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Der Sinn und Wert des Lebens

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So vermögen wir uns mit dem Zweifel nicht zu verständigen, verstehen aber können wir ihn sehr wohl. Es liegen schwere Verwicklungen und ungeheure Widersprüche im Weltstande und im Menschenleben, die sich aller Aufklärung durch menschliche Einsicht entziehen, die wir einfach als Tatsachen hinnehmen müssen. Diesen Widerständen gewachsen und überlegen werden können wir nur dadurch, daß wir uns selbst in die Bewegung versetzen und sie als die unsrige führen, damit ihre Kraft erfahren, damit in ihr eine unerschöpfliche Welt entdecken. Freilich muß, wer die Bewegung teilt, auch ihre Mühen und Kämpfe teilen, auch Zweifel werden ihn nicht verschonen. Aber die Zweifel liegen dann innerhalb der Bewegung, ja sie entspringen erst aus ihr; so können sie nun und nimmer ihre Tatsächlichkeit erschüttern, ja es kann der Zweifel selbst zur Überwindung des Zweifels wirken. Denn vom Zweifel gilt dasselbe, was von der moralischen Verwicklung: nichts hat die Menschen mehr eines naturüberlegenen Lebens gewiß gemacht als das Gewahren und Durchleben schwerer Probleme in der eigenen Seele; die völlige Unmöglichkeit, diese Probleme liegen zu lassen, ward das sicherste Zeugnis dafür, daß das Ganze keine bloße Einbildung ist; die Befassung mit diesen Problemen ließ das Leben auf sich selber stehen und unabhängig von seiner Umgebung werden, es gewann eben dadurch echte Freiheit, daß es eine innere Notwendigkeit in sich aufnahm. Zugleich erzeugte die Stärke des Schmerzes über den Nichtbesitz unentbehrlicher Güter die Hoffnung, den Glauben, die felsenfeste Gewißheit, daß jenes, was wir schmerzlich entbehren, irgendwie besteht und schließlich auch uns zugehen wird. Wo hingegen der Zwang innerer Probleme fehlt, der Mensch die Bewegung von außen her betrachtet und sie wie etwas Fremdes von sich schiebt, da überwältigen ihn leicht die Eindrücke der gleichgültigen oder feindseligen Welt, da verliert der Zweifel seine aufrüttelnde und vorwärtstreibende Macht, da wird er matt und schlaff, da weicht die Welt vor dem Menschen zurück, und alles kluge Räsonnement vergrößert nur die damit entstehende Kluft. Mit Recht hatte Goethe besondere Freude an der Erzählung von dem Wandeln Jesu auf dem Wasser, alles Große verlangt einen festen Glauben, ja einen Trotz gegen die Maße der Welt, während der Kleingläubige versinkt. Größe aber verlangt das Leben durchgängig von dem zwischen zwei Lebensstufen befindlichen Menschen, eine Größe, vor der alle Unterschiede gesellschaftlicher Stellung verschwinden; so hatte Luther Recht, wenn er meint, niemand dürfe den Glauben fahren lassen, daß Gott mit ihm große Dinge tun wolle. Auch zusammenfassend dürfen wir mit Luther sagen. »Darum nur getrost und frisch dahin gesetzt, was auch die Welt nehmen kann. Die Wohnungen des Lebens sind viel weiter denn die Wohnungen des Todes.«

Die Folgerungen aus dem Gesamtbilde des Lebens

Folgerungen für das Leben des Einzelnen

Wie jede Lebensordnung sich am Dasein des Einzelnen zu bewähren hat, so muß es auch die unsrige tun; sie tut das, indem sie auch im Einzelleben eine hohe Aufgabe findet, ihm einen inneren Zusammenhang gibt, es den Widersprüchen entwindet, die es zu zerstören drohen. Diese Widersprüche stammen vornehmlich daher, daß der Mensch kraft seiner geistigen Anlage der bloßen Natur entwächst und bei ihr kein Genüge mehr findet, daß der Durchschnitt seines Daseins aber geistiges Leben nicht genügend entfaltet, um ihm Selbständigkeit zu erringen; so schwebt der Mensch in unsicherer Mitte, und da die Versuche einer Hilfe sich bald als unzulänglich erweisen, so läuft das Ganze schließlich in trübe Entsagung aus; das Leben erscheint nach dem Ausdruck Schopenhauers als ein Geschäft, das seine Kosten nicht deckt.

