Czytaj książkę: «Lebensansichten des Katers Murr», strona 23

Czcionka:

Nicht das Auge abwenden konnte ich von der Sängerin; sie war allerliebst, der Ton ihrer süßen Stimme, selbst das Rührende tief Empfundene in der Melodie des Trauerliedes riß mich hin, ganz und gar; ich konnte mich der Tränen nicht enthalten. Doch der Schmerz, der mir sie auspreßte, war von ganz besonderer seltsamer Art, da er mir das süßeste Wohlbehagen erregte.

Daß ich es nur geradezu heraussage! – Mein ganzes Herz neigte sich der Sängerin hin, es war mir, als habe ich nie eine Katzjungfrau erblickt von dieser Anmut, von diesem Adel in Haltung und Blick, kurz von dieser siegenden Schönheit! —

Das Grab wurde mit Mühe von vier rüstigen Katern, die so viel Sand und Erde herankratzten als nur möglich, gefüllt, die Beerdigung war vorbei und wir gingen zu Tische. Muzius schöne liebliche Töchter wollten sich entfernen, das litten wir jedoch nicht, sie mußten vielmehr teilnehmen am Trauermahl und ich wußte es so geschickt anzufangen, daß ich die Schönste zur Tafel führte und mich dicht neben ihr hinsetzte. Hatte mir erst ihre Schönheit geglänzt, hatte mich ihre süße Stimme bezaubert, so versetzte mich jetzt ihr heller klarer Verstand, die Innigkeit, die Zartheit ihres Gefühls, das rein weibliche fromme Wesen, das aus ihrem Innern hervorstrahlte, in den höchsten Himmel des Entzückens. Alles erhielt in ihrem Munde, in ihren süßen Worten einen ganz eignen Zauberreiz, ihr Gespräch war ganz liebliche zarte Idylle. – So sprach sie z. B. mit Wärme von einem Milchbrei, den sie wenige Tage vor des Vaters Tode nicht ohne Appetit genossen, und als ich sagte, daß bei meinem Meister solch ein Brei ganz vorzüglich bereitet würde und zwar mit einer guten Zutat von Butter, da blickte sie mich an mit ihren frommen grünstrahlenden Taubenaugen und fragte mit einem Ton, der mein ganzes Herz durchbebte: O gewiß – gewiß mein Herr! – Sie lieben auch den Milchbrei? – Mit Butter! wiederholte sie dann, wie in schwärmerische Träume versunken. – Wer weiß nicht, daß hübschen blühenden Mädchen von sechs bis acht Monaten (so viele konnte die Schönste zählen) nichts besser kleidet, als ein kleiner Anstrich von Schwärmerei, ja daß sie dann oft ganz unwiderstehlich sind. So geschah es, daß ich ganz in Liebe entflammt, die Pfote der Schönsten heftig drückend laut rief: Eng'lisches Kind! frühstücke mit mir Milchbrei und es gibt keine Seligkeit des Lebens, gegen die ich mein Glück austausche! – Sie schien verlegen, sie schlug errötend die Augen nieder, doch ließ sie ihre Pfote in der meinigen, welches die schönsten Hoffnungen in mir erregte. Ich hatte nämlich einmal bei meinem Meister einen alten Herrn, der, irre ich nicht, ein Advokat war, sagen gehört, es sei für ein junges Mädchen sehr gefährlich, ihre Hand lange in der Hand eines Mannes zu lassen, weil dieser es mit Recht für eine traditio brevi manu ihrer ganzen Person ansehen und allerlei Ansprüche darauf begründen könne, die dann nur mit Mühe zurückzuweisen. – Zu solchen Ansprüchen hatte ich nun aber große Lust und wollte eben damit beginnen, als das Gespräch durch eine Libation zu Ehren des Verstorbenen unterbrochen wurde. —

Die drei jüngeren Töchter des hingeschiedenen Muzius hatten indessen eine frohe Laune, eine schalkhafte Naivität entwickelt, über die alle Kater entzückt waren. Schon durch Speise und Trank merklich dem Gram und Schmerz entnommen, wurde nun die Gesellschaft immer froher und lebendiger. Man lachte, man scherzte und als die Tafel aufgehoben, war es der ernste Senior Puff selbst, welcher vorschlug, ein Tänzchen zu machen. Schnell war alles fortgeräumt; drei Kater stimmten ihre Kehlen und bald sprangen und drehten sich Muzius aufgeweckte Töchter mit den Jünglingen wacker herum.

