Czytaj książkę: «Lebensansichten des Katers Murr», strona 26

Czcionka:

Durchlauchtigster Herr, erwiderte der Leibjäger in sehr ruhiger Fassung, lassen Sie mich fortjagen wie einen ordinären Schuft, wenn nicht alles buchstäblich wahr ist, wie ich es erzählt habe! Ich wiederhole es keck und freimütig. Rupert ist ein ausgemachter Spitzbube.

Wie, Rupert, rief der Fürst in vollem Zorn, mein alter treuer Kastellan, der fünfzig Jahre dem Fürstenhause gedient, ohne jemals ein Schloß einrosten zu lassen, oder im Auf- und Zuschließen zu mankieren, der soll ein Spitzbube sein? Lebrecht! – Er ist besessen, Er ist rasend! Himmeltausend Sapp —

Der Fürst stockte wie immer, wenn er sich auf dem Fluchen ertappte, das allem fürstlichen Anstande entgegen. Der Leibjäger nutzte diesen Augenblick, um ganz geschwinde einzufallen: Durchlauchtigster Herr werden nur gleich so hitzig und fluchen denn so gräßlich, und man darf über so etwas doch nicht schweigen, man kann doch nichts behaupten als die reine Wahrheit. – Wer ist hitzig, sprach der Fürst gelassen, wer flucht? – Esel fluchen! – Ich will, daß Er mir die ganze Sache in gedrängter Kürze wiederhole, damit ich in einer geheimen Sitzung alles meinen Räten vortragen kann zur umständlichen Beratung und Entscheidung über die fernerhin zu ergreifenden Maßregeln. Ist Rupert wirklich ein Spitzbube, so – Nun, das weitere wird sich dann finden.

Wie gesagt, begann der Leibjäger, als ich gestern Fräulein Julien vorleuchtete, schlüpfte derselbe Mensch, der hier schon längst herumschleicht, bei uns vorüber. Halt, dacht ich in meinem Sinn, den Urian wirst du doch ertappen, und löschte, als ich das liebe Fräulein bis oben hinaufgebracht, meine Fackel aus und stellte mich ins Dunkel. Nicht lange dauerte es, so kam derselbe Mensch aus dem Gebüsch hervor und klopfte leise an das Haus. Behutsam schlich ich einher. Da wurde das Haus geöffnet und ein Mädchen trat heraus und mit diesem Mädchen schlüpfte der Fremde hinein. Es war die Nanni, Sie kennen sie doch, durchlauchtigster Herr, der Frau Rätin schöne Nanni?

Coquin, rief der Fürst, mit hohen gekrönten Häuptern spricht man nicht von schönen Nanni's, doch! – fahr Er fort, mon fils. – Ja die schöne Nanni, sprach der Leibjäger weiter, ich hätt' ihr solchen dummen Verkehr gar nicht zugetraut. – Also weiter nichts als eine einfältige Liebschaft, dacht ich in meinem Sinn; aber es wollte mir gar nicht in den Kopf, daß nicht noch was anders dahinter stecken sollte. Ich blieb am Hause stehen. Da kam nach einer guten Weile die Frau Rätin zurück, und kaum war sie ins Haus getreten, als oben ein Fenster geöffnet wurde und mit unglaublicher Behendigkeit der fremde Mensch hinaussprang, gerade in die schönen Nelken- und Levkojenstöcke hinein, die dort vergattert stehen und die das liebe Fräulein Julia selbst so sorglich wartet. Der Gärtner lamentiert schrecklich; er ist mit den zerbrochenen Scherben draußen und wollte bei dem durchlauchtigsten Herrn selbst Klage führen. Ich habe ihn aber nicht hereingelassen, denn der Schlingel ist angesoffen schon am frühen Morgen. Lebrecht, das scheint eine Imitation zu sein, unterbrach der Fürst den Leibjäger, denn selbiges kommt schon in der Oper von Herrn Mozart Figaro's Hochzeit geheißen, vor, die ich zu Prag geschaut. Bleib Er der Wahrheit getreu, Jäger? – Auch nicht eine Silbe rede ich anders, als ich es bekräftigen kann mit einem körperlichen Eide, sprach Lebrecht weiter. Der Kerl war hingestürzt, und ich gedachte ihn nun zu fassen; doch schnell wie der Blitz raffte der Kerl sich auf und rannte spornstreichs – wohin? was denken Sie wohl, durchlauchtigster Fürst, wohin er rannte? Ich denke nichts, erwiderte der Fürst feierlich, turbier Er mich nicht mit lästigen Fragen nach Gedanken, Jäger! sondern erzähle Er ruhig so lange, bis die Geschichte aus ist, dann will ich denken.

