Wir retten die Falschen

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Wir retten die Falschen
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Titel

Eric Bonse

Wir retten

die Falschen

Wie eine fehlgeleitete

Impressum

Wir retten die Falschen

Eric Bonse

Copyright © 2013 Eric Bonse, Düsseldorf

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN 978-3-8442-6192-9

Über dieses Buch

Wem kommen die Milliardenkredite für die „Eurorettung“ zugute? Ist Griechenland wirklich auf einem „guten Weg“? Was meint Kanzlerin Merkel, wenn sie „mehr Europa“ fordert? Dieses Buch eines Brüssel-Insiders gibt Antworten, die Sie nicht in der Zeitung lesen - und es nennt Alternativen, über die Politiker nicht gerne reden.

Über den Autor

Eric Bonse ist Politikwissenschaftler und Publizist. Mit Europapolitik befasst er sich seit 1996, als er für den „Tagesspiegel“ und das „Handelsblatt“ aus Paris und Brüssel berichtete. Heute schreibt er als freier Journalist für den „Cicero“ und die „taz“. Sein Blog „Lost in EUrope“ zählt zu den meistgelesenen deutschen Europa-Blogs.

Vorwort

Haben Sie sich auch schon einmal gefragt, wem die Milliardenkredite für die „Eurorettung“ zugute kommen? Beschleichen Sie gelegentlich Zweifel, ob Griechenland und die anderen Krisenländer auf einem „guten Weg“ sind, wie Finanzminister Schäuble gebetsmühlenartig behauptet? Und wollten Sie immer schon einmal wissen, was Kanzlerin Merkel eigentlich meint, wenn sie „mehr Europa“ fordert?

Wenn ja, dann sind Sie hier richtig. Mein E-Book geht diesen und vielen anderen Fragen nach, die in der öffentlichen Debatte meist ausgeklammert werden. Es versammelt die 100 besten Beiträge aus dem Blog „Lost in EUrope“, auf dem ich seit 2011 die Krise in der Europäischen Union beleuchte. Und es gibt Antworten, um die sich Politiker meist drücken - vor allem im Doppel-Wahljahr 2013/2014 (2014 ist Europawahl).

Dabei behaupte ich nicht, alles besser zu wissen. Ein Blog ist ein Blog - und keine wissenschaftliche Abhandlung. Aber gerade in der Eurokrise waren Blogs meist schneller, mutiger und ehrlicher als die Politiker. Während die Politik überaus zögerlich reagierte - getreu dem Motto „too little, too late“ - darf man auf Blogs schon mal den Untergang beschwören, den großen Wurf wagen, eine fremde Brille aufsetzen und nach Herzenslust streiten.

Von all diesen Privilegien habe ich ausgiebig Gebrauch gemacht. Ich habe mich mit Merkel und Schäuble angelegt, aber auch mit Steinbrück und Steinmeier, Fischer und Cohn-Bendit. Ich habe die deutsche Rolle in der EU hinterfragt, und mir dabei Ulrich Becks These vom „deutschen Europa“ zu eigen gemacht. Ich habe aber auch den „Putsch der (Brüsseler) Exekutive“ kritisiert und das „Drama des überzeugten Europäers“ geschildert.

Herausgekommen ist ein pointiertes, manchmal auch polemisches Buch, in dem ich die Ursachen der Eurokrise, ihren Verlauf und ihre Folgen ganz bewusst anders darstelle, als man es hierzulande gewöhnt ist. Ich beschreibe und analysiere die Ereignisse nicht aus dem üblichen, selbstgefälligen deutschen Blickwinkel, sondern setze eine imaginäre europäische Brille auf und schaue aus Brüssel hinter die Kulissen der EU und ihrer „Retter“.

„Wir retten die Falschen“, ein Titel vom Februar 2012, ist dabei zum Leitmotiv geworden. Es soll daran erinnern, dass die Euro-Retter keineswegs Griechenland oder die Griechen vor dem Absturz bewahrt haben, im Gegenteil: Die verfehlte Hilfsstrategie hat die Krise verlängert und viele Griechen ins Elend gestürzt. Wenn US-Präsident Obama die Kanzlerin nicht gestoppt hätte, wäre Griechenland wohl sogar aus dem Euro geflogen.

