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Die Ströme des Namenlos

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Das erste Buch, das wir zusammen lasen, war die Ilias. Kam es mir auch zu Anfang unwirklich und komisch vor, daß jene Leute, ehe sie sich die Speere an die Rippen schmissen, zuvor lange und schöne Reden aneinander hin hielten, so war mir doch von Urschel her eine starke Liebe für solche Bücher geblieben, und da mir Gottfried mit einer fast heiligen Begeisterung die Gesänge vorlas, dauerte es nicht lange, bis die Schönheit jener Verse und Bilder mein empfängliches Gemüt erfaßt hatte.

Gottfried hatte einen schönen Plan gemacht, wie er meiner literarischen Einfalt und Unschuld am ehesten beikommen könne und gedachte so an Hand seiner Literaturgeschichte mir erst Homer und die Aeltesten beizubringen und dann über die deutschen Klassiker auf die Modernen zu kommen; doch waren wir auf dieser Leiter noch keine halbe Stufe weit gestiegen, als er eines Abends, da zufällig das Gespräch drauf kam, fast erschrocken ausbrach: »Ach Gott, Sie kennen ja den Gösta Berling noch nicht!« Und wir lasen ihn noch in derselben Nacht und taten von nun an alle Pläne und Systeme beiseite, überschlugen, was uns langweilig schien, lasen Bruchstücke, durcheinander, von der Mitte an, von hinten herein und wie es uns Willkür und Stimmung gab. Ach, und wir genossen, schwärmten, glühten und waren begeistert.

Wenn ich heute an jene Zeit zurückdenke, so wird mir besonders eines mit Dankbarkeit bewußt: daß ich nämlich auf diese Weise sehr wenig schlechte und minderwertige Bücher gelesen habe und nicht wie die meisten der Leute, die ich inzwischen kennen lernte, durch einen Wust von Backfisch- und Modeliteratur erst zum Echten und Schönen durchgedrungen bin. Und daß ich, weil ich von Natur, Sonne, Erde und Mistgabel her unvermittelt in die göttlichen Gefilde Homers und Goethes versetzt wurde, mein Lebtag lang einen guten und sauberen Geschmack behalten habe. Vielleicht ist gerade daraus bei mir jenes besondere Verhältnis zur Literatur geboren, das ich vor den meisten andern Leuten eigen habe und von dem ich später noch reden will.

– An einem Sonntagabend hockten wir bei den andern im Hof auf den Stämmen. Es war schon spät und die warme Nacht voll einem weichen, zärtlichen Gelächter, Gesumm und Heimlichtun. Wir saßen mitten darunter und nahe beieinander und hörten so drauf hin.

»Finden Sie nicht,« sagte Gottfried auf einmal unvermittelt und leise, »daß so eine über Goethe und Schiller gegründete Freundschaft, wie wir sie haben, hierher paßt wie zu meiner Großmutter eine himmelblauseidene Bluse? Hier oben hat man sein Mädchen zum in den Arm hineinnehmen und verküssen. Hören Sie doch, wie die Kerle schmatzen; es ist der reine Hohn für uns. Wir schänden den ganzen Zinken mit unserem platonischen Geflöte!«

»Sie gehören verhauen!« sagte ich entrüstet. »Wollen Sie auf der Stelle still sein mit solchen Sachen!«

Er lachte, wurde aber darauf wieder ernst. »Ja, ja, ich werde gleich aufhören. Aber eines muß ich Sie noch fragen, wenn wir schon dran sind. Und Sie müssen mir Antwort drauf geben.«

Er beugte sich dicht zu mir herab und fragte ganz leise: »Haben Sie einen Schatz, Fräulein Agnes?«

»Nein,« sagte ich ohne jedes Besinnen, doch war es mir sofort heftig leid, und es wurde mir irgendwie dunkel bewußt, daß ich hätte vorsichtiger sein müssen und das nicht so gerade heraus hätte sagen dürfen; indem ich aber noch verwirrt und überrumpelt nach Worten suchte, begann um uns herum ein allgemeines Auseinandergehen und Aufbrechen. Auch Gottfried stand auf und bot mir in seiner gewohnten Vergnügtheit gute Nacht; es blieb mir nichts anderes übrig, als auch auf meine Kammer zu gehen.

Gottfrieds Worte hatten mir einen unangenehmen und beschämenden Eindruck hinterlassen; ich gab mir die größte Mühe, ihnen nicht mehr weiter nachzudenken und sie so schnell als möglich zu vergessen; und dies gelang mir auch.

