Das muss gesagt werden

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Juni

6

2011

Jugend wünscht

Heile-Welt-Fantasien orientieren sich an gängigen Glücksverheißungen.

Heute stellen wir uns vor, wir sind fünfzehn. Ja, ich weiß, für viele von uns schwierig (für mich wahrscheinlich noch schwieriger als für Sie), aber trotzdem. Also. Fünfzehn. Oder siebzehn. Oder neunzehn.

Wir haben, stellen wir uns vor, im Großen und Ganzen eine vergnügliche Kindheit gehabt. Unsere Mama war viel daheim, als wir klein waren, das war uns recht, denn sie hat eine Menge mit uns unternommen und gut gekocht und so weiter.

Später hat sie dann angefangen, Teilzeit zu arbeiten, aber trotzdem ist sie bis heute für uns da, wenn wir was von ihr brauchen. Ob sie gern daheim war und wie das einmal mit ihrer Pension sein wird, das ist ehrlich gestanden nicht unser Problem. Und was wäre, wenn der Papa und sie geschieden würden, darüber mögen wir uns nicht den Kopf zerbrechen.

Oder: Falls unsere Eltern bereits geschieden sein sollten, fallen ihre eventuellen finanziellen Zukunftssorgen ebenfalls nicht in unsere Zuständigkeit.

Vielleicht kriegen wir dennoch mit, dass die Mama schwer über die Runden kommt mit ihrem Teilzeitgehalt, doch erstens ist das nicht unsere Schuld, und zweitens gibt es ja auch noch andere geschiedene Frauen als die Mama, zum Beispiel alle Promi-Tussen, die ihre Ex gnadenlos abzocken.

Kann man überall nachlesen. Scheidung lohnt sich, wenn man es richtig angeht, so viel ist klar, jedenfalls für Frauen. Und nachdem sich die männlichen Macher-Typen offensichtlich eine kostspielige Begleiterin nach der anderen leisten können, macht der Papa, wenn er wegen der Alimente jammern sollte, halt was falsch.

Nein, wir sind eh nicht so deppert, wie sich das jetzt anhört, aber wann, wenn nicht in unserem Alter, sollen wir davon ausgehen, dass wir – nicht böse sein, Eltern – einfach mehr zusammenbringen werden als die Alten, beziehungsweise dass wir schlicht und einfach imstande sein werden, unsere Träume zu realisieren?

Wir träumen von einer beglückenden Partnerschaft und Kindern. Das ist doch, verdammt noch einmal, nicht abartig. Wär ja seltsam, wenn wir uns ein Leben als eiskalte EinzelgängerInnen wünschten. (Unsere heile Fantasiefamilie fällt möglicherweise umso unrealistischer aus, je mehr wir in der Realität von problematischen Verhältnissen umgeben sind. Auch das ist keine ungewöhnliche Reaktion.)

Und heil definieren wir einerseits unter dem Einfluss der Bilder, die uns von allen Seiten als Heile-Welt-Darstellungen präsentiert werden, und andererseits auf der Basis unserer Erfahrungen, die uns meist mit traditionellen Organisationsformen von Familienarbeit konfrontiert haben.

Wir sind aufgewachsen mit (Halbtags-)Kindergärten ab drei Jahren, mit Halbtagsschulen und mit Müttern, die Teilzeit arbeiten, und uns ist daraus kein Leidensdruck erwachsen. Wir wissen nicht, wie es uns in einer Ganztagsschule gefallen hätte, und wir haben ständig zu hören bekommen, dass Kinderkrippen was Grauenhaftes sind. Ist es ein Wunder, dass wir unsere künftigen Kinder nicht in Krippen sehen, sondern ihnen das bieten wollen, was wir selber als einigermaßen angenehm kennengelernt haben?

Wir wissen oft wenig über die Arbeitswelt unserer Eltern, und unter Umständen auch nicht viel über Hausarbeit, wenn wir unsere heile Fantasiefamilie sehen, dann sehen wir Szenen aus dem Werbefernsehen, wo schön gestylte Mütter entspannt beisammensitzen und von hippem Nachwuchs gefeiert werden, weil sie Bonbons aus goldfarbenen Packungen schälen und als vitaminreiche Nahrung verteilen. Kein übles Los, oder? Und dann kommen die MeinungsforscherInnen daher und fragen uns: Wenn dein/e Partner/in so viel verdient, dass euer Lebensunterhalt gesichert ist, möchtest du dann Hausfrau/Hausmann sein? Und sobald wir zu 44 Prozent mit Ja antworten, schreiben die Medien, wie erstaunlich konservativ wir doch sind.