Gerettet wurden die deutschen und französischen Banken, die sich in Athen, Dublin und Madrid verzockt hatten und mit Milliardenhilfen schadlos gehalten wurden. Profitiert hat davon vor allem Deutschland, das seine Vormachtstellung in Europa ausbauen und seine Wirtschaftsinteressen sichern konnte. Bei einem Zusammenbruch der Währungsunion wäre dies nicht möglich gewesen; da wären wir die Hauptverlierer gewesen.

„Wir retten die Falschen“ ist aber auch eine Kritik an der Doktrin der EU-Politiker. Sie gingen von der falschen Diagnose aus, dass die Krise vor allem eine Staatsschuldenkrise sei - und verordneten die falsche Therapie: einen harten, wachstumsfeindlichen Sparkurs. Dabei litten und leiden die meisten Krisenstaaten unter einer Bankenkrise, die in Südeuropa auch noch mit Struktur- und Wachstumsproblemen einher ging.

Der IWF hat dies mittlerweile erkannt und eine Abkehr von einer selbstzerstörerischen Austeritätspolitik gefordert. Doch die EU ist dazu bisher nicht willens und in der Lage - der Fiskalpakt und die dazu gehörige „Economic governance“ hindern sie daran. Immer noch gilt die paradoxe Devise: Den Banken, die die Krise ausgelöst haben, werfen wir das Geld hinterher; die Staaten und ihre Bürger müssen den Gürtel enger schnallen.

„Wir retten die Falschen“ ist schließlich auch eine Warnung an die neue Bundesregierung und die nächste EU-Kommission. Die fehlgeleitete Rettungspolitik führt keineswegs zur Lösung der Krise. Zu einer (vorläufigen) Beruhigung kam es überhaupt nur, weil EZB-Präsident Draghi die Märkte mit seinem umstrittenen Anleiheprogramm OMT ruhig gestellt hat. Merkels Fiskalpakt und die Rettungsschirme waren dazu nicht in der Lage.

Die Konstruktionsfehler der Währungsunion wurden nicht behoben, die Märkte nicht gebändigt, die Banken nicht entschärft, die wirtschaftlichen Ungleichgewichte nicht beseitigt. Zudem bleibt die zentrale Frage unbeantwortet, wie die gigantischen, trotz bzw. gerade wegen der harten Sparprogramme wachsenden Schuldenberge abgetragen und neues nachhaltiges Wachstum generiert werden soll. Europa droht deshalb ein verlorenes Jahrzehnt.

Wahrscheinlich schon nach der Bundestagswahl, spätestens aber nach der Europawahl 2014 werden diese verdrängten Probleme wieder akut werden. Dann wird die Rechnung für die Fehler der Euro-Retter präsentiert. Gerade für Deutschland könnte sie gesalzen ausfallen. Die nächste Bundesregierung wird für all das geradestehen müssen, was Merkel und Schäuble versäumt haben. Das „deutsche Europa“ könnte dann zum Sündenbock werden.

Denn Deutschland hat bisher unverschämt von der Krise profitiert. Zugleich versucht Berlin, die Währungsunion einseitig auf deutsche Wirtschaftsinteressen zuzurichten. Fiskalpakt, Euro-Plus-Pakt und ein neuer Wettbewerbspakt sollen die Eurostaaten auf die deutsche Agenda einschwören. Auch in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik beansprucht Berlin neuerdings eine Führungsrolle. Zum Nulltarif ist die jedoch nicht zu haben.

Schon jetzt zahlen wir einen hohen Preis für die verfehlte Krisenpolitik. Der einseitige Sparkurs hat Europa in die tiefste Rezession seit der Weltwirtschaftskrise im 20. Jahrhundert geführt. Selbst Deutschland und seine neuen heimlichen Partner, die „AAA“-Länder Finnland und Holland, schwächeln. Zudem wurden demokratische und soziale Grundrechte massiv verletzt. Europa eilt mit Riesenschritten in eine neoliberale, autoritäre „Postdemokratie“, bei der Europawahl droht ein Fiasko.

Insgesamt sind die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Kosten der verfehlten „Rettung“ so hoch, dass sie der Währungsunion am Ende doch noch zum Verhängnis werden könnten. Die „Euroretter“ haben mit ihren Entscheidungen nur Zeit gekauft. Nun kommt es darauf an, die gekaufte Zeit zu nutzen - und einen Politikwechsel einzuleiten. Alternativen zum aktuellen Kurs gibt es genug, auch das möchte ich mit diesem Buch zeigen. Viel Spaß bei der Lektüre!

