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Ille mihi

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Gleich vom Torweg an mußte er beginnen und die Tür beschreiben, die sich, durch einen Draht gezogen, nach innen öffnet und beim Zugehen einen seltsam glucksenden Ton von sich gibt. »Wie unterdrücktes Schluchzen abgetakelter Exzellenzen,« sagte Walden lachend, mit dem siegessicheren Frohsinn der Jugend, der die Zeit, da auch sie einst nur noch in Erinnerungen leben wird, so endlos ferne scheint. Der Portier mit der roten Nase, die so fein wittert, wessen Stern im Steigen begriffen und wer den Zenith der Karriere bereits überstiegen hat, dünkte Ilse eine wichtige Persönlichkeit, beinahe ebenso geheimnisvoll wie die beiden Sphinxe, die rechts im Innern die Freitreppe bewachen und dem hoffnungsvollen Attaché ebenso wehmütig spöttisch nachzulächeln scheinen, wie dem müden zittrigen Botschafter. Das Vestibül oben mit den Kandelabern aus der Empirezeit kannte Ilse durch Wolfs Beschreibungen und das Kuppeldach, durch das das Auge zum diplomatischen Himmel blickt. Sie wußte jetzt auch, daß es ein Allerheiligstes gibt, so »politische Abteilung« heißt, und daß Kanzleidiener in Frack und Orden, auf die durch langjährigen Verkehr etwas von geheimrätlicher Würde übergegangen ist, der verborgenen Staatssekretär-Gottheit die Besucher melden.

»In dem großen Wartezimmer,« sagte Walden, »hängt ein Porträt Friedrich Wilhelm III., und wie ich zum ersten Male dort stand, und zu dem Bilde dieses unschlüssigen und unglücklichen Königs aufsah, war es erhebend, daran denken zu können, daß in diesem selben Hause dann der große Mann gewohnt und gewirkt hat, der die Schmach tilgte, die jenem einst geschah.«

Wenn Ilse Walden so reden hörte, stellte sie ihn sich vor, wie er in dem grauen Hause in einem langen schmalen Zimmer saß, das einen einfachen gelben Schreibtisch, ebensolche Bücherregale und ein Ripssofa enthielt, dessen Sprungfedern seit Jahren zerbrochen waren – und voller Stolz sagte sie sich, daß er, in dieser aller welschen Verweichlichung abholden Umgebung, nun auch mit daran arbeitete, daß die Sonne nie wieder Tage der Schmach bescheinen könne.

In Gesellschaften, wo Ilse, wie die Mehrzahl deutscher weiblicher Jugend, bisher die Männer bevorzugt hatte, die das Vaterland mit der Waffe verteidigen, suchte sie nun jene mehr auf, die ihm hauptsächlich mit Wort und Feder dienen. Abende, wo sie Herren des Auswärtigen Amtes traf, erschienen ihr durch diesen Umstand allein schon reizvoll. Sie empfand vor ihnen eine gewisse Scheu, wie vor großen Zaubermeistern, deren Tätigkeit unerklärlich ist, und diese Herren wären sicher selbst am erstauntesten gewesen, wenn sie geahnt hätten, welchen Nimbus sie in den Augen dieser hübschen, jungen Frau besaßen. Sie verklärte sie und dichtete sie um – nur weil sie täglich mehrere Stunden mit Wolf zusammen waren. Am glücklichsten aber fühlte sich Ilse, wenn es ihr bei solchen Gelegenheiten gelang, das Gespräch auf Wolf selbst zu bringen, und voll heimlichen Stolzes vernahm sie, daß ihm eine große Karriere prophezeit wurde.

*

In jenen Tagen fanden gerade parlamentarische Debatten statt, in die Wolfs höchste Vorgesetzte eingriffen. Da begann Ilse sich sogar für den Reichstag zu interessieren, und sie studierte in den Zeitungen die Sitzungsberichte, ganz wie sie einst, da der blaue Märchenritter in ihrem Leben herrschte, ihm zu Liebe Torte gegessen und den frühen Predigten eines Militärpfarrers gelauscht hatte. Was sie nicht verstand – und es war dessen recht viel – mußte ihr Walden erklären.

