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Die Träger des deutschen Idealismus

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Vielleicht haben nach dieser Richtung die Jugenderfahrungen Fichtes mitgewirkt, jedenfalls bekundet die Wärme, die er gerade bei diesen Fragen zeigt, wie sehr sie seine Seele bewegen.

Wir werden sehen, wie diese Richtung ihn später zu einem eigentümlichen Staatsideal geführt hat, müssen aber zunächst einer durchgehenden Verschiebung seiner Denkart gedenken, die keineswegs einen Abfall von seiner Hauptrichtung bedeutete, die aber eine Seite an ihr vor der anderen mehr hervortreten ließ. Mit ganzer Kraft erfaßt Fichte Freiheit und Selbsttätigkeit als die höchsten Güter, ja als die einzig wahren Güter. Aber diese Freiheit war ihm nicht eine Eigenschaft des bloßen Menschen, sondern des Menschen als eines Trägers der Vernunft, als eines Gliedes des Reiches der Freiheit; die Vernunft aber ist etwas Ganzes und Gemeinsames, so schließt das Streben nach Vernunft auch die Sorge für das Ganze und Gemeinsame ein. Daher konnte er sagen, der moralische Endzweck jedes vernünftigen Wesens sei Selbständigkeit der Vernunft überhaupt, sei Moralität aller vernünftigen Wesen. So konnte es schon in dieser ersten Epoche heißen: »Die wahre Tugend besteht im Handeln, im Handeln für die Gemeine, wobei man sich selbst gänzlich vergesse.«

Der Vorwurf des Atheismus

Diese Gemeinsamkeit der Vernunft, ihre Einheit, sowie das Angewiesensein jedes Einzelnen darauf, hob sich aber noch weit mehr hervor, seit Fichte sich in heftigen Kämpfen gegen den Vorwurf des Atheismus zu verteidigen hatte. Fichte war im Grunde seines Wesens eine tiefreligiöse Natur, er hatte durch sein ganzes Leben einen festen Glauben an eine unmittelbare Leitung seiner Geschicke durch eine Vorsehung. Aber er begründete und entwickelte seine Überzeugungen mit philosophischer Freiheit nach eigener Art, und diese Art konnten Fernerstehende oder gar unfreundlich Gesinnte leicht mißdeuten. Ihm war das Göttliche die moralische Ordnung, die wir annehmen müssen, er lehrte aber in dieser Epoche kein besonderes Wesen als die Ursache jener Weltordnung. Das klang wie Atheismus, war es aber im Zusammenhange seiner Gedankenwelt nicht, da er überhaupt kein Sein jenseits der Tätigkeit gelten ließ, sondern es ganz in diese aufnahm. Er wollte nicht die Seele leugnen, wenn er sagte: »Deine Seele ist nichts als dein Denken, Begehren, Fühlen selbst«; so wollte er auch nicht die Gottheit leugnen, wenn er sagte: »Gott ist nichts als das notwendig anzunehmende Schaffen, Erhalten, Regieren selbst.« Aber das Mißverständnis war erklärlich, und Fichte hatte harte Angriffe abzuwehren. Solche Abwehr führte aber dazu, früher im Hintergrunde stehende Überzeugungen mehr hervorzukehren und damit, wenn auch unbewußt, eine Verschiebung zu vollziehen. Mit höchster Energie verficht er von nun an die Überlegenheit des Gottesgedankens. »Die übersinnliche Welt ist unser Geburtsort und unser einziger fester Standpunkt, die sinnliche Welt ist nur der Widerschein der ersteren. Du glaubst nicht an Gott, weil du an die Welt glaubst, du erblickst vielmehr eine Welt lediglich darum, weil du an Gott zu glauben bestimmt bist.« In diesem Zusammenhange fällt auch das Wort, die Welt sei nur das »versinnlichte Materiale unserer Pflicht«. So sehr er daran festhält, daß Moralität und Religion eins sind, beides ein Ergreifen eines Übersinnlichen, das erste durch Tun, das zweite durch Glauben, so wird ihm Gott doch mehr als eine moralische Ordnung, er erscheint als »selbsttätige Vernunft«, auch als Wille, in dem unser Wille wirkt, und von dem die Stimme des Gewissens kommt; es entwickelt sich damit weit mehr ein persönliches Verhältnis, eine Hingebung an die höhere Macht, ein Voranstellen der Liebe vor das Handeln, eine weichere und innigere Gemütsstimmung. So entsteht eine moderne Mystik und findet in der Anweisung zum seligen Leben einen glutvollen Ausdruck. Das menschliche Leben erscheint hier als vom göttlichen getragen, das unmittelbar in der Seele gegenwärtig ist, das aber ergriffen und angeeignet werden muß, wenn der Mensch vollen Anteil an göttlicher Liebe und Seligkeit gewinnen will. Der Zustand der Seligkeit aber ist für Fichte nichts anderes als die Zurückziehung unsrer Liebe aus dem Mannigfaltigen auf das Eine. Diese Seligkeit sollen wir ja nicht erst im Jenseits suchen und damit die Religion in ein bloßes Harren und Hoffen verwandeln, da uns das Göttliche nie näher kommt als es schon hier und heute ist. »Durch das bloße Sichbegrabenlassen kommt man nicht in die Seligkeit.« Die Religion erhebt ihren Jünger unmittelbar über die Zeit und Vereinzelung und versetzt ihn in den Besitz der ewigen Einheit. So heißt es denn:

