Wir retten die Falschen

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Ignoriert S&P!
Juli 2011 - Die Rating-Agenturen schlagen zu

In der Eurozone bahnt sich ein Showdown zwischen der Politik und den Märkten an. Nachdem die Ratingagentur S&P gedroht hat, Griechenland für den Fall einer - vor allem von Deutschland geforderten - Umschuldung für bankrott zu erklären, spielt Bundeskanzlerin Merkel die Bedeutung der Ratings herunter. In der Griechenland-Krise vertraue sie vor allem der so genannten Troika aus EU-Kommission, IWF und der Europäischen Zentralbank, so Merkel.

Dummerweise orientiert sich jedoch auch die EZB an den umstrittenen Wertungen der Rating-Agenturen. Sollte die EZB nun S&P folgen, hätten die Märkte sich gegen die Politik durchgesetzt - und Merkel stünde vor einem Scherbenhaufen.

Ohne Beteiligung der Banken wird der Bundestag dem geplanten 120 Mrd. Euro schweren Rettungspaket nämlich nicht zustimmen. Damit wäre Merkels gesamte Euro-Politik gescheitert und die Eurozone von der Auflösung bedroht.

Im Grunde steht Europa nun vor der Wahl, sich entweder über die Märkte hinwegzusetzen - und einen von den Rating-Agenturen dekretierten Bankrott Griechenlands in Kauf zu nehmen -, oder sich S&P zu fügen und damit eine politische Blockade und ein Scheitern des nächsten Rettungsplans zu riskieren. Bei dieser Wahl zwischen einem Ende mit Schrecken (Bankrott sofort) und einem Schrecken ohne Ende (weitere Milliardenhilfen) fällt die Entscheidung nicht leicht.

M. Schieritz vom Herdentrieb-Blog hat sich für die erste Variante entschieden und ein „Hoch auf S&P" angestimmt. Obwohl seine Argumente nachvollziehbar sind, halte ich sie trotzdem für falsch. Sich jetzt dem Urteil der US-Rater zu fügen - zu einem Zeitpunkt, da noch nicht einmal Details des geplanten neuen Rettungsplans auf dem Tisch liegen - heißt nichts anderes, als vor den Märkten zu kapitulieren und den Primat der Politik aufzugeben. In einer Demokratie müssen die legitimen Forderungen der Volksvertreter jedoch immer über dem Urteil nicht gewählter Marktteilnehmer stehen.

Ich halte daher dagegen und plädiere dafür, S&P zu ignorieren, genauso wie S&P die Politik ignoriert. Zuerst sollte die EZB erklären, dass sie mit der derzeit geplanten sanften Umschuldung nach dem „Pariser Modell“ einverstanden ist und weitere griechische Anleihen annimmt. Danach sollte die EU den neuen Rettungsplan beschließen und zugleich klarmachen, dass sie eine Sozialisierung der Schulden Griechenlands - etwa über Eurobonds - einleiten wird.

Damit wäre den Ratings zumindest für Griechenland der Wind aus den Segeln genommen. Sobald die Eurobonds am Start sind, könnte die Eurozone viel selbstbewusster auftreten und willkürliche Ratings à la S&P würden ihre destruktive Wirkung verlieren. Die Bonds würden einen liquideren Markt schaffen und beweisen, dass die Eurozone wirklich zusammensteht. Dafür wirbt übrigens auch der Herdentrieb!

Das Problem ist nur, dass Merkel sich weder mit Eurobonds noch mit anderen Formen der europäischen Lastenteilung anfreunden kann. Sie möchte nicht einmal das Prinzip antasten, dass die EU-Staaten auf den Märkten gegeneinander konkurrieren. Im Grunde genommen kommen ihr die Ratings ganz recht, so lange Deutschland nur sein „Triple A“ behält. Hier liegt ein Grundwiderspruch der deutschen Politik, die zugleich dominieren und demokratisch entscheiden will.

Beides geht aber nicht mehr lange gut, wie das Beispiel S&P zeigt...

