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Die Ströme des Namenlos

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Zuweilen hatte ich freilich eine unbestimmte Sehnsucht nach etwas, das hier auf dem Gottlosen Zinken nicht Brauch und Sitte war. Ich wußte es selber nicht so recht; aber es war etwa danach, ein schönes Buch zu lesen, von alter Zeit oder von fremden Ländern, oder eine feine, kluge Freundin zu haben, oder – wenn ich mich sehr hoch verstieg, einmal mit einem zu tanzen, der kein Bauernknecht war. Besonders packten mich solche Gelüste, wenn ich je und je einen Brief von den Geschwistern bekam. Meinem großen Bruder hatte ich zu irgend einem bestandenen Examen ein Stück Speck und einen saftigen Bauernkäs geschickt; nun sandte er mir zum Dank dafür eine Photographie, darauf er mit ein paar Freunden zu sehen war. Das waren feine und vornehme Leute, und es packte mich ein leiser Neid, daß er mit solchen zusammen sein durfte, ich aber eine Bauernmagd war, – und wir waren doch einer Mutter Kinder.

Die Regine war auf einem Lehrerinnenseminar; die Margret aber seit ein paar Jahren verheiratet. Er sei Buchhändler, ein gebildeter und gescheiter Mensch und spiele wunderbar schön Klavier; die Schwestern schrieben, die beiden seien ein prächtiges Paar; Kinder hatten sie auch und wohnten in einer Stadt, wo es sehr schön sei und sie viel Verkehr hätten.

Wenn ich solche Briefe las, wußte ich traurig, wohin meine Sehnsucht ging. Warum war ich nicht auch ein Mensch, der in einem solchen Leben mittun durfte, das mir sonderlich höher, inhaltsvoller und erstrebenswerter dünkte als das Dasein auf dem Gottlosen Zinken?

Doch waren solche Stimmungen selten und verflogen wie Wolken an einem heißen Sommertag. Die Gegenwart war zu selig und zu heiter, als daß man hätte lang an etwas Trübes oder Trauriges denken mögen. Das Leben war ohne Sorgen und so voller Wonnen jeden Tag, – was konnte man Schöneres tun, als schaffen und seine Kräfte spielen lassen, genießen, mittun und darin untergehen! –

Um die Weihnachtszeit kam eine Menge reicher Kurgäste auf den Gottlosen Zinken zum Schneeschuhfahren, darunter war ein Mensch, der sich merklich von den andern fernhielt. Er war auf sein Alter hin schwer zu schätzen und mochte etwa fünfunddreißig Jahre alt sein, ebensogut aber älter oder jünger. Er hieß Herr Bürger und war von Beruf Kaufmann, wenigstens stand im Fremdenbuch so, und seinen Lebensäußerungen nach schien er reich oder doch sehr wohlhabend zu sein. Er ging stets tadellos gekleidet, trug außerordentlich langes, sorgfältig glattgescheiteltes Haar, worunter ein regelmäßiges und hübsches Gesicht hervorsah. Es hatte einen guten, kindlichen Ausdruck, und es lag stets eine leise Müdigkeit und Trauer darüber.

Dieser Herr hatte mancherlei ausgesprochene Eigenheiten; kam ich des Morgens mit einer Schürze voll Scheitholz in sein Zimmer, um Feuer zu machen, so saß er stets am Tisch und schrieb in ein großes, schwarzgebundenes Buch. Dazu trug er einen himmelblauen Schlafrock, und man hätte ihn mit seinen langen Haaren und dem mageren, bartlosen Gesicht akkurat für eine alte Jungfer halten können. Wenn ich so nach Mädchenart meine Augen durch das Zimmer gehen ließ, entdeckte ich auf dem Nachttisch neben des Herren Bettstatt ein gleiches schwarzes Buch und dabei einen langen, schön gespitzten Bleistift und eine Nachtlampe. Es sah aus, als sei der Herr ein Gelehrter oder Dichter, der auf alle Fälle gerüstet war, wenn ihn etwa meuchlings bei Nacht ein guter Gedanke überfalle; für Diebe und Mörder aber, die das Gleiche zu tun pflegen, lag dicht daneben ein fürchterlicher Revolver, von dem ich stets hoffte, daß er nicht geladen sei. Ich hatte noch bei keinem auf dem Zinken ein derartiges Instrument gesehen, und es kam mir überaus merkwürdig vor, daß man sich hier so bewaffnen müsse.

