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Benno Stehkragen

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Wohl eine Stunde war verflossen, als sie vor Marthas Wohnung anlangten.

Sie standen im grellen Licht einer Laterne, Benno hielt ihre Hand umschlossen und flüsterte: »Ich will heut’ noch keine Antwort, heut’ noch nicht. Aber lassen Sie mich nicht zu lange auf Ihre Entscheidung warten, Martha! Sie wissen nicht, wie ich leide, und wie bitter ich schon durch Sie gelitten hab’!«

Martha drückte ihm die Hand und eilte, wie flüchtend, in das Haus.

Beseligt schaute Benno ihr nach.

Er war von einem schweren Bann erlöst, er hatte den Mut gefunden, ihr von seiner Liebe zu sprechen, er fühlte sich so stark, er hatte den Kampf um sein Glück aufgenommen, und er würde ihn durchfechten und sein Glück zu verteidigen wissen.

Oben in ihrem Zimmer aber lag Martha auf der Chaiselongue, drehte die Daumen und überlegte, überlegte …

Seit diesem Abend wurde sie nicht mehr auf der Bank gesehen.

Niemand wußte, wohin sie gekommen war.

Bis eines Vormittags ein Beamter aus der Korrespondenz lachend in das Couponbureau gestürzt kam und jubelte: »Neues von Fräulein Böhle! Das Neueste vom Direktions-Kriegsschauplatz! Hurra, es ist so weit: Direktor Hermann hat ihr eine Wohnung auf der Eckenheimer Landstraß’ gemietet! Bald fährt sie auf Gummirädern und – nanu, was haben Se denn, Herr Stehkragen?«

Benno war röchelnd zurückgesunken.

Aber er faßte sich schnell wieder.

»Mir is unwohl,« stammelte er, »Herr Wittmann, dürft’ ich nicht nach Haus geh’n?«

»Meinetwegen!« schnarrte Wittmann ärgerlich. »Aber sehen Sie zu, daß Sie bald wieder auf den Damm kommen! Wir können jetzt kein Personal entbehren, wo ich jeden Tag zum Kommiß geholt werden kann!«

Benno räumte sein Pult auf und eilte, ein Auto zu nehmen.

Unterwegs gab es einen Aufenthalt. Eine Kompanie, die von einer Felddienstübung heimmarschierte, sperrte die Straße. Im Marschschritt klang es von ihren Lippen:

 
Es welken alle Blä-ätter,
Sie fallen alle ab, alle ab.
 
 
Denn mein Schatz hat mich verla-assen.
Das kränket mich so sehr.
 
 
Ins Kloster will sie ge-ehen
Will werden eine Nonn’, eine No …
 

Erstaunt sah sich der Autolenker nach seinem Fahrgast um, der gellend aufgelacht hatte: »Ins Kloster … Martha ins Kloster, hahaha …«

Todmüde und zerschlagen kam Benno zu Hause an.

Er legte sich in den Kleidern aufs Sofa und verfiel alsbald vor Erschöpfung in einen fiebrigen Schlummer.

Qualvolle Träume suchten ihn heim.

Er sah sich im Couponbureau, die Couponkasse stimmte nicht, und je öfter er nachzählte, desto größer wurde der Fehlbetrag, und desto höher wurde seine Verzweiflung. Er zählte immer eifriger und eifriger, schneller und schneller, der Angstschweiß stand ihm auf der Stirne, und plötzlich riß ihm ein heftiger Windstoß die Coupons aus der Hand, daß sie in groteskem Wirbel ihn umtanzten. Aber nun waren es keine Coupons mehr, sondern scheußliche kleine Teufel, über das Pult krochen ekle Schlangen, eine große, schlüpfrige Kröte guckte aus dem Tintenfaß, und als er sich in seiner Not umsah, da saß auf dem Platz des Bureauchefs in einem schwarzen Mantel der Direktor Birron und hielt als Zepter einen Totenschädel aus der Wolfsschlucht in der Hand, und nickte beständig mit dem Kopf und lallte: »Es wird schon recht sein, Herr Kollege, es wird schon recht sein!«

Entsetzt schrie Benno im Schlaf auf.

