Five Nights at Freddy's

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„Stimmt“, meinte Oswald. „Aber ich zwinge dich auch nicht dazu, sie dir anzuhören.“

Sein Vater drehte das Radio leiser. „Was ist los, mein Sohn? Was nervt dich. Es geht doch nicht nur darum, dass ich Countrymusik mag.“

Oswald hatte eigentlich keine Lust zu reden, aber er musste es wohl tun. Und als er den Mund aufmachte, überraschte es ihn selbst, dass ein ganzer Schwall an Unzufriedenheiten aus ihm herausschoss wie Lava aus einem Vulkan. „Ich bin es leid, dass jeder Tag genau gleich ist. Ben hat gestern mit mir gechattet. Er ist in Myrtle Beach und hat echt viel Spaß. Er wollte wissen, was ich so mache, und ich habe ihm gesagt, dass ich jeden Tag in der Bücherei bin und in Jeff’s Pizza esse, und weißt du, was er zurückgeschrieben hat? ‚Sorry‘ und ‚Der Pizzaladen ist gruselig‘.“

Sein Vater seufzte. „Es tut mir leid, dass wir nicht in Urlaub fahren und einfach Spaß haben können, Oz. Was das Geld angeht, sind die Zeiten im Moment hart. Es tut mir leid, dass du darunter leiden musst. Du bist ein Kind. Du solltest dir keine Sorgen um Geld machen müssen. Ich hoffe, dass man mir im Herbst eine Vollzeitstelle gibt. Das würde viel helfen, und wenn ich zum Leiter der Feinkostabteilung befördert werde, gibt es noch einen Dollar fünfzig mehr pro Stunde.“

Oswald wusste, er sollte eigentlich nicht sagen, was er sagen wollte, aber er tat es trotzdem. „Bens Vater hat einen Job bekommen, in dem er sogar mehr verdient als früher in der Fabrik.“

Sein Vater umfasste das Steuerrad fester. „Ja, und Bens Vater musste 500 Meilen weit wegziehen, um diesen Job zu bekommen.“ Seine Stimme klang gepresst, und Oswald sah, dass seine Kiefermuskeln angespannt waren. „Deine Mutter und ich haben viel darüber geredet, aber wir haben uns entschlossen, nicht umzuziehen, und zwar, weil deine Großmutter hier lebt und hin und wieder Hilfe braucht. Hier ist unser Zuhause, mein Junge, und die Dinge sind nicht perfekt, aber wir müssen das Beste daraus machen.“

Oswald spürte, dass er, wenn er seiner schlechten Laune weiter freien Lauf ließ, Stubenarrest riskierte. Aber warum bekamen manche Leute nur das Beste vom Besten, während sich andere mit der Bücherei und billiger Pizza zufriedengeben mussten? „Du schubst mich jeden Tag wie Müll aus dem Auto. Wenn das das Beste ist, dann möchte ich nicht sehen, was das Schlimmste ist!“

„Findest du das nicht ein bisschen zu theatralisch …?“

Oswald wartete nicht ab, um sich die Worte seines Vaters bis zu Ende anzuhören. Er sprang aus dem Wagen und knallte die Tür hinter sich zu.

Sein Vater brauste davon und war wahrscheinlich erst einmal froh, ihn los zu sein.

Wie er vermutet hatte, war das Buch, das er lesen wollte, immer noch nicht zurückgegeben worden. Er blätterte ein paar Zeitschriften durch – mit exotischen Tieren aus dem Dschungel, die ihm normalerweise gefielen, aber heute halfen auch die nicht. Als ein Computerplatz frei wurde, nahm er seine Kopfhörer und sah sich ein paar YouTube-Videos an, aber heute war ihm einfach nicht zum Lachen zumute.

Mittags saß er dann mit seinem Stück Margherita und seiner Limo in Jeff’s Pizza. Jeden Tag eine Margherita. Wenn sein Vater nicht so geizig wäre, würde er ihm einen Dollar mehr geben, damit er sich wenigstens noch eine Beilage kaufen konnte. Aber nein, es musste die billigste Pizza sein, die zu bekommen war. Sicher, das Geld war knapp, aber würde ein Dollar mehr pro Tag ihren Ruin bedeuten?

Als Oswald sich umsah, wurde ihm klar, dass Ben recht hatte. Jeff’s Pizza war tatsächlich gruselig. Da waren die schattenhaft erkennbaren und überstrichenen Figuren an den Wänden zu erahnen, und es gab das staubige, verlassene Bällebad. Und wenn er recht darüber nachdachte, war auch Jeff irgendwie gruselig. Er sah aus, als sei er hundert, war allerdings wahrscheinlich gerade mal dreißig. Aber mit diesen blutunterlaufenen Augen mit den schweren Lidern, der fleckigen Schürze, seiner langsamen Sprechweise und den entsprechenden Bewegungen wirkte er wie ein Zombie-Pizza-Bäcker.

