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Der Weg der Griechen zur Medizin als Wissenschaft

Krieger und Ärzte vor Troia

Das zweite Jahrtausend v. Chr. ist im modernen Geschichtssystem die Bronzezeit der Ägäis, die Epoche der kretisch-mykenischen Kultur. Für die Griechen war der Kampf um Troia bedeutende Geschichte, keine Legende, und es war – wie wir heute dank der Ausgrabungen Heinrich Schliemanns und seiner Erben wissen – der historische Kern in der Tat real. Troia war ein die Meerengen zwischen dem Schwarzen Meer und der Ägäis kontrollierender Staat, der mit den Mächten Griechenlands in Konflikt geriet und ihnen unterlag.

Die beiden Epen Homers, die Ilias mit dem Kampf um Troia und die Irrfahrten des Odysseus in der Odyssee, entstanden im 8. bis 7. Jh. v. Chr., geben also eine Welt wieder, die seit vielen Jahrhunderten versunken war. Bei Homer vermischen sich Elemente, die aus der Vorzeit des 2. Jahrtausends stammen, mit solchen aus seiner Zeit. Die in der Ilias häufig sehr drastisch geschilderten Kriegsverletzungen wird man zum Mindesten auf ein Interesse des 8. Jh. v. Chr. an solchen Dingen beziehen dürfen.

Der Kampf um Troia war ein Dauerthema der griechischen Kunst. Auf einer bemalten Keramik aus Athen in den Jahren um 500 v. Chr. erscheint Achilleus, der im Lager vor Troia eine Oberarmwunde seines Freundes Patroklos verbindet (Abb. 2). Es ist eine der ältesten medizingeschichtlichen Darstellungen der Geschichte. Achilleus legt einen kunstvollen, schneeweißen Verband an; die Wunde war eine sicher sehr schmerzvolle Pfeilverletzung: Der Pfeil wird links neben Patroklos’ Knie gezeigt.

Hier handelte es sich um Kameradenhilfe und wir dürfen davon ausgehen, dass es wie zu allen Zeiten die erste Hilfe war, die ein Verwundeter auf dem Schlachtfeld bekommen konnte. Homer kennt freilich auch schon den Arzt als einen Berufsstand. Von Frauen ist dabei noch nicht die Rede; es sind Männerberufe, wie der Zimmermann, der Seher und der fahrende Sänger (Rhapsode). Der Arztberuf als Handwerk erscheint zuerst in der Odyssee Homers, wo ganz selbstverständlich „ein Arzt gegen die Übel“ in einer Reihe von Berufen aufgezählt wird.


Abb. 2 Achilleus verbindet den von einem Pfeil getroffenen Patroklos, bemaltes Innenbild einer Keramikschale des sog. Sosiasmalers. 500/490 v. Chr. Dm. 17,8 cm. Berlin, Staatliche Museen, Antikensammlung.

Dass der Kriegschirurg besondere Leistungen bieten musste, ergibt sich auch daraus, dass Homer als Ärzte an der Front vor Troia zwei Göttersöhne nennt, Machaon und Podaleirios, die Söhne des Heilgottes Asklepios. Asklepios‘ Tochter Hygieia trat erst später in Erscheinung, als man dem weiblichen Element größere Aufmerksamkeit widmete. Die meisten bei Homer in der Ilias geschilderten Kampfverletzungen waren tödlich, andere konnte man noch behandeln. Erwähnt wird die Pfeilwunde des getroffenen Menelaos, die der Arzt Machaon versorgt; in einem anderen Fall ist es Patroklos, der sich um die Pfeilwunde seines Kameraden Eurypylos kümmert.

