Lena Halberg: Der Cellist

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Die Boeing der Boliviana de Aviación nahm einen weiten Bogen über das Plateau des Niñu Mayu – noch knapp zehn Minuten bis zur Landung am Flughafen von Sucre.

Mit dem Auto über Oruro – entlang des eiskalten hellgrünen Lago Poopó und durch die Minenstadt Potosí – waren es gute zehn Stunden von La Paz bis in die Hauptstadt. Nahm man die bei den Touristen beliebte, aber abenteuerliche Strecke durch die Berge über Cochabamba, dann dauerte die Fahrt sogar dreizehn Stunden. Dafür konnte man dort Teile der Carretera de la muerte, der Todesstraße, befahren. Eine der gefährlichsten Etappen der Welt, auf der die brüchige Fahrbahn bis zu tausend Meter hoch über den Yungas, Täler an den Hängen der Kordilleren, entlangführte. Seit zehn Jahren existierte zwar eine sichere Umfahrung, doch viele der Besucher empfanden den alten Abschnitt als ultimative Herausforderung, was jedes Jahr zu vielen schweren Unfällen führte.

Carlos Almeda gähnte und schaute gedankenverloren hinunter auf die verkarstete Landschaft der Anden. Als Einheimischer, der überdies unter der Höhenlage litt und dem die malerisch karge Welt der südamerikanischen Berge ein alltäglicher Anblick war, nahm man einfach eine 737 der BOA und bewältigte die Distanz in fünfzig Minuten.

Der engagierte Politiker hatte in kurzer Zeit eine beachtliche Karriere in der Verwaltung des Landes hingelegt. Nach dem Gewinn der Wahlen holte ihn Evo Morales, der gerne auf frische unverbrauchte Kräfte setzte, in sein Team. Bereits mit fünfunddreißig wurde Carlos Sekretär des Ministers für Umweltfragen und hatte sich sehr schnell als integrer Mitarbeiter profiliert. Anfang des letzten Jahres, als die Regierung wegen der anhaltenden Dürrekatastrophe – der schwersten seit drei Jahrzehnten – den Notstand erklären musste, berief man ihn in den Krisenstab und übertrug ihm die heikle Aufgabe der kommunalen Wasserverteilung, die er zur allgemeinen Zufriedenheit meisterte. Vor wenigen Monaten schließlich, Almeda war gerade erst vierzig geworden, holte ihn die staatliche Minengesellschaft in ihren Vorstand. Einige ältere Mitarbeiter ersuchten dort mit Macht, die korrupten Spielregeln wieder einzuführen. Nach einem gerade noch vermiedenen Skandal wegen der Vergabe von Aufträgen an dubiose Konzerne, trug er nun die Verantwortung für die Neuorganisation des Unternehmens und die Verhandlung mit Investoren.

Almeda war zu einem Gespräch ins Bergbauministerium, dem die Gesellschaft unterstellt war, nach La Paz geflogen und über Nacht geblieben. Dort befand sich die Regierung Boliviens, obwohl Sucre nach wie vor die Hauptstadt und der Sitz von einigen Behörden war. Dem Umstand dieser Teilung verdankte er die Rückkehr in seine Heimatregion, denn das Büro der Dienststelle residierte im Zentrum von Sucre. Schon deshalb war Almeda froh über den neuen Job und auch wegen der tieferen Lage – die Höhe in La Paz auf über viertausend Metern vertrug er nicht so gut. Er wohnte wieder auf der Farm der Eltern in den Hügeln südlich der Stadt und konnte mit seiner zwölfjährigen Tochter die Wochenenden verbringen.

Die Maschine tauchte hinunter in den Talkessel von Sucre und schaukelte heftig in der unruhigen Thermik. Almeda blickte auf die Uhr – fünf vor zehn. Sie würden pünktlich landen. Er hatte noch genügend Zeit bis zu dem Meeting mit den Managern der Delegation, die seiner Einladung ins Hotel Parador gefolgt waren.