Das Ewig-Eine

Das Ewig-Eine
 
Lebt mir im Leben, sieht in meinem Sehen.
Gar klar die Hülle sich vor dir erhebet,
Dein Ich ist sie; es sterbe was vernichtbar,
Und fortan lebt nur Gott in deinem Streben.
Durchschaue was dies Sterben überlebet,
So wird die Hülle dir als Hülle sichtbar,
Und unverschleiert siehst du göttlich Leben.
 

Eine Religion, die so auf das Grundmenschliche, einem jeden in innerer Erhebung unmittelbar Zugängliche gerichtet ist, kann sich nicht auf historische Daten und auf sinnliche Wunder stützen. Mit vollem Eifer dringt Fichte darauf, daß die Anerkennung der höheren Welt unabhängig gemacht werde vom historischen Glauben und von der Gemütslage der einzelnen Menschen. Selig, so meint er, macht nicht das Historische, sondern nur das Metaphysische. Beides sei deutlich auseinandergehalten. »Man sage nicht, was schadets, wenn auch auf dieses Historische gehalten wird. Es schadet, wenn Nebensachen in gleichen Rang mit der Hauptsache gestellt oder wohl gar für die Hauptsache ausgegeben, und diese dadurch unterdrückt und die Gewissen geängstigt werden, zu begreifen und zu glauben, was sie unter solcher Anweisung nimmermehr glauben können.« Gewiß ist echter Religion das Wunder unentbehrlich, aber der Denker kann dieses nicht in einmaligen geschichtlichen Ereignissen, sondern nur in fortlaufenden Bekundungen göttlichen Lebens finden. »Diese Wunder in der Sinnenwelt (vom Himmel) leugne ich entschieden, lehrend übrigens einen lebendigen und wirkenden Gott in der Geisterwelt. Daß er allen, die zu ihm sich nahen, ein neues Herz schafft, ist sein ewiges großes Wunder.«

Das Bild, das Fichte aus solchen Überzeugungen vom Stande der Menschheit entwirft, kann nicht wohl günstig sein. Freilich hat er es immer abgelehnt, den Menschen als von Natur verderbt, als einen ganz und gar auf übernatürliche Rettung angewiesenen Sünder zu betrachten, aber wenn er ihn nach seinen Maßstäben mißt, so findet er ihn matt, träge, schwankend, überall zur Halbheit und Bequemlichkeit geneigt, in weitem Abstand von dem, was die Idee der Menschheit fordert. Den Glauben an diese Idee kann ihm aber alle Unzulänglichkeit des vorgefundenen Standes nicht im mindesten erschüttern. »Von der unmittelbaren Wirklichkeit kann man oft nicht schlecht genug denken. So niedrig man oft ihr Bild nimmt, so übertrifft es doch die Erfahrung. Wer aber von der Menschheit nach ihrem allgemeinen Vermögen schlecht denkt, der lästert die Vernunft und verurteilt nebenbei sich selbst.« Auch an der eigenen Zeit findet Fichte wenig Gefallen. Sie läßt, wie er meint, nur die sinnliche Existenz der Individuen gelten, macht das Verständnis dieser zum Maßstab aller Wahrheit und entbehrt lebendiger und belebender Leitgedanken. Vor trübem Verzagen aber schützt unsern Denker nicht nur seine prinzipielle Überzeugung, sondern auch seine Fassung der Geschichte. Er glaubt nämlich in ihr eine aller Irrung der einzelnen überlegene Bewegung zu finden, eine Bewegung zu dem Ziel, daß die Menschheit alle ihre Verhältnisse mit Freiheit nach der Vernunft einrichte, daß sie sich in Freiheit zu dem mache, worauf die Natur sie angelegt hat. Eine derartige Bewegung sucht er in ihren Hauptzügen näher aufzuweisen. Sie begann mit einem Unschuldsstande; dieser mußte zugunsten der Freiheit verlassen werden; die nächste Betätigung dieser war ein Abfall, aber aus ihm ringt der Mensch sich wieder empor, um dann in unablässigem Fortschritt jenes Ziel einer freien Vernunft zu erreichen. Auch das Ideal eines ewigen Friedens wird in solche Hoffnung eingeschlossen.