Oswald dachte über den Streit mit seinem Vater am Morgen nach. Bald würde Vater ihm schreiben, dass er nach draußen zum Auto kommen solle. Heute würde es mal anders laufen. Heute würde Vater hereinkommen müssen, um ihn zu suchen.

Es gab einen perfekten Platz, um sich zu verstecken.

Oswald würde in das Bällebad steigen.

Die Bällegrube war tatsächlich ziemlich eklig. Offensichtlich seit Jahren unberührt, waren die Plastikkugeln mit grauem, fusseligem Staub überzogen. Aber sich dort zu verstecken, würde ein toller Streich sein. Sein Vater, der ihn wie die Wäsche für die Reinigung ablieferte und wieder einsammelte, würde tatsächlich aus dem Auto steigen und sich zur Abwechslung mal etwas bemühen müssen. Und Oswald würde es ihm nicht leicht machen.

Oswald zog die Schuhe aus. Sicher, das Bällebad war ekelhaft, aber dort hineinzusteigen wäre zumindest für heute mal eine Abwechslung.

Er kletterte in die Grube und spürte, wie die Bälle auseinanderrutschten, um ihm Platz zu machen. Er bewegte Arme und Beine. Es war ein bisschen wie beim Schwimmen, wenn man denn in trockenen Plastikkugeln schwimmen konnte. Bald berührten seine Füße den Boden der Grube. Einige der Bälle waren irgendwie klebrig, aber Oswald versuchte, nicht darüber nachzudenken warum. Wenn er seinen Vater reinlegen wollte, musste er vollkommen untertauchen.

Er holte tief Luft, als wolle er in einen Pool springen und ließ sich auf die Knie sinken. Nun war er bis zum Hals verschwunden. Er drehte sich um, bis er auf dem Boden der Grube saß. Sein Kopf verschwand ebenfalls zwischen den Bällen. Sie ließen ihm genug Platz, um zu atmen, aber es war dunkel und eng. Und es stank nach Staub und Schimmel.

„Bindehautentzündung“, hörte er seine Mutter sagen. „Du wirst eine Bindehautentzündung bekommen.“

Der Geruch war wirklich fürchterlich. Der Staub kitzelte ihn in der Nase. Er spürte, dass er gleich würde niesen müssen, aber er konnte seine Hand nicht schnell genug durch die Bälle nach oben zu seiner Nase bringen, um sie zuzuhalten. Er nieste dreimal und jedes Mal lauter.

Oswald wusste nicht, ob sein Vater schon nach ihm suchte, doch wenn er es tat, hatte das Niesen in der Bällegrube ihm wahrscheinlich verraten, wo Oswald sich befand. Außerdem war es zu dunkel da drin und zu ekelig. Er musste Luft schnappen.

Als er sich erhob, hörte er elektronisches Gepiepe und Kinder, die schrien und lachten.

Er brauchte ein paar Sekunden, bis sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, die plötzlich um ihn herum herrschte, an die blinkenden Lichter und die leuchtenden Farben. Verblüfft blickte er sich um. „Toto, ich glaube nicht, dass wir noch in Kansas sind.“

An den Wänden reihten sich große glänzende Spielekonsolen aneinander, von denen sein Vater immer aus der Kindheit erzählt hatte: Pac-Man, Donkey Kong, Frogger, Q*bert, Galaga. In einer von Neonlicht erleuchteten Maschine türmten sich blaue elfenähnliche Kreaturen und orangefarbene Katzen aus einem Zeichentrickfilm, die man sich mit einem mechanischen Greifarm angeln konnte. Er blickte hinunter auf die Grube und bemerkte, dass er umgeben war von kleinen Kindern, die in den auf einmal überraschend sauberen und in allen Farben leuchtenden Bällen spielten. Wie ein Riese überragte Oswald die Kinder. Er stieg aus dem Bällebad, um wieder in seine Schuhe zu schlüpfen, aber sie waren verschwunden.

In Socken stand er auf dem farbenfrohen Teppich und blickte sich um. Er sah viele Kinder in seinem Alter und jüngere, aber irgendetwas an ihnen war anders. Alle waren aufwendig frisiert, und die Jungs trugen Poloshirts in Farben, in denen sich so mancher nicht einmal begraben lassen würde – Pink oder Türkis. Das Haar der Mädchen war unglaublich dick, und ihre Ponys standen von ihrer Stirn ab wie eine Klaue. Sie trugen pastellfarbene Oberteile, die zu ihren pastellfarbenen Schuhen passten. Die Farben, die Lichter, der Lärm – seine Sinne waren völlig überlastet. Und was war das für eine Musik?