Frau Petterich stürzte in das Zimmer und schüttelte ihn vollends wach.

»Um Gottes wille, was hawwe Se dann?« wehklagte sie, »Sie kreische, daß merr maane könnt, es brennt!«

Und da sie Bennos verstörte Augen sah, setzte sie sich mütterlich neben ihn und fing an zu weinen.

Der arme, unglückliche Benno verspürte einen hilflosen Drang, seinen Kopf in ihren Schoß zu legen, die Augen zu schließen und nichts zu denken … nichts zu denken. Aber er traute sich nicht.

»Wann nor mei Schorsch-selig noch lewe dhät,« schluchzte Frau Petterich, »der dhät Ihne schon de Kopp zurechtsetze!«

Aber es dauerte nicht lang, und die resolute Frau Petterich hatte ihr seelisches Gleichgewicht wiedergefunden. Sie war überzeugt, daß nur die Liebe zu Katharine Käsberger, »dere Komödiantin«, an Bennos Verzweiflung schuld sei, und deshalb sprach sie so sanft, als es bei ihren kräftigen Stimmitteln möglich war: »Lasse Se emal vernimftig mit sich redde, Herr Stehkrage! Wann’s halt gar net annerschter gehe dhut, wann Se’s halt gar net aushalte dhun, no, dann gehn Se in Gottes und Dreideiwels Name niwwer zum ahle Käsberger unn halte Se um sei schepp Dochter an! Er gibbt se Ihne mit Handkuß! Er zahlt noch was druff! Unn de klaane Lebrecht kriehe Se gratis unn franko in die Eh’!«

Benno fuhr auf.

Ja, Frau Petterich hatte recht: das war das letzte Mittel, seinem Zustand ein Ende zu machen. Er wollte Katharine Käsberger heiraten, nicht weil er sie liebte, sondern weil er ein Wesen brauchte, für das er sorgen konnte, weil er seinem verpfuschten Leben irgendeinen Inhalt geben mußte, und sei es auch nur die pflichtkalte Fürsorge für ein ungeliebtes, verblühtes Mädchen.

Er wollte gleich vom Sofa springen, doch Frau Petterich drückte ihn sanft nieder: »Ehrscht dhun Se Ihne e bissi erhole! Sie gukke ja aus, als ob Se aus’m Friedhof dorchgebrannt wärn! Nor ruhig Blut! Hat der Käsberger sei’ Dochter so lang uff’m Buckel gehabbt, kann er se aach noch finf Minute länger drowwe hawwe!«

Aber Benno war nicht mehr zu halten. Er riß seinen Hut vom Haken und stürmte geradewegs zu Katharine.

Bekümmert sah ihm Frau Petterich nach und murmelte:

»Liewer Gott, mach’s gnädig! Laß se wenigstens kaa Kinner kriehe! Dann bei dene Eltern wern’s doch nor Unglickswermer!«

Als Benno bei Käsbergers schellte, öffnete ihm ein fremder Mann, der ihn vom Kopf bis zu den Füßen maß, sein Gesicht zu einem Grinsen verzog und dann mit herablassendem Schauspielerpathos sprach: »Junger Mann, wenn mich Ihr Buckel nicht täuscht, habe ich das Vergnügen mit Herrn Benno Stehkragen! Sie sehen in mir den bekannten Gesangspädagogen und Heldenbariton Breivogel, Lebrecht Breivogel. Ich bin gestern von einer längeren Kunstreise zurückgekehrt, die mich an die verschiedensten Fürstenhöfe führte. Davon ein andermal! Heute feiere ich die Wiederverlobung mit meiner geliebten Braut. Wenn Sie aber ein andermal wiederkommen, junger Mann, sollen Sie uns hochwillkommen sein!«

Damit machte er eine gravitätische Verbeugung und schloß die Türe.

