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Die Träger des deutschen Idealismus

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Eine weite Kluft zwischen den hier so eindringlich geschilderten Schäden der menschlichen Lage und dem empfohlenen Heilmittel ist unmöglich zu verkennen. Wie kann eine Veränderung der Weltanschauung so viel erreichen lassen? Schelling selbst sucht den Einwand abzuwehren, daß die Philosophie solcher Aufgabe nicht gewachsen sei, es müsse, so meint er, nur eine starke Philosophie sein, »eine solche, die mit dem Leben sich messen kann, die ihre Kraft aus der Wirklichkeit selbst nimmt und darum auch selbst wieder Wirkendes und Dauerndes hervorbringt.« Aber es bleibt doch dabei, daß ein Wandel der Begriffe ohne weiteres auch einen Wandel der Gesinnung mit sich bringen soll; was aber ist das anderes als Rationalismus, und zwar ein Rationalismus, der um so mehr zum Widerspruch reizt, als er eben das für irrational Erklärte rational zu verstehen sucht? Schellings Versuch, das Christentum als den Kern und Sinn der ganzen Wirklichkeit zu erweisen, ist ein großes Wollen unmöglich abzusprechen, aber die Ausführung zeigt dasselbe Überspringen der menschlichen Schranken und dieselbe Vergewaltigung des Tatbestandes im Gebiet der Geschichte, wie in dem der Natur die Naturphilosophie.

Philosophie der Mythologie

Dasselbe gilt von Schellings Philosophie der Mythologie, welche die ganze Fülle der geschichtlichen Religionen als eine aufsteigende Stufenfolge mit dem Christentum als Höhe- und Zielpunkt zu verstehen sucht. Auch hier blitzen glänzende Gedanken auf, auch hier fehlt es nicht an packenden Schilderungen. So ist es namentlich anziehend, wie Schelling sich mit dem Pantheismus auseinandersetzt, der in seiner eigenen Natur so tief wurzelte, und über den ihn doch der Fortgang seines Strebens zwingend hinaustrieb. »Der Pantheismus in seiner bloßen Möglichkeit ist der Grund der Gottheit und aller wahren Religion. – Der Monotheismus ist nichts anderes, als der esoterisch, latent, innerlich gewordene Pantheismus. – Nichts hat je über die Gemüter der Menschen wahre Gewalt erlangt, dem nicht eigentlich dieser, zur Ruhe gebrachte und befriedigte (zum Frieden gebrachte) Pantheismus zugrunde lag.«

Der Abschluß der äußeren Laufbahn Schellings war wenig glücklich. Unter großen Erwartungen wurde er 1841 nach Berlin berufen, um Zeitströmungen zu bekämpfen, die man für bedenklich hielt. Auch er selbst steckte das Ziel sich hoch, hoffte er doch »eine Burg zu gründen, in welcher die Philosophie von nun an sicher wohnen soll«. Das Ergebnis war eine Enttäuschung; es kamen noch andere Gründe hinzu, Schelling zur Einstellung seiner Tätigkeit zu bewegen. Leider beherrscht dieser Ausgang noch immer zu sehr die gesamte Schätzung des Mannes.

Anregungen und Ergebnisse

Denn darüber kann kein Zweifel sein: Schelling gehört in die erste Reihe unserer großen Denker, und das deutsche Geistesleben verdankt ihm viel. Aber es liegt das mehr in Anregungen als in fertigen Ergebnissen. Wenn gesagt ward, daß oft die Werke größer sind als die Menschen, oft aber auch die Menschen größer als ihre Werke, so gilt letzteres besonders von Schelling. Reichste geistige Gaben trafen bei ihm zusammen, mit gewaltiger Kraft hat er alles behandelt, was er ergriff. Alle Kleinheit lag ihm fern, er wußte alles ins Große zu heben und aus dem Ganzen zu sehen. Er widerstand aller Verengung des Lebens nach besonderen Richtungen hin, er steht sicher über dem Gegensatz eines Moralismus und Ästhetizismus, er hat auch bei der Wendung zur Religion dem Denken volle Freiheit gewahrt und eine »christliche« Philosophie entschieden abgelehnt, er hat dem menschlichen Leben eine metaphysische Tiefe gegeben, das Geheimnisvolle in ihm stark empfunden und kräftig zur Darstellung gebracht. Auch daß er selbst stets im Suchen verblieb, gibt seiner Untersuchung eine eigentümliche Frische und Ursprünglichkeit, hält ihr alles Lehrhafte fern. Daß aber solche Größe in seinen Werken nicht zu entsprechendem Ausdruck kam, das lag vornehmlich an einem Widerspruch zwischen seinem Wesen und seinem Wollen, einem Widerspruch, den man wohl als tragisch bezeichnen kann. Sein Wesen macht ihn stark in der künstlerischen Intuition, im Sehen und Beleben großer Umrisse, im kraftvollen Anschlagen der Grundstimmungen einer Gedankenwelt, dabei ergreift er uns oft mit zauberischer Gewalt; sein Wille aber drängte ihn zu einem systematischen Aufbau, zu einem Durchbilden und Gliedern bis ins einzelne hinein, und dabei versagte seine Kraft.