Unter solcher Führung lernte sie nun freilich nicht den Reichstag selbstbewußter Abgeordneter kennen, die in sich die Beaufsichtiger und Erzieher der Regierung erblicken und wähnen, daß alles im Lande zum besten stände, wenn nur ihre Machtbefugnisse vermehrt würden. Nein, sie sah den Reichstag, wie er Regierungsvertretern erscheinen mag – als einen gefährlichen Kranken, den man nun mal im Hause hat und mit dem man auskommen muß, der sich im allgemeinen ja auch leidlich harmlos benimmt und wohl selbst kaum ahnt, wie furchtbar er in seinen Ausbrüchen werden könnte, den es daher gilt, mit freundlichen Worten und Beschwichtigungsmitteln in möglichst ruhiger Stimmung zu erhalten.

Noch nach vielen Jahren erinnerte sich Ilse mit besonderer Deutlichkeit an eine bestimmte Reichstagssitzung, der sie in der Abgeordnetenloge beigewohnt hatte. Theophil zeigte eine gewisse herablassende Genugtuung, als sie ihn bat, ihr ein Billett dafür zu verschaffen, denn er sollte an dem Tage selbst reden, und da erschien es ihm ja nur schicklich, daß seine Frau ihm in Ehrfurcht lauschen wollte.

Es handelte sich um eine Nachtragsforderung für die Subventionierung eines der lieben Koloniechen, in denen nicht alles geht, wie es gehen sollte, und wo immer irgend etwas Unerwartetes passiert, was, wie die meisten unvorhergesehenen Dinge, nachher mit Geld ausgeglichen werden muß. Ilse stand ganz auf seiten der Regierung und entdeckte in sich ein überraschend großes Verständnis für die Bedürfnisse der lieben Landsleute im fernen Erdteil. Sicherlich sollten doch diese armen Menschen das bißchen Geld erhalten! Und es war auch gar nicht verwunderlich, daß Ilse sich für die Regierungsvorlage so warm begeisterte, denn sie blickte ja von ihrer Tribüne nicht nur herab auf die mehr oder minder kahlen Staatsmännerschädel, in denen der Weg erdacht wird, auf dem Deutschland zu Ruhm und Ehre geführt werden soll, sondern zwischen diesen ehrwürdigen, verantwortlichen Häuptern sah sie auch jüngere Herren der verschiedenen Ministerien, die ihren Chefs in kritischen Lagen, gleich aufmerksamen Sekundanten, mit Akten und Notizen hilfreich beisprangen – und unter diesen jüngeren Herren befand sich an jenem Tage als einer der eifrigsten auch Wolf von Walden.

Theophil dagegen, der als Redner der Rechten auftrat, griff die Vorlage an, denn es war eine der seltsamen politischen Konstellationen, wo die staatsgetreuen Konservativen es mit ihren Prinzipien für vereinbar hielten, der Regierung die Gefolgschaft zu verweigern. Irgendein geheiligtes agrarisches Interesse mußte vielleicht durch die Unterstützung dieser Kolonie gefährdet scheinen.

Von seiten der Regierung wurde ihm dann mit jener auf Erstaunen beruhenden Schärfe geantwortet, die gerade die Vergehen sonst artiger Lieblingskinder hervorzurufen pflegen.

Bei dieser ungewohnt energischen Abfuhr, die dem Abgeordneten des Kreises Sandhagen zuteil wurde, blickten unwillkürlich mehrere seiner Fraktionsgenossen zu Ilse in die Höhe, und auch aus der Diplomatenloge richteten sich auf sie manch neugierige und bedauernde Blicke. Sie aber empfand nicht nur völlige Gleichgültigkeit ob Theophils Bedrängnis, sondern es regte sich beinahe eine kleine uneingestandene Genugtuung in ihr, daß ihm, dem mit dem Anspruch auf Unfehlbarkeit so gern Dozierenden, einmal so kräftig widersprochen wurde.

Ja, da unter des Reichstags goldener Kuppel fühlte sie es einmal wieder mit voller Gewalt, wie gänzlich fern und fremd er ihr war. Mochten auch Bahnen gebaut und Dampferlinien subventioniert werden, die weiße und schwarze Menschheit einander näher bringen – für sie beide, die gesetzlich eins waren, gab es keine solche Möglichkeit!

Als Ilse später aus dem Reichstagsgebäude trat, wehte ihr, nach der Schwüle drin, der Duft ersten Frühlings wohltuend entgegen. Es begann bereits zu dämmern, und im Zwielicht tauchte plötzlich Walden vor ihr auf. Als ob er da gewartet hätte.

»Sie wollen wohl noch zu Gräfin Helmstedt?« fragte er, und als Ilse bejahte, fuhr er fort: »Ich gehe in derselben Richtung, darf ich Sie ein paar Schritte begleiten?«

Sie nickte nur. Ihr Herz pochte plötzlich so stark.