In dieser Woche ging ich an einem Abend zur gewohnten Zeit in Gottfrieds Stube hinunter. Er stand nicht wie sonst am Fenster, sondern saß am Tisch, hatte den Kopf in die Arme gestützt und sah mir mit einem sonderbaren Blick entgegen.

»Nun, was ist Ihnen für eine Laus übers Leberlein gelaufen?« fragte ich ihn und lachte.

»Ach, ich habe einen blödsinnigen Nachmittag gehabt,« fing er an. »Bitte, setzen Sie sich doch! – Wissen Sie, nach dem Essen stöberte ich in meinem Schrank, da kamen mir ein paar Schokoladetafeln, die ich mir hierher mitgebracht hatte, in die Hand. Und da kam mir mit einemmal der Gedanke: wenn du alt bist, magst du vielleicht keine Schokolade mehr, und das war mir derartig gräßlich, daß ich meinen ganzen Vorrat nacheinander aufaß. Dann wurde mir sehr übel, und ich mußte schnell hinters Haus gehen. Und als es mir wieder leichter war, sehe ich am Krautgarten zehn Schritte weg von mir den Roßknecht stehen und die schwarze Marie im Arm haben; die hatten in ihrem Eifer von meiner ganzen Sache nichts gehört. Und ich kann Ihnen schon sagen, wie der so an ihr herumtappte und sie abschmatzte, da wurde mir noch viel übler als von der Schokolade, und ich rannte wie besessen zwei Stunden weit; und als ich mich zum Ausruhen ins Gras legte, war ich bis auf die Gunterwiesen hinauf gekommen. Da droben war es sehr schön; ich nahm einen Strauß Enzian mit, den wollte ich Ihnen bringen. Auf dem ganzen Heimweg dachte ich immerfort an Sie, und es war mir sehr vergnügt und auch ein wenig sonderbar dabei; ich weiß nicht, wie. Eh ich auf den Zinken kam, schob ich die Enzianen in meine Hosentasche, damit sie niemand sähe und schlich ganz unbemerkt in Ihre Stube und wollte die Blumen auf Ihren Tisch legen. Und dann mußte ich mit einemmal denken, daß Sie eine Dichterin sind und ein ganz wunderbarer und schöner und großer Mensch und ich bloß ein Schulbube; und da wurde es mir wieder schlecht und wütend und alles miteinander, und ich lief davon und warf die Blumen auf den Mist; dort, Sie können sie gerade noch sehen. Ich habe sogar noch geheult, und zum Nachtessen bin ich auch nicht gegangen!

Aber nun kommen Sie, wir wollen die Lampe anzünden und Mörike lesen und nimmer davon sprechen, sonst ist auch noch der schöne Abend beim Teufel.«

So fing er an zu lesen, und es schien alles ganz gut und glatt weiter zu gehen, bis vielleicht nach einer Viertelstunde seine Worte langsam und immer sonderbarer wurden, und der große Mensch mit einemmal seinen Kopf vornüber auf den Tisch in die Arme warf und schluchzte wie ein Kind.

»Bitte, gehen Sie – – ich kann wirklich nicht mehr – – verzeihen Sie, Fräulein Agnes – – –«

In großer Bestürzung und Verlegenheit ging ich schnell hinaus und auf meine Kammer. Unausgekleidet saß ich auf dem Rand meines Bettes, starrte erschrocken in das Dunkel und hörte, wie mein Herz laut und heftig schlug. Und indem die Dumpfheit und Verwirrung allmählich von mir wich und es mir leise klar wurde, wie es dem guten Jungen zu Mute sei und daß er wohl Aehnliches durchlebte wie ich damals um Frau Gunhild oder Herrn Bürger, und indem mir vollends als etwas ganz Unerhörtes und Freches der Gedanke aufstieg, daß dies um mich sei, befiel mich eine mächtige Scham, das Blut stieg mir kochend heiß in die Backen, und ich begann so zu schwitzen, daß mir große Tropfen auf der Stirn standen. Dazu spürte ich Mitleid mit dem armen Kerl und ward traurig darüber, daß er mich weggeschickt hatte, und zwischen alldem dämmerte mir endlich eine schwache Seligkeit herauf, die ich nimmer unterdrücken konnte. Es litt mich plötzlich nicht mehr auf meinem Bett, mir kaum bewußt, was ich tat, nahm ich meine Streichholzschachtel und lief schnell und leise damit aus meiner Tür, zum Haus hinaus und auf die Miste hinüber. Ich brauchte elf Zündhölzlein, bis ich Gottfrieds Blumen gefunden hatte; mit klopfendem und glücklichem Herzen brachte ich sie auf meine Stube und stellte sie ins Wasser. – –