Nachtrag 6. Juli 2011

Nun wurde auch noch Portugals Bonität herabgestuft - und zwar gleich um vier Noten auf Ramschniveau. Dabei hat sich die neue konservative Regierung in Lissabon verpflichtet, sogar noch über die EU-Auflagen herauszugehen und noch massiver zu sparen. Doch das schert die Experten von Moody's nicht - sie verfolgen offenbar das Ziel, die Eurozone sturmreif zu schießen. Da kann man nur noch sagen: Ignoriert nicht nur S&P, boykottiert auch Moody's!

95 Prozent Spekulation, fünf Prozent Information
11. August 2011: Beinahe-Crash bei der Société Générale

Die Märkte sind völlig außer Kontrolle. Mittlerweile reichen schon haltlose Gerüchte aus, um einen Börsentrend umzudrehen und den Dax in den Keller zu drücken, wie man gestern beim plötzlichen Kurssturz in Frankfurt gesehen hat. Weder die Fed noch die EZB scheinen noch in der Lage, die Situation zu beruhigen. Doch reiner Zufall ist das nicht. Vielmehr werden in den USA und in Großbritannien gezielt Falschmeldungen gegen den Euro gestreut.

Besonders eklatant war dies im Fall der französischen Großbank „Société Générale“, deren Kurs gestern um 20 Prozent in den Keller rutschte und andere Bankaktien mitriss. Die britische Boulevardzeitung „Daily Mail“ hatte bereits am Sonntag eine Fantasiegeschichte über angebliche Probleme bei der SocGen veröffentlicht. Am Montag fand sie sich in amerikanischen Börsen-Webseiten wieder, gestern führte sie dann zum Absturz.

Doch an der Story war nichts dran, wie die „Daily Mail“ mittlerweile einräumte. Auch die Gerüchte, die US-Ratingagenturen könnten Frankreichs Bonität herabstufen, waren frei erfunden. Dennoch wurde sie von allen Diensten und Medien in Windeseile bis in die letzten Börsenwinkel verbreitet. Die Medien verlören damit ihre informierende Rolle und würden zu sinnlosen Meldungsautomaten, kritisiert selbst die behäbige „FAZ“.

Ich würde es etwas anders einordnen. Die Medien sind selbst Teil der globalisierten Märkte, die jede Information, jedes Gerücht und jede Spekulation begierig aufgreifen und auf ihren vermeintlichen oder echten Mehrwert abklopfen. 95 Prozent sind dabei Spekulation, bestenfalls fünf Prozent Information. Völlig beliebig ist dieses Medienmarktsystem allerdings nicht. Die Parteilichkeit zugunsten der USA und das Vorurteil gegenüber Europa ist nicht mehr zu übersehen.

Wer dies nach den Ereignissen der letzten Tage immer noch nicht glaubt, schaue sich nur den obskuren Markt für Kreditausfallversicherungen (CDS) an. Mittlerweile sind CDS für Deutschland teurer als für die USA. Dabei sind die Schulden in den USA wesentlich höher und die Zahlungsunfähigkeit wurde in Washington nur um Haaresbreite abgewendet. Der Marktpreis ist offenbar irreführend – oder auch nicht: schließlich werden CDS gezielt zur Spekulation gegen den Euro genutzt.

Vielleicht gibt dies ja auch dem einen oder anderen in Berlin zu denken, der immer noch an die Rationalität der Märkte glaubt und sich klammheimlich darüber freut, dass diese vermeintliche „Schuldensünder“ sanktionieren…

Der Euro, die Macht und der Markt
10. Januar 2012 - Lob für Anleger und Spekulanten

Es ist schon merkwürdig: Während Kanzlerin Merkel in der Eurokrise knallharte Machtpolitik betreibt, preisen Ex-Außenminister Fischer und Zeit-Herausgeber Joffe die „segnende“ Kraft der Märkte. Fischer behauptet sogar, nicht Merkel, sondern die Märkte hätten „europäische Fortschritte“ herbeigeführt – was für ein Irrtum!

Gestern haben die Märkte – also Banken, Versicherungen und andere Anleger – Deutschland erstmals Geld dafür geschenkt, dass es sich weiter verschuldet. Gleichzeitig ist der italienische Spread wieder auf Rekordniveau angestiegen. Dies zeigt, welche Macht die Investoren haben: Deutschland wird gestärkt, Italien an den Rand des Staatsbankrotts gebracht – ohne dass Merkel oder Italiens Premier Monti auch nur einen Finger gekrümmt hätten.