Oswald blickte sich um, weil er herausfinden wollte, woher sie kam. Auf der anderen Seite des Raums auf einer kleinen Bühne stand ein Trio aus animatronischen Tieren. Sie blinzelten mit ihren großen leeren Augen, öffneten und schlossen ihre Mäuler und ruckten gemeinsam im Rhythmus eines plärrenden Songs vor und zurück. Es waren ein brauner Bär, ein blaues Kaninchen mit einer roten Fliege und eine Art Vogelmädchen. Sie erinnerten Oswald an die mechanischen Tiere, die er in letzter Zeit immer gezeichnet hatte. Der Unterschied bestand nur darin, dass er sich nie hatte entscheiden können, ob die Tiere in seinen Zeichnungen nun niedlich waren oder unheimlich.

Diese waren jedenfalls unheimlich.

Allerdings schienen das etwa ein Dutzend kleiner Kinder, die vor der Bühne standen, das anders zu sehen. Sie trugen lustige Hüte wie auf einer Geburtstagsparty, auf denen Bilder der Figuren zu sehen waren, und sie tanzten und lachten und hatten offenbar viel Spaß.

Als dann der Duft von Pizza Oswald in die Nase stieg, begriff er.

Er befand sich immer noch in Jeff’s Pizza oder vielmehr darin, was Jeff’s Pizza einmal gewesen war, bevor Jeff den Laden übernommen hatte. Das Bällebad war neu und nicht abgesperrt, die Steckdosen an der Wand versorgten Spiele-Konsolen mit Strom und … Er wandte sich nach links. Dort befand sich ein großes Wandgemälde mit denselben Figuren, die gerade auf der Bühne „auftraten“: Der braune Bär, das blaue Kaninchen und das Vogelmädchen. Unter ihren Gesichtern stand Freddy Fazbear’s Pizza.

Oswald gefror das Blut in den Adern. Was war passiert? Er wusste, wo er war, er wusste nur nicht, wann das war, und wie er dorthin gekommen war.

Jemand prallte gegen ihn, und er zuckte heftiger als gewöhnlich zusammen. Da er den anderen körperlich spürte, konnte es sich nicht um einen Traum handeln. Ob das gut oder schlecht war, wusste er nicht.

 

„Tut mir leid“, sagte der Junge. Er war ungefähr in Oswalds Alter, und er trug ein hellgelbes Polohemd mit aufgestelltem Kragen, das er sich in seine Vater-Jeans gesteckt hatte. Die weißen Tennisschuhe, die er dazu trug, waren riesig, fast wie Clownsschuhe. Es sah aus, als habe er lange gebraucht, um seine Frisur hinzubekommen. „Alles okay?“

„Ja, klar“, antwortete Oswald. Er war sich keineswegs sicher, ob alles okay war, aber er wusste auch nicht, wie er seine gegenwärtige Situation erklären sollte.

„Ich habe dich noch nie gesehen“, meinte der Junge.

„Ja“, sagte Oswald und versuchte sich eine Erklärung auszudenken, die nicht allzu verrückt klang. „Ich bin nur zu Besuch hier … ein paar Wochen bei meiner Großmutter. Hier ist es echt toll. All die alten Spiele …“

Alte Spiele?“, fragte der Junge und hob eine Augenbraue. „Soll das ein Witz sein? Ich weiß ja nicht, wo du herkommst, aber im Freddy’s gibt es immer die neuesten Games. Deswegen sind die Schlangen davor ja auch so lang.“

„Na klar, sollte ein Witz sein“, erwiderte Oswald, weil ihm nichts anderes einfiel. Sein Vater erzählte, dass er all diese Games auch gespielt hatte, als er noch ein Kind war. Unglaublich schwierige Games, meinte er, an die er viele Stunden und viele Münzen verschwendet hatte.

„Ich bin Chip“, sagte der Junge und fuhr sich mit den Fingern durch die Föhnfrisur. „Mein Freund Mike …“, mit dem Kopf deutete er in Richtung eines großen schwarzen Jungen, der eine Brille mit riesigen Gläsern trug und ein T-Shirt mit breiten roten und blauen Streifen, „… und ich wollten gerade ein bisschen Skee-Ball spielen. Hast du Lust mitzumachen?“

„Klar“, antwortete Oswald. Es war schön, mal Zeit mit gleichaltrigen Kindern zu verbringen, auch wenn sie aus einer anderen Zeit zu stammen schienen. Er glaubte nicht, dass all dies ein Traum war, aber in jedem Fall war es genauso seltsam.

