MarChip und die Klammer der Angst

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Z serii: Detektei MarChip #3
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3. Ein neuer Fall

Er wurde verlegen, wusste er doch genau wie schwierig und nervig, wie launisch er sein konnte. „Marie, du …“

„Ja?“ Sie nahm ihn in die Arme. „Ich kenne deine verschiedenen Seiten. Das weißt du. Also wirf die Bedenken gleich wieder aus deinem Sturkopf.“ Nun lachte er und sie wuschelte seine Haare durch. „Ich liebe dich Fabien Voizinet.“

„Das trifft sich gut. Ich dich genauso schöne Frau.“ Sein Lächeln hatte sie immer schon bezaubert, selbst in den schwierigsten Phasen. Am Anfang ihrer Bekanntschaft hatte es gedauert, bis sie so eines an ihm gesehen hatte. Er war in Sachen Beziehung sehr vorsichtig gewesen: zurück scheuend, misstrauisch, immer wieder. Er hatte zu tiefe Wunden zu überwinden gehabt. Marie dachte an ihre eigene Vorsicht und an den Teil ihrer Geschichte, den auch er noch nicht kannte, den sie zu gut, zu tief in sich verschlossen hatte. Den Schlüssel dazu hatte sie versteckt und auch jetzt drängte sie diese kurz aufkommenden Gedanken gleich wieder zurück.

Er lud seine Einkäufe aus und brachte sie an den Platz, wo sie hingehörten; lieferte den Wagen ab und sie setzten sich zu Tisch, aßen, machten es sich gemütlich. Chip erzählte ihr, was er bisher von solchen Angsterkrankungen wusste. Er wollte sich jedoch noch eingehender damit auseinander setzen. Es war zu wenig. „Warum willst du das?“

„Aus Interesse. Weil ich dem Mädchen imponieren will.“ Er grinste. „Daran denkst du gar nicht." "Nein, weil ich sehe, wie ignorant und belächelnd damit immer noch umgegangen wird. Ich finde, das muss sich ändern.“

„Da gebe ich dir Recht. Vielleicht machen Viele das aus Angst davor oder nicht Hineinfühlen können? Wie oft wird Unbekanntes und Fremdes einfach mal abgelehnt, weil es irritiert oder Unsicherheiten schürt.“

„Ja manchmal. Manchmal ist es aber Kälte oder weil es in das rationale Denken und in die globale Wirtschaftswelt nicht passt, es stört, behindert oder kostet. Oder weil manche zwangsläufig nur an das eigene Überleben denken müssen. Weil in einfachen Mustern gedacht wird oder gar nicht. Zu anstrengend. Instinkt, Lust, Gier und sonst weiter nichts zählt? Nur der Starke überlebt? Es ist vielschichtig wie alles. Dann heißt es, weil es unbequem ist: Ach, die gehören in die Klapse und Deckel darauf. Oder weil man die Tendenz hat, alle psychischen Probleme zu verneinen, zu verteufeln, gleich alle als gefährlich einstuft. Ich weiß es nicht Marie. Wie gesagt, viele Gründe. Mich interessieren Menschen und sie berühren mich.“ „Ich weiß.“

Die Ängste, von denen er erzählte, konnten zur Hölle werden. Sprüche wie „Reiß dich zusammen! Wenn du willst, geht es auch!“ halfen da wenig. Wer verstand es, der es noch nicht selbst erlebt hatte. Wer verstand, dass jemand es kaum wagte, einen Schritt vor die Türe zu setzen, das Vertraute – die eigenen Wände – zu verlassen. Jeder kleinste Schritt wurde zur Überwindung, war mit Anstrengung verbunden, brauchte angewandte Techniken, um zu einem auch nur kleinen Erfolg zu werden. Es kostete unendlich viel Kraft. Und doch, bei allen Bemühungen gewann manchmal die Panik den Kampf und es war kein dagegen Ankommen.

Das Herz begann zu rasen, der Schweiß brach aus, ein Zittern erfasste den ganzen Körper, der entweder gelähmt war oder fliehen wollte, der um sich schlug und schrie, um zu entkommen. Gefahr! Da war Gefahr! Die Atmung wurde immer schneller und es drohte Hyperventilation. Das konnte lebensbedrohlich sein, wenn es unbeachtet blieb. Oder der zur Toilette rannte und sich immer wieder übergab. Kreidebleich, erschreckend, unfähig. Belächelt, beschimpft, unverstanden. Beklemmend. Wieder versagt. Nur noch müde und verletzt. Wieder nicht geschafft. Kopfschütteln, Gemotze und sogar Lachen ringsum. Sich in ein Loch verkriechen wollen, sogar nicht mehr leben wollen. Wozu noch? Tränen und Schmerz. Nur noch vergraben. Nicht an sich glauben. Warum sollten es dann andere? Schrecklich hilflose Gefühle. Wegsperren so jemand! Es war ein unendliches Leiden und meistens verkannt.