Fort, fort! stöhnte Benno. Nur fort! Auf die Bank, dort ist dein Platz! Eine Maschine unter Maschinen!

Und während er wie ein Besessener durch die Straßen eilte, dachte er: Was habe ich nur verbrochen, daß Gott mich so hart straft!

Er rannte blindlings drauf los, instinktiv und aus alter Gewohnheit den richtigen Weg findend, sah nicht die Menschen, sah nicht die Häuser.

Und gerade wollte er in die Industriebank einbiegen, als plötzlich hinter ihm der Ruf erscholl: »Flieger!!«

»Flieger!« schrien hundert Stimmen durcheinander, und ehe Benno wußte, wie ihm geschah, war er von einem Menschenstrom in das Portal der Industriebank gerissen.

Er kam erst wieder halbwegs zur Besinnung, als er an einem Fenster des Couponbureaus allein stand und auf den Bahnhofsplatz hinausstarrte.

Da sah er einen verlassenen Wagen der Elektrischen breitspurig stehen, und seitlich vor dem Wagen stand ein Kind und wartete offenbar, daß der Wagen weiterfahren sollte, damit es die Schienen überschreiten könne.

Es war ein vornehm gekleidetes Kindchen, das wahrscheinlich bei dem Schreckensschrei »Flieger!« von der flüchtenden Gouvernante im Stich gelassen worden war.

Bennos Herz durchzuckte ein Schreck.

Er stürzte auf die Straße, das verlassene Kind zu retten.

Das lief, als es den mißgestalteten, wild gestikulierenden Menschen auf sich zueilen sah, laut schreiend in den nächsten Hausgang.

Benno hob wie in Verzückung die Hände zum Himmel, da hörte er hinter sich ein polterndes Geräusch. Er drehte sich um und wurde im selbem Augenblick von einem führerlosen Lastfuhrwerk erfaßt, das die Kaiserstraße heraufgerast kam.

Die Fliegergefahr hatte sich als falscher Alarm erwiesen. Aber sie hatte dennoch ein blutiges Opfer gefordert.

Auf dem Sofa in der Direktion lag Benno. Der alte Binder hatte eine Decke über die zerschmetterten Glieder gebreitet. Benno hatte die Augen geschlossen, seine rechte Hand tastete suchend durch die Luft und geriet an Direktor Birrons welke Finger, die er sogleich umschloß und zärtlich streichelte.

Birron warf einen hilflosen Blick auf Direktor Hermann, er wollte seine Hand zurückziehen, aber als Hermann ihm zunickte, überließ er sie achselzuckend dem Sterbenden.

»Martha,« flüsterte Benno, indem er fortfuhr Birrons Finger zu liebkosen, »Martha … nun sterbe … ich doch … gewissermaßen … fürs … Va … ter … land …!«

Er schlug die Augen auf, legte den Kopf zur Seite, stöhnte –

Der alte Binder zog ihm die Decke über das Gesicht und nahm die Mütze ab. Und Direktor Hermann frug: »Hat er Verwandte, die man benachrichtigen muß?«

Drei Tage später wurde Benno begraben.

Eine zahlreiche Trauerversammlung gab ihm das letzte Geleit.

Der Vorstand der Jüdischen Gemeinde war vollzählig vertreten und der Rabbiner hielt eine schöne Leichenrede, in der er den Verstorbenen als einen frommen, gesetzestreuen Juden pries und ihn als einen guten Menschen lobte. Bei einer guten Tat, bei der Rettung eines Kindes habe er ja auch sein Leben eingebüßt.

Er habe zwar nicht das biblische Alter erreicht, dafür aber sei er ein wahrhaft glücklicher Mensch gewesen.

Nach dem Geistlichen sprach Direktor Hermann, und er nannte Benno das Muster eines pflichtgetreuen Beamten, dem die Bank stets ein ehrendes Andenken bewahren werde.