„Hast du einen Namen?“, fragte Mike und betrachtete Oswald, als sei er irgendein fremdartiges Wesen.

„Oh, klar. Ich bin Oswald.“ Er war viel zu baff gewesen, um sich vorzustellen.

Mike schlug ihm freundlich auf die Schulter. „Ich muss dich warnen, Oswald. Ich bin beim Skee-Ball ein echtes Tier. Ich werde mich ein bisschen zurückhalten, weil du neu hier bist.“

„Danke, dass du Gnade mit mir hast“, erwiderte Oswald. Er folgte den beiden zum Skee-Ball. Unterwegs kamen sie an jemandem in einem Kaninchenkostüm vorbei, der aussah wie die gelbe Version des animatronischen Kaninchens auf der Bühne. Niemand schien von ihm Notiz zu nehmen, deswegen sagte Oswald nichts. Es war wahrscheinlich ein Angestellter von Freddy Fazbear’s, der sich verkleidet hatte, um die kleinen Kinder auf der Geburtstagsparty zu bespaßen.

Mike hatte nicht gelogen, was seine Künste beim Skee-Ball anging. Dreimal schlug er Chip und Oswald und das mit Leichtigkeit, aber er verhielt sich sportlich, und sie rissen die ganze Zeit Witze. Es fühlte sich gut an dazuzugehören.

Aber nach ein paar weiteren Runden begann Oswald sich Sorgen zu machen. Wie spät war es überhaupt? Wie lange suchte sein Vater ihn schon? Und wie sollte er zurück in sein richtiges Leben kommen? Klar, er hatte seinem Vater einen kleinen Schreck einjagen wollen, aber die Polizei sollte er deswegen nicht gleich holen müssen.

„Leute, ich muss jetzt los“, erklärte Oswald. „Meine Großmutter …“ Beinah hätte er gesagt: „Hat mir gerade eine SMS geschrieben“, aber ihm wurde bewusst, dass Chip und Mike keine Ahnung haben würden, wovon er redete. In welcher Zeit auch immer er sich befand, Handys hatte es da noch nicht gegeben. „Meine Großmutter holt mich in ein paar Minuten ab.“

„Okay, Mann, vielleicht sehen wir uns ja noch mal“, antwortete Chip, und Mike nickte kurz und winkte.

Nun stand Oswald in seinen Socken da und fragte sich, was er tun sollte. Was er gerade erlebte, war irgendwie magisch. Zudem war er spät dran, und er hatte seine Schuhe verloren.

Wie kam er nur zurück? Konnte er einfach durch die Eingangstür von Freddy Fazbear’s hinausmarschieren? Aber was würde ihm das bringen? Vielleicht stand dort Vaters Auto. Aber es war nicht das richtige Jahr. Vielleicht nicht einmal das richtige Jahrzehnt.

Dann dämmerte es ihm. Vielleicht ging es auf demselben Weg wieder hinaus, auf dem er hergekommen war. Am Bällebad erklärte eine Mutter ihren beiden kleinen Kindern, dass sie aufbrechen müssten und drohte ihnen, dass sie sonst früh ins Bett müssten. Sobald die beiden aus der Grube geklettert waren, kletterte Oswald hinein.

Er tauchte unter die Oberfläche, bevor irgendjemand bemerken konnte, dass ein Junge, der die Größenbeschränkung überragte, im Bällebad war. Wie lange musste er unten bleiben? Er beschloss, bis hundert zu zählen und dann aufzustehen.

Als er sich erhob, erkannte er sofort, dass er sich wieder in dem staubigen, abgesperrten Bällebad in Jeff’s Pizza befand. Er kletterte aus der Grube und fand seine Schuhe genau dort vor, wo er sie zurückgelassen hatte. In seiner Tasche vibrierte das Telefon. Er nahm es heraus und las: Bin in zwei Minuten da.

War denn überhaupt keine Zeit vergangen?

Er lief hinaus, und Jeff rief ihm nach: „Bis dann, Junge!“

„Das sieht toll aus, Mom“, meinte Oswald und spießte ein Stück Wurst auf seine Gabel.