Gerade nach dem unbewohnten Pavillon rannte der Mensch, fuhr der Jäger fort. Ja – unbewohnt! Sowie er an die Türe geklopft, wurd' es inwendig hell, und wer nun heraustrat, war niemand anders als der saubere, ehrliche Herr Rupert, dem der Fremde hineinfolgte ins Haus, das er nun wieder fest verschloß. Sie sehen, durchlauchtigster Herr, daß Rupert Verkehr treibt mit fremden, gefährlichen Gästen, die bei ihrer Schleicherei gewiß Böses im Schilde führen. Wer weiß, worauf alles abzielt und es ist ja möglich, daß selbst mein durchlauchtigster Fürst hier in dem stillen ruhigen Sieghartshof von schlechten Menschen bedroht wird.

Da Fürst Irenäus sich für eine höchst bedeutende fürstliche Person hielt, so konnt' es nicht fehlen, daß er manchmal von allerlei höfischen Kabalen und bösen Nachstellungen träumte. Des Jägers letzte Äußerung fiel ihm deshalb gar schwer aufs Herz, und er versank einige Augenblicke in tiefes Nachsinnen. Jäger! Er hat recht, sprach er dann mit weit aufgerissenen Augen. Die Sache mit dem fremden Menschen, der hier herumschleicht, mit dem Licht, das sich zur Nachtzeit im Pavillon sehen läßt, ist bedenklicher, als sie im ersten Augenblick erscheint. – Mein Leben steht in Gottes Hand! aber mich umgeben treue Diener, und sollte einer sich für mich aufopfern, so würde ich ganz gewiß die Familie reichlich bedenken! – Verbreit' Er das unter meinen Leuten, guter Lebrecht! – Er weiß, ein fürstliches Herz ist frei von jeder Bangigkeit, von jeder menschlichen Todesfurcht, aber man hat auch Pflichten gegen sein Volk, ihm muß man sich konservieren, zumal wenn der Thronerbe noch unmündig. Darum will ich das Schloß nicht eher verlassen, bis die Kabale im Pavillon zerstört ist. – Der Förster soll mit den Revierjägern und allen übrigen Forstbedienten herankommen, alle meine Leute sollen sich bewaffnen. Der Pavillon soll sogleich umstellt, das Schloß fest verschlossen werden. Besorg' Er das guter Lebrecht! Ich selbst schnalle meinen Hirschfänger um, lade Er meine Doppelpistolen, aber vergesse Er nicht den Schieber vorzulassen, damit kein Unglück geschieht. – Und daß man mir Nachricht gibt, wenn etwa die Zimmer des Pavillons erstürmt und so die Verschwornen gezwungen werden sollen, sich zu ergeben, damit ich mich zurückziehen kann in die innern Gemächer. Und daß man die Gefangenen auf das sorglichste durchsucht, ehe sie vor den Thron gebracht werden, damit keiner etwa in der Verzweiflung – doch was steht Er, was sieht Er mich an, was lächelt Er, was soll das heißen Lebrecht?

Ei, durchlauchtigster Herr, erwiderte der Leibjäger mit pfiffiger Miene, ich meine nur, daß es gar nicht von nöten, den Förster mit seinen Leuten herzubeordern.

Warum nicht? fragte der Fürst erzürnt. Ich glaube gar, Er untersteht sich mir zu widersprechen? – Und in jeder Sekunde steigt die Gefahr! Tausend Sapp – Lebrecht, werf' Er sich auf Pferd – der Förster – seine Leute – geladene Büchsen – den Augenblick sollen sie einrücken. —

Sie sind aber schon da, durchlauchtigster Herr! sprach der Leibjäger.

Wie – was! – rief der Fürst, indem er den Mund offen behielt um dem Erstaunen Luft zu gönnen.

Schon als der Morgen graute, fuhr der Jäger fort, war ich draußen beim Förster. Schon ist der Pavillon so sorglich umstellt, daß keine Katze heraus kann, viel weniger ein Mensch.

Er ist ein vortrefflicher Jäger, Lebrecht, und ein treuer Diener des fürstlichen Hauses, sprach der Fürst gerührt. Rettet Er mich aus dieser Gefahr, so kann Er sicher auf eine Verdienstmedaille rechnen, die ich selber erfinden und ausprägen lassen werde, von Silber oder von Gold, je nachdem bei der Erstürmung des Pavillons weniger oder mehr Menschen geblieben sind.

