des deutschen Idealismus rechnen, ihn als solchen achten und ehren. Uns Deutsche treibt unsere Natur mit gleicher Stärke sowohl zum Aufbau einer unsichtbaren Welt im Reiche des Gedankens und Gemütes als zu einem kräftigen Wirken und Schaffen in der sichtbaren Welt; daß beides nicht nur aufs beste vereinbar ist, sondern sich gegenseitig zu fördern vermag, das zeigt uns die Persönlichkeit und das Lebenswerk Schleiermachers.

Hegel

Unter den Nachfolgern Kants hat auf das Ganze des Geisteslebens niemand größeren Einfluß geübt als Hegel (1770–1831), zeitweilig hatte er auch Kant in den Hintergrund gedrängt; rasch ist dann ein jäher Rückschlag gekommen, aber wenn Hegel längere Zeit überwiegend Widerspruch und Ablehnung fand, so hat er niemals aufgehört, auf das Kulturleben stark zu wirken; das wird neuerdings immer mehr anerkannt, und es wächst zugleich das Verlangen nach einer unbefangenen Würdigung des zweifellos hervorragenden Denkers.

Hegel ist im Kreise der deutschen Denker vornehmlich der Logiker und Systematiker, in sicherem und ruhigem Fortgang hat er seine Gedankenwelt herausgearbeitet und seine Art der Betrachtung über alle Gebiete ausgedehnt. Man muß bis Aristoteles zurückgehen, um ein System zu finden, das so sehr alle Verzweigung des Lebens in seine Beleuchtung gestellt hat; ja in der Straffheit der Anordnung dürfte Hegel selbst Aristoteles übertreffen. Dagegen fehlt ihm dessen ruhige, alle Fülle des einzelnen liebevoll aneignende und in ihrer Eigentümlichkeit anerkennende Art, eine starke Gewaltsamkeit ist bei Hegel nicht zu verkennen. Aber es bleibt die Größe und der Reiz der Gestaltung der gesamten Gedankenwelt aus einem einzigen Guß, dazu erhalten in dieser Gestaltung Bewegungen eine philosophische Verkörperung und Steigerung, welche dem Ganzen der modernen Kultur eigentümlich und wesentlich sind. Hegel selbst ist ein wichtiges Glied der allgemeinen Kulturbewegung, schon deshalb verlangt und verdient er eine eingehende Würdigung.

Hegel und Kant

Auch Hegel läßt sich nur von Kant aus verstehen. Kant hatte das Denken und mit ihm das Erkennen über die bloßen Individuen hinausgehoben, er hatte ihm eigne Gesetze und Kräfte zuerkannt, ja er hatte in ihm das Vermögen eines Weltbildens aufgedeckt. Aber nach seiner Überzeugung blieb bei Entwicklung dieses Vermögens das Denken an einen fremden Stoff gebunden, bei Ablösung davon schien es in völlige Leere zu fallen. Allem Streben des Menschen, die letzten Tiefen der Wirklichkeit zu ergründen, ward damit eine unüberwindliche Schranke gesetzt. Hegel glaubte, diese Schranke überschreiten, das Denken von der Bindung an den Stoff befreien, es ganz auf sich selber stellen und in ein Erzeugen der Wirklichkeit verwandeln zu können. Es schien ihm das dadurch erreichbar, daß er das Denken nicht als eine geschlossene Größe, sondern als ein Werdendes, als ein Sichselbersuchen und – vollenden, als einen aus sich selbst fortschreitenden Prozeß verstand, einen Prozeß, der im Hindurchgehen durch Satz und Gegensatz immer mehr Gehalt gewinnt und schließlich die ganze Welt als sein eignes Werk erkennt. Die Philosophie wird hier zur Beschäftigung des Denkens mit sich selbst, von allgemeinsten Umrissen beginnend scheint es dadurch fortzuschreiten, daß es Widersprüche sowohl aus sich hervortreibt als sie überwindet, daß es somit auseinander geht und sich wieder zusammenfaßt; die Logik, welche seine Gesetze ermittelt, scheint nicht neben der Wirklichkeit zu stehen, sondern ihre innerste Seele und ihre treibende Kraft zu bilden; »es ist ihr nicht um ein Denken über etwas, das für sich außer dem Denken zugrunde läge, zu tun, um Formen, welche bloße Merkmale der Wahrheit abgeben sollten, sondern die notwendigen Formen und eignen Bestimmungen des Denkens sind der Inhalt und die höchste Wahrheit selbst.«