Der Verlauf des Lebens durch die verschiedenen Alter hindurch stellt sich zunächst als ein Aufstieg, bald jedoch als ein Abstieg dar, damit aber als ein überwiegender Verlust, als eine herbe Enttäuschung. Beim Eintritt in das Leben wird das Individuum vom engen Kreise der Seinigen freudig begrüßt und zärtlich gepflegt, auch den Weg des Heranwachsenden behüten Liebe und Güte, und was an kleinen Sorgen und Schmerzen erscheint, das stört nicht die Lebensfrische und Lebenslust. Da die Abhängigkeit noch nicht drückend wirkt, so hat das Kindesalter einen Stand harmlosen Glückes, nach dem das spätere Leben oft wie nach einem verlorenen Paradiese zurückschaut. Dann aber erwacht ein Verlangen nach voller Selbständigkeit, das Leben drängt ins Freie und Weite, der Mensch sucht eigene Wege und schließt in Freundschaft und Liebe selbstgewählte Bünde; neue Triebe erwachen und neue Wünsche steigen auf, schwellende sinnliche Kraft führt auch dem geistigen Leben fruchtbare Antriebe zu. Ins Endlose geht hier das Sehnen und Hoffen, unbegrenzte Möglichkeiten stellen sich zur Wahl vor den strebenden Geist, das ursprüngliche Aufquellen frischer Kraft erzeugt das Gefühl, daß jetzt erst die Welt ihren Lauf beginne, jetzt erst die Sonne voll leuchte, jetzt erst Lust und Liebe ihren Zauber entfalten. Die Vergangenheit dünkt dabei leicht eine bloße Vorstufe dessen, was jetzt an den Punkt der Entscheidung gelangt, eben jetzt wird die Zukunft geschmiedet, eben jetzt aller Folgezeit der Weg gewiesen. So groß kann die Jugend nicht von sich denken, ohne auch manche Sorgen und Schmerzen auf sich zu nehmen, die hochfliegenden Pläne selbst lassen den Widerstand der Erfahrung mit besonderer Stärke empfinden. Aber ein freudiges Kraftgefühl schöpft daraus mehr Antrieb als Hemmung; auch waltet ein fester Glaube an die Macht der Einsicht und der Gerechtigkeit in menschlichen Dingen, ein Glaube auch an eine Überlegenheit freier Entscheidung über alle starre Gewöhnung.