Was mich in den nächsten Tagen bewegte, war nun nicht gerade Seligkeit. Ich war mit einer ständigen Unruhe erfüllt und ging Gottfried möglichst aus dem Wege; sah er mich doch, so wurde ich rot und unendlich verlegen. Des Abends hielt ich mich ängstlich auf meiner Stube und hing lauter dummen Gedanken nach; daß die Angelegenheit, die mich bedrückte, vielleicht noch einmal auf etwas Schönes und Erfreuliches hinauslaufen könne, daran wagte ich in schreckhafter Abergläubigkeit nicht zu denken. Mein einziger Trost war ein Band mit Goethes Erzählungen, den mir Gottfried einmal mit herauf gegeben hatte und der zufällig noch auf meiner Stube war. Ich las oft darin, und es tat mir wirklich wohl.

– Da geschah es am vierten jener Tage, daß spät abends noch ein paar neue Kurgäste auf dem Zinken ankamen. Dieweil Frau Finkenlohr sie in ihre Stuben führte, richtete ich in der Küche unten noch ein Nachtessen. Ich machte einen Salat, schnitt vom geräucherten Schinken auf und ging dann noch, ehe ich das Rührei hintat, in den Garten, geschwind den Schnittlauch dazu zu holen. Es regnete, als ich hinaus kam, und war eine tiefe, graue Dämmerung.

Nun ist am Hauseck, wo man in den Gemüsegarten geht, unter etlichem Buschwerk ein kleines, steinernes Bänklein; und als ich daran vorbei wollte, griff eine Hand nach der meinen; es saß da im Regen ein Mensch, und als ich hinschaute, erkannte ich Gottfrieds Gesicht.

Ich erschrak, und es befiel mich eine jähe Schwäche; zitternd legte ich mein Küchenmesser aus der Hand und setzte mich in einem leisen Schwindel neben ihn auf das Bänklein. Der Regen lief in eiligem Geströme auf uns nieder, und wir waren ganz stille.

Dann sagte Gottfried: »Ich habe immer – immerfort an Sie gedacht, Fräulein Agnes. Und ich – wünsche mir etwas. Ich möchte einmal über Ihr Haar streicheln dürfen.«

Ich blieb regungslos sitzen; doch liefen mir, ohne daß ich's hindern konnte, die Tränen herunter.

Da fuhr er mir mit der rechten Hand einmal ganz scheu und schnell über den Kopf, und dann legte er beide Arme um meinen Hals und drückte sein Gesicht an meines, und beide waren naß vom Regen und von Tränen.

 

Währenddem hörte ich Frau Finkenlohr in der Küche. Ich stand schnell auf, holte meinen Schnittlauch und kochte weiter, als ob nichts geschehen wäre; und doch war plötzlich die ganze Welt verändert, schwankte und zitterte vor meinen Augen und war wie erhellt von tausend seligen Feuern.

Es war seltsam: auch jetzt noch glaubte ich nicht daran, daß zwischen mir und dem reichen, feinen Jungen eine Liebschaft werden könne. Doch war gerade diesem zum Trotz seit dem Geschehnis auf dem Bänklein ein Wille und Trieb in mir, beständig daran zu denken, – von einer erfüllten und glücklichen Liebe zu Gottfried zu träumen und diesen Traum mit der ganzen Kraft meiner Phantasie auszumalen und zu nähren. Vielleicht war es, mir selber kaum bewußt, gerade die Angst, aus diesem Traum doch bald aufwachen zu müssen und die traurige Gewißheit, die am Ende doch dahinterstand, daß ich meine beglückende Einbildung um so zäher festhielt und mich umso stärker in sie einspann.

Es war ja auch wahrlich nicht schwer, zu dem guten und feinen Menschen eine Liebe zu fassen, umso weniger unter den gegebenen Verhältnissen und bei meiner Veranlagung. So ließ ich nun in meinem Innern alle Gluten brennen und alle Ströme selig und ungehindert fließen; ich war so voll Gehobenheit und Ruhe, daß ich sogar Gottfried, wenn wir uns begegneten, herzlich und fast unbefangen grüßen und anblicken konnte. Wir sahen uns selten, zumeist vor andern und sprachen nie miteinander; Gottfried stand wenige Tage vor seiner Abreise.