Aber es bleibt dabei, daß er die verschiedenen Gebiete und Probleme des Lebens mit einer Frische und Anschaulichkeit uns nahebringt wie kein anderer unserer großen Denker, der schwächste Systematiker ist er zugleich der mächtigste Künstler unter allen. Er hat das Lebensproblem der Menschheit auf eine Höhe gehoben, die noch immer belebender Wirkungen fähig ist. So wollen wir dieses Große bei ihm suchen und uns seiner erfreuen; bei seinen Irrungen aber wollen wir des Wortes gedenken, das er selbst in seiner Berliner Antrittsvorlesung sprach: »Hat einer mehr geirrt, so hat er mehr gewagt, hat er sich vom Ziel verlaufen, so hat er einen Weg verfolgt, den die Vorgänger ihm nicht verschlossen hatten.«

Schleiermacher

Schleiermachers (1768–1834) geistige Art teilt mit der Schellings manche Züge. Auch er stand zu Beginn seiner Laufbahn den Romantikern nahe, auch er hat seine Selbständigkeit gewahrt und ist später weit über jene hinausgewachsen; auch sein Denken zerlegt die Welt in Gegensätze, aber es will sie umspannen und sie ohne Verwischung ihrer Unterschiede zusammenhalten, so namentlich Denken und Sein, Reales und Ideales, Natur und Geist, Freiheit und Notwendigkeit; auch in ihm wirkt stark eine künstlerische Art, läßt ihn das Mannigfache zusammenschauen und beherrscht auch seine Darstellung. Aber zugleich bleiben beträchtliche Unterschiede. Es fehlt Schleiermacher das Gigantische und Umwälzende, aber auch das Gewagte und Gewaltsame des Schellingschen Verfahrens; Schleiermacher stellt sich nicht kühn und keck der Welt gegenüber, um sie nach seinen Entwürfen umzugestalten, sondern er versetzt sich liebevoll in die Dinge hinein und sucht sie bei sich zu beleben, um dann eine fruchtbare Wechselwirkung mit der eigenen Seele herzustellen. Er schmiedet die Gegensätze nicht mit diktatorischem Gebot zu einer Einheit zusammen, aber er bringt sie in ein Verhältnis gegenseitiger Beziehung und Förderung, er verbindet sie zu einem seelenvollen Gewebe; er führt weniger in stürmischem Zuge das Leben auf neue Bahnen, als er mit hingebender Betrachtung mehr in ihm entdeckt, mehr aus ihm macht, seinen ganzen Umfang liebevoll klärt und veredelt. So ist er durchaus ein Denker eigener Art und will als solcher gewürdigt sein.