Der Aeropuerto Internacional de Alcantarí auf dem flachen Bergplateau im Süden Sucres in dreitausend Metern Höhe war erst vor wenigen Monaten eröffnet worden und noch lange nicht fertiggestellt. Der bunte Prospekt, der zur Information auslag, gab eine Bauzeit bis 2020 an, aber die Baustellen rund um die Anlage und die noch fehlende Infrastruktur ließen daran zweifeln. Zumindest wurden die Ankommenden von dem lebensgroßen Standbild eines Dinosauriers empfangen – ein grüner Raptor mit roter Schnauze, der den Eingang von der Rollbahn ins Areal bewachte und zur Besichtigung des nahe gelegenen Dino-Parks mit den versteinerten Fußabdrücken der urzeitlichen Reptilien einlud.

Der kleine Flughafen war überlastet, wie oft am Vormittag. Nachdem viele Besucher Geschäftsleute waren, die bloß für einen Tagestermin in die Stadt kamen, landeten die meisten Maschinen zwischen acht und zehn. Lediglich die Flugzeuge nach Santa Cruz, der einzigen Millionenmetropole des Landes, flogen im Stundentakt.

Almeda umrundete einen gesperrten Bereich, wo gerade ein Espresso eingerichtet wurde, und verließ dann das Terminal mit dem roten, markant geschwungenen Blechdach und den hohen Fensterflächen in Richtung Parkplatz. Es war kalt, das Thermometer zeigte knappe zehn Grad, und der Wind aus den Bergen fühlte sich auch nicht gerade gemütlich an.

Die Trockenzeit, die jetzt mit Beginn des Winters auf der Südhalbkugel begann, würde kühl werden. Es gab wenig Sonne, aber der Himmel blendete extrem hell. Almeda blieb stehen, schützte die Augen mit der Hand und blinzelte nach oben – eindrucksvoll. Über den Gipfeln zogen wuchtig zerrissene Wolkenbänke mit dicken Rändern, getrieben von einer raschen Strömung. Sie saugte die stickig feuchte Luft aus den Regenwäldern am Amazonas in die oberen Sphären. Er liebte es, dieses Schauspiel anzusehen, riss sich aber dann los und ging zu seinem schwarzen Mitsubishi Pajero, der auf dem Parkplatz stand. Während der Wagen die steile Zufahrtsstraße hinunterrollte, drehte er die Heizung voll auf. Er würde noch gemütlich duschen und sich ausruhen, bevor er in die Stadt zum abendlichen Meeting weiterfuhr. Die Ruta Cinco, die Fernverbindung in nördlicher Richtung, führte direkt an seinem Haus vorbei.

Die zwanzig Gäste der kleinen Delegation kamen aus verschiedenen Nationen, sogar Süd-Korea und der Iran waren vertreten. Sie standen im unteren Gewölbe des noblen Hotels mit dem klingenden Namen Parador Santa Maria la Real im ehemaligen Palast des höchsten Gerichts – ein eleganter weißer Bau aus dem achtzehnten Jahrhundert im Zentrum der Altstadt. Jeder von ihnen arbeitete für einen globalen Konzern oder für ein bedeutendes Bergbaukonsortium, war mindestens im Range eines Geschäftsführers und hoffte, in den nächsten Stunden den Deal seines Lebens abzuschließen. Fast alle Anwesenden kannten sich von ähnlichen Geschäften am Parkett der Großindustrie. Dementsprechend wachsam gingen sie daran, gegenseitig ihre Chancen auszuloten. Einige unverfängliche Zahlen, ein paar eingestreute Bemerkungen über die führende Position des eigenen Unternehmens, manchmal ein leichtes Kopfschütteln als Andeutung über die Chancen eines Konkurrenten – damit markierten sie in scheinbar zwanglosen Smalltalks ihr Terrain.