Die Bestimmung des Menschen

Ein Gesamtbild des menschlichen Lebens entwirft Fichte in der Schrift: »Die Bestimmung des Menschen«, die sich nicht an Fachphilosophen wendet, sondern Leser aller Kreise anziehen, erwärmen und »kräftig von der Sinnlichkeit zum Übersinnlichen fortreißen« möchte. In schwungvoller, bisweilen ans Rhetorische streifender Darstellung wird hier zunächst der Gegensatz eines an die gegebene Welt gebundenen Spinozismus und einer Lebensführung aus Selbsttätigkeit vor Augen gestellt, dann aber ein Überblick des Lebens von der letzteren Überzeugung aus gegeben.

Dem Spinozismus entsteht und entwickelt sich auch der Denkende nach Naturgesetzen, die Freiheit ist bloßer Schein, »der Tugendhafte ist eine edle, der Lasterhafte eine unedle und verwerfliche, jedoch aus dem Zusammenhange des Universums notwendige Natur«. Der Freiheitslehre aber gilt die Überzeugung: »Von dem Bedürfnis des Handelns geht das Bewußtsein der wirklichen Welt aus, nicht umgekehrt vom Bewußtsein der Welt das Bedürfnis des Handelns; dieses ist das erste, nicht jenes, jenes ist das Abgeleitete. Wir handeln nicht, weil wir erkennen, sondern wir erkennen, weil wir zu handeln bestimmt sind, die praktische Vernunft ist die Wurzel aller Vernunft.« Aus dem übersinnlichen Wesen des Menschen schöpfen wir nicht nur Mut und Kraft für das Leben, sondern auch eine felsenfeste Überzeugung von unserer Unsterblichkeit. »Aller Tod in der Natur ist Geburt, und gerade im Sterben erscheint sichtbar die Erhöhung des Lebens. Es ist kein tötendes Prinzip in der Natur, denn die Natur ist durchaus lauter Leben, nicht der Tod tötet, sondern das lebendigere Leben, welches, hinter dem alten verborgen, beginnt und sich entwickelt. Tod und Geburt ist bloß das Ringen des Lebens mit sich selbst, um sich stets verklärter und ihm selbst ähnlicher darzustellen.«

 

Der geschlossene Handelsstaat

Auch die spätere Epoche Fichtes zeigt im einzelnen manche Bewegung, doch müssen wir uns hier auf das beschränken, was das politische und nationale Leben betrifft. Hier sind Wandlungen besonders greifbar, es erfolgt dabei eine immer weitere Entfernung von dem Rechts- und Freiheitsstaat des Anfangs, freilich unter entschiedener Wahrung der Selbsttätigkeit und des gleichen Rechtes aller Menschen. Eine merkwürdige Erscheinung ist zunächst »der geschlossene Handelsstaat« (1800), der das ganze wirtschaftliche Leben der Menschen auf eine neue Grundlage stellen und damit eine wesentliche innere Hebung des Ganzen herbeiführen möchte. Gleich zu Anfang äußert Fichte sich dahin, die Zurückweisung des falschen Satzes, der Staat sei unumschränkter Vormünder der Menschheit für alle ihre Angelegenheiten, habe zu einem ebenso falschen Gegensatze geführt, zu einer zu engen Beschränkung der Pflichten und der Rechte des Staates. Im besonderen genüge es nicht, daß der Staat einen jeden in seinem Eigentum schütze, er müsse vielmehr zuerst dafür sorgen, daß jeder ein Eigentum habe; dann erst könne er ihn darin schützen. Fichte erklärt es für den wahren Zweck des Staates, allen zu demjenigen zu verhelfen, was ihnen als Teilhabern der Menschheit gehört, es gehört dazu aber nach seiner durchgehenden Überzeugung ein gewisses Eigentum, sowie auch das Recht, so echt menschlich auf der Erde zu leben, als es die Natur nur irgend gestattet. »Der Mensch soll arbeiten; aber nicht wie ein Lasttier, das unter seiner Bürde in den Schlaf sinkt und nach der notdürftigsten Erholung der erschöpften Kraft zum Tragen derselben Bürde wieder aufgestört wird. Er soll angstlos, mit Lust und mit Freudigkeit arbeiten und Zeit übrig behalten, seinen Geist und sein Auge zum Himmel zu erheben, zu dessen Anblick er gebildet ist. Er soll nicht gerade mit seinem Lasttier essen, sondern seine Speise soll von desselben Futter, seine Wohnung von desselben Stalle sich ebenso unterscheiden, wie sein Körperbau von jenes Körperbau unterschieden ist. Dies ist sein Recht, darum weil er nun einmal ein Mensch ist.« So ist es Fichte, der aus der hohen Schätzung, welche der deutsche Idealismus dem Menschen als Menschen zollt, auch die sozialen Konsequenzen zieht.

