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Die Ströme des Namenlos

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Unterdessen waren wir in dem Betsaal angekommen. Es waren viele, fast lauter ältere Leute da und eine üble Luft darin. Erst war noch von der Tür her ein großer Spektakel mit den Regenschirmen; dann fing jemand an, Harmonium zu spielen, und man sang ein Lied mit vielen Versen. Hierauf bestieg ein Bruder das Känzelein, betete, las aus der Bibel und redete darüber. Er sagte ziemlich wohlgesetzt und mit priesterlichen Gebärden etwa das, daß Mühe und Arbeit mit nichten am Schlusse dieses Lebens ein Ende hätten, sondern daß im Gegenteil droben im Himmel das Schaffen und Sichregen und Wirken noch viel gewaltiger los ginge, und ein jeder im Weinberg des Herrn und Reiche Gottes Tag und Nacht und ohne Ende arbeiten müsse zu des Höchsten Lob und dergleichen mehr. Und die müden und verhärmten Gesichter der Frauen wurden noch viel müder und verhärteter und trüber dabei und senkten sich traurig vornüber. Manche Köpfe fingen an zu nicken, und ich ärgerte mich heillos über den Kerl. Nach ihm kam einer und erzählte seine Bekehrung, die mir überaus verlogen vorkam. Und indem ich schon mit Langeweile und Ungeduld auf den Schluß wartete, stieg noch einer auf das kleine Pult, und plötzlich schämte ich mich, der Aerger und die Langeweile waren weg, und ich spürte, daß es um des Gesichtes dieses einen willen wert gewesen sei, hierher zu kommen.

Der Mann mochte etwa vierzig Jahre alt sein oder älter und war von nicht sehr großer, untersetzter Figur. Sein Gesicht war ein wenig bleich und so, wie man die Heilandsgesichter gemalt sieht, ernst, gut und sanft und mit einem kräftigen, dunklen Bart. Die Augen waren groß und braun und dabei so himmelgut und gesättigt von einem inneren Glanze, wie ich's vermeinte, noch nie gesehen zu haben. Mit Scham und doch mit Freude sah ich zu dem Manne auf, und es wurde mir unter seinem Blick seltsam wohl und ruhig. Ueber was er sprach und ob er gut sprach, kann ich nicht mehr sagen. Als ich mich zusammenriß und darauf aufpassen wollte, ging er eben wieder herunter.

Dann sagte einer: »Wir wollen noch einen Seufzer beten!« worüber ich lachen mußte, man sang ein Lied und dann war es aus.

Ganz unter dem Banne der guten braunen Augen ging ich an Genovevs Seite heim; ich beschrieb ihr den Mann und befragte sie, konnte aber nur erfahren, daß er Roth heiße, Kanzleigehilfe sei und am Entengraben wohne. In meiner Bewegung und Begeisterung versprach ich Genovev, das nächstemal wieder mitzugehen, was sie überaus gnädig aufnahm.

Als ich nun wieder und auch noch ein drittesmal in die Betstunde ging, war der Mann wohl da, und ich konnte zwischen vielen Leuten hindurch seinen dunkelhaarigen Kopf mit dem bäuerlichen Nacken sehen; jedoch sprach er nicht und ging am Schlusse schnell aus dem Saal.

Betrübt machte ich mich an jenem dritten Abend auf den Heimweg. Genovev war diesesmal nicht mit, und da es so schön und sommerlich und dämmerig war, machte ich noch einen Umweg durch ein paar stille, entlegene Gassen. Nach einer Weile hörte ich Schritte hinter mir und dann neben mir hergehen, und als ich den Kopf ein wenig zur Seite wandte, erkannte ich meinen Braunäugigen; er hatte wohl noch irgend etwas besorgt oder mußte aufgehalten worden sein. Er grüßte mich, wie es unter Stundenleuten so der Brauch war und mochte wohl bei meinem Gegengruß die herzliche Freude gesehen haben, denn er verlangsamte seinen Schritt, ging neben mir her und fing ein freundliches, allgemeines Gespräch mit mir an. Als wir eine Weile so gegangen waren, sagte ich ihm, daß ich die letzten Male vergeblich drauf gewartet habe, ihn sprechen zu hören und wann er es denn wieder tue.

»Ich werde überhaupt nimmer sprechen,« sagte er, und als ich ihn erstaunt um den Grund fragte, sah er mich einen Augenblick prüfend und mit einem ganz leisen Lächeln an.