Aus der Zeit der Entwürfe und Pläne tritt der Mensch mit beginnendem Mannesalter in die Zeit der Arbeit ein, nun gilt es selbst Hand anzulegen, nun das Vermögen in Tat umzusetzen; ein Beruf wird ergriffen, ein eigenes Heim begründet. Das bringt dem Leben eine gewisse Verengung und lenkt es in eine ruhige Bahn. Aber wenn der Sturm und Drang der Jugend verfliegt, so verflicht sich dafür das Leben enger mit seiner Umgebung und gewinnt es einen festeren Boden; klarer stehen die Ziele vor Augen, und das Wirken gewinnt an Sicherheit. Aus emsiger Arbeit quillt Liebe und Freude hervor, die Hingebung und Opfer zu erzeugen vermag und zur ethischen Erhöhung wirkt. Aber diese Wendung bringt das Leben bald an einen kritischen Punkt, den am meisten kritischen Punkt unseres Daseins. Die Arbeit zwingt, das Streben auf die Leistung zu richten, sie lenkt damit den Menschen vom eigenen Innern ab, sie verlegt den Schwerpunkt des Lebens mehr und mehr in das Verhältnis zur gesellschaftlichen Umgebung und unterwirft den Einzelnen ihren Forderungen. Das ergibt so lange keine schwere Verwicklung, als das Feuer der Jugend noch anhält und das Werk des Tages erwärmt; aber allmählich erlischt jenes Feuer, es erschlafft mehr und mehr die Jugendkraft der Natur, und es fragt sich nun, ob, was damit verloren geht, irgendwelchen Ersatz erhalte. Damit aber wird das Leben vor eine folgenschwere Entscheidung gestellt. Nur geistige Kraft vermöchte die sinkende Natur zu ersetzen, sie könnte das aber nur, wenn die geistige Anregung, die dem Individuum zugeführt wurde, in ihm tief genug Wurzel geschlagen hätte, um eine Selbständigkeit zu erreichen und den Hemmungen gewachsen zu werden. Dies aber geschieht, wie der Augenschein zeigt, in den meisten Fällen nicht, das geistige Leben wird weniger durch eigene Kraft als durch das verwickelte Triebwerk des gesellschaftlichen Lebens aufrecht gehalten; das aber besagt gerade nach unserer Darlegung deshalb einen schroffen Widerspruch, weil geistiges Leben ein Selbständigwerden der Innerlichkeit bedeutet; eine Beugung unter eine fremde Ordnung muß es verflachen und entstellen, ja setzt es schließlich zu bloßem Aufputz und Schein herab. Das muß auch das Individuum am eigenen Leibe erfahren: es kann nicht vornehmlich nach draußen blicken und die Wirkung auf die Umgebung berechnen, ohne daß die Kraft des Lebens sinkt und seine Gefühle ermatten; ursprüngliches Schaffen weicht träger Gewöhnung, und eine geistlose Mechanisierung gewinnt immer weiteren Raum. Die Arbeit sinkt zur Routine, und was feurige Liebe schuf, das muß die Gewohnheit des Alltags und kühle Erwägung der Zweckmäßigkeit mühsam aufrecht erhalten. Zugleich weicht das stürmische Hochgefühl der Jugend einem nüchternen Realismus, der Trägheitswiderstand der Verhältnisse, der die Jugend so wenig bekümmerte, wird nun überschätzt und lähmt allen kühnen Aufschwung; dasselbe gilt von der Macht des Kleinen und Gemeinen, sowie des Zufalls, der oft mühsame Arbeit und wohlerwogene Pläne in spielender Laune zerstört. Ist es dem Individuum zu verdenken, wenn solche Eindrücke und Erfahrungen es auf eine Beherrschung der Dinge verzichten und möglichst eine Anpassung an seine Umgebung suchen lassen? Auch unterstützt das gesellschaftliche Leben eine derartige Wendung, indem es sich eifrig bemüht, den Menschen die drohende innere Leere nicht voll empfinden zu lassen. Die Gesellschaft läßt es an Anerkennung der Leistung nicht fehlen, sie stachelt den Ehrgeiz des Individuums an und schmeichelt mit mannigfachen Mitteln seiner Eitelkeit; oft verkehrt sich das in wunderlicher Weise dahin, daß das Nichts dem Nichts eine Bedeutung zuspricht und ihm damit ein Selbstbewußtsein verleiht; auch ersinnt die Gesellschaft mit großem Geschick Unterhaltungen und Zerstreuungen, Spiele, Sport usw., Ersatzmittel echten Lebens, die durch unablässige Erregung der einzelnen Augenblicke die Leere des Ganzen verdecken möchten. Aber das Gefühl der Leere verscheuchen, heißt nicht die Leere vertreiben, in aller künstlich erzeugten Erregung führen die Seelen kein wahrhaftiges Leben, sind sie, innerlich angesehen, tote Seelen, geistig tot, bevor der körperliche Tod sie dahinrafft. Und nun erwacht oft eine wehmütige Sehnsucht nach der Kindheit, wo das Leben in so weitem Ausblick vor dem Menschen lag, wo alle Möglichkeiten noch offen standen, und die Pulse so viel kräftiger schlugen.