Hienas – Hyänen, das war die einzig passende Bezeichnung, die Almeda im Betrachten seiner Besucher spontan einfiel. Der Wettlauf um Bolivien hatte längst begonnen und die dort unten scharrten aufgeregt in den Startlöchern, um wieder ein Land unter sich aufzuteilen und auszuplündern.

Almeda blieb einige Augenblicke im Stiegenabgang bei einem schmalen Mauerschlitz stehen, durch den man in das Gewölbe hinuntersah. Der Raum im Stil eines rustikalen Weinkellers mit alten Pflastersteinen als Boden und Ziegelwänden mit Nischen, in denen antike Krüge und Weinflaschen mit Bastgeflecht standen, schien ihm ein hervorragender Rahmen für die inoffizielle Unterredung zu sein. Er wollte die Spitzenmanager gerne abseits ihrer üblichen Schablonen beobachten. Einige hatten während der Stunde, die sie auf ihn warten mussten, bereits etwas zu viel von den exklusiven Weinen getrunken. Almeda merkte das mit einer gewissen Zufriedenheit, denn es würde ihre Fassaden durchsichtiger machen. Für ihn ein Weg, einen möglichen Partner für die anstehenden Aufgaben herauszufiltern. Bolivien brauchte diesen Investor für seine großen Pläne dringend, da das Land selbst nicht über genügend finanzielle Kraft verfügte.

Almeda schritt die restlichen Stufen hinunter. Es überraschte ihn beinahe, eine Frau in der sonst nur männlichen Clique zu bemerken.

»Buenas tardes, señora …«, begrüßte er die schlanke Blondhaarige im roten Kostüm mit einer freundlichen Geste, um sich dann an die männlichen Teilnehmer zu wenden, »… y señores! Zunächst vielen Dank, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind. Unser heutiges Treffen soll Ihnen ein ungefähres Bild über die Vorhaben meiner Regierung geben und einige Ihrer Fragen bezüglich der neuen Vorkommen beantworten. Aber bitte nehmen Sie doch Platz.«

Die anderen nickten höflich und setzten sich auf die hohen spanischen Lederstühle an der langen Tafel, auf der schon zum Abendessen gedeckt war. Almeda blieb gleich am Kopfende des Tisches stehen, legte die Ledermappe, die er unter dem Arm trug, auf den Tisch und wartete bis ihn alle erwartungsvoll ansahen.

»Sie wissen, dass Strom die wichtigste Energie unseres Planeten ist und die Erzeugung von Batterien auf Basis von Lithium immer mehr an Bedeutung gewinnt. Bis 2050 etwa wird ein Großteil unserer Fahrzeuge elektrisch betrieben sein«, fuhr Almeda fort. »Wie bekannt, besitzt auch Bolivien dieses metallische Element und zwar im Salar de Uyuni, unserer Salzwüste am Altiplano, die sich über zehntausend Quadratkilometer ausdehnt. Eine Fläche vergleichbar mit Jamaica.«

Er nahm eine Karte vom Süden Boliviens aus der Mappe und hielt sie den Anwesenden hin. »Noch liegt dieser Schatz ungehoben. Dies soll sich nun ändern, aber ich möchte mir ausreichend Zeit nehmen, um eine eigenständige Industrie zu entwickeln, statt nur das Rohmaterial zu verkaufen. Was auch vernünftig erscheint – der nächste Hafen für eine Verschiffung liegt hunderte Kilometer entfernt in Chile. Warum soll es also künftig nicht Batterien und sogar Elektroautos Made in Bolivia geben?«

In den Gesichtern war zu lesen, dass niemand einen Gedanken an die Idee verschwendete. Sie interessierte nicht der wirtschaftliche Aufschwung Boliviens, sondern lediglich der Profit, der mit den Bodenschätzen zu erzielen war.