»Wenn Sie Interesse dran haben, dürfen Sie es schon wissen. Bloß, – ich kann mich nicht aufhalten; meine Frau ist im Wochenbett, – es ist unser drittes Kind, – und sie wartet auf mich. Aber vielleicht haben Sie Zeit, mich ein Stück zu begleiten?«

Ich sagte gerne und dankbar zu und lief an seiner Seite weiter durch den warmen, stillen Abend. Er schwieg eine Weile, dann fing er an.

»Ich muß mich eigentlich schämen, daß ich zweiundvierzig Jahre alt geworden bin und viele, viele Male in der Stunde gesprochen habe, ehe ich zu dieser anderen Erkenntnis gekommen bin. Nun wissen Sie, ich bin vor ein paar Monaten krank gewesen und mußte viel liegen, da hatte ich Zeit, um über all das so recht nachzudenken. Und seither ist es allmählich anders mit mir geworden.

Sehen Sie, wenn einer in der Stunde spricht oder Stadtmissionar wird oder zur Heilsarmee geht oder auch nur einen Beitrag gibt zu einem Kirchenbau, so tut er es doch im Grunde deshalb, weil er die Menschen ein wenig besser machen möchte und sie mehr zum Guten bringen, auch, weil er innerlich das Bedürfnis dazu hat und es ihn froh macht, für das Reich Gottes etwas tun zu dürfen. Und wenn man das nun ehrlich und genau bedenkt, sieht man, daß es fast ein Hohn ist, wie wenig dabei heraus kommt und wie wenig man in Wirklichkeit mit diesem nützt und an den Menschen fertig bringt. Ach, so furchtbar wenig; und als ich so darüber nachgedacht habe, hat es mich namenlos traurig gemacht.

Nun habe ich das alles auf die Seite getan. Ich will zu keinem Menschen mehr sagen, er soll gut sein und in die Kirche gehen und ein Christ werden; ich will von jetzt an über das alles schweigen und alle Kräfte und alle inneren Triebe nur noch dazu anwenden, selber ein rechtes Leben zu führen, gut zu werden, und so wenig als möglich dazu und davon sagen. – Sie meinen, ich sei doch schon seither ein guter Mensch gewesen? Ach, nur so im Sinn der Leute und im ganz, ganz Groben. Wenn man das richtig machen will, dann hat man ganz unendlich viel zu tun und fleißig zu sein und an sich zu arbeiten, die dreißig oder vierzig Jahre, die ich, wenn's gut geht, noch zu leben habe, werden mir kaum dazu reichen. Sie dürfen ja nicht meinen, daß das immer so leicht sei, so auf die rechte Art sein Leben zu führen; es wird einem manchmal so schwer, daß man an sich verzweifeln möchte; freilich macht es einen dann nachher froh und glücklich, – o, man kann nicht sagen, wie. Und das dürfen Sie auch gewiß nicht denken, daß ich etwa meine, ich könne auf diese Art gerecht und sündenfrei werden; ach nein, man braucht Christi Gnade immer noch haufenweis' dazu. Ich spüre es jeden Tag, daß ich kein Heiliger werde; bloß so gut und tüchtig, wie es ein Mensch auf dieser Erde erreichen kann, möchte ich werden.«

Herr Roth war eine Weile still und schien sich zu besinnen. Dann fuhr er langsam fort:

»Sie und die meisten anderen Menschen werden das sonderbar finden, – ich glaube aber ganz fest daran, daß keine Mission und Betstunde die Welt besser macht, sondern das stille und gute Leben der Einzelnen. Und ich weiß es ganz gewiß, daß ich als armer und einfacher Mann, auch wenn ich die Gabe habe, zu reden, nichts tun kann was besser und wertvoller wäre, als mit einem festen Willen und mit Gottes Hilfe zu versuchen, ein rechter und guter Mensch zu werden.

