Tor für die Liebe

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»Ich habe meine ärztlich verordnete Schlammbadzeit für heute schon überschritten. Wo finde ich also mein Zimmer?«

»Ich werde Sie auf Ihr Zimmer bringen«, sagte jetzt der etwas untersetzte Mann. »Mein Name ist Dressel, ich bin hier so was wie der Hausmeister.« Der Hausmeister musste schon fast Rentner sein, trotzdem schnappte er sich beide Koffer und schritt zügig voran. Ich folgte ihm zu einer kleinen - wirklich sehr kleinen - Hütte, die etwas abseits der anderen stand. Sie wirkte auch etwas düsterer und nicht ganz so gepflegt, aber ich wollte mich von ihrem Äußeren nicht abschrecken lassen. Allzu viel hatte ich in einem Camp wie diesem ohnehin nicht erwartet.

Auch im Inneren wirkte die Hütte unscheinbar, aber sie hatte ein Bett und einen Tisch und einen Schrank und das war schon alles, was ich brauchte. Besonders das Bett brauchte ich. Herr Dressel stellte wortlos die Koffer ab und ging wieder. Ich suchte nach einer weiteren Lichtquelle, weil die Lampe an der Wand recht dunkel war und kaum mehr Licht als eine Kerze machte, aber es gab keine weitere Lampe.

Ich zuckte mit den Schultern. »Macht nichts, so viel Zeit will ich sowieso nicht in dieser Hütte verbringen und zum Arbeiten reicht die Hintergrundbeleuchtung meines Laptops.«

Ich sah mich nach einer anderen als der Eingangstür um, nur um festzustellen, dass es auch keine weitere Tür gab. »Und das Bad?«, wimmerte ich. Mein Blick fiel auf einen Plan des Camps, der an einer der Wände klebte.

Er war stark vergilbt und die Farben waren verblasst, aber er reichte, um herauszufinden, dass es nur eine Gemeinschaftsdusche im Haupthaus gab, wo sich auch der Speisesaal befand. Die Toilette war laut Lageplan in einem kleinen Gebäude am Waldrand. Ich runzelte die Stirn? Wo es Duschen gab, gab es Wasser und auch Abwasserrohre, da konnte man also auch eine Toilette installieren. Warum stand die Toilette also abseits? Darüber würde ich mir später Gedanken machen. Zuerst wollte ich den Dreck an meinem Körper loswerden.

Kapitel Zwei

Mit einem Duschtuch, meinem Koffer für Notfälle, in dem sich alles befand, was Frau so brauchte, um sich wie eine Frau zu fühlen, und frischer Kleidung bewaffnet, ging ich um das gemauerte Haupthaus herum und suchte auf der Rückseite nach dem Eingang in den Waschraum. Von irgendwo zwischen den Bäumen hörte ich Anfeuerungsrufe der Männer, die noch immer zu trainieren schienen. Aber zum Trainieren war ein solches Camp ja auch da, also war es doch nur logisch, dass die Spieler bis in die Abendstunden hinein zu tun hatten. Deswegen konnte ich mir auch nicht vorstellen, dass sie am Abend noch an etwas anderes als an Schlaf denken konnten. Und zwar allein. Aber Christine war sich sicher, dass es hier dreckige Geheimnisse aufzudecken gab.

Hmm, dachte ich erleichtert. Gut für mich, wenn dem nicht so war, dann würde ich nicht wieder zum Staatsfeind Nummer 1 werden. Wo es nichts zu berichten gab, gab es eben nichts zu berichten.

Mit einem erleichterten Seufzen betrat ich den Waschraum. Ein großer schwarzer Pfeil an der gegenüberliegenden Wand wies mich nach links, also folgte ich ihm brav in die angegebene Richtung. Der erste Raum war eine Umkleide, wie ich sie auch aus dem Schwimmbad kannte, in dem ich hin und wieder ein paar Bahnen schwamm, in der Hoffnung, doch das eine oder andere Pfündchen zu verlieren. Was ich nie tat. Wenn überhaupt, nahm ich sogar noch zu. Wahrscheinlich lagerte sich während des Schwimmens das Wasser in meinem Körper ein und irgendwann würde mir eine Rechnung des Schwimmbades ins Haus flattern, weil sie jedes Mal, wenn ich bei ihnen war, das Wasser wieder auffüllen mussten.