Geistesart und Lebensarbeit

Auch seine Lebensarbeit setzt die Kantische Befreiung des Menschen von einer fremden Welt voraus, auch im Hinausgehen über Kant hat sie diese Grundlage festgehalten. Aber wenn auch für Schleiermacher damit das Subjekt in die erste Linie trat, so hat er ihm ein eigentümliches Verhältnis zur Wirklichkeit gegeben, das ihn von den Romantikern deutlich scheidet. Er hat den Hauptstandort des Lebens in der Innerlichkeit der Seele gesucht, er hat hier nicht nur ein stilles Heiligtum, sondern auch einen festen Halt gegen die Nöte und Wirren des Lebens gefunden. Solches Zurückgehen auf die Tiefen der Seele bedeutet ihm aber keine Flucht vor der Welt, kein Sichverschließen in eine einsame Klause, sondern in der Seele selbst hat er eine Welt gefunden und diese Welt mit aller Kraft zu beleben gesucht und verstanden. Ihn durchdringt ein fester Glaube an ein Ganzes der Menschheit, das in jeder Seele unmittelbar gegenwärtig ist und das Leben des einzelnen trägt, aber nicht nur muß dieser das Bild der Menschheit in sich erst zu voller Anschauung bringen, er hat auch innerhalb des Ganzen eine besondere Art zu entwickeln, das Ganze in eigentümlicher und unvergleichlicher Weise in sich selber darzustellen. Damit erhält die Seele eine große Aufgabe und eine fortlaufende Bewegung im eigenen Bereich, sie fällt um so weniger aus der großen Wirklichkeit heraus, als die Menschheit und die ihr innewohnende Vernunft für Schleiermacher die Tiefe der Welt zu bilden scheint. Zugleich entsteht ein eigentümliches Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft. Aufs entschiedenste wird hier abgelehnt, das Individuum als ein bloßes Mittel für die Gemeinschaft zu behandeln und sein Tun einer allgemeinen Formel zu unterwerfen, aber es wird auch nicht nach Art der Romantik als ein völliger Selbstzweck erklärt und selbstbewußt von seiner Umgebung abgehoben, es bleibt als eine eigentümliche Darstellung des Ganzen von diesem umfaßt und auf es angewiesen, von ihm aus empfängt es sein Maß. Diese Ausgleichung der Gegensätze ist für Schleiermacher auch zu einer persönlichen Wahrheit geworden: er hat in allen Lebenslagen den größten Wert auf die Gemeinschaft gelegt, sie zu heben und zu stärken gestrebt, aber er hat sich zugleich die vollste Unabhängigkeit innerhalb der Gemeinschaft gewahrt und ist mannigfachen Anfechtungen gegenüber tapfer und treu den Weg seiner eigenen Überzeugung gegangen. Überhaupt verband sich in seinem Leben in bewunderungswürdiger Weise mit Zartheit und Innigkeit des Gefühls eine große Kraft und Mannhaftigkeit des Handelns, die künstlerische Anmut seiner Darstellung darf uns diesen festen Kern seines Wesens ja nicht übersehen lassen. Er ist, als Ganzes genommen, wohl die anziehendste Persönlichkeit im Kreis unserer großen Denker.

Seine Wirkungen auf das gemeinsame Leben gehen nach dreifacher Richtung: er hat das Ganze des Seelenlebens befestigt und vertieft, er hat der Religion zuerst eine volle Selbständigkeit auch in der Wissenschaft erkämpft, er hat die Moral vor drohender Verengung zu bewahren und mit dem Ganzen des Lebens eng zu verknüpfen gesucht.

Vertiefung des Seelenlebens

 

Jene Vertiefung des Seelenlebens erfolgt in hartem Kampf mit der alternden Aufklärung, Schleiermacher zeigt hier mit besonderer Klarheit, nach welcher Richtung damals die Sehnsucht der Besten ging. Es galt, dem Leben einen Sinn und Wert bei sich selbst zu erringen, es von aller niedrigen Nützlichkeit und Zweckmäßigkeit zu befreien, in welche die Zeitumgebung es hatte sinken lassen. Die Bewegung dagegen findet ihren bedeutendsten und schönsten Ausdruck in Schleiermachers »Monologen«. Sie beginnen mit einem Preise eines Lebens aus einem vollen Beisichselbstsein der Seele. Hier allein im innersten Handeln erfolgt eine Erhebung von der Notwendigkeit zur Freiheit, von dem Wandel der Zeit zur Ewigkeit. »Auf mich selbst muß mein Auge gekehrt sein, um jeden Moment nicht nur verstreichen zu lassen als einen Teil der Zeit, sondern als Element der Ewigkeit ihn herauszugreifen und in ein höheres freieres Leben zu verwandeln.« Das aber nicht in Losreißung, sondern im Zusammenhang mit dem All; verstehen wir es nur nicht als bloß körperliche Masse, sondern »was Welt zu nennen ich würdige, ist nur die ewige Gemeinschaft der Geister, ihr Einfluß aufeinander, ihr gegenseitiges Bilden, die hohe Harmonie der Freiheit«. »Mir ist der Geist das erste und das einzige: denn was ich als Welt erkenne, ist sein schönstes Werk, sein selbstgeschaffener Spiegel.« Diesem unendlichen All der Geister hat sich das Endliche und Einzelne einzufügen und Wirkungen von ihm zu empfangen. Aber im eignen Innern bleibt es frei, die Freiheit ist in allem das Ursprüngliche, das Erste und Innerste. Ihre Aufgabe ist es, »die Menschheit in mir zu bestimmen, in irgendeiner endlichen Gestalt und festen Zügen sie darzustellen und so selbstwerdend Welt zugleich zu bilden«. Indem sich so Endliches und Unendliches in uns verbindet, wird die Selbstanschauung unmittelbar auch zu einer Anschauung der Menschheit, und der Gedanke der Menschheit wiederum führt zum unermeßlichen Gebiet des reinen Geistes. Im Anschauen seiner selbst findet der Geist Unsterblichkeit und ewiges Leben, daher heißt es: »Beginne schon jetzt dein ewiges Leben in steter Selbstbetrachtung; sorge nicht um das, was kommen wird, weine nicht um das, was vergeht, aber sorge, dich selbst nicht zu verlieren, und weine, wenn du dahin treibst im Strome der Zeit, ohne den Himmel in dir zu tragen.«