Dann gingen sie zusammen zwischen den vielen, vielen Menschen. Und doch hatte sie gerade da im Gewühle all der unbekannten Existenzen die Empfindung, zum ersten Male ganz allein mit ihm zu sein. Und das war wie ein großes Glück.

Als Walden sich dann vor Gräfin Helmstedts Hotel von Ilse verabschiedete, hatte er, ohne daß sie selbst recht wußte, wie es geschehen, von ihr erfahren, daß sie am nächsten Nachmittag einen Besuch in der Königin Augustastraße zu machen habe.

Wie zufällig begegnete er ihr dort, und dann gingen sie wieder zusammen, am Kanal entlang und unter den Bäumen, in denen der Saft stieg und die Knospen schwellten. Durch den schmalen Streifen Anlagen schritten sie, an der stillen Eckvilla der Von der Heydtstraße vorbei und weiter am einsamen Herkulesufer, drehten an der Brücke ganz von selbst wieder um, ohne daß einer den anderen gefragt, und gingen denselben Weg noch einmal zurück, achtlos auf alles um sie her. Sie sprachen unwillkürlich leise, obschon niemand sie belauschen konnte, nur um sich durch dies gemeinsame Flüstern noch mehr von der ganzen übrigen Welt abzusondern. Und jeder hörte in des anderen Stimme ein bisher unbekanntes Beben. Wie erste tastende Schritte einer Entdeckungsreise waren ihre oft zaghaften Worte, und sie hatten ja auch über das Neuland ihrer Seelen noch so viel voneinander zu erfahren. Und doch wollten sie sich schon gegenseitig ihre lange Zusammengehörigkeit beweisen, suchten nach gemeinsamem Erinnern, nannten den Tag, wo sie sich zuerst im Leben begegnet waren. Zum ersten Male – und doch: wie ein Wiederfinden von etwas, wonach sie lange schon Heimweh empfunden, war jenes erste Sehen ihnen beiden gewesen! Leise gestanden sie sich‘s unter den Knospen treibenden Bäumen.

»Und dann später in dem Bahnhof,« sagte er, »da blickten Sie mich an, wie ein armes Kind, dem ein großes Unrecht geschehen.«

Sie erschauerte in schmerzlichem Erinnern und antwortete: »Es geschieht so viel erlaubtes Unrecht auf Erden.«

Dann schwiegen sie beide. Sannen dem rätselhaften Wehen des Schicksalswindes nach, der mit den armen Menschenstäubchen oft so grausam spielt, die falschen unentrinnbar zusammen wirbelt und die rechten sich finden läßt, wenn es zu spät ist – zu spät.

Noch manchesmal gingen sie so, in eigenes Fühlen und Denken versunken. Achtlos alles übrigen, sahen sie nur einer den anderen.

 

Und immer unentbehrlicher wurden den beiden diese kurzen Begegnungen, wo sie sich so allein und weltentrückt dünkten. Dagegen hörten nun die Zusammenkünfte bei Helmstedts auf, denn diese verließen Berlin in dieser Zeit, um sich, wie beinahe alljährlich, für einige Monate in die Heimat der Gräfin zu begeben. Ilse sah sie zwar mit Bedauern scheiden, aber sie empfand doch nicht jene klaffende Lücke, vor der sie sich früher gefürchtet, wenn sie an diese bevorstehende Trennung gedacht. Es war eben etwas in ihr Leben getreten, das anderem kaum noch Raum ließ. – Gräfin Helmstedt ihrerseits mochte zwar eine Ahnung haben, was in Ilse vorging, aber sie hatte nicht daran rühren wollen, weil sie wohl wußte, daß die Warner vor Feuer oftmals die wahren Brandstifter sind. Nur beim Abschied hatte sie Ilse besonders zärtlich in die Arme geschlossen und ihr zugeflüstert: »Vergessen sie nie, Kindchen, daß ich Sie sehr lieb habe.« Dann waren andere Freunde herangetreten, und Ilse hatte ihr nur halb verträumt zunicken können.