Da die Männer noch im Wald waren, legte ich meine Sachen ab, ohne befürchten zu müssen, dass jemand sehr Knackiges unfreiwillig auf etwas - nennen wir es mal - weniger Knackiges stieß. Da es anscheinend nur diesen einen Duschraum gab, würde ich für die Zeit meines Aufenthaltes hier, immer dann duschen gehen müssen, wenn die Spieler schon mit ihrem Training zu tun hatten.

Ich schnappte mir mein Duschtuch, das wundervoll nach Frühling duftete - ich nahm gerne eine Extraportion mehr Weichspüler für meine Wäsche, und natürlich wusste ich, dass man das der Umwelt zu Liebe nicht tun sollte, aber ich liebte es nun mal, wenn meine Wäsche so roch, wie sie eben roch. Mit der anderen Hand angelte ich nach dem kleinen durchsichtigen Kulturbeutel, in dem sich die selbstgemachte Seife meiner Mutter, mein Haarshampoo und der Conditioner befanden.

Mein derzeitiger Verschmutzungsgrad würde das volle Programm benötigen. Mit allem, was überlebenswichtig war, ausgestattet, ging ich in den Raum, in dem sich gut zwanzig Duschen befanden, die nicht voneinander abgetrennt waren. Alles sah wirklich sauber und gepflegt aus, obwohl die weißen Fliesen nicht gerade der Renner waren. Aber sie erfüllten ihren Zweck, würde ich meinen.

Ich drehte das Wasser auf, schön heiß, und stöhnte glücklich auf, als die Kälte aus und der Schlamm von meinem Körper gespült wurden. Eine Weile blieb ich einfach mit geschlossenen Augen unter dem Strahl stehen, dann begann ich mich einzuseifen. Ich ließ meine Hände über meine Haut streichen und ließ mir Zeit. Ich shampoonierte meine Haare ein und schwelgte in der wohltuenden Hitze des Wassers.

Bis mich Gelächter und verschiedene Stimmen aufschreckten.

Angestrengt lauschte ich nach draußen. Die Stimmen drangen durch eines der angekippten Fenster über den Duschen auf der anderen Seite. Sie näherten sich. Die Spieler kamen zurück. Ich stand ganz still und wagte kaum zu atmen. »Sie gehen vorbei«, murmelte ich tantrisch. »Sie gehen vorbei.«

Doch nach der vierten Wiederholung hörte ich, wie die Stimmen sich nach innen verlagerten. Mein Puls begann zu rasen. Sie würden jeden Augenblick hier reinkommen. Was sollte ich nur machen? Hier drin bleiben, war keine Option. Dann würden sie mich nackt sehen. Aber dort raus gehen, ging auch nicht, denn dort, wo meine Kleidung lag, machte sich gerade eine ganze Nationalmannschaft nackig, um eben hier hereinzukommen, wo ich schon nackig war.

Ich sah an mir herunter und überlegte verzweifelt, was ich tun sollte. Dann hörte ich schlurfende Geräusche die näher kamen und schnappte mir blitzschnell mein Duschtuch und wickelte es um meinen Körper. Den Schaum noch auf dem Kopf und am Körper setzte ich eine völlig unbeeindruckte Miene auf und ging auf die Tür zu, durch die just in dem Moment Luca Rodari und Daniel Winter, einer der Stürmer, traten. Ich schnappte nach Luft, als mein Blick genau dorthin fiel, wohin er nicht fallen sollte, nämlich auf das, was Luca unterhalb seines ansehnlichen Sixpacks trug. Wie sagte man doch so schön? Ein gemähter Rasen lässt selbst einen Regenwurm wie eine Boa aussehen. Ja, diese Boa würde wohl auch unrasiert einiges hermachen. Erschrocken über mich selbst kniff ich die Augen zu und blieb wie angewurzelt mitten im Raum stehen, die Enden meines Duschtuchs mit meinen Fäusten umklammert.

Gelächter drang an meine Ohren und ich öffnete die Lider blinzelnd. Luca stand direkt vor mir und starrte mit hochgezogenen Augenbrauen auf mich herunter. Seine Teamkameraden verteilten sich grinsend unter den einzelnen Duschen. Ich blickte fest in Lucas Gesicht, nur um nirgends anders im Raum hinzusehen. Meine Wangen brannten vor Scham und ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

»Sie haben noch Schaum in Ihren Haaren.«

»Ich weiß«, murmelte ich und sah verzweifelt über Lucas Schulter zum rettenden Ausgang.