Zum Aufbau dieses Buches

Zehn Kapitel mit je zehn Beiträgen - das ist das Grundprinzip dieses Buches. Innerhalb der Kapitel sind die Texte in chronologischer Reihenfolge geordnet. Und was steht nun drin? Es geht nicht „nur“ um die Krisenstrategie, auch wenn der Buchtitel dies nahelegt. Es geht auch um die Frage, was die Krise mit bzw. aus Europa und der EU gemacht hat. Und das ist eine ganze Menge. Die „Euroretter” haben eine Art Parallel-Union aufgebaut, Deutschland hat eine Führungsrolle übernommen, Merkel hat sich zur Über-Mutti entwickelt, die Demokratie wurde weitgehend ausgehebelt etc.

Wer sich vor allem für die wirtschaftlichen Aspekte interessiert, dem seien die Kapitel 1, 2, 6, 7 und 9 empfohlen. Hier geht es um die Rolle der Märkte (1), die Banken und andere Profiteure (2), den Krisensommer 2012 (6), den Fiskalpakt und die so genannte Economic Governance (7) sowie um wirtschaftspolitische Alternativen (9). Die Politik steht in den Kapiteln 3, 4, 5, 8 und 10 im Vordergrund. Hier befasse ich mich mit Merkels Kurs (3), Deutschlands neuer Rolle (4), den damit verbundenen Führungsproblemen (5) und der Demokratie-Problematik (8). Im Schlusskapitel wage ich eine vorläufige Bilanz. Tenor: We are still „Lost in EUrope“.

 

1 Wetten gegen Europa
Hintergründe der Eurokrise
Politik gegen Europa
17. März 2011 - Moody‘s stuft Griechenland herab

Sage niemand, die Rating-Agenturen seien neutrale Markt-Beobachter. Die brutale Herabstufung der Bonität Griechenlands durch die US-Agentur Moody‘s beweist das Gegenteil. Kurz vor dem Eurozonen-Gipfel am Freitag hat Moody‘s das Land mal so eben um drei Punkte auf Ramsch-Niveau abgewertet - sogar noch tiefer als das postrevolutionäre Tunesien. Und das, obwohl keine neuen Negativ-Meldungen vorliegen und die Regierung in Athen alle EU-Vorgaben erfüllt.

Griechenland ist laut Moody's nur noch drei Punkte vom Zahlungsausfall entfernt. Dabei wird der griechische Schuldendienst bis 2013 von der EU garantiert. Das Ziel dieser krassen Fehlbewertung ist klar: Moody‘s will Griechen und Europäer zwingen, Farbe zu bekennen. Entweder greift die EU dem Land endlich beherzt unter die Arme, indem sie die Zinsen für die EU-Hilfen senkt und griechische Anleihen aufkauft, oder es wird Zeit für eine Umschuldung.

Doch für beides gibt es bisher in Europa keine Mehrheit, das weiß man auch in Washington. Die Herabstufung verfolgt daher - ob bewusst oder unbewusst, sei dahingestellt - noch ein weiteres Ziel: Die Handlungsfähigkeit der EU zu testen. Letztlich geht es gar nicht mehr um ein rationale ökonomische Analyse der Kreditwürdigkeit eines Landes, sondern um eine sachlich kaum fundierte Meinung, mit der Politik gemacht werden soll und wird - zu Lasten Europas.

Man könnte sogar noch weiter gehen und ein anti-europäisches Ressentiment vermuten. Schließlich stand schon zu Beginn der Schuldenkrise ein solches Ressentiment. Angelsächsische Analysten prägten das Kunstwort von den „PIGS“-Staaten, um die Kreditwürdigkeit Portugals, Italiens, Griechenlands und Spaniens in Zweifel zu ziehen und die europäischen „Schweine“ (die wie zufällig fast alle sozialistisch regiert wurden) herabzuwürdigen.

Seither werden die „PIGS“ systematisch fertiggemacht. Obwohl Portugal und Spanien ihre Schulden noch locker bedienen können, werden sie durch Gerüchte und Downgradings immer tiefer in den Trudel der so genannten Eurokrise gezogen (die in Wahrheit eine Bankenkrise ist).

Obwohl Irland und Griechenland immer noch besser dastehen als mancher US-Bundesstaat (und natürlich auch als Tunesien), senken die Analysten den Daumen immer tiefer. Selbst wenn sie genau jene Reformen umsetzen, nach denen die Analysten rufen, droht eine Herabstufung - denn damit verschlechtern sich ja die Wachstumsaussichten...