Um aber jenes Ziel zu erreichen, gilt es vor allem, das Bewußtsein der Menschheit in sich selbst zu voller Klarheit zu wecken und es das Handeln leiten zu lassen, damit sich das Leben mit voller Sicherheit über das sinnlose tierische Dasein zur Höhe der Vernunft erhebe. Aber so notwendig solche Erweckung eines Allgemeinen in uns ist, sie allein gibt unserem Leben noch keinen rechten Sinn, dazu wird gefordert, daß jeder Mensch auf eigene Art, in neuer eigener Mischung der Elemente die Menschheit darstellt. Dies Ausbilden einer Besonderheit ist alles eher als eine Absonderung von anderen Menschen. Denn »wer sich zu einem bestimmten Menschen bilden will, dem muß der Sinn geöffnet sein für alles, was er nicht ist«. »Die höchste Bedingung der eigenen Vollendung im bestimmten Kreise ist allgemeiner Sinn.« Zur Ausbildung eines solchen Sinnes bedarf es aber vor allem der Liebe. »Keine Bildung ohne Liebe, und ohne eigene Bildung keine Vollendung in der Liebe: eins das andere ergänzend, wächst beides unzertrennlich fort.«

Vertiefung des Gemeinschaftslebens

Eine derartige Gesinnung drängt auch zur Gestaltung der Welt. Ihr kann aber nicht eine bloße Verbesserung der Außenwelt genügen, auch nicht eine bloße Veränderung der Organisation des Zusammenlebens, sie muß eine innere Erhebung der geistigen Gemeinschaft zu echter Bildung erstreben; dabei aber stellen sich sofort Gefahren ein, denen es entgegenzuarbeiten gilt. Jene Gemeinschaft nämlich bedarf zum Zusammenhalten bestimmter Mittel und Ordnungen, wie der Sprache und der Sitte; diese aber bedrohen leicht das Eigenleben mit einer Verkümmerung. Aber dem läßt sich widerstehen und nach einer Ausgleichung streben, wenn nur das eigene Innere zu voller Kraft belebt ist. »Harmonisch in einfacher schöner Sitte leben kann kein anderer, als wer die toten Formeln hassend eigene Bildung sucht und so der künftigen Welt gehört; ein wahrer Künstler der Sprache kann kein anderer werden, als wer freien Blickes sich selbst betrachtet und des inneren Wesens der Menschheit sich bemächtigt hat.«

So liegt schließlich die Lösung aller Aufgaben in uns selbst, in dem, was wir aus uns machen; streben wir nur immer mehr zu werden, was wir von Haus aus sind. Die Unabhängigkeit, die wir damit gewinnen, befreit uns auch von den Schranken, welche das Geschick uns setzt. Denn in uns waltet die Götterkraft der Phantasie, sie stellt den Geist ins Freie, sie hebt ihn über jede Gewalt und jede Beschränkung hinaus, sie macht uns fähig, die ganze Welt in Besitz zu nehmen, das Fremde in Nahes, das Zukünftige in Gegenwart zu verwandeln.

Ein solches Leben von innen heraus, ein solches Bilden seiner selbst wird durch den Gedanken an Alter und Tod nicht im mindesten eingeschüchtert. An uns selbst liegt es, Mut und Kraft durch das ganze Leben zu wahren. »Ein selbstgeschaffenes Übel ist das Verschwinden des Mutes und der Kraft; ein leeres Vorurteil ist das Alter.« Aus dem Bewußtsein der inneren Freiheit und ihres Handelns entspringt ewige Jugend und Freude. Wer im Alter klagt, daß ihm die Jugend fehlt, dem hat in der Jugend das Alter gefehlt.