Eine prominente Frau mit medizinischen Kenntnissen bei Homer war keine Ärztin von Beruf, sondern Königin: Helena, Auslöserin des Krieges um Troia, kannte aus Ägypten ein kummerstillendes Heilmittel (phármakon). Dem wegen seines Vaters Odysseus bekümmerten Telemachos, der das Königspaar Menelaos und Helena in Sparta besuchte, gab sie ein Mittel gegen seinen Seelenschmerz. Helena mischte eine Droge in seinen Wein, welche ihn für eine Zeitspanne alles vergessen ließ, ein Mittel, welches man ihr aus Ägypten mitgebracht hatte, jenem Ägypten, „wo die Fluren gute wie schädliche phármaka in Mengen erzeugen“ (Homer, Odyssee 4, 229–230). „Dort (in Ägypten) ist jeder ein Arzt und übertrifft an Erfahrung alle Menschen“, behauptet Homer in der Odyssee (4, 231–232). Die hohe Meinung der Griechen von der Medizin der Ägypter war sprichwörtlich.

Mit Helenas ägyptischer Droge im Wein für Telemachos hat Homer im Übrigen auch das bis heute erfolgreiche Motiv des Giftes in Frauenhand in die Literatur eingeführt; der Dichter hatte das Thema schon in der Ilias berührt, als er von Agamede erzählt, der Tochter des Königs Augeias (Augias), welche alle Heilmittel (phármaka) auf Erden kannte. Zusammen mit Medeia (Medea), der Prinzessin aus Kolchis, und der göttlichen Kirke auf ihrer Zauberinsel gaben diese mythischen Frauen das Vorbild für die unendliche Reihe von Drogenkennerinnen und Giftmischerinnen.

Die ersten griechischen Ärzte

Für uns sind die Griechen die Schöpfer der Medizin als Wissenschaft. Gleichwohl sahen sie die Heilkunst am Beginn als einen Teil der allumfassenden religiösen Welt an. Asklepios, der Heilgott, war unter den Göttern des Olymp eine junge Gottheit; die ältesten Zeugnisse stammen erst aus dem 6. Jh. v. Chr. Asklepios (lateinisch Aesculapius) war nach altem Glauben ein adliger Arzt der griechischen Heroenzeit, also des 2. Jahrtausends v. Chr. Seine Heimat war die Stadt Trikka (Trikkala) im nordgriechischen Thessalien. Aus dem Ahnenkult, der hier greifbar ist, erklärt sich die Vorstellung von Asklepios in Gestalt der Schlange, die dann in historischer Zeit sein Begleittier wurde: Die Schlange lebt teilweise in der Erde, ist also auch ein Tier – wörtlich genommen – der Unterwelt, also des Jenseits. Tote Heroen der Vorzeit stellte man sich manchmal als Schlangen im Grab vor.

Zu Zentren der medizinischen Praxis entwickelten sich seit dem 5. Jh. v. Chr. die Asklepiosheiligtümer, welche den Kult des Asklepios mit medizinischer Behandlung der Pilger verbanden. Die Hauptheiligtümer des Heilgottes Asklepios in Griechenland waren Athen, Korinth, Epidauros in der Argolis und Kos, eine Insel im Südosten der Ägäis vor der kleinasiatischen Küste. Das größte Asklepiosheiligtum im Osten lag in Pergamon in Nordwestkleinasien. Der Asklepioskult erfuhr weiteste Verbreitung.

Hygieia, die personifizierte Gesundheit, galt als Tochter des Asklepios (Abb. 3). Ihr Kennzeichen ist ebenfalls die Schlange, welche sie füttert oder hält. Meist lässt sie die Schlange aus einer Milchschale trinken. Die Gestalt der Hygieia erscheint noch später als Asklepios in der antiken Götterwelt und Bildvorstellung. In römischer Zeit wurde Hygieia als Hygia weiter verehrt, ihren Platz in der politischen Welt nahm jedoch ihr römisches Pendant Salus ein, ebenfalls die Person gewordene Gesundheit.