„Du hast heute aber gute Laune.“ Seine Mutter beförderte eine Waffel auf seinen Teller. „Ganz anders als gestern. Da warst du ziemlich mürrisch.“

„Ja“, antwortete Oswald, „heute haben sie in der Bücherei das Buch, auf das ich jetzt schon länger warte.“ Das stimmte zwar, doch war das nicht der Grund, warum Oswald guter Stimmung war. Aber den wahren Grund konnte er seiner Mutter natürlich nicht nennen. Würde er sagen: „Ich habe in Jeff’s Pizza ein Bällebad entdeckt, mit dem ich durch die Zeit reisen kann“, würde Mutter die Waffeln fallen lassen und den nächsten Kinderpsychologen anrufen.

In der Bücherei holte Oswald sein Buch ab, aber er war viel zu ungeduldig, um darin zu lesen. Sobald Jeff’s Pizza um elf Uhr öffnete, ging er hinüber.

Jeff war gerade in der Küche, als er ankam, deswegen ging er gleich hinüber zur Bällegrube.

Er streifte die Schuhe ab, stieg hinein und ließ sich unter die Oberfläche sinken. Da das beim letzten Mal auch funktioniert hatte, zählte er bis hundert, bevor er wieder aufstand.

Und tatsächlich! Die animatronische Band „spielte“ irgendein komisches, schepperndes Stück, das zum Teil von dem Gepiepe, Gesurre und Geklingel der verschiedenen Games übertönt wurde. Oswald stieg aus dem Bällebad und sah sich um. Vor den Videospielen hatten sich die älteren Kinder versammelt. Die jüngeren kletterten auf den farbenfrohen Spielgeräten herum. Bindehautentzündung, dachte Oswald, aber da er ständig in das versiffte Bällebad eintauchte, stand es ihm kaum zu, sich abwertend dazu zu äußern.

Alles sah genauso aus wie beim letzten Mal. Ihm fiel sogar in einem offenstehenden Büro ein Kalender ins Auge, der ihm sagte, in welcher Zeit er sich befand: 1985.

„Hey, da ist Oswald!“ Chip trug diesmal ein babyblaues Polohemd zu seinen Jeans und den riesigen Turnschuhen. Kein einziges Haar auf seinem Kopf war nicht an seinem Platz.

„Hey Oz“, begrüßte ihn Mike. Er trug ein „Zurück in die Zukunft“-T-Shirt. „Wirst du manchmal so genannt – wie der Zauberer von Oz?“

„Jetzt schon“, meinte Oswald grinsend. Vor Kurzem war es noch der einsamste Sommer überhaupt gewesen, und jetzt hatte er gleich zwei neue Freunde – und einen Spitznamen. Sicher, all dies schien Mitte der 1980er-Jahre zu passieren, aber warum sollte er sich mit Einzelheiten aufhalten?

„Wir haben gerade Pizza bestellt“, meinte Chip. „Möchtest du auch was? Es ist eine große, damit wir mehr haben, als wir essen können.“

„Wenn du meinst“, entgegnete Mike, aber er grinste.

„Okay“, verbesserte sich Chip, „dann eben mehr, als wir essen sollten. Willst du mitkommen?“

Oswald war neugierig, wie Freddy Fazbear’s Pizza im Vergleich zu Jeffs schmeckte. „Klar. Danke.“

Auf dem Weg zu ihrem Tisch kamen sie wieder an jemandem in einem gelben Kaninchenkostüm vorbei, der unbeweglich wie eine Statue in der Ecke stand. Chip und Mike bemerkten ihn entweder nicht oder ignorierten ihn. Aber warum verbarg er sich in der Ecke? Wenn er für das Restaurant arbeitete, sollte er sich wohl kaum so gruselig verhalten.

Am Tisch servierte ihnen eine junge Frau mit dicken blonden Haaren und blauem Lidschatten eine große Pizza und eine Karaffe mit Limonade.

Im Hintergrund spielte weiter die animatronische Band. Die Pizza war mit Peperoni und Wurstscheiben belegt und hatte eine knusprige Kruste. Das war eine nette Abwechslung zu der unspektakulären Margherita, mit der er sich normalerweise begnügen musste.

„Wisst ihr“, meinte Mike, während er aß, „als ich klein war, habe ich die Band vom Freddy Fazbears’s geliebt. Ich hatte sogar einen ausgestopften Freddy, der immer bei mir geschlafen hat. Und heute sehe ich da hoch zu der Bühne, und mir sind diese Viecher total unheimlich.“

„Schon komisch, oder? Wie Sachen, die man als kleines Kind mochte, einem unheimlich werden, wenn man älter wird.“ Chip nahm sich ein weiteres Stück Pizza. „Wie Clowns zum Beispiel.“

„Ja, oder Puppen“, fügte Mike hinzu. „Manchmal fallen mir die Puppen meiner Schwester auf, wie sie da alle bei ihr im Regal sitzen, und es fühlt sich an, als würden sie mich anstarren.“

Oder wie der Kerl in dem gelben Kaninchenkostüm, dachte Oswald, sagte aber nichts.