Nicht von der Seite wich ich der Schönsten, ich forderte sie auf zum Tanz, sie gab mir die Pfote, wir flogen in die Reihen. – Ha! wie ihr Atem an meiner Wange spielte! wie meine Brust an der ihrigen bebte! wie ich ihren süßen Leib mit meinen Pfoten umschlungen hielt! – O des seligen, himmlisch seligen Augenblicks!

Als wir zwei, auch wohl drei Hopser getanzt, führte ich die Schönste in eine Ecke des Kellers und bediente sie galanter Sitte gemäß mit einigen Erfrischungen, wie sie sich eben vorfinden lassen wollten, da das Fest eigentlich auf einen Ball nicht eingerichtet. Nun ließ ich meinem innern Gefühl ganz freien Lauf. Einmal übers andere drückte ich ihre Pfote an meine Lippen und versicherte ihr, daß ich der glücklichste Sterbliche sein werde, wenn sie mich ein bißchen lieben wolle.

Unglücklicher, sprach plötzlich eine Stimme dicht hinter mir, Unglücklicher, was beginnst du! – es ist deine Tochter Mina!

Ich erbebte, denn wohl erkannte ich die Stimme! – Es war Miesmies! – Launisch spielte der Zufall mit mir, daß in dem Augenblick, als ich Miesmies ganz vergessen zu haben geglaubt, ich erfahren, was ich nicht ahnen können, ich in Liebe kommen mußte zu eignem Kinde! – Miesmies war in tiefer Trauer, ich wußte selbst nicht, was ich davon denken sollte. Miesmies, sprach ich sanft, was führt Sie hieher, warum in Trauer und – o Gott! – jene Mädchen – Mina's Schwestern? – Ich erfuhr das Seltsamste! – Mein gehässiger Nebenbuhler, der Schwarzgraugelbe, hatte sich gleich nachher, als er in jenem mörderischen Zweikampf meiner ritterlichen Tapferkeit erlegen, von Miesmies getrennt und war, als nur seine Wunden geheilt, fortgegangen niemand wußte wohin. Da warb Muzius um ihre Pfote, die sie ihm willig reichte, und es machte ihm Ehre und bewies sein Zartgefühl, daß er mir dies Verhältnis gänzlich verschwieg. So waren aber jene muntre naive Kätzchen nur meiner Mina Stiefschwestern!

O Murr, sprach Miesmies zärtlich, nachdem sie erzählt, wie sich das alles ergeben, o Murr! ihr schöner Geist hat sich nur in dem Gefühl geirrt, das ihn überströmte. Es war die Liebe des zärtlichsten Vaters, nicht des verlangenden Liebhabers, die in Ihrer Brust erwachte, als Sie unsre Mina sahen. Unsere Mina! o welch ein süßes Wort! – Murr! können Sie dabei unempfindlich bleiben, sollte alle Liebe erloschen sein in Ihrem Innern gegen die, die Sie so innig liebte – o Himmel noch so innig liebt, die Ihnen treu geblieben, bis in den Tod, wäre nicht ein anderer dazwischen gekommen, und hätte Sie verlockt durch schnöde Verführungskünste? – O Schwachheit, dein Name ist Katz! Das denken Sie, ich weiß es, aber ist es nicht Katertugend, der schwachen Katze zu verzeihen? – Murr! Sie sehen mich gebeugt! trostlos über den Verlust des dritten zärtlichen Gatten, aber in dieser Trostlosigkeit flammt aufs neue die Liebe auf, die sonst mein Glück, mein Stolz, mein Leben war! – Murr! hören Sie mein Geständnis! – ich liebe Sie noch und ich dächte wir verhei – Tränen erstickten ihre Stimme!

Mir war bei dem ganzen Auftritt sehr peinlich zu Mute. Mina saß da, bleich und schön, wie der erste Schnee, der manchmal im Herbste die letzten Blumen küßt und gleich in bitteres Wasser zerfließen wird.

(Anmerkung des Herausgebers. Murr! – Murr! schon wieder ein Plagiat! – In Peter Schlemihls wundersamer Geschichte beschreibt der Held des Buches seine Geliebte, auch Mina geheißen, mit denselben Worten.)