Und sehen Sie, es führt am Ende doch noch eine Brücke zu den anderen Menschen. Wenn meine Frau jeden Tag sieht, wie ich lebe und wie es mich froh macht, so gefällt es ihr vielleicht, und sie versucht es auch. Wenn wir nun unsere Kinder so in unserem Sinne erziehen, und sie ererben und sehen von uns nichts als Gutes und Lauteres, so werden vielleicht auch sie fest darin, und wenn am Ende meines Lebens dann doch durch mich auch nur zwei oder drei gute und frohe Menschen in der Welt wären, so wäre ich unsäglich glücklich.«

Unterdessen waren wir vor Herrn Roths Haus angekommen; es war ein kleiner Garten davor, und als ich die prachtvoll blühenden Rosen bewunderte, meinte er: »Ich möchte Ihnen gern ein paar davon schneiden; wenn Sie derweil meiner Frau Grüß Gott sagen wollen, so wird es uns freuen.«

Er ging mit mir hinein, die Kinder sprangen uns entgegen, und in einem weißen Bett lag eine saubere und vergnügte Frau und hatte ein winzig Kleines an der Brust. Ich gab ihr die Hand und bestaunte das Kindlein; wir sprachen ein wenig miteinander und merkten sogleich, daß wir einander verstanden und schon gleich ein bißchen lieb gewannen. Als dann Herr Roth mit den Rosen kam, luden sie mich ein, bald einmal wieder zu kommen, und ich versprach es Ihnen und wunderte und freute mich.

Dann ging ich durch den immer leise hellen Sommerabend heim; die warme Luft war je und je voll einem starken und süßen Geruch aus den Gärten, und indem ich über den seltsamen Menschen nachdachte, meinte ich, dies alles schon einmal gehört zu haben, bloß viel kürzer und noch schöner, dann fiel es mir ein und daß es mit Gottfried zusammen in den schönsten Stunden meines Lebens gewesen war, und zu Hause schlug ich es auf und las es:

 
»Reines Herzen zu sein,
Das ist das Höchste,
Was Weise ersannen,
Weisere taten.«
 

– Das Erlebnis jenes Abends war mir ein mächtiger Antrieb und zündender Funke in die Pläne hinein, die ich mir für mein Leben ausgedacht hatte; es freute mich, daß ich immer noch etwas dazu erfuhr und kennen lernte, wie ich dieses reich und fein und wertvoll machen könne. Ich probierte es auch zwei Tage lang, so ganz gut und richtig zu leben, wie Herr Roth es mir geschildert hatte; aber im Gedränge und in den Sorgen des dritten Tages ließ ich es wieder fahren. Doch hatte ich immerhin etwas von dem süßen und frohen Frieden geschmeckt und legte mir Herrn Roths Lebensplan und Weisheit gleichsam zurück, bis ruhigere Tage kämen, als einen Schatz, den mir niemand stehlen und den ich jederzeit nach Bedarf benützen könne.

In die Betstunde ging ich nimmer, wohl aber des öfteren zu meinen neuen Freunden am Entengraben. Ich spürte, daß es nichts Verläßlicheres gab, als diese beiden Menschen; ich kann nicht sagen, daß wir sehr interessante Gespräche mit einander geführt hätten oder daß ich mir viel geistige Anregung dort geholt hätte, aber wenn ich nach einem bewegten und sorgenvollen Tag eine Viertelstunde unter dem Blick der milden braunen Augen saß, fiel eins ums andere von dem was mich plagte weg, und es wurde mir sonderbar leicht und wohl. Herr Roth war ein stiller, ernster Mensch, er sprach nicht viel und war eher zum grübeln und sinnieren geneigt; dagegen war seine Frau von einer überaus warmen und gütigen Fröhlichkeit und wenn auch bei weitem nicht so klug wie ihr Mann, viel mehr geeignet zum Helfen und zum Trösten und einem etwas Liebes tun. Trotz aller Frömmigkeit verfiel sie gelegentlich in eine kleine Neckerei mit ihrem steifen und schwerfälligen Mann, die überaus ergötzlich anzuhören war. Er hing mit fast zu großer Liebe an ihr, einmal klagte er mir, er könne den von ihm angestrebten Grad von Reinheit und Frömmigkeit nie erreichen, da er seine Frau mit solcher Glut und Leidenschaft liebe, wie es Gott unmöglich gefallen könne.

 

An einem Abend kam ich zu ihnen, als sie eben am Essen saßen; die Frau hieß mich mit fröhlicher Herzlichkeit willkommen, holte einen Stuhl und belud mir einen Teller mit Gemüse und Kartoffeln. Ich tat mit, und während dem Essen versprach sie sich ein übers anderemal, indem sie mich duzte und sich zwar gleich darauf verbesserte, mich aber so lieb und neckisch dabei ansah, daß man ihre Absicht merken konnte, und am Ende gestand sie's freimütig, sie und ihr Mann hätten mich gern und würden sich freuen, wenn ich gute Freundschaft mit ihnen halte und zu ihnen beiden von jetzt an Du sagen wolle.

