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Benno Stehkragen

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Mit diesen Gedanken tat Benno Stehkragen übrigens der dicken Antonie Hochberg unrecht. Er konnte ja gar nicht wissen, ob diese Frau nicht in der Tat sehr wohltätig war.

Bennos Interesse an der Sängerin wuchs von Tag zu Tag.

Sie begann bereits, in seinen Phantasien eine Rolle zu spielen:

Wenn ich das alte Klavier wär’ – und ich wär’ seit drei Jahren nicht gestimmt – und nicht gereinigt – sondern meine Tasten täten aussehen wie schlecht geputzte Zähn’ – und es kämen zehn rosige Mädchenfinger – und täten auf merr ’erumtippen – bimbimbim in die hohen Tön’ – und bumbumbum in die tiefen Tön’ – und so schnell, als wär’ ich e Schreibmaschin’ – ich tät’ alle Kraft zusammennehmen, die Lust und auch den Schmerz – und tät’ klingen wie e Konzertflügel für monatlich hundertfünfzig Mark Abzahlung – oder dreitausend Mark bei Barzahlung! – Und alle Leut’ müßten sagen, die auf dem Klavier spielen täten: »Gott, was hat der Benno Stehkragen for en schönen Ton!« – und wenn die schöne Sängerin auf die Pedale treten tät’ – dann tät’ ich nicht etwa stöhnen: »Au, meine Hühneraugen!« – sondern ich tät’ nur denken: »Was se für reizende, kleine Füßchen hat! – Ihr ganzer rechter Fuß is kaum so breit wie bei mir die linke große Zeh’« – und ich wär’ das glücklichste Klavier auf der Welt – und ich …

Benno versuchte, sich ein Bild der unbekannten Sängerin zu machen.

Das war freilich nicht so einfach, denn die einzige Dame, mit der Benno nähere Beziehungen angeknüpft hatte, war die Göttin Phantasie, ein heidnisches Fräulein, das mit dem lieben Gott die gemeinsamen Eigenschaften hat, unsichtbar und gestaltlos zu sein.

Benno begann, die weiblichen Köpfe in den Schaukästen der Photographen zu studieren, aber keiner entsprach dem Bild, das seine dunkle Ahnung von der Sängerin entworfen hatte.

Die einen waren ihm zu selbstbewußt, die anderen zu schmächtig, jene zu walkürenhaft, diese zu unbedeutend.

Blond, jung, mit großen, träumerischen Augen stellte er sich das Mädchen vor, dessen Stimme ihn behext hatte.

Eines Abends, als er sie wieder singen hörte, trat er vor den Spiegel und beschwor ihn:

 
Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land?
 

Aber der Spiegel warf nur sein eigenes Bild zurück, von dem sich schwerlich behaupten ließ, es sei das schönste Bild im ganzen Land.

Die Neugier nach dem Aussehen der großen Unbekannten ließ ihm keine Ruhe, und schließlich faßte er den für seine Begriffe ungeheuerlichen Entschluß, ihre Bekanntschaft zu suchen.

Wäre er ein Stuart Webbs gewesen, von dessen Spitzfindigkeit die Kinos sämtlicher Weltteile Wunder berichten, oder ein Nick Carter, dessen Detektivtaten in unzähligen Zehnpfennigheften mit furchtbar farbigem Umschlag gefeiert werden, so hätte er wohl gewußt, wie er sich hätte anstellen müssen.

Stuart Webbs wäre in einem solchen Fall einfach in das Hinterhaus gestiegen, in das vierte Stockwerk, hätte die Fußspuren auf dem Boden nachgemessen und die Füße sämtlicher Frankfurterinnen so lange mit diesen Spuren verglichen, bis er die Sängerin herausgefunden hätte.

Leider aber pflegte Benno kein Kino zu besuchen, und er kam deshalb nicht auf einen so genialen Einfall.

Er ging vielmehr geradewegs auf das Haus zu, aus dessen viertem Stockwerk der Gesang zu tönen pflegte, schlich sich wie ein Einbrecher die vier Treppen empor, um an der Türe den Namen der Bewohner zu erforschen.

Ach, es war das erstemal, daß Benno Stehkragen auf Liebespfaden wandelte, und er stellte sich dabei keineswegs kühn wie ein Kinoheld an. Jeder Quartaner hätte mitleidig über den Anfänger gelächelt.

Sein Herzchen klopfte bis in den Buckel hinauf, und wäre ihm jemand auf der Treppe begegnet, er hätte in seiner Verzweiflung die Hände emporgestreckt und gerufen: »Ich ergeb’ mich!«

Atemlos stand er vor der Türe im vierten Stock.