Schweigend betrachtete ich beide, Mutter und Tochter, die letzte gefiel mir doch unendlich viel besser, und da bei unserm Geschlecht die nächsten verwandtschaftlichen Verhältnisse kein kanonisches Ehehindernis – Vielleicht verriet mich mein Blick, denn Miesmies schien meine innersten Gedanken zu durchschauen. Barbar! was willst du beginnen? – rief sie, indem sie schnell auf Mina lossprang und sie heftig umpfotend, an ihre Brust riß. Wie? du kannst dies dich liebende Herz verschmähen und Verbrechen häufen auf Verbrechen! Unerachtet ich nun gar nicht begriff, was für Ansprüche Miesmies geltend machen und welche Verbrechen sie mir vorwerfen konnte, so fand ich es, um den Jubel, in den sich das Trauerfest aufgelöst, nicht zu verstören doch geratener, gute Miene zu machen zu bösem Spiel. Ich versicherte daher der ganz aus sich selbst gekommenen Miesmies, daß bloß die unaussprechliche Ähnlichkeit Mina's mit ihr mich irre geführt und ich geglaubt habe, dasselbe Gefühl entflamme mein Inneres, das ich für sie, die noch immer schöne Miesmies, in mir trage. Miesmies trocknete alsbald ihre Tränen, setzte sich dicht zu mir und fing ein so vertrauliches Gespräch mit mir an, als sei nie etwas Böses unter uns vorgefallen. Hatte nun noch der junge Hinzmann die schöne Mina zum Tanz aufgefordert, so kann man denken, in welcher unangenehmen peinlichen Lage ich mich befand.

Ein Glück für mich war es, daß der Senior Puff endlich Miesmies aufzog zum Kehraus, da sie mir sonst noch allerlei seltsame Propositionen hätte machen können. Ich schlich leise leise aus dem Keller herauf und dachte: Kommt Zeit, kommt Rat!

Ich sehe dieses Trauerfest für den Wendepunkt an, in dem sich meine Lehrmonate schlossen und ich eintrat in einen anderen Kreis des Lebens.

(Mak. Bl.) – Kreisler veranlaßt, sich in aller Frühe in die Gemächer des Abts zu begeben. Er fand den hochehrwürdigen Herrn, wie er eben mit Beil und Meißel in der Hand, beschäftigt war, eine große Kiste aufzuschlagen, in welcher der Form nach, ein Gemälde eingepackt sein mußte. Ha! rief der Abt dem eintretenden Kreisler entgegen, gut, daß Ihr kommt, Kapellmeister! Ihr könnt mir beistehen in einer schweren, mühseligen Arbeit. Die Kiste ist mit tausend Nägeln zugehämmert, als solle sie verschlossen bleiben in Ewigkeit. Sie kommt gerades Weges aus Neapel und es ist ein Gemälde darin, das ich vorderhand in meinem Kabinett aufhängen und den Brüdern nicht zeigen will. Darum rief ich mir keinen zur Hülfe; aber nun sollt Ihr mir helfen Kapellmeister. Kreisler legte Hand an, und nicht lange dauerte es, so war das große Gemälde, das in einen prächtigen vergoldeten Rahmen gefaßt, aus der Kiste zu Tage gefördert. Nicht wenig verwunderte sich Kreisler, als er in dem Kabinett des Abts die Stelle über dem kleinen Altar, wo sonst ein sehr anmutiges Bild von Leonardo da Vinci, die heilige Familie darstellend, aufgehängt war, leer fand. Der Abt hatte dies Gemälde für eins der besten geachtet, was die an alten Originalen reiche Sammlung besaß, und doch sollte dieses Meisterstück Platz machen einem Gemälde, dessen große Schönheit, aber auch entschiedene Neuheit Kreisler auf den ersten Blick erkannte. —