Die Griechen verbanden einen ihrer großen Götter, Apollon, sowohl mit Verderben wie mit Heilung. Apollon sendet zugleich die Pest und beendet sie. Homers Ilias beginnt mit Apollon als gnadenlosem Bogenschützen mit Pestpfeilen, der das griechische Heer heimsucht. Zugleich ist Apollon der Heilgott, der Apollo Medicus der Römer, und galt als der Vater des Asklepios.

Das moderne Arztzeichen ist der Äskulapstab, das Symbol mit der sich um den Stab ringelnden Schlange. Noch häufiger begegnet dem modernen Passanten das Zeichen der Apotheken, die Schlange, die aus einer Schale trinkt. Durch die beiden Symbole des Äskulapstabes als Arztzeichen und der Hygieiaschlange als Apothekenzeichen sind die beiden Heilgötter des Altertums und damit auch die beiden Geschlechter noch heute repräsentiert.

Antike Praxisschilder scheint es nicht gegeben zu haben. Wenn überhaupt, dann hätte man im Altertum freilich den Schröpfkopf gewählt. Dieses Instrument erscheint oft als Beizeichen der Ärzteschaft auf Reliefdarstellungen und Malereien. Mit der Medizingeschichte verbundene Plätze wie die Insel Kos in der Ägäis, die Heimat des Hippokrates und wie Epidauros auf der Peloponnes, der zentrale Ort der Asklepiosverehrung, wählten den Schröpfkopf als Münzzeichen.


Abb. 3 Arzneikästchendeckel. Aesculapius und Hygieia mit ihren Schlangen. Aus Santa Valeria, Sitten, Wallis/Schweiz. Elfenbein. H. 12,4 cm. Um 400 n. Chr. Sitten (Sion), Kantonales Museum MV 153.

Homers kurze, beiläufige Erwähnung von Ärzten als Beruf ist die literarische ­Bestätigung eines archäologischen Fundes. In einer Grabkammer des Palamidi-Pronoia-Friedhofes von Nauplion in der Argolis (Griechenland) lagen elf Bronzeinstrumente, darunter eine Pinzette und eine lange, schmale Zange. Damit sind schon für das 15. Jh. v. Chr. metallene chirurgische Geräte aktenkundig. Archäologisch fassbare Denkmäler entstanden dann erst wieder im Laufe des 6. und ­im frühen 5. Jh. v. Chr., in der wegweisenden historischen Epoche der Kriege zwischen Persern und Griechen. Von nun an begegnet man dem Arzt in ganz unterschiedlichen Darstellungsformen, auf bildlich verzierten Grabsteinen, auf Vo­tivobjekten, auf Darstellungen der dekorierten Keramik, als Statue und in Grabinventaren medizinischen Charakters. In der Welt der Kunst war der griechische Arzt ein eigenes Thema.

Der sitzende Mann eines eindrucksvollen Grabreliefs im Antikenmuseum Basel war Arzt, was die beiden Schröpfköpfe oben an der Wand des Hintergrundes verraten. Das Werk, dessen genaue Herkunft man nicht kennt, entstand vermutlich in der Ägäis in den Jahren um 480 v. Chr. Abgesehen von den Schröpfköpfen, die auf der imaginären Rückwand hängend abgebildet sind, gab einst vermutlich eine aufgemalte Inschrift den Beruf des Toten an. Der stattliche Grabstein verrät Wohlstand des Toten und seiner Erben.

 

Eine andere Kunstform waren Weihegaben an Gottheiten, Votive, welche Motive und Darstellungen der Gottheit, aber auch auf den Weihenden zurückgehende Darstellungen zeigen konnten. Eine solche Weihung an eine nicht genannte Gottheit ist eine 27cm große, runde Marmorscheibe, vermutlich aus Athen, und in die Jahre um 500 v. Chr. gehörend. Die aufgemalte, inzwischen recht verblasste Darstellung zeigt einen auf einem Stuhl sitzenden und nach rechts blickenden bärtigen Mann. Die Inschrift verrät den Beruf:

Dies ist ein Denkmal für die Weisheit des Aineios, des ausgezeichneten Arztes.

