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Karl der Große im Norden

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3.3. Universitas nobilium, regimen regale und regimen politicum

Die schwedische und dänische Aristokratie spielte eine entscheidende Rolle in der Gestaltung der Unionspolitik des 15. Jahrhunderts. Bereits das Zustandekommen der Kalmarer UnionKalmarer Union 1397 wird in der Forschung auf den aristokratischen Konsens zurückgeführt.1 Olesen charakterisiert daher die Kalmarer Union als universitas nobilium.Kalmarer Union2

Sicherlich stellte der schwedische wie auch der dänische Hochadel keine homogene Gruppierung dar, einige gemeinsame Tendenzen können jedoch festgehalten werden: Offensichtlich wurde von der Aristokratie das regimen politicum angestrebt, eine Herrschaftsform, die den königlichen Einfluss mindert und die Machtaufteilung zwischen der Krone, der Kirche und der Aristokratie auf der Basis eines Wahlkönigtums vorsieht, während das regimen regale die monarchische Auffassung repräsentiert, die vom Erbkönigtum und einem zentralen Staat ausgeht.3 Das Unionskönigtum gewährte der Aristokratie adelige Freiräume und Machtzuwachs. Doch sobald wirtschaftliche und politische Chancen für den indigenen Adel gefährdet schienen – etwa durch die Vergabe der wichtigen politischen Ämter und Schlosslehen an dänische oder deutsche Adlige – , kam es zu Widerständen. So erscheint die Entwicklung der separatistisch-nationalen und antidänischen Tendenzen innerhalb des schwedischen Adels nachvollziehbar. Demgegenüber waren die Dänen aufgrund der offensichtlichen Vorteile, welche die Union ihnen bieten konnte, an deren Weiterexistenz interessiert, unter anderem wegen der Vergabe der bereits erwähnten politischen Ämter, Schlosslehen oder Kirchenpfründen.4

Generell lassen sich nach Zernack drei Perioden der Kalmarer UnionKalmarer Union ausmachen: Erstens, eine Reformperiode der Herrschaft Eriks von PommernErik von Pommern, ein Sieg des regimen regale, gekennzeichnet durch die Stärkung der königlichen Macht, deren Ende durch den gewaltsamen Aufstand von Engelbrekt Engelbrektsson herbeigeführt wird. Zweitens, eine Restabilisierung des ratsaristokratischen Übergewichts unter der Regierung Christophs von Bayern (1442–1448) und Karls KnutssonKarl Knutsson Bonde (1448–1470, mit drei Unterbrechungen). Die dritte und letzte Phase ist geprägt durch den Ausgleich der drei treibenden Faktoren, der Zentralmacht, der Aristokratie und der popularen Kräfte.5 Abschließend hierzu sei noch angemerkt, dass die höchsten Kirchenämter häufig mit den Angehörigen der mächtigen Adelsfamilien besetzt waren, welche als Mitglieder der Reichsräte auch aktiv am politischen Geschehen teilnahmen.6

3.4. Die schwedische Elite und ihre Codices

Nachdem die Integration des schwedischen Hochadels in die Geschicke der Kalmarer UnionKalmarer Union umrissen wurde, ist es sinnvoll, die adligen Auftraggeber und Eigentümerinnen der schwedischen Codices Cod. Holm. D4Cod. Holm. D4, Cod. Holm. D4aCod. Holm. D4a, Cod. Holm. D3Cod. Holm. D3 sowie AM 191 fol.AM 191 fol. zu identifizieren, um so ihre möglichen Interessen und Intentionen bei der Kompilation der Handschriften zu interpretieren.