Erlauben Sie es, durchlauchtigster Herr, sprach der Jäger, so gehen wir nun gleich ans Werk. Das heißt, wir schlagen die Türe des Pavillons ein, nehmen das Gesindel, das darin hauset, gefangen und alles ist vorüber. Ja, ja, den Kerl, der mir so oft entschlüpft, der solch ein verfluchter Springer ist, den verdammten Kerl, der sich dort im Pavillon als ein ungebetener Gast selbst einquartiert hat, den will ich schon fassen, den Spitzbuben den, der Fräulein Julien turbiert hat! —

Welcher Spitzbube hat Julien turbiert? fragte die Rätin Benzon in das Zimmer tretend. Wovon sprecht Ihr, guter Lebrecht? – Der Fürst schritt feierlich, bedeutsam, wie jemand, dem Großes, Ungeheures begegnet, das er mit aller Stärke des Geistes bemüht ist zu tragen, der Benzon entgegen. Er faßte ihre Hand, drückte sie zärtlich und sprach dann mit sehr weicher Stimme: Benzon! selbst in der einsamsten, tiefsten Zurückgezogenheit folgt die Gefahr dem fürstlichen Haupt. – Es ist das Los der Fürsten, daß alle Milde, alle Güte des Herzens sie nicht schützt vor dem feindlichen Dämon, der den Neid, die Herrschsucht entflammt in der Brust verräterischer Vasallen! – Benzon, die schwärzeste Verräterei hat ihr schlangenhaariges Medusenhaupt erhoben gegen mich, Sie finden mich in der dringendsten Gefahr! – Aber bald ist der Augenblick der Katastrophe da, diesem Getreuen verdanke ich vielleicht bald mein Leben, meinen Thron! – Und ist es anders beschlossen – nun so ergebe ich mich in mein Schicksal. – Ich weiß, Benzon, Sie konservieren Ihre Gesinnungen gegen mich, und so kann ich, wie jener König in dem Trauerspiel eines deutschen Dichters, mit dem Prinzessin Hedwiga mir neulich den Tee verdarb, hochsinnig rufen: Nichts ist verloren, denn Sie blieben mein! – Küssen Sie mich gute Benzon! – Teures Malchen, wir sind und bleiben die Alten! – Guter Gott, ich radottiere wohl in der Seelenangst! – Lassen Sie uns gefaßt sein, meine Liebe, wenn die Verräter gefangen sind, werd' ich sie mit einem Blick vernichten. – Leibjäger, es beginne der Angriff auf den Pavillon. – Der Leibjäger wollte schnell fort. – Halt, rief die Benzon, was für ein Angriff? Auf welchen Pavillon?

Der Leibjäger mußte auf den Befehl des Fürsten nochmals über den ganzen Vorfall genauen Rapport abstatten.

Immer mehr und mehr schien die Benzon durch des Leibjägers Erzählung gespannt zu werden. Als er geendet, rief die Benzon lachend: Nun das ist das drolligste Mißverständnis, das es wohl geben mag. Ich bitte, gnädigster Herr, daß der Förster mit seinen Leuten sogleich nach Hause geschickt werde. – Es ist von gar keiner Verschwörung die Rede; Sie befinden sich nicht in der mindesten Gefahr, gnädigster Herr! – Der unbekannte Bewohner des Pavillons ist schon Ihr Gefangener.

Wer, fragte der Fürst voll Erstaunen, wer, welcher Unglückselige bewohnt den Pavillon ohne meine Erlaubnis?

Es ist Prinz Hektor, der sich im Pavillon verbirgt! raunte die Benzon dem Fürsten ins Ohr.

Der Fürst prallte einige Schritte zurück, als träfe ihn plötzlich ein Schlag von unsichtbarer Hand, dann rief er: Wer? – wie? est il possible! – Benzon! träume ich? – Prinz Hektor? des Fürsten Blicke fielen auf den Leibjäger, der ganz verblüfft den Hut in der Hand zusammenknillte. Jäger, schrie der Fürst ihn an, scher' Er sich hinab, der Förster, die Leute sie sollen fort – fort nach Hause! kein Mensch soll sich blicken lassen! – Benzon, wandte er sich dann zur Rätin, gute Benzon, können Sie es sich vorstellen, einen Kerl, einen Spitzbuben hat Lebrecht den Prinzen Hektor genannt! – Der Unglückliche! – Doch es bleibt unter uns, Benzon, es ist ein Staatsgeheimnis. – Sagen Sie, erklären Sie mir nur, wie es geschehen konnte, daß der Prinz vorgibt abzureisen, und sich hier versteckt, als wolle er auf Abenteuer ausgehen?