Dort war ein verrostetes Blechschild angebracht mit der Aufschrift: »Adam Käsberger, Schornsteinfeger.«

Und darunter war eine schmutzige Visitenkarte angenagelt, der die rechte obere Ecke fehlte: »Rita von Veldern, Mitglied des Frankfurter Opernhauses.«

Benno nahm ehrfurchtsvoll seinen Hut ab und machte eine tiefe Verbeugung.

Also Rita hieß sie. Natürlich kam es ihm so vor, als hätte er noch nie einen schöneren Namen gehört.

Er hätte sich gar nicht gewundert, wenn sich in diesem Augenblick die Tür geöffnet hätte und eine Prinzessin hervorgetreten wäre, um ihn mit einer unsagbar lieblichen Geste einzuladen: »Treten Sie näher in unser Königreich.«

Und er hätte dann mit verklärtem Antlitz gestammelt: »Sehr angenehm! Königliche Hoheit gestatten, daß ich mich vorstelle: Benno Stehkragen, Beamter der Industriebank. Noch zu haben!«

Aber die Tür öffnete sich nicht. Wohl aber entfiel den zitternden Händen Bennos der Hut und rollte die vier Treppen hinab, und hinter ihm her rollte alsbald Benno Stehkragen, erhaschte im Hausflur seinen Hut, der nun allerdings nicht mehr aussah, als ob er aus einem Königreich käme, und machte sich auf den Heimweg.

Und obwohl der Text zu Lohengrins Schwanenlied unabänderlich feststeht, sang er doch während des ganzen Weges auf diese Melodie den neuen Text: »Rita, Rita, Rita.«

Wer erst einmal auf verbotenen Wegen gewandelt ist, kann es bekanntlich nicht mehr lassen. Denn gerade auf den verbotenen Wegen blühen die schönsten Blumen, leuchten die hellsten Sterne und wachsen die dicksten Kartoffeln.

Benno, der schüchterne, tugendsame Benno, beschloß, auf dem verbotenen Weg weiter zu wandeln, und sollte er auch schnurstracks in die Hölle führen.

Wiederum zeigte es sich, daß Stuart Webbs und Nick Carter an Bennos Stammbaum gänzlich unbeteiligt waren.

Zwischen seiner Wohnung und dem schornsteinfegerlichen Königreich lag eine Delikatessenhandlung, die das Stelldichein sämtlicher Dienstmädchen der Umgegend zu bilden pflegte. Dort wollte Benno Näheres über Rita erfahren. Er gedachte, dort irgendeinen Einkauf zu machen und bei dieser Gelegenheit die Besitzerin des Geschäftes auszufragen.

Kaum hatte er diesen Entschluß gefaßt, als er auch schon vor der Kühnheit seines Unternehmens zurückschreckte.

Drei Tage zauderte er.

Als aber am Abend des dritten Tages wieder der Sirenengesang durch das offene Fenster in sein Zimmer getönt war, und zwar diesmal das für alle unverliebten Ohren schreckenerregende Lied »Lieb’ mich, und die Welt ist mein«, da raffte sich Benno auf mit dem festen Entschluß, die Welt zu diesem billigen Preise zu erwerben.

Lange stand er am nächsten Mittag vor der Tür des Delikatessengeschäftes. Er hatte seinen besten Anzug angezogen. Wohl zehnmal hatte er die Hand auf die Türklinke gelegt, bis er es unter Aufgebot seines ganzen Mutes über sich gewann, die Klinke niederzudrücken.

Mit einem jähen Ruck öffnete sich die Tür, Benno erschrak heftig über das Klingelzeichen und wäre gern wieder davongelaufen. Aber schon hatte sich der blondgescheitelte Verkäufer, der während der Mittagsstunden die Ladeninhaberin vertrat, und der aussah, als sei er aus dem Schaufenster eines Friseurs durchgebrannt, des unglücklichen Benno bemächtigt, und alsbald rasselte eine solche Fülle von Warenanpreisungen auf Bennos verstörtes Haupt hernieder, daß sich der Ärmste nicht mehr zu helfen wußte.

O, es war ein tüchtiger Kommis, und er wußte genau, daß Müllers Stiefelwichse die beste ist und Bergers Hühneraugenpflaster, nur echt mit dem Namenszug des Erfinders, Wunder wirken, und er machte aus diesen Kenntnissen Benno gegenüber kein Geheimnis.

Als Benno zehn Minuten später wieder vor dem Laden stand, hatte er fünf Büchsen Brechbohnen, drei Pfund gedörrtes Obst, zwei Pakete Margarine, eine Kokosnuß und für dreißig Pfennig Bartwichse gekauft – dem Königreich aber war er keinen Schritt näher gekommen.