Noch merkwürdiger, um nicht zu sagen, etwas erheiternd erschien mir eine Art von Ausstellung, die allmorgendlich auf der Kommode Herrn Bürgers prangte. Das war in peinlich genauer, unverrückbarer Anordnung eine Reihe jener Gegenstände, die ein anderer Mensch gleichgültig des Abends, wenn er zu Bette geht, mit seinem übrigen Zeug ablegt und denen er weiter keine erhebliche Achtung schenkt. Hier aber lag Morgen für Morgen unverändert außen links das seidene Sacktüchlein aus der oberen Jakettasche, in das man nicht schneuzt, zweitens das größere Sacktuch aus der Hosentasche, sodann ein zweiter Revolver und ein zweites, etwas kleineres Notizbuch, aber immer noch größer als die, die andere Leute mit sich führen. Dann kam die goldene Uhr mit geometrisch gerade liegender Kette, darnach ein Geldbeutel, ein Füllfederhalter, ein Feuerzeug und eine Taschenapotheke, und zur äußersten Rechten machte ein Abonnement der städtischen Straßenbahnen der Stadt Karlsruhe den Beschluß, und ich sann vergeblich, was ihm dieses wohl auf dem Gottlosen Zinken nütze.

Jeden Morgen ergötzte ich mich an der seltsamen Parade; kam ich später wieder hinauf, um das Zimmer zu machen, so war alles verschwunden, kein einziges Notizbuch mehr zu sehen, und Herrn Bürgers Zimmer unterschied sich in nichts von den andern, außer einer tadellosen Ordnung. Der Herr selber saß dann im Gehrock unten an einem entrückten Tischlein des Speisezimmers und las die Zeitung oder schrieb in sein geheimnisvolles schwarzes Buch.

Tagsüber ging er nicht etwa mit den andern spazieren oder zum Skilaufen, sondern blieb zumeist auf seinem Zimmer; und wenn ich klopfte, um nach dem Feuer zu sehen, saß er am Tische und schrieb unverdrossen weiter. Nur zuweilen, wenn die andern in den Wald abgezogen waren, vernahm ich aus seinem Zimmer das Spiel einer Geige, das mir fein lieblich dünkte. Ich hörte es gerne, stand manchmal eine Weile still vor seiner Tür, um zu lauschen und gewann den seltsamen Menschen darum fast ein bißchen lieb.

Nun hatte er bei Tisch eine Nachbarin, ein junges, hübsches Fräulein namens Söderblüm. Es war ein quecksilberiges, ausgelassenes Frauenzimmer, lachte und sang und tollte durchs Haus und führte die Leute an der Nase herum. Es war wirklich ein Unglück für den stillen Herrn, daß diese Person neben ihm saß. Sie plagte ihn mit allen Boshaftigkeiten, über die sie verfügte, hatte ihn beständig zum Narren und machte ihn vor den andern lächerlich. Besonders liebte sie es, bei Tische etwas fallen zu lassen, etwa ihren Serviettenring oder ihr Taschentuch, worauf er sich stets überhöflich hinunter beugte und auf dem Boden herumsuchte, daß er ihrs wieder überreichen konnte. Dabei hing ihm der ganze, strähnige Schopf seiner langen Haare über Stirn und Nase hinunter; wenn er sich erhoben hatte, versuchte er ängstlich und verschämt, die Sache in Ordnung zu bringen, aber es ward dadurch nur um so fürchterlicher. Mit der Mähne eines Mordbrenners oder Rebellen schaute er dann aus seinem guten und kindlichen Gesichte zaghaft umher und erregte jedesmal eine ungemeine Heiterkeit.

Mir tat er leid; wenn das Fräulein etwas hinunter warf, sprang ich jedesmal schnell herzu, um den bösen Zustand zu verhüten. Denn es schien mir oft, als sei Herr Bürger wirklich ein Dichter, der nun einmal mit seinen Träumen und Eigenheiten und seiner weltfernen Innerlichkeit nicht zu dem lustigen und geräuschvollen Leben der andern paßte, und dann war es doch übel angebracht, ihn deshalb zu verhöhnen und zum Narren zu haben.