Die Benzon sah sich durch die Beobachtungen des Leibjägers aus großer Verlegenheit gerettet. Hatte sie sich vollkommen überzeugt, daß es ihrerseits nicht ratsam, dem Fürsten die Gegenwart des Prinzen in Sieghartshof, am wenigsten aber seinen Anschlag auf Julien zu entdecken, so konnte doch auch die Sache nicht in der Lage bleiben, die mit jeder Minute sich für Julien, für das ganze Verhältnis das sie, die Benzon selbst, mit aller Mühe aufrecht erhielt, bedrohlicher gestalten mußte. Jetzt, da der Leibjäger den Schlupfwinkel des Prinzen erlauscht, und dieser Gefahr lief, auf nicht sehr ehrenvolle Weise hervorgezogen zu werden, konnte, durfte sie ihn verraten, ohne Julia preiszugeben. Sie erklärte also dem Fürsten, daß wahrscheinlich ein Liebeszwist mit der Prinzessin Hedwiga den Prinzen vermocht, eine schnelle Abreise vorzugeben und sich mit seinem treusten Kammerdiener ganz in der Nähe der Geliebten zu verstecken. Daß dies Beginnen etwas Romanhaftes, Abenteuerliches in sich trage, sei nicht zu leugnen, doch welcher Liebende habe nicht Hang zu dergleichen. Übrigens sei des Prinzen Kammerdiener ein sehr eifriger Liebhaber ihrer Nanni, und durch diese ihr das Geheimnis verraten worden.

Ha! rief der Fürst, dem Himmel sei es gedankt, so war es der Kammerdiener und nicht der Prinz selbst, der sich zu Ihnen ins Haus stahl und dann durchs Fenster sprang in die Blumentöpfe, wie der Page Cherubim. – Mir stiegen schon allerlei unangenehme Gedanken auf. Ein Prinz und durchs Fenster springen, wie könnte sich das wohl in aller Welt reimen.

Ei, erwiderte die Benzon schalkisch lachend, ich kenne doch eine fürstliche Person, die den Weg zum Fenster hinaus nicht verschmähte, als —

Sie alterieren mich, Benzon, unterbrach der Fürst die Rätin, Sie alterieren mich ganz ungemein! Schweigen wir von vergangenen Dingen, überlegen wir lieber, was jetzt mit dem Prinzen anzufangen! Alle Diplomatie, alles Staatsrecht, alles Hofgesetz holt der Teufel in dieser verdammten Lage! – Soll ich ihn ignorieren? – soll ich ihn zufällig finden? – soll ich … soll ich? Alles dreht sich in meinem Kopfe wie ein Wirbel. Das kommt davon, wenn fürstliche Häupter sich zu wunderlichen Romanstreichen herabwürdigen!

Die Benzon wußte in der Tat nicht, wie das weitere Verhältnis mit dem Prinzen zu formen. Doch auch dieser Verlegenheit wurde abgeholfen. Noch ehe die Rätin nämlich dem Fürsten antworten konnte, trat der alte Kastellan Rupert hinein und überreichte ein klein zusammengefaltetes Billett, indem er schelmisch lächelnd versicherte, es käme von einer hohen Person, die er gar nicht weit von hier die Ehre hätte unter Schloß und Riegel zu bewahren. Er wußte also, Rupert, sprach der Fürst sehr gnädig zu dem Alten, daß? Nun ich habe Ihn immer für einen ehrlichen treuen Diener meines Hauses gehalten, und Er hat sich auch jetzt als einen solchen bewährt, da Er, wie es seine Pflicht war, dem Befehl meines erhabenen Eidams gehorchet. – Ich werde an Seine Belohnung denken. Rupert dankte in den demütigsten Ausdrücken und entfernte sich aus dem Zimmer.

Es begibt sich gar oft im Leben, daß einer für besonders ehrlich und tugendhaft gehalten wird, gerade in dem Augenblick, wenn er einen Spitzbubenstreich begangen. Daran dachte die Benzon, die von des Prinzen bösem Anschlage besser unterrichtet und überzeugt war, daß der alte heuchlerische Rupert in das böse Geheimnis eingeweiht.

Der Fürst erbrach das Billett und las:

 
Che dolce più, che più giocondo stato
Saria, di quel d'un amoroso core?
Che viver più felice, e più beato,
Che ritrovarsi in servitù d'Amore?
Se non fosse l'huom sempre stimulato
Da quel sospetto rio, da quel timore,
Da quel martir, da quella frenesia,
Da quella rabbia, detta gelosia.
 