*

Doch während Wolf und Ilse also weltvergessen in eines schönen Traumes Wegen wandelten, späheten und sahen andere Augen – auch übelwollende. Und Fräulein von St. Pierre in ihrem Hofdamenzimmerchen, das mit zahllosen Photographien höchster Personen geziert war, schrieb mit langen, spitzen Buchstaben: »So sehr Ihr Euch alle aber freuen könnt über das, was ich Dir, liebste Mechtild, von dem wachsenden Ansehen deines Schwagers geschrieben habe, so bedauerlich ist es, daß Deiner Schwägerin alles Verständnis zu fehlen scheint für die Pflichten, die ihr, als Frau gerade solch eines hervorragenden Mannes, obliegen. Anstatt für das große Glück, ihm anzugehören, in Demut dankbar zu sein und Euern alten Namen stolz zu hüten, scheint sie nur an persönliche Erfolge zu denken und verliert in der Sucht nach Bewunderung die richtige Haltung. Ich will absichtlich nichts Schlimmeres annehmen. Aber Tatsache ist, daß sie sich von einem Herrn von Walden aus dem diplomatischen Dienst auffallend die Kur machen läßt, ja daß man sie sogar abends auf einsamen Spaziergängen mit ihm beobachtet hat. Bei unserer nahen Verwandtschaft und meiner großen Verehrung für Eure ganze Familie hielt ich es für meine peinliche aber gebieterische Pflicht, Dich, liebste Mechtild, hiervon in Kenntnis zu setzen.«

Mechtild, die gerade müde und verbittert am Bette ihrer an einem Ohrengeschwür leidenden Tochter Hetelwina saß, als ihr dieser Brief vom ländlichen Postboten gebracht wurde, vergaß darob sogar die mütterlichen Pflegepflichten, die so viele Stunden ihres eintönigen Daseins füllten. Sie sprang auf, ließ sich kaum Zeit, Mantel und Galoschen anzuziehen und eilte dann, trotz aller Müdigkeit, auf der durchweichten Landstraße nach Weltsöden. Sie, die ob ihrer neun Töchter gering geachtete, konnte es kaum erwarten, der Schwiegermutter zu zeigen, wieviel schlechter doch die Familie bei der Wahl der neuen Schwiegertochter gefahren sei, und wie nunmehr Güter gefährdet waren, die sie treu gehütet. So watete sie mit Fräulein von St. Pierres Brief in der Tasche und roten Flecken auf den abgehärmten Wangen durch den schier unergründlichen Schmutz ländlicher Frühlingswege zu ihrem Werk der Gerechtigkeit.

Das Ergebnis ihres Gesprächs mit Frau von Zehren war, daß diese ihren Koffer vom Boden herunter holen ließ, sowie den altertümlichen Beutel, dessen sie sich bei jeder Reise bediente und auf dem in Perlenstickerei ein Hündchen dargestellt war, das treulich einige Gepäckstücke bewachte. »Nicht alle Besitztümer werden so gut gehütet,« dachte Frau von Zehren, und ihre tückischen Äuglein glimmten hinter den weiten Wangenflächen, während sie Schwämme, Kamm und Zahnbürste, Filzschuhe und Nachthemd in den Beutel packte. Dann ließ sie noch zwei Spickgänse einwickeln, für die Weltsöden berühmt war. Rumkehr, Treumann, Mamsell und das ganze Dienstpersonal aber waren sprachlos: daß die gnädige Frau Mutter in dieser für die Landwirtschaft so wichtigen Zeit plötzlich Weltsöden verlassen könne, hätte keiner für möglich gehalten!

Wie ein Meteor fiel Frau von Zehren gegen Abend in die Wohnung in den Zelten. Sie traf nur den ob ihres plötzlichen Erscheinens ganz bestürzten Sohn zu Hause.

»Ist in Weltsöden etwas Schlimmes passiert?« war seine erste Frage.

»Um Weltsöden kannst du unbesorgt sein,« antwortete die Mutter, »da führe ich die Aufsicht. Es handelt sich um euch hier – und ich will nur hoffen, daß da noch nichts Schlimmes geschehen ist.«

Und indem sie die Bindebänder der kleinen Reisekapotte löste, begann sie sofort, dem Sohn mitzuteilen, welche Warnung sie erhalten.

Aber Theophil war nicht so bereit, sich beunruhigen zu lassen, wie Frau von Zehren erwartet hatte. Während dieser Monate der Unabhängigkeit und des steigenden Bewußtseins eigener Wichtigkeit hatte er sich der Bevormundung entwöhnt. Nicht ganz so kritiklos wie bisher hörte er der Mutter zu und empfand dabei peinlich, daß sie in den kleinen Berliner Stuben noch überwältigender wirkte als auf den weiten heimatlichen Feldern. So war sein erster Wunsch, diese ganze alberne Angelegenheit, die ihm da plötzlich aufgedrängt werden sollte, beiseite zu schieben.