»Ich wollte es nur gesagt haben.«

»Danke.«

»Um 18:00 Uhr ist das Training vorbei, dann gehen wir duschen. Um 19:00 Uhr gibt es Abendbrot. Wer nicht pünktlich ist, bekommt kein Essen.« Von den anderen Männern kam bestätigendes Murmeln. Ich wagte einen Blick aus den Augenwinkeln und sah in grinsende Gesichter.

»Gut zu wissen, dann werde ich es zukünftig vermeiden, um 18:00 Uhr zu duschen«, entgegnete ich schnippisch, weil die Peinlichkeit langsam der Wut Platz machte.

Mit dem Schaum in meinen Haaren flüchtete ich aus dem Duschraum in die Umkleide, wo ich mich mit meiner Kleidung im letzten Winkel versteckte und mich so schnell es nur ging anzog.

Erst danach stürmte ich zu der Reihe Waschbecken hin, die sich auch hier befanden, und spülte meine Haare aus. Leider stand mein Conditioner noch immer im anderen Raum, gut bewacht von einer ganzen Horde nackter Männer. Was bedeutete, dass ich mit den krausen, buschigen Haaren leben musste, die ich eigentlich so sehr hasste. Aber ohne entsprechende Pflege waren meine Haare nun mal ein Albtraum. Ich war verschwunden, noch bevor der erste Spieler zurück in die Umkleide kam.

Der Speisesaal war noch fast leer, als ich ihn betrat. Nur wenige Spieler hatten sich um zwei Tische herum zusammengefunden. Das war gut so, so konnte ich mich an einen leeren Tisch setzen und musste nicht befürchten, dass ich böse Blicke erntete. Zuerst hatte ich überlegt, das Essen einfach ausfallen zu lassen, aber dann würde ich morgen früh vor dem selben Problem stehen und zu jeder einzelnen Mahlzeit in den nächsten Tagen auch. Also hatte ich beschlossen, dass es das Beste war, mich gleich der Meute zu stellen. Und da jetzt noch fast niemand da war, hatte ich vielleicht sogar Glück und war fertig mit Essen, bevor die anderen hier eintrafen.

Ich nahm mir ein Tablett und schob es die lange Selbstbedienungstheke entlang. An Auswahl mangelte es zumindest nicht. Es gab kalte Speisen und warme. Deftige und süße. Ich nahm mir einen Salatteller, aber da ich mich kannte, und Grünzeug es einfach nicht schaffte, so etwas wie ein Sättigungsgefühl bei mir aufkommen zu lassen, nahm ich auch noch eine heiße Tomatensuppe und etwas getoastetes Brot mit.

 

Ich setzte mich an einen Tisch im hintersten Winkel und begann die Suppe zu löffeln. Mittlerweile war ich es schon gewohnt, dass niemand mich beachtete. Das würde meine Arbeit hier nicht erleichtern. Umso überraschter war ich, als Luca Rodari sich plötzlich mir gegenüber setzte. Er stellte sein Tablett vor sich ab und hielt mir grinsend meinen durchsichtigen Beutel mit meinen Shampoos entgegen.

»Ich dachte, ich rette das vor den Männern, bevor noch einer von den Idioten auf die Idee kommt, sich blumige Düfte an den Körper zu klatschen.«

»Danke«, sagte ich leise und sah Luca abwartend an. Der machte es sich auf seinem Stuhl bequem und ich zog erstaunt die Augenbrauen hoch.

»Sie bleiben?«

»Ja, ich wundere mich über mich selbst. Aber was soll es, ich kann ja nicht zulassen, dass Sie von allen wie Dreck behandelt werden, also wird es wohl das Beste sein, ich mache den ersten Schritt, indem ich Ihnen die Hand reiche.«

»Sie müssen kein Mitleid mit mir haben«, sagte ich trotzig, statt die mir dargebotene Hand zu ergreifen. Eigentlich war ich jemand, der immer freundlich anderen Menschen gegenüber war. Zumindest versuchte ich das. Mein Vater hatte immer gesagt: Freundlichkeit ist die halbe Miete. Aber heute war mir die Freundlichkeit irgendwie abhanden gekommen. Und eigentlich hatte ich auch keine Lust, nach ihr zu suchen.

Luca seufzte laut und steckte sich ein Stück Brötchen in den Mund, das er zuvor abgerissen und in mein Salatdressing getunkt hatte. »Joghurtdressing«, nuschelte er kauend. »Sie sollten die Gartenkräuter probieren. Sehr gut.«

Ich schob ihm meinen Salatteller hin. »Bedienen Sie sich ruhig.«

Bevor das alles passiert war, hatte Luca mir schon einmal bei einem Essen gegenübergesessen. Seine damalige Ehefrau an seiner Seite. Das war auf einer Spendengala gewesen. Man hatte die Rodaris, meinen damaligen Freund - einen Sportmoderator - und seine Begleitung – mich – an einen Tisch für vier Personen platziert. Es war ein netter Abend gewesen. Wir hatten uns gut unterhalten. Und ich hatte den Fußballer sehr sympathisch gefunden. Seine Frau weniger.