 

Almeda ließ sich nicht irritieren. »Wir betreiben bereits eine Versuchsfabrik, die im Umkreis der Vorkommen liegt. Was noch fehlt ist nicht das Know-how, sondern bloß die Mittel.«

Er blickte die Manager an, die zum Teil gelangweilt vor sich hinstarrten – es war Zeit, die Katze aus dem Sack zu lassen. »Nun werden Sie wissen wollen, wie bedeutend unsere Lagerstätten sind und ob sich eine Investition für Sie lohnt.« Er machte eine kurze Pause, um den folgenden Worten mehr Wirkung zu geben. »In der Salzpfanne liegen neun Millionen Tonnen, es ist die größte bekannte Lagerstätte und ein Fünftel der globalen Reserven.«

Mit einem Schlag hatte er die Aufmerksamkeit der Anwesenden. Er öffnete seine Ledermappe und nahm ein durchsichtiges Plastiksäckchen mit einem weißen Pulver heraus. Als er es in die Höhe hob, lächelte er. »Wären wir in Kolumbien, wüssten Sie genau, was das ist … Bei uns ist es Lithium und das Geschäft wird ebenso groß!«

Alle am Tisch nickten amüsiert über den Vergleich mit Kokain und begriffen die Dimension des Gewinns, von der Almeda sprach.

»Aber wäre es bei einem derartigen Ausmaß nicht lohnender, die ganze Sache in die Hände eines erfahrenen Rohstoffkonzerns zu legen, der die Bedürfnisse des Marktes genau kennt, anstatt eigene Entwicklungen anzustreben?«, warf ein jüngerer Manager ein, der mit blasiertem Blick links neben Almeda saß. An der Äußerung spürte man, dass er im Kopf schon seinen Provisionssatz errechnete. »Wir, die Maycon Cross Mining, sind federführend in der Förderung von Lithium und haben sogar spezielle Verfahren für die effizientere Gewinnung entwickelt.«

»Zu den erfahrenen Konzernen …«, Almeda sah hoch und blickte den Mann direkt an, »möchte ich Ihnen gerne ein Beispiel geben. Vor einigen Jahren gab es oberhalb von Potosí eine Zink-Mine. Unsere Geologen hatten dort erhebliche Lagerstätten vermutet und mein Vorgänger übertrug die Ausbeutung einem dieser Konzerne. Leider erwies sich die Annahme als zu optimistisch und der Profit war deutlich geringer als erhofft. Da geschah das große Unglück: Das Bergwerk stürzte ein, begrub dutzende Arbeiter unter sich und wurde aufgegeben.

Zufällig wollte ich an diesem Tag mit meiner Frau einen freien Tag in den Kordilleren verbringen. Ich wurde Zeuge dieses Vorfalls und versuchte noch zu helfen, bevor die Stollen einbrachen und von einem naheliegenden See überflutet wurden. Interessanterweise gab es davor im Berginneren mehrere seltsam dumpfe Schläge und ich entdeckte in einem der Gänge eine Sprengstoffkiste. Leider gab es keine Möglichkeit mehr, diese sicherzustellen …«

Er richtete sich auf und sah in die Runde. »Ich denke, Sie verstehen worauf ich hinaus will. Für mich wurde das zu einer prägenden Erfahrung. Schlagartig erkannte ich, wozu solche Firmen fähig sind und wie wenig sie das Ausmaß der Verwüstung, die sie hinterlassen, interessiert. Dort, wo früher ein kleiner Bergsee war, gibt es jetzt ein unbegehbares Stück Land. Man überließ es einfach sich selbst und das ganze Gebiet musste von der Regierung gesperrt werden.«

Die Anwesenden versuchten ein unbeteiligtes Gesicht aufzusetzen und wichen Almedas direktem Blick aus.