Und man fragt uns, wer Kinder bis drei betreuen sollte, und wir sagen, sie sollen zu Hause betreut werden, und man fragt uns, ob wir uns vorstellen könnten, Teilzeit zu arbeiten, und wir sagen zu 85 Prozent Ja, sofern wir weiblich sind, beziehungsweise zu zwei Dritteln, dass wir darüber noch nicht nachgedacht haben, sofern wir männlich sind – und wieder wundern sich alle über unser wenig progressives Weltbild.

Sehr witzig. Wieso sollen ausgerechnet wir fortschrittliche Fantasien entwickeln und originelle Rollenbilder implantieren wollen und uns neue Formen des gesellschaftlichen Zusammenwirkens einfallen lassen, wenn uns die ganze Zeit suggeriert wird, unser künftiges Glück läge darin, dass wir als Vater-Mutter-Sohn-und-Tochter-Bande über blühende Wiesen tollen, gemeinsam Fertiggerichte in Pfannen schütteln und uns an staatlicher Förderung erfreuen, sofern wir ebendiesem Familienbild entsprechen?

So. Ende unseres mentalen Ausflugs. Wir sind wieder wir. Wundern wir uns immer noch über die Ergebnisse der Studie „Jugendmonitor“, die im Auftrag des Wirtschafts- und Familienministeriums erstellt und kürzlich veröffentlicht wurde?3

Familienminister Mitterlehner hat daraus übrigens bereits den Schluss gezogen, dass Teilzeitarbeit aufgewertet werden müsse. Was sonst. Und wie immer das konkret ausschauen soll.

36. Bericht zur Lage der Jugend in Österreich, hg. vom Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend, Sektion Familie und Jugend, Abteilung II/5. Wien, 2011.

Oktober

10

2011

Madame DSK

Ein Versuch, die Treue zu fragwürdigen Ehemännern zu verstehen.

Dominique Strauss-Kahn bleibt bei seiner Verteidigungslinie. Nein, er hat keine Gewalt angewendet, weder Nafissatou Diallo noch Tristane Banon gegenüber. Wenn sie das Gegenteil sagen, lügen sie. Basta. War zu erwarten. Überrascht nicht. Ein Rätsel hingegen bleibt, sagen die Frauen, die ich kenne, warum seine Ehefrau zu ihm halte. Hat sie nicht die Schnauze voll? Warum nicht? Unsereine hätte DSK längst hochkant hinausgeschmissen! Na ja. Unsereine hat ihn ja auch nicht geheiratet. Unsereine ist nicht an ihn gewöhnt. Unsereine verbindet nichts mit ihm. Unsereine hätte so einen wie ihn überhaupt nie geheiratet! Na ja. Unsereine ist auch nicht Anne Sinclair. Und überhaupt, wer weiß. Irgendwas wird er schon gehabt haben, das zumindest Mme. Sinclair heftig angezogen hat, wer blickt schon hinter das Geheimnis der Anziehung.

Nein, keine Reinwaschung von DSK, um Gottes willen, der Mann hat einen zu miserablen Ruf für einen Sympathiebonus. Nein, auch keine Solidaritätsadresse an Frau DSK. Lediglich der Versuch zu verstehen, in Grenzen wenigstens.

Ich stelle mir vor, ich bin Anne Sinclair, eine Tochter der Jewish Upper Class, Millionenerbin, Absolventin einer Pariser Eliteuniversität, eine der angesehensten Journalistinnen Frankreichs, unabhängig durch Reichtum und beruflichen Erfolg, aber abhängig von den Bewertungskriterien meiner Gesellschaftsschicht, der ich seit 63 Jahren angehöre und die zu verlassen ich nicht die geringste Lust verspüre.