Mitten in der Rede sah er auf die Uhr, denn er hatte das Gefühl, es sei schon spät, und er durfte doch in dieser aufgeregten Zeit keine Börsensitzung versäumen.

 

Für die Beamten krähte Herr Rittershaus einige trockene Worte, die er sich für solche Gelegenheiten auswendiggelernt hatte.

Als er zu der Phrase kam: »Und so lege ich diesen Kranz am Grabe des Entschlafenen nieder,« fiel ihm plötzlich ein, daß es ja bei jüdischen Begräbnissen keine Blumenspenden gibt, und daß er gar keinen Kranz in den Händen hatte, und es entstand ein peinliches Räuspern.

Auf einem benachbarten Grabstein saß ein Sperling, zirpte und beschaute sich die Trauerversammlung.

Da war unter anderen Herr Käsberger, der wieder seinen Stiftungsfestgehrock anhatte und sich vergeblich bemühte, den ungezogenen kleinen Lebrecht im Zaum zu halten.

Auch Herr Breivogel war erschienen und erzählte während der Leichenreden einem ihm völlig unbekannten Bankbeamten von seinen beispiellosen künstlerischen Erfolgen. Er gedenke, demnächst auch in Frankfurt ein Konzert zu geben. Und der Bankbeamte schiene ihm, soweit er dies nach dem Sprechen beurteilen könne, eine ausgezeichnete Stimme zu besitzen, ja, er habe in Anbetracht seiner herrlichen Bühnenfigur geradezu ein Vermögen in der Kehle, und er, Lebrecht Breivogel, sei gerne bereit, diese Stimme einmal ausnahmsweise, aber wirklich nur ganz ausnahmsweise, völlig kostenlos zu prüfen.

Der dicke Rehle war in der Uniform eines Vizewachtmeisters erschienen und nahm sich gar stattlich aus. Ihm liefen die Tränen über die Backen, als sie Bennos Sarg zunagelten.

Ferner war da der Herr Seligmann, der wehmütig seufzte: »Er hat mich zwar damals Sonntag Abend sitzen lassen und is nicht zum polnischen Karpfen gekommen, aber ein seelenbraver Mensch war er doch!«

Der stoppelbärtige Joseph schluchzte trostlos; da ihm die gewohnte Serviette fehlte, wußte er nicht recht, was er mit der rechten Hand anfangen sollte, und drehte verlegen seinen vorsintflutlichen Zylinder. Er flüsterte dem ehrlich betrübten alten Binder zu: »Es war ein lieber Mensch, bloß in der letzten Zeit e bißchen meschugge! Gott hab’ ihn selig!«

Der zittrige Bittenberger glich nun vollends einer Ruine, nachdem sein ältester Sohn in einem der ersten Gefechte gefallen war.

Aufsehen erregte ein fremder blonder Mann in tadellosem Gehrock.

Er war der Vater des Kindes, für das Benno sein Leben dahingegeben hatte. Er war mit der Absicht gekommen, ein paar Sätze am Grabe zu sprechen, aber als sich die Beerdigung so in die Länge zog, gab er diese Absicht auf und stand nun etwas geniert, mit seiner goldenen Uhrkette spielend, unter den unbekannten Leuten.

Frau Petterich war trostlos gewesen, als sie erfahren hatte, daß an jüdischen Begräbnissen keine Frauen teilnehmen.

Sie saß, während Benno zu Grabe getragen wurde, in seinem Zimmer und weinte mit dem Mariechen um die Wette.

Und schluchzte abwechselnd bald: »Der arm’ Herr Stehkrage’!« und bald: »Mei guder seliger Schorsch!«

Die Trauerversammlung zerstreute sich. Der Sperling, der auf dem benachbarten Grabstein gesessen hatte, flog auf den frischen Grabhügel und begann lustig und unbekümmert zu zwitschern.

Benno aber lag friedlich in seinem Sarg, gekleidet nach alter Vätersitte, und um seine Lippen spielte das Lächeln der Toten.

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