Möglich wird dieser Teufelskreis allerdings nur, weil die Europäer es versäumt haben, die Macht der Märkte zu begrenzen. Sie haben es nicht nur unterlassen, Analysten, Tradern und Ratingagenturen wirksame Fesseln anzulegen.

Einige EU-Länder wie Deutschland haben die Märkte sogar noch regelrecht ermutigt, höhere Risikoprämien für so genannte Schuldenländer zu nehmen, um diese für ihre verfehlte Finanzpolitik zu bestrafen. Gleichzeitig wehren sie sich mit Händen und Füssen gegen die Einführung von Eurobonds, die mehr Liquidität schaffen und den Markt beruhigen würden.

Das Ergebnis lässt sich nun besichtigen: Nicht mehr die Politiker bestimmen die EU-Agenda, sondern die Märkte machen Politik - im Zweifel auch gegen Europa.

The PIGS are back
24. Mai 2011 - Die Märkte attackieren Italien und Spanien

Nach Griechenland, Irland und Portugal geraten nun auch Italien und Spanien in den Sog der Schuldenkrise. Obwohl sich wirtschafts- und fiskalpolitisch in Madrid und Rom nichts, aber auch gar nichts verändert hat, fordern die Finanzmärkte plötzlich höhere Risikoaufschläge für den Kauf von Anleihen. Zur Begründung wird der negative Ausblick einer Ratingagentur für Italien und die Protestwelle in Spanien angeführt – doch beides ist an den Haaren herbeigezogen.

Die US-Agentur Standard & Poor‘s hatte Italien am Wochenende überraschend unter Beobachtung gesetzt – wegen des schwachen Wachstums und angeblich fehlender Reformperspektiven. Doch die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone hat weder Liquiditäts- noch Solvenzprobleme. Das schwache Wachstum ist nicht neu, und die Regierung Berlusconi bereitet längst ein Sparpaket vor. Objektiv gibt es also keinen Grund für die Nervosität, wie Insider bestätigen.

Noch abstruser ist die Marktreaktion bei Spanien. Das Land hat gar kein Schuldenproblem, wohl aber ein massives soziales (die horrende Jugendarbeitslosigkeit). Deshalb wurden die regierenden Sozialisten bei den Kommunal- und Regionalwahlen am letzten Wochenende abgestraft, was nun angeblich die Märkte beunruhigt. Nach derselben Logik müsste auch Deutschland unter Druck kommen, weil Merkels CDU die Wahl in Bremen verloren hat…

In Wahrheit heizen zwei Gründe die Schuldenkrise an: Zum einen spekulieren die Finanzmärkte schon seit Jahren massiv gegen die so genannten PIGS (Portugal, Italien, Griechenland und Spanien) – und wie der Zufall es will, fehlen nur noch Italien und Spanien auf der lukrativen Abschuss-Liste, die mittlerweile beliebig ergänzt wird (Irland kam schon hinzu, so dass Experten von den PIIGS sprechen; nun kommt auch wieder Belgien ins Gerede).

Zum anderen verunsichert Griechenland die Anleger. Doch auch hier geht es nicht um die wirtschaftliche oder finanzielle Lage in Athen, die sich kaum verändert hat (und sich nach der Logik der Märkte sogar bald verbessern dürfte, da Athen einen Räumungsverkauf seines Staatsbesitzes einleitet). Für Unruhe sorgen vielmehr die Chefs der Eurozone, die offenbar die Nerven verloren haben und ihren Partner regelrecht kaputt reden.

So hört man in Brüsseler EU-Kreisen immer öfter, Griechenland sei ein „failed state“, dem man nicht mehr helfen könne. Prominente EU-Experten gefallen sich in abfälligen Bemerkungen, die darin gipfeln, die Regierung in Athen solle sich an die Weltbank wenden, denn EU und IWF seien nur für entwickelte Länder zuständig. Weitere Spitzen kommen ausgerechnet aus Rom und Madrid – denn dort fürchtet man die „Ansteckung“ mit dem „griechischen Virus“ (der in Wahrheit in den Märkten in New York und London hockt und nicht in Athen).