Ich war froh darüber, so eine gute und friedliche Heimat gefunden zu haben, und war den lieben Leuten von Herzen zugetan. So klar und einfach ihr Wesen war, blieb es mir doch noch lange merkwürdig, und zum Hochachten und Bewundern ist es mir noch heute. Sie stammten beide von Bauersleuten, doch besaß Herr Roth einige Bildung und hatte als junger Mensch viel gelesen und gehört. Er saß auch jetzt noch gerne des Abends über einem Buch, doch war es mir befremdlich, wie gänzlich unwichtig und unnötig ihm alles dieses zum Leben schien und wie undenkbar es ihm war, daß solches einen wahrhaft glücklich machen und erfüllen könne; gleichwie er alles Schöne auf der Erde gelten ließ und, wo es ihm beschert war, mit dankbarer Freude hinnahm und doch in jeder Stunde bereit war, es mit fast derselben Freude wieder zu verlieren und hinzugeben.

Wenn ich mit diesen Leuten von meinem Leben sprach, erschien es mir, als ob viel Gutes und Schönes darin gewesen sei. Ich sagte ihnen viel von meiner Mutter, nach der sie immer wieder fragten, und auch von Elsbeth und der schönen Gunhild und Frau Finkenlohr; sie verstanden mich und hörten es gern, wenn ich erzählte. Und es war sonderbar, mit diesen beiden, die doch für eng und strenge rechtlich galten, konnte ich von meiner Liebschaft und sogar von jener wunderbaren Nacht sprechen, und sie verurteilten mich nicht, sondern gaben mir die Hand und waren lieb und zart mit mir. Vielleicht spürten sie die echte Liebe, die dahinter stand.

Ich muß nun leider berichten, wie ich in der frömmsten Zeit meines Lebens und da ich den besten Umgang, das beste Beispiel und die besten Vorsätze hatte und eben im Begriff stand, mich zu einer halben Heiligen emporzuschwingen, einen ganz greulichen Fall und Absturz tat, und wie der etwaige Stolz auf meine Tugend mit einer recht beschämenden Geschichte gestraft wurde.

Mein edler Mitmensch Genovev machte mir zu jener Zeit das Leben ordentlich sauer. Es war nicht bloß, daß sie wütender und verachtungsvoller als je über mich predigte und über jeden Spüllumpen und jede Kutterschaufel, die ich in der Hand gehabt hatte, das Kreuz schlug, ehe sie sie berührte; das hätte ich noch ertragen. Aber die Alte spürte, daß es mir doch allmählich auf die Nerven ging und mich ärgerte und sah ihren Plan, mich hinauszuekeln und eine andere neben sich zu bekommen, die ihr weniger auf die Finger guckte, verlockend nahe. Auch baute sie im Grunde so sehr auf meine Naivität und Unwissenheit, die wohl niemals etwas von ihren heimlichen Gängen erfahren habe, daß sie nun die meiste Vorsicht und Diplomatie fahren ließ und mir offensichtlich und so übel als möglich meinen Tag und meine Arbeit versalzte.

Ich hatte die Novelle fertig, sauber abgeschrieben und an eine Zeitschrift geschickt, und neben dem seltsam leeren und öden Gefühl an den Dienstagen plagte mich nun noch das beständige und unruhevolle Fieber der Erwartung, das sich trotz aller Beherrschung nicht umgehen ließ; denn schließlich war ich eben doch ein junges Mädchen und dieses Ereignis zu wichtig in meinem Leben.

Dazu jährte es sich in diesen Tagen, daß ich meinen fünftägigen Sommerurlaub gehabt hatte und auf den Zinken gereist war, wo auch Gottfried seine Ferien wieder verbrachte. Die selige Zeit leuchtete mir nun heiß und ungewollt im Gedächtnis auf, ich mußte mehr als je an Gottfried denken, und es war mir schmerzlich und ungut zumute.

Nun hatten die Professorsleute zu einem Abendessen eine feine und größere Gesellschaft eingeladen, und schon tagelang vorher war deshalb ein mächtiger Umtrieb und Spektakel. Jedes wollte sich von seiner besten Seite zeigen; die Professorin legte mir mit Ernst und größtem, anerkennendem Vertrauen das gute Gelingen des Mahles ans Herz, ich tat so etwas gerne, freute mich auf eine stramme Kocherei und hoffte, die trüben und törichten Gedanken darüber eine Weile los zu werden.

