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Der Sinn und Wert des Lebens

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Der eigentümliche Charakter dieses neuen Lebens erscheint besonders deutlich in seinem Verhalten zum Leid. Jenes flieht nicht das Leid und sucht es nicht irgendwie abzuschwächen, sondern es würdigt es vollauf und geht in seine ganze Ausdehnung ein, nicht um es stehen zu lassen, wie es steht, sondern um es in einen Gewinn zu verwandeln. Solche Verwandlung ist keineswegs so leicht und einfach, wie oft behauptet wird. Denn der oft gehörten Meinung, daß das Leid die Seele veredle und vertiefe, widerspricht schnurstracks die Erfahrung. Im gewöhnlichen Lauf der Dinge macht das Leid den Menschen eher eng, klein, scheelsüchtig, es bringt viel Jämmerlichkeit zutage, während die Befreiung von Not und Sorge das Herz erweitert und hilfsbereit macht. Vertiefend kann das Leid nur wirken, wenn der Erschütterung des Menschen eine höhere Macht entgegenkommt und ihm durch die Erschütterung hindurch sich selbst erschließt. Dann läßt sich auch im Menschen etwas wecken, das ihm bis dahin unzugänglich blieb, dann läßt sich auch ein Glaube an den Menschen wiedergewinnen, an den Einzelnen wie an die Völker und an das Ganze der Menschheit. Dieser Glaube geht dann aber nicht auf den natürlichen Stand und die Naturbegabung des Menschen, sondern auf das in ihm eröffnete und ihm als eigenes Selbst verliehene göttliche Leben. Von hier aus erhält erst die Tatsache volles Licht und einen festen Zusammenhang, daß in schwerem Leid oft Edles unerwartet im Menschen hervorbricht, und daß damit dasjenige, was bisher unser ganzes Wesen dünkte und uns starr zu binden schien, sich als eine besondere Stufe erweist, über die es zwingend hinaustreibt. So geschieht es wohl auch den Kulturen: was besonderen Zeiten die endgültige Lösung scheint, das erweist sich in großen Prüfungen, wie wir eine solche auch heute erleben, als unzulänglich und schal; auch im Gelingen leben die Kulturen sich aus und werden greisenhaft; ein Verzagen und Verzichten wäre kaum zu vermeiden, bestünde nicht eine Möglichkeit des Hervorbrechens neuer und reiner Anfänge, die Möglichkeit eines Jugendlichwerdens der Menschheit. Aber woher soll diese neue Jugend kommen, wenn sich nicht der Menschheit ursprüngliche, von der Verwicklung unberührte Lebensquellen erschließen? So macht diese Lebensoffenbarung, und wohl nur diese, es möglich, das Leid in seiner vollen Herbheit anzuerkennen und darüber den Mut des Lebens nicht zu verlieren, ihn vielmehr weiter zu steigern. Da aber auch beim Siege das Leid nicht völlig verschwindet, sondern sein Wirken fortsetzt, so kann dieses Leben beide Pole gegenwärtig halten: Schmerz und Freude, Hemmung und Überwindung, und die Seele dadurch in unablässige Bewegung versetzen. Jener Aufstieg zum Ja durch das Nein macht mit seiner Forderung einer durchgreifenden Wandlung erst eine Geschichte der Seele möglich, erhebt auch die Weltgeschichte erst zu einer wahrhaftigen Geschichte, während sie sonst eine bloße Evolution, ein bloßer Naturprozeß bleibt. Es hängt damit zusammen, daß, wie William James bemerkt, sich gehaltvolle Selbstbiographien in der Weltliteratur fast nur auf dem Boden des Christentums finden. Was hätte man auch zu berichten, wenn die Seele als Ganzes keine Aufgabe in sich trägt?