In den Jahren des dramatischen Perserkrieges um 480 v. Chr. entstand in Athen ein kleines bemaltes Keramikgefäß, das eine Arztpraxis zeigt (Abb. 3): Der Arzt in der Mitte lässt einen Patienten zur Ader; der Patient steht über dem Blutbecken. Der sitzende ältere Mann rechts davon wurde bereits behandelt; an seinem linken Oberarm erkennt man einen hellen Verband. An der Wand hängen mindestens drei Schröpfköpfe. Passanten und Gäste, darunter ein Zwerg mit einem Hasen, beleben die Szene, die eine wahrhaftig ambulante Behandlung vorführt. Der Hase in der Hand des Zwerges ist ein beliebtes Motiv homoerotischer Werbung. Das bemalte Gefäß ist ein aryballos, ein Salbgefäß für das Öl der Athleten.

Man hat an der Unbärtigkeit des jungen Chirurgen, der den Aderlass ausführt, Anstoß genommen, auch weil der Arzt des Basler Arztreliefs und der Arzt Aineios würdevolle Bärte tragen. Dieser Einwand übersieht jedoch das älteste Arztdenkmal der Griechen überhaupt, eine stehende Figur eines jungen Mannes, einen sog. kuros. Gefunden wurde der noch 1,19 m hohe Marmortorso in der Nähe von Syrakus auf Sizilien, südlich der antiken Stadt Megara Hyblaia. Der Figur fehlen zwar beide Unterschenkel, der gesamte rechte Arm und der Kopf, sie war aber keinesfalls bärtig, sondern stellt nach Art der kuroi einen jungen Mann dar. Die Figur gehört in die Jahre um 550 v. Chr. Die Inschrift ist die älteste Medizinerinschrift Europas; sie ist hinten auf dem rechten Oberschenkel ein­geritzt:

(Denkmal des) Sombrotidas, des Arztes, des Sohnes des Mandrokles.

Die Inschrift auf dem Oberschenkel und nicht auf dem Statuensockel lässt den Schluss zu, dass man es mit einem Weihgeschenk an eine Gottheit, nicht aber mit einer Grabstatue zu tun hat.

In den Jahren zwischen 460 und etwa 380/370 v. Chr. lebte der Arzt Hippokrates von der Insel Kos, der Begründer der Medizin als Wissenschaft. In seiner Lebenszeit erfolgte der Aufschwung des Asklepioskultes ebenso wie Athens Aufstieg zur Großmacht und sein tiefer Fall in der Niederlage gegen Spartas Soldaten und Persiens Geld 404 v. Chr. Wir besitzen wenige zeitgenössische Dokumente zum Wirken des Hippokrates; die meisten Zeugnisse stammen aus römischer oder gar erst byzantinischer Zeit, sind also ein halbes oder ein ganzes Jahrtausend von ihm getrennt.

Von den unter seinem Namen laufenden Hippokratischen Schriften (58 Abhandlungen in 73 Büchern), dem Corpus Hippocraticum, stammt nur ein kleiner Teil von ihm selbst. Er war der Begründer der Ärzteschule auf Kos, die das genaue Beobachten des Kranken und seiner Symptome in den Vordergrund stellte. Sein Interesse galt dem Kranken als Gesamtwesen. Die auf Hippokrates zurückgehende Viersäftelehre von den vier Lebenselementen (Blut, Schleim, schwarze Galle, gelbe Galle) hat die europäische Medizin bis zur Renaissance beeinflusst.