Für mich sind diese Launen der Investoren irrational und gefährlich. Sie widerlegen nicht nur das deutsche Dogma der regelgeleiteten Finanzpolitik, sondern treiben auch einen Keil zwischen die Länder der Eurozone. Deutschland steht auf der Gewinner-, Italien auf der Verliererseite – egal, ob nun der Multimillionär Berlusconi oder der Goldman-Sachs-Experte Monti regieren.

Man sollte erwarten, dass die Politik gegensteuert – und alles daran setzt, die Spreads zu senken und die Spaltung zu vermeiden. Doch das Gegenteil ist der Fall. Merkel stützt sich auf die Märkte, um die deutsche Dominanz in Europa zu festigen. Alle Vorschläge, das Problem an der Wurzel zu packen – durch Eurobonds oder entschiedene Interventionen an den Anleihemärkten – lehnt sie ab. Macht und Märkte gehen so eine Allianz ein, Merkel nützt die Angst vor dem Eurocrash zu ihren Gunsten.

Unsere grünen und liberalen „Experten“ sehen dies aber ganz anders. Joffe behauptet, Deutschland sei zum „guten Hegemon“ berufen, die Macht sei Merkel sozusagen in den Schoß gefallen. „Es rollten keine Panzer, sondern nur deutsche Euro. Die schärfsten Waffen im Arsenal der Kanzlerin? Mal das gestrenge Wort, mal der offene Geldbeutel – und dazwischen die unermüdliche Diplomatie.“

Der deutsche Euro rollt? Erstens ist der Euro nicht deutsch, und zweitens sind die Finanzhilfen keine Geschenke, sondern Darlehen, die es nur gegen knallharte Auflagen gibt und die mit Zins und Zinseszins zurückzuzahlen sind. In den Auflagen, die Griechenland gerade ins Desaster führen, steckt die Macht, und in den Zinsen der Markt. Und an wen gehen die Zinsen? An den Bund und an die deutschen, französischen u.a. Banken, die Griechenland Geld geliehen haben. Die Griechen sehen davon so gut wie nichts, der Bund profitiert.

Das ist der Mechanismus, der Europa seit zwei Jahren kaputt macht.

Doch bei Ex-Außenminister Fischer wird daraus – Achtung, Dialektik! – eine wunderbare List der Vernunft, die nicht etwa hinter dem Rücken der Politik, sondern durch die unsichtbare ordnende Hand der Märkte wirkt. Ihn interessiert natürlich nicht Griechenland, wo Macht und Markt besonders schlimm wüten, sondern Italien, wo sein Lieblingsfeind Berlusconi endlich weg vom Fenster ist: „Es war nicht die Politik, die Berlusconi gestürzt hat, das taten die Märkte. Und es war auch nicht die Politik, welche die Tür zur Fiskal- und danach zur politischen Union geöffnet hat, auch hier waren die Märkte am Werk.”

 

Das ist wirklich starker Tobak. Mag sein, dass „die Märkte“ Berlusconi gestürzt haben, wie der Ex-Grüne behauptet (ich denke, Merkel hatte auch ihre Finger im Spiel, so schreibt es z.B. das „Wall Street Journal“). Aber dieselben Märkte machen eben auch Monti das Leben schwer – und das, obwohl dieser angeblich die Märkte versteht und alles richtig macht.

Und die Fiskalunion, die Fischer als „Stabilitäts- und Haftungsunion“ preist (warum, bleibt schleierhaft), wurde nun wirklich nicht von Ackermann & Co. konzipiert. Sie kommt aus dem Kanzleramt und dient einzig und allein dem Zweck, Europa eine Fiskaldisziplin aufzuoktroyieren, die Deutschland offenbar selbst nicht einhalten kann .

Früher hatte Fischer mal den Ruf, ein knallharter Machtpolitiker zu sein. Auf seine alten Tage versucht er sich nun – ähnlich wie Joffe – als philosophierender Historiker. Da Ergebnis überzeugt mich nicht nicht…

Die Brandbeschleuniger
18. Januar 2012 - Die Rolle der Ratingagenturen

Die Ratingagenturen sind doch nicht so mächtig, wie sie gerne vorgeben. Trotz der umstrittenen Herabstufung durch Standard & Poor‘s konnte der Euro-Rettungsschirm EFSF problemlos 1,5 Milliarden Euro an den Kapitalmärkten aufnehmen. Die Händler hätten die Downgradings längst erwartet, S&P laufe der Entwicklung hinterher, hieß es zur Begründung. Doch schon droht der nächste Rundumschlag – diesmal von Fitch.