Mit großer Mühe hatten beide, der Abt und Kreisler, das Gemälde an der Wand mit Mauerschrauben befestigt, und nun stellte sich der Abt in das rechte Licht und schaute das Bild mit einem solch innigem Wohlbehagen, mit solch sichtlicher Freude an, daß es schien, als sei außer der in der Tat bewundrungswürdigen Malerei, noch ein besonderes Interesse hier im Spiele. – Der Gegenstand des Gemäldes war ein Mirakel. Von der strahlenden Glorie des Himmels umflossen, erschien die heilige Jungfrau; in der linken Hand trug sie einen Lilienzweig, mit den beiden Mittelfingern der rechten Hand berührte sie aber die nackte Brust eines Jünglings, und man sah, wie unter den Fingern dickes Blut aus einer offnen Wunde hervortropfte. Der Jüngling erhob sich halb von dem Lager, auf das er ausgestreckt, er schien aus dem Todesschlafe zu erwachen, noch hatte er nicht die Augen geöffnet, aber das verklärte Lächeln, das auf seinem schönen Antlitz ausgebreitet, zeigte, daß er die Mutter Gottes schaute im seligen Traum, daß ihm der Schmerz der Wunde entnommen, daß der Tod keine Macht mehr hatte über ihn. – Jeder Kenner mußte die korrekte Zeichnung, die geschickte Anordnung der Gruppe, die richtige Verteilung des Lichts und Schattens, den grandiosen Wurf der Gewänder, die hohe Anmut der Gestalt Maria's, vorzüglich auch die lebensvolle Farbe, die den modernen Künstlern meistens nicht zu Gebote steht, höchlich bewundern. Worin sich aber am meisten, und wie es in der Natur der Sache liegt auch am entschiedensten, der wahre Genius des Künstlers offenbarte, war der unbeschreibliche Ausdruck der Gesichter. Maria war das schönste anmutigste Weib, das man nur sehen konnte, und doch lag auf dieser hohen Stirn des Himmels gebietende Majestät, strahlte überirdische Seligkeit im milden Glanz aus diesen dunklen Augen. Ebenso war die himmlische Verzückung des zum Leben erwachenden Jünglings mit einer seltenen Kraft des schöpferischen Geistes vom Künstler aufgefaßt und dargestellt. – Kreisler kannte in der Tat kein einziges Gemälde der neuern Zeit, das er diesem herrlichen Bilde hätte an die Seite stellen können; er äußerte dies dem Abt, indem er sich über alle einzelnen Schönheiten des Werks weitläuftig ausließ und dann hinzufügte, daß in der neuesten Zeit wohl kaum Gediegeneres hervorgebracht worden.

Das hat seinen guten Grund, wie Ihr, Kapellmeister! sogleich erfahren sollt, sprach der Abt lächelnd. – Es ist ein eignes Ding mit unsern jungen Künstlern, sie studieren und studieren, erfinden, zeichnen, machen gewaltige Kartons und am Ende kommt Totes, Starres hervor, das nicht eindringen kann ins Leben, weil es selbst nicht lebt. Statt des alten großen Meisters, den sie sich zum Muster und Vorbild gewählt haben, Werke sorgfältig zu kopieren und so einzudringen in seinen eigentümlichsten Geist, wollen sie gleich die Meister selbst sein und Similia malen, verfallen aber darüber in eine Nachahmerei der Nebendinge, die sie ebenso kindisch und lächerlich erscheinen läßt, als jenen, der, um einem großen Mann gleich zu kommen, ebenso zu husten, zu schnarren, etwas gebückt zu gehen sich mühte, wie dieser. – Es fehlt unsern jungen Malern an der wahren Begeisterung, die das Bild in aller Glorie des vollendetsten Lebens aus dem Innern hervorruft und Ihnen vor Augen stellt. Man sieht, wie sich dieser, jener vergebens abquält um endlich in jene erhöhte Stimmung des Gemüts zu geraten, ohne die kein Werk der Kunst geschaffen wird. Was dann aber die Ärmsten für wahre Begeisterung halten, wie sie den heitern, ruhigen Sinn der alten Maler erhob, ist nur das seltsam gemischte Gefühl von hochmütiger Bewunderung des selbst gefaßten Gedankens und von ängstlicher, quälender Sorge, nun bei der Ausführung es dem alten Vorbilde auch in der kleinsten Kleinigkeit nachzutun. – So wird denn oft die Gestalt, die selbst lebendig, ins helle freundliche Leben treten sollte, zur widerlichen Fratze. Unsere jungen Maler bringen es nicht zur deutlichen Anschauung der im Innern aufgefaßten Gestalt, und mag es vielleicht nicht lediglich daher kommen, daß sie, gerät ihnen auch sonst alles so ziemlich gut, doch die Färbung verfehlen? – Mit einem Wort, sie können höchstens zeichnen, aber durchaus nicht malen. Unwahr ist es nämlich, daß die Kenntnis der Farben und ihrer Behandlung verloren gegangen sein, daß es den jungen Malern an Fleiß fehlen sollte. Denn was das erste betrifft, so ist es unmöglich, da die Malerkunst seit der christlichen Zeit, in der sie sich erst als wahrhaftige Kunst gestaltete, nie geruht hat, sondern Meister und Schüler eine ununterbrochene, fortlaufende Reihe bilden, und der Wechsel der Dinge, der freilich nach und nach die Abweichungen vom Wahrhaftigen herbeiführte, auf die Übertragung des Mechanischen keinen Einfluß haben konnte. Anlangend aber den Fleiß der Künstler, so möchte ihnen eher Übermaß als Mangel daran vorzuwerfen sein. Ich kenne einen jungen Künstler, der ein Gemälde, läßt es sich auch ziemlich gut an, so lange übermalt und übermalt, bis alles in einen stumpfen bleiernen Ton hinschwindet und so vielleicht erst dem innern Gedanken gleicht, dessen Gestalten nicht in das vollendete, lebendige Leben treten konnten. – Seht da, Kapellmeister, ein Bild, aus dem wahres, herrliches Leben haucht, und das darum, weil es die wahre fromme Begeisterung schuf! – Das Mirakel ist Euch deutlich. Der Jüngling, der sich dort vom Lager erhebt, wurde in gänzlicher Hilflosigkeit von Mördern überfallen und zum Tode getroffen. Laut rief er, der sonst ein gottloser Frevler gewesen, der die Gebote der Kirche in höllischem Wahn verachtet, die heilige Jungfrau um Hilfe an, und es gefiel der himmlischen Mutter Gottes, ihn aus dem Tode zu erwecken, damit er noch lebe, seine Irrtümer einsehe und sich in frommer Hingebung der Kirche weihe und ihrem Dienst. – Dieser Jüngling, dem die Gottgesandte so viel Gnade angedeihen ließ, ist zugleich der Maler des Bildes. —