In meinen Kreisen hat man einen Ehemann vorzuweisen. In meinen Kreisen hat man nicht irgendeinen Ehemann, sondern einen, der sozialprestigemäßig punktet. Ich habe DSK geheiratet, einen Mann, dessen Initialen mittlerweile genügen, damit man weiß, wer gemeint ist, einen, der versprach, eine Art französischer JFK zu werden. Ich habe Anspruch auf einen besonderen Mann, sage ich mir, denn ich bin nicht irgendeine Frau. Ich bin an erfolgreiche Männer gewöhnt, an Machtmenschen, die siegen, unterwerfen und sich nehmen, was sie wollen. Ich gehöre selber zur Spezies der Befehlenden, zaghaftes Zögern ist in meinen Augen keine Tugend. DSKs Charakterstruktur ist mir prinzipiell keine Abschreckung, sondern vertraut. Zwar kränkt es mich, wenn sich mein Mann an andere Frauen heranmacht, aber gleichzeitig glaube ich, dass virile Männer polygam sein müssen, ich möchte es glauben. Und vor die Wahl gestellt, meinen Mann für einen sexuellen Belästiger, ja sogar für einen Vergewaltiger zu halten, oder die Frauen, an die er sich heranmacht, für hinterhältige Schlampen, ziehe ich die zweite Version vor.

Ihn als sexuellen Belästiger oder gar als Vergewaltiger zu sehen, würde bedeuten, dass ich meinerseits einen großen Fehler gemacht und bei der Partnerwahl versagt habe, aber eine wie ich unterliegt nicht. Mein ganzes Lebenskonzept wäre dadurch infrage gestellt. Immerhin habe ich mich seiner Karriere zuliebe aus dem Journalismus zurückgezogen; als er Minister wurde, habe ich keine politischen Sendungen mehr geleitet. In meinen Kreisen hat die Karriere des Ehemanns im Zweifelsfall Vorrang, nie würde ich es zur Präsidentin gebracht haben, aber Première Dame zu werden war eine realistische Aussicht. Meine berufliche Tätigkeit darauf abzustimmen, scheint jetzt im Nachhinein eine überflüssige Fleißaufgabe gewesen zu sein, doch wenn ich mich von meinem Mann trenne, ändert das auch nichts mehr. Lieber schreibe ich das vorläufige Scheitern meiner Pläne einem hinterhältigen Frauenzimmer zu, das womöglich in eine Verschwörung gegen meinen Mann verwickelt war, als der Unfähigkeit meines Mannes, seine Triebe unter Kontrolle zu halten.

Vielleicht habe ich ja sogar kurzfristig erwogen, meinen Mann hochkant hinauszuschmeißen, aber dann habe ich weitergedacht und mir ausgemalt, was danach käme. Danach käme eine Zukunft als Single-Frau, habe ich mir vielleicht vorgestellt. Nicht dass eine fesche, millionenschwere 63-Jährige auf Dauer ohne Anwärter bliebe, aber was für Anwärter wären das? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich welche finden, die meinem Anforderungsprofil entsprechen? Als Single-Frau aufzutreten bin ich nicht gewöhnt. Als Single-Frau zu leben auch nicht. Ich habe DSK ja geheiratet, weil ich mit ihm leben wollte, weil wir einander was zu sagen haben, weil er, abgesehen von seinen bekannten schlechten Eigenschaften, Eigenschaften hat, die ich schätze, das Anforderungsprofil, dem er entspricht, beschränkt sich nicht auf die Rubriken Karriereaussichten und gesellschaftliches Prestige, sondern umfasst auch Qualitäten des Miteinander-Agierens, die mir wichtig sind und die er aufweist.

 

Für eine andere würden seine Verfehlungen vielleicht mehr wiegen als das, was sie an ihm schätzt, in den Augen einer anderen hätte er jegliche Qualitäten vielleicht eingebüßt, ich hingegen bestehe darauf, mir eine wohlwollende Sicht auf ihn zu erhalten, mit dem totalen Verlust meines Bilds von ihm möchte ich nicht zurechtkommen müssen.

So stelle ich mir Anne Sinclairs Beweggründe vor. Wie gesagt, ein Versuch zu verstehen – in den Grenzen eines letztlich patriarchalen Weltbilds, die nicht nur für Frau Sinclair Gültigkeit haben, sondern auch für manche andere, die eisern zu einem fragwürdigen Ehemann hält.