In diesen Versen eines großen Dichters finden Sie, mein Fürst, die Ursache meines geheimnisvollen Beginnens. Ich glaubte mich nicht geliebt von der, die ich anbete, die mein Leben ist, all mein Sehnen und Hoffen, für die alle brünstige Glut lodert in der entflammten Brust. Wohl mir! – ich habe mich eines Bessern überzeugt, ich weiß seit wenigen Stunden, daß ich geliebt bin, und trete aus meinem Schlupfwinkel hervor. – Liebe und Glück, das sei das Losungswort, das mich ankündigt. – Bald begrüße ich Sie, mein Fürst! mit der Ehrfurcht des Sohnes. Hektor.

Vielleicht ist es dem geneigten Leser nicht ganz unlieb, wenn der Biograph hier auf zwei Sekunden die Geschichte ruhen läßt und den Versuch einer Übersetzung jener italienischen Verse einschiebt. – Sie könnten ungefähr also lauten:

 
„Gäb's süßres noch, gäb's höheres Entzücken,
Als wenn das Herz entbrannt in brünst'ger Liebe?
Könnt' den ein sel'gres Himmelslos beglücken,
Der in des mächt'gen Gottes Fesseln bliebe?
Vermöchte nicht den Menschen zu berücken
Der finstre Geist, Verdacht! der Furcht Getriebe,
Trostlose Qual, Wahnsinns wuchernder Samen,
Der Hölle Furie, Eifersucht ihr Namen!
 

Der Fürst las das Billett zwei-, dreimal sehr aufmerksam durch und je öfter er es las, desto finstrer zogen sich die Falten auf seiner Stirne zusammen. Benzon! was ist das mit dem Prinzen? sprach er endlich. Verse, italienische Verse an ein fürstliches Haupt, an einen gekrönten Schwiegervater, statt deutlicher vernünftiger Erklärung? – Was soll das! – Es ist kein Verstand darin. – Der Prinz scheint überspannt zu sein auf ganz ungebührliche Weise. Die Verse sprechen, soviel ich davon verstehe, von dem Glück der Liebe und von den Qualen der Eifersucht. Was will der Prinz mit der Eifersucht, auf wen, um tausend Himmels willen kann er hier eifersüchtig sein? – Sagen Sie mir gute Benzon, finden Sie in diesem Billett des Prinzen auch nur ein Fünkchen gesunden Menschenverstand? —

Die Benzon entsetzte sich über den tiefern Sinn, der in den Worten des Prinzen lag, und den sie nach dem, was sich gestern in ihrem Hause begeben, leicht erraten konnte. Zugleich mußte sie aber die feine Wendung bewundern, die der Prinz ersonnen, um ohne weitern Anstoß aus seinem Versteck hervortreten zu dürfen. Weit entfernt, sich auch nur leise darüber gegen den Fürsten zu äußern, mühte sie sich aber aus der Lage der Dinge so viel Vorteil zu ziehen als nur möglich. Kreisler und Meister Abraham, das waren die Personen, von denen sie Verwirrungen ihrer geheimen Pläne befürchtete, und gegen diese glaubte sie jede Waffe brauchen zu müssen, die ihr der Zufall in die Hand spielte. Sie erinnerte den Fürsten daran, was sie ihm über die Leidenschaft gesagt hatte, die in der Prinzessin Brust empor gelodert. Dem Scharfblick des Prinzen, führte sie ferner an, könne die Stimmung der Prinzessin ebensowenig entgangen sein, als Kreislers seltsames überspanntes Betragen ihm Anlaß genug gegeben haben müsse, irgendein wahnsinniges Verhältnis zwischen beiden zu vermuten. So sei hinlänglich erklärt, warum der Prinz den Kreisler auf den Tod verfolgt, warum er, da er den Kreisler getötet zu haben geglaubt, dem Schmerz, der Verzweiflung der Prinzessin aus dem Wege gegangen, dann aber, als er von Kreislers Leben unterrichtet, von Liebe und Sehnsucht getrieben zurückgekehrt sei und die Prinzessin heimlich beobachtet habe. Niemanden anders als Kreislern habe daher die Eifersucht gegolten, von der die Verse des Prinzen sprächen, und es sei um so nötiger und ratsamer, dem Kreisler forthin keinen Aufenthalt in Sieghartshof zu gestatten, als er mit dem Meister Abraham ein gegen alle Verhältnisse des Hofes gerichtetes Komplott geschmiedet zu haben scheine.

Benzon, sprach der Fürst sehr ernsthaft, ich habe darüber nachgedacht, was Sie mir über die unwürdige Neigung der Prinzessin gesagt haben, und glaube jetzt von allem auch nicht ein Wort. Fürstliches Blut wallt in den Adern der Prinzessin. —

Glauben Sie, gnädigster Herr, fuhr die Benzon heftig auf, indem sie bis unter die Augen errötete, daß das fürstliche Weib über den Pulsschlag, über die innere Ader des Lebens gebieten könne wie kein anderes?