Die EU-Granden haben dem bisher nichts entgegenzusetzen. Ratspräsident Van Rompuy, der noch im März verkündet hatte, nun sei die Ansteckungsgefahr für Spanien und Italien gebannt, beklagt sich, dass die Märkte Griechenland keine Zeit für Korrekturen lassen – um im nächsten Satz den Spekulanten recht zu geben und sofortige Anpassungen zu fordern.

Eurogruppenchef Juncker schweigt seit seinem misslungenen Geheimtreffen einiger handverlesener Finanzminister in Luxemburg. Und von Kanzlerin Merkel hört man nur noch populistische Beschimpfungen der angeblich arbeitsscheuen Südeuropäer, während sich Finanzminister Schäuble hinter den Kulissen mit der Europäischen Zentralbank über eine mögliche Umschuldung Griechenlands streitet.

Wenn man es recht bedenkt, erinnert das dann doch irgendwie an einen Saustall…

Tabu Marktversagen
26. Mai 2011 - Wer hat Schuld an steigenden Spreads?

Die Stimmen zur Schuldenkrise in Griechenland werden immer schriller. Die griechische EU-Kommissarin Damanaki fürchtet die Rückkehr ihres Landes zur Drachme, Bundesfinanzminister Schäuble warnt vor einem globalen Kollaps à la Lehman Brothers. Aus lauter Verzweiflung tischen die EU-Politiker fast täglich neue Lösungsvorschläge auf. Nur ein Thema sprechen sie nie an: das eklatante Marktversagen in der Eurozone.

Für Damanaki ist es ein Kampf um Sein oder Nichtsein: Entweder verschärfe die Regierung in Athen ihren Sparkurs nochmals, oder Griechenland müsse die wichtigste Errungenschaft nach dem Krieg, den Euro, aufgeben. Noch dramatischer klingt es bei Schäuble: Entweder erhalte Griechenland mehr Zeit für die Budgetsanierung (hört, hört!), oder es komme zu einer Umschuldung, die dann die globalen Finanzmärkte erschüttern könnte.

Warum die Märkte so sensibel auf die Schuldenkrise in einem kleinen und – seien wir doch mal ehrlich – selbst für die Eurozone unbedeutenden Land reagieren, können jedoch weder Schäuble noch Damanaki erklären. Seit Monaten steigen die Spreads, also die Zinsdifferenzen zwischen deutschen und griechischen Staatsanleihen. Nach einer kurzen Erholung im Mai 2010, als das erste Rettungspaket aufgelegt wurde, ging es wieder stramm aufwärts.

Bereits seit Anfang 2011 sind die Risikoaufschläge wieder auf Rekordniveau. Aktuell verlangen Investoren 14 Prozent mehr Rendite für zehnjährige griechische Staatsanleihen als für deutsche Bundesanleihen. Auf diesem Niveau ist eine Rückkehr an die Märkte, die eigentlich für 2012 geplant war, illusorisch, zumal die Tendenz weiter nach oben geht.

Eigentlich hätten die Spreads aber sinken müssen, schließlich ist die Refinanzierung der griechischen Schulden ja nun gesichert. Zu Jahresbeginn gab es auch noch keine Welle von schlechten Nachrichten, wie derzeit, im Gegenteil: in den letzten Monaten stellten die Griechen sogar einen Sparrekord auf, wie die OECD jetzt feststellte.

Noch eklatanter ist das Marktversagen bei Irland und Portugal, wo die Zinsen auch ständig steigen – und zwar meist als Reaktion auf schlechtere Ratings, die aber selten durch neue Entwicklungen begründet sind. Auch die Probleme in Athen, die nichts mit den Sorgen in Dublin und Lissabon zu tun haben, sorgen für steigende Refinanzierungskosten.

Es sind aber just diese willkürlichen Ratings und erratischen Spreads, die die Refinanzierungskosten für überschuldete Staaten massiv erhöhen und damit die Krise weiter verschärfen. Seit Beginn dieses Jahres ist in der Eurozone ein Teufelskreis zustande gekommen, der umso absurder wirkt, als ebenso oder höher verschuldete Länder wie die USA, Japan oder selbst Großbritannien von den Märkten mit Nachsicht behandelt werden.

Wie schon oft in diesem Blog beschrieben, handeln die Marktakteure nicht rational, sondern folgen Vorgaben – meist aus den USA – und Erwartungen, die zum Beispiel mit dem Scheitern der so genannten PIGS-Staaten beschrieben werden. Griechenland ist in dieser Vorstellungswelt nur der Türöffner für lukrative Geschäfte gegen Irland, Portugal, Spanien – oder eben auch Italien und Belgien, die nun ebenfalls ins Visier der Spekulanten geraten sind.