Wenige konnten verstehen. Zu schnell kamen die wiederkehrenden Sätze. „Vollkommen verrückt.“ Und so ernteten solche, die damit zu kämpfen hatten, die versuchten, Wege zu finden, dennoch ihr Leben zu meistern und ihre Aufgaben zu erfüllen, oft nur Unverständnis. Angriffe, Druck, Abstempelung. Sie zogen sich dadurch noch mehr in sich selbst und in ihr Zuhause zurück. Sie konnten auf diese Weise weder Vertrauen entwickeln, noch Fortschritte machen. Und sie konnten auf diese Weise keinerlei Selbstwert aufbauen, lernen an sich zu glauben. Oft hassten sie sich selbst und taten sich aus diesem Grunde selbst weh. Mädchen begannen sich zu ritzen, auch, um sich trotz allem wieder zu spüren. Ein Teufelskreis. Der musste durchbrochen werden.

Sie mussten lernen, sich zu akzeptieren, sich zu mögen, um entspannter zu werden. Mit gewissen Entspannungstechniken konnte die Panik in den Griff bekommen werden. Ein Anfang. Es brauchte viel, um es zu schaffen. Und es brauchte Zeit. Es war eine große Leistung. Doch es war wenig anerkannt von denen, die alles als selbstverständlich kannten und sahen. Nur im Ansatz konnte er ahnen, was das hieß. War etwas am Körper offensichtlich verletzt oder gebrochen, stieß der Betroffene auf mehr Verständnis als bei einem solchen Problem.

„Ich weiß nicht viel von Emily, schließlich kenne ich sie nicht. Ich weiß nicht genau, was mit ihr los ist, was zutrifft und was nicht und schon gar nicht, wodurch sie solche Ängste entwickelt hat. Ich kann nicht in Dingen stochern, die mich nichts angehen. Aber ihre Angst war groß und echt.“

Marie dachte darüber nach. Sie verstand mehr von alldem, als er ahnte und es erschreckte sie, dass sie damit konfrontiert wurde. Sie drängte es in sich zurück und dachte lieber über Fabien nach.

Er hatte sich auf der Couch hingelegt, seinen Kopf in ihren Schoss gebettet, die Augen geschlossen. Er atmete regelmäßig. Sie betrachtete sein Gesicht. Es war anregend, sich mit ihm auszutauschen, mit ihm zu diskutieren. Er war intelligent, scharfsinnig, aber auch feinfühlig. Ja, verrückt auf seine Art, ja, schwierig bisweilen. Aber wer war das nicht?

Wie war es möglich? Wie konnte sie so viel Glück mit diesem Mann haben? Vielleicht träumte sie und wachte eines Tages daraus auf. Sie spürte Angst. Niemand, der sie kannte, vermutete, dass sie davon bezwungen werden konnte. Schon oft war sie geflohen. Sie küsste sanft seine Stirne, die Augenlider und strich eine Haarsträhne, die vorwitzig die Nase kitzelte zur Seite. Am Anfang ihrer Begegnung hatte sie es sich nicht vorstellen können, mit ihm jemals so glücklich zu sein. Ihr Zusammentreffen war heftig gewesen.

Doch auch ihre heutigen manchmal heftigen Auseinandersetzungen gehörten zum Gesamtpaket. Sie waren beide in manchen Dingen zu ähnlich, in anderen zu unterschiedlich. In Vielem ergänzten sie sich. Das Wichtigste aber war, dass sie einander liebten wie sie waren und nicht so wie jeder den anderen haben wollte. Sie ließen einander Freiräume. Das war die Grundlage ihrer Beziehung. Anders wäre ihr Zusammenleben nicht möglich. Sie sah ihn zärtlich an. So als habe er es gespürt öffnete er seine Augen und darin war deutlich zu lesen, was er empfand.

Als der Anruf von Emily kam, der ihnen endgültig einen Fall einbrachte und sie an ihre Grenzen stoßen ließ, hatte er die Episode im Kaufhaus abgelegt und beinah vergessen gehabt. Er überlegte sich gerade die Elemente der Show, die er mit seinen Schülern einstudieren wollte. Dabei musste er einplanen und entsprechend berücksichtigen, wer welche Stärken und Schwächen hatte, wo es noch haperte, wo alles mit Sicherheit klappte. Seine Freestyle- und Supercross-Schule lief gut. Auch dank seines Namens in diesen Kreisen, den er sich als Aktiver verdient hatte. Er war ihm offensichtlich bewahrt geblieben. Man traute ihm immer noch viel zu.