Der hippokratische Eid ist nicht wörtlich auf Hippokrates zurückzuführen. Manche Einzelheiten wie die Ablehnung von Euthanasie und Abtreibung deuten auf die Philosophie des Pythagoras von Samos und seiner Schule, obwohl der Eid als Ganzes nicht von den Pythagoräern formuliert wurde. Der Text ist ein nicht datiertes Dokument im Rahmen der Hippokratischen Schriftensammlung (Corpus Hippocraticum). Vor der frühen römischen Kaiserzeit wird er in der antiken Literatur nicht erwähnt; der früheste Hinweis stammt von Scribonius Largus aus der Zeit kurz vor 50 n. Chr.

Die wesentlichen Bestandteile des Eides sind die Sorge für den Patienten und die Ablehnung zu hoher Risiken bei der Behandlung. Die Eidesformel ist eine beeindruckende Darstellung ärztlicher Ethik. Die moralischen Grundforderungen des hippokratischen Eides ließen ihn später auch für die Gläubigen der monotheis­tischen Religionen der Juden, Christen und Muslime als Maßstab gelten, wenn er auch nie zur juristischen Richtschnur wurde.

Man hat die Eidesformel immer automatisch unter dem Gesichtspunkt des Mannes gesehen. Im Text, so wie er uns vorliegt, wird allerdings nirgendwo gesagt, dass die Medizin ein Beruf sei, der Frauen verwehrt sein solle.

Die Mutter des Sokrates und die griechischen Hebammen

Wenn man die mythischen Kennerinnen von Drogen und Giften nach Art der Helena von Sparta beiseite lässt, dann erscheinen Frauen im weiten Feld der Medizin zuerst als Hebammen, bei den Griechen wie auch – wir dürfen es voraussetzen – seit Urzeiten. Die eigene Erfahrung der Geburt mit ihren Schmerzen und Risiken hat vermutlich schon in den Höhlen der Altsteinzeit, Jahrzehntausende vor den Griechen des Altertums, Frauen bewogen, anderen Frauen bei der Geburt zu helfen.

Im klassischen Athen war die Mutter des Philosophen Sokrates, eine Frau namens Phainarete, von Beruf Hebamme (maia). Sokrates kam um die Jahre 470 v. Chr. zur Welt und für diese Zeit und sicher auch für die Generationen davor dürfen wir den Hebammenberuf in Frauenhand annehmen. Der Name Phainarete wird in einigen Quellen auch als Mutter des Hippokrates von Kos genannt, der um 460 v. Chr. zur Welt kam. Von dieser Phainarete weiß man nichts Näheres. Der Sokratesschüler Platon erwähnt in seinem Dialog Theaitetos (bald nach 369 v. Chr.), dass Hebammen diesen Beruf ausüben sollten, wenn sie selbst einmal ein Kind geboren hatten und wenn sie jenseits des gebärfähigen Alters seien.

Sokrates spricht zu Theaitetos:

Überlege dir nur recht alles von den Hebammen, wie es um sie steht, so wirst Du leichter merken, was ich will. Denn du weißt doch wohl, dass keine, solange sie noch selbst empfängt und gebärt, andere entbindet, sondern nur, welche selbst nicht mehr fähig sind zu gebären, tun es. … Das soll, sagt man, von der Artemis herrühren, weil dieser, einer Nichtgebärenden, dennoch die Geburtshilfe zuteil wurde. Nun hat sie den Unfruchtbaren zwar nicht verleihen können, Geburtshelferinnen zu sein, weil die menschliche Natur zu schwach ist, um eine Kunst in Dingen zu erlangen, in denen sie ganz unerfahren ist. Wohl aber hat Artemis diese Gabe denen, die aus Altergründen nicht mehr gebären können, verliehen …

Im Folgenden beschreibt Sokrates ganz unbefangen Kenntnisse der Hebammen in Sachen Medikamente, Zaubersprüche und Abtreibungsmittel. Auch wenn der Text von Platon stammt und man kaum annehmen darf, hier Sokrates wörtlich zu hören, so dürfte die Herkunft Sokrates’ aus einer Familie mit einer Hebamme als Mutter und einem Bildhauer als Vater hier ihre Spuren hinterlassen haben.