 

Schließlich versagen die Kräfte zur Arbeit, und gilt es ein Scheiden von ihr, das Greisenalter beginnt. Dieser Abschied von der Arbeit, die mehr und mehr zu einer lastenden Bürde wurde, mag zunächst wie eine Erleichterung und Befreiung erscheinen, die Ruhe wird zum Genuß, der harte Kampf erlischt, die Stimmung wird weicher, das Urteil des unbeteiligten Zuschauers milder; zugleich wird er selbst, da er nun ja aus der Wettbewerbung ausschied, freundlicher beurteilt oder doch schonungsvoller behandelt. Das Greisenalter ist die Zeit der Selbstbetrachtung, aber einer Betrachtung, die sich vom Schaffen abgelöst hat; so hat diese Weisheit einen matten und unfruchtbaren Charakter, sie erleichtert mehr das Scheiden vom Leben, als sie diesem nachträglich einen Wert verleiht. Die Beleuchtung, welche sein Verlauf beim Rückblick erhält, gibt eher dem Pessimismus als dem Optimismus Recht. Die Natur versah jeden von uns mit einem Kapital für das Leben, aber dieses Kapital war begrenzt, und wir haben es allmählich aufgezehrt; was sollen wir nun noch beginnen? Wir hatten manche Erfolge, aber sie ließen die Seele vergessen und verkümmern, und sie selbst geraten in Unsicherheit, wenn der Sinn und Wert des gesamten Lebens zweifelhaft wird, und wie sollte das hier nicht geschehen? Wir strebten von Augenblick zu Augenblick und hofften stets mit dem Erklimmen der nächsten Höhe den höchsten Gipfel gewonnen zu haben, aber immer wieder erschienen neue Höhen und zwangen uns weiter zu wandern. Das Leben kam nicht zu sich selbst und ging nicht in ein Ganzes zusammen; so hatte es dem Strom der Zeit nichts entgegenzusetzen, sondern trieb wehrlos mit ihm dahin. Im Hoffen und Harren auf ein Glück, das irgendwoher kommen sollte, entrann uns die Gegenwart und schließlich das ganze Leben, es war mehr ein Suchen und Haschen, ein Verlangen nach Leben als wahres und wirkliches Leben.

Zugleich verschiebt sich durch den Verlauf des Lebens in schmerzlicher Weise das Verhältnis des Einzelnen zur Zeit und zur menschlichen Umgebung. Im Aufstreben fühlte er sich seiner Zeit aufs allerengste verbunden, und ihre Förderung bildete den Hauptantrieb seines Strebens. Am Schluß aber entweicht ihm die Zeit, die alten Probleme treten zurück und machen neuen Platz; das macht ihn fremd in der Zeit und mit seinem Hangen an der Vergangenheit selbst zu einer Vergangenheit. Nicht viel anderes erfährt er mit den einzelnen Menschen. Als er aufstrebte, hatte er viele Genossen, deren Teilnahme er sicher war, und die er zu führen oder doch zu fördern hoffte. Diese Genossen und Freunde werden ihm nach und nach entrissen, und Fremde besetzen ihren Platz. So findet er sich immer weniger verstanden, und muß sich immer einsamer fühlen, ja schließlich mag er sich wie ein bloßes Überbleibsel erscheinen, das die Wogen des Geschickes bisher verschonten, nun aber bald dahinraffen werden. Das alles führt zu der Stimmung, der Goethe den Ausdruck gab:

 
»Ein alter Mann ist stets ein König Lear.
Was Hand in Hand mitwirkte, stritt,
Ist längst vorbei gegangen,
Was mit und an dir liebte, litt,
Hat sich wo anders angehangen;
Die Jugend ist um ihretwillen hier,
Es wäre thörig zu verlangen:
Komm ältele du mit mir.«
 