Fräulein Söderblüm war auch sonst hinter ihm her; besonders, wenn er irgendwo mit einem seiner schwarzen Bücher erschien, ja, sie zog sogar mich in ihren mutwilligen Handel hinein. Eines Tags berief sie mich in ihr Zimmer, hieß mich schwören, daß ich niemand verrate, was sie mir jetzt sage, – wartete aber meinen Schwur gar nicht ab, sondern fing an, eifrig auf mich einzusprechen. Ich sollte versuchen, eins von Herrn Bürgers schwarzen Heften zu erwischen, um es dann ihr zu bringen; etwa, wenn der Herr einen Augenblick nicht im Zimmer sei oder sonst wie. Sie wolle mir verbürgen, daß sie alles auf sich nehme, er auch sein Heft unversehrt wieder zurück bekäme, und ich solle nicht die geringsten Unannehmlichkeit damit haben; hingegen versprach sie mir ein überreichliches Trinkgeld. »Wissen Sie, Kindchen,« sagte sie am Schlusse, »bei großen Dichtern muß man das immer so machen; nachher, wenn sie das Lob und den Ruhm haben, ist es ihnen selber recht, wenn man ihrer Schüchternheit ein wenig zu Hilfe gekommen ist.«

Nachher, als ich draußen war, drehte ich ihr eine lange Nase; ich zweifelte sehr, ob sie Herrn Bürger für einen großen Dichter halte, und ich war keinesfalls gesonnen, ihr ein solches Heft auszuliefern, auch wenn ich Gelegenheit dazu gehabt hätte; eher wollte ich selber einen Blick hinein tun.

Als es ihr nicht so gelingen wollte, suchte sich das schöne Fräulein nun aufs herzlichste mit Herrn Bürger anzubiedern, und eines Tages lud sie sich selber mit ihrer Schwester und einer Freundin zu ihm aufs Zimmer ein, worauf der arme Mensch in der Küche erschien und mit todestraurigem Gesicht einen Kaffee für vier Personen bestellte. Frau Finkenlohr schickte mich, für die Bestellung zu sorgen; ich freute mich darüber und ging mit einem Brett voll Geschirr und guter Sachen vergnügt hinauf in Herrn Bürgers Zimmer. Da saßen die Fräulein bei ihm am Tisch, taten schön mit ihm, lachten ihn mit silbrigem Geklinge an, schwätzten in lustigem Lärm alle durcheinander auf ihn ein und trugen Lockenhaare und seidene Kleider. Und dieweil ich ein weißes Tuch auf den Tisch tat, die Tassen hinstellte und später leise hin und her ging, die Herrschaften zu bedienen, verging mir sachte meine Fröhlichkeit, und es wurde immer stiller und trauriger in mir. Ich spürte mit wunderlicher Klarheit, daß ich den armen, einsamen Menschen lieb habe, und es wallte heiß und hoch in mir auf, etwas für ihn tun zu dürfen und ihm zu helfen. Und ich dachte mit Bitterkeit, daß die feinen Damen ja nur ihren Schabernack mit ihm hatten und ihn im Grunde verspotteten und auslachten; die aber durften um ihn sein, weil sie von seinem Stande waren, und es war ihr gutes Recht, seine Gesellschaft aufzusuchen und sich mit ihm zu unterhalten. Ich aber mußte daneben stehen und meine demütige Hingabe in mir unterdrücken, und es war mir wohl für immer versagt, ihm etwas Liebes tun zu dürfen, weil ich eine Bauernmagd und arm und ungebildet war.

 

Zum erstenmal seit langer Zeit erfüllte mich eine große und tiefe Traurigkeit; sobald ich konnte, stieg ich in meine Kammer hinauf, und es liefen mir heiße Tropfen auf die weiße Schürze hinunter.

Nicht lange darauf reiste Herr Bürger ab, früher, als er beabsichtigt hatte, und ich vermute, daß dies wegen Fräulein Söderblüm geschah. Ich bekam in den nächsten Tagen einmal ein Bild geschenkt, darauf alle Kurgäste photographiert waren und entdeckte darunter mit Freuden auch Herrn Bürger. Ich hob es auf und schaute es zuweilen an; auch dachte ich in den stürmenden Winternächten, da ich lange schlaflose Stunden auf meinem Bette lag, manchmal mit leiser Betrübnis noch an ihn. Als aber das Frühjahr anbrach und auf dem Gottlosen Zinken das schöne Leben wieder anging, hatte ich ihn ob dem vielen andern, das mein Herz erfüllte, sänftlich vergessen.