Er zeichnete auf einem Plan einige Höhepunkte auf und machte sich Notizen dazu, wer was machen konnte, wie das Gelände auszusehen hatte, was an technischen Mitteln notwendig war und murmelte dabei unterstützend etwas vor sich hin. Am Morgen hatte er sein eigenes tägliches Training absolviert und fühlte sich topfit. Er selbst ohne seine sportlichen Aktivitäten war ein Unding. Es war ihm wichtig, immer noch gut zu sein. Und es war ihm wichtig, dass bei so einem Anlass Akteure und Zuschauer ihren Spaß hatten. Zweimal im Jahr organisierte er so etwas, an dem die Schüler ihre Fortschritte präsentieren konnten. Das erhöhte ihre Motivation. Er lachte. Ja außerdem mochte auch er es, sich zu präsentieren. Er genoss die Shows wie eh und je. Seinen Kumpels ging es bestimmt nicht anders. Sie halfen ihm gerne dabei.

Das interne Telefon läutete. Marie war dran. „Chip, hast du eine Minute? Es ist Emily, die junge Frau aus dem Kaufhaus. Sie will dich unbedingt sprechen und ist sehr aufgeregt.“ „Na dann gib sie mir mal.“ Er erinnerte sich sofort an sie. Und wenn sie aufgeregt war, musste etwas Wichtiges anliegen. „Ja? Hallo Emily. Chip hier.“

Er fuhr sich durch die Haare, schob, was störte beiseite und fragte sich beiläufig, ob er sie doch etwas kürzen sollte. Allerdings wusste er sofort, was Marie davon hielt und er hatte auf diese Art Streit mit ihr keine Lust. Er hörte Emily keuchen und konzentrierte sich auf den Anruf. „Bist du noch da?“

Bisher hatte sie kein Wort von sich gegeben. „Ja“, kam es leise. Sie versuchte offensichtlich, sich zu beruhigen und Festigkeit in ihre Stimme zu bringen. So ganz gelang es nicht. „Du hattest mir angeboten … Ich brauche deine Hilfe.“

Sie stockte erneut, ihre Stimme zitterte deutlich. Und doch hatte sie sich entschlossen, sich an ihn zu wenden. Sie holte innerlich Anlauf. „Ich weiß nicht, wen ich sonst darum bitten könnte. Die Polizei glaubt mir sowieso nichts. Niemand nimmt mich ernst, schon seit längerem. Ich bin für sie alle eine hysterische Irre. Sie beschwichtigen mich mit leeren Sätzen. Aber … ich brauche Hilfe. Ich brauche jetzt jemanden, der mir zuhört. Ich halte das nicht mehr aus.“ „Was ist geschehen?“

 

„Zu viel.“ Einen Moment schwieg sie, als müsse sie erneut Mut fassen, und er wartete. „Kannst du … es ist besser, nicht am Telefon darüber zu reden. Kannst du zu mir kommen? Ich … gehe nicht gerne aus dem Haus.“

Sie hatte vergessen, dass er es wusste. Sie war angespannt, ihre Angst war zu groß, die Panik drohte sie in ihre Klauen zu kriegen. Sie kam nur mit Mühe dagegen an. Er spürte es. „Ich bin gleich bei dir. Das ist kein Problem.“

Chip hatte sich nach ihrer Begegnung im Kaufhaus und nach dem Gespräch mit Marie ausführlicher mit der Materie beschäftigt. Auch wenn er es die letzten Tage zur Seite geschoben hatte, blieb das Wissen an ihm haften. Neben seinem Sport und den oft schlechten Manieren waren Menschen und ihre Geschichten, ihre Tiefen, zu seiner Passion geworden. Er schmunzelte, als er den Helm über den Kopf stülpte, die Maschine bestieg, ankickte und losfuhr. Hach! Das Leben war spannend.

Moni, die Kleine, spielte in ihrem Zimmer, als er eingelassen wurde. Das Kind trug ein rosa Kleid und beschäftigte sich vor sich hinplappernd mit ihren Puppen. Er sah ihr einen Moment zu. Wie zufrieden und entspannt sie wirkte. Schön. So eine Kindheit hätte er auch gerne gehabt. Es mangelte ihr an nichts, auch wenn wenig Geld vorhanden war. Geld war zwar notwendig, aber nicht das Wichtigste. Er musterte die Wohnung, nahm die Einzelheiten in sich auf wie er es oft tat, weil jedes Detail in einem Fall von Bedeutung werden konnte. Seine Aufmerksamkeit schulte er immer wieder, trainierte die Beobachtungsgabe wie seinen Körper.

