Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht

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B. Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV

Ein Verstoß gegen den freien Dienstleistungsverkehr könnte in der Beschränkung der Tätigkeit von Werbeagenturen, Presseunternehmen und Rundfunkunternehmen liegen.

I. Schutzbereich

32

Dienstleistungen im Sinne von Art. 56 AEUV[31] sind Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und die Freizügigkeit der Personen unterliegen (Art. 57 AEUV). Damit ist die Tätigkeit der Werbeagenturen eine Dienstleistung. Auch das Zurverfügungstellen von Anzeigenraum durch die Presse kann eine Dienstleistung darstellen.[32] Schließlich ist auch Rundfunk eine Dienstleistung.[33]

Der persönliche Anwendungsbereich ist ebenfalls eröffnet.

II. Beschränkung

33

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Dienstleistungen im grenzüberschreitenden Verkehr angeboten und nachgefragt werden.

Dabei ist die Dienstleistungsfreiheit nicht nur auf den grenzüberschreitenden Export von Dienstleistungen beschränkt, sondern kann auch auf die grenzüberschreitende Nachfrage bezogen sein. So kann die Dienstleistungsfreiheit dadurch beschränkt werden, dass ein Mitgliedstaat das Recht der im Gebiet dieses Mitgliedstaats niedergelassenen Presseunternehmen beeinträchtigt, möglichen Inserenten, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind, Anzeigenraum in ihren Veröffentlichungen anzubieten. Das gilt insbesondere – aber nicht nur – im Verkehr mit dem gleichsprachigen Ausland. Folglich betrifft das nationale Gesetz die aktive und die passive Dienstleistungsfreiheit.

III. Rechtfertigung der Beschränkung

34

Eine derartige Beschränkung kann auch hier mit dem Gesundheitsschutz gerechtfertigt werden, Art. 62 AEUV iVm Art. 52 Abs. 1 AEUV. Insoweit kann auf die Prüfung zur Warenverkehrsfreiheit verwiesen werden.

C. Ergebnis

35

Die Warenverkehrsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit werden beeinträchtigt, die Beeinträchtigung ist aber gerechtfertigt.

Anmerkungen

[1]

EuGH v. 12.12.2006, Rs. C-380/03 – „Tabakwerbe-Richtlinie II“, Rn 80.

[2]

Vgl. i. E. EuGH v. 5.10.2000, Rs. C-376/98 – „Tabakwerbe-Richtlinie I“, Rn 84, der auf die Überprüfungskompetenz des Gerichtshofs abstellt.

[3]

EuGH v. 5.10.2000, Rs. C-376/98 – „Tabakwerbe-Richtlinie I“, Rn 86.

[4]

EuGH v. 12.12.2006, Rs. C-380/03 – „Tabakwerbe-Richtlinie II“, Rn 93.

[5]

Nolte, NJW 2000, 1144, 1147.

[6]

Gundel, EuR 2007, 250, 252.

[7]

Vgl. a. EuGH v. 10.12.2002, Rs. C-491/01 – „British American Tobacco“, Rn 189 f.

[8]

Ausführliche Begründung: EuGH v. 12.12.2006, Rs. C-380/03 – „Tabakwerbe-Richtlinie II“, Rn 45 ff.

[9]

EuGH v. 5.10.2000, Rs. C-376/98 – „Tabakwerbe-Richtlinie I“, Rn 106.

[10]

EuGH v. 5.10.2000, Rs. C-376/98 – „Tabakwerbe-Richtlinie I“, Rn 113.

[11]

BVerfGE 123, 267, 394.

[12]

EuGH v. 10.12.2002, Rs. C-491/01 – „British American Tobacco“, Rn 180.

[13]

EuGH v. 10.12.2002, Rs. C-491/01 – „British American Tobacco“, Rn 182.

[14]

EGMR v. 20.11.1989, Serie A, Nr. 165 – „Markt Intern“, Rn 25 f.

[15]

GA Fenelly v. 15.6.2000, Rs. C-376/98, Rn 153.