In den ersten Junitagen widerfuhr mir ein kleines Unglück; ich brachte den rechten Zeigefinger in die Futterschneidmaschine, und es war ein ordentlicher Schrecken. Das Blut lief wie ein Brünnelein, und mir wurde, als ich das fetzige Glied besah, übel und schwindelig zu Mut. Doch wurde ich alsbald in Frau Finkenlohrs Schlafzimmer in einen tiefen und weichen Großväterstuhl gesetzt, bekam ein süßes Likörlein zur Stärkung und, da mir vor dem Doktor graute, verband mich die alte Frau sachte und kunstgerecht mit einer weißen Leinwand. Die nächsten Tage vergingen mir in höchlich angenehmer Faulenzerei; zumeist saß ich, den Arm in der Schlinge, auf dem breitästigen Holzbirnbaum im Garten, dessen niedriger Stamm bequem mit einer Hand zu erklettern war, sah neidlos und mit geheimer Vergnüglichkeit die andern ihrem schweren Geschäft nachgehen, wohl wissend, daß ich bald genug wieder mittun könne, und las einen alten Kalender oder in Frau Finkenlohrs Kochbuch, – oder feierte so ins Blaue hinein.

Doch dauerte dies nicht lange; es wurde mir bald jämmerlich langweilig und ich hätte herzlich gern wieder mitgeschafft. Auch stand es mit dem Finger nicht gut; er wollte nicht recht heilen, begann zu eitern und tat mir weh.

In diesen Tagen kam der reiche Herr Bürger wieder auf den Gottlosen Zinken gereist, um seine Sommerfrische da zu verbringen. Er bewohnte seine alte Stube wieder und lebte genau wie im Winter; ich sah ihn aber kaum, da ich wegen des Fingers keine Gäste bedienen durfte.

Nun geschah es eines Nachmittags, daß Herr Bürger ins Dorf gehen wollte, um in der Kirche Orgel zu spielen, und Frau Finkenlohr bat, ihm jemand vom Gesind mitzugeben zum Bälge treten. Es war aber alles draußen beim Heuen und alle Kräfte aufs höchste angespannt, sodaß keine Fußzehe übrig war zu Herrn Bürgers unnützem Geschäfte. Da kam Frau Finkenlohr zu mir: ob ich nicht eine Stunde Orgel treten wolle; ich täte ihr einen großen Gefallen damit, weil sie den höflichen und ordentlichen Herrn nur ungern abgewiesen hätte. Ohne Besinnen sagte ich zu und lief alsbald an Herrn Bürgers Seite fort. Er wollte es erst nicht zulassen, daß ich mitging, weil ich ja verwundet sei und am End auch noch Schmerzen habe; als ich ihm aber lachend versicherte, daß man ja nicht mit den Händen Orgel trete, ich an den Füßen aber gesund sei und mich auf die Musik freue, nahm er's an.

Alsdann waren wir in der stillen, kühlen Kirche; das Licht floß in ruhigen Strahlen durch die dunkelfarbenen Fenster in den hohen Raum. Der Herr spielte, die Musik schien mir selig schön und erfüllte mit feierlichem und mächtigem Gewoge die Stille. Ich stand zunächst der Orgel auf einem schmalen Brette, schwebte langsam und sänftiglich auf und nieder und die strömende Schönheit erfüllte mich mit beklommenem Jubel. Dieweil ich aber mit Innigkeit auf Herrn Bürger herunter sah und gewahrte, daß sein dünnes Kittelein, das er der Hitze wegen trug, am Aermel vorne ausgefranst und ein wenig zerrissen war, auch am Kragen etwas fleckig, was wohl daher kommen mochte, daß niemand sich liebend um ihn kümmerte, als ich so von der Seite her sein müdes, trauriges Gesicht und seinen schon leise grau werdenden Kopf anschaute, da erfaßte mich eine tiefe Bewegung, ich konnte nimmer Herr drüber werden, und mit einemmale war in mir wieder die ganze glühende, stöhnende, todestraurige Liebe zu dem feinen Herrn wie ehedem bei jener Kaffeevisite.