Die Wohnung war kein steriles Museum, in dem man sich kaum zu rühren wagte. Hier wurde gelebt. Es war keine kalte Perfektion. Aber es war ordentlich, es war sauber, die Möbel zweckmäßig gemütlich. Hier und dort sah er eine persönliche Note wie ein Bild von einer Waldlichtung, ein grau marmorierter Stein, eine Muschel, eine Blume, ein paar Kuscheltiere und Zeichnungen von Moni. Er lächelte. Stempel der Bewohner. Er mochte die kleine Wohnung.

Emily war sehr nervös. Ihre Augen wirkten in einem bleichen Gesicht grösser als sonst. Sie brachte ihm eine Cola aus der Küche. „Danke, dass du gekommen bist.“ Sie setzte sich ihm gegenüber, knetete die Hände und er sah, welche Anstrengung es sie kostete, ruhig zu bleiben. Er nahm einen Schluck und versuchte mit seinen ruhigen ihre zuckenden Augen festzuhalten, versuchte, ihr Halt zu vermitteln. „Wie kann ich dir helfen?“

„Du bist doch Detektiv.“ „Ja.“ „Aber … ich habe wenig Geld. Was kostet so etwas? Wie teuer kommt mich deine Arbeit, welche Tarife hast du? Ich müsste es wissen, damit ich mir vorstellen kann, was auf mich zukommt.“

Er musterte sie still, versuchte in ihren Gedanken zu forschen und entschloss sich, ihr zu trauen. Sie machte ihm nichts vor. Solange es nicht um Liebe ging, konnte er sich auf seine Menschenkenntnis ganz gut verlassen. „Erzähl mir, worum es geht. Ich entscheide dann, wie wir das regeln. Wir finden einen Weg. Und keine Angst, dieses Erstgespräch kostet nichts.“

Und sogleich fragte er sich, was er Falsches gesagt hatte. Sie taxierte ihn misstrauisch. Es verschwand wieder, zeigte sich wieder, erwachte erneut. Etwas musste falsch gewesen sein in seinem Speak. Nur was? Sie musterte ihn mehr als ausführlich, erschauerte sogar. Was an ihm war denn nun so erschreckend? Verunsicherte sie seine Ausstrahlung, sein Aussehen? Was war es? Auf einmal ahnte er es und es traf ihn. Wenn er so eingeschätzt wurde, hatte das hier keinen Sinn. Er versuchte seinerseits ruhig zu bleiben. Vielleicht täuschte er sich. „Was beunruhigt dich Emily?“

„Was willst du für deine Arbeit außer Geld, wenn keines da ist? Was erwartest du von mir?“

Seine Vermutung traf zu. Er stand auf, stellte die Cola auf den Tisch, sah sie aus zusammen gekniffenen Augen an. Er wurde in eine Schublade eingestuft von jemandem, der das eigentlich selbst nicht mochte. „So siehst du mich?“

Er nahm sein Portable aus der Hosentasche, suchte da nach einer Adresse in seinen Kontakten. „Hast du Papier und Stift? Ich schreibe dir jemanden auf, den ich kenne und der gut ist. Ich vertraue ihm. Vielleicht ist er für dich vertrauenswürdiger als ich es bin. Oder wenn es dir lieber ist, kann auch meine Partnerin sich um die Sache kümmern.“

„Bitte … ich … Chip!“

„Lass nur. Mir scheint, ich wirke auf dich …“ „Ich kenne dich doch nicht. Wenn … es ist … wenn ich erzähle, bleibt es unter uns, auch wenn ich dir am Ende keinen Auftrag geben könnte?“ Er hörte nicht mehr richtig hin, nur so halb und stieß ärgerlich hervor: „Lass es. Ich bin nicht interessiert. Wende dich an den, an den ich dir aufschreibe oder an Marie.“

Sie senkte den Kopf. „Wie soll ich denn wissen, wie du bist. Du siehst so sexy aus und … wie oft wollte jemand schon das von mir.“ Sie schüttelte leicht den Kopf. „Es ist gut. Vergiss es. Entschuldige, dass ich dir deine Zeit gestohlen habe. Was musst du dafür haben?“ „Nichts.“

Er wandte sich der Türe zu. Er war es echt leid, ständig aufgrund von Äußerlichkeiten oder sonst etwas eingestuft zu werden. Andererseits benahm er sich gerade so, dass er bestimmt von Marie einen Tritt kassiert hätte. Er dachte nach. Er war nicht professionell. Er war zu empfindlich. Die Entscheidung, ihm zu vertrauen oder nicht, musste er ihr zugestehen, so wie anderen auch. Zudem war sie unsicher, hatte Angst. Das verstärkte ihre Probleme. Es war spürbar, dass etwas sie sehr beunruhigte. Sie war bei sich zuhause und fühlte sich trotzdem so, also musste es gewichtig sein. Er atmete tief durch, drehte sich wieder zu ihr um und lächelte.

