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Die Träger des deutschen Idealismus

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Das Verlangen einer Ordnung der menschlichen Verhältnisse aus der Idee der Gerechtigkeit hat Kant auch auf das Verhältnis der Völker ausgedehnt und auch für die äußere Politik eine Leitung durch die Idee des Rechts verlangt. Hier stößt er besonders hart mit den Durchschnittsverhältnissen und auch mit den Durchschnittsmeinungen zusammen, aber hier zeigt er auch besonders deutlich die unbeugsame Festigkeit seiner Überzeugung, sein Vermögen, unbeirrt durch allen Widerspruch mit ruhiger Kraft den eigenen Weg zu verfolgen. Mit größter Energie tritt er dafür ein, daß nie das Recht der Politik, wohl aber die Politik jederzeit dem Rechte angepaßt werde. Was eine vom Rechte absehende Politik an äußeren Vorteilen etwa gewinnen lassen kann, das wiegt nach seiner Überzeugung weitaus nicht den Schaden auf, der aus der Geringachtung dessen hervorgeht, was dem menschlichen Leben allein einen Wert zu geben vermag. Wohl ist, so meint er, Ehrlichkeit nicht immer die beste Politik, aber sie ist besser als alle Politik. Politiker, die nur auf den Erfolg ausgehen und sich dabei ihrer Menschenkenntnis rühmen, mögen die Menschen kennen, nicht aber kennen sie den Menschen und was aus ihm gemacht werden kann.

Der ewige Friede

Aus solchem Zusammenhange ist auch die Schrift vom ewigen Frieden zu verstehen, der das 18. Jahrhundert von früh an beschäftigt hatte, der aber von Kant mit besonderem Nachdruck vertreten wird. Er entwickelt diesen Gedanken nicht bloß in jener Schrift, er verficht ihn eifrig auch sonst, er erklärt dabei den Krieg als »das größte Hindernis des Moralischen«, er stellt die Forderung, den Krieg erstlich nach und nach menschlicher zu gestalten, ihn darauf seltener zu machen, ihn endlich als Angriffskrieg ganz verschwinden zu lassen.

Sein Ideal ist ein »allgemeiner Staatenverein (analogisch mit dem, wodurch ein Volk Staat wird)«, nur er vermöge einen wahren Friedensstand herbeizuführen. Die Schwierigkeiten dessen entgehen Kant freilich nicht, in seiner Rechtslehre führte ihn ihre Erwägung sogar dahin, den ewigen Frieden eine »unausführbare Idee« zu nennen. Aber er bleibt ihm doch das letzte Ziel des ganzen Völkerrechts, und für ausführbar erklärt er die »politischen Grundsätze, die darauf abzwecken, nämlich solche Verbindungen der Staaten einzugehen, als zur kontinuierlichen Annäherung zu denselben dienen«. An einer anderen Stelle erklärt er, der ewige Friede sei »keine leere Idee, sondern eine Ausgabe, die, nach und nach aufgelöst, ihrem Ziele (weil die Zeiten, in denen gleiche Fortschritte geschehen, hoffentlich immer kürzer werden) beständig näher kommt«.

Beim Fortschrittsgedanken, der uns hier begegnet, ist Kants Stellung eigentümlich genug. Seine Geringschätzung der moralischen Beschaffenheit des Menschen, namentlich seine Überzeugung von der tiefen Wurzel des Übels, macht es ihm schwer, einen Fortschritt anzunehmen, spricht er doch von einem »traurigen Anblick, nicht sowohl der Übel, die das menschliche Geschlecht aus Naturursachen drücken, als vielmehr derjenigen, welche die Menschen sich untereinander selbst antun«. So erklärt er es für unmöglich, daß der Fortschritt zum Besseren »durch den Gang der Dinge von unten hinauf« erfolge. Andererseits kann er nicht auf den Fortschritt gänzlich verzichten, da ohne eine Hoffnung besserer Zeiten »eine ernstliche Begierde, etwas dem allgemeinen Wohl Ersprießliches zu tun, nie das menschliche Herz erwärmt hätte«. So müssen wir notwendig auf einen Fortschritt zum Besseren hoffen, aber er ist nicht sowohl von dem zu erwarten, was wir tun, »sondern von dem, was die menschliche Natur in und mit uns tun wird, um uns in ein Gleis zu nötigen, in welches wir uns von selbst nicht leicht fügen würden. Denn von ihr, oder vielmehr (weil höchste Weisheit zur Vollendung dieses Zweckes erfordert wird) von der Vorsehung allein können wir einen Erfolg erwarten, der aufs Ganze und von da auf die Teile geht.« Ähnlich sagt Kant an einer anderen Stelle, daß die Hoffnung des »Fortschreitens nur in einer Weisheit von oben herab« begründet sei.