Von der Welt aus angesehen hat die Philosophie die Aufgabe, die Zerstreuung des ersten Anblicks zu überwinden, alle Mannigfaltigkeit aus der Entfaltung eines Ganzen zu verstehen, alles scheinbar Ruhende in Fluß zu bringen, die verschiedenen Seiten und Beziehungen der Dinge als gegenseitig bedingt und aufeinander angewiesen zu begreifen, die bloße Tatsächlichkeit in Notwendigkeit zu verwandeln. In dem »bunten Spiel der Welt, als des Inbegriffs des Existierenden, zeigt sich zunächst nirgends ein fester Halt, alles erscheint hier nur als ein Relatives, bedingt durch anderes und ebenso anderes bedingend.« Die Philosophie gewährt diesen Halt, sie läßt vom Ganzen her sehen und aus seiner Bewegung alles einzelne verstehen. »Das Wesen ist das Ganze, das Ganze aber ist nur das sich durch seine Entwicklung vollendende Wesen.«

Daher ist Wahrheit des Erkennens hier nicht eine Übereinstimmung mit der Welt, wie sie um uns liegt, sondern zu ihrer Erreichung bedarf es einer Umwandlung und Durchleuchtung dieser Welt; die Welt denken heißt hier »ihre empirische Form umändern und sie in ein Allgemeines verwandeln«.

Dies Allgemeine bedeutet hier nicht eine bloße Gemeinschaft gewisser Eigenschaften, sondern ein unendliches Gesamtleben, das die Welt in sich trägt und sie aus sich heraus entwickelt. »Das wahrhafte unendliche Allgemeine ist schöpferische Macht.« Daß dieses Unendliche, das Ganze und Allgemeine, als das wahrhaft Seiende anerkannt werde, nicht aber das Endliche als solches gelte, da es in Wahrheit nur in jenem ist, darin wird hier der Idealismus der Philosophie gesetzt.

Denken und Wirklichkeit

Indem so das Denken bei sich selbst eine Geschichte gewinnt, es zugleich aber als der Kern aller Wirklichkeit gilt, trägt es in alle Gebiete eine geschichtliche Bewegung hinein, und zwar eine Bewegung, die sich nicht in ruhigem Aufstieg allmählich, sondern durch Gegensatz und Kampf hindurch in großen Umwälzungen vollzieht. Aus dem Ja wächst alsbald ein Nein hervor, über These und Antithese treibt es hinaus zu einer überlegenen Synthese, aber aus dieser entsteht bald wieder ein Gegensatz, und so geht es weiter und weiter, bis endlich das Denken sich völlig durchgebildet und sich zugleich des ganzen Umfangs der Wirklichkeit bemächtigt hat und in ihr sein eignes Werk erkennt.

Diese Fassung des Denkens muß auch Hegels Verfahren gegen das Kants aufs wesentlichste verändern. Kant beginnt von Gesamtleistungen, vornehmlich der Bildung einer Erfahrung, als unbestreitbaren Tatsachen, und ermittelt dann, was an geistigem Vermögen in diesen Tatsachen steckt, seine Methode ist daher analytisch-regressiv; die Hegels dagegen ist synthetisch-progressiv, sie hat ihre Stärke darin, die Begriffe einander zu verketten, alles Starre in Fluß zu bringen, vom einen zum andern überzuleiten, an jedem Punkt die Bewegung des Ganzen gegenwärtig zu halten.

Dieses Selbständigwerden des Denkens und sein weltbildendes Schaffen aus eignen Gesetzen und Kräften stellt an den Menschen eigentümliche Forderungen. Er hat sich jener Bewegung unbedingt unterzuordnen und ihren Notwendigkeiten willig zu folgen, er muß sich hüten, seine eignen Meinungen und Zwecke in sie hineinzutragen und dadurch ihr Bild zu verzerren. In solcher freien Unterordnung unter den Lauf des Ganzen besteht alle echte Moral. Hat aber der Mensch die Unterordnung vollzogen und sich ganz in die Bewegung des Denkens versetzt, so darf er volles Vertrauen daraus haben im Reiche der Wahrheit zu stehen. Denn die in uns waltende Vernunft ist Vernunft überhaupt, ist das Göttliche im Menschen, nicht etwas Bloßmenschliches. »Der Geist, sofern er Geist Gottes ist, ist nicht ein Geist jenseits der Sterne, jenseits der Welt, sondern Gott ist gegenwärtig, allgegenwärtig und als Geist in allen Geistern.« So dürfen wir nicht nur guten Mutes bei der Erforschung der Wahrheit sein, wir müssen es sein, um unsere Kraft voll einzusetzen: »Der Mut der Wahrheit, Glaube an die Macht des Geistes ist die erste Bedingung des philosophischen Studiums, der Mensch soll sich selbst ehren und sich des Höchsten würdig achten. Von der Größe und Macht des Geistes kann er nicht groß genug denken. Das verschlossene Wesen des Universums hat keine Kraft in sich, welche dem Mut des Erkennens Widerstand leisten könnte; es muß sich vor ihm auftun und seinen Reichtum und seine Tiefen ihm vor Augen legen und zum Genusse bringen.«