»Verehrteste Mama,« sagte er gemessen, »meine Bescheidenheit verbietet mir, auf die Gefühle näher einzugehen, die bei Fräulein von St. Pierre mitgesprochen haben mögen, als sie es für nötig fand, Mechtild zu schreiben. Daß diese aber Ilse nicht sonderlich wohl will, weil sie eben die Nachfolgerin auf Weltsöden in ihr sieht, wissen wir doch alle.«

»Ganz schön, ganz schön!« rief Frau von Zehren, »aber die Tatsachen bleiben doch: die einsamen Abendspaziergänge mit einem Herrn!«

»Wenn Ilse wirklich etwas so Unüberlegtes getan hat, muß es ihr eben verwiesen werden,« erwiderte Theophil, »aber es können ja auch ganz zufällige Begegnungen gewesen sein.«

»Mit einem Herrn, der allgemein als ihr Kurmacher gilt?« fragte Frau von Zehren skeptisch.

»Verehrteste Mama,« antwortete Theophil mit überlegenem Lächeln, »wenn der Herr wirklich Ilsen die Kur macht, tut er mir leid – er könnte sich nämlich ebensogut um ein Stück Holz bemühen – ich kenn sie doch.«

In diesem Augenblick erscholl die Flurklingel, dann vernahm man Ilses Stimme draußen im Vorplatz, und Theophil setzte rasch hinzu: »Da kommt sie übrigens selbst, und du kannst sie ja nun persönlich nach allem befragen.«

Die Tür ging auf und Ilse trat ein. Eine andere wie die vor wenigen Monaten aus Weltsöden abgereiste, das fühlte Frau von Zehren sofort. Freier schien sie, selbstvertrauender, wie jemand, der durch irgendein Vorkommnis des eigenen Wertes bewußt geworden. Und viel, viel hübscher sah sie aus, konstatierte die Schwiegermutter beinahe widerstrebend, aber freilich, setzte sie in Gedanken hinzu, was vermögen nicht die großstädtischen Schneiderinnen, gegen deren Künste das Strafgesetz eigentlich Paragraphen enthalten sollte.

Theophil, der bis dahin aus Bequemlichkeit Ilse eher verteidigt hatte, fühlte nun bei ihrem Anblick eine plötzliche Gereiztheit: Schließlich war sie es doch, die diese ganze unerquickliche Auseinandersetzung über ihn heraufbeschworen hatte und an dem lästigen mütterlichen Überfall schuld war, – und dies alles in einem Augenblick, wo seine Zeit und ungeschmälerten Kräfte den wichtigen Fragen des Staatswohls gehören sollten. Kaum hatte denn auch Ilse die Schwiegermutter begrüßt, so fragte er sie unwirsch: »Wo kommst du denn her?« und war eigentlich auf ein verlegenes Ausweichen gefaßt.

Aber Ilse antwortete ganz unbefangen: »Ich war draußen bei Greinchen.«

»Natürlich,« sagte Theophil ärgerlich, »eine Person, die sicher mit schuld ist an dem Testament deines Vaters, das mich lächerlich macht, die erscheint dir als passender Umgang.«

Und Frau von Zehren setzte seufzend hinzu: »Ja, ja, Ilse, mein armes Theophilchen hat recht, du scheinst überhaupt alle Sorge um sein Ansehen und seinen Namen zu vergessen – ich bin eigens deshalb hierher gereist …«

»Du mußt mich entschuldigen, verehrteste Mama,« unterbrach sie Theophil, der die Uhr gezogen hatte, »aber ich werde zu einer Kommissionsberatung erwartet, und du besprichst das alles auch wohl am besten mit Ilse allein.«

Froh, einen Grund zu haben, allen weiteren Erörterungen zu entgehen, verließ er das Zimmer schnelleren Schritts, als seine Feierlichkeit sonst zuließ. Doch von der Tür aus wandte er sich noch einmal an Ilse: »Schenke den Worten meiner Mutter Beachtung, liebes Kind!«

Kaum waren die Damen allein, so sagte Frau von Zehren auf Ilse zuschreitend: »Also du hast einen Liebhaber!«

Ilse prallte zurück und schrie auf: »Das ist nicht wahr!«

»Es freut mich, dich dies so bestimmt behaupten zu hören,« sagte die ältere Frau, »aber wenn du dich derart benimmst, daß die ganze Stadt es für wahr hält, kommt es eigentlich aufs selbe heraus.«

»Aber was habe ich denn getan?« fragte Ilse mit bebender Stimme.