So sehen wir Kant auch bei diesen Fragen eigene Wege verfolgen.

Das Reich des Schönen

Die Energie, welche Kant an die moralische Aufgabe setzt, und der schwere Ernst, den er dem menschlichen Leben gibt, könnten erwarten lassen, daß er das Reich des Schönen geringschätzig oder doch nebensächlich behandelt hätte; die stoische Gesinnung, der doch Kant eng verwandt ist, war im allgemeinen der Kunst wenig hold. In Wahrheit steht es bei ihm völlig anders. Er hat nicht nur im einzelnen viel Interesse für künstlerische Leistungen und Probleme, er sucht auch das gesamte Reich des Schönen in seine Gedankenwelt aufzunehmen und es tiefer in der Seele zu begründen. Mag er schließlich das Schöne dem Guten als »Symbol des Sittlichguten« unterordnen und den Geschmack als ein »Beurteilungsvermögen der Versinnlichung sittlicher Ideen« verstehen, in die Erörterung selbst greift das wenig ein, sie behandelt das Schöne als ein eigenes Reich und befreit dies von herkömmlicher Vermengung mit anderen Gebieten. Das Schöne wird weit über das Angenehme der Sinne hinausgehoben und schon dadurch von ihm deutlich geschieden, daß das Angenehme Sache des Einzelnen ist, während das Schöne als Gegenstand eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt wird. Gegen das Gute aber grenzt es sich dadurch ab, daß das Gute vermittelst der Vernunft durch den bloßen Begriff gefällt und mit Interesse verknüpft ist, während das Wohlgefallen am Schönen interesselos ist und ohne Begriffe entsteht. Dieser Anspruch des Schönen auf Allgemeingültigkeit wird für Kant ein großes Problem und führt ihn wiederum zu einer Verschiebung von der Außenwelt in die Seele; das Schöne liegt nicht in den Dingen, sondern es hat seinen Ursprung im Geiste, wir erfahren in ihm nicht eine Harmonie der Dinge, sondern eine Harmonie unserer eigenen Geisteskräfte; auch hier ist es die Form, worin die geistige Leistung besteht, auch hier wird damit das Erlebnis über einen niederen Seelenstand hinausgehoben. Wie das Gute eine Überlegenheit gegen alle Neigung besaß, so wird das Geschmacksurteil als völlig unabhängig von Reiz und Rührung erklärt und ganz und gar auf die Form gerichtet; es entspringt nicht aus der Lust, sondern es geht ihr vorher. Auch damit gewinnt das Leben an Selbständigkeit, es befreit sich am Sinnlichen selbst durch die Macht der Form vom Drucke bloßer Sinnlichkeit. So wird dieses Reich ein unentbehrliches Bindeglied zwischen dem erhabenen Reich der Moral und der bunten Fülle des sinnlichen Daseins, und das Ganze gestaltet sich letzthin zu einem Gewinne der Freiheit. »Der Geschmack macht gleichsam den Übergang vom Sinnenreiz zum habituellen moralischen Interesse ohne einen gar zu gewaltsamen Sprung möglich, indem er die Einbildungskraft auch in ihrer Freiheit als zweckmäßig für den Verstand bestimmbar darstellt und sogar an Gegenständen der Sinne auch ohne Sinnenreiz ein freies Wohlgefallen finden lehrt.« Solche Emporhebung des Schönen über alle niedrige Lust, solche Anerkennung seiner Selbständigkeit, solche Verlegung seines Ursprungs in die innere Werkstatt des Geistes wirkten zusammen dahin, unsere großen Dichter mit Kant zu verbinden und sie mit größter Schätzung seiner zu erfüllen; so konnte auch Goethe trotz vielfachen sonstigen Gegensatzes die großen Hauptgedanken der Kritik der Urteilskraft seinem eigenen Schaffen, Tun, Denken »ganz analog« finden. Die Behandlung des ganzen Gebietes empfängt aus solchem Verstehen von innen her den Antrieb, die inneren Bedingungen und das innere Gewebe des Schaffens zu voller Klarheit herauszuarbeiten.