Hebammen mussten mit Ärzten (Abb. 4) zusammenarbeiten, wenn es Komplikationen gab. Logischerweise erweiterten die griechischen Hebammen ihr Wissen und so nannte sich die erste griechische Ärztin, die wir kennen, Phanostrate von Acharnai (Abb. 5), maía kai iatròs, Hebamme und Arzt. Auf der anderen Seite haben auch die berühmtesten Ärzte ihrer Zeit die Bedeutung der Hebammen gewürdigt: Der große Herophilos von Alexandrien schrieb ein Buch über den Hebammenberuf (maiotikon).


Abb. 4 Aderlass in einer Athener Straßenpraxis der Zeit um 480 v. Chr. Bemaltes Keramikgefäß (Aryballos Peytel). H. des Bildfeldes 6 cm. Paris, Louvre.

Der Beruf der Hebamme war im gesamten Altertum Aufgabe von Frauen. Die Bezeichnung maia (Mütterchen, mgl. ma/meter, Mutter) blieb auch im späteren griechischsprachigen Ostteil des Römischen Reiches in Gebrauch; lateinischsprachige Hebammen nannten sich obstetrix, die Frau, die sich um das im Weg Stehende, das Hindernis, kümmert (obstare: im Weg stehen). Die Hebamme blieb ein ständiger Frauenberuf im gesamten Altertum.


Der Durchbruch: Die ersten Ärztinnen der Welt in Griechenland

Das Medizinzentrum in Alexandrien

Mit Alexander dem Großen breitete sich griechische Herrschaft und griechisches Denken über den Ostmittelmeerraum und über Vorderasien aus. Das Zeitalter

des Hellenismus begann, es umfasste die Jahrhunderte zwischen Alexander († 323 v. Chr.) und Augustus, dem ersten Kaiser Roms († 14 n. Chr.); geografisch umspannten die hellenistischen Länder einen für antike Verhältnisse riesigen Raum zwischen dem Mittelmeer und der indischen Westgrenze. Kulturell war es die Epoche einer gegenseitigen Durchdringung westlicher und östlicher Elemente.

Das 3. Jh. v. Chr. war eine für die Weltgeschichte entscheidende Periode der Blüte­zeit griechischer Wissenschaften. Die Griechen legten damals die Grundlagen unseres heute noch gültigen wissenschaftlichen Denkens. Eine der Folgen des Alexanderzuges war die neue Rolle des Griechischen als Weltsprache.

In den unendlich weiten Ländern zwischen dem Mittelmeer und Indien war Griechisch die erste Sprache. Das auf dem klassischen Griechisch Athens basierende internationale hellenistische Griechisch (koiné: die allgemein gültige Sprache) war die Geistesplattform der Gebildeten aller Welt. Es war das ideale Medium der Wissenschaft und es beherrschte auch die Wissenschaft der Ostprovinzen des Römischen Reiches. Das Imperium war von Anfang an zweisprachig, ein für ein Weltreich singuläres Phänomen.

Hundert Jahre nach dem Tod des Hippokrates entstand in der 331 v. Chr. gegründeten Alexanderstadt Alexandrien an der ägyptischen Mittelmeerküste ein Wissenschaftszentrum bisher unbekannten Zuschnittes, das Museion. Gegründet wurde dieses Institut von König Ptolemaios I. († 283/282 v. Chr.). Die nach Alexander in Ägypten regierenden Makedonenkönige waren die Nachkommen dieses ersten Königs Ptolemaios I., eines Generals Alexanders, der sich das von Alexander übernommene Ägypten als Herrschaftsbereich wählte. Die nach ihm benannte Ptolemäerdynastie regierte bis 30 v. Chr.; die letzte Ptolemäerkönigin Ägyptens war Kleopatra VII., die zusammen mit Marcus Antonius Rom unterlag und Selbstmord beging.