Bei der näheren Entwicklung dessen sei aber mit voller Kraft und Klarheit der Gedanke gegenwärtig gehalten, der unsere Erörterung leitet, der Gedanke, daß das Ganze selbständigen Lebens, das nunmehr als ein göttliches anerkannt wird, den Menschen nicht nur mit einzelnen Wirkungen berührt, sondern mit seiner ganzen Fülle als eine selbständige Lebensquelle unmittelbar in ihn gesetzt wird. Das entspricht dem Grundgedanken des Christentums von dem vollen Eingehen Gottes in die Welt und dem Göttlichwerden des Menschen. Es ergeben sich daraus notwendig zwei Forderungen, die einander leicht widersprechen können: das neue Leben muß in jeder Seele schlechterdings ursprünglich sein und zum Kern ihres eigenen Wesens werden, zugleich aber muß es das Ganze einer Welt in sich tragen, es muß daher, um sich zu entfalten, auch im menschlichen Bereich ein großes Lebensreich bilden, es darf nicht eine Sache des bloßen Individuums bleiben. Wir dürfen nicht alles nur auf uns beziehen und meinen, wovor Eckhart warnt, Gott habe »die ganze Welt vergessen bis auf mich allein«. Wir wissen, wie diese Zweiheit sich geschichtlich im Gegensatz von Kirche und Persönlichkeit ausdrückt, dort die Gefahr einer Bindung des Einzelnen und eines Zurücktretens der Gesinnung vor den Leistungen, den »religiösen Pflichten« – ein höchst unsympathisches Wort – , hier die einer Zersplitterung in lauter individuelle Kreise, zugleich die Gefahr eines Überwucherns subjektiver Zuständlichkeit, eines Mangels an geistiger Substanz. Jener Gedanke der Untrennbarkeit beider Seiten gestattet ein Streben nach einer Überwindung des Gegensatzes, er verhindert, die Spaltung in Katholizismus und Protestantismus als endgültig hinzunehmen, da jede Seite eine unentbehrliche Wahrheit vertritt, die sich ohne schweren Schaden nicht verdunkeln läßt.

Zu solcher Verwicklung der Gestaltung gesellt sich die Schwierigkeit einer Umsetzung der Grundtatsachen in eine Gedankenwelt. Da jene Tatsachen über dem Bereiche der Arbeit liegen, der unsere Begriffsbildung beherrscht, so können sie in Begriffen nur annähernd dargestellt werden, so müssen oft Bilder genügen, um das Erlebnis faßbar zu machen. So namentlich beim Gottesbegriffe selbst. Es erscheint hier viel Schwanken zwischen verschiedenen Fassungen, zwischen ontologischen Größen, wie absolute Einheit, absolutes Sein, die mehr eine philosophische als eine religiöse Bedeutung haben, und Größen, welche den Begriff dem menschlichen Empfinden näherrücken, wie namentlich dem der Persönlichkeit, die damit mehr Wärme gewinnen lassen, aber zugleich der Gefahr eines Verfallens ins Bloßmenschliche ausgesetzt sind. Tatsächlich pflegen zwei verschiedene Gottesbegriffe ohne eine genügende Auseinandersetzung ineinander zu verfließen. Diese Spaltung von Weite und Ferne einerseits, von Nähe und Enge andererseits, die das religiöse Leben nach entgegengesetzter Richtung treibt, ist nur zu überwinden, wenn als Grundbegriff nicht das absolute Sein, sondern das absolute Leben gilt, zugleich aber die Gegenwart dieses Lebens beim Menschen anerkannt und er damit über die bloße Besonderheit hinausgehoben wird. Auch so verbleibt es freilich bei bloßen Annäherungen, aber das macht uns den Grundgehalt mit seiner Erhöhung des Lebens keineswegs unsicher oder machtlos. Die Sache sinkt dadurch nicht zu einem bloßen Spiel der Phantasie, daß der Mensch zu ihrer Darstellung der Bilder nicht entraten kann.