»Bolivien gehört – gemessen an den Bodenschätzen – zu den reichsten Gegenden der Erde. Dennoch sind wir noch immer eines der ärmsten Länder, weil wir uns viel zu oft in die Hände solcher Konzerne begeben haben!« Almeda klang eisig. Er faltete die Karte zusammen, steckte sie zurück und lehnte sich mit beiden Händen auf die Mappe. »Nein, diesmal sollen keine Rohstoffe verkauft werden, sondern die Wertschöpfung in Bolivien bleiben.«

4

Durch den offenen Kreuzgang des überdachten Innenhofs, der die verschiedenen Hotelbereiche miteinander verband, ging Almeda nach der Besprechung hinauf zur Dachterrasse. Er war zufrieden über die Entwicklung in den letzten zwei Stunden. Mit seiner Annahme, dass die Hyänen ihrer Gier folgen und sich auf die Schürfrechte stürzen würden, hatte er richtig gelegen. Doch gab es unter ihnen auch einen deutschen Anlagenbauer und eine große australische Minengesellschaft, die seine Intentionen verstanden – beide hatten derartige Projekte schon anderswo realisiert und konnten sich vorstellen, direkt hier im Land zu investieren. Wenn es ihm gelang, sie gemeinsam an einen Tisch zu bringen, kam das einer Lösung in seinem Sinne schon sehr nahe. Für ein erstes Abtasten der Interessen ein gutes Resultat.

Almeda nahm das Etui mit den dunklen Zigarillos aus der Tasche, zündete sich genüsslich eine seiner geliebten Brasils an und lehnte sich an die Steinbrüstung. Sie lief rund um das Dach und war durch kleine gemauerte Türmchen unterbrochen. Der Blick auf die malerische, von der UNESCO zum Weltkulturerbe gekürte Stadt, die sich vor der hohen Bergkette ausbreitete, entschädigte ihn für die maßlosen Wünsche mancher Manager und die Kälte des Abends. Er fühlte sich zu Hause zwischen den weißen Bauten aus der Kolonialzeit mit den spanischen Dächern. Das Parador lag direkt in der historischen Altstadt, nur einen Block vom zentralen Platz entfernt und davor ragte der Glockenturm der großen Kathedrale mit seinen überlebensgroßen Statuen der Apostel und Evangelisten auf. Nur wenige Straßen entfernt war er aufgewachsen. Schon als Kind, wenn er mit seiner Mutter zur Messe ging, hatten ihm die dunklen Heiligen, die stumm in alle Himmelsrichtungen blickten, Respekt eingeflößt und ein wenig davon empfand er noch heute.

»Qué panorama impresionante!«, lobte eine laute weibliche Stimme hinter Almeda die Aussicht und riss ihn aus seinen Gedanken. »Schön, Sie hier abseits der Meute anzutreffen.«

Almeda wandte sich um. Das schlechte Spanisch mit dem amerikanischen Akzent gehörte zu der großen blonden Frau, der einzigen, die vorhin bei dem Meeting war. Die Störung und ihre platte Bemerkung verdrossen ihn, denn natürlich hatte sie nur darauf gewartet, ihn irgendwo alleine abzupassen.

»Evelyn Schillman«, fuhr sie ohne Pause fort. Mit schnellen Schritten kam sie näher und hielt ihm mit vorgestrecktem Arm ihre Visitenkarte hin. »Aber für meinen Freunde bloß Ivy!«

Almedas angenehme Stimmung war weg. Kann man denn keine fünf Minuten Ruhe haben?, dachte er. Er kannte solche Leute zur Genüge – während eines Gesprächs in der Allgemeinheit brachten sie den Mund nicht auf und danach versuchten sie, ihre Interessen in privaten Deals durchzudrücken. Schon vorhin, als er mit dem Vertreter der deutschen Firma gesprochen hatte, stellte sie sich wie zufällig daneben, versuchte mitzuhören und nahm an, er würde es nicht bemerken.

»Danke, Señora Schillman«, antwortete er deshalb betont förmlich und steckte die Karte mit einer mechanischen Geste ein, ohne sie anzusehen.