„Entschuldige Emily, ich reagiere wie eine Mimose. Du hast ja Recht. Wir kennen uns nicht. Ich kann dir aber beteuern, auch wenn ich für dich möglicherweise so aussehe, ich lasse mich nicht mit Sex bezahlen. Ich lebe in einer glücklichen Partnerschaft, geschäftlich und privat und bringe sie nicht mit gemeinen Spielchen in Gefahr. Erzwungener oder unter Druck erwirkter Sex ist nicht mein Ding. Ob du dem vertraust, was ich sage, musst du entscheiden. Unsere Detektei hat außerdem eine wichtige Philosophie: Leute in Notlagen oder die wenig Geld haben und Hilfe brauchen, nutzen wir nicht aus. Wir nehmen genug ein, um uns das erlauben zu können."

„Ich wollte dich nicht verletzen.“ „Schon gut. Und es bleibt auf jeden Fall unter uns, wenn du erzählen willst, egal, wie es danach weitergeht. Versprochen.“

Sie sah ihn lange an, traurig, ängstlich und bittend. Er setzte sich wieder hin und schalt sich selbst einen unbeherrschten Idioten. Schließlich begann sie zu sprechen. Erst kam es sehr stockend, dann gewann sie an Sicherheit und es floss.

„Zum besseren Verständnis muss ich etwas ausholen und dir auch einige Dinge über mich erzählen. Es kann sein, dass du mir danach nicht glaubst – so wie die Polizei und viele andere. Es kann gut sein, dass du es als Einbildung, Verfolgungswahn und Verrücktheit ansiehst. Trotzdem muss ich es tun, damit du dir ein umfassendes Bild machen kannst.“ „Riskiere es.“ Nun lächelte er wieder so wie im Kaufhaus.

„Einiges ahnst du bereits, anderes weißt du. Ich fasse mich so kurz es geht.“ „Ich habe Zeit.“

„Ich lebe mit Moni alleine, wurde vor vier Monaten geschieden. Schon vorher lebten wir zwei Jahre getrennt. Monis Vater hatte ich nur geheiratet, weil es sich nach Ansicht aller so gehörte. Ich wurde nicht gefragt und konnte mich nicht groß wehren. Ich leide unter einer ausgeprägt starken Angststörung, unter Panikattacken, wenn ich raus gehe, unter Menschen gehe, wenn unvorhergesehene Dinge geschehen, wenn ich seelisch überfordert bin. Spontanes ist nicht möglich. Überraschungen schätze ich nicht. Deswegen kann ich nicht außer Haus arbeiten, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Deswegen bin ich für Unverständige als unnützer Schmarotzer eingestuft. Schließlich sieht man mir nicht an, was los ist. Durch Umstände, die ich nicht näher ausführen mag, habe ich keinen Schulabschluss. Heimarbeit habe ich bisher keine gefunden. Da mir mein Ex gar nichts gibt, lebe ich von Sozialgeld. Es ist wenig und reicht kaum, aber es muss gehen. Ich tue alles, damit sie mich nicht als vollständig verrückt einstufen, mich einweisen und mir die Kleine wegnehmen. Das wäre mein Tod.“

„Könnten sie das überhaupt?“

„Ja. Wenn ich diese oder jene Auflage nicht erfülle und nicht nach ihren Vorstellungen mitarbeite, kann das schnell gehen. Aber ich liebe mein Kind und tu’ was ich kann, damit es ihr gut geht. Sie ist der Grund, dass ich weiterkämpfe. Selten bis nie kann mich jemand verstehen oder weiß, wie es ist, so ein Leben zu meistern. Wie oft höre ich: Du musst nur wollen. Sie haben keine Ahnung. Hätte ich einen Arm amputiert, sähe es anders aus. Selbst meine Mutter möchte mich am liebsten weggesperrt sehen. Sie mag mich nicht. Aber das ist etwas von dem, auf das ich nicht eingehen will. Wir haben keinen Kontakt. Mein Vater verschwand vor sechs Monaten spurlos. Ich habe nie mehr von ihm gehört. Keiner weiß etwas oder will etwas wissen. Mir gibt man die Schuld. Er habe sich wegen mir abgesetzt, sagen sie. Er war gut zu mir. Oder es ist etwas passiert.“

„Wurde nachgeforscht?“

„Ja. Aber sie fanden nichts heraus, sagten sie. Es kann auch sein … Ich weiß nicht, was die Leute denken. Da mich viele für eine Irre halten, vielleicht denken sie, dass ich ihn gemeuchelt habe. Da es aber keine Indizien dafür gibt, werde ich in Ruhe gelassen.“ „Hast du?“ „Nein.“ Sie hielt inne, sammelte sich wieder etwas und er wartete still ab.