So also ging es nicht.

Überhaupt, sagte sich Benno mißmutig, als er zu Hause die Pakete auspackte, was geht dich die Sängerin an? Schreib’ deine Fakturen und kümmer’ dich nicht um fremde Damen! Geh’ nicht auf die Mädchenjagd, du bringst’s doch nur bis zum Sonntagsjäger! Du weißt’s doch aus der Odyssee: Wenn die Sirenen singen, soll merr sich die Ohren mit Watte verstopfen!

Und Benno verschloß an den nächsten beiden Abenden, sobald der Gesang Ritas ertönte, heroisch die Fenster und hielt sich das rechte Ohr zu.

Und hörte nur ganz heimlich mit dem linken Ohr hin.

Aber der Kopf denkt, das Herz lenkt.

Benno ertappte sich dabei, daß er täglich den Theaterzettel des Opernhauses studierte, um den Namen Rita von Veldern zu entdecken.

Aber er fand ihn nicht. Und das bedeutete keinen Mangel an Scharfsinn, denn selbst ein Stuart Webbs und Nick Carter würden den Namen dort nicht entdeckt haben. Aus dem einfachen Grunde, weil er nicht dort stand.

Sollte die Visitenkarte an der Tür des vierten Stockwerkes gelogen haben?

Benno überlegte.

Er wollte der Visitenkarte nicht unrecht tun; sie hatte so vertrauenerweckend schmutzig ausgesehen.

Er sagte sich: Wahrscheinlich tritt sie nicht unter ihrem Familiennamen von Veldern auf, sondern sie hat sich einen Bühnennamen zugelegt.

Er fand dies sogar ganz in der Ordnung.

Und gestand sich: Wenn ich ein großer Schauspieler wär’, ein so großer Schauspieler, wie ich ein kleiner Schlemihl bin, ich tät’ auch nicht unter meinem Namen Benno Stehkragen, oder Benno von Stehkragen, auftreten.

In solchen Gedanken ging Benno eines Abends den Oederweg hinunter. Die Straßenlaternen brannten trübe, und trübe flackerte das Lämpchen in Bennos Herzchen. Ihm fehlte das Öl der Leidenschaft.

Wenn ich jetzt der Don Juan wär’, philosophierte er, der große Liebespraktikus aus Spanien – dann tät’ ich merr eine Mandolin’ kaufen – und tät’ in der nächsten Vollmondnacht nach dem Oederweg 69 schleichen – und tät’ mich in den Hof stellen wie en Orgelmann – und mein Diener Leporello müßt’ achtgeben, daß kein Schutzmann kommt – und ich tät’ auf meiner Mandolin’ ’erumpauken – und tät’ mit mei’m Mozartschen Bariton meinen Liebeskummer in die Nacht ’erausheulen – und dabei mit großen Schritten auf und ab gehen und e bißchen mit dem Säbel scheppern – und wär’ unwiderstehlich! – Und es tät’ sich im vierten Stock ein Fenster öffnen – und ein weiblicher Mädchenkopf ’erausgucken – und se tät’ merr ebbes herunterwerfen – nicht zwei Pfennig in Papier gewickelt, sondern ihr Herz – ihr gerührtes, rotes Herz – und ich tät’s mit mei’m spanische Käppche’ auffangen – und ich …

 

Benno blieb plötzlich mitten auf der Straße und mitten in seiner Träumerei stehen.

Ihm entgegen kam ein Fräulein, das einige Notenhefte unter dem Arm trug.

Benno wußte sofort: das ist sie.

Er blinzelte nach dem obersten Notenheft – es war der »Lenz« von Hildach.

Rita von Veldern trug einen karierten Rock, eine verwaschene hellblaue Bluse mit einem breiten, maschinengearbeiteten Spitzenkragen. Ihre Kleidung schien etwas vernachlässigt und geizte offenbar danach, für kostspieliger zu gelten, als es der Wahrheit entsprach.

Ich weiß nicht, welche Altersberechnung im Feenreich üblich ist – nach irdischer Berechnung stand Rita in der Mitte der dreißiger Jahre.

Ein unscheinbares, verblühtes Persönchen, das auf recht ausgiebig geratenen Füßen durchs Dasein trippelte. Das spärliche dunkle Haar war unter einem großen, abenteuerlichen Hut verborgen, der aussah wie »von Herrschaften abgelegt«.

Das Gesicht war nicht hübsch, nicht häßlich, ein gutbürgerliches Durchschnittsgesicht, das ehemals, als noch die Jugend es belebte, wohl küssenswert gewesen sein mochte. Den entschwundenen Glanz ersetzte die Kosmetik nur höchst unvollkommen.