Schön und Erhaben

Wie sich damit der Anblick verwandelt, das zeigt mit besonderer Deutlichkeit die Behandlung des Erhabenen, dem Kant von früh an viel Aufmerksamkeit zugewandt hatte. Das Gefühl des Erhabenen enthält augenscheinlich einen Kontrast. Diesen Kontrast erklärte man bisher als einen Zusammenstoß von menschlichem Vermögen und Außenwelt, Kant aber verlegt ihn ganz und gar in die eigene Seele des Menschen. »Erhaben ist die Natur in denjenigen ihrer Erscheinungen, deren Anschauung die Idee ihrer Unendlichkeit mit sich führt. Dieses letztere kann nun nicht anders geschehen als durch die Unangemessenheit selbst der größten Bestrebung unserer Einbildungskraft in der Größenschätzung eines Gegenstandes.« Wenn aber so das Erhabene daraus entsteht, daß die ganze Macht der Einbildungskraft den Ideen der Vernunft unangemessen befunden wird, so liegt die wahre Erhabenheit nicht im Naturobjekte, sondern im Gemüte des Urteilenden. Damit ist wiederum der Schwerpunkt des Lebens in die Innenwelt verlegt.

Kants einzigartige Größe

Zum Rückblick und Abschluß seien nur einige Worte gestattet. Wie immer man sich zu den einzelnen Problemen stellen mag, eine einzigartige Größe Kants wird kein Unbefangener bestreiten. Eine ungeheure Kraft erweist sich darin, alle Wissensgebiete nicht nur, sondern auch alle Lebensinteressen der Menschheit mit offnem Blick zu umspannen und sie doch zur Einheit zusammenzuzwängen, zugleich aber ihnen den eigenen Stempel aufzuprägen. Kant stand überall auf dem Boden strenger, ja strengster Wissenschaft, aber die Wissenschaft ist ihm, um einen Ausdruck von ihm selbst zu gebrauchen, »die enge Pforte geworden, die zur Weisheitslehre führt«. Das Ganze seines Werkes ist bei aller Ruhe und Gründlichkeit seiner Arbeit voll innerer Bewegung, verschiedene Strömungen entstehen und scheinen zunächst einander zu widerstreiten, aber es gelingt, sie nicht nur miteinander auszugleichen, sondern sie zu gegenseitiger Verstärkung zu verbinden. Ein wunderbares Gleichgewicht der Stimmung entsteht daraus, daß dem Menschen nicht nur sowohl eine Größe als eine Grenze zuerkannt wird, sondern daß beides aufeinander angewiesen wird und sich gegenseitig zu fördern vermag: nur die Grenze unseres Wissens macht die Größe unseres Handelns möglich, und diese Größe selbst gibt der Begrenzung einen Wert. Dem entspricht auch der Ton der Darstellung: durchgängig schlicht, klar bestimmend, scharf scheidend, besonnen abwägend, nicht selten schulmäßig schwerfällig; dann aber auf den Höhepunkten ein Durchbrechen eines reinen und echten Enthusiasmus und zugleich eine ergreifende Wärme und Einfalt der Darstellung. Überall der vollste Ernst, die lauterste Wahrhaftigkeit, das Ganze wie ein offnes Bekenntnis von den höchsten Dingen. Als Gesamtergebnis eine Befreiung des Menschen vom Drucke der Außenwelt, eine unermeßliche Steigerung seiner Tätigkeit, aber nicht in der Richtung nach außen hin, sondern in der gegen sich selbst, eine Vertiefung des Seelenlebens, ja eine Entdeckung und Belebung einer ganzen Welt in der Seele. Zugleich ein gewaltiger Ansporn des Lebens, ein Aufruf zur Erringung seines eigenen Wesens und zum unermüdlichen Kampf gegen alles, was draußen und mehr noch drinnen unseren höchsten Aufgaben widersteht. Kant hat mehr in dem Menschen sehen gelehrt und mehr aus dem Menschen gemacht. Das können nur große Denker, und er ist einer der größten. Uns Deutschen aber hat er, ohne daß er viel vom deutschen Wesen sprach, den eigentümlichen Idealismus ausgebildet, auf den unser Wesen angelegt ist. Das ist ein anderer Idealismus als der indische mit seiner Verflüchtigung der Welt und seinem Ersehnen tatloser Ruhe, ein anderer auch als der griechische mit seiner Schätzung der Welt als eines herrlichen Kunstwerkes und seiner Erfüllung des Lebens durch die lustvolle Anschauung der ewigen Zier. Vielmehr ist es ein herber und kräftiger Idealismus, ein Idealismus der Tat, der die Welt um uns voller Verwicklung findet, der aber in uns das Vermögen entdeckt, eine neue Welt zu entfalten, der in solcher Entfaltung eine schwere Aufgabe findet, aber dabei auch eine innere Erhöhung erfährt und aus ihr stark genug wird, allen Gegnern draußen und drinnen zu trotzen und mutig den Kampf gegen die Unvernunft unseres Daseins aufzunehmen. Dieser Idealismus, der von alters her in uns Deutschen wirkt, hat durch die Befreiungstat Kants auch einen festen wissenschaftlichen Boden erhalten; auf diesem Boden haben die Nachfolger weitergebaut, und auch wir wollen ihn nicht verlassen.