Organisation der Arbeit

Das Mittel aber, das Fichte zur Erreichung jenes Zweckes für notwendig hält, bezeichnet schon der Titel der Schrift »Der geschlossene Handelsstaat«. Der Denker möchte die verschiedenen Staaten wirtschaftlich ganz auf sich selber stellen, den einzelnen Bürgern einen Handel mit dem Ausland streng verbieten, ein Landesgeld einführen, das nur innerhalb des besonderen Staates gilt; weiter will er innerhalb der Staaten die Arbeit organisieren, der Staat soll ihre Verteilung gewissenhaft überwachen und sowohl dafür sorgen, daß ein Gleichgewicht zwischen Produktion und Konsumtion erhalten bleibt, als auch dafür, daß jeder einzelne den ihm zukommenden Besitz erhält und ein menschenwürdiges Auskommen findet.

In diesem Zusammenhange wird eine Forderung erhoben, für die wir Deutschen gerade in der gegenwärtigen Kriegslage ein entgegenkommendes Verständnis haben. Fichte verlangt nämlich zur vollen Unabhängigkeit des Landes, daß möglichst alle notwendigen Waren innerhalb seiner Grenzen hervorgebracht werden, er fordert uns auf, wenn gewisse Rohstoffe sich nicht in unserem Klima erzeugen lassen, stellvertretende Stoffe anzubauen und zu veredeln. »Fast jedes Klima hat seine eigenen Stellvertreter für jedes ausländische Produkt, nur daß der erste Anbau die Mühe nicht lohnt.« So hält er z. B. einen Ersatz für Baumwolle für ganz wohl möglich. »Tragen nicht mehrere Grasarten, Stauden, Bäume in unseren Klimaten eine wohl ebenso feine und durch Kultur sehr zu veredelnde Wolle?« Wir wissen, wie dies Problem auch die Gegenwart beschäftigt; was Fichte überhaupt erstrebt, die Herstellung einer vollen wirtschaftlichen Selbständigkeit unseres Staates, das zu suchen hat uns die Not des Krieges gezwungen.

Fichte kann die Staaten nicht so scharf gegen einander abschließen, ohne daß auch die Frage eines eigentümlichen Nationalcharakters auftaucht. Das Bedenken, daß durch solche gegenseitige Abschließung die Vielseitigkeit der Bildung Schaden leide, weist er energisch zurück. »Wohl: wenn wir nur erst Völker und Nationen wären, und irgendwo eine feste Nationalbildung vorhanden wäre, die durch den Umgang der Völker miteinander in eine allseitige, rein menschliche übergehen und zusammenschmelzen könnte. Aber, so wie mir es scheint, sind wir über dem Bestreben, alles zu sein und allenthalben zu Hause, nichts recht und ganz geworden und befinden uns nirgends zu Hause.« Das stimmt zu dem Bilde, das Frau v. Staël in ihrem Buch über Deutschland von den Deutschen jener Zeit entwarf. Auch sie meinte, der Deutsche kenne alle Zeiten, nur nicht die Gegenwart, er sei überall zu Hause, nur nicht bei sich selbst.