Daß jene Schranke dem Leben der Religion nicht allzu gefährlich wurde, das bewirkt vornehmlich die tatsächliche Gestaltung des Christentums auf dem Boden der Geschichte. Wir denken dabei namentlich einerseits an den Aufbau einer religiösen Gemeinschaft als einer lebensvollen Gegenwärtighaltung einer höheren Ordnung, eines Reiches Gottes auf Erden, wie die Kirche sie bildet oder doch zu bilden strebt, andererseits an die starken Persönlichkeiten, welche das Christentum aufweist, und deren vollste Kraft es gewann, vor allem an die begründende Persönlichkeit Jesu. Die Eigenschaften, die sich uns zur Entfaltung alles höheren Lebens in der Menschheit vornehmlich notwendig zeigten, erscheinen hier in einer das sonstige Maß weit überschreitenden Verkörperung. Wir forderten Liebe, damit die Bewegung zur Höhe alle Hemmungen des niederen Standes überwinde, hier finden wir eine Liebe, welche die von Plato und Goethe gepriesene Liebe mit ihrer Innigkeit und Opferwilligkeit weit übertrifft; wir forderten volle Selbständigkeit und Ursprünglichkeit; wie könnte sie größer sein als hier, wo ein von Grund aus neues Leben entsteht und ganz und gar aus sich selber schöpft; wir forderten Tapferkeit und Unerschrockenheit; wo könnte sie größer sein als hier, wo nicht dieses oder jenes in der vorgefundenen Welt, sondern diese ganze Welt angegriffen und entwertet wird? So ging von hier ein Lebensstrom aus, der den Jahrtausenden ursprüngliches Leben zuführt und die Menschheit immer wieder zu sich zurückruft, damit sie an ihm sich läutere und aus ihm ein neues Leben schöpfe. Die verschiedenen Zeiten sahen und fanden bei ihm verschiedenes, aber wer immer in nähere Berührung mit ihm trat, der fühlte sich zur Ehrfurcht vor der schlichten Hoheit des Zimmermannssohnes gezwungen und fand sein Leben durch ihn gehoben, ja in neue Bahnen getrieben. Nur führe alle Verehrung nicht zu einem Jesuskult und zu einer Anbetung, die dem göttlichen Wesen selbst allein vorbehalten sei; sie darf das auch deshalb nicht, weil damit leicht der Zusammenhang mit dem gemeinsamen Menschheitsleben gelockert und das Christentum zu sehr als eine einmalige Tat, zu wenig als ein die ganze Geschichte durchdringendes, jeden Einzelnen zur Mitarbeit und zur Fortführung aufrufendes Werk verstanden wird. Die alte Kirche, zum Beispiel der größte Kirchenlehrer des Morgenlandes, Origenes, fand die Forderung nicht zu kühn, jeder solle nicht bloß ein Anhänger Christi sein, sondern selbst ein Christus werden; wir Neueren werden den Gedanken wohl anders fassen, aber darauf müssen auch wir bestehen, daß das Christentum einen fortlaufenden Lebensstrom, ein gemeinsames Werk bilden muß, wenn es die Menschheit geistig führen und in jedem Einzelnen sichere Wurzel schlagen soll. Wir sehen, an Verwicklungen fehlt es nicht, aber es sind Verwicklungen nicht der Kleinheit, sondern der Größe, und allen Verwicklungen gegenüber erhält sich die eindringliche Wahrheit und die schlichte Einfalt des Grundbestandes. Vieles Grübeln führt dabei nicht weiter, geben wir uns vielmehr rückhaltslos der Größe dieser Welttatsache hin, gedenken wir der Worte Pestalozzis: »Das Staunen des Weisen in die Tiefen der Schöpfung und sein Forschen in den Abgründen des Schöpfers ist nicht Bildung der Menschheit zu diesem Glauben. In den Abgründen der Schöpfung kann sich der Forscher verlieren, und in ihren Wassern kann er irre umhertreiben, fern von der Quelle der unergründlichen Meere. – Einfalt und Unschuld, reines menschliches Gefühl für Dank und Liebe ist Quelle des Glaubens. Im reinen Kindersinn der Menschheit erhebt sich die Hoffnung des ewigen Lebens, und reiner Glaube der Menschheit an Gott lebt nicht in seiner Kraft ohne diese Hoffnung.«

 

So vollzieht die Religion eine Erhebung über das Gebiet der Hemmung, indem sie dem Menschen ein in Gott gegründetes und von göttlicher Liebe getragenes Leben eröffnet; es tritt damit zur kämpfenden Geistigkeit eine überwindende, und was der zunächst vorhandene Lebensstand an Gutem getrübt und gebunden aufwies, das erlangt nunmehr eine Selbständigkeit, es vermag sich zusammenzuschließen und eine reine Gestalt zu erstreben. Aber so gewiß solche Wendung zeigt, daß der Lebenskampf nicht vergeblich ist, sie besagt keinen reinen Sieg, sie löst nicht glatt das Problem. Dazu läßt die Bewegung viel zu viel unergriffen, dazu behält das Feindliche viel zu viel Wirklichkeit, die Welt des Menschen wird damit keineswegs ein Reich der Vernunft. Das kann freilich nicht dem Zweifel die Oberhand geben, denn die Tatsache des Erscheinens eines neuen Lebens wird durch allen Widerstand keineswegs aufgehoben; ja wenn sie außer allem Zweifel steht, so muß der Widerstand selbst ihre Selbständigkeit und Überlegenheit bestärken, denn eben die Verworrenheit und die Unlauterkeit des Weltgetriebes, sowie das moralische Unvermögen des Menschen macht klar, daß nicht von da aus jene Erhöhung des Lebens stammen kann, daß sie nicht ein Erzeugnis des bloßen Weltlaufs ist, daß sie aus göttlicher Macht stammen muß. So die eigentümliche Denkweise der Religion, die nicht mit dem »weil«, sondern mit dem »obgleich« schließt, die nicht aus der Vernunft, sondern aus der Unvernunft der Welt und den ihr innewohnenden Widersprüchen die Gewißheit des Bestehens einer höheren Ordnung schöpft, eine Denkweise, die freilich nicht ohne Gefahr ist und leicht überspannt werden kann.