[16]

EuGH v. 5.5.1998, Rs. C-180/96 – „BSE“, Rn 60; enger allerdings EuGH v. 9.9.2010, Rs. C-92/09 – „Schecke“.

[17]

EGMR v. 26.4.1979, Serie A Nr. 30 – „Sunday Times“.

[18]

EGMR v. 20.11.1989, Serie A, Nr. 165 – „Markt Intern“, Rn 47.

[19]

GA Fenelly v. 15.6.2000, Rs. C-376/98, Rn 158.

[20]

EuGH v. 14.10.1999, Rs. C-104/97 P, Rn 12.

[21]

EuGH v. 14.5.1974, Rs. 4/73 – „Nold“, Rn 14.

[22]

Offengelassen: EuGH v. 6.12.1984, Rs. 59/83 – „Biovilac“, Rn 21.

[23]

Zur Warenverkehrsfreiheit: Ruthig, in: Ruthig/Storr, S. 49.

[24]

Zur Eingriffsdogmatik: Ruthig, in: Ruthig/Storr, S. 37 f.

[25]

EuGH v. 11.7.1974, Rs. 8/74 – „Dassonville“, Rn 5.

[26]

EuGH v. 24.11.1993, Rs. C-267/91 – „Keck“, Rn 16 f.

[27]

AA Leible, EuZW 2001, 253, 254; vgl aber Stein, EuZW 1995, 435, 436, der davon ausgeht, dass bei absoluten Werbeverboten grundsätzlich keine Verkaufsmodalität vorliegt.

[28]

Vgl für Alkoholwerbung: EuGH v. 8.3.2001 – Rs. C-405/98 – „schwedisches Alkoholwerbeverbot“, Rn 21.

[29]

Zur Rechtfertigung: Ruthig, in: Ruthig/Storr, S. 38 f.

[30]

EuGH v. 20.2.1979, Rs. 120/78 – „Cassis de Dijon“, Rn 8.

[31]

Ruthig, in: Ruthig/Storr, S. 47 f.

[32]

EuGH v. 8.3.2001, Rs. C-405/98 – „schwedisches Alkoholwerbeverbot“, Rn 39.

[33]

EuGH v. 30.4.1974, Rs. 155/73 – „Sacchi“, Rn 6.

Fall 2 Die Smokers Lounge

Inhaltsverzeichnis

Vorüberlegungen

Gliederung

Lösung

36

Die Smoker’s Lounge Ltd. (S) mit Sitz in London betreibt europaweit Gaststätten, die vor allem von Genussrauchern frequentiert werden, die sich ihren Whiskey oder Cognac einfach nicht ohne Pfeife, Zigarre oder Zigarillo vorstellen können. Angesichts des überwältigenden Erfolges dieses Konzeptes will sie auch in der Mainzer Altstadt eine entsprechende Lounge eröffnen. Diese soll durch einen Hinweis an der Tür deutlich als Rauchergaststätte gekennzeichnet und nur für Erwachsene zugänglich sein. Eine Aufteilung des 150 m² großen Schankraumes, eines ehemaligen mittelalterlichen Spitals, in mehrere Gasträume ist aus technischen und denkmalschutzrechtlichen Gründen nicht möglich.

Wie in allen Einrichtungen der S sollen kleine Snacks und alkoholische Getränke aller Art angeboten werden. Der Antrag auf Erteilung der nach Landesrecht erforderlichen gaststättenrechtlichen Erlaubnis wird jedoch von der zuständigen Behörde abgelehnt. Begründet wird die formell ordnungsgemäße Entscheidung damit, dass das Vorhaben der S dem gesetzgeberischen Konzept eines umfassenden Nichtraucherschutzes zuwiderlaufe und daher eine Genehmigung nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG nicht erteilt werden könne. Die nach § 7 Abs. 2 NRSG (Nichtraucherschutzgesetz RP) zulässigen Ausnahmen für kleine Gaststätten und Festzelte sowie abgetrennte Raucherbereiche seien ersichtlich nicht einschlägig, weitere habe der Gesetzgeber bewusst nicht vorgesehen.