Fichte erwartet übrigens zuversichtlich vom Allgemeinwerden des vorgeschlagenen Systems einen ewigen Frieden zwischen den Völkern, da sie sich dann gegenseitig gar nicht mehr stören würden. Für einen inneren Zusammenhang der Menschheit aber wird die Wissenschaft Sorge tragen. »Es gibt nichts, das allen Unterschied der Lage und der Völker rein aufhebe und bloß und lediglich dem Menschen als solchen, nicht aber dem Bürger angehöre, außer der Wissenschaft. Durch diese, aber auch nur durch sie, werden und sollen die Menschen fortdauernd zusammenhängen, nachdem für alles übrige ihre Absonderung in Völker vollendet ist. Nur diese bleibt ihr Gemeinbesitz, nachdem sie alles übrige unter sich geteilt haben.«

Wie weit hat sich hier der Denker von dem Rechts- und Freiheitsstaat des Anfangs entfernt! Die Sorge, daß jeder einzelne zur Entfaltung seiner Kräfte und zu einem menschenwürdigen Dasein gelange, überwiegt augenscheinlich die um die Freiheit seiner Bewegung.

Die Wendung zum Kulturstaat

In anderer Richtung erscheint bei Fichte eine Wendung zum Kulturstaat, so namentlich in den »Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters«, die bis nahe zu der politischen Katastrophe von 1806 reichen, und deren Fortsetzung ursprünglich die Reden an die deutsche Nation bilden sollten. Mit größter Energie werden hier Selbstsucht und Eigensinn der Individuen bekämpft, ihnen gegenüber wird die Gattung für das einzig wahrhaft Existierende erklärt. »Individuen verschwinden vollends vor dem Blick des Philosophen und fallen ihm alle zusammen in die Eine große Gemeine.« »Es gibt nur Eine Tugend, die, sich selber als Person zu vergessen, und nur Ein Laster, das, an sich selbst zu denken.« Solche Schätzung der Gattung bringt auch eine größere Schätzung der Geschichte mit sich, als wir bisher bei Fichte fanden; hier erscheinen die Menschen als durch die Arbeit früherer Zeiten gebildet. »Alles Große und Gute, worauf unsere gegenwärtige Existenz sich stützt, ist lediglich dadurch wirklich geworden, daß edle und kräftige Menschen allen Lebensgenuß für Ideen aufgeopfert haben, und wir selber mit allem, was wir sind, sind das Resultat der Aufopferung aller früheren Generationen und besonders ihrer würdigsten Mitglieder.«

Nunmehr erscheint der Staat nicht mehr als ein »fast nur juridisches Institut«, nunmehr erscheint er nicht »als auf Individuen beruhend und aus ihnen zusammengesetzt, er ist ein unsichtbarer Begriff, nicht die Einzelnen, sondern ihr fortdauerndes Verhältnis zu einander«. Als die Aufgabe des Staates wird hier die Richtung aller individuellen Kräfte auf den Zweck der Gattung erklärt, dieser aber ist »Kultur« als »Einrichtung aller Verhältnisse nach dem Vernunftgesetz«. Die Individualität hat in dem vollkommenen Staate ganz in die Gattung aufzugehen, aber ein jeder erhält seinen Beitrag zur allgemeinen Kraft durch die Kraft aller übrigen verstärkt zurück. Doch ist das nicht so zu verstehen, daß der Staat alle Kulturarbeit direkt auf sich nehmen solle, sondern es handelt sich mehr um die Herstellung der Bedingungen für eine freie Erzeugung der Vernunft; ausdrücklich wird erklärt, daß die »höheren Zwecke der Vernunftkultur: Religion, Wissenschaft, Tugend«, nie Zwecke des Staates werden können. Auch hier wird von dem Kriege noch mit großer Abneigung gesprochen, es heißt dabei: »Krieg ist nicht nur, wenn Krieg geführt wird, sondern die allgemeine Unsicherheit aller vor allen und die daraus erfolgende immerwährende Bereitschaft zum Kriege ist auch Krieg und hat für das Menschengeschlecht fast dieselben Folgen als der geführte Krieg.« Daß der ewige Friede endlich »einmal kommen muß«, wird hier zuversichtlich erwartet.