So viel aber ist gewiß: das Beharren des Widerstandes zwingt zu einem eigentümlichen Urteil über die Gesamtlage der Menschheit. Das Ganze der Welt, das sie umfängt, mit seiner Unfertigkeit und seinen Gegensätzen, mit seinem Angewiesensein auf eine der Verwicklung überlegene Ordnung, kann nicht das Ganze der Wirklichkeit bilden und nicht in sich einen Abschluß tragen, es ist ein Stück einer weiteren Wirklichkeit, eine besondere Art des Seins, die tieferer Gründe und weiterer Zusammenhänge bedarf, um überhaupt zu bestehen und einen Sinn zu erlangen. So suche auch unser Handeln nicht in dieser widerspruchsvollen Welt seine letzten Ziele, es bleibe vielmehr inmitten alles Kampfes unbeirrt auf eine Welt überlegener, selbständiger Geistigkeit gerichtet, um sie bei uns aufrechtzuhalten und möglichst zur Wirkung zu bringen, in festem Vertrauen darauf, daß letzthin nichts von dem verloren sein kann, was dem Aufbau wahrhaftigen Lebens dient. Unser Leben behält auch dann einen Sinn und Wert, wenn es mehr ein inneres Vordringen als ein äußeres Überwinden, mehr ein Wecken und Sammeln der Kräfte als ein volles Erreichen der Ziele ist, wenn es in Zusammenhängen steht, die wir nicht klar durchschauen. So dachte auch Luther, wenn er sprach: »Es ist noch nicht getan und geschehen, es ist aber im Gange und Schwange, es ist nicht das Ende, aber der Weg. Es glühet und glänzet nicht alles, es feget sich aber alles.«

Solcher Stand der Dinge führt notwendig auf die Unsterblichkeitsfrage und zugleich unter all die Verwicklung, welche dieser Frage innewohnt. Wie viele Gründe den Menschen der Gegenwart an einer glatten Bejahung hindern, das bedarf keiner näheren Darlegung, nur das eine sei angeführt, daß ein unbegrenztes Fortbestehen in dieser zeiträumlichen Existenz, ein Fortbestehen der besonderen Individualität mit all ihrer Enge und Zufälligkeit, manchem von uns weniger ein Glück als ein schweres Unglück dünken möchte; wir brauchen das nur durchzudenken, um es geradezu unerträglich zu finden. Aber trotzdem macht es sich auch nicht so leicht mit einer völligen Verneinung. Zunächst ist es nicht bloß niedrige Lebensgier, welche eine Fortdauer suchen heißt, und es handelt sich dabei nicht bloß um eine Rettung unserer natürlichen Besonderheit, sondern um das selbständige Leben, das bei uns durchbricht, uns zu selbsttätigen Lebensträgern macht und uns an Unendlichkeit und Ewigkeit teilnehmen läßt. Erlösche alles, was an Geistigem im Menschenwesen belebt wird, mit dem körperlichen Untergange, so würde ja auch das ganze Menschengeschlecht dahinschwinden, wie die welken Blätter vom Baume fallen, und all sein Mühen und Wirken, das ja, wie wir sahen, kein Reich der Vernunft ergibt, sondern in den Gegensätzen stecken bleibt, mitten im Streben abbrechen und damit völlig sinnlos werden. Das müßten wir uns so lange gefallen lassen, als wir die Sache vom bloßen Menschen aus betrachten; steht sie aber so, daß darin das absolute Leben sich dem Menschen eröffnet und ihn zu selbständiger Mitwirkung aufruft, so würde der Zweifel und die Verneinung jenes Leben selber treffen; ist der Aufbau des Geisteslebens in der Menschheit ein göttliches Werk, so kann sie nicht schlechthin vergehen. Daher verficht die religiöse Überzeugung die Unsterblichkeit nicht vom bloßen Menschen, sondern von Gott her, nach den Worten Augustins: »Für sich selbst kann nicht untergehen, was für Gott nicht untergeht.« Wird aber dieser Gedankengang eingeschlagen, so ist er auch zu Ende zu führen; Unsterblichkeit kann dann nicht eine unbegrenzte Fortdauer in Zeit und Raum, sie muß eine Erhaltung im göttlichen Leben mit seiner ewigen Ordnung bedeuten. Worauf es ankommt, ist die Überzeugung, daß des Menschen Leben und Streben sich nicht in die bloße Zeit erschöpft, sondern auf Ewiges geht, und daß dies Ewige nicht auf einzelne Leistungen beschränkt bleibt, sondern den Kern des Wesens betrifft. Eine derartige Ewigkeit dürfen wir um so getroster verfechten, als wir sie nicht erst von der Zukunft erwarten, nicht bloß auf sie hoffen und harren, sondern sie schon besitzen, mitten in ihr stehen, in ihr den Standort unseres geistigen Lebens haben. Insofern können wir mit Goethe zusammengehen, wenn er meint, daß »das Beständige der ird'schen Tage uns ewigen Bestand verbürge«, wir können sogar mit Kant einen Vorteil darin finden, daß uns bei dieser Frage alle nähere Vorstellung versagt ist, da eine solche uns leicht an der vollen Hingebung an das gegenwärtige Leben hindern würde, das uns wahrlich genug zu tun gibt. Ein Glaube an eine ewige Ordnung und unsere Zugehörigkeit zu ihr sei unbedingt festgehalten; ohne eine Begründung in solcher Ordnung wird alles Leben und Streben in der Zeit zu bloßem Schatten und Schein, und verfällt unser Leben unrettbar einer völligen Sinnlosigkeit. Dafür aber steckt doch zu viel in ihm.