„Seit einem Jahr jedoch sind noch weitere um mich her verschwunden, ohne Gründe, ohne Nachrichten und ohne Spuren zu hinterlassen. Vielleicht vertreibe ich sie alle mit meiner Art. Das kann sein. Aber …" Sie atmete ein paarmal tief ein und aus. "Ich versuche aufzuzählen: Eine Frau vom Jugendamt, mit der ich mich gut verstand und die mir Halt geben konnte; eine Kinderbetreuerin, die mich sehr bedrängte; eine Ärztin, meine Anwältin und ein Therapeut, bei dem ich gute Fortschritte machte …“

„Warte. Verschwunden? Weggezogen?“

„Genau weiß ich das nicht. Keiner weiß es. Von einem Tag auf den anderen habe ich jeweils nichts mehr von ihnen gehört. Keine Reaktion auf Anrufversuche, auf Schreiben, auf Fragen im Umfeld. Nichts. So als hätten sie nie existiert.“

„Seit einem Jahr also 6 Menschen.“

„Mit Eugène, meinem Exmann, sind es sieben. Bei ihm stört mich nicht, dass ich nichts mehr von ihm höre. Er hat mich weder verstanden noch unterstützt. Er machte mich runter, spuckte auf mich, interessierte sich nicht für mich oder wenn, nur um mir etwas Böses zu tun. Aber Moni fragt manchmal nach ihm. Was kann ich ihr antworten? Ich weiß nichts. Leider wurde es die letzte Zeit mit meiner Krankheit eher wieder schlimmer. Vieles hatte sich etwas gebessert, gefestigt. Ich war sicherer geworden mit Hilfe des Therapeuten. Seitdem erlebe ich eher wieder Rückschritte. Ich gebe nicht auf, aber …“ „… die Belastungen sind zu sehr gestiegen.“

„Ja, das sind sie. Aber so glaubt man mir noch weniger als zuvor. Kaum einer hält zu mir. Und manche tun nur so als ob. Ich wurde oft enttäuscht.“ Chip betrachtete sie und nickte. „Wurde das Verschwinden der Personen untersucht?“ Er kannte diese Art der Enttäuschungen und wusste genau, wie die Menschen tickten.

„Ich denke schon, dass dies gemacht wurde. Mir sagt keiner etwas. Vielleicht kannst du mehr darüber erfahren. Ich bin … Vielleicht ist alles harmlos und ich mache tatsächlich einen unnötigen Aufstand. Ich zweifle oft an mir. Und das mit meinem Vater… Meine Mutter gibt natürlich mir die Schuld daran. Sie sagt, ich hätte ihn vergrault und vielleicht stimmt das auch.“

Sie schwieg einen Moment, weil sie versuchte, wieder ruhiger zu werden. „Aber weswegen ich eigentlich angerufen habe … Ich weiß nicht, ob es einen Zusammenhang gibt, aber ich fühle mich seit längerer Zeit beobachtet, belästigt und … seit kurzem bedroht. Von einem Mann. Seine Stimme habe ich schon gehört. Es ist ein Mann. Gesehen habe ich ihn bisher nicht.“

„Wie äußert sich die Bedrohung?“ Chip war ganz Ohr.

„Er ruft an. Immer öfter. Aber ich kann es nicht beweisen. Wenn er das tut, ist niemand außer vielleicht Moni um mich her. So als wüsste er das. Und Moni werde ich damit nicht konfrontieren. Doch … einmal war es anders. Aber als ich den Hörer weitergab, legte er sofort auf. Es kommt mir so vor, als sähe und wisse er alles, als hörte er alles. Sie … schreiben das alles meiner Krankheit zu, obwohl das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Verfolgungswahn. Es heißt, ich suche damit die fehlende Aufmerksamkeit. Ich kann nur sagen, was ich erlebe, aber das reicht ihnen nicht. Keiner glaubt mir. Ich bin damit völlig allein. Also schweige ich nun. Chip, ich habe eine solche Angst, meine Kleine zu verlieren. Das einzige noch, das mir Leben als sinnvoll zeigt. Und es ist so, wenn sie mich in ein Sanatorium einweisen, nehmen sie mir Moni weg. Ich gebe mein bestes, meine Krankheit unter Kontrolle zu bekommen. Es ist möglich, nach und nach. Es gibt Techniken, mit denen es zu schaffen ist. Daran arbeite ich, wenn ich die Ruhe dazu finde. Ich schweige also. Aber nun … ist etwas passiert.“