Benno mußte zugeben, daß man sich eine Märchenprinzessin gewöhnlich etwas anders vorstellt.

Machte nichts. Hatte er, der bucklige Benno Stehkragen, ein Recht, über die körperlichen Vorzüge und Fehler seiner Mitmenschen zu Gericht zu sitzen?

Und wäre Rita häßlich wie die Nacht gewesen, ihre Stimme war zart und lieblich und besaß die Gabe, Licht in die Seele eines unansehnlichen, harmlosen Hagestolzes zu gießen und Frühling in ein schmuckloses Junggesellenzimmerchen zu zaubern.

Unwillkürlich hatte Benno sie gegrüßt.

Rita von Veldern schaute ihm erstaunt in die Augen, und er fühlte, daß sie sich umkehrte und ihm nachsah.

Daß sie ihm in die Augen sah, konnte Benno, der blutrot geworden war, nicht erschrecken, aber daß sie ihm nachblickte, war peinlich. Denn nun mußte sie den Buckel sehen.

Und wenn ihr vielleicht seine Augen gefallen hatten, der Buckel mußte jede Sympathie ersticken.

»Eigentlich,« hatte Benno einmal in seiner selbstironischen Art gesagt, »eigentlich hat der liebe Gott aus mir ein Kamel machen wollen. Aber wie er den Buckel geschaffen gehabt hat, da war er ihm doch für ein Kamel nicht schön genug! Und da hat er halt den Benno Stehkragen draus gemacht.«

Übrigens übertrieb Benno die Wirkung des Buckels bedeutend. Es ging ihm wie jenem Prüfungskandidaten, dem ein Knopf an der ungeeignetsten Stelle offen stand, der nun meinte, jeder Professor fixiere gerade diese Stelle, und der darüber durchs Examen fiel, obwohl sein kleines Toilettemißgeschick von niemandem bemerkt worden war.

So brachte sich Benno um jede Freundschaft mit Frauen und um das höchste Erdenglück, um Liebe, durch seinen eigensinnigen Argwohn, sein Buckel müsse jeden Menschen abstoßen.

Seit Benno Stehkragen Rita mit Augen gesehen hatte, ward ihm ihr Gesang noch wertvoller.

Freilich, die Illusion des goldblonden Engels war unrettbar dahin. Aber der Verlust dieser Illusion hinterließ keine brennende Wunde.

Es trat einfach an die Stelle seines schönen Traumes ein anderer schöner Traum, der in weniger überirdischen Gefilden spielte, dafür aber an Leben und Wahrscheinlichkeit gewann.

Benno kannte nun die Sängerin von Angesicht, und damit erhielten ihre Lieder für ihn etwas Persönliches, Intimeres.

Er konnte sie sich jetzt recht gut während des Singens vorstellen, und ihm war, als sänge sie für ihn allein.

Er sah Rita öfters auf der Straße, und jedesmal grüßte er sie.

Sie wunderte sich nicht mehr über diesen Gruß, sie dachte sich: Wahrscheinlich ist es irgendein Bekannter vom Schornsteinfegerball. Und sie erwiderte lächelnd seine Begrüßung.

Weiter als bis zu diesem Grußverhältnis entwickelte sich die gegenseitige Bekanntschaft vorerst nicht. Und Benno war damit vollauf zufrieden.

Ja, mehr als das, er war glücklich.

Bis die Stimme der Sängerin mehrere Abende hintereinander stumm blieb.

Die Fenster von Bennos Zimmer standen weit offen, ausgebreiteten Armen vergleichbar, die des Liebsten harren. Oder, um ein echteres Bennosches Bild zu wählen: einer Mausefalle vergleichbar, in der als Speckbrocken Bennos Herz hing.

Kein Gesang wogte herein. Nur die feuchte Herbstluft zog ein, machte es sich auf Bennos Sofa, in Bennos Bett bequem, kletterte die Wände auf und ab, bis sie sich zuletzt in Bennos aufgestülpte Nase verkroch und in Gestalt eines Stockschnupfens dort bis in den Januar wohnen blieb.

Keines der gebräuchlichen Schnupfenmittel erkannte sie als Kündigungsgrund an.

War Rita krank?

Er sah sie jetzt auch nicht mehr auf der Straße.

Seine Unruhe wuchs von Abend zu Abend.

Alle die Besorgnisse, die sonst nur in liebevollen Mutterängsten ihr Unwesen treiben, erwachten in ihm. Am Ende war sie von der Elektrischen überfahren worden?

Oder auf der Straße ohnmächtig geworden und lag jetzt irgendwo in einem Krankenhaus und konnte in ihrem Fieberzustand keine Auskunft über ihre Personalien geben?