 

S ist entsetzt. Für ihr Geschäftsmodell komme die Regelung des NRSG einem Berufsverbot gleich und verstoße daher sowohl gegen die Berufs- wie die Niederlassungsfreiheit. Dies sei umso bedenklicher, als das Gesetz ja durchaus Ausnahmen vom allgemeinen Rauchverbot zulasse. So dürfe in Festzelten und separaten Nebenräumen schon nach dem Willen des Gesetzgebers und nach der Rechtsprechung auch in kleinen, inhabergeführten Einraumkneipen geraucht werden. Insbesondere in ihren Entscheidungen zur Sportwette hätten sowohl EuGH wie BVerfG immer wieder die Verpflichtung des Gesetzgebers zu einer kohärenten Ausgestaltung der Verfolgung der Schutzziele angemahnt. Aus genau diesem Grund habe ja auch das BVerfG die meisten Nichtraucherschutzgesetze scheitern lassen. Dass Nichtraucherschutz immer auch Raum für Rückzugsbereiche von Rauchern lassen müsse, zeige sich auch im Ausland. Schließlich habe sie ihr Konzept in fast allen Mitgliedstaaten der EU ohne Probleme umsetzen können. Überhaupt fehle schon die Gesetzgebungskompetenz des Landes für eine solche Regelung. Es gehe in der Sache jedenfalls um Gesundheitsschutz, für den nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG der Bund zuständig sei, welcher in seinem Nichtraucherschutzgesetz das Rauchen in Gaststätten gerade nicht geregelt habe.

In allen 3 Instanzen teilen die Gerichte allerdings die Auffassung der Behörde, § 7 NRSG sei verfassungsgemäß. Auch ein Verstoß gegen Unionsrecht liege offensichtlich nicht vor, so dass das BVerwG auch auf eine Vorlage an den EuGH verzichtete. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Anwendung der Niederlassungsfreiheit schon an den Grundsätzen der Keck-Rechtsprechung scheitere.

Anschließend erhebt S Verfassungsbeschwerde und rügt die Verletzung ihrer Niederlassungs- und Berufsfreiheit sowie des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG). Wie wird das BVerfG entscheiden, das die Verfassungsbeschwerde nach § 93a BVerfGG zur Entscheidung angenommen hat?

Bearbeitervermerk:

Auf die Anhörungsrüge nach § 152a VwGO ist nicht einzugehen.

Für die Bearbeitung sind nur die im Sachverhalt genannten Bestimmungen des NRSG (Nichtraucherschutzgesetz RP) heranzuziehen.

Fall 2 Die Smokers Lounge › Vorüberlegungen

Vorüberlegungen

37

Der Fall behandelt mit dem Nichtraucherschutz in Gaststätten einen Dauerbrenner der verfassungsrechtlichen Diskussion der letzten Jahre. Konkret geht es um das Rauchverbot für die sog. „Erlebnisgastronomie“, bei der der Tabakkonsum untrennbar mit dem Geschäftskonzept verbunden ist, also etwa auch Shisha-Cafés uä[1], die die strengen Anforderungen an Systemgerechtigkeit bzw. Kohärenz einer Regelung, die das BVerfG in seinen ersten, als bekannt vorauszusetzenden Urteilen zum Nichtraucherschutz entwickelt hatte, auf eine Bewährungsprobe stellten. Ausgangspunkt einer Prüfung des Art. 12 GG ist dabei für das BVerfG die Drei-Stufen-Lehre, ohne dass es die genaue Abgrenzung dieser Stufen abschließend geklärt oder auch nur in allen Fällen überhaupt herangezogen hätte. Die Stufenlehre lässt sich am besten als konkretisierende Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips begreifen, deren Raster vom BVerfG auch nicht sklavisch befolgt wird[2]. Sie kann als Argumentationsraster hilfreich sein, muss aber nicht unbedingt Niederschlag im Text finden.