Auseinandersetzung mit dem Zweifel

Unsere Untersuchung hat wiederholt den Zweifel gestreift, der ihrem Hauptzuge widerspricht, aber es fehlt bisher noch eine gründliche Auseinandersetzung mit ihm; eine solche aber ist nicht zu entbehren, wenn unsere Überzeugung die notwendige Sicherheit erreichen und sich auch nach verschiedenen Seiten hin noch deutlicher ausprägen soll. Jenes können wir aber nicht tun, ohne dem Zweifel selbst das Wort zu geben.

Der Zweifel: »Du hast eine Reihe von Gründen vorgebracht und dabei den Eindruck zu erwecken gesucht, als entsprängen sie einer unbefangenen Würdigung der Sache. In Wahrheit ist das ein bloßer Schein. Denn du hast eine bestimmte Tendenz an die Sache herangebracht und sie in ihrer Beleuchtung gesehen. Du suchtest mit aller Kraft eine Bejahung des Lebens durchzusetzen, du hobst hervor, was ihr günstig ist, und schobst zurück, was ihr widerspricht. Wohl anerkanntest du die Übermacht der Natur, das Schwanken im Geistesleben, selbst die moralische Verwicklung der Menschheit, aber du strebtest durchgängig möglichst rasch über das Hemmnis hinaus, und wenn du es überwunden zu haben glaubtest, so ließest du es hinter dir liegen und behandeltest es als ein Nebending. So erhielt deine Untersuchung einen optimistischen Einschlag, und es ergab sich ein viel zu beruhigtes, ein schöngefärbtes Bild unseres Lebens.«

Ich: Ich bestreite entschieden, die Untersuchung im Dienst einer bloßen Tendenz zu führen. Aber ich behaupte, daß jede Arbeit, die nicht fruchtlos auslaufen soll, eine bestimmte Richtung haben muß, nicht ziellos hin und her schwanken darf. Zu verlangen ist nur, daß sie diese Richtung aus der Sache und nicht aus bloßer Neigung des Menschen erhalte. Nun aber suchte ich durchgängig zu zeigen, daß die Wendung des Lebens zur Selbständigkeit, dieser Leitgedanke unserer ganzen Untersuchung, nicht dem Vermögen des bloßen Menschen entspringt, und daß sie seinen Neigungen eher widerspricht, daß sie vielmehr eine Bewegung aus dem Weltall bedeutet, die in sich selbst eine Richtung trägt und mit überlegener Kraft das Streben des Menschen in diese zwingt. Daß diese Bewegung in unserem Bereich härtesten Widerständen begegnet, das weiß ich wohl und habe es auch möglichst zum Ausdruck gebracht, aber ich finde, daß sie diesem Widerstande keineswegs erliegt, sondern sich gegen ihn behauptet und ihn an Hauptstellen siegreich überwindet. Daß vieles nicht in die Überwindung eingeht, das habe ich nicht verschwiegen und auch nicht zu verkleinern gesucht. Mir tritt damit das ganze Leben unter den Anblick eines Kampfes, und ich meine, daß dieser Kampf nicht gelingen kann, wenn der Gegner unterschätzt wird. Aber ein anderes ist es, den Gegner nicht zu unterschätzen, ein anderes, keinen Kampf gegen ihn zu wagen; letzteres scheint mir schon deshalb verkehrt, weil mir geistiges Leben kraft seiner Begründung in Weltzusammenhängen keine starre Größe bedeutet, sondern einer unermeßlichen Steigerung fähig dünkt. Diese Steigerungsfähigkeit auch mitten im harten Kampfe anzuerkennen, ist noch keineswegs Optimismus; will jemand das aber so nennen, so bekenne ich mich gern zu einem derartigen Optimismus, zum Glauben an die unbegrenzte Macht des Lebens.

