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Karl der Große im Norden

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4.1. Cod. Holm. D4

Datiert auf die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts, stellt Cod. Holm. D4Cod. Holm. D4 eine der ältesten schwedischen Handschriften aus dem laikalen Milieu dar. Aufgrund der charakteristischen Heterogenität wird sie als „one of the most intruiguing and fascinating manuscripsts from the Swedish Middle Ages“1 betrachtet. Sowohl profane als auch religiöse und historiographische Textsorten sind in ihr vertreten. Bengt R. Jonsson kommt in seiner Abhandlung zur ErikskrönikanErikskrönikan zum Ergebnis, dass die Handschrift im Auftrag von Gustav Algotsson (Sture) im Skriptorium des Klosters VadstenaVadstena angefertigt wurde.Cod. Holm. D4VadstenaKonung Alexander2

4.1.1. Datierung

Zur Frage ihrer Datierung gibt es in der Forschung kontroverse Meinungen. Klemming nimmt den Zeitpunkt um 1430 an und begründet dies sowohl mit sprachlichen als auch mit stilistischen Argumenten, wohingegen Stephens und Liffman die Entstehungszeit der Handschrift auf um 1430 bis 1450 erweitern.Flores och Blanzeflor1 Noreen unterscheidet zwei differierende Teile in der Handschrift, welche verschiedenen, zumindest zwei Schreibern zugeordnet und so unterschiedlich datiert werden können.Cod. Holm. D42 Prosaiska KrönikanProsaiska Krönikan, deren Text zwar verloren ist, die aber im Inhaltsverzeichnis der Handschrift aufgelistet wird, gilt in der Forschung als die frühe Version der ErikskrönikanErikskrönikan und berichtet von den historischen Begebenheiten des Jahres 1449. Demnach müsste sie mit dem terminus post quem auf die Jahreswende 1449–1450 datiert werden. Eine weitere Datierungsmöglichkeit ermöglicht die Analyse der Wasserzeichentypen nach der Briquet-Methode.3 Hans Ronge hat die Wasserzeichen des Cod. Holm. D4 sowie der Schwesterhandschrift MB I A, welche die altschwedische Paraphrase des Pentateuch enthält,4 untersucht, und diese mit den Wasserzeichentypen von Briquet verglichen.5 Die Analyse ergab, dass während MB I A sich auf das Jahr um 1420 datieren lässt, Cod. Holm. D4Cod. Holm. D4 etwa 20 bis 30 Jahre älter sein muss. Letztendlich bleiben die möglichen Datierungen „starkt hypotetiska“ ‒ stark hypothetisch.6 In der neueren Forschung herrscht inzwischen Konsens über die Entstehung der Handschrift in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts.

4.1.2. Inhalt

Det kan vara svårt att se uppenbara samband mellan texterna, om det nu överhuvudtaget finns något. Handskrifter som verkar utgöra heterogena antologier är snarare regel än undantag för den medeltida bokproduktionen […].1

Ob die SammelhandschriftSammelhandschrift Cod. Holm. D4Cod. Holm. D4 in dieser Hinsicht eine Ausnahme bildet, kann nur mit einem prüfenden Blick auf deren Inhalt beurteilt werden. Es soll zudem nicht unerwähnt bleiben, dass sie über ein Inhaltsverzeichnis verfügt, welches bemerkenswerterweise nur die wichtigsten Werke aufzählt und somit nicht vollständig ist. Gleichwohl wäre die Möglichkeit einer späteren Hinzufügung der nicht im Inhaltsverzeichnis aufgeführten Texte denkbar.2 Die anfangs beschriebene Heterogenität der Handschrift schlägt sich sowohl in den vertretenen Gattungen als auch in den Sprachen nieder: Neben Altschwedisch und Latein wird das Mittelniederdeutsche ebenfalls verwendet. Hinsichtlich der Gattungen lässt sich feststellen, dass neben höfischen Texten wie den EufemiavisorEufemiavisor, auch religiöse, im weitesten Sinne wissenschaftliche, didaktische sowie profane Texte vertreten sind. Ein tabellarischer Überblick soll die thematische Heterogenität dieser Handschrift verdeutlichen, die als „minibibliotek“3 für einen dem aristokratischen Milieu entstammenden Auftraggeber konzipiert war. Das erste Blatt der Handschrift ist aus Pergament und stellt das Inhaltsverzeichnis dar, der Rest ist aus Papier und wie folgt zusammengesetzt:


Blatt Titel Sprache Anmerkungen
2–57r SWE Erste Eufemiavisa
57v–85r Hertig Fredrik aff Normandie SWE Zweite Eufemiavisa
85v–86 r Aff Danmarkis konongom SWE
3/4 86, 87–89 Leer
90r–108v Flores oc Blanzafloor SWE Dritte Eufemiavisa
108v Drei alte Beschwörungen 1+3 ND 2 LAT
108v–109r Beschwörung LAT Auskunft über einen dreifarbigen Stein, der den Besitzer unsichtbar macht
109v–110r a) Sonntags- und Ostervorausberechnung b) Weihnachtswetter und dessen Bedeutung für das kommende Jahr c) Bedeutung des Donners für jeden Monat LAT LAT LAT viele der Inhalte erscheinen später in der sog. Bondapraktikan (1662)
110r–110v b) übersetzt Aff aaranne skipilsom SWE
111r–200v SWE
201r–203r Chronologische Anmerkungen von ca. 826–1430 LAT
203v Jahreszahl 1757 Später hinzugefügt
204r–205v SWE Der Haupthandschrift des Äldre Västagötalagen Cod. Holm. B 59 entnommen
206r Biblische interrogationes LAT
206r Medicinam contra morbus pecorum LAT
206r Drei kurze Messen zu Ehren von St. Nikolaus LAT
206v–207v Geographische Erklärungen zu Ländern Asiens, Afrikas und Europas LAT
207v–211r Traumbuch Nota Somnia Danielis LAT 364 verschiedene, alphabetisch sortierte Träume
211r Anfänge einiger Psalmen LAT
211v–212r Messe zur Befreiung der Seele LAT
212v–215r Traktat über Chiromantie LAT
215r–216r Traktat über Physiognomie LAT
216r Traktat über Verdauung LAT
216v–217v Traktat über Urin LAT
217v–219v Prognostica über das Schicksal der Kinder abhängig vom Geburtsmonat LAT Das Jahr beginnt mit dem Monat März
Lakune Aff Swerikis Kroneka the Ny Aff Ioan Prest af Indialand Dem Register entnommen
220r–230v Aff Karlmagnus Konung SWE
230v–231v Dikten om Kung Albrekt SWE allegorisches Gedicht über den schwedischen König Albrecht von Mecklenburg
232r–233v Aff gudz tilkwæmpd och hans fodhilse SWE
233v–235v De obitu beate Marie virginis gloriose SWE
235v–236r De transitu beate Marie virginis gloriose SWE
236r De quindecim signis ante diem iudicij SWE
236v–237r Speculum missæ SWE
237v–239v De ligno domini SWE
240–245v De lucidario -Lucidarius SWE
246r–264r SWE Anfang fehlt, Redaktion a
264r–268r Själens ock kroppens tvist SWE
268r–272r Legenden om St. Göran SWE
272v–295v De sju sakramenter - Aff allom manzins adhrorn - Aff hästaläkedom - Aff marghanda yrtom oc thera dygdhom SWE

Tab. 1:

 

Inhalt der Handschrift Cod. Holm. D4Cod. Holm. D4

Im Hinblick auf die Gattungen lassen sich die Texte folgenden Gruppen zuordnen: Zum einen sind hier Texte höfischer Prägung enthalten: Dazu gehören die drei Eufemisvisor, Konung AlexanderKonung Alexander, Dikten om Kung AlbrektDikten om Kung Albrekt und im weitesten Sinne auch Karl Magnus. Allesamt sind sie auf Schwedisch verfasst und stellen zum Teil Übersetzungen der niederdeutschen, französischen und lateinischen Werke dar. Zum anderen finden sich Texte mit historischen und historiographischen Inhalten: Dazu gehören Aff Danmarkis konongom/ Nota gesta danorum mit historischen Anmerkungen über Danaholmstraktat, Västergötlands gränsorter, Västergötlands allmänningar etc. Weiterhin gibt es eine Reihe von Texten mit religiöser und geistlicher Prägung: drei kurze Messen und weitere Texte wie Aff gudz tilkwæmpd och hans fodhilse, De obitu beate Marie virginis gloriose, De transitu beate Marie virginis gloriose, De quindecim signis ante diem iudicij, Speculum missæ, De ligno domini, De sju sakramenter, Legenden om St. Göran und Själens och kroppens tvist. Hier wäre zu erwarten, dass ein Großteil der Dichtung in lateinischer Sprache verfasst wäre, zumal die Rubriken lateinisch sind, was die Gattung in ihrer sprachlichen Verortung mit der lateinischen Tradition verknüpft, doch auch in dieser Gruppe ist der umfassendste Teil der Texte auf Altschwedisch.