»Das ist des Menschen Ruhm, zu wissen, daß unendlich sein Ziel ist, und doch nie stillzustehen im Lauf, zu wissen, daß eine Stelle kommt auf seinem Wege, die ihn verschlingt, und doch an sich und um sich nichts zu ändern, wenn er sie sieht, und doch nicht zu verzögern den Schritt. Darum ziemt es dem Menschen immer in der sorglosen Heiterkeit der Jugend zu wandeln. Nie werd' ich mich alt dünken, bis ich fertig bin; und nie werd' ich fertig sein, weil ich weiß und will, was ich soll.« So verbleibt nichts, das die Festigkeit und die Freudigkeit des Lebens erschüttern könnte, das aus ursprünglicher Innerlichkeit hervorgeht; auf modernem Boden hat Schleiermacher so das Innenleben in sich selbst zu begründen gesucht und damit unser Dasein bereichert.

Selbständigkeit der Religion

Am stärksten hat er in das allgemeine Leben eingegriffen durch sein Wirken auf dem Gebiete der Religion. Ist er es doch gewesen, der dieser zuerst in der Denkarbeit eine volle Selbständigkeit erstritten und sie zugleich in ihrer unterscheidenden Eigentümlichkeit vollauf zu entwickeln unternommen hat. Daran fehlte es bisher. Bis in die Neuzeit hinein war die Religion viel zu sehr an die kirchliche Form gebunden, viel zu sehr geschichtliche Tatsächlichkeit, um sich um ihren allgemeinen Begriff und seine Begründung viel zu kümmern, das Denken war ganz von der besonderen Gestalt eingenommen. In der Neuzeit wurde das anders, aber wo ein Bedürfnis nach wissenschaftlicher Rechtfertigung der Religion entstand, da suchte man es zunächst von der Weltanschauung her zu befriedigen; für weitere Kreise war es namentlich die in der Welt bemerkte, aber aus ihren eigenen Zusammenhängen anscheinend unerklärbare Zweckmäßigkeit, die den Schluß auf das Dasein eines höheren Wesens als des Urhebers zu rechtfertigen schien. Als die Unzulänglichkeit dieses Verfahrens zum Bewußtsein kam, stellte sich ihm der Versuch entgegen, die Religion auf die Moral zu gründen, die großartigste Ausführung dessen gibt uns Kant. Aber die Dürftigkeit einer Religion, welche lediglich der Moral zu dienen hat, konnte ihm selbst und seinen Zeitgenossen nur entgehen, weil die Persönlichkeit unter dem Einfluß der religiösen Überlieferung aus den Begriffen weit mehr machte, als wissenschaftlich dargetan war; eine Selbständigkeit der Religion und zugleich die Entwicklung eines eigentümlichen Lebens ward damit nicht erreicht. Dies Verdienst blieb Schleiermacher vorbehalten, er hat hier nicht nur die Einsicht gefördert, sondern das religiöse Leben selbst aufs wesentlichste vertieft. Seine Überzeugungen haben sich naturgemäß im Verlauf seines Lebens vielfach weitergebildet, zwischen seinen in vollster Jugendfrische gehaltenen Reden über die Religion und dem Augenblick, wo er auf seinem Sterbebett sich und den Seinigen das heilige Abendmahl reichte, liegt viel Bewegung. Aber der Grundzug blieb in allen Weiterbildungen unverändert, das Streben, im Innersten der Seele, im reinen Gefühl der Religion eine sichere Stätte zu bereiten und hier einen zuverlässigen Maßstab für alles zu finden, was die Überlieferung an uns bringt. Unsere Schilderung folgt zunächst der ersten Auflage jener Reden, da sie die eigentümliche Art des Mannes im ursprünglichsten Hervorbrechen zeigt. Daß er über Religion zu den »Gebildeten unter ihren Verächtern« spricht, grenzt sein Unternehmen schärfer ab, als der heutige Sprachgebrauch annehmen läßt. Denn die Ausdrücke »Bildung« und »gebildet« waren eben erst vom Körperlichen aufs Geistige übertragen worden, und sie bezeichneten zunächst die Anhänger der sich wider die Aufklärung erhebenden neuen künstlerischen Denkart, es waren also die Modernen seiner eigenen Zeit, welche Schleiermacher für die Religion zu gewinnen suchte; so stellt er ihre Verfechtung ganz auf den Boden der neuen Zeit.