Sie sind heute in sehr seltsamer Stimmung, Rätin! sprach der Fürst verdrießlich. – Ich wiederhole es, entstand in dem Herzen der Prinzessin irgendeine abgeschmackte Leidenschaft, so war das nur ein krankhafter Zufall – ein Krampf sozusagen – sie leidet ja an Spasmen – von dem sie sich sehr bald ganz erholt haben würde. Was aber den Kreisler betrifft, so ist das ein ganz amüsanter Mensch, dem nur gehörige Kultur fehlt. Ich kann ihm gar nicht solche übermütige Keckheit zutrauen, sich der Prinzessin annähern zu wollen. Keck ist er, aber auf ganz andere Weise. Glauben Sie wohl, Benzon, daß nach seiner wunderlichen Art gerade eine Prinzessin bei ihm gar kein Glück machen würde, sollt' es denkbar sein, daß eine dergleichen hohe Person sich herablassen könnte, in ihn verliebt zu werden. Denn – Benzon, entre nous soit dit – er macht sich gar nicht sonderlich viel aus uns hohen Häuptern, und das ist eben die lächerliche abgeschmackte Torheit, die ihn unfähig macht am Hofe zu verweilen. Mag er daher entfernt bleiben: kehrt er aber zurück, so sei er mir herzlich willkommen. Denn nicht genug, daß er denn doch, wie ich vom Meister Abraham – ja den Meister Abraham, den lassen Sie mir aus dem Spiele, Benzon, die Komplotte, die er geschmiedet, haben immer zum Wohl des fürstlichen Hauses gereicht. – Wie ich doch sagen wollte! Ja! – – Nicht genug, daß der Kapellmeister, wie mir Meister Abraham gesagt, fliehen müssen auf ungebührliche Weise, unerachtet er von mir freundlich aufgenommen, so ist und bleibt er ein ganz gescheiter Mensch, der mich amüsiert trotz seines närrischen Wesens, et cela suffit!

Die Rätin erstarrte vor innerer Wut, sich so kalt abgefertigt zu sehen. Ohne es zu ahnen war sie, als sie fröhlich den Strom hinabschwimmen wollte, auf eine verborgene Klippe gestoßen. —

Es entstand auf dem Schloßhofe ein großes Geräusch. Eine lange Reihe Wagen rasselte heran, begleitet von einem starken Kommando großherzoglicher Husaren. Der Oberhofmarschall, der Präsident, die Räte des Fürsten, mehrere von der vornehmen Welt aus Sieghartsweiler stiegen aus. Dorthin war die Nachricht gekommen, daß in Sieghartshof eine wider das Leben des Fürsten gerichtete Revolution ausgebrochen, und nun kamen die Getreuen nebst andern Verehrern des Hofes, sich um die Person des Fürsten zu stellen, und brachten die Verteidiger des Vaterlandes mit, die sie sich vom Gouverneur mit vieler Mühe erbeten.

Vor lauter Beteurungen der Versammelten, daß sie Leib und Leben für den gnädigsten Herrn zu opfern bereit seien, kam der Fürst gar nicht zu Worte. Eben wollt' er endlich beginnen, als der Offizier, der das Kommando führte, hineintrat und den Fürsten nach dem Operationsplan fragte.

Es liegt in der menschlichen Natur, daß, wenn die Gefahr, die uns Furcht einjagte, sich vor unsern Augen auflöst in einen eitlen nichtigen Popanz, uns dies immer mit großem Unmut erfüllt. Der Gedanke der wirklichen Gefahr glücklich entgangen zu sein, nicht, daß gar keine vorhanden, erregt uns Freude.

So geschah es denn auch, daß der Fürst seinen Unmut, seinen Verdruß über den unnötigen Tumult kaum unterdrücken konnte.

Daß der ganze Lärm über ein Stelldichein eines Kammerdieners mit einer Zofe, über die romanhafte Eifersüchtelei eines verliebten Prinzen entstanden, sollte, konnte er das sagen? Er sann hin und her, die ahnungsvolle Stille im Saal, nur unterbrochen von dem mutigen Sieg versprechenden Wiehern der Husarenpferde, die draußen hielten, drückte ihn bleiern nieder.

Endlich räusperte er sich und begann sehr pathetisch: Meine Herren! Die wunderbare Fügung des Himmels … – Was wollen Sie mon ami?

Mit dieser an den Hofmarschall gerichteten Frage unterbrach der Fürst sich selbst. Wirklich hatte der Hofmarschall sich mehrmals gebückt und durch Blicke zu verstehen gegeben, daß er was Wichtiges zu hinterbringen. Es kam heraus, daß soeben sich Prinz Hektor melden lassen.