Kreisler bezeugte über das, was ihm der Abt sagte, seine nicht geringe Verwunderung und schloß damit, daß auf diese Weise das Mirakel ja in der neuesten Zeit sich zugetragen haben müsse?

Auch Ihr, sprach der Abt mit sanftem mildem Ton, auch Ihr, mein lieber Johannes, seid also der törichten Meinung, daß das Gnadentor des Himmels jetzt verschlossen sei, so daß das Mitleiden, die Barmherzigkeit in der Gestalt des Heiligen, den der bedrängte Mensch in der zermalmenden Angst des Verderbens brünstig anflehte, nicht mehr hindurchwandeln, selbst dem Bedürftigen erscheinen und ihm Frieden und Trost bringen könne? – Glaubt mir Johannes, nie haben die Wunder aufgehört, aber des Menschen Auge ist erblödet in sündigem Frevel, es kann den überirdischen Glanz des Himmels nicht ertragen, und vermag daher nicht die Gnade der ewigen Macht zu erkennen, wenn sie sich kundtut in sichtbarlicher Erscheinung. – Doch mein lieber Johannes: die herrlichsten göttlichsten Wunder geschehen in dem innersten Gemüt des Menschen selbst, und diese Wunder soll er laut verkünden, wie er es nur vermag, in Wort, Ton oder Farbe. So hat jener Mönch, der das Bild malte, das Wunder seiner Bekehrung herrlich verkündet, und so – Johannes, ich muß von Euch reden, es strömt mir aus dem Herzen – und so verkündet Ihr in mächtigen Tönen das herrliche Wunder der Erkenntnis des ewigen, klarsten Lichts aus Eurem tiefsten Innern heraus. Und daß Ihr das vermöget, ist das nicht auch ein gnadenvolles Wunder, das die ewige Macht geschehen läßt zu Euerm Heil? —

Kreisler fühlte sich von des Abts Worten gar seltsam errersaquo; so wie es selten geschehen, trat der volle Glauben an seine innere schöpferische Kraft lebendig hervor und ihn durchbebte ein seliges Wohlbehagen.

Nicht den Blick hatte Kreisler indessen abgewandt von dem wunderbaren Gemälde, aber wie es wohl zu geschehen pflegt, daß wir auf Bildern, vorzüglich wenn, wie es hier der Fall, starke Lichteffekte im Vor- oder Mittelgrunde angebracht sind, die in den dunklen Hintergrund gestellten Figuren erst später entdecken, so gewahrte auch jetzt erst Kreisler die Gestalt, die in einen weiten Mantel gehüllt, den Dolch, auf den nur ein Strahl der Glorie der Himmelskönigin zu fallen schien, so daß er kaum bemerkbar blinkte, in der Hand, durch die Türe entfloh. Es war offenbar der Mörder; im Entfliehen blickte er rückwärts und sein Gesicht trug den furchtbaren Ausdruck der Angst und des Entsetzens.