Ich hatte schon damals das Gefühl, dass etwas zwischen den Beiden nicht stimmte. Aber vielleicht hatten sie nur an diesem Abend eine Meinungsverschiedenheit gehabt, die zwischen ihnen hing wie ein frostiger Windhauch. So was kam vor in einer Ehe. Auch meine Eltern hatten schlechte Tage.

Später hatten wir uns auf der Geburtstagsfeier von Steven Behrens noch einmal getroffen, damals, als er noch mit Christine zusammen gewesen war. Diesmal war seine Frau nicht mitgekommen. Auch hier hatten wir uns wieder sehr gut unterhalten. Wir hatten sogar zusammen getanzt und ich hatte das Gefühl, dass er mit mir geflirtet hatte. Was ich natürlich nicht ernst genommen hatte, da ich ja wusste, dass er verheiratet war.

»Danke, aber ich habe meinen eigenen«, entgegnete er mit einem provozierenden Lächeln und einem Funkeln in den Augen, das Hitze in meinem Magen entflammte. Ich schluckte trocken und ignorierte meinen hämmernden Herzschlag.

»Ich habe kein Mitleid mit Ihnen«, kehrte er zum eigentlichen Thema zurück und aß von seinem eigenen Salat. »Ich denke nur, es wird nach über einem Jahr Zeit, die Sache zu vergessen. Es wird sich ja nicht vermeiden lassen, dass wir uns öfters über den Weg laufen.«

»Die letzten Monate sind wir doch gut klargekommen. Sie haben mich nicht sehen müssen und ich Sie auch nicht.«

»Dabei ist Ihr Anblick gar nicht so schrecklich, dass ich ihn nicht ertragen könnte.«

Ich sah zu Luca auf und schob meinen Teller mit der Suppe weg. In seinen Augen stand zumindest keine Belustigung, also bestand die Möglichkeit, dass er sich gerade nicht lustig über mich machte. Und diese Möglichkeit verwirrte mich mehr, als wenn er sich lustig gemacht hätte. »Danke, Ihrer auch nicht.«

»Wenn wir uns darin schon einig sind, dass wir beide uns attraktiv finden, dann könnten wir zum nächsten Schritt übergehen, dem Du. So können wir den Männern demonstrieren, dass wir Frieden geschlossen haben.«

Ich schob etwas von meinem Salat in meinen Mund und musste Luca recht geben, das Dressing hätte besser sein können. »Ich habe nicht gesagt, dass ich Sie attraktiv finde.«

»Ich denke, dass tust du. Ich war dabei, als du mich heute gemustert hast. Und ich rede nicht von der Musterung in der Dusche, sondern der im Regen. Als dein Gesicht einen nicht jugendfreien Ausdruck angenommen hat.«

»Das hat mein Gesicht nicht. Und ich habe dem Du nicht zugestimmt.« Ich verstand nicht, was hier gerade passierte. Und ganz ehrlich, irgendwie fühlte ich mich, als würde ich gerade verarscht. Und das lag nicht zuletzt an den Blicken der anderen, die Luca und mich genau beobachteten. Was zur Hölle planten die Männer? Was auch immer es war, ich war mir sicher, es würde mir nicht gefallen.

Luca beugte sich mit dem Oberkörper über den Tisch und sah mir direkt in die Augen, so dass sich ein Kribbeln über meine Haut ausbreitete und mein Atem stockte. »Das ist mir egal. Du hast mich nackt gesehen, wozu noch die Förmlichkeiten?«

Ich schluckte trocken und wusste nicht, was ich erwidern sollte. »Warum ist es dir so wichtig, was die Männer über unsere Beziehung zueinander denken? Ich hätte angenommen, nach dem Schaden, den ich angerichtet habe, wäre es dir egal, wie ich mich fühle.«

»Vielleicht sollte mir das auch egal sein, aber ich bin ein netter Mitmensch.« Er stand mit seinem Tablett auf und zögerte, dann lächelte er auf eine Art auf mich herunter, die mir Angst einjagte. »Morgen um 6 Uhr auf dem Platz. Der Trainer will, dass du den Waldlauf mitmachst.« Damit ging er und setzte sich an einen Tisch, an dem er grinsend von zwei anderen Spielern empfangen wurde.