Weltbürgersinn

Wie kühl sich der hier verfochtene Kulturstaat zur Nation und zum Volkstum verhält, das zeigen die Worte dieser Schrift: »Welches ist denn das Vaterland des wahrhaft ausgebildeten Europäers? Im allgemeinen ist es Europa, insbesondere ist es in jedem Zeitalter derjenige Staat in Europa, der auf der Höhe der Kultur in Europa steht.« Es wird dann ausgeführt, wie Staaten sinken und steigen, wie aber den Denkenden auch ein Sinken seines Staates nicht erschrecken könne. »Mögen dann doch die Erdgeborenen, welche in der Erdscholle, dem Flusse, dem Berge ihr Vaterland erkennen, Bürger des gesunkenen Staates bleiben; sie behalten, was sie wollten und was sie beglückt: der sonnenverwandte Geist wird unwiderstehlich angezogen werden und hin sich wenden, wo Licht ist und Kraft. Und in diesem Weltbürgersinne können wir dann über die Handlungen und Schicksale der Staaten uns vollkommen beruhigen für uns selbst und für unsere Nachkommen bis an das Ende der Tage.«

Ein so abstrakter Kosmopolitismus beherrschte damals die Höhe des deutschen Geisteslebens; kann irgend etwas zwingender als dieses Beispiel beweisen, daß die große Katastrophe unerläßlich war, daß das deutsche Volk erst durch die Schule des Leidens gehen mußte, um sich selber zu finden?

Die Reden an die deutsche Nation

Als die Katastrophe kam, hat Fichte nicht nach jenen Worten gehandelt, er hat aufs treueste zu seinem Volke gestanden, er hat die allgemeine Not als seine persönliche erlebt und empfunden, er hat sich aber nicht mit Klagen und Jammern begnügt, sondern er ist ungebeugten Muts sofort an das heilige Werk gegangen, sein Volk wieder aufzurichten, er ist ihm in Wahrheit ein fester Halt und ein weitschauender Führer geworden. Seine Reden an die deutsche Nation verkörpern wohl aufs beste die Gesinnungen und die Überzeugungen, welche damals die aufstrebenden Seelen durchwogten; auch hat hier wohl zuerst der nationale Gedanke eine prinzipielle philosophische Begründung erhalten.

So sehr die Reden sich an die unmittelbare Gegenwart wenden, sie bekunden durchaus die Art unseres Denkers, auf die tiefsten Wurzeln zurückzugehen und von innen her aufzubauen. Das entscheidende Heilmittel sieht er in einer gänzlichen Veränderung des bisherigen Erziehungswesens. Es gilt mehr Bildung des Willens und des Charakters, mehr Bildung in der Gemeinschaft und für die Gemeinschaft, es gilt die Herstellung einer Nationalerziehung nicht für einzelne Stände, sondern für alle miteinander, so daß auch der Gelehrte durch diese Nationalerziehung hindurchgehen muß. Der Zögling ist dabei in unablässige Tätigkeit zu versetzen, die Selbstsucht schon im Keim auszurotten, alles dunkle Gefühl in Erkenntnis aufzulösen, das Erkenntnisvermögen aber nie anzuregen, ohne auch Liebe für den Gegenstand des Erkennens zu erwecken. Eine derartige Umwälzung der Erziehung ist nicht von den Familien, im besonderen den Müttern, zu erwarten; so müssen die Kinder von ihnen entfernt und Erziehungsanstalten überwiesen werden. Solche Forderung der Nationalerziehung durchzuführen ist an erster Stelle der Staat berufen, so fällt ihm hier eine neue Aufgabe zu und läßt ihn als unentbehrlich für die höchsten Ziele der Menschheit erscheinen. Entschieden tritt Fichte hier denen entgegen, welche durch eine bloß literarische Bildung die Erhaltung der Nation gesichert glaubten.

Bei allem schroffen Radikalismus enthalten diese Erziehungsgedanken ohne Zweifel wertvolle Anregungen, die teilweise von Friedrich Fröbel weitergeführt worden sind, und die uns auch heute noch manches zu denken geben. Aber nicht dabei können wir hier verweilen, uns muß im besonderen die Fassung und die Begründung der nationalen Idee beschäftigen, welche diese Reden bringen. Es ist ein streng geschlossener Gedankengang, in dem Fichte sowohl die Bedeutung der Nation überhaupt als seine Schätzung des deutschen Volkes und seinen Glauben an dessen Weltaufgabe entwickelt und rechtfertigt; die einzelnen Punkte sind dabei folgende:

 

1. Der Mensch kann nichts wahrhaft lieben, das er nicht als ewig erfaßt;

2. unter normalen Verhältnissen ist eine Ewigkeit nicht erst im Jenseits, sondern schon auf Erden zu suchen;

3. eine irdische Ewigkeit als dauerndes Fortwirken in der Zeit gibt dem Menschen allein sein Volk, seine Nation, als eine eigentümliche Verkörperung und Befestigung des allgemeinen Geisteslebens;

4. das deutsche Volk hat eine solche ausgeprägte Nationalität, und zwar eine von höchster Bedeutung, ja Unentbehrlichkeit für das Ganze der Menschheit;

5. solche Unentbehrlichkeit gibt das feste Vertrauen auf eine Überwindung aller Gefahren und ein siegreiches Auferstehen der deutschen Nation.