Der Fall führt außerdem an die „Schnittstelle“ von Verfassungs- und Europarecht. Dies beginnt mit der Frage der Grundrechtsberechtigung ausländischer juristischer Personen, die das BVerfG ausdrücklich anerkannt hat[3] und setzt sich fort mit der Anwendung von Deutschengrundrechten auf EU-Ausländer sowie dem Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG), der auch bei Unterlassen der Vorlage an den EuGH verletzt sein kann. Auch zur Reichweite der Vorlagepflicht gibt es aktuelle Entscheidungen des BVerfG[4]. In diesem Kontext kommt es auch zu einer Prüfung der Grundfreiheiten, obwohl diese nicht (unmittelbarer) Prüfungsgegenstand im verfassungsgerichtlichen Verfahren sein können.

Prozessual eingekleidet ist der Fall als Verfassungsbeschwerde. Die Zulässigkeit (als Urteilsverfassungsbeschwerde gegen eine letztinstanzliche Entscheidung) bereitet bis auf die Frage der Beteiligtenfähigkeit einer ausländischen juristischen Person keine Probleme[5]. Besonderer Aufmerksamkeit bedarf allerdings bei Urteilsverfassungsbeschwerden der Prüfungsmaßstab. Das BVerfG ist keine „Superrevisionsinstanz“ und beschränkt sich auf die Prüfung der Verletzung sog. „spezifischen Verfassungsrechts“ (vgl Rn 43). Die Verfassungswidrigkeit einer vom Richter angewandten Norm stellt aber einen eindeutigen Fall der Verletzung spezifischen Verfassungsrechts dar und führt in jedem Fall zur Begründetheit der Urteilsverfassungsbeschwerde.

Insgesamt behandelt der Fall also aktuelle Rechtsfragen, die auch für den Pflichtfachbereich relevant sind. Im Schwerpunkt Öffentliches Wirtschaftsrecht können diese Fragen selbstverständlich gewerberechtlich eingekleidet sein[6].

Anmerkungen

[1]

Zur (im Ergebnis für zulässig gehaltenen) Einbeziehung von Shisha-Kneipen und Erlebnisgastronomie in das Rauchverbot BVerfG, NVwZ 2011, 294; BayVerfGH GewArch 2011, 503; s. aber auch BerlVerfGH, GewArch 2008, 410 f; SaarlVerfGH, NVwZ-RR 2010, 951, die das Rauchverbot im Rahmen einer Folgenabwägung vorläufig ausgesetzt hatten; anders insoweit BayVerfGH, NVwZ-RR 2010, 946. Als bislang letzte Entscheidung vgl BVerfG v. 24.01.2012 – Az. 1 BvL 21/11 zur Verfassungswidrigkeit der hamburgischen Regelung, die (anders als für Schankgaststätten) in Speisegaststätten keine abgetrennten Raucherbereiche zulässt.

[2]

S. auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG Art. 12 Rn 40; Mann, in: Sachs, GG Art. 12 Rn 137 ff; Ruthig, in: Ruthig/Storr, Rn 121.

[3]

BVerfG, NJW 2011, 3430. S. auch schon Ruthig, in: Ruthig/Storr, Rn 152 f mwN auch zu den bisher vertretenen Konstruktionen für das unionsrechtlich zwingende Ergebnis.

[4]

BVerfG, Beschluss v. 20.02.2017, Az. 2 BvR 63/15 (juris); BVerfG, Beschluss v. 15.12.2016, Az. 2 BvR 222/11; s. auch ausf BVerfG, NVwZ 2014, 646 ff.

[5]

Ausdrücklich gefragt ist nach der Verfassungsbeschwerde zum BVerfG. Eine zB gem. Art. 130a LV RP grundsätzlich eröffnete Verfassungsbeschwerde zum Landesverfassungsgericht (VerfGH) schiede vorliegend aus, da Gegenstand der Verfassungsbeschwerde jedenfalls auch eine bundesgerichtliche Entscheidung ist. Der Hinweis auf das Annahmeverfahren (vgl dazu etwa Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht Rn 80 ff, 257 ff) ersetzt nicht die Prüfung der Zulässigkeit, da zwar im Annahmeverfahren offensichtlich unzulässige Verfassungsbeschwerden ausgeschieden werden, die Annahme aber keine bindende Entscheidung über die Zulässigkeit enthält.