Der Zweifel: »Du übersiehst, daß du bei allem dem bloße Möglichkeiten für Wirklichkeiten gibst. Weil der Mensch nach deiner Behauptung sich über die Natur erheben kann, nimmst du an, er tue das in Wirklichkeit; weil der Gewinn eines festen Bestandes im Leben nicht unbedingt ausgeschlossen ist, behandelst du ihn als schon gewonnen; weil Sehnen und Hoffen des Menschen den elenden moralischen Durchschnittsstand überschreitet, dünkt dir ein Mehr schon vorhanden. Du übersiehst, daß der Durchschnittsstand der Menschheit unter eben den Hemmungen bleibt, die deine Betrachtung übersprang: die Natur bleibt übermächtig auch beim Menschen, den höchst unsicheren Stand des menschlichen Strebens läßt eben die Gegenwart deutlich empfinden, und wie wenig die Moral die tiefste Gesinnung der Menschheit beherrscht, das haben gerade die führenden Geister der Religion aufs schmerzlichste empfunden.«

Ich: Den weiten Abstand des tatsächlichen Verhaltens der Menschen von den ihnen gesteckten Zielen anerkenne ich vollauf, aber dieser Abstand setzt die Ziele noch nicht zu bloßen Möglichkeiten herab und damit, wie du zu meinen scheinst, zu bloßen Gebilden menschlicher Meinung. Mögen die Individuen noch so wenig die geistige Bewegung teilen, mag der Durchschnittsstand ihre Forderungen noch so wenig erfüllen, die Bewegung selbst bleibt eine Tatsächlichkeit, die der bloße Mensch nun und nimmer ersinnen könnte, die als überlegen und von ihm unabhängig an ihn kommt, ihn mit erhöhendem Wirken umfängt, ihm starke Antriebe zuführt. Aber als Quell eines Reiches der Freiheit läßt sie sich nicht mechanisch übertragen, verlangt sie eine Anerkennung und Aneignung seitens des Menschen, mag sie insofern für den Einzelnen eine bloße Möglichkeit heißen. Nicht aber ist sie dieses an sich selbst, nicht auch ist sie es für das Ganze der Menschheit. Dieses hat mit der Ausbildung einer Geisteskultur eine Überwindung der Natur vollzogen, es hat der weltgeschichtlichen Arbeit bestimmte Richtungen und Forderungen eingeprägt, es hat mit der Bewegung zur Religion eine durchgreifende Vertiefung des Lebens vollzogen; das alles bildet eine Tatsächlichkeit, ohne welche der Einzelne überhaupt nicht aufstreben könnte. Nur darf man die Tatsachen nicht neben und außer dem Leben, man muß sie innerhalb seiner suchen; solche Lebenstatsachen, die sich deutlich genug von allen sogenannten inneren Erfahrungen, subjektiv-seelischen Zuständen unterscheiden, ergeben überhaupt erst Festigkeit, und können auch dem, was von außen kommt, erst den Charakter der Tatsächlichkeit verleihen; es ist daher eine Verkehrung der Sache, wenn diese grundlegenden Tatsachen als bloße Einbildungen hingestellt werden. In der Entfaltung des Geisteslebens nur Wechsel und Wandel, nur Widerspruch und Streit gewahren kann nur, wer sie lediglich von außen betrachtet und mit Händen greifen will, was ihm als wirklich gelten soll. Wer aber in die Bewegung eintritt und sie als eine eigene miterlebt, der wird alsbald die Tatsächlichkeit erfahren, welche ihr innewohnt, und die Kraft, die von ihr ausgeht, der wird erkennen, daß auch im Streben und Suchen sich ein wirklichkeitbildendes Schaffen erweist; ihm wird gewiß sein, daß geistige Festigkeit sich nicht von außen her übermitteln, sondern nur aus eigener Bewegung erringen läßt, so daß letzthin alle und jede Gewißheit auf einer Selbstbefestigung ruht.