Weiterhin kommen verschiedene fachdidaktische Texte vor, nämlich die auf Latein verfassten Traktate über die Chiromantie, Physiognomie und die Urinschau. Zur Gattung der Fachliteratur gehören nicht-fiktionale Texte, „gegliedert in Sachgebiete, die Erfahrungen jeglicher Art, Wissen aus verschiedenen Sparten, wissenschaftliche Erkenntnisse“8 dokumentieren und vermitteln. Die Texte der Fachliteratur liegen in gebundener Rede oder in Prosa vor, orientieren sich demnach mehr an Intention und Inhalt als an der äußeren Form.9 Die weiter oben aufgezählten Prognostica sowie die oneiromantische Schrift Nota Somnia Danielis zählen zu den sog. artes magicae, welche die magischen und mantischen Künste erfassen, unter anderem die Chiromantie, Physiognomie und die Geburtsprognostik. Da Editionen dieser Texte nach wie vor Desiderat bleiben, ist es im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, näher darauf einzugehen. Allgemein kann jedoch konstatiert werden, dass die mantischen wie die magischen Künste im europäischen Kulturkreis auf literarischer Ebene von gnostischen und neuplatonischen Vorstellungen einer Hierarchie von Geisteswesen hinter der erfahrbaren Wirklichkeit geprägt sind.10 Diese im weitesten Sinne gelehrte Fachprosa zeigt Verwandtschaft mit der antiken Tradition der Mantik, welche schon im 12. Jahrhundert Gegenstand lateinischsprachiger Abhandlungen war. Analog zu den septem artes liberales gehörte die Chiromantie, eine Wahrsagetechnik auf Basis der Handlinienverläufe, sowie die Schicksalsvorhersage durch die Physiognomie, zu den sogenannten artes magicae, den magischen und mantischen Künsten.11 Die Traktate über den Urin wie auch die Verdauung sind Teil der mittelalterlichen Diagnostik der ars mediale, welche in der antiken Tradition wurzelt, wie die gesamte Medizin des Mittelalters.12 Vor dem Hintergrund der vorliegenden Kompilation kann man sie als Teil spätmittelalterlicher gelehrter Fachprosa einordnen. Eine moderne Edition dieser Traktate wäre wünschenswert, um in diesem Zusammenhang Fragen nach der Transmission bzw. nach möglichen Vorlagen beantworten zu können.

Eng verwandt mit den oben genannten Texten der gelehrten Fachprosa steht auch das auf Lateinisch verfasste Traumdeutungsbuch Nota Somnia Danielis. Hier wird ebenfalls die Teilhabe des schwedischen Codex an der griechisch-römischen und mittelalterlichen Tradition der Oneiromantie, der Traumdeutung, offenbar. Die alphabetische Aufzählung der 364 Träume und ihrer Bedeutungen stellt eine Version eines der am meisten verbreiteten mittelalterlichen Traumdeutungsbücher dar, des Somniale DanielisSomniale Danielis, dessen Überlieferung in einer Reihe lateinischer Handschriften sowie Übersetzungen in diverse Volkssprachen für die verbreitete abendländische Rezeption bürgt.Somniale Danielis13 Im Hinblick auf die Zusammensetzung der Handschrift verdient das Buch, das in der altschwedischen Übertragung den Titel Nota Somnia Danielis trägt, in der Forschung auch als Somnia Danielis bekannt, ein besonderes Augenmerk, reicht doch die Tradition der Oneiromantie, der Traumdeutung, über die griechisch-römische Antike bis in die frühen Hochkulturen Ägyptens und Mesopotamiens zurück.14 Unter der Nota Somnia Danielis werden 364 Träume alphabetisch erfasst und ausgelegt.15 Einer großen Beliebtheit erfreute sich das soeben erwähnte Traumbuch Somnia Danielis, das in 73 lateinischen Handschriften vorliegt, wovon die älteste auf das 9. Jahrhundert datiert werden kann.16 Die volkssprachige Überlieferung umfasst neben den alt- und mittelenglischen, italienischen und irischen auch mittelhochdeutsche und altwestnordische Versionen. Die Authentizität und Glaubwürdigkeit der Traumauslegung sollte durch die Attestierung zu einem der bekanntesten alttestamentarischen Propheten, Daniel, bezeugt werden. Hinsichtlich der handschriftlichen Tradition war das Traumbuch Daniels „generally integrated in miscellanies with medical, astrological, astronomical character“,Somniale Danielis17 erschien also neben anderen Texten der Fachprosa. Interessanterweise trifft dies auf eine weitere SammelhandschriftSammelhandschrift zu, nämlich Cod. Ups. C 664 (Uppsala Universitetsbibliotek, 9. Jh.), die neben einer der ältesten lateinischen Versionen der Somniale Danielis sonst medizinische Fachtexte enthält.Somniale Danielis18 Auch in den literarischen Texten selbst wird die Existenz der Traumbücher bescheinigt, so wird im Text der altfranzösischen Chanson de RolandRoland einer der Träume von einem weisen Mann mit Hilfe eines Traumbuches ausgelegt.AudeRoland19