Solchen Zweifeln und Enttäuschungen gegenüber ist es ein bloßer Scheintrost, daß unsere Arbeit der Heranbildung eines neuen Geschlechtes diene, unsere Mühe diesem fromme. Denn was wird damit gewonnen, wenn das neue Geschlecht auch nur wieder ein neues heranzieht, und dieses wieder ein anderes, wenn jedes die Frage einem anderen zuschiebt, und damit das Leben nie über das Suchen hinaus zu einem Beisichselbstsein gelangt? Schließlich erscheint das unermüdliche Streben von Geschlecht zu Geschlecht als ein bloßes Mittel, die Menschheit physisch zu erhalten; es mag dann eine grobe Irrung dünken, daß wir uns als einen Selbstzweck behandeln und vom Leben einen Inhalt begehren. Alle solche Größen stellen sich dann als bloße Lockmittel heraus, die uns vorgespiegelt werden, um uns aus natürlicher Trägheit aufzurütteln. Wir alle werden damit bloße Durchgangspunkte des Lebens, Wogen, die sich rasch zusammenballen und ebenso rasch zerrinnen, Wogen, die einander unaufhörlich verdrängen. Dieser Stand der Dinge mag so lange verborgen bleiben, als der Blick nur an einzelnen Geschehnissen haftet; sobald aber ein überschauendes Denken die Erfahrungen ins Ganze faßt, wird die Sinnlosigkeit dessen offenbar, und das letzte Wort behält die Verneinung.

So pflegt es zu sein, so braucht es aber nicht zu sein; daß es so ist, das liegt am Menschen selbst, der sein Leben allein auf die Umgebung richtet und es von ihr abhängig macht, statt ihm eine Selbständigkeit zu erringen und die Bildung des Innern voranzustellen. Wir sahen, wie hohe Ziele das menschliche Leben enthält, auch der Einzelne kann sie ergreifen, sein Dasein in Tat verwandeln, eine Unendlichkeit in der eigenen Seele entdecken, den Kampf gegen alles Schicksal getrosten Mutes unternehmen. Er kann das von der Überzeugung aus, daß überlegene Macht in ihm ein neues Leben und eine ursprüngliche Quelle erschließt; zu dessen Aneignung und Entfaltung aber bedarf es seiner Gesinnung und Tat. Das Leben erhält einen völlig anderen Anblick, wenn es nicht bloß an uns vorgeht, sondern unser eigenes Werk werden kann, wenn es nicht eine vorgeschriebene Linie nur fortsetzt, sondern die Forderung einer großen Wendung in sich trägt, die Forderung eines Überlegenwerdens nicht nur gegen die Natur, sondern auch gegen den flachen und widerspruchsvollen gesellschaftlichen Durchschnitt, die Forderung, das Ganze der Lebenswelt im eigenen Wesen zu ergreifen. Es stehen dabei nicht bloß einzelne Leistungen in Frage, sondern ein einziges aller Mannigfaltigkeit überlegenes Ziel, die Erhebung des Menschen zu einem selbständigen Lebenszentrum, die Bildung eines geistigen Kernes, einer geistigen Energie, die Geburt eines Geistesmenschen statt des bloßen Daseinsmenschen. Denn »der Mensch muß zweimal geboren werden, einmal natürlich und sodann geistig, wie der Brahmine« (Hegel). Brahminen in diesem Sinne sind aber wir alle, mag der Daseinskreis des Einzelnen noch so bescheiden sein. So darf es mit Goethe heißen: »Gott begegnet sich immer selbst; Gott im Menschen sich selbst wieder im Menschen. Daher keiner Ursache hat, sich gegen die Größten gering zu achten.«