Für den Moment hat sich die Lage in Euroland wieder beruhigt. Der auf 440 Milliarden Euro ausgelegte EFSF verfügt nach dem erfolgreichen Marktgang über genug Geld, um wie bisher Irland und Portugal zu stützen. Die Mittel reichen auch noch aus, um das geplante neue Hilfsprogramm für das Not leidende Griechenland mit 150 Milliarden Euro zu finanzieren. Der Fonds sei handlungsfähig, betonte Eurogruppenchef Juncker.

Lag Standard & Poor‘s also daneben, geht die Euro-Rettung ungestört weiter? Ganz so einfach ist es dann doch nicht. Als der EFSF 2010 aufgebaut wurde, war er als abschreckende Brandmauer gedacht, die eine Ausweitung der Eurokrise verhindern sollte. Dieses Ziel wurde klar verfehlt: Italien und Spanien rutschten trotzdem in die Krise – und für eine Rettung dieser beiden großen Euroländer ist schlicht nicht genug Geld da. Auch die Idee, den EFSF mit einem Finanzhebel aufzublasen, ist de facto gescheitert.

Zudem ruhen die Hoffnungen der Euro-Retter nun mehr denn je auf Deutschland. Wenn sich die Krise also doch noch verschärft, werden sich alle Blicke nach Berlin wenden. Bundesfinanzminister Schäuble hat vorsichtshalber schon einmal erklärt, er denke nicht daran, den EFSF aufzustocken. Auch sonst blockt Schäuble jede Debatte über die Euro-Rettung ab.

Doch lange lässt sich das Denkverbot wohl nicht durchhalten. Wenn die nächsten Herabstufungen kommen – Fitch plant schon den nächsten Rundumschlag – wird die Debatte wieder aufleben. Die schlechten Ratings wirken also nicht unmittelbar, aber doch schleichend – ähnlich wie ein Brandbeschleuniger.

Und obwohl man dies in Berlin und Brüssel weiß, streiten die Euro-Retter bei jedem Aufflammen der Krise aufs Neue. Diese zögerliche Haltung wiederum nehmen die Analysten von S&P und den anderen US-Agenturen zum Anlass, erneut schlechte Noten zu verteilen, so wie beim letzten Mal: Auch die jüngsten Downgradings wurden mit der unentschlossenen EU-Politik begründet.

Und der nächste Streit zeichnet sich schon ab: Italiens Regierungschef Mario Monti forderte mehr Hilfe von Deutschland beim Kampf gegen die Krise. Im Gegenzug zu den Sparplänen seiner Regierung müsse Berlin nun auch bei der Finanzierung der Schulden helfen, so Monti in der „Financial Times“. Neben Gemeinschaftsanleihen („Eurobonds“) käme auch eine Aufstockung der Rettungsschirme in Frage.

Es sei auch im wohlverstandenen Interesse Berlins, mehr zu tun, mahnte Monti, denn sonst drohe ein Anwachsen der Deutschlandfeindlichkeit. Die Antwort von Kanzlerin Merkel: Sie wisse gar nicht, was Monti eigentlich meine…

Anomalien der Eurokrise
17. April 2012 - Volatile Anleihen, stabiler Euro

Die Eurokrise hat ein neues, potentiell zerstörerisches Stadium erreicht, warnt der Investor und Finanzmarktkritiker G. Soros. Wegen der rasant steigenden Renditen auf dem Anleihemarkt steht vor allem Spanien auf der Kippe. Doch wieso steigen die Risikoaufschläge so schnell, wieso droht auch Italien die „Ansteckung“, und wieso erholt sich gleichzeitig der Euro? Dies sind nur einige der zahlreichen Anomalien der Eurokrise, die in Brüssel kaum diskutiert werden.

Die Risikoaufschläge für Spanien haben gestern wieder die kritische Marke von sechs Prozent überschritten. Damit sei die Krise erneut in ein „akutes“ Stadium übergegangen, warnt der Thinktank „Re-define“. Doch wieso steigen die Renditen so schnell? Gestern gab es weder gute noch schlechte Nachrichten aus Madrid; offenbar machen sich die Märkte selbst Angst und lösen so eine negative Rückkoppelung aus.