Oder … oder … Jede Frankfurter Mama kennt einen ganzen dicken Konversations-Lexikons-Band voll solcher »Oders« – eines immer katastrophaler als das andere.

Benno dachte daran, auf die Polizei zu gehen. Schließlich zog er es vor, wieder das Orakel des Delikatessengeschäftes zu befragen.

Und diesmal war die Pythia selbst anwesend und nicht der stellvertretende Hohepriester mit dem Pomadenscheitel und den Billige-Jakobs-Manieren.

Diese Pythia drückte sich weit eindeutiger aus als ihre berühmte delphische Kollegin.

»Wo die Käsbergers sin? Wo wer’n se sein? ’nausgeschmisse sein dhun se! Des wär’ merr des Rechte: de liewe lange Dag de Leut’ die Ohr’n vollorjele unn kaa Miet’ berappe! Nix wie enaus mit so’re Gesellschaft!«

Es war, als hätt’ der Himmel die Erde still geküßt – das nannte die Frau »die Ohr’n vollorgeln«!

Jetzt erfuhr Benno auch, daß Rita von Veldern nur ein Bühnenname sei, und daß die Rita (»No, ich will nix sage, awwer wann ich redde wollt’ …!«) die Tochter Katharine des Schornsteinfegers Käsberger war.

Das alles war sehr niederschmetternd.

Und Benno kaufte in seiner Zerknirschung mehrere Pfund Stücksoda, zehn Büchsen Leipziger Allerlei und drei Bündel Knoblauch.

Mühsam raffte er sich zu der Frage auf, ob die gute Frau nicht wisse, wo die Käsbergers jetzt wohnten?

O ja, das wußte die gute Frau sehr genau. Sie hatte ein großes Interesse an der Adresse, denn die »Bagasch« war ihr noch Geld für Waren schuldig. Und nicht nur ihr, sondern fast sämtlichen Geschäften in der Nachbarschaft.

»Uff’n Sachsehäuser Berg sin se gezoge. Vielleicht dhun ihne de Sachsehäuser noch ebbes bumbe, die Frankforter dhun’s net mehr!«

Die volle Wahrheit über Rita von Veldern, geborene Katharine Käsberger, erfuhr Benno auch hier nicht.

Nur so viel hörte er aus der lieblosen Schilderung heraus, daß die Rita ein armes Geschöpf war.

Und das war sie in der Tat.

Ursprünglich war Katharine keineswegs zur Künstlerin bestimmt gewesen. So schwarze Pläne hegte der Schornsteinfeger nicht mit seiner Tochter. Er hatte sie vielmehr als Lehrmädchen in ein großes Warenhaus gesteckt, wo sie alsbald in die Geheimnisse des Wareneinpackens und Verschnürens eingeweiht wurde.

Nebenbei nahm sie Schreibstunden, denn ihre Schriftstücke hatten bisher stets ausgesehen, als habe ihr Vater beim Nachhausekommen vom Beruf sich die Hände daran abgewischt.

Der Schreibunterricht hatte befriedigenden Erfolg, und es läßt sich nicht leugnen, daß die heimlichen Zettelchen, die sie nach etwa einjähriger Lehrzeit einem Kommis der Seiden-Abteilung zukommen ließ, eine bedeutend bessere Handschrift aufwiesen als der Briefwechsel, den sie ein halbes Jahr zuvor mit einem Buchhandlungsgehilfen postlagernd geführt hatte.

Den Gesang übte sie damals nur als Dilettantin aus; sie sang wie der Vogel singt, der in den Zweigen wohnet, nur nicht so schön.

Und sie dachte nicht daran, diese Gabe Gottes als Erwerbsquelle auszubeuten – bis zu jenem verhängnisvollen Abend, an dem sie im Verein »Die lustigen Rauchfänger« das ergreifende Lied vortrug von dem schlechten Kerl, der »mich nie geliebt« hat. Und als Zugabe das Baßlied von der »Krone im tiefen Rhein«, für Sopran bearbeitet.

An jenem Abend befand sich unter den Zuhörern als Gast auch der ehemalige Chorist Lebrecht Breivogel, der sich seit Verlust seiner Stimme den Titel »Gesangspädagoge« zugelegt hatte.

Er schlängelte sich an Papa Käsberger heran und machte ihn darauf aufmerksam, daß seine Tochter, die, nebenbei bemerkt, eine herrliche Bühnenfigur besäße, ein Vermögen in der Kehle habe. Ein Vermögen, das keineswegs so schwer zu heben sei, wie die Krone im tiefen Rhein.

Und es ginge zwar gegen seine Prinzipien, und er habe auch alle Hände voll zu tun, aber er wolle ausnahmsweise, ganz ausnahmsweise die Stimme des gnädigen Fräuleins völlig kostenlos – prüfen.