Nun brach eine böse Zeit über mich herein. Jeden Tag ging ich mit Herrn Bürger ins Dorf zum Orgeltreten, und die stille, kühle Kirche wurde mir zum Orte stürmendster Not und Bedrängnis; Musik, dunkel glühendes Licht und meine junge, sich schmerzvoll bäumende Liebe rissen mir am Herzen in stöhnender Lust und Qual. Da stand ich, betörend nahe dem geliebten Menschen, auf meinem schwankenden Brettlein, zitternd vor sehnlicher Begier, daß ich den armen, müden Kopf hätte an mein Herz nehmen mögen und ihm Liebes tun.

Sprach er irgendwann mit mir in seiner gewohnten, freundlichen Weise, so schoß mir eine strömende Röte ins Gesicht, es machte mich schwach und elend, und oft wandte ich mich ab und lief davon, damit er nicht sähe, wie mir das Wasser in die Augen kam.

Ach, jene Liebe spielte mir übel mit; dazu wurde der Finger immer schlimmer, sah bös und dick und geschwollen aus und tat mir Tag und Nacht weh. Frau Finkenlohr meinte, man könnte nun allerhöchstens noch einen oder zwei Tage zuwarten, dann aber müsse ich zum Doktor. Wenn ich des Morgens in ihrem weichen Sessel saß und sie mich unendlich zart und behutsam und geschickt verband, dann mußte ich allen Willen zusammennehmen, daß ich nicht aufheulte und mich an ihre Brust warf und ihr das erzählte, wozu ich ihre Liebe und Zartheit noch viel nötiger gehabt hätte. Aber das durfte man nicht; man mußte alles allein ausfressen.

Sobald es dunkel wurde, fing es in dem bösen Finger an, ohne Unterlaß quälend, peinigend zu klopfen und mit einem stechenden Schmerz gegen den Unterarm hinauf zu ziehen. So ging es bis zum andern Morgen immerfort; aufs letzte hin waren es schlimme, schlimme Nächte. Ebenso unaufhörlich aber, glühender und böser trieb die Liebe mit mir ihr stummes grausames Spiel. Es wäre mir Seligkeit gewesen, im Dunkeln an seine Stube zu gehen und gleich einem Hund, wie damals bei Frau Gunhild, vor seiner Türschwelle zu liegen, und ich hätte dann viel Schmerzen nimmer gespürt. Und doch, wenn ich nur an so etwas dachte, so schüttelte mich die Scham und ekelte mir vor mir selber. Schlaflos lag ich auf meinem Bette, warf mich gequält hin und her und sah Herrn Bürgers Gesicht mit hohnvoller Deutlichkeit vor mir schweben, spürte Gewalten in mir, die ihm hätten helfen mögen und ihm Ströme von Liebe schenken und durch tausend Feuer für ihn gehen. Und ich durfte es ihm mit keinem Blicke zeigen!

Dann sprang ich auf und rüttelte in blinder Wut an meinem Türpfosten und biß die Zähne in das harte Holz, daß ich nicht schrie vor Traurigkeit. Höhnisch erschien vor meinen Augen jener Abend am Flusse, da ich gemeint hatte, auf alles ein Sprüchlein zu finden und mein Herz gefeit zu haben gegen jegliche Not und Verzweiflung; und nun war die ganze Weisheit zerronnen wie Nebel, ich war trauriger und verzweifelter als je, suchte vergebens nach einem Sinn, nach einem Funken von Erhabenheit und Größe in diesem hündischen Elend. Die Natur, die mir damals voller Liebe ihr unverhülltes Gesicht gezeigt hatte, blieb mir heute stumm und fern; vor meinem Fenster hing die Nacht, schwarz, tot, reglos, ohne Stürme, ohne Sterne, und es war alles blind und blödsinnig.

So trieb ichs die langen, schweren Nächte hindurch, stöhnte, weinte und litt Schmerzen, und es kam kein Schlaf in meine Augen. Am Morgen lag ich erschöpft und zerschlagen auf meinem Bett, und in allem Elend und in aller Müdigkeit war mir gleichsam als bitterer Trost das eine bewußt, daß es so nicht lang mehr weiter gehen könne, weil ich am Ende meiner Kraft sei; auch war eine lauernde Spannung in mir, wie dies alles wohl ausgehe und sich lösen könne.