»Nun, alle Welt hat dich mit diesem Herrn von Walden nachts in den Straßen gesehen – das willst du doch nicht etwa leugnen?«

»Ich bin ein paarmal mit ihm spazieren gegangen,« antwortete Ilse, »aber niemals des Nachts – doch wenn auch – wäre das wahr, was du vorhin sagtest, so würden wir uns doch wohl anderswo wie in der Straße sprechen können.«

»Du scheinst ja in solchen Dingen sehr gut Bescheid zu wissen,« sagte Frau von Zehren mit einem tückischen Blick der kleinen Äuglein, »nun, wenn du dich so unschuldig fühlst, wirst du es auch gern beweisen wollen: Ich bin gekommen, dich nach Weltsöden mitzunehmen.«

»Nein, nein!« rief Ilse, »das ist unmöglich!«

»Unmöglich?« wiederholte die Schwiegermutter gedehnt, »so steht es also doch?«

»Aber ich kann mich doch nicht wie ein unartiges kleines Mädchen wegführen lassen!« entgegnete Ilse mit Entrüstung, »ich hab ja gar nichts getan – ich glaube … du hättest jedes Wort hören können, was wir gesprochen haben.«

»Um so unverständlicher ist deine Weigerung,« sagte Frau von Zehren, »wenn du aber dabei bleibst, werden dein Mann und ich eben auf andere Mittel sinnen müssen, dich von diesem Herrn zu trennen.«

Wieder funkelten die kleinen Augen so tückisch, daß Ilse plötzlich von einer sinnlosen Angst um Wolf ergriffen wurde. Als müsse sie sich schützend vor ihn werfen.

»Ihr wollt ihm doch nichts tun?« stieß sie hervor.

»Ihm?« wiederholte Frau von Zehren spöttisch. »Sei unbesorgt – sicher nicht so, wie du zu glauben scheinst – dazu wäre mir mein Theophilchen denn doch wirklich zu schade. Wir werden morgen eine Entscheidung treffen.«

Die ganze Nacht lag Ilse mit weit geöffneten Augen da. Sie konnte nicht schlafen, weil gar zu viel in ihr wach geworden. Was sie sich nicht einmal als Möglichkeit flüsternd zugestanden, das war ihr als Tatsache mit lauten Worten entgegengeschleudert worden.

Wie hatte die Schwiegermutter doch gesagt? Du hast einen Liebhaber? – Zischend, als ob mit glühenden Eisen ein Schandmal in zuckendes Fleisch gebrannt würde, so hatte es geklungen. – Und war doch eigentlich ein so hübsches Wort: einer, der einen anderen lieb hat. – Das sollte wohl jeder für jeden sein. Aber so hatte es die Schwiegermutter nicht gemeint. Denn die Menschen lieben einander so wenig, daß dies Wort für sie nur einen Sinn besitzt. – Eine einzige Beziehung gibt es also, in der man – sich wirklich lieb hat?

Und in den langen Stunden der Nacht dachte Ilse an Dinge, die ihrem Wesen bisher fremd geblieben.

Am Morgen, als es sacht im Zimmer zu dämmern begann, traf wie immer der erste Frühlichtstrahl den bunten Druck, auf dem die viktorianischen Schönen so eifrig zu spähen schienen.

Jetzt wußte Ilse, daß, so lange er auch zögern mag, der Sieger endlich doch einmal kommt.

Zu Frau von Zehrens Befremden erwies sich Theophil dem PIane, Ilse nach Weltsöden zu senden, gar nicht geneigt. »Wir haben, ehe der Reichstag in die Osterferien geht, gerade noch ein paar Einladungen angenommen, da müßte solche plötzliche Abreise doch sehr auffallen,« sagte er.

»Ich fände das verhältnismäßig einerlei im Vergleich zu den Gefahren, die ich voraussehe,« entgegnete die Mutter, »glaub mir, mein Theophilchen, sie sind wirklich vorhanden.«

»Aber selbst, wenn du recht hättest, verehrteste Mama, nach den Ferien müßte Ilse doch mit mir hierher zurückkehren, denn ich könnte doch nicht in Berlin leben und meine Frau dauernd in Weltsöden lassen? Ich kann ja nicht mal den Grund dafür anführen, daß sie der Kinder halber auf dem Lande bleibt – da wir doch nun mal keine haben.«

»Leider!« seufzte Frau von Zehren.