Alles, was in meinem Leben war, kann ich beschreiben und kann versuchen, es euch nahe zu bringen; von jenen Tagen aber kann ich nur stümperhaft, grob und ungenügend reden; sie waren das Zarteste und Heiligste, das je in meiner Seele war, und es gibt nicht die rechten Worte dafür. Ich glaube, daß man das bloß einmal erlebt, und ich glaube auch, daß es nur wenig Menschen erleben.

Ich war jene Tage voll einem starken und ruhigen Glücke, und es war immerwährend ein Zustand um mich gleich einem schwebenden, schönen und feierlichen Traum; wachte ich auf, so war er sogleich da und köstlich über mir; schlief ich ein, nahm ich ihn selig in das Dunkel mit hinüber; die harten Aecker waren Paradiese, sobald ich darüber ging; war mir etwas schwer, so dachte ich: Gottfried –, und es wurde vogelleicht. Im kleinsten Nötlein wußte ich: Gottfried –, und allsogleich war es behoben.

Jeden Herbst und jedes Frühjahr reiste Frau Finkenlohr auf zwei Tage in die Hauptstadt, einesteils um nach ihren alten Bekannten zu sehen, besonders aber, um für das nächste Halbjahr die nötigen Einkäufe zu besorgen. Da sie nun eines kleinen Uebels am Fuß wegen in diesem Jahr am Reisen verhindert war, so wurde beschlossen, daß ich fahren sollte und zwar mit Gottfried zusammen, der nun wieder in sein Gymnasium einrücken mußte und die gleiche Strecke reiste. Ein paar Tage vorher brachte Gottfried aus der Zeitung die Nachricht, daß am selben Abend im Hoftheater der Faust gegeben werde; die Großmutter schenkte uns beiden das Geld dazu, und Gottfried bestellte strahlend die Karten.

In einer Frühe zogen wir los; Gottfried trug in einem Köfferlein mein schönes Kleid in Seidenpapier eingewickelt, auch ein Paar anständige Schuhe und für jeden von uns etliche Vesper; das Textbüchlein aber hielt er in der Hand und ließ es nimmer von sich. Frau Finkenlohr schaute im Morgenkittel aus ihrer Schlafstube, trug uns viele Grüße auf an das Bäslein Babett, bei dem wir nächtigen mußten, und wir sollten es doch bei Leib nicht vergessen, vom Unterland ein paar Traubenblätter zu den Rebhühnern mitzubringen, die sie übermorgen braten wolle.

Es war uns auf dieser ganzen Reise feierlich und still zumut; wir sprachen kaum, und je näher wir der Hauptstadt zufuhren, desto mehr wuchs in uns eine leise Bangigkeit vor dem Abend, und es war gut, daß wir keine übrige Zeit zum Drübernachdenken hatten, denn es gab vollauf zu tun, bis wir die verschiedenerlei Einkäufe und Besorgungen erledigt hatten. Gottfried trabte in unendlichem Vergnügen mit mir durch einige Läden; wir kauften eine neue Kaffeemühle und ein Bügeleisen, einen Ersatzteil zu Frau Finkenlohrs künstlichem Gebiß, sowie ein Röslein auf ihren Kapotthut und graues Fersengarn zu ihren Strümpfen, auch vergaßen wir die Kimmichküchlein nicht und die berühmten Schützenwürste des Metzgers Eichenwolf. Als wir noch die Traubenblätter hatten und endlich zu dem alten Bäslein kamen, erfüllten uns die festlichen Vorbereitungen, die sie uns zu Ehren traf, mit steigender Heiterkeit, darin vollends unser bängliches Herzklopfen auf ein paar Stunden unterging.

Das Jüngferlein hörte nimmer gut, und trotz einer ungeheuren Brille sah sie auch nimmer recht, – und sie hatte uns zum Empfang einen wunderbaren Tee gekocht; mit Vanille und Zimmet gewürzt, damit er doch ja recht gut wäre. Doch habe ich sie im Verdacht, daß sie infolge ihrer Kurzsichtigkeit statt des Zimmets ein anderes Gewürz erwischt hatte, denn der Tee schmeckte abscheulich. Da sie es uns aber tödlich übel genommen hätte, wenn wir ihn verschmäht hätten, ihn selbst auch ausgezeichnet fand, verlebten wir nun auf dem geschnörkelten Kanapee eine ergötzliche Stunde; das Bäslein trippelte ab und zu; war sie bei uns in der Stube, unterhielten wir sie mit Eifer und taten, als ob wir darüber das Trinken vergäßen – ging sie hinaus, berieten wir, wie man das seltsame Getränk am ehesten hinunter brächte; probierten bald kleine, bald große Schlücke, hielten auch beim Trinken die Nase zu, und schließlich nahm Gottfried ritterlich meine Tasse und begoß damit die Geranienstöcke vor dem Fenster, ehe die Alte wieder eintrat.