Papa Käsberger war berauscht von den Zukunftsbildern, die der Gesangspädagoge ihm malte.

Mama Käsberger weinte auf Vorschuß Tränen der Freude und des Stolzes.

Und Katharinchen sah sich bereits in den illustrierten Blättern abgebildet. In einem tiefdekolletierten Seidenkleid, und mit einem Faksimile ihrer verbesserten Handschrift.

Lebrecht Breivogel prüfte die Stimme, und da er dringend Schülerinnen brauchte, entdeckte er ein außergewöhnliches Material. In spätestens zwei Jahren werde das Fräulein ein erstklassiges Engagement haben, dafür garantiere er.

Wenn ein Lebrecht Breivogel für etwas garantiert, so kann es kein Besinnen mehr geben.

Das Warenhaus wurde um eine Einwicklerin ärmer und der große Einwickler Breivogel um eine Schülerin reicher.

Auf dem Auktionswege wurde ein Klavier erstanden, äußerlich so gut wie neu und innerlich ebenso miserabel, und Katharine Käsberger wanderte zweimal wöchentlich zu ihrem Gesangsprofessor Lebrecht.

Und denselben Weg wanderten ihre kleinen Ersparnisse und Papa Käsbergers sauer erworbene Notpfennige.

Vielleicht wäre aus Katharines Stimme etwas zu machen gewesen, hätte ein solider Lehrer sie fleißig gebildet.

Zur Solistin an einem kleinen Stadttheater hätte es das von Hause aus musikalische Mädchen wohl bringen können.

Den Mißhandlungen des Breivogelschen Unterrichts aber war die kleine Stimme nicht gewachsen. Es spricht immerhin zugunsten Katharines, daß ihr Organ den natürlichen Wohlklang nicht vollends einbüßte, und daß sie in verhältnismäßig kurzer Zeit leidlich Klavier spielen lernte.

Ihre Stimme blieb unentwickelt, die Höhe wurde scharf, für die Hebung ihres Geschmacks geschah gar nichts, aber die Stimme nahm in der Mittellage einen rührenden Ausdruck an, wie die Augen eines mißhandelten Kindes.

Und dieser Ausdruck war es, der Benno so sehr bezaubert hatte.

Es war, als klage diese Stimme ihr Leid über die erlittenen Züchtigungen in die Welt hinaus und finde Trost in ihrem eigenen Klang.

Zwei Jahre nach Beginn der Gesangslektionen hatte Katharine zwar kein Engagement, wohl aber ein Kind von ihrem Lehrer.

Mama Käsberger trug das freudige Ereignis mit dem Fatalismus, der so vielen unbemittelten Leuten zur Gewohnheit wird.

Es war eben ein Unglück, da war nichts zu machen.

Papa Käsberger hingegen hatte im ersten Kummer geschworen, er werde dem Breivogel alle Knochen einzeln entzweischlagen. Aber die Wogen seiner Erregung glätteten sich wieder, als Lebrecht versprach, Katharine, die jetzt bereits Rita hieß, zu seiner ehelich angetrauten Gattin zu machen. Er wisse, was seine Pflicht als Ehrenmann sei! Was man eigentlich von ihm glaube? Ritas wundervolle Stimme, ihre Zukunft als gefeierte Sängerin seien ihm Mitgift genug.

Zum zweitenmal fiel die Familie Käsberger auf die Versprechungen Breivogels hinein.

Denn als der lockere Breivogel merkte, daß man Miene machte, ihn beim Wort zu nehmen, entfaltete er seine Flügel und verschwand spurlos aus Frankfurt.

Er überließ seiner Schülerin in uneigennützigster Weise den alleinigen Genuß ihrer glänzenden Zukunft.

 

Der kleine Lebrecht war ein hübsches Bübchen mit kohlschwarzen Augen. Mama Rita und Großmama Käsberger verliebten sich in ihn, verhätschelten ihn und merkten infolgedessen nicht, daß der kleine Lebrecht eine Eigenschaft besaß, die in bessersituierten Kreisen kein Hindernis in der Karriere ist, für arme Teufel aber verhängnisvoll zu sein pflegt: er war strohdumm.

Mit der Pointe Klein-Lebrecht schloß das Couplet von Ritas Jugend.

Was nun kam, war schlichteste Prosa: eine Prüfung der Stimme durch Sachverständige, die schmerzliche Eröffnung der Wahrheit, ein resigniertes Engagement als Choristin.