Größe und Macht des Geistes

»Was im Leben wahr, groß und göttlich ist, ist es durch die Idee; das Ziel des Philosophen ist, sie in ihrer wahrhaften Gestalt und Allgemeinheit zu erfassen. Die Natur ist darunter gebunden, die Vernunft nur mit Notwendigkeit zu vollbringen; aber das Reich des Geistes ist das Reich der Freiheit. Alles was das menschliche Leben zusammenhält, was Wert hat und gilt, ist geistiger Natur, und dies Reich des Geistes existiert allein durch das Bewußtsein von Wahrheit und Recht, durch das Erfassen der Ideen.«

In diesem Zusammenhange stellt sich das Geschick alles einzelnen, des Individuums, eines Volkes, eines Zeitabschnittes, höchst eigentümlich dar. Sie sind bloße Stücke der Bewegung, die durch sie hindurch sich vollzieht, sie dürfen davon abgesondert nichts sein und bedeuten wollen; über sie geht mit Unerbittlichkeit der Lauf des Ganzen hinweg, eben in dem Augenblick, wo etwas seine höchste Reife erreicht, beginnt sein Untergang; nachdem es sein Werk getan, hat es kein Recht weiter fortzubestehen. So verknüpft sich Werden und Vergehen, und es wird das Leben ein unablässiges Sterben. Aber dies Sterben ist keine völlige Vernichtung, das äußere Verschwinden kein gänzlicher Untergang. Denn was »aufgehoben« d. h. vernichtet wird in seinem besonderen Sein, das wird »aufgehoben«, d. h. bewahrt als ein Stück und eine Stufe des Ganzen, innerhalb seiner wirkt es zeitüberlegen fort. So brauchen wir uns nur in das Ganze zu versetzen, um eine Auferstehung des Gestorbenen zu erleben und in einen bleibenden Besitz zu verwandeln, was äußerlich vorüberzog und scheinbar als Vergangenheit hinter uns liegt. So ist die altgriechische Welt äußerlich untergegangen aber sie ist darum nicht gänzlich erloschen, sie wirkt mit ihrer Wahrheit und Schönheit innerhalb unseres eignen Lebens fort und ist ihm gegenwärtig zu halten, sie ist die unentbehrliche und die beharrende Voraussetzung aller weiteren geistigen Arbeit. So gewiß demnach die geistige Bewegung innerhalb der Zeit verläuft, sie wird keineswegs der bloßen Zeit ausgeliefert, sie erhebt sich immerfort über sie und erreicht eine Betrachtung der Welt »unter der Form der Ewigkeit« (sub specie aeternitatis).

Die Vernunft der Wirklichkeit

Wie hier durchgängig ein fester Glaube an die Vernunft der Wirklichkeit waltet, so wird zur Hauptaufgabe der Philosophie, diese Vernunft zu voller Klarheit herauszustellen; sie soll nicht belehren, wie die Welt sein soll, sondern sie soll sich in sie versetzen, die Dinge aus sich selbst und ihren Zusammenhängen verstehen und dadurch eine Versöhnung mit dem Ganzen der Wirklichkeit vollziehen. Das vor allem bildet die Stärke der Hegelschen Art, die Welt mit ihrem Geschehen bei sich selbst zu erfassen und in sich selbst zu vertiefen, überall geistige Inhalte, eigne Triebkräfte, innere Notwendigkeiten aufzudecken, dem Menschen durch das Teilgewähren daran eine Befreiung von kleinmenschlicher Art und eine innere Größe zu verleihen, zugleich aber bei allem Ernst eine feste und freudige Lebensstimmung zu erzeugen.