Zum Gelingen der Wendung bedarf es einmal eines unablässigen Hochhaltens der Gesinnung, es bedarf aber auch einer emsigen Arbeit, welche dem Menschen einen eigenen Bereich erringt, ihm eine eigentümliche Wirklichkeit schafft und ihn sich darin befestigen läßt. Die Bewegung bleibe nicht ein bloßes Wogen und Wallen, sie strebe auch zu irgendwelchem geschlossenen Werke, weniger wegen der Leistung, die stets unvollkommen bleibt, als zur notwendigen Aufrüttelung, Zusammenfassung und Lenkung der Kräfte; ohne das kann das Leben nicht stark in sich selbst und zur vollen Wirklichkeit werden. Gewiß wird es so gefaßt alles eher als ein sicheres Fortschreiten oder gar ein behagliches Genießen. Mit seiner Forderung, Unendliches im Endlichen, Zeitüberlegenes im Zeitlichen, Freischaffendes im Gegebenen und Gebundenen, Liebe in der Welt der Selbstsucht und des Streites zur Macht und Wirkung zu bringen, enthält es einen durchgängigen Widerspruch; diesen Widerspruch kann das Alltagstreiben verdunkeln und vergessen, den Höhen menschlichen Strebens aber war er mit voller Klarheit gegenwärtig: die edelsten Menschen machten sich die meisten moralischen Sorgen, »die Heiligen pflegen sich für Sünder und die Sünder für Heilige zu halten« (Pascal), die größten Künstler fühlten besonders schmerzlich den weiten Abstand zwischen Wollen und Vollbringen, und tiefste Denker fühlten sich namentlich getrieben, einer Überschätzung des menschlichen Erkenntnisvermögens entgegenzuwirken und scharf seine Grenzen zu ziehen. Aber das alles kann nicht erschrecken, wenn der Mensch der lebendigen Gegenwart erhöhender Mächte gewiß ist und sein Werk nicht als eine Privatangelegenheit, sondern als eine ihm zugewiesene, aber zugleich vom Gesamtleben getragene Aufgabe führt, nicht aus eigener, sondern aus verliehener Kraft. Dabei fällt auch das ins Gewicht, daß das Leben des Menschen verschiedene Schichten enthält, und daß selbst das Mißlingen bei einer von ihnen für das Ganze ein Gewinn werden kann. Wir haben uns zunächst im Bereich der Natur und des gesellschaftlichen Zusammenseins zu erhalten, über die dort waltende Notwendigkeit und Nützlichkeit erhebt weltbauendes geistiges Wirken und Schaffen in ein Reich der Geisteskultur, über diesem aber wölbt sich als letzter Abschluß ein Reich weltüberlegener Innerlichkeit und weltüberwindender Liebe. In diesem letzten kann auch das einen Wert erlangen, was äußerlich nicht zur vollen Wirkung kam, ja es verschwinden hier alle Unterschiede der Leistung. Denn hier wird zum entscheidenden Hauptwerk die Gesinnung, Gesinnung als tätige Haltung, nicht als passiver Zustand, hier gilt das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg, das auch die geringste Arbeit nicht verwirft, wenn sie nur aus der treuen Einsetzung der ganzen Seele hervorging.

Steht es so mit dem Menschen, so kann er den Gefahren trotzen, welche sein Leben nach kurzem Aufschwung in ein Stocken und Sinken zu bringen drohten. Nun kann er dem Schicksal, das ihn umfängt, ein ursprüngliches Leben entgegensetzen und damit sein Dasein in einen unablässigen Kampf zwischen Schicksal und Freiheit verwandeln; nun kann er die entweichende physische Jugend durch eine geistige ersetzen und gegenüber einem erstarrenden Mechanismus das Leben in frischem Fluß erhalten. Auch erschöpft sich nunmehr das Leben nicht mehr in ein Nacheinander einzelner Vorgänge, es bleibt kein bloßes Kommen und Gehen, sondern nunmehr vermag es gegen den Wirbel und Wandel eine Hauptrichtung festzuhalten und eine beharrende Gegenwart auszubilden, die alles, was dem inneren Fortgang dient, verbinden und durcheinander befestigen kann. Hat unser Leben so viel bei sich selbst zu tun und verheißt sein Verlauf so reichen Gewinn, so kann es auch nicht mehr echte Weisheit bedeuten, das Leid, das uns traf, einfach abzuschütteln und möglichst alle Spur von ihm auszutilgen, sondern dann hat es einem Ganzen des Lebens gegenwärtig zu bleiben und zu seiner Förderung zu wirken.