Jänner

16

2012

Rampensau sein

An sich glauben! Keine Selbstzweifel!

Kein Unrechtsbewusstsein! Ein Tugendkatalog.

Sie sind eine starke Frau, sagen Leute zu mir, wenn sie mir was Freundliches sagen wollen. Das ist nämlich ein Kompliment: Sie sind stark. Sie sind kämpferisch. Sie können sich durchsetzen.

Ich will aber gar keine starke Frau sein. Ich will keine starke Frau sein müssen. Das hat nichts mit dem Geschlecht zu tun. Ich würde auch als Mann nicht dazu verdonnert werden wollen, ein starker Mann zu sein. Sagen wir es so: Ich will kein starker Mensch sein müssen, jedenfalls nicht unentwegt. Ich will auch schwach sein dürfen. Unsicher. Schüchtern. Melancholisch statt zuversichtlich und gut drauf. Das alles bin ich, aber ich sollte es tunlichst nicht zugeben und schon gar nicht zeigen.

Warum denn nicht, Herrgott noch einmal?

Was spricht dagegen, einfach ein Mensch zu sein? Menschen haben Stärken und Schwächen. Warum ist es auf einmal eine Tugend, keine Schwächen an sich zuzulassen, ja tunlichst überhaupt keine an sich zu entdecken? Führungspersönlichkeit. Karriere. Erfolg. Was heißt das?

Ich möchte keine Führungs-Persönlichkeit sein. Ich möchte keine Identität, deren Hauptmerkmal ein überdimensionierter Führungsanspruch ist. Ich möchte, dass meine Qualitäten anerkannt werden und dass meine Kompetenz wahrgenommen wird. Aber ich möchte nicht vorgeben müssen, dass ich omnikompetent sei, und ich möchte nicht permanent ein Rudel dominieren, das scharf darauf ist, meine Dominanz zu unterminieren. Ich möchte dann führen dürfen, wenn ich den Weg gerade am besten kenne, aber ich würde nicht immerzu und auf jeden Fall vorangehen wollen. Noch weniger will ich mich freilich von jemandem führen lassen, der unbeirrt vorangeht, egal, wie gut er sich auskennt.

Wünsche ich meiner Tochter eine Karriere? Nicht, wenn damit ständiges Konkurrierenmüssen, Übertrumpfen, Auftrumpfen, Siegen, das atemlose und rücksichtslose Hinaufklettern auf einer Hierarchieleiter gemeint ist. Was ich ihr wünsche, ist ein Berufsleben, das ihr Freude macht, das ihr sinnvoll erscheint und von dessen Ertrag sie gut leben kann.

Aber wie groß sind die Chancen auf ein solches Berufsleben in einer Gesellschaft, die schamlose Selbstüberhöhung, hemmungslose Selbstvermarktung und erbarmungslosen Egoismus zu angesagten Qualifikationen erklärt?

Zugegeben, das ist nichts Neues. Ein Blick auf die Geschichte zeigt, dass im Wesentlichen schon immer die Scheißmichnixe, die Haudraufinger, die Schlagetots auf der Gewinnerseite gelandet sind und nicht die Sensiblen, Empathischen, Nachdenklichen, Rücksichtsvollen. Heuchlerisches Lobpreisen von Bescheidenheit und edler Zurückhaltung war immer bloß eine Aufforderung an die Zukurzgekommenen, ihr Los zu akzeptieren und die etablierten Vorrechte der Gewinner-Nachfahren nicht infrage zu stellen. Trotzdem erinnere ich mich, wenn ich auf die – historisch gesehen bescheidene – Zeitspanne meines bisherigen Lebens zurückblicke, an eine kurze Phase (in den siebziger Jahren), in der, auch als Abkehr vom gerade durchgestandenen Herrenmenschenwahn, Begriffe wie Solidarität und Gerechtigkeit nicht als Loser-Vokabular belächelt wurden.