 

Kant und Schiller

Die gewaltige Wirkung Kants bedarf keiner Schilderung; daß er nicht nur die Philosophie in eine neue Bahn getrieben, sondern auch das allgemeine Leben aufrüttelnd, vertiefend, befestigend ergriffen hat, das steht uns deutlich vor Augen. So sei nur mit einigen Worten seiner Förderung unseres größten dramatischen Dichters gedacht. Bei Schiller kam einer Philosophie der Tat ein starker Trieb zum Handeln aus der eignen Natur entgegen, aber dieser Trieb erhielt durch die Berührung mit jener Philosophie eine Läuterung und Veredlung. Mit ganzer Seele stand Schiller zur kantischen Freiheitslehre, zu seiner Erhebung des Menschen über allen Mechanismus der bloßen Natur, zu seiner Erweckung eines stolzen Selbstbewußtseins des Menschenwesens als eines Gliedes des Reiches der Freiheit. Ebenso wie bei Kant verhindert aber auch bei Schiller der feste Glaube an menschliche Größe nicht eine unbefangene Würdigung all des Trüben und Schlechten, was nicht nur die Verhältnisse draußen, sondern auch die menschlichen Gesinnungen zeigen. Auch Schiller gewinnt eine Sicherheit und Freudigkeit gegenüber dem tiefen Dunkel des Lebens nicht durch eine bequeme Verständigung mit der Welt, die uns umgibt, er gewinnt sie durch die Erhebung in ein der Seele gegenwärtiges Reich der Vernunft, das den Menschen der Welt überlegen macht und eine neue Schätzung der Güter einführt. So teilt Schiller mit Kant auch die gewaltige Kraft der Aufrüttelung und Bewegung, die tapfere Gesinnung, den Antrieb zu Kampf und Sieg. Was Goethe von sich bekannte, Schiller habe ihn auf sich selbst zurückgeführt und ihm eine zweite Jugend verschafft, das gilt über die einzelne Persönlichkeit hinaus für das Ganze des deutschen Volkes: der große Dichter, der durch die Schule des großen Denkers gegangen ist, kann auch auf die kommenden Geschlechter zur Befreiung, Befestigung, Verjüngung wirken. Seine Kunst ist uns vielfach ferngerückt, seine Denkweise muß uns bleiben.

Fichte

Keiner von unseren großen Denkern berührt sich so eng mit der politischen Lage und den nationalen Fragen der Gegenwart wie Johann Gottlieb Fichte (1762–1814). Er hat den jähen Zusammenbruch des alten Staatssystems in tiefer Erschütterung miterlebt, er hat dann sofort seine ganze Kraft in den Dienst eines Neuaufbaues gestellt, und er hat in seinen im Winter 1807/08 gehaltenen Reden an die deutsche Nation sein Volk sowohl aufgerüttelt als ihm festen Mut eingeflößt. Er konnte das, weil auch die schwersten Ereignisse nicht im mindesten seinen Glauben an unser Volk und seine Zukunft erschütterten, er fand Glauben und er erweckte Glauben, weil ein solcher aus seiner Seele quoll; sein felsenfestes Vertrauen auf eine siegreiche Auferstehung des deutschen Volkes hat er in einer Zeit verkündet, wo Berlin noch von französischen Truppen besetzt war, und wo bisweilen der Trommelschlag ihrer vorüberziehenden Bataillone die Stimme des Redners übertönte. Mit solcher Kraft und solcher Wirkung zu seinem Volke sprechen konnte er aber nur, weil hinter seinen Worten eine charaktervolle Persönlichkeit und auch eine selbständige Gedankenwelt stand; an die Ausbildung dieser hatte er die Arbeit seines ganzen Lebens gesetzt; erst ein Einblick in diese Welt und eine Vergegenwärtigung der Persönlichkeit, die sie schuf, läßt uns die volle Wucht seiner nationalen Arbeit verstehen.