 

Sie fühlte Panik in sich aufsteigen, atmete ruhig durch, schloss einen Moment die Augen, entspannte bewusst, so gut sie es hin bekam und redete dann wieder weiter, als es ging.

„Ich habe schon seit Jahren eine wirklich gute Freundin. Sie kennt mich und weiß alles. Sie versteht mein Gefühlschaos, mein Anderssein, hält zu mir, mag mich wie ich bin und kann mit alldem umgehen. Sie ist meine Vertraute und würde mich nie enttäuschen. Lara heißt sie.“

Wieder hielt sie inne. Es nahm sie mit. „Seit … vorgestern habe ich nichts mehr von ihr gehört. Ich erreiche sie nicht, auch nicht auf dem Portable. Sie meldet sich nicht. Sie würde sich niemals von mir abwenden – ohne ein erklärendes Wort schon gar nicht. Bei ihr weiß ich das mit Sicherheit. Sie reist nicht, ohne mir etwas zu sagen. Nie! Und da konnte ich nicht weiter schweigen. Ich habe die Polizei informiert, aber sie nehmen mich nicht ernst, lachen bestimmt über mich, gehen darüber weg. Oder es heißt, da es erst seit kurzem ist, es sei zu früh, etwas zu unternehmen. Ich selbst kann nicht bei ihr nachsehen gehen. Es ist zu weit weg und ich bin zu angespannt. Ich schaffe das nicht. Und ich kann nicht darauf bestehen, dass sie das für mich tun. Dann bin ich für die nur die Hysterische.“

Er runzelte die Stirne. „Das bist du nicht Emily.“ „Sagst du das nur, um mich zu beruhigen oder denkst du so?“

„Ich sage, was ich denke. Was meinst du, wie oft ich mir deswegen schon etwas eingehandelt habe.“ Er grinste leicht schelmisch. „Schlimm?“

„Manchmal schon. Verbal und körperlich.“ Er versuchte sie etwas aufzulockern. Ihre Anspannung war krass spürbar. Er wagte nicht einmal, sie auch nur leicht am Arm zu berühren. Aber für verrückt hielt er sie nicht. Doch schon wieder schränkte sie ein. „Aber es kann sein, dass du doch bald anders von mir denkst, weil es dir alle von allen Seiten her einreden werden, sobald sie merken, dass du mit mir zu tun hast.“

Er lachte sie fröhlich an. „Ich bin ein selten sturer Hund und lasse mir prinzipiell von keinem etwas einreden, schon gar nicht, was ich über jemanden zu denken habe. Keine Sorge. Dafür bin ich bekannt und gefürchtet. Ich treibe damit alle zur Verzweiflung.“ Sie musterte ihn noch immer leicht skeptisch. Sie mochte sein Lausbubengesicht mit den glitzernden Augen darin und glaubte ihm, was er sagte. Doch sie blieb ernst. „Wegen Lara … da befürchte ich Schlimmes. Ich weiß nicht, was genau, aber gut kann es nicht sein. Weil … da kommt noch etwas dazu. Der Unbekannte. Er rief an. Er sagte, dass Lara für mich nicht gut sei, mir nicht gut tue. Er habe ihr unmissverständlich klar gemacht, sich von mir fernzuhalten. Sie habe es bestimmt verstanden. Er meine es nur gut mit mir.“

„Das bedeutet ja nicht, dass …“

„Er allein meine es gut. Auf ihn müsse ich hören. Ich solle niemandem mehr erlauben, sich an mich heranzumachen, mich zu beeinflussen. Nur er allein wisse, wie es mir gut gehen könne. Er sei ein verlässlicher Freund, darum hätte ich zu tun, was er sage. Dann werde alles gut. Andernfalls nicht: Ich weiß immer, was du tust, wohin du gehst, wer sich nähert. Ich kenne dich und ich beschütze dich, ob du das willst oder nicht. Es ist meine Aufgabe. Ich bin sehr gewissenhaft! – Dann lachte er grässlich. Wenn ich sonst nichts wiedererkennen könnte, dieses Lachen bestimmt. Ich habe deswegen große Angst, dass ihr etwas zugestoßen ist. Sie schweigt nicht einfach so, lässt sich auch nicht vertreiben oder abhalten, mit mir Kontakt aufzunehmen. Als Eugène verschwand, rief er auch an: Ich würde nie mehr von dem belästigt werden. Und ich habe nie mehr etwas von ihm gehört. Nur, wenn ich das alles erzähle, nehmen sie es nicht ernst.“