Solche innere Bildung vermag durch den ganzen Verlauf des Lebens im Aufstieg zu bleiben und an geistiger Frische zu wachsen; es wird von hier aus die Forderung der Mystik verständlich, der Mensch solle jeden Tag jünger werden, jeden Tag mehr aus der Zeit in die Ewigkeit treten; nur werden wir dabei weniger mit der Mystik an bloße Kontemplation als an schaffende Tätigkeit denken. Wie in diesem Zusammenhange das Leben sich nicht als ein Aufzehren eines gegebenen und begrenzten Kapitals darstellt, sondern als das Schaffen eines neuen, das ins Grenzenlose zunehmen kann, so wird nun das sentimentale Zurückblicken auf die Jugendzeit und das Klagen über den Verlust ihrer Frische und Spannkraft zu einem Ausdruck matter und flacher Denkart, ja zu einem Zeugnis dessen, daß das Leben sein Ziel verfehlte.

Nicht minder als dem Sinken der Jugendkraft läßt sich auch der Mechanisierung der Arbeit und dem Unterliegen unter starre Routine erfolgreich Widerstand leisten. Uns bezwingen nicht sowohl die Außendinge als unsere innere Schwäche, unser Unvermögen, inmitten der Arbeit ein Werk des ganzen Menschen zu wahren und von ihm aus die Arbeit zu beseelen. Werfen wir nicht auf das Schicksal, was in Wahrheit wir selbst verschulden!

Wenn die Festhaltung einer durchgehenden inneren Aufgabe das Leben in ein fortlaufendes Werk verwandelt und der Verlust nach außen hin sich durch einen inneren Gewinn ersetzen läßt, so behalten auch die späteren Lebensstufen ein eigentümliches Recht und einen eigentümlichen Wert. Auch Güter wie Kraft und Schönheit beschränken sich nicht auf die Jugendzeit, auch die späteren Alter können sie besitzen, nur werden diese sie anders gestalten und mehr ins Seelische wenden müssen. Wir ergeben uns gewöhnlich viel zu früh und machen weit weniger aus uns, als wir könnten, unser schlimmster Feind ist die eigene Verzagtheit, ist der Mangel an rechtem Glauben. Richtig verstanden hat auch das Greisenalter seinen besonderen Wert, es braucht kein mattes Verklingen zu sein, es kann ein inneres Zusammenfassen des Lebens werden und eine Emporhebung über alle äußeren Maße vollziehen. Wohl lockert sich das Verhältnis zur Zeit, jedoch nur das zu ihrer Oberfläche, nicht zu dem Ewigkeitsgehalt, der allein den Zeiten eine Tiefe gibt und sie zu einem gemeinsamen Werke verbindet. Auch das Einsamerwerden gegen die Menschen braucht keine Vereinsamung zu bedeuten, wenn Liebe zum Menschenwesen bleibt und immer neue Tätigkeit wachruft, wenn vor allem der Mensch in den Zusammenhängen des geistigen und göttlichen Lebens sich sicher geborgen fühlt und als Glied einer ewigen Ordnung weiß. Dann mag das Leben nach dem Ausdrucke Leibnizens gegenüber der früheren Evolution eine Art von Involution vollziehen, eine Einkehr in sich selbst, aber es fällt damit nicht ins Leere, wenn es von innen her eine Welt zu eigen gewann, die den Grundbestand aller Wirklichkeit bildet, der gegenüber alles Dasein zu einer niederen Stufe herabsinkt. So erscheint das Greisenalter als ein Prüfstein für den Ertrag des Lebens, für sein Gelingen oder Mißlingen. Wir erwähnten vorhin ein trübe gestimmtes Goethewort; wie der große Lebensweise sich selbst über solche Stimmung hinaushob, das zeigt ein anderer Ausspruch, der seine individuelle Art in unnachahmlicher Sprache verkörpert:

 
 
»Die Jahre nahmen dir, du sagst, so vieles:
Die eigentliche Lust des Sinnenspieles,
Erinnerung des allerliebsten Tandes
Von gestern; weit und breiten Landes
Durchschweifen frommt nicht mehr; selbst nicht von oben
Der Ehren anerkannte Zier, das Loben,
Erfreulich sonst. Aus eignem Tun Behagen
Quillt nicht mehr auf, dir fehlt ein dreistes Wagen!
Nun wüßt ich nicht, was dir besondres bliebe.«
»Mir bleibt genug! Es bleibt Idee und Liebe.«