Unter großer Heiterkeit kleideten wir uns dann fürs Theater an, als ich mir vor des Bäsleins blindem Spiegel die Haare frisch aufsteckte, stand Gottfried am Fenster und las mir noch einmal den Prolog vor; da kam die feierlich bange Erwartung doch wieder. Die Base geleitete uns alsdann bis vors Haus, befürchtete, daß sie nimmer wach wäre, wenn wir heimkämen und gab uns den Hausschlüssel mit.

In den Straßen war eine seltsame Schwüle; der Sommer hatte seine Hitze noch einmal in einem sengenden Tage zusammen getan; am Himmel sah es aus, als ob's ein böses Wetter gebe. Wir gingen ganz still durch die Straßen und Plätze und die breiten Staffeln des Theaters hinauf, saßen dann stumm und tief beklommen, bis das Haus sich füllte und der Vorhang aufging.

Dann kam der Faust. Und indes von der Bühne der Gewaltige in seinen göttlichen Worten zu uns redete, jeden Kummer mit tiefen, leuchtenden Farben tränkte und was schmerzvoll war, vergeistigt und voll Süße und stiller Schönheit erscheinen ließ, alle Freude aber schäumend und vertausendfacht, – indes der Mächtige alles, was scheu, verschleiert und dunkel in uns war, zerriß und zerbrach, daß wir nackt, wissend und plötzlich in schmerzhaft blendendes Licht gestellt, vor einander waren, und doch von seiner lohenden, göttlichen Flamme erfaßt, in seligem Jubel uns zu seinen Höhen hinreißen ließen, – indes Szenen, Menschen, Schicksale an uns vorbeizogen und die abendlichen Stunden füllten, wandelte es sich in uns; wozu es sonst vielleicht Monate und Jahre gebraucht hätte, war nun in ein paar Stunden geschehen. Unsere Liebe war uns mit einemmal bewußt, körperhaft, nahe und groß geworden, und wir selber vermeinten, reif und andere Menschen zu werden.

Nach dem letzten Akt wurden die Lichter hell. Zitternd riß mich Gottfried empor, und wir liefen schnell durch das Haus; hinter uns brachen Lärm, Gedränge und Gelächter aus den geöffneten Türen; als wir aber die breiten Stufen ins Freie hinab schritten, heulte uns durch schwarze Nacht ein tobender Sturm entgegen, gleißendes Feuer schlug auf uns herunter, verzuckte wieder und die Nacht war noch finsterer, noch schauerlicher darnach.

Da war der alte Stadtgarten; unter Donner und kaltem prasselndem Regen liefen wir tief in das Dunkel der Büsche und hohen Bäume hinein. Erst hasteten noch eilige Menschen gleich flüchtigen Schatten an uns vorbei, dann waren wir allein. Zitternd und stumm vor Erregung hielten wir uns an den Händen; im sprühenden Flammen der Blitze sah ich zu Gottfried auf; sein blasses Gesicht war voll Farbe und Bewegung, und seine Augen so glänzend und schön, wie ich es nie mehr gesehen habe.

Dann standen wir in Blitz und Getöse, hielten einander umschlungen und waren rasend und trunken vor Liebe und Leidenschaft. Gottfried bedeckte mein Gesicht, meinen Hals und meine Brust mit Küssen, und ich hing zehrend immer wieder an seinem Munde. Wir nannten uns bei unseren Namen und stammelten Liebesworte, und nahm uns Sturm und Donner die Stimme von den Lippen, so schrien wir's stöhnend in das wilde Wetter hinaus. Und endlich, nach Stunden, als wir von dem lohenden Rausch gesättigt und müde waren, suchten wir durch die dunkeln und fremden Straßen, die voll kühlem, stürzendem Regen waren, unsren Heimweg zu des alten Bäsleins Wohnung.