Die Bedeutung der Fachprosa liegt neben ihrem Eigenwert als Teil des literarischen Milieus der Zeit, in der sie entstanden ist oder aber modifiziert und weiter rezipiert wurde, vor allem im Potenzial der Texte, soziokulturelle Hintergründe von Entstehungs- und Rezeptionsmilieus zu beleuchten. Kodikologisch kontextualisiert können die gelehrten Fachprosa-Texte so neue Möglichkeiten zur Interpretation anderer Texte innerhalb der Handschrift liefern und zu einem besseren Verständnis poetischer Werke beitragen.

 

Der Glaube an die prognostische Kraft der Träume – und somit auch der Gebrauch der Traumbücher – war offensichtlich nicht an einen bestimmten Rezipientenkreis geknüpft. Valerio Cappozzo stellt fest, Somniale DanielisXE "Somniale Danielis „thus gathers some traditional beliefs, previously transmitted orally, that surpass social classes and specific moments in time“20 und Steven Kruger merkt an:

While oral traditions and folk beliefs probably contributed to the alteration and growth of the dreambooks, and while a lively folk interest in dreams and dream divination would certainly have helped fuel the dreambooks’ proliferation, the number of manuscripts testifies to popularity among a literate population.21

Die Inklusion des Traumbuchs Somnia Danielis in die heterogene Handschrift Cod. Holm. D4Cod. Holm. D4, die im Auftrag von Gustav Algotsson (Sture) in VadstenaVadstena angefertigt wurde, zeugt vom Interesse der schwedischen Aristokratie an der Fachprosa, deren schriftliche Transmission bis ins 9. Jahrhundert nachgewiesen werden kann.

Neben den zuvor beschriebenen Fachprosa-Texten fanden komputistische und laienastrologisch-prognostische Inhalte Eingang in den Codex: Tellurische und meteorologische Phänomene ermöglichen eine Zukunftsdeutung. Zu dieser Gruppe zählen die ebenfalls prognostische Wetterregel, die Vorausberechnung des Ostertermins, meteorologische Phänomene wie Donner und eine Wetterprognostik nach der Art der Bauernregeln, die später in der sog. Bondepraktikan (1664)22 erscheinen.

Wie aus der erfolgten Aufzählung zu erkennen ist, stellt sich der Inhalt der Handschrift als äußerst heterogen heraus, so dass anhand der einzelnen Texte das Rezipientenmilieu nicht mit Sicherheit bestimmt werden kann. Allerdings stellt Bampi fest, Cod. Holm. D4Cod. Holm. D4 „was not used in ecclesiastic contexts or within male monastic foundations“,23 denn hier erfolgte die Wissensvermittlung fast ausschließlich mit Hilfe auf Latein verfasster Werke theologischen und religiösen Inhalts. Die generische Heterogenität der Handschrift lässt sich am ehesten mit den privaten Interessen des Besitzers oder Auftraggebers erklären, der sich neben religiösen und erbaulichen Texten auch mit historischen, magischen und profanen Motiven befasste.

Zusätzlich zur eigentlichen Textanalyse im Kapitel 5 kann die Einordnung der Position des altschwedischen Karl Magnus innerhalb dieses Codex zum Gesamtverständnis hinsichtlich seiner Funktion und Interpretation beitragen. Eine mögliche Verbindung zu den weiter oben beschriebenen Textgruppen ist für die Einordnung der Karlsdichtung in einen potenziellen Wissenshintergrund der Rezipienten hilfreich und kann auf diese Weise neue Lesarten generieren.