Als sich Frau Finkenlohr etwa am achten Tage, da Herr Bürger wieder im Hause war, in der Frühe beim Verbinden meinen Finger besah, meinte sie, es sei nun soweit und ich müsse anderntags zum Doktor in die Stadt, und als ich nach dem Mittagessen müde und verheult in der Küche hockte, schickte sie mich in meine Kammer; ich solle zu schlafen versuchen, Herr Bürger gehe heut nicht zum Orgeln.

Stumm lief ich aus der Küche; vor der Kammer aber graute mir, als warteten dort alle Nöte meiner nächtlichen Kämpfe auf mich; so stieg ich denn im Garten auf meinen Birnbaum und geriet in einen wunderlichen reglosen Dämmerzustand, da ich vor Müdigkeit wie betäubt und doch zum Schlaf zu unruhig, gequält und zu traurig war; nur eins war mir klar bewußt, – daß es bald irgendwie ein Ende geben müsse.

Aus diesem dumpfen Hindämmern weckte mich am späteren Nachmittag ein Geraschel im Laub des Gartens unter mir; hinabspähend gewahrte ich Frau Finkenlohr in der blauen Schürze, wie sie geruhsam auf dem Boden hockte und ihre Erbsen an Stöcklein band. Ihr grauer Scheitel sah durch das Grün herauf; ich hielt mich aber lautlos stille, und als ich sie so vergnügt und mit Behagen ihre Arbeit tun sah, ergriff mich ein Gefühl von Neid und Bitterkeit, und es gelüstete mich, ihr eine der harten Holzbirnen an den Kopf zu werfen, – zu sehen, ob auch sie einmal aus ihrer über alles erhabenen Gelassenheit und ihrem vergnügten Frieden zu bringen sei.

Nach einer Weile kamen Schritte den Garten herauf; es war Herr Bürger; er gesellte sich zu Frau Finkenlohr und fing ein Gespräch mit ihr an. Und als sie mit ihren Erbsen fertig war, ging er mit ihr weg, dem Haus zu.

Blöde stierte ich auf den Fleck hinab, wo die beiden gestanden waren; plötzlich aber wurde ich rot und blaß und beugte mich zitternd vor. Wahrhaftig, da lag auf dem Gartenweg Herrn Bürgers schwarzes Schreibheft; es war dasselbe, in das er noch am Vormittag an einem Tisch im Garten hineingeschrieben hatte, und es mußte ihm entfallen sein, als er vorhin seine Nase geputzt hatte.

Und schon stieg ich an allen Gliedern bebend von meinem Baum herab; ich mußte es haben, ich hatte mir durch meine Liebe tausend schmerzliche Rechte dran erworben. O, seine Gedichte, – seine geliebten Gedanken und Träumereien!

Ich war unten, spähte herum, ob mir niemand zusähe und stieg dann schnell mit dem Heft wieder in die Höhe. Stöhnend preßte ich es an mein Herz. Dann schlug ich mitten drin auf und las.

»– – Projekt: Ausflug nach Unterbutzenbach. Wecker geht 5 Uhr 30 herunter. Sofortiges Aufstehen. Blick aus dem Fenster: Schnee. Westliche Hälfte des Himmels etwas bewölkt, östlich jedoch klar. Sterne. – Toilette. Zahnputzwasser etwas zu kalt, was jedoch zu entschuldigen ist, da Bedienung eine Stunde früher aufstehen mußte. Aus dem Kamm bricht ein Zinken; nach dreiwöchentlichem Gebrauch schon der zweite. (Kamm wurde bei Umschneider & Co., Blumenstraße 7, gekauft; genannte Firma ist also künftig zu ignorieren.) Vorbereitungen; an Mundvorräten: ......«

Blaß und verstört blätterte ich vorwärts; das konnte doch wohl nicht das rechte sein. Ich las an einer andern Stelle des Hefts.