Zumindest seiner letzten Aussage konnte ich nicht widersprechen. Luca Rodari galt als einer der nettesten Sportler Deutschlands. Er war bekannt für sein offenes und hilfsbereites Herz. Aber ich bezweifelte, dass dieses Herz gerade für mich schlug. So gutmütig konnte einfach niemand sein.

Leicht betäubt stand ich auf und brachte mein Geschirr weg. Ich sollte am Training teilnehmen? Aber hatte der Trainer schon mal einen Blick auf mich geworfen? Ich hatte schon seit Ewigkeiten keinen Sport mehr gemacht, wie sollte ich denn da mit Profisportlern mithalten können? Und warum sollte ich überhaupt mitlaufen? Der Gedanke ließ mich innerlich erschaudern. Das würde kein Spaß werden, zumindest nicht für mich. Aber die anderen würden ihren Spaß haben, wenn sie sich über meine absolute Unsportlichkeit amüsieren durften. Ich war plötzlich sicher, das war Teil 1 des Racheplans der deutschen Nationalmannschaft.

Nach dem Abendbrot hatten die Männer wohl Freizeit, denn fast alle hielten sich im Zentrum des Camps auf und spielten Basketball oder Tischtennis. Ich setzte mich auf eine der Bänke und machte mir ein paar wenige Notizen in mein Notizbuch. Viel gab es bisher nicht zu berichten und ich war sicher, das würde sich auch nicht ändern. Danach kritzelte ich Blumenranken und kleine Kästchen in mein Buch, damit es so aussah, als wäre ich sehr beschäftigt, denn die Männer warfen mir immer wieder argwöhnische Blicke zu.

Luca kam aus dem Hauptgebäude, wo er laut Hausmeister Dressel, der sich vorhin sehr nett mit mir unterhalten hatte, einen Check beim Doc hatte. Ich wusste zwar, dass Luca eine Verletzung am Oberschenkel haben sollte, aber bisher hatte ich davon nicht viel wahrgenommen. Er lief ganz normal und hinkte kein bisschen. Freilich hatte ich keine Ahnung, wie schmerzhaft so eine Verletzung war, aber ich könnte mir vorstellen, dass sie nicht unbemerkt an einem vorbeizog.

Als neben mir Kieselsteine knirschten, blickte ich auf und in Luca Rodaris breit grinsendes Gesicht. »Interessanter Artikel, den du da schreibst.« Er setzte sich neben mich und breitete die Arme auf der Rücklehne aus. Dann starrte er auf die anderen Spieler und beobachtete sie eine Weile. »Was hast du so gemacht in den letzten Monaten?«

»Ich war in Edinburgh. Ein paar Sehenswürdigkeiten und so. Was man eben so macht, wenn man vor der Presse flieht«, sagte ich so lässig wie möglich.

Luca musterte mich aus dem Augenwinkel. »So schlimm?«

»Ach, nichts, was man nicht einfach so wegsteckt.«

Luca nickte und stand wieder auf, um zu den anderen Männern zu gehen. Ich stand auch auf und lief ziellos im Camp herum, bis es erneut anfing zu regnen.

Kapitel Drei

Ich lag wach in meinem Bett und starrte in die absolute Finsternis. Ich konnte nicht einschlafen, und das lag nicht daran, dass ich nicht müde war. Es lag daran, dass ich das Gefühl hatte, meine Blase würde gleich platzen, wenn ich nicht sofort auf die Toilette ging. Den ganzen Tag hatte ich es vor mich hingeschoben, die kleine Holzhütte mit dem Herz in der Tür aufzusuchen, die am Waldrand stand. Gute fünf Fußminuten von meiner Hütte entfernt. Ich wusste, was mich darin erwartete: ein sogenanntes Plumpsklo.

Meine Tante hatte so eine Vorrichtung in ihrem Stadthaus und schon als Kind hatte ich panische Angst vor dem dunklen tiefen Loch. Und ich ekelte mich vor dem widerwärtigen Geruch. Aber einen ganzen Tag nicht auf die Toilette zu gehen, war eben auch keine Lösung, wie ich jetzt feststellen durfte. Ich hatte schon darüber nachgedacht, das Campgelände zu verlassen und mich irgendwo im Wald zu erleichtern. Aber mitten in der Nacht? Nein, ich würde nie wieder zurückfinden. Da draußen sah man ja die Hand vor Augen nicht, wie mein Vater sagen würde.