Drei der hier insgesamt vier behandelten Handschriften können dem Umfeld einer aristokratischen Familie zugeordnet werden, nämlich Cod. Holm. D4Cod. Holm. D4, Cod. Holm. D4aCod. Holm. D4a sowie Cod. Holm. D3Cod. Holm. D3. Die älteste der Handschriften, Cod. Holm. D4, wurde von Gustav Algotsson (Sture) in Auftrag gegeben und im Skriptorium des Klosters VadstenaVadstena in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts angefertigt, vermutlich um 1420.1 Der eben erwähnte Gustav Algotsson war in der zweiten Ehe mit Märta Ulfsdotter (Sparre von Hjulsta und Ängsö) verheiratet, die wiederum die nach ihr benannte Handschrift Cod. Holm. D4a, Fru Märtas bok oder Codex Verelianus, besaß. Der Schreiber der besagten Handschrift gehörte ebenfalls in den Familienkreis der Ulfssons: Märtas Bruder, Sigge Ulfsson. Bengt R. Jonsson äußerte die Hypothese, dass Frau Märta Ulfsdotter auch schon den Cod. Holm. D4 besaß, nach dem Tod ihres Mannes Gustav Algotsson im Jahre 1448 aber keinen Zugang mehr zu der Handschrift hatte, so dass sie nach dem Vorbild der Handschrift D4 sich eine neue Handschrift anfertigen ließ, den Cod. Holm D4a.2 Die genealogische Linie führt in die nächste Generation: Gustav Algotsson und Märta Ulfsdotter hatten zwei Töchter, Birgitta und Elin Gustavsdotter (Sture). Nach dem Tod der Mutter wird Birgitta die Handschrift D4a geerbt haben, während Elin sich eine eigene Handschrift, die D3, anfertigen ließ. Elin war in ihrer ersten Ehe mit Knut Stensson (Bielke), dem jüngeren Halbbruder des schwedischen Königs Karl KnutssonKarl Knutsson, verheiratet. Dieser starb 1451 und wurde in Vadstena beerdigt. Ihre zweite Ehe führte Elin mit Erik Axelsson (Tott). Nur ergänzend sei hier angemerkt, dass die Brüder Oluf, Erik und Ivar Axelsson (Tott) zwischen 1450–1490 einen entscheidenden und dominierenden Machtfaktor in der dänischen und schwedischen Politik und in der gesamten Unionspolitik darstellten.3 Ein Teil der Texte der Handschrift D3 sind direkte Abschriften aus D4a, während für andere Texte keine direkte Beziehung identifiziert werden konnte. Was die Tradierung der drei Handschriften anbelangt, so kann man konstatieren, „att dessa handskrifter traderats huvudsakligen genom kvinnliga släktled“.4

Die Rekonstruktion der genealogischen Verhältnisse der Eigentümer und Eigentümerinnen der Handschriften dient der Einordnung in den politischen und sozialen Kontext ihrer Entstehungszeit der Kalmarer UnionKalmarer Union. In Bezug auf D3 und dessen Eigentümerin Elin Gustavsdotter merkt Bengt R. Jonsson an: „Eljest var Elin säkerligen i högsta grad politiskt medveten och engagerad; hon kunde följa skeendet från bästa parkettplats“.5 Es ist daher als wahrscheinlich anzunehmen, dass neben den persönlichen Interessen der Auftraggeber und Kopisten an verschiedenen, historischen, höfischen und profanen Inhalten auch die politischen Begebenheiten für die Zusammenstellung der Texte innerhalb der vier schwedischen Handschriften ausschlaggebend waren. Inwiefern Karl Magnus, sowohl als einzelne Geschichte vom fränkischen Kaiser als auch in Interaktion mit anderen ihn umgebenden Texten der vier SammelhandschriftenSammelhandschrift, eine politische oder soziale Botschaft für die schwedische Aristokratie des 15. Jahrhunderts vermittelte, soll durch dessen Kontextualisierung deutlich gemacht werden.

3.5. Karl Magnus Krønike und das Børglum-Kloster

BørglumAuch die dänische Überlieferung der kompilierten chansons de gestechansons de geste um Karl den Großen ist in einer SammelhandschriftSammelhandschrift aus dem 15. Jahrhundert enthalten. Die Datierung der Handschrift Vu 82Cod. Holm. Vu 82 (Kungliga Biblioteket, Stockholm) auf das Jahr 1480 mit der Ortsangabe ‚BørglumBørglum‘ lässt für dieses Kapitel einen historischen und soziokulturellen Hintergrund einer anderen Art rekonstruieren, als dies bei den schwedischen Handschriften der Fall war. Obwohl die Entstehungszeit dieser Handschrift ebenfalls in die Zeit der Kalmarer UnionKalmarer Union fällt, kann der Zusammenhang mit der zeitgenössischen politischen Situation kaum durch die Textauswahl belegt werden: Zu heterogen sind die Inhalte der Handschrift, die im folgenden Kapitel näher vorgestellt werden. Neben den historischen Begebenheiten, die im vorangehenden Kapitel erläutert wurden, kann die Handschrift Vu 82 durch die Ortsangabe, zumindest was den mittelalterlichen Teil der Handschrift betrifft, dem geistlichen Hintergrund des monastischen Milieus der PrämonstratenserPrämonstratenser auf Jütland zugeordnet werden.