Mittlerweile gilt wieder ein Wertekatalog, der an die Hart-wie-Kruppstahl-Propagandisten erinnert. Survival of the fittest. Ich-AG. Wer seinen Marktwert nicht hochtreibt, ist selber schuld. Selbstbewusstsein trainieren. Unbedingt an sich glauben. Keine Selbstzweifel aufkommen lassen. Wichtiger als alle anderen Kompetenzen ist inzwischen die Fähigkeit, bei der PR in eigener Sache vor Selbstüberschätzung nicht zurückzuschrecken. Studierende im zweiten Semester listen in ihren Lebensläufen Fertigkeiten auf, deren seriöser Erwerb 120 Jahre dauern würde. Monopoly gespielt zu haben wird als wirtschaftswissenschaftliches Propädeutikum interpretiert, Pfadfinder-Wochenenden scheinen als Ranger-Ausbildung auf, zweimal Sprachferien in der Provence haben angeblich zu perfekten Französischkenntnissen geführt. Wer es nicht versteht, zügellos zu übertreiben, zeigt, dass er hartem Konkurrenzkampf nicht gewachsen ist.

Ja, na und? Ist harter Konkurrenzkampf was Gutes, Notwendiges, Erstrebenswertes? Wie wär’s stattdessen mit Freundschaft, Hilfsbereitschaft, Zusammenarbeit? Was wäre schlecht an einer Welt, in der auch Platz ist für die Zartbesaiteten, Zögernden, Zaudernden, und in der es auch die Friedlichen und Freundlichen gut haben? Nein, falsch: in der es vor allem die Friedlichen und Freundlichen gut haben, weil sie mehr gelten als die Wettbewerbler, die Ellbogen-Ausfahrer, die Dampfwalzen und Rampensäue?

Leider, überholte Träume. Und letztlich zählen sowieso nicht mehr oder minder billig erworbene Diplome, sondern Verbindungen – das richtige Elternhaus, die richtigen Freundeskreise und das unverfrorene Ausnützen von Kontakten. Net working ist wichtig, sondern networking, kombiniert mit einem eklatanten Mangel an Unrechtsbewusstsein. Sich keiner Schuld bewusst sein. Überzeugt sein vom Vorrang der eigenen Begehrlichkeiten. Nur eine einzige Erklärung für möglich halten, wenn man beim Gesetzesbruch erwischt wird: Man sei zu schön und zu intelligent für ein zu kleines Land. Was für Erfolgsrezepte. Und wie sie aufgehen!

Man muss sich eben gut verkaufen! Muss man? An wen? Ich bin dafür, dass wir uns behalten.

Februar

27

2012

Was uns treibt

… und was wir uns wünschen. Sinnvolle

Aufgaben. Liebe, Freundschaft, Respekt. Geld?

Ja, das auch.

Also, nochmals Arbeitsmarkt. Was sehen wir? Qualifikationen, die verlangt, aber nicht entlohnt werden. Mehr und mehr prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Dass nicht nur ungelernte Kräfte im Prekariat landen, sondern auch gut ausgebildete, kompetente. Not hier, Gier dort und wenig dazwischen. Nach welchen Kriterien gute Jobs ergattert werden können und wer wofür viel Geld kriegt, während andere auf der Strecke bleiben, wird immer schwerer durchschaubar – eine Lotterie irgendwie. Dazu der ständige Versuch, Menschen gegeneinander auszuspielen. Man braucht sich nur die Werbung anzuschauen: Darum werden Ihre Nachbarn Sie beneiden. Damit sind Sie Erster. So zeigen Sie’s allen.

Es wird ganz selbstverständlich auf Neid, Missgunst, Konkurrenzdenken gesetzt. Auf den Schweinehund, der angeblich immerzu in uns allen regiert. Geiz ist geil. Gemeinheit ist fesch. Andere übers Ohr hauen ist cool. Nur nix zum Verschenken haben.

Ja, ehrlich? Träumen wir wirklich ständig davon, anderen voraus zu sein, ihnen was wegzuschnappen, ihnen eins auszuwischen? Treiben uns tatsächlich unentwegt Habgier und Machthunger an? Oder wollen wir einfach das, was man ein erfülltes Leben nennt?

Sinnvolle Aufgaben. Liebe, Zuneigung, Ansehen, Respekt. Geborgenheit, in der Familie, in Freundschaften, unter KollegInnen. Und, oh ja, auch Gut und Geld. Materielle Sicherheit, ein bisschen Luxus – den ebenfalls, durchaus, und zwar nach eigener Definition. Aber Geld als Selbstzweck? Ansehen als Selbstzweck?