Ich biss unruhig auf meiner Unterlippe herum. Je mehr ich mich sträubte, desto schlimmer wurde der Schmerz in meinem Unterleib. »Okay«, sagte ich entschlossen. »Dann bring es endlich hinter dich. Raus, erledigen und wieder rein.«

Ich atmete tief ein und zwang mich, meine Beine aus dem Bett zu schwingen, meine Schuhe anzuziehen und die Hütte zu verlassen. Wenigstens als Taschenlampe kann ich mein Handy hier noch benutzen, dachte ich sauer und blieb kurz vor meiner Hütte stehen, um mich umzusehen. Alles war bedrückend ruhig. Ich dachte immer, im Wald gäbe es nachts eine Vielzahl an Geräuschen, aber das Camp umgab nichts weiter als Stille und das entfernte Rauschen des Flusses, der sich durch den Wald schlängelte. Das Licht meiner Taschenlampe tauchte alles in eine schaurig unreale Kulisse. Ich erschauderte. »Also dann.«

Die kleinen Kieselsteine, mit denen die Wege ausgelegt waren, knirschten unter dem einzigen Paar flacher Schuhe, das ich eingepackt hatte. Zum Glück waren das Turnschuhe, wenn ich bedachte, dass ich einen Waldlauf kaum in meinen Manolos bewältigen konnte. Ich näherte mich mit kurzen aber flinken Schritten der Holztür, blieb davor stehen und suchte nach etwas, das ein Lichtschalter hätte sein können. Aber da gab es nicht einmal so ein Stromkabel wie die, die sich im restlichen Camp von Hütte zu Hütte hangelten und für die Stromversorgung zuständig waren.

Ich stöhnte ungläubig. Die Fußballnationalmannschaft verbrachte ihre letzten Wochen vor der Weltmeisterschaft in einem zurückgebliebenen Camp, das nicht einmal eine richtige Toilette besaß. War der Trainer jemand der glaubte, dass vollkommene Entbehrung zu besserer Leistung führte? Etwa so wie bei den Spartanern?

Seufzend öffnete ich die Tür, als sich der Druck meiner Blase wieder meldete. Ich versuchte, so flach wie möglich zu atmen und hatte meine knielange Schlafanzughose unten, bevor ich erleichtert bemerkte, dass es gar nicht roch in der Holzhütte. Das hätte mich eigentlich wundern sollen, aber da ich mit meiner Panik vor der Nacht an sich beschäftigt war, entging mir diese kleine Schlussfolgerung. Ich hob den Holzdeckel von dem Loch und positionierte mich darüber und gab erleichtert dem Druck nach.

Ich hatte fast den gesamten Inhalt der Elbe aus mir herausfließen lassen, als etwas nach meinem Knöchel griff und mich in einer flinken Bewegung streichelte. Ich schrie leise auf, sah nach unten und nahm gerade noch wahr, wie ein dunkler Schatten unter der Tür verschwand. Mein Puls sprang heftig gegen meinen Hals und ich wagte nicht, mich zu bewegen oder zu atmen. Sekundenlang verharrte ich und als ich gerade dabei war, mir einzureden, dass ich mir die flüchtige Berührung an meinem Bein nur eingebildet hatte, schoss wieder etwas unter der Tür durch und griff nach mir. Ich schrie und sprang mit heruntergelassenen Hosen in der Holzhütte herum. Das Holz des Bodens knarrte und ächzte unter meinem Paniktanz. Nicht lange und ich vernahm draußen Stimmen, die sich über den Liesel knirschend meinem Standort näherten.

Gerade noch rechtzeitig, riss ich meine Hose wieder hoch, dann wurde die Tür aufgerissen und ich blickte in die erschrockenen Gesichter von mehreren Männern.

 

»Da hat was nach mir gegriffen«, verteidigte ich mich sofort, obwohl keiner etwas gesagt hatte oder auch nur das kleinste Anzeichen eines Lachens auf ihren Gesichtern war. Erst jetzt fingen die Männer an zu lachen. Ich schnappte mir mein Taschenlampenhandy vom Rand des Plumpsklos und hielt es in meinen zitternden Händen.

»Was soll denn nach dir gegriffen haben?«, wollte Luca wissen und reichte mir seine Hand, um mich aus der Toilette zu holen.

»Ich weiß nicht«, stammelte ich und sprang regelrecht aus der Hütte und hätte Luca Rodari dabei fast mitgerissen. »Es hat unter der Tür durch gegriffen und mich am Bein berührt. Zwei Mal!«, betonte ich.