Den Glanzpunkt des Essens sollte eine französische Geflügelpastete geben, ich hatte sie den Tag zuvor gebacken, damit man sie dann vor dem Anrichten nur noch zu wärmen und zu füllen brauche. Sie war prachtvoll geworden, ach, ich sehe sie im Geiste heut noch vor mir. Der Abend kam also, da Genovev zum Herumreichen zu unappetitlich war, besorgten es ich und das Hausmädchen. Mit Vergnügen und Eifer gingen wir daran; zuvor hatte ich noch meine Pastete in den Wärmofen gestellt und es Genovev aufs eindringlichste angekündigt, mir darauf aufzupassen, und als die Suppe vorbei und der Fisch aufgetragen war, ließ ich das Hausmädchen allein bei den Gästen und ging eilig in die Küche, meine Pastete fertig zu machen. Ich zog sie stolz aus dem Ofen und stellte sie auf den Tisch. Da merkte ich es erst.

Sie war schwarz verbrannt, beinahe wie ein Mohr, und aus einer Ecke tönte Genovevs leises Gewieher wie Hohngelächter von sieben Teufeln.

Ich schabte und putzte ja nun, so gut es gehen wollte und trug es mit Würde und Ergebenheit, wie nachher der Hausherr, als er mich mit der verhunzten Pracht zur Tür hereinkommen sah, ohne Ahnung der Moritat zu seinem Gegenüber sagte: »Passen Sie auf, Doktor, nun kommt das Glanzstück dieses Abends; Pasteten sind nämlich die Spezialität unserer jungen Stütze; Sie essen's nirgends besser – – –« In meinem Innern aber wußte ich, daß ich heute noch Genovev unter meinen Fäusten haben und ihr den Buckel verhauen mußte, oder es war mir keine Minute mehr wohl und erträglich in meiner Haut. Das mit der Pastete hatte dem Faß den Boden ausgeschlagen.

Der Abend verlief vollends schön und ohne weiteren Zwischenfall. Gleich einem gewiegten Uebeltäter und Totschläger ließ ich mein Opfer mit keinem Blicke ahnen, was ich Finsteres im Sinne hatte, war wohl gleichgültig gegen Genovev, doch im übrigen durchaus nicht anders als sonst. Gegen halb elf Uhr gingen die Gäste, wir räumten noch schnell die Tafel ab, dann sagte ich laut Gutenacht und ging hörbar in mein Zimmer.

Eine Weile später schlich ich mich lautlos in den Hof hinunter; es war sehr dunkel und stille. Einmal glaubte ich zwar, von Fouqués Gärtlein, das dicht daneben war, ein Geräusch zu vernehmen, doch war es alsbald wieder ruhig. Richtig tappte nach einer Viertelstunde fast so leise wie ich Genovev die Treppe herunter; die Kellertür knarrte ein wenig, dann stellte ich mich davor und lauerte. Ach, es klappte großartig! Sie kam, ich packte sie am Kragen, drohte bei dem geringsten Laut, den sie von sich gebe, daß ich morgen alles Gesoffene und Gestohlene haarklein dem Professor erzähle und schleppte sie in den Hof, wo ich es ihr so gründlich besorgte, daß es mich trotz allem heute noch freut.

Lautlos wankte sie davon, ich hörte noch, wie sie sich droben in ihrer Stube einschloß, dann setzte ich mich müd und zitternd vor Aufregung auf den Kellersims im Hof. Ach, es war mir kein bißchen sieghaft oder triumphierend zumut; meine abgründige Wut war jäh verraucht, es blieb nur eine Schlaffheit und weinerliche Abgespanntheit und alles Bedrückende und Traurige von vorher fiel doppelt schwer über mich herein. Wenn ich an meine Freunde Roth dachte und an das gute und rechte Leben, das ich führen wollte, wurde ich noch in der Dunkelheit rot vor Scham; – und mit meiner Schreiberei war es auch nichts, sonst hätte ich doch schon irgend eine Antwort bekommen müssen. Es war mir zum Heulen elend und jämmerlich zumut.

»Das hast du fein gemacht, Ageli!« sagte plötzlich eine Stimme nahe mir, laut und lachend.

Ich sprang auf, wahnsinnig erschrocken, und starrte in die Dunkelheit. »Um Gotteswillen, wer ist da – –?«

»Dein Schwager, liebes Kind,« sprach die Stimme mit spottend sanftem Ton, und ich erkannte nun wahrhaftig im Dunkeln Fouqués dicke Gestalt am Zaun lehnend. »Komm an mein Herz, Kind, und laß dir gratulieren. Sieh, es sind hier liebenswürdigerweise zwei Zaunlatten weg; komm noch eine Weile herüber, es würde mich außerordentlich freuen.«

»Wenn du es niemand sagst – –,« sprach ich, immer noch zitternd vor Schreck.