Leben und eigentümliche Art

Fichte, der Sohn eines Leinewebers aus der Lausitz, hatte sich aus dürftigen Verhältnissen mühsam und unter vielfachen Sorgen emporgearbeitet. Aber er war eine starke Natur; was die Not des Lebens ihm an äußerer Abhängigkeit auferlegte, das hat seine innere Unabhängigkeit, ja Überlegenheit nicht im mindesten angetastet. Wie er auch im Dienen zu herrschen verstand, das zeigt zum Beispiel die Tatsache, daß er in Zürich als Hauslehrer in einer bürgerlichen Familie die Mutter der Kinder zwang, jeden Sonntag anzuhören, welche Erziehungsfehler im Laufe der Woche begangen seien. Schwerer aber als alle äußeren Kämpfe waren Verwicklungen in seiner Seele, war ein ungelöster Widerspruch zwischen seinem Denken und seinem Streben. Aus tiefster Natur heraus trieb es ihn zu rastlosem Wirken und ließ ihn für solches Wirken volle Freiheit verlangen; sein Verstand aber war dem Spinozismus verfallen, der ihm die Welt als eine strenggeschlossene Verkettung von Ursachen und Wirkungen vorhielt und daher der Freiheit nicht den mindesten Platz gewährte. Aus diesem Zwiespalt erlöste ihn die Kantische Philosophie, er fand in ihrer Erweisung der Kausalität als einer bloßmenschlichen Anordnung der Wirklichkeit eine Rettung der Freiheit auf dem eigenen Boden der Wissenschaft, er ergriff sofort mit feurigem Eifer das Ziel, diese Philosophie zu verkünden und zugleich sie weiter auszubauen.

Denn nach einem solchen Ausbau drängte allerdings die eigentümliche Art seiner Seele und zugleich das Verlangen seines Denkens. Seine Art war von der Kants in wesentlichen Stücken verschieden. Kant ging im Forscherleben auf; wohl hielt er der Menschheit mit zwingender Kraft ein Reich der Freiheit vor und vertiefte damit aufs wesentlichste ihr Leben, aber die ungeheure Arbeit der geistigen Umwälzung, die er vollzog, beherrschte ihn viel zu ausschließlich, als daß es ihn irgendwie zu einer praktischen Tätigkeit, einem Eingreifen in den Befund der Dinge hätte drängen können. Wie ferner seine Arbeit mit aller vordringenden Kraft höchste Sorgfalt und Besonnenheit verband, so war er peinlich darauf bedacht, die dem Menschen neu eröffnete Größe gewissenhaft abzugrenzen; die Selbsttätigkeit der Vernunft fand beim Erkennen eine feste Schranke, indem hier ein unerforschliches Reich der Dinge den unentbehrlichen Stoff zu liefern hatte; alles ward hier aufs sorgsamste abgewogen, eben die Ausgleichung der verschiedenen Interessen, die Herstellung eines Gleichgewichts zwischen ihnen, bildet eine unbestreitbare Höhe der Kantischen Leistung.

Fichtes eigentümliche Art drängte nach wesentlich anderer Richtung, jene überlegene Weisheit konnte ihm nicht das letzte Wort bedeuten. So groß seine Denkkraft war, in ihm überwog der Trieb des Handelns, riß das Denken mit sich fort, ja verwandelte es selbst in ein Handeln, in ein Aneignen, Umwandeln, Beherrschen der Gegenstände. So sucht Fichtes Denken einfache, gerade Linien, es entwirft große Umrisse und geht rasch über das Einzelne weg, mit unerbittlicher Konsequenz verfolgt er seine Bahn, wird durch keine Versuchung abgelenkt, wirft alles nieder, was ihm den Weg versperrt. Sein Ja verficht er mit männlicher Unerschrockenheit und ohne die mindeste Einschränkung, sein Streben geht stets auf etwas Ganzes, Letztes, Unbedingtes, er liebt das Wort »schlechthin«, er haßt das »gewissermaßen«; »ich bekenne, daß ich dies ›gewissermaßen‹ und ihre ganze Familie nicht liebe. Weißt du etwas Gründliches und willst du es uns sagen, so rede bestimmt und ziehe statt deines ›gewissermaßen‹ eine scharfe Grenze; weißt du nichts oder getraust du dich nicht zu reden, so laß es ganz sein. Tue nichts halb!«