»War das vielleicht eins dieser rosa Kätzchen auf Ihrem Schlafanzug?«, wollte Mark Thomson wissen. Er stand etwas abseits und in der Dunkelheit konnte ich sein Gesicht nicht richtig erkennen, aber seine Stimme. Lachen aus sechs Kehlen.

»Sehr witzig«, fauchte ich und sah an mir herunter. Mir war durchaus bewusst, dass dieser Schlafanzug nicht gerade sexy war, aber er erfüllte seinen Zweck. Ich hatte ihn für Reisen gekauft, denn Zuhause schlief ich immer nackt, außer Christine übernachtete mal wieder bei mir. Andere Menschen konnten sich aus unbekannten Gründen nicht dazu durchringen, bei mir zu schlafen. Insbesondere Menschen der Gattung Mann.

Luca ließ meine Hand los und schielte in die Toilette hinein. »Da ist niemand drin. Was hast du überhaupt da drin gemacht?«

»Das, was man auf einer Toilette tut. Ich musste mal«, knurrte ich wütend.

Jemand kam lachend hinter der Hütte hervor und hielt etwas auf dem Arm. Als er näher kam, erkannte ich Tom Durand, der einen Waschbär hielt. Ich stolperte rückwärts und gegen Lucas Brust, der mich mit seinen Händen an meinen Hüften vor einem Sturz bewahrte.

»Das ist Peter. Er ist so was wie unser Maskottchen. Er gehört dem Koch.« Wieder lachten alle, nur ich konnte nicht lachen.

»Oh, na dann ist ja alles gut«, sagte ich sarkastisch und drängelte mich zwischen den Spielern hindurch, um in meine Hütte zu flüchten. »Danke, für eure Rettung.«

Ich war noch nicht weit gekommen, als ich Lucas Stimme in meinem Rücken hörte. Ich wandte mich nach ihm um. »Was?«

»Das nächste Mal, nimm einfach die Toiletten auf der anderen Seite des Waschraums. Diese hier wird schon seit Jahren nicht mehr benutzt.«

Ich schluckte und ignorierte das brüllende Gelächter. »Aber in meiner Hütte ist nur diese Toilette im Plan eingezeichnet«, verteidigte ich mich. Damit wandte ich mich um und stapfte wütend zurück in mein Bett.

Dieser Tag war eine einzige Peinlichkeit. Und immer war Luca Rodari in der Nähe gewesen und hatte alles noch viel schlimmer gemacht. Warum ärgerte es mich gerade bei ihm so sehr, dass er all diese Missgeschicke miterlebt hatte? Und warum passierten mir all diese Dinge überhaupt? Ich war eigentlich niemand, der ständig in Fettnäpfchen trat. Das musste an ihm liegen. Mit dem Gedanken, dass nur Luca Rodari an allem schuld war, schlief ich endlich ein, nur um gefühlte zehn Minuten später schon wieder von meinem Wecker geweckt zu werden.

Schlecht gelaunt quälte ich mich aus meinem Bett. Ich hatte am gestrigen Tag und auch in der vergangenen Nacht viele mögliche Ausreden durchgespielt, doch keine konnte mich so richtig überzeugen. Und wenn sie mich nicht überzeugen konnten, dann würden sie das auch nicht beim Trainer schaffen. Trotzdem, die Vorstellung, dem Trainer vor der ganzen Mannschaft zu erklären, dass ich unmöglich am Waldlauf teilnehmen konnte, weil ich ganz plötzlich meine Regel bekommen hätte, entlockte mir ein Schmunzeln. Schließlich wusste ich von meinem Vater, dass Männer mit dem Thema Menstruation hilflos überfordert waren.

Meine erste Regel hatte ich mit vierzehn bekommen. Und zu Papa Johannes Unglück war meine Mutter Martina zu diesem Zeitpunkt gerade auf einer Kur und er mit dem Haushalt und unseren Schulhausaufgaben ohnehin schon maßlos überfordert. Mit hochrotem Kopf hatte er mir mithilfe eines Abflussrohrs und eines Tampons versucht zu erklären, wie man diesen benutzte. Natürlich hätte ich ihm gestehen können, dass ich längst wusste, wie man einen Tampon verwendet, aber Vaters panisches Gesicht, dazu die nervösen Stotterer und die zitternden Hände waren für mich und auch meinen zwei Jahre älteren Bruder Jens die süßeste Rache, die wir uns vorstellen konnten, für die Zwangs-Monopoly-Familienabende jeden Sonntag.