 

Der Zweifel: »Du magst sagen, was du willst; deine Beweisführung ist zu künstlich, zu verwickelt; sie wird nie den Menschen als Menschen gewinnen, er muß seine Überzeugung auf einen festeren Grund bauen können als auf weitausgesponnene philosophische Erörterungen. Wie schwer muß es einem schlichten Manne sein, den Begriff eines selbständigen Lebens auch nur zu fassen und ihn gar zu einer Macht für sein Handeln zu erheben! Durch zu viel Gestrüpp ist hier der Weg zu bahnen und zu viel davon ist zu beseitigen, damit nur ein Ausblick möglich werde; ehe man dazu gelangt, wird man ermüdet sein. Was zu den Menschen wirken will, muß einfacher Art sein und unmittelbar zum Herzen sprechen; alles andere bleibt Sache der bloßen Schule.«

Ich: Du verkennst die Eigentümlichkeit philosophischer Behandlung, würdigst nicht die besondere Art unserer Zeit und gibst auch unserer Arbeit nicht ihr volles Recht, wenn du bei ihr lediglich Verwicklung siehst. Um dieses vorauszuschicken, so meine ich, daß alle Mannigfaltigkeit unserer Erörterung einen einzigen Grundgedanken bekennt, und daß sich von ihm aus ein Entweder – Oder ergibt, welches das ganze Leben durchdringt und auf entgegengesetzte Bahnen treibt. Das ist aber die Behauptung, daß im Menschen aus überlegener Macht ein neues Leben gesetzt wird, das ihn in eine Weltbewegung aufnimmt und zugleich zur selbständigen Mitarbeit an dieser Bewegung aufruft. Nur kraft eines solchen Lebens kann er es unternehmen, der Natur ein Reich der Geisteskultur gegenüberzusetzen; nur ein solches Leben vermag durch seinen Gehalt ihn der schwankenden und tastenden Reflexion zu entwinden und ihm inmitten aller Unfertigkeit eine volle Sicherheit zu geben; nur die Selbstvertiefung dieses Lebens macht ihm gewiß, daß jene überlegene Macht nicht in jenseitiger Hoheit beharrt, sondern ihn in die Verwicklungen des Daseins begleitet und ihn über sie hinaus einer höheren Stufe zuführt. In Wahrheit entwickelt das alles nur jenen einen Grundgedanken, die Grundtatsache eines dem Menschen nicht aus eigener Kraft geschöpften, sondern ihm verliehenen neuen Lebens; sicherlich kann nur eine solche einfache Grundwahrheit unserem Streben einen festen Halt und einen inneren Zusammenhang geben. Diese Grundwahrheit, die alle Geistesgeschichte der Menschheit durchdringt, wurde früheren Zeiten mehr aus gemeinsamer Überzeugung, im besonderen durch die Religion zugeführt; wir wissen, wie die Wandlungen der Neuzeit sie für viele weit zurückgedrängt und arg verdunkelt haben, so daß dadurch für die ewige Wahrheit eine neue Form notwendig wird. Für solche Aufgabe ist die Arbeit der Philosophie nicht zu entbehren, diese Arbeit kann aber nicht so unmittelbar wie die Religion zur Seele jedes Einzelnen sprechen, ihr Weg führt durch begriffliche Erörterung hindurch; so mag die Sache von außen betrachtet als künstlich und verwickelt erscheinen, obwohl sie im Grundgehalt einfach ist. Wer besitzt, kann auch in der Form einfacher sein als wer erst sucht; daß wir aber suchen müssen, das liegt an der ganzen Zeit, dafür trifft den Einzelnen keine Verantwortung und keine Schuld.

Der Zweifel: »Alle deine Reden und Gründe lösen nicht das Problem, das von altersher mit schwerer Wucht auf der menschlichen Seele lastet, sie lösen nicht die Frage, warum denn die höhere Macht, als deren Offenbarung du das in der Menschheit neu aufquellende Leben betrachtest, sich nicht in unseren Geschicken mit deutlichen Zügen erweist, warum nach unbefangenem Eindruck der Weltlauf das Wohl und Wehe des Menschen mit voller Gleichgültigkeit behandelt, weshalb Gut und Böse bei ihm nicht in die Wage fallen, weshalb so viele zerstörende Kräfte in unserem Dasein walten. Der gegenwärtige Krieg mit seinem unbarmherzigen Vernichten so vieles blühenden Lebens und seiner Wendung so vieler Geschicke aus hellem Licht in trübes Dunkel muß solche Frage noch weit eindringlicher und peinlicher machen als der gewöhnliche Lauf der Dinge. Wie kann eine Macht der Liebe, und sei es auch nur der Gerechtigkeit, eine derartige Auslieferung der Menschheit an sinnlose Mächte dulden? Erschüttern solche Eindrücke nicht allen Glauben an jene höhere Macht, ja lassen sie diesen Glauben nicht als ein bloßes Wahnbild des Menschen erscheinen?«