»Und warum soll ich schließlich auch das einbüßen, was sie noch am besten versteht: unsere gesellschaftliche Stellung zu stärken.«

 

»Das hast du doch nicht nötig?« rief die Mutter, »Zehren bleibt Zehren!«

»Gewiß,« antwortete er würdevoll, »aber so viel habe ich hier doch schon gemerkt: eine Frau zu haben, die gefällt, kann immerhin nicht schaden.«

Er empfand bei dem ganzen Gespräch hauptsächlich nur eine gewisse gereizte Langeweile. Die längst eingetretene Gleichgültigkeit gegen seine Frau ließ ihn so gern glauben, daß die Mutter in ihrer geschäftigen Herrschsucht übertreibe und eingebildete Schrecknisse sähe. Die Beliebtheit, deren Ilse sich bei dem aufsteigenden Gestirn der Tolck-Engels, bei der Herzogin Wanda und so manchen anderen erfreute, mochte er nicht missen; sie sollte ihm zur Erreichung von persönlichen Zielen dienen, die ihm vorschwebten, seitdem er in der die verschiedensten Ehrgeize entfesselnden Hauptstadt weilte.

»Ja, wenn du auf meine Vorschläge wirklich nicht eingehen willst,« hub Frau von Zehren von neuem an, »dann muß eben dieser Herr von Walden aus Berlin entfernt werden.«

Theophil schaute erstaunt auf die in streitbarer Feldherrnpose dastehende Mutter. »Das wäre allerdings bei weitem das Beste,« sagte er, »aber wie wolltest du das zustande bringen?«

»Das wäre traurig, liebes Theophilchen,« antwortete sie mit einem tückischen Blick der kleinen Augen, »wenn wir Zehren in Preußen nicht mehr so viel gegen einen Menschen vermöchten, der doch schließlich ein Fremder ist und keinen Anhang hat!«

Gleich nach dieser Unterredung verließ die gnädige Frau Mutter erhobenen Hauptes das Haus, und mit festem Schritt ging sie durch die Straßen Berlins, das aus Weltsöden mitgebrachte Paket Spickgänse unter dem Arm.

Frau von Zehren war mit der Frau eines der Vorgesetzten von Herrn von Walden einst im selben adligen Stift erzogen und eingesegnet worden, und seitdem Herr von Höhenrath, der Mann dieser früher wenig beachteten Schulgefährtin, den Aufstieg begonnen, der zu solcher Größe führen sollte, hatte Frau von Zehren die einstmaligen Beziehungen wieder aufgenommen und eifrig gepflegt. Sendungen von Schinken, Würsten und Spickgänsen gingen jeden Winter aus Weltsöden an das Haus des Staatsmannes; Spargel und Apfel folgten im Laufe der wechselnden Jahreszeiten. Beim Einpacken dieser ländlichen Produkte dachte Frau von Zehren dann jedesmal: Wer weiß, wozu das noch mal gut sein kann! – Denn wie so manches, was das Zehrentum tat, war auch dies ein Ergebnis weiser Voraussicht.

Zu dieser einflußreichen Jugendfreundin hatte sich Frau von Zehren nunmehr auf den Weg gemacht.

Als sie in den mit grünem Plüsch und imitierten Kameltaschen möblierten Salon der Exzellenz mit ihrem Paket unter dem Arm eintrat, saßen mehrere Herren und Damen um die Hausfrau herum. Denn es war deren Empfangstag. Frau von Zehren warf einen einzigen prüfenden Blick auf die Gäste und klassifizierte sie alsobald in Gedanken, ebenso treffend wie verächtlich, als »Nichtpreußen.«

»Meine gute Minette,« rief sie mit lauter Stimme, indem sie unbekümmert zwischen den Fremden auf die Freundin zuschritt. Und ebenso, nur erstaunter, antwortete diese: »Meine gute Gottliebe! Sieht man dich endlich mal!« – Dann umarmten sich die beiden wiederholt, wobei das Paket Spickgänse gegen den breiten Rücken der in grauen Alpakka gekleideten Exzellenz klopfte.

»Ich habe gerade meinen Jour,« flüsterte dabei Minette, »aber sie gehen nu bald.« Und dann machte sie Frau von Zehren bekannt mit Señor und Señora de la Delicias, von der peruanischen Gesandtschaft, Mrs. Landsend, der Frau des amerikanischen Sekretärs, Fehmi Bey von der türkischen Botschaft, Oberst Oki Abunai, dem japanischen Militärattaché.