»– – – Mittags 12 Uhr 40. Fräulein Söderblüm erscheint in einem gemusterten Kaschmirkleid. Muster: grünlichblaue Quadrate mit gelblichweißem Grund. Darüber weiße Sportjacke. Mittagessen. Ausgezeichnete Nudelsuppe; Schweinskotelette, schwach geschätzt etwa 12 auf 15 Zentimeter groß – – – –«

Das Buch entfiel meinen Händen, kollerte durch den Baum hinunter und blieb auf dem Wege liegen.

– – – Es wurde Abend; längst hatte Herr Bürger sein Heft wieder geholt. Der Himmel überzog sich trübe, und es fing zu regnen an. Ich saß noch immer mit krampfig steifen Gliedern auf meinem Baum, einen schweren, blöden Druck im Hirn. Als der Regen stärker kam, ging ich willenlos vom Baum herunter und wollte ins Haus zur Abendsuppe, da mir schwach und elend vor Hunger war. Und da fing in meinem Innern etwas an, in einem solch starken und wunderlichen Gewoge auf und nieder zu gehen, wie ich es nie mehr in meinem Leben verspürt habe; Scham und schüttelnde Heiterkeit, Glück, Erleichterung und tiefe Beklommenheit liefen mir in mächtig bewegten Wellen durch die Seele, und ich vermochte kaum dem tollen Wirbel standzuhalten und die Augen noch offen zu haben und weiter zu gehen. Aus Frau Finkenlohrs Schlafstube schien ein helles Licht in die Nacht hinaus. Da saß sie wohl und wartete, daß ich wie allabendlich zum Verbinden hinaufkäme. Ach ja, ich wollte zu ihr; es dröhnte mir im Kopf, in Schwindel und Schwäche kämpfte ich mich die Treppe hinauf, droben brach ich in ihren Armen zusammen und wußte nichts mehr von mir.

Als ich wieder zu mir kam, lag ich in Frau Finkenlohrs Bett; sie beugte sich über mich, sagte, ich hätte Fieber und ließ mich an jenem Abend nimmer von sich. Sie zog mir sachte die Kleider aus, brachte mir zu essen, und gab mir ein Schlafmittel. Auch ließ sie mich in ihrem eigenen Bett liegen; sie selber rüstete sich daneben ein Lager, und als ich ihr ruhiges und heiteres Schnarchen hörte und das wohlige Gerüchlein ihrer Kissen spürte, verwogten allmählich die hohen Wellen in meinem Gemüt; es ergriff mich das Gefühl eines ungeheuerlichen Erlöstseins, und in einer Müdigkeit ohne Grenzen schlief ich trotz der quälenden Schmerzen in meinem Finger schnelle ein.

 

– Am andern Morgen ließ Frau Finkenlohr anspannen und fuhr mit mir zum Doktor in die Stadt. Es war schlimm, und ich mußte eine Zeitlang dort bleiben.

Dann, an einem frühen Morgen machte ich mich wieder auf den Heimweg nach dem Zinken. Und es geschah, daß ich mich veratmend an den Wegrand setzte. Es war ein kühler, wolkiger Morgen; man wußte noch nicht, wollte der Tag schön oder trübe werden. Der Sturm hatte eingesetzt und lief mit mächtigem Wehen über das weite, flache Land. Und dieweil ich so in der tiefen, bewegten Einsamkeit saß und mein Herz voll einer seltsamen Trauer und großer, unverbrauchter Liebe war, löste sich's in mir langsam, wurde zu Worten und Reimen, und es war mir dies seltsam tröstlich. Es hieß so:

 
So oft auch der Sturm mit Toben
Uebers Land hingeht, –
Er ist noch immer zerstoben
Und müde verweht.
 
 
Die Ströme ziehen mit Brausen
Und mächtig daher;
Und müssen doch alle draußen
Verrinnen im Meer.
 
 
– Meine Liebe steht unaufhörlich
Voll Sehnsucht und groß,
Glüht ungestüm und begehrlich –,
– Und wird doch bloß
 
 
Gleich Stürmen und rauschenden Flüssen
Irgendwo still
Verwehn und verrinnen müssen,
Weil niemand sie will.
 

Als ichs am Abend aufschrieb, kam Frau Finkenlohr dazu. In einer plötzlichen, seltsamen Anwandlung schenkte ich ihrs. Sie las es, meinte, es sei schön, bloß wäre es nicht gut zum Singen. Sodann bedankte sie sich und schloß es in ihre Schatulle.