Ich: Das ist fürwahr ein gewichtiger Einwand, den nur die Flachheit leicht nehmen kann. Jeder Einblick in die innere Geschichte der Menschheit zeigt aber, daß er keineswegs neu aufgetaucht ist, sondern von altersher ernste Seelen beschäftigt und aufgeregt hat, ohne daß sie darüber ihren Glauben verloren haben. Da sie wahrlich die Sache nicht leicht nahmen, so müssen sie Gründe gehabt haben, die ihnen freilich nicht die Verwicklung glatt lösten, wohl aber sie ihrem niederdrückenden Einfluß entwanden. Diese Gründe kommen aber schließlich auf das Eine hinaus, daß ihnen trotz jenes Mangels greifbarer Bekundung jene höhere Macht kein bloßer Hintergrund des Weltgeschehens blieb, sondern daß sie ein unmittelbares Wirken von ihr auch innerhalb jenes fanden und anerkannten, das aber in der Erschließung eines höheren, wesenhafteren Lebens sowohl in der Menschheit als in der Seele jedes Einzelnen. Es war das Wunder des Geistes, das ihnen eine äußere Durchbrechung des Weltlaufs, das ihnen sinnliche Wunder entbehrlich machte. Ein echtes Wunder erkannte der Einzelne vornehmlich darin, daß ihm das Leben inmitten des Kampfes gegen eine gleichgültige, ja feindliche Welt nicht nur aufrecht gehalten wurde, sondern eine innere Erhöhung erfuhr; eine weiterblickende Betrachtung mußte aber die ganze Menschheit umfassen und dabei voll zur Geltung bringen, daß in ihr weit über ihr eigenes Vermögen hinaus, ja ihrem eigenen natürlichen Streben zuwider ein Reich des Geistes, ja der Liebe begründet und gegen alle Widerstände nicht nur behauptet, sondern weiter und weiter verstärkt ward. Eben dies, daß das nicht aus dem Menschen, sondern eher trotz seiner geschah, und daß, was dabei bei ihm selbst zur Wirkung gelangte, nicht aus eigener, sondern aus verliehener Kraft gewirkt ward, gab ihm die felsenfeste Überzeugung, daß er nicht bloß seine eigene Sache führt, sondern in inneren Zusammenhängen steht und durch die Kraft des Ganzen getragen wird. So befestigt aber fühlte er sich stark genug, den Widerspruch der Außenwelt zu ertragen, so wenig er ihn leicht nehmen konnte. Aber nunmehr gewann die Sache den Anblick, daß wir Menschen auf die innere Welt gestellt sind und ihr treu bleiben sollen, auch gegenüber der Undurchsichtigkeit der äußeren Geschicke und all ihrer Hemmungen. Diese Undurchsichtigkeit selbst nimmt sich dabei anders aus, wenn sich nunmehr das Gesamtbild des Lebens verändert. Müßten wir unser höchstes Ziel darin finden, daß es uns wohl ergehe und wir lange leben auf Erden, so wäre allerdings gegen jenen lähmenden Eindruck nicht aufzukommen und der Unvernunft bliebe das letzte Wort. Nun aber haben sich uns höhere Ziele aufgetan: es gilt einen inneren Aufstieg des Lebens im Bereich der Menschheit, und dies kann bei der tatsächlichen Schroffheit der Gegensätze nicht in ruhiger Entwicklung, sondern nur durch Kampf und Schmerz, durch Wandlung und Entsagung hindurch geschehen. Für solches inneres Aufklimmen, für dies »Stirb und Werde« kann aber manches dienlich sein, was sich, äußerlich angesehen, wie ein bloßer Verlust ausnimmt. Bringt das zunächst bloße Möglichkeiten, und bleibt es uns in tiefes Dunkel gehüllt, woher so schroffe Gegensätze im Weltbestande und so harte Widersprüche im menschlichen Wesen stammen: alles Dunkel verkümmert uns nicht im mindesten den Aufstieg eines neuen Lebens und die Verwandlung unseres Wesens dadurch. Stellen wir uns auf diese eine Grundtatsache und halten uns fest an sie, so können alle Rätsel der Weltlage uns nicht dem Zweifel zur Beute geben, so kann der Widerstand selbst uns nur in der Überzeugung von der Ursprünglichkeit und der Überlegenheit jener Grundwahrheit bestärken.