Wie ein Blitz traf es den Kreisler, als er in dem Antlitz des Mörders die Züge des Prinzen Hektor erkannte; nun war es ihm auch, als habe er den zum Leben erwachenden Jüngling schon irgendwo, wiewohl nur sehr flüchtig, gesehen. Eine ihm selbst unerklärliche Scheu hielt ihn zurück, diese Bemerkungen dem Abte mitzuteilen, dagegen fragte er den Abt, ob er es nicht für störend und anstößig halte, daß der Maler ganz im Vorgrunde, wiewohl im Schlagschatten, Gegenstände des modernen Anzuges angebracht, und wie er jetzt erst sehe auch den erwachenden Jüngling, also sich selbst, modern gekleidet?

In der Tat war auf dem Bilde, und zwar zur Seite des Vorgrundes, ein kleiner Tisch und ein dicht daneben stehender Stuhl angebracht, auf dessen Lehne ein türkischer Shawl hing, sowie auf dem Tisch ein Offiziershut mit einem Federbusch und ein Säbel lagen. Der Jüngling trug einen modernen Hemdkragen, eine Weste, die ganz aufgeknöpft, und einen dunklen, ebenfalls ganz aufgeknöpften Überrock, dessen Schnitt aber einen guten Faltenwurf zuließ. Die Himmelskönigin war gekleidet, wie man sie auf den Bildern der besten alten Maler zu sehen gewohnt ist.

Mir ist, erwiderte der Abt auf Kreislers Frage, mir ist die Staffage im Vorgrunde sowie des Jünglings Überrock nicht allein keineswegs anstößig, sondern ich meine auch, daß der Maler nicht von des Himmels Gnade, sondern von weltlicher Torheit und Eitelkeit hätte durchdrungen sein müssen, wenn er auch nur in dem geringfügigsten Nebenpunkte von der Wahrheit abgewichen wäre. So wie es sich wirklich begab, getreu nach Ort, Umgebung, Kleidung der Personen u. s. w. mußte er das Mirakel darstellen, so sieht auch jeder auf den ersten Blick, daß sich das Mirakel in unsern Tagen begab, und so wird das Gemälde des frommen Mönchs zur schönen Trophäe der siegenden Kirche in diesen Zeiten des Unglaubens und der Verderbtheit.

Und doch, sprach Kreisler, und doch ist mir dieser Hut, dieser Säbel, dieser Shawl, dieser Tisch, dieser Stuhl – ist mir das alles, sage ich, fatal, und ich wollte, der Maler hätte diese Staffage des Vorgrundes weggelassen, und sich selbst ein Gewand umgeworfen, statt des Überrocks. Sagt selbst, hochehrwürdiger Herr! könnt Ihr Euch eine heilige Geschichte denken im modernen Kostüm, einen heiligen Joseph im Flauschrock, einen Heiland im Frack, eine Jungfrau in einer Robe mit umgeworfenen türkischen Shawl? Würde Euch das nicht als eine unwürdige ja abscheuliche Profanation des Erhabensten erscheinen? Und doch stellten die alten, vorzüglich die deutschen Maler alle biblischen und heiligen Geschichten in dem Kostüm ihres Zeitalters dar, und ganz falsch möchte die Behauptung sein, daß sich jene Trachten besser zur malerischen Darstellung eigneten als die jetzigen; die freilich, bis auf manche Kleidung der Weiber, albern und unmalerisch genug sind. Doch bis ins Übertriebene, bis ins Ungeheuere, möcht ich sagen gingen ja manche Moden der Vorzeit; man denke an jene Ellen hoch aufgekrümmte Schnabelschuhe, an jene bauschichte Pluderhosen, an jene zerschnittene Wämser und Ärmel u. s. w., vollends unausstehlich und Antlitz und Wuchs entstellend waren aber manche Weibertrachten, wie man sie auf alten Bildern findet, auf denen das junge blühende, bildschöne Mädchen bloß der Tracht halber das Ansehen hat einer alten grämlichen Matrone. Und doch sind gewiß jene Bilder niemanden anstößig gewesen.