Ich war die ganze Nacht froh und helle wach; die Base hatte mir in ihrer Schlafstube ein Bett gerichtet; lange saß ich aufrecht und unausgekleidet darauf; als ich merkte, daß jene wie ein Murmeltier schlief, zündete ich mir ein Licht an und ging damit in das Gaststüblein hinüber, wo Gottfried in erschöpftem Schlafe lag. Ich setzte mich an sein Bett, stellte das Licht daneben und sah lange in stummer, jubelnder Andacht auf den geliebten Jungen nieder. Das Stüblein war muffig und roch nach Mottenpulver, des Bäsleins Kerze brannte tief herunter, und es fror mich an den Füßen, der nassen Schuhe wegen; ich saß Stunde um Stunde und achtete es nicht. Brausender als je waren in mir die Ströme des Namenlos entfesselt, und zum erstenmal geschah es, daß ich ihnen in weiter, verschwindender Ferne, aber doch deutlich und feststehend ein Ziel gesetzt sah.

Als der trübe Morgen durch das Fensterlein kam, regte sich Gottfried und erwachte. »Bist du schon da!« sagte er voller Innigkeit, als er mich gewahrte; er ergriff meine beiden Hände und zog sie zu sich her. »Du, du Liebe.«

Und dann geschah etwas Seltsames: plötzlich standen seine Augen voll Tränen, er schlang seine Arme um meinen Hals und riß mich mit verzweifelter Wildheit zu sich herab, daß ich fast schrie vor Schmerz. Dabei zitterte er am ganzen Leib, stöhnte, schluchzte, und ich fühlte sein Herz durch die Decke des Bettes hindurch stürmisch schlagen.

Tief erschrocken hielt ich diesem Ausbruch stand und wußte mir nicht zu helfen. »Gottfried, Schatz, was machst du für Geschichten! Fehlt dir etwas, sag?«

»Nein,« schluchzte er; »aber – es ist – so – so viel – – ich ertrage es fast nimmer – – –«

Da nahm ich seinen Kopf an meine Brust und strich mit meiner Hand sanft und zärtlich drüber, und indem ich immer so fortfuhr und ganz leise war, wurde er ruhiger. Nach einer Weile lag er still und blaß und erschöpft da und lächelte mich an.

»Verzeih, Agnes! Es ist so mit mir durchgegangen.«

Dann lachte er voller Spott: »Das ist ein schöner Bräutigam, gelt! Kannst du denn mich noch lieb haben, wenn ich – so bin?«

»Ja,« sagte ich ganz ernst und sah ihn an, »gerade weil du so bist, deshalb habe ich dich lieb.«

Ich wandte mich ab, und es ging mir durch den Sinn, wie wunderbar es sei, daß nun dieser reine, glühende und schäumend junge Mensch mich liebe und zu mir gehöre, und als ich dies so recht erfaßte, geriet ich in eine so ungeheuerliche Seligkeit, daß es mir beinahe gegangen wäre, wie vorhin Gottfried.

– Wir faßten den Plan, daß Gottfried wieder zurück reise und den ganzen Tag noch mit mir zusammen sei, doch ohne daß die Großmutter es wisse; und wir freuten uns darüber wie die Diebe.

Die engen Häuser der Gassen drängten sich grau und steil vor unserem Fenster, wir beschlossen, noch ehe das Bäslein erwache, das Weite zu suchen. Ohne Scheu vor einander kleideten wir uns zusammen an; dieweil ich nachher die Betten und unsere Sachen in Ordnung brachte, war von Gottfried nichts mehr zu hören; als ich ihn suchte, fand ich ihn in der Küche, vor dem Herde sitzend und verzweifelt bemüht, mit dem Blasebalg der Base ein Feuer instand zu bringen.

»Ach, Agnes, ich wollte dir einen heißen Kaffee bringen; du mußt doch etwas Warmes haben, wenn du die Nacht nicht geschlafen hast. Aber es wird einfach nichts!« klagte er.

Mein Liebster mit dem Blasebalg aber wärmte mich mehr als des Bäsleins Rübenkaffee; lachend schrieben wir ihr noch ein Brieflein zum Hinterlaß und gingen eilig, um mit dem Frühzug noch fort zu kommen.

Vom Mittag an bis in den späten Abend trieben wir uns dann auf den Feldern fern vom Zinken herum; wir legten uns in eine Ackerfurche und sahen in den Himmel, der weit und helle über dem flachen Land aufstieg, und der herbstliche Sturm ging in mächtigen Stößen über uns weg. Wohl waren wir hungrig und voll Müdigkeit, spürten die Kühle des Sturms und die Härte der Erde und genossen doch die schwelgerische Lust, hier in der einsamen Weite Körper an Körper beieinander zu liegen, die Hände ineinander zu haben und uns Liebes zu sagen, ungemindert und kosteten sie aus bis zum letzten Augenblick.