 

Dabei erhält die Philosophie ein eigentümliches Verhältnis zur Gesellschaft und zur Geschichte. Die Philosophie ist nicht das Erzeugnis eines bloßen Individuums, sondern sie ist »ihre Zeit in Gedanken gefaßt«; sie bildet in der Entwicklung der Zeiten nicht den Anfang, sondern den Abschluß, »als der Gedanke der Welt erscheint sie erst in der Zeit, nachdem die Wirklichkeit ihren Bildungsprozeß vollendet und sich fertiggemacht hat«. »Die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.« Ein aufrüttelndes und erneuerndes Wirken wird der Philosophie damit abgesprochen, sie hat nur zum Bewußtsein zu bringen und damit zu vollenden, was im Grundbestande schon vorliegt. Wir dürfen sagen, daß das mehr dem Bilde der alten als dem der neueren Philosophie entspricht.

Schon dies Wenige zeigt das Hegelsche System als ein gewaltiges Werk von großer Kraft und Geschlossenheit, als eine geistige Bewegung, welche die ganze Wirklichkeit ergreift und nach ihren Maßen gestaltet. Ob die Größe nicht durch eine starke Einseitigkeit erkauft wird, ja ob das Gesamtunternehmen nicht überkühn, nicht ein gefährlicher Ikarusflug ist, das läßt sich sehr wohl fragen. Verkürzt nicht das hier waltende Sehen aus dem Ganzen unbillig die Individualität der einzelnen Bildungen? Ist es nicht eine Überhebung der Menschheit, ihr Geistesleben ohne weiteres als absolutes zu behandeln? Ist Geistesleben nicht weit mehr als Denken, ja kann das Denken lediglich aus eigner Kraft überhaupt einen Inhalt erzeugen? Würde es nicht, streng auf sich selbst beschränkt, in ein Reich bloßer Schatten und Schemen führen? Und entgeht Hegel dieser Gefahr nicht bloß dadurch, daß den logischen Größen unablässig und unvermerkt aus dem Reichtum der Überlieferung und Umgebung Leben und Inhalt zuströmt?

Auch die Sprache Hegels verrät, daß seine Gedankenwelt verschiedene Schichten enthält. Ihre durchgehende Art ist sehr abstrakt, bloße Neutra »das Allgemeine«, »das Unendliche«, »das Einzelne« spielen z. B. in ihr eine große Rolle, sie kann in solcher Abstraktheit ermüden, ja zum Unwillen reizen. Aber dann kommen immer wieder Stellen, wo kräftigere Töne aus dem Innern der Seele zum Durchbruch kommen, die Gedanken erhalten dabei oft eine so anschauliche Verkörperung, eine so treffende Zuspitzung, eine so durchschlagende Kraft, daß sie in dieser Form zu weitester Verbreitung gelangt sind. Deutlich erkennen wir hier, daß Hegels Gedankenwelt einen tieferen Hintergrund hat, den sie selber nicht erklärt. – Solche Bedenken seien nicht gering genommen, aber sie lassen alle miteinander eine gewaltige Größe des Mannes unangefochten. Sehen wir auch von den vielfachen Wirkungen ab, die er auf das Ganze des Kulturlebens ausgeübt hat, seine energische Verwandlung der ganzen Wirklichkeit in einen einzigen aus eigner Kraft bewegten und weitergetriebenen Gedankenprozeß unternimmt eine Lösung des Wahrheitsproblems, mit der sich jedes tiefergehende Streben auseinanderzusetzen hat.

Der Staat

Unsre Durchwanderung des hier gebotenen weiten Gedankenreiches muß sich auf die Gebiete beschränken, wo die Stärke des Mannes liegt, und von wo fruchtbare Anregungen auf das gemeinsame Leben ausgegangen sind. Dahin gehört vor allem das geschichtlich-gesellschaftliche Zusammensein. Zunächst ist es der Staat, der Hegel eine höhere Schätzung verdankt. Gewiß war er nicht der einzige und nicht der erste, der nach dieser Richtung gewirkt hat, die Abwendung von dem bloßen Rechtsstaat, der das Wirken des Staates auf den Schutz der individuellen Kreise beschränkte, den Lassalle später als einen »Nachtwächterstaat« verspottet hat, lag im Zuge der Zeit. Aber Hegel hat diesen Zug energisch vertieft und aus dem Ganzen einer Gedankenwelt begründet; es wirkte dahin namentlich seine Überzeugung von der unmittelbaren Gegenwart des Geistes in unserer Welt. Auf das Staatsleben zunächst bezieht sich sein Wort, daß das Wirkliche vernünftig und das Vernünftige wirklich sei; so hat er hier diese Überzeugung auch mit besonderer Gründlichkeit durchgebildet.