Dagegen müsste die Eurogruppe vorgehen, z.B. mit einer massiven und zeitnahen Intervention der EZB oder Hilfe aus dem Rettungsschirm EFSF. Doch sie tut es nicht. Genauso wenig unternimmt sie gegen die so genannte „Ansteckung“ auf den Märkten, die diesmal vor allem Italien trifft. Bis auf ein paar empörte Äußerungen über die „Übertreibung“ der Spekulanten und wüste Anschuldigungen aus Rom nach Madrid tut sich nichts. Die Eurogruppe starrt wie das Kaninchen auf die Schlange, und die Investoren warten auf „News“, um ihren Angriff auf den Euro fortzusetzen.

Dazu eine interessante Einschätzung von „zerohedge", der die Märkte als „depressiv bis manisch" beschreibt:

When it comes to sovereign bond issuance out of Europe the market either continues to be blissfully ignorant or is purposefully stupid: a few hours ago Spain sold €3.18 billion in 12 and 18 month bills, which was more than the expected €3 billion, and which, while coming at higher rates than before, set off a futures buying spark. What however has been pointed out over and over is that issuance of Bills that come due (by definition) within the LTRO's 3 year maturity is meaningless: all it does is concentrate and front-load maturity risk. After all what happens if and when the ECB were to ever not roll the LTRO forward? As such, the only true Spanish bond issuance test this week comes on Thursday when the country issues 10 year bonds. Everything else is merely designed to take advantage of a headline driven market.

Bemerkenswert auch, dass der Eurokurs trotz der Krise seit zwei Jahren kaum verändert ist. Normalerweise müsste die Gemeinschaftswährung unter dem Druck der Schuldenlast und wegen der Rezession in Südeuropa massiv eingebrochen sein, eine Parität mit dem Dollar wäre wohl angemessen. Stattdessen stieg der Euro gestern, am Tag der Panikattacke wegen Spanien, sogar leicht an. Selbst das „Wall Street Journal" wundert sich über diese Anomalie. Offenbar sind Devisen- und Anleihemärkte völlig entkoppelt - vermutlich, weil die USA den schwachen Dollar begrüßen, während die EU an der Doktrin des starken Euro festhält.

Der Eurokurs ist für die meisten Krisenländer jedoch viel zu hoch. Selbst für global agierende Konzerne wie EADS und Airbus liegt er an der Schmerzgrenze. Für Deutschland hingegen ist der Euro sogar noch zu schwach; wenn es noch die DM gäbe, läge sie viel höher, und die deutschen Exporte würden einbrechen. Frankreichs Präsident Sarkozy hat daher recht, wenn er den Wechselkurs zum Thema machen will - und Merkel handelt egoistisch, wenn sie die Debatte verhindert...

P.S. Diese Überlegungen beruhen auf Gesprächen, die ich mit EADS-Chef Gallois und mit dem früheren EZB-Präsidenten Trichet geführt habe. Gallois beklagte den hohen Wechselkurs, Trichet die allzu schnelle „Ansteckung" Europas während der Finanzkrise.

Anomalien der Eurokrise II
18. April 2012 - Täter werden belohnt, Opfer bestraft

Die Eurokrise ist laut IWF derzeit die größte Bedrohung für die Weltwirtschaft. Vor allem die von Berlin forcierte Haushaltskonsolidierung in den Euroländern gefährde das Wachstum, warnt der Währungsfonds. Die Eurogruppe müsse die Schaffung von Eurobonds erwägen, um die Lage zu stabilisieren, fordert IWF-Chefvolkswirt Blanchard - ein weiterer Seitenhieb. Doch in Berlin tut man so, als habe man die Kritik nicht gehört.

Es ist nicht die einzige politische Anomalie der Eurokrise.

Gestern habe ich mich mit den wirtschaftlichen Absonderlichkeiten der Krise befasst: Die europäischen Anleihemärkte sind extrem volatil (nachdem sie jahrelang geschlafen haben), die „Ansteckung“ geht viel zu schnell, und trotz aller Sorgen ist der Euro immer noch überbewertet. Kein einziges dieser Probleme wurde bisher angepackt, sieht man einmal von Sarkozys wahltaktisch motivierter Kritik an der EZB und deren (nicht vorhandener) Wechselkurspolitik ab.