Klar gibt es sie, diejenigen, die den Hals nicht voll kriegen können, die ungenierten Anschaffer, die eiskalten Egoisten, die Alle-anderen-für-dumm-Verkäufer, wir erleben ihre Auftritte täglich, und was einige von ihnen angerichtet haben, baden wir gerade aus.

Aber dass sie die menschliche Natur schlechthin repräsentieren, ist damit nicht bewiesen. Der Mensch ist evolutionär nicht nur auf Wettkampf programmiert, sondern auch auf Empathie und Zusammenhalt, und nicht zuletzt dadurch hat er überlebt.

Schwer zu sagen, wie lang der coole Schweinehund das offizielle Werte-Ranking noch dominieren wird. Anzeichen, dass seine Reputation nachlässt, gibt es, solche einer ungebrochenen Faszination für ihn leider auch.

Dazu das Jobangebot der Woche: Für einen Vollzeitjob im Wiener Museum Belvedere, für den die Bewerberin / der Bewerber ein wirtschaftswissenschaftliches Studium, sehr gute Englisch- und IT-Anwendungskenntnisse sowie Organisationsstärke und die übliche Stressresistenz mitbringen muss, gibt es – der Job wird als Praktikum ausgeschrieben – eine Aufwandsentschädigung von 370 Euro im Monat.

Sowas könne doch „die Absprungbasis zu einer schönen und erfüllenden Karriere“ sein, schreibt mir ein Leser. Vielleicht. Ich frage mich allerdings, nach wie vielen Studienabschlüssen und nach wie vielen Jahren Berufserfahrung derlei Karrieren so viel Bezahlung abwerfen, dass die PraktikantInnen endlich von ihrer Arbeit leben können, und ich frage mich auch, wer sie bis dahin finanzieren soll. Die greisen Eltern, die hoffentlich einen besser bezahlten Job haben?

Themawechsel und doch keiner: Die baldige Anhebung des Frauenpensionsalters ist angesagt, und zwar nicht zuletzt im Interesse der Frauen, wie es heißt. Auch in profil stand kürzlich zu lesen: Wegen zu früher Pensionierung würden Frauen Biennalsprünge versäumen und kleinere Pensionen kriegen.

Na ja. Dazu ist anzumerken, dass sich für die meisten Frauen nicht das Problem stellt, mit 60 einen Spitzenjob abgeben zu sollen, sondern ein anderes: Sie gelten noch früher als Männer als schwer vermittelbar auf dem Arbeitsmarkt. Sollten sie also mit 50 arbeitslos werden, was gar nicht so selten vorkommt, dann sind sie, falls das Pensionsantrittsalter angehoben wird, ab 60 weiter arbeitslos statt in Pension. Inwiefern ihnen das wirtschaftlich nützen soll, ist mir nicht klar.

Deswegen: Biennalsprünge? Als Arbeitslose? Und höhere Pensionen? Okay, nehmen wir an, die Frauen haben einen – durchschnittlich bezahlten – Job: Wie groß ist nochmal der Durchrechnungszeitraum für die Pensionshöhe, und welche Bedeutung werden fünf magere Jahre darin haben?

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich bin sehr dafür, dass Frauen ihre Berufstätigkeit ernst nehmen, und auch dafür, dass wir uns nicht ab einem bestimmten Zeitpunkt zum alten Eisen erklären lassen. Ich selber habe vor, weiterzumachen, solange ich nur irgendwie kann. Aber wird mir das, was ich produziere, genauso lang abgekauft werden? Ich hoffe es, Garantie gibt’s dafür allerdings keine.

Mit anderen Worten: Wenn Menschen länger arbeiten sollen, dann müssen ihnen entsprechende Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Eine Binsenweisheit, und doch entzieht sie sich ständig der allgemeinen Wahrnehmung. Stattdessen die Forderung, Frauen sollten länger als bis 60 arbeiten dürfen – so, als sei es ihnen gesetzlich verboten, im Beruf zu bleiben. Ist aber nicht so. Das Gesetz stellt ihnen die Pensionierung ab 60 bloß frei. Deshalb bringt es wenig, auf eine Gesetzesänderung zu bauen, denn die schafft weder Arbeitsplätze noch Frauengehälter, für die es sich auszahlen würde, unbedingt länger im Erwerbsleben zu verharren.