Nachdem sie die Pizza verspeist hatten, spielten sie noch ein wenig Skee-Ball. Mike gewann erneut haushoch, war aber trotzdem sehr nett dabei. Um die Zeit machte Oswald sich keine Gedanken mehr, denn offensichtlich verstrich die Zeit hier in einem anderen Tempo als bei ihm zu Hause. Nach Skee-Ball spielten sie noch abwechselnd jeweils zu zweit Air-Hockey. Oswald war überraschend gut darin und schaffte es einmal sogar, Mike zu schlagen.

Als ihnen allmählich die Chips ausgingen, bedankte sich Oswald, dass sie mit ihm geteilt hatten und sagte, er würde sich freuen, sie bald wiederzusehen. Nachdem sie sich verabschiedet hatten, wartete Oswald, bis niemand ihn beobachtete und verschwand dann in der Bällegrube.

Von nun an traf Oswald sich regelmäßig mit Chip und Mike. Heute spielten sie nicht einmal zusammen. Sie saßen einfach an einem Tisch, tranken Limonade und redeten, wobei sie versuchten, die nervtötende Musik der animatronischen Tiere möglichst zu überhören.

„Wisst ihr, welchen Film ich mochte?“, fragte Chip. Sein Polohemd war heute pfirsichfarben. Oswald mochte den Jungen, aber besaß er nicht vielleicht auch irgendein Hemd, das nicht die Farbe eines Ostereis hatte. „Das ewige Lied.“

„Ehrlich?“, meinte Mike und schob sich seine riesige Brille auf der Nase nach oben. „Der war doch so langweilig! Ich fand, Das ewige Lied war genau der richtige Titel für den Film, weil ich gedacht habe, der hört ja nie auf!“

Alle lachten, und dann fragte Chip: „Wie hat er dir gefallen, Oz?“

„Den habe ich nicht gesehen“, sagte Oswald. Das sagte er oft, wenn er mit Chip und Mike zusammen war.

Oswald lauschte immer, wenn sie über Filme und Fernsehshows sprachen, die sie mochten. Wenn sie dann eine erwähnten, die er nicht kannte, sah er zu Hause im Internet nach. Er hatte eine Liste von Filmen aus den Achtzigern zusammengestellt, die ihn interessierten, und er hatte im TV-Programm nachgesehen, wann vielleicht einer davon lief. Ansonsten beteiligte sich Oswald an Chips und Mikes Gesprächen, soweit er es konnte. Irgendwie fühlte er sich wie ein Austauschschüler. Manchmal lächelte er nur und nickte und tat einfach so als ob.

„Mann, du musst mehr rausgehen“, sagte Mike. „Vielleicht kannst du ja irgendwann mal mit Chip und mir ins Kino kommen.“

„Das wäre cool“, erwiderte Oswald, denn was hätte er sonst sagen sollen? In Wirklichkeit komme ich aus der Zukunft, und ich glaube nicht, dass es mir möglich wäre, euch irgendwo anders zu treffen als im Freddy Fazbear’s von 1985.

„Nenn mir einen Film, den du gesehen hast und der dir wirklich gefällt“, sagte Chip zu Oswald. „Ich versuche nur herauszufinden, was dein Geschmack ist.“

Oswald hatte plötzlich einen Blackout. Welcher Film stammte aus den Achtzigern? „Äh … E. T.?“

E. T.?“ Lachend schlug Mike mit der flachen Hand auf den Tisch.

E. T. ist doch schon drei Jahre alt. Du musst wirklich mehr rausgehen! Gibt es denn da, wo du herkommst, keine Kinos?“

Doch, die gibt es, dachte Oswald. Und außerdem Netflix und YouTube und die Playstation und Soziale Medien. Aber das sagte er nicht.

Natürlich gab es Technologien, über die Chip und Mike redeten, von denen wiederum er nur eine vage Ahnung hatte, wie Videorecorder, Ghettoblaster und Kompaktkassetten. Und er musste ständig darauf achten, nicht von Handys und Tablets und dem Internet zu reden. Er bemühte sich, keine T-Shirts mit Aufdrucken anzuziehen, die für die beiden oder die anderen Kunden im Freddy Fazbear’s von 1985 verwirrend sein könnten.

 

„Ja, wir müssen dich absolut mal auf den neuesten Stand bringen“, meinte Chip.

Wenn du wüsstest, dachte Oswald.