In den drei Jahrhunderten zwischen Alexander dem Großen und Kleopatra war das hellenistische ptolemäische Ägypten ein Land mit einer großen einheimischen Bevölkerung wie in den Zeiten der Pharaonen und einer neuen, griechisch-makedonischen Führungsschicht. Zahlreiche Künstler und Gelehrte aus der hellenistischen Welt, die alle Griechisch sprachen, wanderten nach Ägypten ein.

Der Begriff museion meint allgemein ein Musenheiligtum und entsprechend gab es im Altertum zahlreiche museia, Musenheiligtümer der verschiedensten Art. Anders als an den üblichen Kultplätzen der großen griechischen Götter waren diese Musenplätze variabel mit Musik und Tanz, mit Erziehung und geistiger Tätigkeit verbunden. In Alexandrien war das museion eine vom König finanzierte Institution, welche ein ganzes Spektrum von Wissenschaften umfasste. Das Ziel war umfassende Forschung. Hier erfolgten im 3. und 2. Jh. v. Chr. die entscheidenden geistigen Fortschritte in Astronomie und Medizin, Botanik und Zoologie, Philologie und Technik. Zentrum dieser Institution war die Bibliothek von Ale­xandrien, die größte der damaligen antiken Welt. Das museion mit seinen Sparten blieb auch erhalten, nachdem seit 30 v. Chr. Ägypten römische Provinz geworden war. Die römischen Kaiser förderten die Anlage bis in das 3. Jh. n. Chr. Dann verstummten die Nachrichten. Es lag im Zentrum Alexandriens, auf dem Palast­areal oder in der Nähe.

Der medizinischen Forschung hatte das museion von Anfang an großen Raum geboten. Die beiden berühmtesten Namen dieses Sektors waren die Chirurgen Erasistratos und Herophilos. Erasistratos († um 245 v. Chr.) stammte von der Ägäisinsel Keos. Seine Schriften sind bis auf Fragmente verloren, in denen er sich sowohl mit Anatomie wie auch mit Physiologie und Pharmakologie beschäftigte. Sein zeitgleich lebender Kollege Herophilos stammte aus Chalkedon in Bithynien (Nordwestkleinasien). Auch von seinen Schriften kennt man nur Fragmente und Zitate; er konzentrierte sich auf Anatomie und Physiologie.

 

Das Altertum war sich nie über das System des menschlichen Blutkreislaufes klar geworden, aber zumindest über den Bau des Herzens erlangte man damals in Alexandrien erste Erkenntnisse: Eratistratos entdeckte die Konstruktion der Herzklappen. Auch konnte man bereits zwischen Kleinhirn und Großhirn unterscheiden und hatte eine Vorstellung vom Ursprung der Nerven im Gehirn. Diese Fortschritte waren nur möglich, weil den alexandrinischen Chirurgen die Obduktion von Leichen erlaubt wurde. Das war ein wesentlicher Fortschritt und zugleich ein Tabubruch mit griechischer Tradition. Vivisektionen an Tieren wurden bereits vorgenommen und angeblich sei es den Chirurgen Erasistratos und Herophilos sogar erlaubt gewesen, an zum Tode verurteilten Verbrechern Experimente am lebenden Leibe auszuführen. Der Bericht bei Celsus wird im Allgemeinen als glaubwürdig eingestuft. Es ist im Übrigen unwahrscheinlich, dass medizinische Operationen wirklich direkt auf dem Gelände des museions vorgenommen wurden. Wahrscheinlich hatten die beteiligten Ärzte ihre eigenen Stadtpraxen.

In der Zeit des Hellenismus vom 3. bis zum 1. Jh. v. Chr. hatte man sicher auch die Produktion chirurgischer Instrumente gesteigert und verfeinert. Leider kennen wir auf diesem Gebiet bisher keine archäologischen Funde.

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