Des Fürsten Gesicht heiterte sich auf, er sah, daß er über die vermeintliche Gefahr, in der sein Thron geschwebt, sehr kurz sein und die ehrwürdige Versammlung wie mit einem Zauberschlage in eine Bewillkommnungs-Cour umsetzen könne. Er tat dies! —

Nicht lange dauerte es so trat Prinz Hektor herein, in Gala-Uniform glänzend gekleidet, schön, kräftig, stolz wie der fernhintreffende Götter-Jüngling. Der Fürst machte ein paar Schritte vorwärts ihm entgegen, fuhr aber auch gleich zurück, als träfe ihn der Blitz. Dicht hinter dem Prinzen Hektor her sprang Prinz Ignatius in den Saal. Der fürstliche Herr wurde leider mit jedem Tage dämischer und abgeschmackter. Die Husaren auf dem Schloßhofe mußten ihm ganz ausnehmend gefallen haben, denn er hatte einen Husaren vermocht ihm Säbel, Tasche und Tschako zu geben, und sich in diese Herrlichkeiten geputzt. – So kurbettierte er, als säße er zu Pferde, in kurzen Sprüngen, mit dem blanken Säbel in der Faust im Saal umher, indem er die eiserne Scheide tüchtig auf dem Boden nachklirren ließ, und lachte und kicherte dabei ganz ungemein anmutig. Partez – décampez! Allez vous en – tout de suite. So rief der Fürst mit glühenden Augen und donnernder Stimme dem erschrockenen Ignaz entgegen, der sich ganz geschwind davon machte.

Keiner von den Anwesenden hatte so wenig Takt, den Prinzen Ignaz, die ganze Szene zu bemerken. —

Der Fürst, im vollsten Sonnenglanz der vorigen Milde und Freundlichkeit, sprach nun mit dem Prinzen einige Worte und dann gingen beide, der Fürst und der Prinz, im Kreise der Versammelten umher und redeten mit diesem, jenem ein paar Worte. Die Cour war beendigt, d. h. die geistreichen, tiefsinnigen Redensarten, deren man sich bei solcher Gelegenheit zu bedienen pflegt, waren gehörig verspendet, und der Fürst begab sich mit dem Prinzen in die Gemächer der Fürstin, dann aber, da der Prinz darauf bestand die geliebte Braut zu überraschen, in das Gemach der Prinzessin. Sie fanden Julia bei ihr.

Mit der Hast des feurigsten Liebhabers flog der Prinz hin zur Prinzessin, drückte ihre Hand hundertmal zärtlich an die Lippen, schwur, daß er nur in dem Gedanken an sie gelebt, daß ein unglückliches Mißverständnis ihm die Qualen der Hölle bereitet, daß er die Trennung von der, die er anbete, nicht länger ertrage könne, daß nun ihm alle Seligkeit des Himmels aufgegangen. —

Hedwiga empfing den Prinzen mit unbefangener Heiterkeit, die ihr sonst eben nicht eigen. Sie begegnete den zärtlichen Liebkosungen des Prinzen geradeso, wie es eine Braut wohl tun mag, ohne sich im voraus zu viel zu vergeben; ja sie verschmähte es nicht, den Prinzen mit seinem Versteck ein wenig aufzuziehn und zu versichern, daß sie keine Verwandlung hübscher und anmutiger sich denken könne, als die eines Haubenstocks in einen Prinzenkopf. Denn für einen Haubenstock habe sie den Kopf gehalten, der sich in dem Giebelfenster des Pavillons blicken lassen. Dies gab Anlaß zu allerlei artigen Neckereien des glücklichen Paars, die selbst den Fürsten zu ergötzen schienen. Nun glaubte er den großen Irrtum der Benzon rücksichts des Kreisler erst recht einzusehen, da nach seiner Meinung Hedwiga's Liebe zu dem schönsten der Männer sich deutlich genug aussprach. Geist und Körper der Prinzessin schienen in der seltenen hohen Blüte zu stehen, wie sie glücklichen Bräuten ganz besonders eigen. – Gerade entgegengesetzt verhielt es sich mit Julien. Sowie sie den Prinzen erblickte, bebte sie zusammen von innerm Schauer erfaßt. Blaß wie der Tod stand sie da mit tief zu Boden gesenkten Augen, keiner Bewegung mächtig, kaum fähig, sich aufrecht zu erhalten. —

Nach einer guten Weile wandte sich der Prinz zu Julien mit den Worten:Fräulein Benzon, wenn ich nicht irre?