Mit großer Entschiedenheit verwirft er die übliche Neigung, am Staate herumzumäkeln und einzelne mißliebige Erscheinungen sein Gesamtbild bestimmen zu lassen, das dann natürlich arg verzerrt wird. Dem setzt er die Erwägung entgegen: »Der Staat ist kein Kunstwerk, er steht in der Welt, somit in der Sphäre der Willkür, des Zufalls und des Irrtums, übles Benehmen kann ihn nach vielen Seiten defigurieren. Aber der häßlichste Mensch, der Verbrecher, ein Kranker und Krüppel ist immer doch ein lebender Mensch; das Affirmative, das Leben, besteht trotz des Mangels, und um dieses Affirmative ist es hier zu tun.« Wir verkennen das Große, was der Staat für uns bedeutet, leicht deshalb, weil »die Gewohnheit das unsichtbar macht, worauf unsre ganze Existenz beruht«. Um gerecht gegen einen Staat zu sein, müssen wir seinen Gesamtcharakter zu erfassen suchen und von ihm her die einzelnen Äußerungen als notwendig verstehen, nicht aber unsere Sondermeinungen und Sonderwünsche das Urteil bestimmen lassen. Der Staat ist es nach Hegel, in dem sich der Geist zu wirklicher Gestalt und Organisation entfaltet, in ihm erst kommt die sittliche Idee zur Wirklichkeit, er erst gewährt einen festen Boden für geistige Kultur, für Wissenschaft, Kunst usw. So kann es nicht befremden, wenn Hegel verlangt, man solle den Staat wie ein »Irdisch-Göttliches« verehren.

Hegels »Grundlinien der Philosophie des Rechts« entwickeln den Grundgedanken bis ins einzelne hinein und stellen die Verhältnisse überall in ein eigentümliches Licht. In sicher aufsteigendem Zuge führt das Werk von Stufe zu Stufe bis an den Punkt, wo der einzelne Staat ein Glied der weltgeschichtlichen Bewegung wird. Auch dieses Gebiet zeigt eine Bewegung durch den Gegensatz hindurch, im besonderen hat bei Hegel hier wie auch in der Behandlung der Geschichte der Gedanke größten Einfluß, daß der Ausgangspunkt der Entwicklung eine noch ungeschiedene Einheit von Subjekt und Objekt zeige; auf der zweiten Stufe reißt das Subjekt sich los und stellt sich dem Objekt entgegen; auf der dritten wird eine Versöhnung erreicht, indem das Objekt selbst in die geistige Tätigkeit aufgenommen und aus ihr gestaltet wird.

Das Recht

Als die Hauptstufen des gemeinsamen Lebens unterscheidet Hegel Recht, Moralität, Sittlichkeit. Das Recht steht im Dienste der Freiheit, es gibt dem freien Willen zuerst ein Dasein, aber es gibt ihm das im Bereich des Äußeren und enthält daher die Möglichkeit eines Zwanges. Beim Strafrecht hat namentlich Hegels Versuch, die prinzipielle Berechtigung des Strafens zu erweisen, viel Beachtung gefunden, obwohl er mehr in der Form als in der Sache Neues bringt. Hegel bezeichnet die Strafe als die Negation der Negation, der Verbrecher hat die Rechtsordnung negiert, nun negiert diese ihn durch die Strafe und stellt dadurch ihre erschütterte Macht wieder her.

Vom Rechte, das als strenges Recht nicht nach dem Grundsatze und der Absicht des Handelnden fragt, scheidet Hegel die Moralität, welche die Frage nach der Triebfeder des Willens wie nach dem Vorsatze stellt; sie bringt eine Schätzung des Wertes des Menschen nach seiner inneren Handlung. Damit entsteht das Recht der subjektiven Freiheit, ihr Hervortreten bildet nach Hegel den Wendepunkt zwischen Altertum und moderner Welt. »Dies Recht in seiner Unendlichkeit ist im Christentum ausgesprochen und zum allgemeinen wirklichen Prinzip einer neuen Form der Welt gemacht worden.« Es entsteht aber auf der Stufe der bloßen Moralität die Gefahr, daß das Subjekt sich dem Objekt entgegensetze und in der Absonderung seine Befriedigung suche, auch sein eigenes Vermögen überspanne; auch das liegt hier nahe, große Taten der Weltgeschichte aus bloß subjektiven Beweggründen zu erklären und sie damit herabzuwürdigen; über dem Subjektiven das Substantielle zu übersehen, das sei die Ansicht »der psychologischen Kammerdiener, für welche es keine Helden gibt, nicht weil diese keine Helden, sondern weil jene nur die Kammerdiener sind«.