Das Wesen der Religion

Zunächst gewinnt er seiner eigenen Überzeugung freien Raum durch ein Abweisen unzulänglicher Fassungen. Es gilt eine Abgrenzung der Religion sowohl gegen Metaphysik als gegen Moral, es gilt eine Abweisung der landläufigen Art der Religion, welche aus ihr ein bloßes Gemisch von Metaphysik und Moral machte, es gilt aber auch eine Auseinandersetzung mit dem tiefergehenden Versuche Kants, die Religion auf die Moral zu gründen. Schleiermacher meint, daß, so gut die Moral eine Unabhängigkeit von der Religion verlangen dürfe, ebensowohl man dieser eine solche zugestehen müsse; es sei eine Verachtung der Religion, sie in ein anderes Gebiet zu verpflanzen und da dienen zu lassen. Das Nein führt dann rasch zum Ja: »Die Religion begehrt nicht das Universum seiner Natur nach zu bestimmen und zu erklären wie die Metaphysik, sie begehrt nicht aus Kraft der Freiheit und der göttlichen Willkür des Menschen es fortzubilden und fertigzumachen wie die Moral. Ihr Wesen ist weder Denken noch Handeln, sondern Anschauung und Gefühl. Anschauen will sie das Universum, in seinen eigenen Darstellungen und Handlungen will sie es andächtig belauschen, von seinen unmittelbaren Einflüssen will sie sich in kindlicher Passivität ergreifen und erfüllen lassen. Sie will im Menschen das Unendliche sehen, dessen Abdruck, dessen Darstellung.« »Praxis ist Kunst, Spekulation ist Wissenschaft, Religion ist Sinn und Geschmack fürs Unendliche.« Im Anschauen erfolgt nach Schleiermacher ein Einfluß des Angeschauten auf den Anschauenden, ein ursprüngliches und unabhängiges Handeln des ersteren wird vom letzteren seiner Natur gemäß aufgenommen und zusammengefaßt. Was wir anschauen, ist nicht die Natur der Dinge, sondern ihr Handeln auf uns; das Universum aber ist in einer ununterbrochenen Tätigkeit und offenbart sich uns in allem, was es hervorbringt, und es handelt damit auf uns; alles Einzelne nun als einen Teil des Ganzen, alles Beschränkte als eine Darstellung des Unendlichen hinzunehmen, das ist Religion. »Alle Begebenheiten in der Welt als Handlungen eines Gottes vorstellen, das ist Religion.« Mit der Anschauung aber ist untrennbar ein Gefühl verbunden. »Anschauung ohne Gefühl ist nichts und kann weder den rechten Ursprung, noch die rechte Kraft haben, Gefühl ohne Anschauung ist auch nichts: beide sind nur dann und deswegen etwas, wenn und weil sie ursprünglich eins und ungetrennt sind.« Wenn Schleiermacher es als einen gänzlichen Mißverstand verwirft, daß die Religion handeln solle, so steht sie darum nicht gleichgültig neben dem Handeln. »Bei ruhigem Handeln, das aus seiner eigenen Quelle hervorgehen muß, die Seele voll Religion haben, das ist das Ziel des Frommen.« »Die religiösen Gefühle sollen wie eine heilige Musik alles Tun des Menschen begleiten, er soll alles mit Religion tun, nichts aus Religion.« Für die nähere Gestaltung bleibt dem Individuum freier Raum, denn das Universum läßt sich in verschiedener Art anschauen, daher soll keiner seine besondere Art dem anderen aufdrängen wollen. »Im Unendlichen steht alles Endliche ungestört nebeneinander, alles ist eins und alles ist wahr.«