Nun kann ich Euch, mein lieber Johannes, erwiderte der Abt, mit wenigen Worten recht den Unterschied der alten frommen und der jetzigen verderbten Zeit vor Augen bringen. – Seht, damals waren die heiligen Geschichten so in das Leben der Menschen eingedrungen, ja, ich möchte sagen, so im Leben bedingt, daß jeder glaubte, vor seinen Augen habe sich das Wundervolle begeben und jeden Tag könne die ewige Allmacht Gleiches geschehen lassen. So ging dem frommen Maler die heilige Geschichte, der er seinen Sinn zugewendet, in der Gegenwart auf; unter den Menschen, wie sie ihn im Leben umgaben, sah er das Gnadenreiche geschehen, und wie er es lebendig geschaut, brachte er es auf die Tafel. Heutzutage sind jene Geschichten etwas ganz Entferntes, das als für sich bestehend und in die Gegenwart nicht eintretend, nur in der Erinnerung ein mattes Leben mühsam behauptet, und vergebens ringt der Künstler nach lebendiger Anschauung, da, mag er es sich auch selbst nicht gestehen, sein innerer Sinn durch das weltliche Forttreiben verflacht ist. – Ebenso fade und lächerlich ist es aber hiernach, wenn man den alten Malern Unkenntnis des Kostüms vorwirft und darin die Ursache findet, warum sie nur die Trachten ihrer Zeit in ihren Gemälden aufstellten, als wenn unsere jungen Maler sich mühen die abenteuerlichsten geschmackwidrigsten Trachten des Mittelalters in ihren Abbildungen heiliger Geschichten anzubringen, dadurch aber zeigen, daß sie das, was sie abzubilden unternommen, nicht unmittelbar im Leben anschauten, sondern sich mit dem Reflex davon begnügten, wie er ihnen im Gemälde des alten Meisters aufging. Eben daher, mein lieber Johannes, weil die Gegenwart zu profan, um nicht mit jenen frommen Legenden im häßlichen Widerspruch zu stehen, weil niemand im Stande ist, sich jene Wunder als unter uns geschehen vorzustellen, eben daher würde allerdings die Darstellung in unserem modernen Kostüm uns abgeschmackt, fratzenhaft, ja frevelig bedünken. Ließe es aber die ewige Macht geschehen, daß vor unser aller Augen nun wirklich ein Wunder geschehe, so würde es durchaus unzulässig sein, das Kostüm der Zeit zu ändern, so wie die jungen Maler nun freilich, wollen sie einen Stützpunkt finden, darauf bedacht sein müssen, in alten Begebenheiten das Kostüm des jedesmaligen Zeitalters, so wie es erforschlich, richtig zu beobachten. – Recht, wiederhole ich noch einmal, recht hatte der Maler dieses Bildes, daß er die Gegenwart andeutete, und eben jene Staffage, die Ihr, lieber Johannes, verwerflich findet, erfüllt mich mit frommen heiligen Schauern, da ich selbst einzutreten wähne in das enge Gemach des Hauses zu Neapel, wo sich erst vor ein paar Jahren das Wunder der Erweckung jenes Jünglings begab. —

Kreisler wurde durch die Worte des Abts zu Betrachtungen mancherlei Art veranlaßt; er mußte ihm in vielem recht geben, nur meinte er doch, daß was die höhere Frömmigkeit der alten Zeit und die Verderbtheit der jetzigen betreffe, aus dem Abt gar zu sehr der Mönch spreche, der Zeichen, Wunder, Verzückungen verlange und wirklich schaue, deren ein frommer kindlicher Sinn, dem die krampfhafte Ekstase eines berauschenden Kultus fremd bleibe, nicht bedürfe, um wahrhaft christliche Tugend zu üben; und eben diese Tugend sei keineswegs von der Erde verschwunden, und könne dies wirklich geschehen, so würde die ewige Macht, die uns aufgegeben und dem finstern Dämon freie Willkür gegönnt, uns auch durch kein Mirakel zurückbringen wollen auf den rechten Weg. —

Alle diese Betrachtungen behielt indessen Kreisler für sich und betrachtete schweigend noch immer das Bild. Aber immer mehr traten auch bei näherem und näherem Anschauen die Züge des Mörders aus dem Hintergrunde hervor, und Kreisler überzeugte sich, daß das lebendige Original der Gestalt niemand anders sein könne als Prinz Hektor.

Mich dünkt, hochehrwürdiger Herr! begann Kreisler, ich erblicke dort im Hintergrunde einen wackern Freischützen, der es abgesehen hat auf das edelste Tier, nämlich auf den Menschen, den er pirscht auf mannigfache Weise. Er hat diesmal, wie ich sehe, ein treffliches wohlgeschliffnes Fangeisen zur Hand genommen und gut getroffen, mit dem Schießgewehr hapert's aber merklich, da er vor nicht langer Zeit auf dem Anstand einen muntern Hirsch garstig fehlte. – In der Tat, mich gelüstets gar sehr nach dem Curriculum vitae dieses entschlossenen Weidmanns, sei es auch nur ein epitomatischer Auszug aus demselben, der mir schon zeigen könnte, wo ich eigentlich meine Stelle finde und ob es nicht geraten, mich nur gleich an die heilige Jungfrau zu wenden, wegen eines mir vielleicht nötigen Frei- und Schutzbriefes! —