„Hey, hättet ihr Lust, was zu spielen?“, fragte Mike. „Ich hätte Bock auf Skee-Ball, und ich verspreche, ich werde euch schonen.“

Chip lachte. „Nein, das wirst du nicht. Du wirst uns fertigmachen.“

„Geht ihr nur“, forderte Oswald die beiden auf. „Ich bleibe hier am Tisch.“

„Und siehst dir die Show an oder was?“, fragte Mike ungläubig und deutete mit dem Kopf in Richtung der Bühne mit den unheimlichen Figuren. „Ist alles in Ordnung? Wenn dir die Musik im Freddy Fazbear’s plötzlich gefällt, müssen wir schnell Hilfe für dich organisieren.“

„Nein, alles ist gut“, versicherte Oswald, doch das stimmte nicht. Bei seinen ersten Besuchen im Freddy Fazbear’s von 1985 war ihm überhaupt nicht aufgefallen, dass er nur von Chips und Mikes Großzügigkeit lebte, weil er nie selbst Geld dabei hatte. Und wäre er in seiner eigenen Zeit auch nicht pleite gewesen, wüsste er nicht, ob das Geld, das er mitbringen würde, 1985 überhaupt etwas wert war? Es war schon etwas erbärmlich, gleich in zwei Jahrzehnten pleite zu sein.

Schließlich sagte er: „Ich habe einfach das Gefühl, von eurem Geld zu leben, weil ich nie welches habe.“

„Hey, Mann, alles cool“, erwiderte Chip. „Das ist uns nicht mal aufgefallen.“

„Ja“, meinte Mike, „wir haben uns gedacht, dass deine Großmutter dir nie Geld gibt. Meine Großmutter macht das auch nicht, außer an meinem Geburtstag.“

Sie waren wirklich nett, die beiden, aber Oswald war die Sache trotzdem peinlich. Wenn sie über das Geld gesprochen hatten, war es ihnen also doch aufgefallen. „Wie wäre es, wenn ich einfach mitkomme, während ihr spielt?“, schlug Oswald vor.

Als er aufstand, spürte er plötzlich Gewicht in seinen Hosentaschen, so schwer, dass er das Gefühl hatte, es würde ihm die Jeans herunterzerren. Er griff in seine Taschen und zog zwei Hände voll mit Wertchips für die Games im Freddy Fazbear’s von 1985 heraus. Er packte alles auf den Tisch, und holte dann eine weitere Handvoll hervor. Und noch eine, und noch eine. „Oder wir könnten mit denen hier spielen“, meinte er. Er hatte keine Ahnung, wie er diese Magie erklären sollte. „Wahrscheinlich hab ich vergessen, dass ich diese Hosen anhabe … in der sind nämlich alle Chips.“

Chip und Mike schienen verblüfft, aber dann grinsten sie und begannen, Chips in ihre leeren Limobecher zu füllen.

Oswald tat dasselbe. Er beschloss, sich keine weiteren Gedanken zu machen. Er hatte keine Ahnung, wie die Chips dorthin gekommen waren, aber schließlich wusste er auch nicht, wie er selbst dorthin gekommen war.

Als sein Vater ihn am nächsten Morgen zur Bücherei fuhr, fragte Oswald: „Dad, wie alt warst du 1985?“

„Gerade mal ein paar Jahre älter als du“, antwortete sein Vater. „Und außer an Baseball habe ich nur daran gedacht, wie viele Münzen ich in der Spielhalle ausgeben könnte. Warum fragst du?“

„Einfach nur so“, erwiderte Oswald. „Ich hab ein bisschen recherchiert. Jeff’s Pizza war doch – bevor es zu Jeff’s Pizza wurde – eine Art Spielhalle, oder?“

„Ja, war es.“ Die Stimme seines Vaters klang seltsam, irgendwie nervös. Ein paar Sekunden schwieg er, dann sagte er: „Aber sie hat geschlossen.“

„Wie alles andere in dieser Stadt“, meinte Oswald.

„So ziemlich, ja“, sagte sein Vater und hielt vor der Bücherei.

Vielleicht bildete Oswald es sich nur ein, aber sein Vater schien erleichtert zu sein, dass sie ihr Ziel schon erreicht hatten und er keine weiteren Fragen zu dem Thema beantworten musste.

Pünktlich um elf ging Oswald hinüber zu Jeff’s Pizza, wie er es immer tat. Da Jeff nirgendwo zu sehen war, lief Oswald gleich zur Bällegrube. Nachdem er bis hundert gezählt hatte, stand er auf. Doch diesmal hörte er nicht die vertrauten Geräusche aus dem Freddy Fazbear’s. Sondern Schreie. Weinende Kinder. Hilferufe. Schnelle Schritte. Es herrschte Chaos.