»Ein wunderbarer Abend«, sagte sie und stellte sich neben ihm an die Brüstung. Zweifellos war sie trotz ihres Alters – er schätzte sie auf Mitte fünfzig – attraktiv und versuchte damit bei Männern zu punkten. Aber aus der Nähe betrachtet wirkten ihre Züge hart und die Schminke zu dick aufgetragen. »Es muss herrlich sein, hier zu leben, obwohl Washington auch seine Reize hat.«

Almeda nickte. »Was kann ich für Sie tun?« Es war eine rein rhetorische Frage, in Wahrheit interessierte ihn das Gespräch nicht.

»Es wäre von beiderseitigem Vorteil, bereits jetzt über die weiteren Schritte der Lithiumgewinnung nachzudenken.«

»Es handelt sich lediglich um einen Informationsabend, die Ausschreibung unseres Ministeriums wird allen Interessenten schriftlich zugestellt.« Er zog an seiner Zigarre und wollte sich wieder abwenden.

Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. »Genau darüber wollte ich mit Ihnen sprechen«, sagte sie vertraulich und setzte ein gewinnendes Lächeln auf. »Vielleicht kommen wir gemeinsam zu dem Entschluss, dass es keiner solchen Ausschreibung bedarf.«

»Was meinen Sie damit …?«

»Unter Umständen kann ich Sie davon überzeugen, einen Vertrag mit uns zu schließen, ohne diesen Umweg.«

Ach, daher weht der Wind, dachte er.

»Hören Sie!«, sagte er laut und ging einen Schritt auf Distanz, »das ist gegen jede Gepflogenheit und gegen meine persönlichen Prinzipien. Außerdem verschwenden Sie Ihre Zeit, denn Ihr Unternehmen hat mit uns Kontakt aufgenommen und eine Absage erhalten. Ich verhandle seit dem Unglück in Potosí nicht mehr mit US-Konzernen.«

»Ich verstehe, Sie denken, ich vertrete die Leute aus Amerika, weil ich selbst von dort komme.«

»Nicht?«

»Nein, ich bin Lobbyistin der Art Union Bank aus Estland. Ein sehr arriviertes Unternehmen!« Sie deutete auf die Tasche seines Sakkos, in dem ihre Karte steckte.

Almeda nahm sie nun doch heraus. Er warf einen Blick auf das große rote Logo und nickte.

»Nun erinnere ich mich. Ich habe die Unterlagen angesehen, die Sie mir vorweg übersandt haben, und mich auch ein wenig über die Gepflogenheiten der Bank informiert, die Sie vertreten.«

»Das freut mich«, sagte sie darauf, »dann werden Sie doch festgestellt haben, dass wir zu den wenigen Unternehmen gehören, die …«

»Die mit der Armee gegen Bauern vorgeht«, ergänzte er den angefangenen Satz und drehte sich ihr zu. Seine Stimme wurde um einen Ton schärfer. »Die Art Union war doch die Bank, die in Projekte in Asien investiert hat, wo die ansässigen Bauern dann mit Gewalt zwangsenteignet wurden?«

»Das sollte nicht der ausschlaggebende Punkt sein.«

»Da ein Großteil unserer Bevölkerung von der Landwirtschaft lebt, ist er das sehr wohl.«

»Ich wollte mit Ihnen eigentlich über die Schulden Ihres Landes sprechen, die offenen Staatsanleihen, die Sie nicht …« Ivy versuchte noch etwas zu sagen, erntete von Almeda aber nur eine abwehrende Geste.

»Das ist nicht Thema des Abends und unser Gespräch ist damit beendet«, sagte er schroff, drehte sich um und ging hinein ins Hotel.

Vor dem Stiegenabgang nahm er ihre Visitenkarte und warf sie in einen mit Sand gefüllten Ständer, der dort für Raucher als Aschenbecher stand. Er tat dies so, dass sie es noch sehen konnte und spürte förmlich ihren giftigen Blick im Nacken.