Sein Interesse ist ganz überwiegend dem Menschen und dem Menschenleben zugewandt, hier will er bessern und bekehren, umwandeln und erneuern, die übrige Welt bleibt ihm bloße Umgebung. Solches Drängen zum Wirken fordert gerade Linien und entschiedene Antworten; der reine Denker kann Fragen offenlassen und in der Zurückhaltung selbst eine Größe erweisen; wer die Menschen zum Handeln aufruft, der darf nicht zwischen verschiedenen Zielen schwanken und auch nicht auf halbem Wege stehenbleiben.

Das »Ich«

Aus solcher geistigen Art empfand Fichte die Kantische Begrenzung als eine unerträgliche Einengung, ja er glaubte erst die volle Konsequenz der Kantischen Bewegung zu ziehen, Kant selbst erst recht zu verstehen, wenn er alle solche Schranken niederriß, den Begriff der Dinge an sich gänzlich strich, die geistige Tätigkeit zu schöpferischem Wirken aufrief und alle Wirklichkeit als ihr Erzeugnis zu verstehen suchte.

Er konnte das natürlich nicht, ohne im Menschen ein ursprünglicheres und kräftigeres Leben aufzudecken, als das unmittelbare Seelenleben zeigt, er fand das im »Ich«, das ihm nicht einen ruhenden Punkt, sondern ein tätiges Prinzip, ein aus sich selbst bewegtes und zu sich zurückkehrendes Handeln bedeutete, es war ihm nicht das einzelne Individuum, sondern als »reines« Ich, als »absolutes« Ich, als »Intelligenz« eine alle Individuen durchdringende, bewegende, weitertreibende Macht. Diese Macht sollte mit ihrer durch Satz und Gegensatz fortschreitenden Bewegung in sicherem Zuge die ganze Wirklichkeit erzeugen; die Welt aber, die als scheinbar in sich selbst beruhend uns gegenüberliegt, sollte in diese Tätigkeit zurückgenommen, dadurch erst wahrhaft durchleuchtet und in ein Reich der Vernunft verwandelt werden.

Die nähere Ausführung dessen kann uns hier nicht beschäftigen, zur gerechten Würdigung des Unternehmens sei nur daran erinnert, daß es einer Zeit angehört, die ganz an den Problemen des Menschenlebens hing und das Weltall mit feiner Natur ganz im Hintergrunde beließ; nicht minder sei dessen gedacht, daß die philosophische Arbeit von hier aus stärkste Antriebe zu einem systematischen Zusammenhange und zur Anerkennung einer durch den Gegensatz fortschreitenden Bewegung empfangen hat. Soll doch die »Wissenschaftslehre«, welche die Lehre von einem absoluten Ich in ihre Konsequenzen zu entwickeln hat, »für alle möglichen Wissenschaften die Grundsätze und die systematische Form begründen«.

Wir beschränken uns auf die Darlegung der Hauptantriebe, welche die Gestaltung des Lebens von dieser Lehre empfangen hat.

Das Wollen als Hauptkraft der Seele

Zunächst erscheint es als ein unermeßlicher Gewinn, wenn nicht von einer Tatsache, sondern von einem Handeln begonnen wird. »Geht die Philosophie von der Tatsache aus, so stellt sie sich in die Mitte des Seins und der Endlichkeit, und es wird ihr schwer werden, aus dieser einen Weg zum Unendlichen und Übersinnlichen zu finden; geht sie von der Tathandlung aus, so steht sie gerade auf dem Punkte, der beide Welten verknüpft, und von welchem aus sie mit Einem Blick übersehen werden können.« Zugleich wird gezeigt, daß unser Handeln und Wollen nicht von den Systemen unserer Vorstellungen, sondern daß das System der Vorstellungen von unserem Triebe und unserem Wollen abhängt. So wird das Wollen zur Hauptkraft der Seele, zur Kraft, welche letzthin auch über die Richtung des Denkens entscheidet. »Die Sphäre unserer Erkenntnis wird bestimmt durch unser Herz; nur durch unser Streben umfassen wir, was je für uns dasein wird.« Namentlich ist der Hauptgegensatz in der Stellung zur Welt, wie er nach Fichtes Ausdruck in Dogmatismus und Idealismus vorliegt, nach ihm nicht durch wissenschaftliche Erörterung zu entscheiden, sondern er fordert eine Entscheidung des ganzen Menschen. Der Dogmatismus anerkennt eine gegebene Welt und macht sich zugleich von ihr abhängig, der Idealismus hebt über alle solche Bindung hinaus, versteht alle Wirklichkeit aus dem Handeln der Intelligenz und gewährt uns zugleich volle Freiheit. An dieser entscheidenden Stelle gilt das Wort: »Was für eine Philosophie man wähle, hängt davon ab, was für ein Mensch man ist.«