Laßt nur die Zeit hingehen, Kapellmeister! sprach der Abt, mich sollt' es wundern, wenn Euch nicht in kurzem so manches klar würde, das jetzt noch in trübem Dunkel liegt. – Es kann sich noch vieles Euern Wünschen, die ich erst jetzt erkannt, gar freudig fügen. Seltsam – ja so viel kann ich Euch wohl sagen – seltsam genug scheint es, daß man in Sieghartshof über Euch im gröbsten Irrtum ist. Meister Abraham mag vielleicht der einzige sein, der Euer Innres durchschaut.

Meister Abraham, rief Kreisler, Ihr kennt den Alten, hochehrwürdiger Herr?

Ihr vergeßt, erwiderte der Abt lächelnd, daß unsere schöne Orgel ihre neue wirkungsvolle Struktur der Geschicklichkeit Meister Abrahams zu verdanken hat! – Doch künftig mehr! – Wartet nur in Geduld der Dinge, die da kommen werden.

Kreisler beurlaubte sich beim Abt; er wollte hinab in den Park, um so manchen Gedanken nachzuhängen, die ihn durchkreuzten; doch als er schon die Treppe hinabgestiegen war, hörte er hinter sich herrufen: Domine, domine Capellmeistere! – paucis te volo! – Es war der Pater Hilarius, welcher versicherte, daß er mit höchster Ungeduld auf das Ende der langen Konferenz mit dem Abt gewartet. Soeben habe er sein Kellermeisteramt verrichtet und den herrlichsten Leistenwein abgezogen, der seit Jahren im Keller gewesen. Ganz unumgänglich nötig sei es, daß Kreisler sogleich einen Pokal davon leere zum Frühstück, um die Güte des edlen Gewächses zu erkennen und sich zu überzeugen, daß es ein Wein sei, der feurig, geist- und herzstärkend, für einen tüchtigen Kompositor und echten Musikanten geboren.

Kreisler wußte wohl, daß es vergeblich sein würde, dem begeisterten Pater Hilarius entgehen zu wollen und es war ihm selbst recht bei der Stimmung, in die er sich versetzt fühlte, ein Glas guten Wein zu genießen, er folgte daher dem fröhlichen Kellermeister, der ihn in seine Zelle führte, wo er auf einem kleinen, mit einer saubern Serviette bedeckten Tischchen schon eine Flasche des edlen Getränks sowie frischgebacknes Weißbrot und Kümmel vorfand. – Ergo bibamus! rief Pater Hilar, schenkte die zierlichen grünen Römer voll und stieß mit Kreislern fröhlich an. Nicht wahr, begann er, nachdem die Pokale geleert, nicht wahr, Kapellmeister, unser hochwürdiger Herr will Euch gern in den langen Rock hineinvexieren? – Tut's nicht, Kreisler! – Mir ist wohl in der Kutte, ich möchte sie um keinen Preis wieder ablegen; aber distinguendum est inter et inter. – Für mich ist ein gut Glas Wein und ein tüchtiger Kirchengesang die ganze Welt, aber Ihr – Ihr! Nun Ihr seid noch zu ganz andern Dingen aufgehoben, Euch lacht noch das Leben auf ganz andre Weise, Euch leuchten noch ganz andre Lichter, als die Altarkerzen! – Nun Kreisler! kurz von der Sache zu reden – stoßt an! Vivat Euer Mädel, und wenn Ihr Hochzeit macht, so soll Euch der Herr Abt alles Verdrusses unerachtet durch mich von dem besten Wein senden, der nur in unserm reichen Keller befindlich!

Kreisler fühlte sich durch Hilarius Worte berührt auf unangenehme Weise, so wie es uns schmerzt, wenn wir etwas Zartes, Schneereines erfaßt sehn von plumpen ungeschickten Händen. Was Ihr nicht alles wißt, sprach Kreisler, indem er sein Glas zurückzog, was Ihr nicht alles erfahrt in Euern vier Mauern.

Domine Kreislere, rief Pater Hilarius, nichts für ungut, video mysterium aber ich will das Maul halten! Wollt Ihr nicht auf Euer – Nun! laßt uns frühstücken in Camera et faciemus bonum cherubim – und bibamus, daß der Herr uns hier in der Abtei die Ruhe und Gemütlichkeit erhalten möge, die bisher geherrscht.