Anschauung und Gefühl

Wie aber kommen wir zu solcher Anschauung des Universums und dem ihr verbundenen Gefühl? Die äußere Natur kann weder mit ihrer Größe noch ihrer Schönheit sie erzeugen, sie wirkt nur dann religiös, wenn Religion schon vorhanden ist; den Stoff für diese finden wir vielmehr in der Menschheit. »Um die Welt anzuschauen und um Religion zu haben, muß der Mensch erst die Menschheit gefunden haben, und er findet sie nur in Liebe und durch Liebe.« In der Menschheit und ihrer unendlichen Mannigfaltigkeit ergreifen wir »die Harmonie des Universums, die wunderbare und große Einheit in seinem ewigen Kunstwerk«. Jedes Individuum ist seinem inneren Wesen nach ein notwendiges Ergänzungsstück zur vollkommenen Anschauung der Menschheit. Jeder ist zugleich ein Kompendium der Menschheit, jede Persönlichkeit umfaßt in einem gewissen Sinne die ganze menschliche Natur. Noch über die Menschheit dringt der Gedanke insofern hinaus, als die Menschheit mit ihren Veränderungen und ihrem Werden nicht selbst das Universum sein kann, vielmehr wird sie sich zu ihm verhalten, wie die einzelnen Menschen sich zu ihr verhalten. Solche Ahnung von etwas außer und über der Menschheit enthält jede Religion, aber dies ist auch der Punkt, wo ihre Umrisse sich dem gemeinen Auge verlieren.

 

So wenig die Anschauung des Universums unmittelbar auf das Handeln wirkt, sie erzeugt Gefühle, welche das Ganze des Lebens erhöhen. So erzeugt sie Ehrfurcht und Demut, so auch Liebe und Zuneigung zu den Brüdern, ohne deren Dasein wir einer Anschauung der Menschheit entbehren müßten. Die Anschauung des Unendlichen stellt ferner das Gleichgewicht und die Harmonie des menschlichen Wesens wieder her, welche unwiederbringlich verlorengehen, wenn jemand sich, ohne zugleich Religion zu haben, einer einzelnen Richtung der Tätigkeit überläßt.

Solche Überzeugungen ergeben eine eigentümliche Stellung zu den Dogmen und Lehrsätzen der Religion, auch zu den Ideen Gott und Unsterblichkeit; diese alle werden im universalsten Sinne gedeutet. »Unsterblichkeit darf kein Wunsch sein, wenn sie nicht erst eine Aufgabe gewesen ist, die ihr gelöst habt. Mitten in der Endlichkeit eins werden mit dem Unendlichen und ewig sein in einem Augenblick, das ist die Unsterblichkeit der Religion.«

Religiöse Gemeinschaft

Eine Religion solcher Art ist nicht lehrbar, es gilt nur die Hemmungen zu entfernen, welche der von ihr verlangten Anschauung des Universums entgegenstehen. Eine solche Hemmung bildet namentlich eine bloß verstandesmäßige Betrachtung der Dinge, welche nicht nach ihrem Was und Wie, sondern nur nach ihrem Woher und Wozu fragt, eng verbunden damit ist die Richtung auf den bloßen Nutzen; auch die Gefahr liegt nahe, daß der Mensch unter den Druck mechanischer und unwürdiger Arbeit gerate und damit die Ruhe und Muße verliere, in sich die Welt zu betrachten. Eine Hilfe erwartet Schleiermacher namentlich von der religiösen Gemeinschaft, denn zur Gemeinschaft drängt die Religion, wie er sie faßt, mit Notwendigkeit. »Ist die Religion einmal, so muß sie notwendig auch gesellig sein.«

Nur bedeute uns die Gemeinschaft keine Gleichförmigkeit in der Religion. Es gibt verschiedene Arten, das Universum anzuschauen, ihrer Entwicklung ist freier Platz zu lassen, auch die Religion selbst muß sich individualisieren. Bei Erörterung der verschiedenen Gestaltungen der Religion verwirft Schleiermacher mit großer Entschiedenheit die Vernunftreligion, von welcher die Aufklärungszeit so viel erwartete, ihm gilt sie als ein bloßer Schatten, als eine magere und dünne Religion. Auch allgemeine Begriffe, wie Pantheismus oder Personalismus, erzeugen aus eigenem Vermögen keine lebensvolle Gestalt, das geschieht lediglich in geschichtlichen, positiven Religionen, welche in bestimmter Art die unendliche Religion im Endlichen darstellen. In ihnen allein erscheint alles wirklich und kräftig, nur hier hat jede einzelne Anschauung ihren bestimmten Gehalt und ein eigenes Verhältnis zu den übrigen, jedes Gefühl seinen eigenen Kreis und seine besondere Beziehung. Ein solches »Individuum der Religion« kann nicht anders entstehen als dadurch, daß irgendeine einzelne Anschauung des Universums aus freier Willkür zum Zentralpunkt der Religion gemacht und alles darin auf sie bezogen wird. Dazu bedarf es großer Führer, aber auch eines weitverbreiteten Verlangens, das durch sie eine Befriedigung findet. Von hier aus erhält Schleiermacher die Aufgabe, bei den einzelnen Religionen zu zeigen, wie sich bei ihnen die Anschauung des Unendlichen eigentümlich darstellt und ihnen damit eine ausgeprägte Individualität verleiht. So zeigt er es beim Judentum, so namentlich eingehend beim Christentum. Die unmittelbare Anschauung des Christentums ist ihm »die des allgemeinen Entgegenstrebens alles Endlichen gegen die Einheit des Ganzen, und die Art, wie die Gottheit dieses Entgegenstreben behandelt, wie sie die Feindschaft gegen sich vermittelt und der größer werdenden Entfernung Grenzen setzt durch einzelne Punkte über das Ganze ausgestreut, welche zugleich Endliches und Unendliches, zugleich Menschliches und Göttliches sind. Das Verderben und die Erlösung, die Feindschaft und die Vermittlung, das sind die beiden unzertrennlich miteinander verbundenen Seiten dieser Anschauung, und durch sie wird die Gestalt alles religiösen Stoffs im Christentum und seine ganze Form bestimmt.«