Selbst auf diesen gewiß bescheidenen Erfolg war Papa Käsberger noch stolz. Seine Tochter war doch beim Theater, ein Schimmer jener rätselhaften Welt von Glanz und Herrlichkeit drang in seine karge Häuslichkeit, er genoß den Kitzel all des Kulissenklatsches, den seine Tochter von den Proben mit heimbrachte, und der beim Erzählen am Stammtisch und im Verein ihn mit dem Glorienschein des »Wissenden« und gewaltigen Kunstsachverständigen umgab.

Und besaß nicht Rita auch ein sichtbares, lebensgroßes Zeichen ihres Künstlertums?

Ich meine damit nicht den kleinen Lebrecht, sondern den riesenhaften Lorbeerkranz, der in der guten Stube über dem Sofa hing, und dessen Schleife in goldenen Buchstaben die Inschrift trug: »Der vortrefflichen Künstlerin – Die dankbaren Schornsteinfeger.«

Auf die Bildung des musikalischen Geschmacks wirkte die Tätigkeit als Choristin unverkennbar günstig ein. Der Chormeister des Opernhauses war ein gütiger Mann, dem zu einer glänzenderen Karriere nur eines gefehlt hatte: das Glück.

Ein Mann voll Musikverständnis, voll echter Liebe zur Kunst, die ihm auch sein jetziger, wenig erfreulicher Beruf nicht hatte verkümmern können. Ihm fiel bald der natürliche Wohlklang der Stimme Ritas auf, er ließ es nicht an guten Ratschlägen fehlen, nahm wohl auch nach den Chorproben das eine oder andere Lied mit ihr durch, und ihm war es zu verdanken, daß Rita auch Schumannsche und Schubertsche Lieder kennen und singen lernte. Das Bewußtsein, der heiligen Cäcilie als treuer Jünger gedient zu haben, war dem wackeren Manne Lohnes genug für die geopferte Zeit und Mühe. –

Schwere Gedanken belasteten das Hirn Benno Stehkragens auf dem kurzen Heimweg von der Delikatessen-Pythia. Nicht Liebe war es, die ihn für Rita beseelte, nicht einmal Freundschaft. Aber er hatte nun einmal Interesse für dieses Mädchen gefaßt, und er pflegte seine Interessen mit Zähigkeit zu verfolgen.

Und war er ihr nicht auch zu Dank verpflichtet? Zu Dank für die vielen genußreichen Viertelstunden, die ihr Gesang ihm geschenkt hatte?

Gab es hier nicht vielleicht etwas zu helfen, ein bitteres Los zu lindern? Und Hilfe leisten, das war ja eine Lieblingsbeschäftigung Bennos, der in seinen Träumen die ganze Menschheit zu beglücken pflegte.

Oft, wenn er in den Zeitungen die Sammellisten für wohltätige Zwecke las, und dabei auf den Vermerk stieß, »N. N. M 1000.– «, wünschte er sich: Dieser N. N. möchte ich sein! Kann es etwas Schöneres geben, als unerkannt, ohne anderen Dank als den Dank eines guten Gewissens Wohltaten ausstreuen?

War das nicht noch tausendmal herrlicher als die Kaiserkrone Chinas, der Bürgermeisterhut Gomorrhas?

Um jene Zeit siedelte die Industriebank aus dem einfachen Geschäftshaus im Oederweg in den Dividendenpalast am Bahnhofsplatz über.

Benno beschloß nach schwerem Zögern, diesen Umzug als Grund zur Kündigung seiner Wohnung zu benutzen.

Zwischen zwei großen Bissen polnischen Karpfens brachte er es würgend übers Herz, seinen Hausleuten diesen Entschluß mitzuteilen, und wunderte sich selbst, daß ihm dabei keine Gräte im Hals steckenblieb.

Er müsse näher an das neue Geschäftslokal heranziehen, er verliere sonst zu viel Zeit in der Mittagspause, es täte ihm ja selbst unsagbar leid – der polnische Karpfen wurde schier kalt über seiner Verlegenheitsrede, und dem armen Benno stand der Angstschweiß auf der Stirn.

Am Ende war er doch ein Haifisch? Und diese Rede hielt nicht er selbst, sondern der Jonas in seinem Bauch?

Die Hausleute ließen ihn ungern ziehen. Die Kinder weinten, und auch dem Vater Seligmann war das Schluchzen nahe, als er beim Abschied wehmütig lächelte:

»Beinahe hätten merr die soziale Frage gelöst gehabbt – und grad da müssen Se ausziehen!«

Benno zog »näher« der Industriebank, nämlich – nach dem Sachsenhäuser Berg.

Drei Häuser von Ritas Wohnung.

Dort fand er bei der Tapeziererswitwe Petterich ein Heim, und sogar an der Nordfront des Hauses ein Zimmer, von dem aus er Rita singen hören konnte.