 

Das Ziel der Ziele wird hier Selbsttätigkeit um der Selbsttätigkeit willen, das aber nicht als eine Sache blinden Naturtriebs, sondern als eine Forderung und eine Pflicht. Es gilt unser empirisches Ich dem absoluten Ich unterzuordnen und dieses in jenem möglichst rein darzustellen, unser ganzes Leben verwandelt sich damit in eine Aufgabe und eine Pflicht, eine Pflicht an erster Stelle nicht gegen andere, sondern gegen uns selbst, in einen unablässigen Antrieb zur Erringung unseres echten Wesens, zur Abschüttelung alles dessen, was uns beengt und niederdrückt, zur Ausbildung voller Freiheit und Selbständigkeit. Daher ist die Pflicht kein von draußen auferlegtes Gebot, keine bloße Polizei des Lebens, sondern die stärkste Lebensbewegung selbst, ein mutiger Aufstieg zur eigenen Höhe.

Selbsttätigkeit

Damit erhält der Mensch den Antrieb, nichts von dem, was er draußen um sich findet, unbesehens und gutgläubig hinzunehmen, vielmehr werde alles gewissenhaft geprüft und nichts geduldet, was nicht aus unserm eigenen Denken und Leben hervorgeht und nicht vor der Vernunft sein gutes Recht zu erweisen vermag. Auch in unserm Innern bleibe nichts in trägem Schlummer, werde nichts bloß gewohnheitsmäßig fortgeführt, sondern alles werde belebt, alles unter der Leitung der Vernunft zu möglichst kräftiger Betätigung aufgerufen. Als Quelle aller Laster erscheint hier die Faulheit, als das »radikale Übel« die Trägheit; eine starre Routine aber, welche die Steigerungsfähigkeit menschlichen Vermögens verkennt, wird gewarnt, die Stärke, die ein großer Entschluß geben wird, nicht nach der zu beurteilen, die wir alle Tage haben. Aller ängstlichen Berechnung des Vermögens stellt Fichte die Überzeugung entgegen, daß der Mensch kann, was er soll, und daß er nicht wahrhaft will, wenn er sagt, daß er nicht kann. In diesem Gedankengange erscheint als der Zweck des Erdenlebens der Menschheit der, daß sie alle Verhältnisse mit Freiheit nach der Vernunft einrichte, und die Kultur wird definiert als »Übung aller Kräfte auf den Zweck der völligen Freiheit, der völligen Unabhängigkeit von allem, was nicht wir selbst, unser reines Selbst ist«. Solcher Überzeugung wird alles wertvoll, was die Tätigkeit zu steigern verspricht, so das Bedürfnis, so selbst der Schmerz, indem er zur Tätigkeit reizt.

Als selbstverständlich erscheint dabei die Forderung, daß der Mensch aus eigener Entscheidung handle und sich nicht durch etwas Fremdes bestimmen lasse; »sei dir selbst alles oder du bist nichts«; »wer auf Autorität hin handelt, handelt notwendig gewissenlos«. Nur eigene Freiheit führt zur Moralität. In unverkennbarem Hinblick auf Kant und in deutlicher Scheidung von ihm wird die Formel aufgestellt: »Handle so, daß du die Maxime deines Willens als ewiges Gesetz für dich denken kannst«; vollkommene Übereinstimmung des Menschen mit sich selbst bildet das höchste Ziel.

Aber die Begründung des Menschen auf sein eigenes Wollen und Wesen bedeutet für Fichte nicht eine Isolierung, nicht eine Absonderung von andern Menschen. Wie es Fichte persönlich in allem, was er dachte und tat, zum Menschen und zum Wirken auf den Menschen trieb, so verficht er auch als Philosoph die Überzeugung, daß der Mensch, als Vernunftswesen, nur unter Menschen ein Mensch wird.