Warum wagt es niemand in Brüssel oder Berlin, dieses zentrale Problem anzusprechen? Wenn es zum Super-Gau kommt und sich Griechenland tatsächlich zu einem zweiten Lehman Brothers entwickelt, ist es definitiv zu spät…

Wetten gegen Europa
16. Juni 2011 - Die Märkte und die Griechenland-Krise

Die EU verschiebt die Lösung der Schuldenkrise in Griechenland auf die Sommerpause. Man habe sich mit dem IWF darauf geeinigt, erst einmal die im Juli fällige (und bisher blockierte) Tranche der Hilfszahlungen zu zahlen und danach weiter zu sehen, sagte Währungskommissar Rehn in Brüssel. Damit gewinnen die Europäer Zeit, ihren Streit über die deutschen Forderungen nach einer Beteiligung privater Gläubiger beizulegen. Doch eine Lösung ist das nicht.

Denn je länger die Europäer warten, desto größere Kreise zieht die Krise. Schuld daran ist nicht etwa ein griechisches „Virus” oder eine neuartige „Ansteckungsgefahr”, wie es in den Medien immer wieder heißt. Streng genommen hat Griechenland mit der Ausbreitung gar nichts zu tun. Zum Flächenbrand kommt es vielmehr, weil die Märkte verrückt spielen und gegen alles und jedes spekulieren, das dem griechischen Problem in irgendeiner Form ähnelt – genau wie in der Finanzkrise, in der das Problem Lehman Brothers urplötzlich jede noch so solide Bank erfasste.

An den Märkten ist schon jetzt ein regelrechtes Wettfieber ausgebrochen. Investoren setzen nunmehr auf einen „griechischen Unfall“ und erhöhen ihre Einsätze massiv. Zugleich weiten Spekulanten ihre Wetten gegen (noch) stabile Länder wie Italien, Spanien und Belgien aus. Irland und Portugal müssen ohnehin schon seit Wochen für Griechenland und die europäische Entscheidungsschwäche mithaften. Auch die Börse und die Devisenmärkte bleiben von den Attacken nicht verschont; der Euro erleidet einen neuen Schwächeanfall.

Eigentlich würde man in einer solchen Situation ein entschiedenes Gegensteuern erwarten, zum Beispiel vom Eurogruppenchef Juncker, EZB-Präsident Trichet oder Kommissionschef Barroso. Die ersten beiden nennen sich ja gern „Mister Euro”, Barroso präsentiert sich wo immer möglich als „Monsieur Europe”. Doch die sonst so beredsamen Herren schweigen. Offenbar sind sie um eine Antwort verlegen. Alles starrt auf das Treffen von Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Staatschef Sarkozy in Berlin, von dem ein Durchbruch erhofft wird.

 

Immerhin hat Sarkozy angekündigt, den Euro gegen alle Angriffe zu verteidigen. Dies sei „die Pflicht“ aller EU-Politiker, sagte er. Der nächste Hilfsplan für Griechenland, der bis zu 120 Mrd. Euro umfassen soll, sei so gut wie sicher. Berlin und Paris stritten nur noch um die Form. In Wahrheit hängt der Haussegen zwischen beiden Länder jedoch schief. Sarkozy wirft Merkel vor, sie engagiere sich zu wenig für Europa und interessiere sich nicht mehr für Frankreich. Fest steht, dass Merkel ihre Umschuldungs-Pläne nicht – wie früher üblich – mit Sarkozy abgesprochen hat.

Insgesamt gibt die EU ein desolates Bild ab. Obwohl die Eurozone sturmreif geschossen wird und Griechenland in Chaos und Anarchie versinkt, scheint niemand mehr in der Lage, Entscheidungen zu treffen und das Blatt zu wenden. Die Chefin der US-Finanzaufsicht, Blair, warnt schon vor einem Crash in Europa. Sie sei tief besorgt wegen der Kreditqualität einer Reihe von Ländern und des Engagements einiger Banken dort, sagte sie. Die US-Expertin wäre allerdings besser beraten, sich mit ihren Kollegen aus Europa zusammenzusetzen, um das globale Kasino zu bändigen und die gefährlichen Wetten gegen Europa zu beenden, bevor es zu spät ist…