Doch die politischen Probleme sind noch abstruser. Sie lassen sich in drei Punkten zusammenfassen: 1. Die Eurokrise ist eine bewusst herbeigeführte und sogar öffentlich angesagte Krise - doch die Politik ignoriert sowohl Warnungen als auch Attacken. 2. Die Eurogruppe belohnt die Verursacher der Probleme und bestraft die Opfer. 3. Deutschland profitiert von alldem am meisten, obwohl es - nicht nur nach Meinung des IWF - vieles falsch macht und Alternativen verhindert.

Zu 1: Der Zusammenbruch von Lehman Brothers war schwer vorherzusehen, die Schuldenkrise in Euroland nicht. Schon 2009 tauchten erste Berichte über die so genannten PIGS-Staaten auf, die angelsächsische Analysten und Investoren für anfällig hielten und später auch massiv attackierten. Noch heute stehen diese Staaten - Portugal, Italien, Griechenland, Spanien - im Mittelpunkt der Krise. Doch die Eurogruppe hat sich zu keinem Zeitpunkt aufraffen können, die (teilweise richtige, teilweise auch willkürliche) Analyse ernst zu nehmen, die Angreifer zu bestrafen und die angegriffenen Staaten zu schützen. Sie tut immer noch so, als seien die Länder selbst schuld - und spart sie zu Tode. Derweil gehen die Attacken gegen die PIGS, die man nicht mehr so nennt, munter weiter...

Zu 2: Die Politik hat es in drei Jahren nicht vermocht, die Krise einzudämmen. Geholfen hat eigentlich nur die Billionen-Spritze der EZB, und deren Wirkung lässt schon wieder nach. Die Politik beschränkte sich darauf, die Interessen der Anleger - insbesondere die Banken aus Deutschland und Frankreich - zu schützen. Die Interessen der Bürger der Krisenländer wurden hingegen mit Füssen getreten. Besonders offensichtlich ist dies in Griechenland, wo kaum ein Cent der Hilfsmilliarden bei den Griechen ankommt, sondern staatliche Leistungen massiv gekürzt werden. Ein ähnlicher Prozess hat nun in Spanien eingesetzt. Es ist ein Teufelskreis - doch die EU weigert sich, wenigstens Madrid mehr Spielraum zu geben...

Zu 3: Deutschland verordnet Europa die falsche Medizin und wird dafür auch noch belohnt. IWF, OECD, S&P, die Schwellenländer, Italien, neuerdings auch wieder Frankreich haben den deutschen Austeritätskurs wiederholt kritisiert und zahlreiche Alternativen vorgeschlagen, doch es hilft alles nichts: Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble stellen sich - mit Rücksicht auf FDP und CSU - stur. Das einzig sichtbare positive Ergebnis dieser Blockade ist, dass Deutschland seine Stellung als führende Wirtschaftsmacht in Europa weiter ausbaut und das Geld regelrecht hinterhergeworfen bekommt. Dies wiederum bestärkt Merkel und Schäuble, weiterzumachen wie bisher und Deutschland zum „Modell“ zu erheben...

Nimmt man alle drei Punkte zusammen, ergibt sich das Bild eines weit gehenden und kaum entschuldbaren Politikversagens. Die Politik in Europa hat die Bedrohung nicht nur nie ernst genommen (1), sondern aus den gemachten Fehlern auch nichts gelernt (2). Während in den Krisenländern eine Abwärtsspirale ausgelöst wurde (2), werden die Verursacher und Profiteure der Krise in ihrem schädlichen Verhalten noch bestärkt (2, 3). Die Banken können neuerdings sogar mit EZB-Geld gegen Eurostaaten spekulieren, Deutschland kann seine einseitige Politik mit aktiver Hilfe der Märkte fortsetzen. Dies wiederum mindert die Chance, dass der Kurs irgendwann korrigiert wird.

Erst wenn Deutschland selbst die negativen Folgen der Eurokrise zu spüren bekommt, könnte sich endlich etwas ändern. Doch dann dürfte es schon zu spät sein...