Zur näheren Ausführung dieser Punkte sei folgendes bemerkt. Die Unentbehrlichkeit eines Ewigen für unser Leben und Streben begründet Fichte in folgender Weise: »Die Liebe, die wahrhaftig Liebe sei und nicht bloß eine vorübergehende Begehrlichkeit, haftet nie auf Vergänglichem, sondern sie erwacht und entzündet sich und ruht allein in dem Ewigen. Nicht einmal sich selbst vermag der Mensch zu lieben, es sei denn, daß er sich als Ewiges erfasse; außerdem vermag er sich sogar nicht zu achten noch zu billigen. Noch weniger vermag er etwas außer sich zu lieben, außer also, daß er es aufnehme in die Ewigkeit seines Glaubens und seines Gemüts, und es anknüpfe an diese.«

Ewigkeit der Nation

Eine solche Ewigkeit dürfen wir aber nicht erst jenseits des Grabes suchen. Denn wenn in besonderen Wendepunkten der Zeiten die Religion das Recht und die Pflicht hat, den Menschen gänzlich über das irdische Leben hinauszuheben, so bleibt »der natürliche, nur im wahren Falle der Not aufzugebende Trieb des Menschen der, den Himmel schon auf dieser Erde zu finden und Ewigdauerndes zu verflößen in sein irdisches Tagewerk, das Unvergängliche im Zeitlichen selbst zu pflanzen und zu erziehen«. Wohl ist die Religion auch der Trost des widerrechtlich zerdrückten Sklaven, aber vor allen Dingen ist dies religiöser Sinn, daß man sich gegen die Sklaverei stemme, und, so man es verhindern kann, die Religion nicht bis zum bloßen Troste der Gefangenen hinabsinken lasse.

Eine Ordnung der Dinge aber, die fähig wäre, auf dieser Erde Ewiges in sich aufzunehmen, ist die besondere geistige Natur der menschlichen Umgebung, aus welcher der Einzelne mit allem seinem Denken und Tun und mit dem Glauben an die Ewigkeit desselben hervorgegangen ist, das Volk, von welchem er abstammt, und unter welchem er gebildet wurde, und zu dem, was er jetzt ist, heraufwuchs. So gründet sich »der Glaube des edlen Menschen an die ewige Fortdauer seiner Wirksamkeit auch auf dieser Erde auf die Hoffnung der ewigen Fortdauer des Volkes, aus dem er selber sich entwickelt hat, und der Eigentümlichkeit desselben. – Diese Eigentümlichkeit ist das Ewige, dem er die Ewigkeit seiner selbst und seines Fortwirkens anvertraut, die ewige Ordnung der Dinge, in die er sein Ewiges legt; ihre Fortdauer muß er wollen, denn sie allein ist ihm das entbindende Mittel, wodurch die kurze Spanne seines Lebens hienieden zu fortdauerndem Leben hienieden ausgedehnt wird. – Das Leben, bloß als Leben, als Fortsetzen des wechselnden Daseins hat für ihn ja ohnedies nie Wert gehabt, er hat es nur gewollt als Quelle des Dauernden; aber diese Dauer verspricht ihm allein die selbständige Fortdauer seiner Nation; um diese zu retten, muß er sogar sterben wollen, damit diese lebe, und er in ihr lebe das einzige Leben, das er von jeher gemocht hat.«

Das Volk des Gemütes

Und nun das deutsche Volk! Fichte ist der erste, der es das Volk des Gemütes genannt hat. In dem, was er dafür an Beweisen anführt, mag manches angreifbar sein, so namentlich seine Erörterungen über die Sprache, aber im Grundgedanken trifft er gewiß den Kern der Sache. Er findet die Größe des deutschen Volkes in der vollen Ursprünglichkeit seines Schaffens, in dem Leben und Wirken von innen heraus, in dem Bewegen der letzten Tiefen. Aus solcher Art »wird der deutsche Geist neue Schachten eröffnen, und Licht und Tag einführen in ihre Abgründe, und Felsmassen von Gedanken schleudern, aus denen die künftigen Zeitalter sich Wohnungen erbauen.«