»E Zimmerche wolle Se hawwe?« hatte Frau Petterich an der Flurtüre auf seine Frage geantwortet. »E Zimmerche? Hm, was sin Se dann?«

Die Auskunft »Bankbeamter« hatte sie befriedigt, sie ließ Benno Stehkragen eintreten.

Er sah sich einer kleinen, rundlichen Frau im molligsten Mittelalter gegenüber, deren Auftreten echtestes, resolutestes Sachsenhäuserinnentum verriet: derb, kernbrav, hausmütterlich, handfest.

Der Eindruck des Hausmütterlichen wurde noch verstärkt durch das achtjährige, sauber gekleidete Mariechen, ihr Töchterlein, das neugierig, aber ohne Ängstlichkeit, den Fremdling beguckte.

»Du, Mama, der hat’n Buckel!« sagte es.

»Des guck’ ich selwer!« wies Frau Petterich ihre Tochter zurecht.

Und zu Benno gewendet: »So sin die Kinner! Waaß Gott, merr hat sei Last mit dem Gezeppel! Ach, wann mei guder Mann noch lewe dhät, mei Schorsch-selig, der mißt’r alsemal ’s Fell versohle – awwer wisse Se, ich selbst breng’s net iwwer’s Herz! Also hier wär’ des Zimmerche! Vom Balkoo aus könne Se bis hinner in de Wald gucke, wann’s net grad regne dhut! Der vorigt’ Mieter – wisse Se, der Brofessor Langeberjer vom Senkeberjische Inschdidut, e hochaastänniger Mann, vielleicht kenne Se’n? – der hat oft schdunnelang dagesesse unn hat ää Sigarr nach der annern geraacht – es wunnert mich nor, daß’r net aach noch die Schachtel mitgeraacht hat! Ich habb’s em hunnertmal gesacht: ›Se verraache Ihne noch des ganze bissi Verstand!‹ awwer gradsogut hätt’ ich’s der Kommod’ do preddige könne – unn er hat vergniegt zugeheert unn hat gesacht: ›Frau Petterich,‹ hat er gesacht, ›net for e Milljoo geww ich des Zimmerche her!‹ ›Ich gebb’s for de zehnte Teil,‹ haww ich erwiddert. Ich verzähl’s Ihne aach nor, Herr Umlegkrage’, damit Se wisse, wie schee der Balkoo is! Mei Schorsch-selig – ach, des war e Mann! So aan gibbt’s net widder! Da könne Se ganz Sachsehause in e Sieb schitte unn dorchschittele, so aaner fällt net eraus – der hat als uff dem Balkoo gesesse unn hat gesacht: ›Josephinche,‹ hat’r gesacht, ›des hier is mei Keenigreich. Ich bin der Keenig, bloß haww ich nix zu sage!‹ Des war sei Lieblingsplätzche, bis’r emal erunner geschderzt is iwwer’s Gelänner, weil er ze viel gesoffe gehadt hat. Ach Gott, er hat so’n gude Abbedit gehabt, mei Schorsch! Besonnersch Weckklöß mit gekochte Quetsche, da hat’r finf Stick fresse kenne! Unn hat doch nor hunnertdreißig Pund gewoge! Es war e Rätsel, wo des Fresse bei dem Mann hie’ komme is! Ja, vier Jahr hat der Brofessor Langeberjer bei merr gewohnt, bis er bletzlich de Rappel krieht hat, unn hat geheierat’. Mit finfunfuffzig Jahrn, e Mädche von einunzwanzig. E ganz arm Mädche. Unn hibsch war se aach net. Awwer ich sag’s ja alleweil: Je schdudierter e Mensch is, desto meschuggener is er! Also, wie gefällt Ihne des Zimmerche?«

Benno Stehkragen hatte den Eindruck, als sei Frau Petterich etwas gesprächig.

Er vermutete, daß der selige Schorsch wohl nicht sehr oft zu Worte gekommen sein mochte. Aber die Frau gefiel ihm trotz ihrer Redseligkeit.

Und noch mehr gefiel dem Kindernarr Benno das Mariechen, mit dem er in der Folgezeit gar gut Freund wurde.

Nach zweistündiger Unterredung, in der er sowohl Frau Petterichs als auch Professor Langenbergers vollständige Lebensgeschichte erfuhr, hatte er das Zimmerchen an der Nordfront gemietet.

»Ich dhu noch e besser’ Dischdeck’ her unn annern Vorhäng an die Fenster! Unn gell, gewwe Se merr ja uff de Deppich acht, es is e Familje-Erbschdick, da hat schonn mei Großmudder de Großvadder geschimbft, wann er mit dreckige Schdiwwel in die Schdub gedappt is.«

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