Die menschliche Gesellschaft ist recht gefaßt nicht eine Hemmung, sondern eine Förderung der Freiheit und Selbsttätigkeit, sie sei aber gefaßt als »die Beziehung der vernünftigen Wesen aufeinander«, ihr Charakter ist »Wechselwirkung durch Freiheit«. Es entwickelt sich hier das Verhältnis des Rechts. Es kann nämlich das endliche Vernunftwesen nicht noch andere endliche Vernunftwesen außer sich annehmen, ohne sich zu diesen in ein bestimmtes Verhältnis zu setzen, und dies eben nennt man das Rechtsverhältnis. »Ich kann einem bestimmten Vernunftwesen nur zumuten, mich für ein vernünftiges Wesen anzuerkennen, inwiefern ich es selbst als ein solches behandle.« So muß ich meine Freiheit so weit einschränken, daß seine Freiheit möglich wird. Jede Person hat das Recht, in der Sinnenwelt nur Ursache zu sein. Das Recht entspringt nicht aus dem Staat, sondern aus unserer vernünftigen Natur; der Staat erscheint als ein besonderes Mittel zur Herstellung einer vollkommenen Gesellschaft. »Die Übereinkunft über die gemeinschaftlichen Rechte in der Sinnenwelt heißt der Staatsvertrag, und die Gemeine, die übereingekommen ist, der Staat.« Da der Staat ein bloßes Mittel ist, kann er nicht als Selbstzweck gelten und von bleibender Dauer sein; es heißt daher: »der Staat geht, wie alle menschlichen Institute, die bloße Mittel sind, auf seine eigene Vernichtung aus; es ist der Zweck aller Regierung, die Regierung überflüssig zu machen«.

Der Rechts- und Freiheitsstaat

So entsteht der Rechts- und Freiheitsstaat, der vor allem den Schutz der Selbständigkeit der Individuen zum Ziele hat. Es liegt in der Idee dieses Staates, daß jeder als Staatsbürger an der Gesetzgebung mitwirke, denn nur so wird das Gesetz sein eigener Wille und erlangt für ihn eine verpflichtende Kraft. »Kein Mensch kann verbunden werden ohne durch sich selbst.« Wir dürfen nicht aus unsrer Art andere beglücken wollen, sondern jeder hat sich selbst zu kultivieren. Niemand darf sich von der Gemeinschaft absondern und einen Staat im Staate bilden wollen, niemand überhebe sich über andre; »jeder, der sich für einen Herrn anderer hält, ist selbst ein Sklave«. Unterschiede der bürgerlichen Stellung sind unvermeidlich, aber sie haben zurückzutreten vor der »Gleichheit alles dessen, was menschliches Angesicht trägt«. Aus solcher Überzeugung erörtert Fichte die Frage, ob, wenn ein Mensch in Lebensgefahr gerät, ein jeder, wie immer seine bürgerliche Stellung sei, auch unter Einsetzung seines eigenen Lebens zur Hilfe verpflichtet sei. Fichte bejaht diese Frage bedingungslos, da vor dem höchsten Gesetz Menschenleben von gleichem Werte sei; er billigt durchaus das dem Prinzen Leopold von Braunschweig, der 1785 bei Rettung Überschwemmter in der Oder ertrank, zugeschriebene Wort: »Hier gilt es Menschenleben; was bin ich da mehr als ihr?«

Schon in solcher warmen Schätzung des Menschen überschreitet Fichte den herkömmlichen Rechts- und Freiheitsstaat, er tut es weiter mit seiner Forderung, dem Gelehrtenstand solle die oberste Aufsicht über den Fortgang des Menschengeschlechts und die Beförderung dieses Fortgangs anvertraut werden, er tut es am meisten in der kräftigen Betonung der sozialen Aufgaben, wie wir es heute nennen würden. Die Selbständigkeit der Persönlichkeit fordert nach seiner Überzeugung, daß jeder Staatsbürger ein Eigentum habe; verlangt wird ferner, daß jeder arbeite und daß er von seiner Arbeit leben könne; »jeder muß das Unentbehrliche haben, das ist unveräußerliches Menschenrecht«: entstehen dabei Verwicklungen, so müssen die einen, die in Luxus leben, Entbehrliches aufgeben, damit die andern Unentbehrliches haben.