Das Christentum

Durch die Fortdauer dieses Gegensatzes wird der durchgehende Charakter aller seiner religiösen Gefühle heilige Wehmut; diese Empfindung erfüllte auch den Stifter des Christentums, von dem Schleiermacher mit tiefster Empfindung und aufrichtiger Ehrfurcht ein ergreifendes Bild entwirft. Was in ihm an Grundanschauung hervorbrach, wie überhaupt die Grundanschauung jeder positiven Religion, ist an sich ewig, aber sie selbst und ihre ganze Bildung ist vergänglich. Veränderungen sind nicht nur möglich und statthaft, sondern bei dem Fortschritt der Menschheit unerläßlich: »Das große Werk der geistigen Schöpfung dauert noch fort«; eine solche Weiterbildung fordert Schleiermacher auch für die eigene Zeit, »welche so offenbar die Grenze ist zwischen zwei verschiedenen Ordnungen der Dinge«. Wiederholt weist er darauf hin, daß die große Umwälzung der Reformation das Dogma völlig unverändert gelassen hat.

Die hier der Religion gegebene Gestalt wird in den späteren Schriften weiterentwickelt, in der Grundrichtung aber festgehalten. Der Begriff der Anschauung tritt zurück vor dem des Gefühls, das Gefühl aber wird dahin vertieft, daß es nicht ein besonderes Seelenvermögen neben anderen bedeutet, sondern vielmehr die tiefste Wurzel alles Seelenlebens, das »unmittelbare Selbstbewußtsein«, die »ursprüngliche Einheit oder Indifferenz des Denkens und Wollens« bildet; nur im Gefühl scheint der Mensch der Welt unmittelbar verbunden zu sein und ihre Wirkungen ungetrübt aufzunehmen; die Religion aber entspringt aus dem Gefühl der unbedingten Abhängigkeit. Wie die Religion in dieser Fassung eine volle Selbständigkeit auch gegen die Philosophie besitzt, so entwickelt sie auch ihren eigenen Gedankenkreis, sie bringt nicht Behauptungen von der Welt, sondern Beschreibungen der frommen Gefühle, sie kann daher mit der Philosophie in keiner Weise zusammenstoßen. Auch in den späteren Werken, die einen engeren Zusammenhang mit dem geschichtlichen Christentum suchen, bleibt es dabei, daß die Religion ihre Größen nicht von draußen entlehnt, sondern sie bei sich selbst erzeugt. Wenn in der christlichen Glaubenslehre, dem größten systematischen Werke Schleiermachers, das Wesen der Frömmigkeit darin gesetzt wird, »daß wir uns unserer selbst als schlechthin abhängig oder, was dasselbe sagen will, als in Beziehung mit Gott bewußt sind,« so wird hinzugefügt, »wenn schlechthinige Abhängigkeit und Beziehung mit Gott in unserem Satze gleichgestellt wird, so ist dies so zu verstehen, daß eben das in diesem Selbstbewußtsein mitgesetzte Woher unseres empfänglichen und selbsttätigen Daseins durch den Ausdruck Gott bezeichnet werden soll, und dieses für uns die wahrhaft ursprüngliche Bedeutung desselben ist.« So ist dies Abhängigkeitsgefühl in keiner Weise durch ein vorhergehendes Wissen von Gott bedingt.