»Ganz, wie du es wünschest,« sagte er liebenswürdig; erhob jedoch zu meinem namenlosen Entsetzen gleich darauf seine Stimme zu einer Stärke, daß es in der stillen Nacht gewaltig laut und hallend tat: »Ich werde es niemand, niemand, niemand sagen, daß ich hocherfreuter Zeuge dessen war, wie in stiller Stunde –«

Unterdessen war ich aber schon bei ihm drüben, fauchte ihn an wie ein wilder Kater und schüttelte ihn weinend und bebend.

»Adolf – wenn du nicht augenblicklich still bist –«

»Verhaust du mir auch den Ranzen?« fragte er lachend; doch war er gleich darauf ruhig, nahm meinen Arm und führte mich zu einem versteckten Gartenbänklein, wo er mit väterlicher Güte sein großes Sacktuch herauszog und mir die Tränen damit wegputzte, bis ich lachen mußte. Darauf ging er ins Haus und kam nach einer geraumen Weile mit einem Krüglein Wein und zwei Gläsern wieder. Er schenkte ein und hielt mir das Glas an die Lippen.

Wir tranken also, es wurde mir ein bißchen besser zumut, und da es mir war, als sei ich Adolf eine Erklärung schuldig, erzählte ich ihm die ganze tragische Geschichte der letzten Wochen und wie mich die Bosheit und Gemeinheit dieses Frauenzimmers geplagt und bombardiert und gezwiebelt habe, und am Schlusse sprach ich traurig von dem trüben Ereignis mit der Pastete. Adolf saß unbeweglich und hörte mir zu; nur hin und wieder vernahm man sein leises, erfreutes und prachtvolles Lachen durch die Stille.

»Du hast gut lachen,« sagte ich am Ende bitter. »Du bist über alle solche Sachen erhaben, und es kann dich nichts aus deiner Ruhe bringen. Ich glaube, dich hätte nicht einmal die schwarze Pastete angefochten!«

»Nein, wahrhaftig nicht!« lachte er. Ich starrte trübe vor mich hin. »Weiß Gott, wie du's machst!«

»O, ich tue bloß das Gegenteil von dem, wie du's machst,« sagte er ruhig. »Du hast doch jetzt selber gemerkt, daß es nicht ganz schlau war, wie du's angegriffen hast. Du hättest der Alten keinen größeren Gefallen tun können, als auf ihre Bosheit einzuschnappen. Die nimmt gern ihren Buckel voll Hiebe in den Kauf, wenn sie weiß, wie unmäßig sie dich geärgert hat. Siehst du, man muß die Leute ansehen, wie wenn sie alle einen Tropfen an der Nase hätten oder ein Loch im Aermel – und auch so mit ihnen umgehen. Im Anfang ist das eine Kunst, später geht's von selber. Um ganz unabhängig und frei und glücklich zu sein, gehört freilich noch ein dickes Fell dazu, – und dann noch – weißt du, noch ein paar innerliche Sachen, die du wahrscheinlich doch noch nicht verständest, auch wenn ich dir's jetzt erklären würde. Ich sag es dir später einmal, wenn du mehr von Philosophie verstehst. Du bist jetzt auch noch ein wenig zu jung dazu.«

Ich sann dieser sonderbaren Lehre betroffen nach und fragte zweifelnd, ob er wirklich meine, daß ein Mensch nur mit diesem und so ohne weitere Anstrengung richtig glücklich werden könne.

»Unbedingt ja,« antwortete er felsenfest und ruhig. Ich sagte ihm nun, daß ich immer gemeint habe, man könne sein Glück und seine innere Fröhlichkeit nur durch einen rechtschaffenen und tätigen Lebenswandel erwerben und setzte ihm Herrn Roths Lebensanschauung auseinander, die ja nun auch die meine war.

»Ei, so plage dich doch!« rief er. »Wir wollen sehen, wer in seinem Leben, und, worauf ihr es doch am meisten abgesehen habt, am Ende dieses Lebens, glücklicher ist, du oder ich!«

 

Wir gerieten in ein heftiges Wortgefecht; Adolf redete mich schließlich in Grund und Boden hinein. Ich saß still und wußte nichts mehr drauf zu erwidern.