Eine Freundin der Prinzessin von der frühsten Kindheit her, gleichsam ein Schwesternpaar. Während der Fürst diese Worte sprach, hatte der Prinz Julia's Hand gefaßt und ihr leise, leise zugehaucht: Nur du bist's, die ich meine! – Julia schwankte, Tränen der bittersten Angst drängten sich unter den Wimpern hervor; sie wäre niedergestürzt, hätte die Prinzessin nicht schnell einen Sessel herbeigeschoben.

Julia, sprach die Prinzessin leise, indem sie sich über die Ärmste hinüberbeugte, Julia, fasse Dich doch nur! – Ahnest Du denn nicht den harten Kampf, den ich kämpfe. – Der Fürst öffnete die Türe und rief nach Eau de Luce. Solches führe ich nicht bei mir, sprach der ihm entgegentretende Meister Abraham, aber guten Äther. Ist jemand ohnmächtig geworden? – Äther hilft auch! —

So kommt schnell herein, Meister Abraham, erwiderte der Fürst, und helft Fräulein Julien.

Doch sowie Meister Abraham in den Saal trat, sollte sich das Unerwartete begeben.

Geisterbleich starrte Prinz Hektor den Meister an, sein Haar schien sich zu sträuben, kalter Angstschweiß ihm auf der Stirne zu stehen. Einen Schritt vorwärts, den Leib zurückgebogen, die Arme dem Meister entgegengestreckt, war er dem Macbeth zu vergleichen, wenn plötzlich Banko's entsetzliches blutiges Gespenst den leeren Platz der Tafel füllt. – Ruhig holte der Meister sein Fläschchen hervor und wollte sich Julien nahen.

Da war es, als ermanne sich der Prinz wieder zum Leben. Severino, seid Ihr's selbst? So rief der Prinz mit dem dumpfen Ton des tiefsten Entsetzens. Allerdings, erwiderte Meister Abraham, ohne im mindesten aus seiner Ruhe zu kommen, ohne nur die Miene zu verändern, allerdings. Es ist mir sehr lieb, daß Ihr Euch meiner erinnert, gnädigster Herr; ich hatte die Ehre Euch vor etlichen Jahren in Neapel einen kleinen Dienst zu erzeigen.

Der Meister trat noch einen Schritt vorwärts da faßte ihn der Prinz beim Arm, zog ihn mit Gewalt auf die Seite, und nun erfolgte ein kurzes Gespräch, von dem niemand der im Saal Befindlichen etwas verstand, da es zu schnell und im neapolitanischen Dialekt geführt wurde.

Severino! – wie kam der Mensch zu dem Bildnis?

Ich gab es ihm zur Schutzwehr gegen Euch.

Weiß er?

Nein!

Werdet Ihr schweigen?

Zur Zeit – ja!

Severino! – alle Teufel sind mir auf den Hals gehetzt! Was nennt Ihr zur Zeit?

Solange Ihr artig seid und den Kreisler in Ruhe laßt und auch jene da!

– Nun ließ der Prinz den Meister los und trat an ein Fenster. – Julia hatte sich indessen erholt. Mit dem unbeschreiblichen Ausdruck herzzerreißender Wehmut den Meister Abraham anschauend, lispelte sie mehr als daß sie sprach: O mein guter, lieber Meister, Ihr könnt mich wohl retten! – Nicht wahr, Ihr gebietet über so manches? – Eure Wissenschaft kann noch alles zum Guten lenken! – Der Meister gewahrte in Julia's Worten den wunderbarsten Zusammenhang mit jenem Gespräch, als habe sie in der höhern Erkenntnis des Traums alles verstanden und wisse um das ganze Geheimnis!

Du bist ein frommer Engel, sprach der Meister Julien leise ins Ohr, und darum hat der finstre Höllengeist der Sünde keine Macht über Dich. Vertraue Dich mir ganz; fürchte nichts und fasse Dich mit aller Kraft des Geistes. – Denke auch an unsern Johannes.

Ach, rief Julia schmerzlich, ach Johannes! – er kehrt zurück, nicht wahr, Meister? ich werde ihn wiedersehen!

Gewiß, erwiderte der Meister und legte den Finger auf den Mund; Julia verstand ihn. —

Der Prinz mühte sich, unbefangen zu scheinen; er erzählte, daß der Mann, den man hier, wie er vernehme, Meister Abraham nenne, vor mehreren Jahren in Neapel Zeuge einer sehr tragischen Begebenheit gewesen sei, in die er, der Prinz, selbst verflochten, wie er gestehen müsse. – Diese Begebenheit zu erzählen sei jetzt nicht an der Zeit, doch wolle er künftig nicht damit zurückhalten. —