 

Spät am Abend gingen wir zum Zinken hinüber; ich ließ Gottfried nicht fort, ohne daß ich nicht versucht hätte, ihm irgendwie etwas zum Essen zu verschaffen. Als wir ans Haus kamen, war alles schon stille, nur in der Küche brannte noch ein Licht, und wir sahen zum Fenster hinein. Frau Finkenlohr stand vor einer irdenen Schüssel und ließ einen Hefenteig an; und indes wir nun wie arme Sünder so in der einsamen Nacht draußen standen und die rundliche und zufriedene Alte in ihrer warmen Küche hantieren sahen, wie sie, eine weiße Schürze vorgebunden und die Milchpfanne samt einem großen Schmalzhafen zur Seite, ihren Teig klopfte, der ihr in mehligen Bärten von den Fingern hing, kam mich mit einemmal ein wunderliches Gefühl an. Ich bedachte mit Zaghaftigkeit und Kleinmut, wie unsere Liebe, die mir eben noch mächtig genug erschienen war, um alle Himmel zu stürmen, vor dieser soliden, tüchtigen und nahrhaften Welt der Großmütter und der Schmalzhäfen bestehen könne; und ich muß gestehen, daß mir jämmerlich dabei zumute war. Ich zog meinen Liebsten dicht zu mir her und sprach leise und eindringlich auf ihn ein.

»Gottfried, du mußt mir versprechen, daß du keinem Menschen etwas davon sagst, daß wir einander lieb haben; am wenigsten jemand vom Zinken und deiner Großmutter.«

»Wenn du es so willst, – ich kann schon schweigen.«

»Du mußt dir Mühe geben, daß du es nicht merken läßt, nicht wahr?«

»Ja.«

»Du mußt es mir schwören, Gottfried!«

»Ich schwöre es dir.« Und wir besiegelten es mit einem Kusse. Dann nahmen wir leisen und zärtlichen Abschied; Gottfried verschwand um die Hausecke, um unter meinem Kammerfenster zu warten; ich aber ging mit Geräusche zur Haustür hinein und in die Küche, wo es eine laute und herzliche Begrüßung gab. Die alte Frau wusch sich die Hände, hieß mich in ihre Wohnstube gehen und trug mir dort einen gehörigen Imbiß auf; sodann setzte sie sich zu mir, ich mußte essen, auspacken, vorrechnen, erzählen und Grüße ausrichten, und es wurde mir immer wärmer und bedrängter, wenn ich an den armen Jungen draußen dachte. Als ich auf der alten Kastenuhr sah, daß eine halbe Stunde um war, hielt ich es nimmer länger aus; ich wußte mir nicht anders zu helfen, als daß ich plötzlich eine große Müdigkeit heuchelte und ein schmähliches Gegähne auffahren ließ, mit den Augendeckeln klapperte und hie und da mit dem Kopf nickte wie die alten Weiber in der Kirche, worauf Frau Finkenlohr denn auch richtig hereinfiel und mich schleunigst auf meine Kammer schickte. Brot, Butter und Rauchfleisch gab sie mir mit hinauf, damit ich neben dem Auskleiden vollends essen könne.

Strahlend vor Freude kam ich mit meinen Schätzen in die Kammer und zündete zitternd mein Licht an, was von unten mit einem leisen Pfiff quittiert wurde. Glücklich schnitt ich die Brote, strich und belegte sie und wickelte sie mit ein paar Äpfeln, die ich noch oben hatte, sauber in einen »Oberländer Boten«. Dann löschte ich das Licht und ließ mein Paket an einer Schnur zum Fenster hinab, wo Der unten es in Empfang nahm. Wenn er nun musikalisch gewesen wäre, hätte er vielleicht irgend etwas leise gepfiffen oder gesungen; so aber – und es war der Sicherheit halber fast besser für uns, begann er, indem er vom Hause weglief, mit seinem weißen Sacktuch stumm und wütend und herzbewegend zu mir herauf zu wedeln, rund herum, schräg und auf und nieder. Der Hofhund schlug an, war aber alsobald wieder still, da er ihn kannte, und durch die dunkle und von einem leisen Sturm bewegte Nacht sah ich ferner und ferner das gespenstische Liebessignal zu mir heraufleuchten.