[6]

Als Klausurfall Heintzen/Albrecht, Jura 2009, 787 (vorläufiger Rechtsschutz gegen den Widerruf der Gaststättenerlaubnis); vgl auch Ruthig, in: Hendler/Hufen/Jutzi, Landesrecht RP, § 6 Rn 22. Als gefahrenabwehrrechtliche Variante, ausschließlich gestützt auf das NRSG VG Neustadt, BeckRS 2017, 107009.

Fall 2 Die Smokers Lounge › Gliederung

Gliederung

38


A. Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde
I. Beteiligtenfähigkeit (Verfassungsbeschwerdefähigkeit)
II. Beschwerdegegenstand: Akt öffentlicher Gewalt, § 90 Abs. 1 BVerfGG
III. Verfassungsbeschwerdebefugnis, § 90 Abs. 1 BVerfGG
IV. Weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen
B. Die Begründetheit der Verfassungsbeschwerde
I. Prüfungsmaßstab
II. Vereinbarkeit des Rauchverbots mit Art. 12 GG
1. Schutzbereich der Berufsfreiheit
a) Sachlicher Schutzbereich
b) Persönlicher Schutzbereich
2. Eingriff
3. Rechtfertigung des Eingriffs
a) Vorbehalt des Gesetzes
b) Materielle Verfassungsmäßigkeit
III. Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG (gesetzl. Richter)
1. EuGH als gesetzlicher Richter
2. Verletzung der Vorlagepflicht
a) Entscheidungserheblichkeit
b) Auslegung des Unionsrechts: Vereinbarkeit mit der Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV
3. Willkürmaßstab

Fall 2 Die Smokers Lounge › Lösung

 

Lösung
A. Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde
I. Beteiligtenfähigkeit (Verfassungsbeschwerdefähigkeit)

39

Verfassungsbeschwerde kann gem. § 90 Abs. 1 BVerfGG von „jedermann“ mit der Behauptung erhoben werden, in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt zu sein. Gemeint sind solche des Grundgesetzes. Da die Verfassungsbeschwerdebefugnis also nicht auf die Verletzung von Unionsrecht gestützt werden kann, kann sich aus diesem auch nicht die Beteiligtenfähigkeit ergeben[1].

Exkurs:

Auch den Gewährleistungen der EMRK kommt kein Verfassungsrang zu, so dass sie ebenfalls kein geeigneter Prüfungsmaßstab für das Verfassungsbeschwerdeverfahren sind[2]. Das BVerfG zieht sie bzw die Entscheidungen des EGMR aber sehr wohl als Konkretisierungen der Grundrechte des GG heran[3]: Es müsse jedenfalls die Möglichkeit bestehen „in einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zu rügen, staatliche Organe hätten eine Entscheidung des Gerichtshofs missachtet oder nicht berücksichtigt. Dabei steht das Grundrecht in einem engen Zusammenhang mit dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Vorrang des Gesetzes, nach dem alle staatlichen Organe im Rahmen ihrer Zuständigkeit an Gesetz und Recht gebunden sind (vgl BVerfGE 6, 32, 41)“.

Die Verfassungsbeschwerdebefugnis setzt voraus, dass der Beschwerdeführer überhaupt Träger von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten sein kann, knüpft also an die Grundrechtsfähigkeit an[4]. Während der Anspruch auf „ihren“ gesetzlichen Richter für alle Prozessbeteiligten gilt[5], bedarf die Verfassungsbeschwerdebefugnis bei S im Übrigen näherer Prüfung. Träger von Grundrechten können (außer natürlichen Personen) nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Art. 19 Abs. 3 GG nur inländische juristische Personen des Privatrechts sein. Maßgebend für die Qualifikation als inländisch ist der (tatsächliche) Sitz[6]. Danach ist S als ausländische juristische Person einzuordnen. Allerdings folgt aus den Grundfreiheiten und dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV das Verbot einer Ungleichbehandlung in- und ausländischer juristischer Personen. Jedenfalls im verfassungsgerichtlichen Verfahren lässt sich diese nur dadurch erreichen, dass man die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen aus Art. 19 Abs. 3 GG auf juristische Personen aus Mitgliedstaaten der EU erstreckt[7].

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