Wutentbrannt verließ Ivy das Parador. Almeda hatte sie einfach in der Kälte auf der Dachterrasse stehen lassen! So eine Frechheit war ihr noch nie untergekommen – was bildete sich dieser junge, selbstgefällige Südamerikaner denn ein! Sein ganzes Auftreten bei dem Meeting war unpassend gewesen, empfand sie. Zu einem Termin mit Spitzenmanagern der Industrie erschien man als Vertreter der Regierung gefälligst im Anzug und nicht mit Lederjacke und einem Hemd ohne Krawatte.

Und Taxis standen hier jetzt ebenfalls keine!

»So ein Kaff«, zerdrückte sie zwischen den Zähnen und stöckelte die schmale Straße zu dem Park bei der Kathedrale kurzerhand zu Fuß hinunter. Sie wohnte in einem modernen Hotel auf der anderen Seite der Altstadt, alte Kästen wie das Parador mochte sie nicht.

Der Klang ihrer Absätze hallte auf dem nächtlichen Gehsteig und mischte sich mit den Klängen der lateinamerikanischen Gitarrenmusik, die aus einem Restaurant drang. Es war das einzige Haus, in dem noch Licht brannte, sonst lag die Gasse menschenleer da. Die meisten Geschäfte hatten überdies als Schutz vor Dieben schwere Scherengitter oder Rollbalken heruntergelassen. Die sonst so bunte Stadt wirkte fremd und abweisend auf sie.

Unten am großen Platz nahm sie die längere Strecke an der Außenseite des Parks, da ihr die Anlage nachts zu unsicher erschien. An die prachtvoll beleuchteten Bauten entlang ihres Weges vergeudete sie keinen Blick, für sie waren das einfach nur weiße Häuser und – solange sie ihr nicht gehörten – uninteressant.

Die Welt der Ivy Schillman bestand aus zwei Kategorien von Dingen: solche, die man besaß, und solche, die man haben wollte. Alles übrige war belanglos. Mit dieser Einstellung hatte sie es von einem kleinen Ort in Idaho, den sie genauso verachtete wie ihre kleinbürgerliche Familie, zu einem ansehnlichen Vermögen und einem eigenen Büro in Washington gebracht. Sie betreute hochbezahlte Kampagnen für die National Rifle Association, die Organisation der Waffenliebhaber in Virginia, und vertrat als Lobbyistin die Art Union Bank aus Tallinn. Wobei ihre Stärke kurze, in sich abgeschlossene Projekte waren, die sie in einer überschaubaren Zeit realisieren konnte. Für Langzeitjobs fehlte ihr die Geduld und sie hasste jede Art von längerer Bindung. Das hielt sie auch bei Beziehungen so, die selten länger als einige Tage dauerten.

 

Im Hotel schlüpfte sie aus den unbequemen Schuhen, warf ihre Jacke aufs Bett und nahm sich einen Drink aus der Minibar, um den Ärger über diesen Almeda hinunterzuspülen. Er hatte ihr einfach das Wort abgeschnitten und war dann grußlos verschwunden. Damit entzog er sich jeder weiteren Diskussion und sie fand keine Möglichkeit, mit ihm näher über die hohe Staatsverschuldung Boliviens zu sprechen. Das wäre aber der Kernpunkt der Botschaft gewesen, welche sie ihm im Auftrag der Bank übermitteln sollte. So hatte er jetzt keine Ahnung von den schweren Konsequenzen für das Land, wenn er sich weigerte, den Vertrag mit ihnen zu unterzeichnen.

Deshalb – und das verstärkte ihren Zorn noch – würde sie morgen versuchen müssen, ihn zu erreichen und ihn trotz seiner rüden Art nochmals freundlich zu einem Gespräch zu bewegen. Sie stürzte den Rest des Drinks in einem Zug hinunter, ging ins Bad unter die Dusche und drehte das Wasser brühheiß auf.