»Das kann alles wahr sein,« sagte ich nach einer langen Weile, »und es kann für alle andern Menschen passen und recht sein. Aber daß mein Glück irgendwo anders liegt, das glaube ich eben doch. Wenn ich wüßte, daß du es ernst nehmen und mich nicht auslachen würdest, könnte ich es dir vielleicht sagen.«

»Ich lache dich sicher nicht aus,« antwortete er freundlich und ohne Spott. »Im Gegenteil; ich freue mich recht, wenn du es mir sagen willst.«

Da fing ich an, daß schon lange, ehe mir Herrn Roths Weisheit aufgegangen sei und lange, ehe ich überhaupt mit Bewußtsein und Verstand über solche Sachen nachgedacht habe, etwas in mir gewesen sei, das viel echter und glühender und gewaltiger sei und viel mehr zu mir selber gehört habe und aus mir selber gekommen sei als alles das andere. Ich erzählte ihm von dem Grab des Namenlos und der großen, roten, nackten Zehe, auch von dem Morgen bei der Buche und von der Zeit, nachdem der spitzfindige Herr Bürger vom Zinken abgereist war. Und später von der Nacht in des Bäsleins Babetts Gastkammer, von der Zeit mit Gottfried und von allen diesen Stunden, da ich die göttlichen Ströme in mir gespürt habe. Und als ich zu Ende war, wurde ich sehr verlegen und wußte nicht, wie er es aufgenommen habe.

»Ich danke dir, Ageli,« sagte er herzlich. »Es ist sehr fein und etwas ganz Besonderes, und ich glaube schon, daß man damit glücklich werden kann. Ich bin nun gespannt, wie es dir im Leben geht. Bloß sieh, du sprichst davon, daß es dich dränge, alle Menschen zu lieben und ihnen zu dienen. Weißt du, da ist eben das gewöhnliche brave Geschmäcklein dran, und du wirst es auch so im üblichen – hm – christlichen Sinn meinen?«

»Nein,« sagte ich zögernd, »– ich glaube, ich – ich meine – das – menschlich!«

Da fing er nun doch an, laut und aus Herzensgrund in die schweigende Nacht hinaus zu lachen; ich hielt ihm erschrocken und beschämt den Mund zu, aber es lachte dennoch übermütig und knabenhaft darunter hervor. »So, so, du meinst das Lieben menschlich! – – ach, Mädel, du bist köstlich! – –«

Ein paar Wochen darnach kam an einem Morgen Margrets Aeltester zu mir herauf, aufgeregt und verstört: Die Mutter liege auf dem Boden und jammere und könne nicht mehr aufstehen; der Vater sei nicht da, ob ich nicht geschwind herüberkommen könne.

Eilig ging ich mit dem Buben hinüber; wirklich lag Margret umgesunken da, unfähig, sich zu erheben, und wimmerte und wand sich in Schmerzen. Ich brachte sie ins Bett, Adolf kam und holte einen Arzt und eine Pflegerin, und man sprach von einer Ueberführung ins Krankenhaus, falls Frau Fouqué zu Hause nicht die nötige Pflege habe. Margret wehrte sich flehentlich dagegen.

»Meine Schwägerin ist sehr gewissenhaft,« sagte Adolf zu dem Arzt und sah mich an. »Wenn du hier bleiben könntest –!« Ich nickte ihm eilig und selbstverständlich zu, und alles war in Ordnung. Man ließ Margret da, auch die Pflegerin blieb vorerst, und zur Besorgung des Haushalts erbot sich eines der Fräulein Heitenreiter gerne auszuhelfen, bis ich frei wäre. In einer Stunde war alles beschlossen. Das Zusammensein mit Genovev und dadurch meine ganze Arbeit war seit jenem dunklen Abend herzlich unerquicklich und hätte doch kaum so weiter gehen können. Also kündigte ich und war schon nach vierzehn Tagen mit meinen Sachen in Fouqués Gastzimmer untergebracht.

Es bleibt bei diesem nur noch zu sagen übrig, daß Genovev ihre guten Tage nicht mehr lange genießen konnte; sie wurde nach einem halben Jahre in eine Anstalt überführt, da sie am delirium tremens erkrankt war.