Da ich aber auch wusste, dass jeder halbwegs normale Mensch sofort wüsste, dass das nur eine Ausrede war, hatte ich diesen Plan sofort wieder verworfen und beschlossen, es wie eine richtige Frau durchzuziehen. Schließlich war ich die Tochter eines Klempnermeisters, und die gaben niemals auf. Behauptete zumindest mein Vater.

Ich zog mir also eine kurze Leinenhose an, die eigentlich viel zu schade für den Wald war - ich würde den Trainer erwürgen, wenn der beigefarbene Stoff Grasflecken bekäme -, aber diese Hose war die einzige, lockere, die ich mithatte. In allen anderen Hosen hätte ich nie genug Bewegungsfreiheit. Zur Hose schlüpfte ich noch in das dazugehörige Tanktop mit einem riesigen glitzernden Katzenkopf auf der Vorderseite. Das sollte ausreichen für einen Lauf durch den Wald. Leider hatte ich keinen Sport-BH mit und das würde ein Problem werden, weil mir meine Brüste bestimmt bei jedem Schritt um die Ohren fliegen würden.

Mit einigen Minuten Verzögerung betrat ich den Platz, wo etwa dreißig Spieler und ein ungeduldiger Trainer schon auf mich warteten.

»Ich kann nichts dafür, ich musste warten, bis Ihre Spieler aus dem Waschraum verschwunden waren, damit ich ihn benutzen konnte.«

Joachim Weller stieß laut die Luft zwischen den gespitzten Lippen hervor. »Sie hätten also nicht ungeschminkt erscheinen können? Das hier ist keine Modenschau. Keiner der Männer wird in den nächsten Stunden die Zeit haben, Sie zu bewundern.«

Entrüstet schnappte ich nach Luft. »Ich habe mich nicht geschminkt, nur meine Zähne geputzt. Das tut man so morgens.«

Lachen um mich herum. »Das hätten Sie nicht mit den Männern gemeinsam tun können?«

Ich ignorierte die Frage. Mir kam es langsam vor, als wäre ich das Unterhaltungsprogramm. »Wollen wir hier noch lange rumstehen oder geht es endlich mal los?«

Der Trainer schüttelte den Kopf, wandte sich zu den Männern um, die so etwas wie einen lockeren Kreis bildeten. »Aufwärmen«, kommandierte er und alle fingen an sich zu dehnen und zu strecken und ihre Muskeln aufzuwärmen. Ich schüttelte auch meine Arme und Beine und war froh, als die Gruppe dann loslief und dem Trainer folgte.

Ich wartete, bis zum Ende der lockeren Reihe und bildete dann das Schlusslicht. Zusammen mit Luca Rodari.

»Du musst keine Rücksicht auf mich nehmen, ich komme schon hinterher. Keine Sorge.« Und wenn nicht, dann werde ich einfach gemütlich dem Pfad folgen, den es wohl langgehen sollte.

»Ich soll mich noch schonen, deswegen laufe ich hinten mit. Außerdem hat der Trainer mir aufgetragen, darauf zu achten, dass du nicht zu sehr zurückfällst oder gar auf die Idee kommst, einfach wieder ins Camp zu gehen.«

»Hah, als ob ich das tun würde?« Genau das hatte ich vor.

»Ja dann, weniger reden, mehr laufen.« Luca beschleunigte das Tempo. »Hübsches Oberteil. Der Trainer hat unrecht, man muss sich die Zeit nehmen, um dieses Teil zu bewundern, schließlich kann man es nicht übersehen.« Mit einem Zwinkern wandte er sich von mir ab und lief los.

Ich schnappte nach Luft und schob die plötzliche Hitze in meinem Gesicht auf die ungewohnte Rennerei. Weil ich schon jetzt spürte, wie mich die Kraft verließ, konzentrierte ich mich auf das grüne Dach über mir, das Zwitschern der Vögel und einige aufgestapelte Baumstämme. Danach unterzog ich Lucas Rückfront einer genauen Musterung, der Art, wie sich seine Arme beim Laufen bewegten, wie die Rundungen seines knackigen Hintern in den schwarzen Shorts aussahen, und ich bewunderte die harten Muskeln seiner Waden, die so nur Fußballspieler hatten. Olivfarbene Haut unter schwarzer Behaarung und stramme Waden. Hatte ich eigentlich schon immer eine Schwäche für Fußballerbeine?

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