Waren Chip und Mike da? Ging es ihnen gut? Ging es allen anderen hier gut?

Er hatte Angst. Einerseits wäre er am liebsten gleich wieder in der Bällegrube verschwunden, doch er machte sich Sorgen um seine Freunde. Außerdem brannte er vor Neugier, was eigentlich los war, obwohl er wusste, was immer es auch war, es musste schrecklich sein.

Er befand sich nicht in Gefahr, redete er sich ein, denn dies war die Vergangenheit, die lange vor seiner Geburt stattgefunden hatte. Sein Leben konnte kaum in einer Zeit in Gefahr sein, die stattgefunden hatte, bevor er überhaupt begonnen hatte zu existieren, oder?

Mit einem Knoten im Magen lief er durch die aufgescheuchte Menge, vorbei an weinenden Müttern mit Kleinkindern auf dem Arm, vorbei an Vätern, die nach den Händen ihrer Kinder griffen und sie schnell zum Ausgang führten, das Entsetzen ins Gesicht geschrieben.

„Chip? Mike?“, rief er, aber seine Freunde waren nirgends zu sehen. Vielleicht waren sie heute nicht ins Freddy Fazbear’s gekommen. Vielleicht waren sie in Sicherheit.

Ängstlich, aber von dem Gefühl getrieben, dass er herausfinden müsste, was los war, lief Oswald in die Richtung, aus der all die anderen kamen, und ihm wurde immer mulmiger.

Vor ihm tauchte der Mann in dem gelben Kaninchenkostüm auf … falls denn ein Mann darin steckte. Das Kaninchen öffnete eine Tür mit der Aufschrift „Privat“ und ging hindurch.

Oswald folgte ihm.

Der Gang dahinter war lang und dunkel. Mit ausdruckslosen Augen und einem eingefrorenen Grinsen blickte ihn das Kaninchen an, dann ging es den Gang hinunter. Oswald jagte das Kaninchen nicht. Er ließ sich von ihm führen, als befände er sich in einer grauenerregenden Variante von Alice im Wunderland und würde gerade in das Kaninchenloch hinabsteigen.

Das Kaninchen hielt vor einer Tür inne, auf der „Partyraum“ stand, und bedeutete Oswald, ihm hineinzufolgen. Oswald bebte vor Furcht, aber er war zu neugierig, um es nicht zu tun. Außerdem, dachte er, kannst du mir nichts tun. Ich bin ja noch nicht einmal geboren.

In dem Raum brauchte Oswald ein paar Sekunden, um zu begreifen, was er dort eigentlich sah und noch ein paar weitere Sekunden, bis sein Hirn das auch verarbeitet hatte.

Sie saßen aufgereiht an der Wand, die mit Bildern der Tiere aus dem Freddy Fazbear’s bemalt waren: dem grinsenden Bären, dem blauen Kaninchen und dem Vogelmädchen. Es waren ein halbes Dutzend Kinder, keins von ihnen älter als Oswald. Ihre leblosen Körper aufrecht hingesetzt, die Beine vor sich ausgestreckt. Einige hatten die Augen geschlossen, als würden sie schlafen. Die Augen anderer waren offen und leer wie die von Puppen.

Alle trugen sie Freddy-Fazbear-Partyhüte.

Oswald wusste nicht, wie sie gestorben waren, aber ihm war klar, das Kaninchen war dafür verantwortlich. Das Kaninchen wollte ihm sein Werk präsentieren. Vielleicht sollte Oswald sein nächstes Opfer werden und auch mit toten Augen neben den anderen an der Wand sitzen.

Oswald schrie. Das gelbe Kaninchen sprang auf ihn zu. Er stürzte aus dem Raum und den dunklen Korridor entlang. Vielleicht konnte das Kaninchen ihm etwas tun, vielleicht auch nicht. Aber Oswald hatte keine Lust, das herauszufinden.

Er rannte durch die nun leere Spielhalle zum Bällebad. Draußen schrien die Sirenen der Polizeiautos mit Oswald um die Wette. Das Kaninchen verfolgte ihn und kam ihm so nahe, dass er plötzlich eine pelzige Pfote auf seinem Rücken spürte.

Oswald hechtete in die Grube. So schnell er konnte, zählte er bis hundert.

Als er aufstand, hörte er Jeffs Stimme. „Da ist der kleine Stinker!“

Oswald drehte sich um und sah, wie sein Vater auf ihn zukam. Er schien außer sich zu sein, und Jeff war offensichtlich auch nicht besonders glücklich – wenn das auch nichts Besonderes war.

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