„Wie war es bei den anderen, die verschwunden sind?“ „Nein, da nicht. Nur bei Eugène und jetzt bei Lara.“

„Die beiden letzten also.“

Die Abstände wurden kürzer. Er veränderte sich. Es intensivierte sich und das war kein gutes Zeichen für Emily. Chip sah sich die Abfolge des Verschwindens an. Gab es Muster? Sie hatte es notiert. Es waren Menschen, die ihr gut taten und solche, die ihr eher das Leben schwer machten. Also nicht nur das eine oder andere. Der Therapeut war vor ihrem Ex gewesen. Reihenfolge: Die Kinderbetreuerin, die Ärztin, die Anwältin, die Frau vom Jugendamt, der Vater, der Therapeut, der Exmann, nun vielleicht diese Lara. Hm, er sah sich das genauer an. Man konnte nicht einmal sagen, es wurde intensiver oder? Die ersten drei waren innerhalb eines Monats verschwunden – dann war vier Monate Pause – dann wieder zwei – vier Monate Pause – der Therapeut, der Ex, die Freundin. Eine seltsame Abfolge war das. Er sah sie wieder an. Sie wurde auf einmal sehr bleich. „Oh nein!“ Sie hielt sich den Kopf, starrte ihn erschrocken an, als habe sie einen grauseligen Geist vor sich stehen. „Ich bringe jetzt vielleicht dich in Gefahr!“

„Ich kann auf mich aufpassen.“

Chip betrachtete wieder die Aufzeichnungen, sah sie an, runzelte die Stirne, kratzte sich am Kopf, war sehr konzentriert. „Das ist …“ Sie sprang auf wie von etwas gestochen. „Ja sag es! Sag es ruhig. Ich weiß genau was kommt. Sag es. Na los! Du bist doch so direkt. Raus damit!“ Tränen liefen über ihr Gesicht. Sie schrie es ihm verzweifelt entgegen. Die Anspannung war zu viel für sie. Es brach aus. „Sag es Chip! Hirngespinste!“ Sie war so unglücklich.

Er hätte sie gerne in die Arme genommen, streckte sie ihr aber nur vorsichtig entgegen, weil er nicht wusste, wie sie es auffasste, wenn er es tat. Sie schmiegte sich diesmal hinein, und er umfing sie tröstend. Er wartete, ließ zu, dass sie rauslassen und sich beruhigen konnte. Sie zitterte am ganzen Körper. Schließlich sagte er ruhig: „Das ist alarmierend, wollte ich sagen. Unverantwortlich, dass keiner ordentlich darauf reagierte.“

„Entschuldige!“

„Ist schon gut. An welche Idioten bei der Polizei bist du denn bloß geraten, die dem allem nicht nachgehen? Denen werde ich Beine machen. Aber zuerst nun. Du sorgst dich wegen deiner Freundin. Soll ich nachsehen gehen?“

Sie atmete noch immer aufgeregt schnell, sah ihn schließlich an und löste sich aus seinen freundlichen Armen. Sie wischte sich die Augen, putzte sich die Nase, setzte sich wieder hin und versuchte weiter, ruhiger zu werden. Er gab ihr Zeit und sah kurz nach der Kleinen. Moni spielte ruhig für sich. Er setzte sich wieder zu Emily und lächelte. Das alles war für sich allein schon beängstigend. Wie sehr musste es sie zusätzlich verunsichern. Er verstand ihre Reaktionen und ihr Misstrauen nur zu gut.

Sie musterte ihn wie er da saß in seinen hellen Jeans und dem dunklen Pullover. Er sah nicht so aus wie man sich von den Filmen und Büchern her einen Detektiv vorstellte. Er wirkte wie ein sportlicher wilder Kerl, nicht smart und cool; weder elegant noch schusselig, nicht abgewrackt wie viele der Detektive in den Geschichten auftraten; sei es, weil sie so waren oder den Schein erweckten. Er war erfrischend anders. Sie musste nun lachen und er legte den Kopf erstaunt leicht schräg und zog eine Augenbraue hoch. „Was ist denn?“ Er sah an sich herunter, ob er etwas finden konnte, dass sie zum Lachen veranlasste.

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