Als Zeugnisse solcher Innerlichkeit nennt er die deutsche Behandlung der Religion mit ihrer tiefernsten Sorge für die Rettung der Seelen. Dabei hat er besonders Luther vor Augen, den er weniger konfessionell als in seiner reinmenschlichen Größe faßt. Ihm widmet er folgende Worte: »Ihn ergriff ein allmächtiger Antrieb, die Angst um das ewige Heil, und dieser ward das Leben in seinem Leben, und setzte immerfort das Letzte in die Wage und gab ihm die Kraft und die Gaben, die die Nachwelt bewundert. Mögen andere bei der Reformation irdische Zwecke gehabt haben, sie hätten nie gesiegt, hätte nicht an ihrer Spitze ein Anführer gestanden, der durch das Ewige begeistert wurde; daß dieser, der immerfort das Heil aller unsterblichen Seelen auf dem Spiel stehen sah, allen Ernstes allen Teufeln in der Hölle furchtlos entgegenging, ist natürlich und durchaus kein Wunder. Dies ist nun ein Beleg von deutschem Ernst und Gemüt.«

Ein anderes Zeugnis liefert die deutsche Philosophie mit ihrem Verlangen, die Wirklichkeit von innen her zu verstehen und den Menschen über das sinnliche Dasein hinauszuheben. Denn »wo selbständiger deutscher Geist sich regte, da genügte das Sinnliche nicht, sondern es entstand die Aufgabe, das, freilich nicht auf fremdes Ansehen zu glaubende, Übersinnliche in der Vernunft selbst aufzusuchen und so erst eigentliche Philosophie zu erschaffen, indem man das freie Denken zur Quelle unabhängiger Wahrheit machte«. Dafür beruft er sich auf Leibniz wie auf Kant, dahin rechnet er auch sein eigenes Streben. – Als weiteres Zeugnis wird die Blüte des deutschen Bürgertums in den Reichsstädten des Mittelalters angeführt, das somit, hier wohl zuerst, auch die Schätzung eines Philosophen findet. Indem er endlich die Hauptaufgabe der eignen Zeit in die Erziehung der Nation zum Menschen setzt, darf er sich auf Pestalozzi als auf ein leuchtendes Vorbild deutscher Gesinnung und deutscher Art berufen. »Er hat ein mühevolles Leben hindurch im Kampfe mit allen möglichen Hindernissen – gerungen nach einem bloß geahnten, ihm selbst durchaus unbewußten Ziele, aufrechtgehalten und getrieben durch einen unversiegbaren und allmächtigen und deutschen Trieb, die Liebe zu dem armen verwahrlosten Volke.«

Die Nation als Glied der Menschheit

Ein Volk, das solche Gaben und Aufgaben in sich trägt, ist der Menschheit unentbehrlich, es kann und wird nicht untergehen. Aber die Geschicke vollziehen sich nicht ohne uns und unser Wirken, es bedarf, mit solcher Mahnung schließt Fichte die Reden, unserer eigenen höchsten Kraftanspannung, um die drohenden Gefahren zu überwinden. »Ist in dem, was in diesen Reden dargelegt worden, Wahrheit, so seid unter allen neueren Völkern ihr es, in denen der Keim der menschlichen Vervollkommnung am entschiedensten liegt und denen der Vorschritt in der Entwicklung derselben aufgetragen ist. Gehet ihr in dieser eurer Wesenheit zugrunde, so gehet mit euch zugleich alle Hoffnung des gesamten Menschengeschlechtes auf Rettung aus der Tiefe seiner Übel zugrunde.« Eine solche Aufforderung trägt bei allem Ernst in sich unmittelbar die Gewißheit ihrer Erfüllung. Klar ist dabei, daß Fichte die Nation stets als Glied der Menschheit faßte, wie er denn auch in der Wendung zum Nationalen das Weltbürgertum keineswegs aufgab, und daß er in der Nation weniger einen fertigen Besitz als eine große Aufgabe sah. Ein hochmütiger, dabei träger Rassendünkel liegt ihm, der alles auf Tat und eigenes Erringen stellt, so fern wie nur irgend möglich.