Es wollte aber kein rechtes Gespräch zwischen ihnen und der Edeldame aus dem Kreise Sandhagen zustande kommen, und die Fremden erfüllten denn auch Frau von Höhenraths Hoffnung, indem sie sich bald empfahlen. Als die letzten gegangen waren, sagte Frau von Zehren, ihnen nachschauend: »Gott, Minette, wenn ich bedenke, daß wir zusammen im Stift gewesen sind und nun sehe, mit was für Menschen du verkehren mußt – da waren ja sogar Heiden darunter!«

»Ja, ein Vergnügen ist‘s wahrhaftig nicht immer,« antwortete die Exzellenz und atmete erleichtert auf, wobei die große Kameenbrosche an ihrem Halse auf und nieder ging – »aber nu erzähl mal von dir selbst, Gottliebe, du bist wohl gekommen, dich an deinen Kindern zu erfreuen? Dein Sohn wird ja schon viel genannt im Reichstag und deine Schwiegertochter – na, mein Alter und ich haben ja nicht Zeit, viel auszugehen – aber man hört doch so, daß sie sehr gefällt und so musikalisch sein soll.«

Damit hatte sie der Freundin den erwünschten Anknüpfungspunkt gegeben, und Frau von Zehren begann auch alsobald zu berichten: Ja, ja, der Sohn machte sich in der Tat, man prophezeite ihm sogar noch mancherlei Erfolge auf diesem modernen Weg des Parlamentarismus – und die Schwiegertochter – nun ja, sie war ganz hübsch und nett – nur leider keine Kinder und auch wenig Aussicht dazu.

»Wie bedauerlich!« warf Minette teilnehmend ein, während Gottliebe tief seufzte und dann gleich fortfuhr: »Ja, sehr, sehr bedauerlich! Auch wegen Weltsöden – aber – das ist doch noch nicht das Schlimmste!«

»Meine gute Gottliebe, du erschrickst mich.«

»Ja Minette, es ist auch wirklich etwas sehr Trauriges, um was es sich handelt, und eigentlich bin ich eigens aus Weltsöden gekommen, um mit dir darüber zu reden.«

»Sprich, sprich!« und die Kameenbrosche auf dem grauen Alpakka hob und senkte sich wieder.

»Also siehst du,« hub Frau von Zehren an und erzählte nun, daß in dieser Zeit, wo ihr Theophilchen die ländlichen Interessen im Reichstag vertrete, der jungen unerfahrenen Frau von einem höchst gefährlichen und völlig skrupellosen Don Juan nachgestellt würde, der – Gottliebe konnte es nur mit schmerzlichem Bedauern erwähnen – zu den sonst so achtbaren Untergebenen von Minettens Mann gehöre und der, während er bisher im Ausland verwendet worden, unglücklicherweise gerade in diesem Winter nach Berlin berufen worden sei.

Sichtlich entrüstet strich die Exzellenz über ihren tugendsamen glatten Scheitel und rief: »Ja, dann müßte man doch daran denken, wie er am besten von hier entfernt werden könnte!«

»Gott, Minette,« antwortete Frau von Zehren, »ich würde nie gewagt haben, darum zu bitten, aber damit wäre allerdings der Familie der Frieden zurückgegeben.«

»Laß mich nur machen, meine gute Gottliebe,« sagte die Exzellenz mit resolutem Tone, »ein Institut für Ehestörer ist das Auswärtige Amt nicht. Ich werde noch heute mit meinem Alten reden.«

Gleich an diesem Tage setzte Minette ihrem Mann die Weltsödener Spickgans zum Abendessen vor. Nach beendeter Mahlzeit folgte sie ihm in sein Studierzimmer, um mit ihm zu reden, ehe er sich in den Inhalt der großen Aktenmappe vertiefte, die ihm ein Kanzleidiener allabendlich zu nächtlicher Erledigung in die Wohnung brachte. Aber sie fand ihn ihren Wünschen nicht sonderlich geneigt.

»Deiner Freundin Gottliebe gegenüber empfinde ich zwar die Dankbarkeit des Magens,« sagte Herr von Höhenrath, »und das soll ja die stärkste sein – aber mir will‘s doch nicht recht in den Sinn, daß wir uns bei Versetzungen nach solchem Geklatsch und Gerede richten sollen, wir sind doch nicht als Hüter des Ehefriedens agrarischer Abgeordneter angestellt, und dieser lange Zehren sollte sich lieber selbst um seine Frau kümmern, anstatt, wie er es neulich getan hat, der Regierung dreinzureden. Das erwartet man doch nicht von Leuten seines Schlages.«

Schließlich gelang es Minetten aber doch, ihren Mann der Idee geneigt zu machen, wenn auch nicht sofort, so doch bei guter Gelegenheit, auf Waldens Versetzung ins Ausland hinzuwirken.