Bei Margret ging es etwas besser, sie hatte keine Schmerzen mehr, und die Pflegerin war entbehrlich, als ich hinkam. Nur war sie sehr geschwächt und durfte das Bett nicht verlassen; wir beschlossen nun, daß ich auf eine lange Zeit ganz dableiben solle, zum mindesten bis das Kind da sei und über das Gröbste hinaus, bis dem Haushalt wieder auf die Füße geholfen und Margret wieder ganz, ganz gesund sei. Ueber diese Aussicht geriet nun die ganze Familie Fouqué in eine solch freudige Begeisterung, daß ich halb tot geküßt und gedrückt wurde und alle Ursache hatte, gerührt und beglückt zu sein.

Margret wurde zum erstenmal in ihrer Ehe gepflegt, versorgt, verwöhnt, sie lag strahlend und selig da und fühlte sich beständig als Fürstin oder Prinzessin, wie sie jeden Morgen so sauber gekämmt und gewaschen in ihrem reinen weißen Bett lag und in ihrer aufgeräumten Stube herumsah. Hatte sie sich jemals Sorgen oder trübe Gedanken gemacht, so fiel das nun völlig von ihr ab; fragte ich sie etwas über irgend eine Geldangelegenheit, so hielt sie sich die Ohren zu, zog unwillige Stirnrunzeln und drehte sich auf die andere Seite. Sie überließ das alles mir; mochte ich sehen, wie ich damit zurecht kam; – wenn ich nur sie in Ruhe ließ. Nun, da sie keine Schmerzen mehr hatte, lag sie stets vergnügt und ledig aller irdischen Beschwertheit da und lebte gleich einem Kind ihre schönen, müßigen Sommertage hin.

»Ich bin so arg glücklich,« sagte sie oft. »Es ist mir in meinem Leben noch nie so gut gegangen wie jetzt. Gelt, Adolf, es ist die schönste Zeit von unserer ganzen Ehe? Und das ist alles, weil das Ageli da ist! – Ach Kinder, ihr müßt es schrecklich lieb haben. Es ist eine arg Gute!«

Fouqué schwärmte kaum minder für mich; doch war ich klug und ehrlich genug, wohl zu wissen, daß dieses nicht den etwaigen Reizen meiner Persönlichkeit, meinen geistigen Interessen oder meiner Aufopferungsfähigkeit zugrunde lag, sondern lediglich deshalb war, weil ich gut kochen konnte. Er hatte beständig ungeheuerliche Lobsprüche dafür auf Lager, und wir konnten uns an den Abenden, wenn ich bei einer Näherei saß, stundenlang über italienische und französische Kochrezepte unterhalten. An die Philosophie kamen wir vorerst nicht viel.

Trotz allem, was ich schon von Margrets Haushalt kannte und wußte, hätte ich mir die Karre nicht so jämmerlich verfahren vorgestellt. Es war wirklich stark, und ich schämte mich unendlich vor der ordentlichen und appetitlichen Fräulein Heitenreiter, daß sie diese Wirtschaft gesehen hatte! Später gewöhnte ich es mir ab, mich zu schämen.

Alles was man in die Hand nehmen wollte, war kaputt oder nicht sauber oder überhaupt verschlampt. Die ganz notwendigen Gebrauchsgegenstände, wie Margrets Haarbürste, die Schere und das Küchenmesser fand ich an Schnüren gebunden, die an der Wand festgenagelt waren, damit sie wenigstens nicht abhanden kämen. Dafür entdeckte ich an den absonderlichsten Orten ganze Kolonien von Stecknadeln, Kaffeelöffeln, einzelnen Strümpfen und Kinderhandschuhen und abgegangenen Hosenknöpfen. Es fehlte so am nötigsten, daß ich heimlich auf die Sparkasse ging und etwas von meinem Geld holte und Kinderleintücher und ein wenig Anderes drum kaufte. Fouqués merkten so etwas nicht. Es tat not, daß ich um fünf Uhr morgens aufstand, um für Margret und das Jüngste zu waschen, und ich mußte bis tief in die Nacht hinein über dem Nähen und Flicken sitzen. Und dennoch war es mir, als rutsche das was ich arbeite, allsogleich wieder in ein Loch und verschwinde ungesehen; und alles was ich tue, sei umsonst; ich war verzweifelt, daß trotz meiner Aufbietung aller Kräfte kein Schwung in diesen jämmerlichen und verlotterten Haushalt zu bringen war. Man mußte noch ganz froh und zufrieden sein, wenn wieder ein Tag herumging, ohne daß man aus seiner Haut fuhr, und wenn am Abend alle satt und noch am Leben waren.