Gottfried schrieb mir oft; mir wurde Kammer und Haus zu enge, wenn ich seine Briefe las. Ich lief voll strömenden Jubels in Schnee und Sturm und Regen hinaus und schrie es leise in die tosenden Wetter und zu den einsamen, stöhnenden und windverwühlten Bäumen im Wald hinauf, wie lieb ich diesen Menschen hätte! Und ich barg den Brief an meinem Herzen, bis der nächste kam.

Auf Weihnachten wollte er kommen. Ich freute mich drauf wie ein Kind, tat alle Arbeit verkehrt und lief zitternd immer wieder auf die Landstraße hinaus, zu sehen, ob der alte Postwagen noch nicht käme. Und einmal kam durch den Schnee ein einsamer Mensch angestapft; ich lief auf ihn zu, und er war es, wir schrien auf und lagen einander in den Armen.

Es war in diesen Weihnachtstagen bitter, bitter kalt; wohl brannten in Küche und Fremdenstuben und Frau Finkenlohrs großem Wohngelaß mächtige Feuer, doch saßen wir beide in einer abgelegenen Kammer, wo der Sturm eisig durch Tür- und Fensterfugen fuhr. Wir bauten uns klappernd vor Frost in ein Nest von alten Strohsäcken, Pferdedecken, Bettstücken und wollenen Tüchern ein, hatten Handschuhe an und Pelzstiefel, und Gottfried brachte strahlend eines Abends noch einen wattierten Schlafrock des seligen Großvaters Finkenlohr für mich.

In jenen Stunden lasen wir zusammen Gottfrieds Lieblingsdichter, Hölderlin; – seine Gedichte, den Hyperion und aus dem Empedokles, und es geschah, daß Gottfried mit einemmal aufsprang und sich zornig aus dem warmen Wall losschüttelte, die Handschuhe voller Verachtung an die Wand warf und laut mit ausbrechender Begeisterung des herrlichen Dichters Worte mir vortrug.

Jeder Tag dieser Weihnachtsferien war, wiewohl es ein böses, trübes, stürmisches Wetter war, voll innerlichen Glanzes und voller Schönheit, so daß wir am Ende ohne Traurigkeit, fast gesättigt von Glück, voneinander schieden.

Nun muß ich aber, ehe ich weiter gehe, noch etwas von jenem Winter schreiben, – und von einer Liebe sagen, die mir damals aufging und gleich der zu Gottfried helle und leuchtend in mein Leben schien.

Bei jenem einen Verslein, das mir damals, an jenem Morgen eingefallen war, war es nicht geblieben; je und je, in einer Sturmnacht oder wenn ein Brief von Gottfried gekommen war und ich bewegt in die einsamen, verschneiten Felder hinaus lief, kam es, daß es mich plötzlich gleich einer feinen, aufreizenden Lust ergriff, stehen zu bleiben, Worte, Gedanken, Reime in mir auf und nieder steigen zu lassen und eigentlich ohne mein Zutun dann auf einmal einen Vers fertig zu haben.

Es ging mir dabei ein wunderliches Geriesel durch den Leib und war eine halb reizende, halb wonnige Spannung in mir; ich brauchte fast gar nichts zu tun oder zu denken dabei, nur jenem stille zu halten und mich von ihm überlaufen zu lassen; nachher, wenn es vorbei war und ich klar und ohne Mühe den Vers in mir wußte, war ich manchmal wirklich körperlich müde und leicht erschöpft.

Mit den so entstandenen Gedichtlein wußte ich nicht viel anzufangen; sie glichen jenem ersten, waren simpel und wenig gehaltvoll; manchmal schickte ich sie Gottfried, doch war es mir peinlich, daß er so viel Wesens draus machte, und später schloß ich sie alle in eine alte Zigarrenkiste.

Das Dichten selber aber wurde mir allmählich zum gesteigerten Genusse und zur leisen Leidenschaft. Ich sehnte mich darnach, daß jene fremde Macht wieder über mich käme und mich wegführte, obgleich ich nichts dazu tat, solches etwa künstlich wecken und herbeiführen zu wollen. Spürte ich aber, daß es über mich kommen werde, war ich entzückt, ging, wenn ich unter andern war, schnell abseits und kostete die rieselnde Lust voll geheimem Glücke aus, bis sie mich wieder verließ, und das Leben dünkte mich durch diesen neuen Reiz beträchtlich höher und wertvoller.