Der Ort der Fertigstellung der Handschrift, nämlich das nordjütische Kloster BørglumBørglum, war ursprünglich ein königliches Gut. Auch wenn das Quellenmaterial zur Geschichte der weißen Chorherren, i.e. der PrämonstratenserPrämonstratenser, in Skandinavien recht fragmentarisch ist, lässt sich nachweisen, dass der Anfang der weißen Chorherren von Prémontré in Skandinavien in die Zeit Eskils als Erzbischof von Lund (1138–1177) fällt.1 Wann das erste eigentliche Kloster gestiftet wurde, ist nicht bekannt. In der Forschung geht man davon aus, dass der Ort Børglum im Jahre 1086 noch königlicher Besitz war.Børglum2 Spätestens 1139 wurde beim Provinzialkonzil in Lund der Bischofssitz endgültig nach Børglum verlegt, wo Bischof Sylvester ein neues religiös-administratives Zentrum für sein Bistum errichten wollte. Eine Klosterstiftung vom Mutterkloster Steinfeld in der Eifel wird für die Zeit um 1150 angenommen, die erste Kontaktaufnahme mit Steinfeld in der Eifel muss aber bereits in den Jahren 1139–1142 stattgefunden haben.Børglum3 Neben den Hoheitsrechten, die das Verhältnis zwischen dem Mutter- und Tochterkloster im Ordenswesen auszeichnen, sind es vor allem reisende Ordensmitglieder, die einen direkten Austausch zwischen den Klöstern herstellten: Nyberg geht davon aus, dass man Kanoniker aus Steinfeld nach Dänemark entsandte, während die Studenten aus Dänemark, die dem Orden beitraten, zu Ausbildungszwecken in die Eifel reisten.4 Wie das Mutterkloster Steinfeld verpflichtete sich seit 1177 auch Børglum, Prémontré als Hauptkloster und Norm der klösterlichen Lebensweise anzuerkennen und das dortige Generalkapitel zu besuchen, wo der Prämonstratenserorden von Norbert von Xanten im Jahre 1120 gegründet wurde.5

Das einsame dänische Kloster wurde Domkapitel für den Bischof der Insel Vendsyssel, dem heute nördlichsten Teil Jütlands, welcher im Mittelalter ohne Landverbindung durch den Limfjord vom Festland getrennt war. Es gilt als Mutterkloster der beiden norwegischen Abteien des Ordens, des Olavsklosters in Tønsberg und Marieskog in Dragsmark. Die Stiftung des letzteren um 1230 geht auf den norwegischen König Hákon Hákonarson (1217–1263) zurück. Die Entstehung einer Schwestern- oder Kanonissengemeinschaft in BørglumBørglum um 1160 kann ebenfalls nicht ausgeschlossen werden. Durch die geographische Lage der Klöster, nämlich ihre Nähe zur Nordsee, wurde die Kommunikation unter den Klöstern erleichtert sowie die Entwicklung ähnlicher ökonomischer Strukturen begünstigt, was den Handel und Export von Überhangware anging.Børglum6 Auch waren diese drei Abteien Ausgangspunkt des westlich gewandten Schiffsverkehrs, während diejenigen in Schonen (Tommarp, Öved, Lund und Vä, später nach Bäckaskog verlegt) an der dänischen Expansion über die Ostsee Anteil hatten.7

 

Bis 1536, also bis zur Reformation, als alle Bischofsgüter des Königs Christian III. beschlagnahmt wurden, war das Kloster BørglumBørglum im Besitz des Prämonstratenserordens. Man kann davon ausgehen, dass die Klosterbibliothek sowie die vorhandenen Inventarverzeichnisse der Enteignung und Säkularisierung zum Opfer fielen. Die Handschrift Vu 82Cod. Holm. Vu 82 ist als einziges Zeugnis der literarischen Produktion in Børglum erhalten geblieben.

3.6. Historia de profectione Danorum in Hierosolymam

Doch auch wenn die materielle Überlieferungslage sich auf eine einzige erhaltene Handschrift beschränkt, so existiert neben der Karl Magnus Krønike ein weiteres literarisches Zeugnis der literarischen Produktionstätigkeit in BørglumBørglum: Die Historia de profectione Danorum in Hierosolymam handelt von einem dänisch-norwegischen Kreuzzug nach Jerusalem im Jahre 1191, aufgezeichnet einige Jahre später, offensichtlich noch vor 1202.Børglum1 Die Handschrift norwegischer Provenienz ist nicht erhalten, es existiert jedoch eine Abschrift des Altphilologen Johann Kirchmann aus dem Jahre 1625, als er diese in einer Lübecker Bibliothek entdeckt hatte.2 Über die genaue Herkunft der verlorenen Handschrift können keine Angaben gemacht werden. Inhaltlich bestand sie aus vier Teilen:

1 Josephus: De bello Judaico

2 Theodoricus Monachus: Commentarius de vetustis regibus norwagicis

3 Abt Wilhelm von Aebelholt: Vita B. Genofevæ virg.

4 Historia de profectione Danorum in Terram Sanctam.

Ein Frater X., canonicus hat die Handschrift einem hochgestellten Geistlichen Dominus K. gewidmet. Die Verbindung von frater mit canonicus kann nur auf einen regulierten Chorherrn zutreffen, also auf einen PrämonstratenserPrämonstratenser oder Augustinerchorherrn. Dem Werk geht ein Widmungsbrief voraus mit der Überschrift: Reverendo et diligendo Domino K., Frater X. canonicus debitam in omnibus obedientiam. Die Auswertung des Widmungsbriefes führte zur Annahme, der Bericht sei eine Auftragsarbeit von Dominus K. an Frater X. Beim Adressaten Dominus K. handelt es sich vermutlich um einen Ordensobern, am ehesten noch den Dompropst von BørglumBørglum.3 Da der Text norröne Schreibformen sowie Sprichwörter enthält, besteht Grund zur Annahme, der Schreiber des Berichts sei ein norwegischer Ordensbruder gewesen, der sich aufgrund der Beziehungen zwischen dem Mutterkloster Børglum und dessen Tochterkloster Tønsberg gerade in Børglum aufgehalten habe.4

Inhaltlich handelt sich hierbei um den Bericht eines missglückten dänisch-norwegischen Kreuzzuges ins Heilige Land im Jahre 1191. Dabei sind die detaillierten Beschreibungen der Vorbereitung und der Durchführung der ProfectioDe profectione danorum in Hierosalymam eher apologetischen als narrativen Charakters, obwohl die Intention die Bewahrung der Erinnerung dieses Kreuzzuges für die Nachwelt explizit erwähnt wird. Vier Jahre nach dem Fall Jerusalems im Jahre 1187 wird eine gemeinsame dänisch-norwegische Expedition mit vier Schiffen entsandt. Doch sowohl die ungünstigen Wetterbedingungen als auch der späte Zeitpunkt der Abreise verhindern eine erfolgreiche Durchführung des Vorhabens. Noch ehe die Skandinavier das Heilige Land erreichen, wird ein dauerhafter Waffenstillstand zwischen Richard Löwenherz und Saladin vereinbart, so dass die Mission, nämlich die Befreiung Jerusalems, als vollends gescheitert betrachtet werden kann. Der anonyme Chronist hatte angesichts dessen, „dass Angehörige der vornehmsten Familien des Landes weder in Bezug auf das eigentliche Ziel irgendetwas erreicht noch mit navigatorischen Glanzleistungen aufgewartet hatten“,5 die undankbare Aufgabe, den betriebenen finanziellen und personellen Aufwand in narrativer Form zu legitimieren.

Die drängende Pflicht zum Kreuzzug wird dabei rhetorisch durch die religiöse Begründung wie durch die Erinnerung an die heidnischen Vorfahren, welche für den Ruhm mannigfaltige Gefahren auf sich nahmen, ausformuliert. Durch diesen Vergleich werden heidnische Seeräuber nicht nur zum moralischen Vorbild für die Kreuzzugsfahrer, sondern dienen zur Abgrenzung der Kreuzfahrertruppe als spezifisch ‚dänisch‘ im Kontext anderer ethnischer Gruppen.Roland6 Dass die Teilnehmer der ProfectioDe profectione danorum in Hierosalymam darüber hinaus als eine von Gott auserwählte Gruppe dargestellt werden, ist dabei charakteristisch für die Kreuzzugsliteratur.7

Daneben folgt die Chronik auch in weiteren Zügen dem Kreuzzugsdiskurs, der neben päpstlichem Aufruf mühsame Vorbereitungsschilderungen sowie religiös geprägte Darstellungen der Ereignisse während der Reise enthält. Hier, so Scheel, weist die ProfectioDe profectione danorum in Hierosalymam Parallelen zu den gleichzeitig entstandenen Chroniken über Friedrich Barbarossas Kreuzzug auf, der Historia de expeditione Friderici imperatoris und der Historia peregrinorum, so dass man von einem gemeinsamen kulturellen Hintergrund der Autoren ausgehen kann.8

Diese Kreuzzugschronik bleibt der einzige erhaltene Beitrag der skandinavischen PrämonstratenserPrämonstratenser zur mittelalterlichen Geschichtsschreibung. Es ist anzunehmen, dass im Gegensatz zu anderen Orden, beispielsweise den Dominikanern, die Prämonstratenser kein bildungsorientiertes Programm verfolgten. In seiner Studie zum intellektuellen Profil des Ordens kommt Wolfgang Grassl zur Konklusion: „Premonstratensians overall did not consider themselves as a ‚learned order‘“.9 Sicherlich haben die Ordensbrüder durch die klösterlichen Netzwerke, die einen Austausch zwischen den Mutter- und Tochterstiften ermöglichten, Studienaufenthalte an der Universität in Paris und anderen Städten absolviert und auf diese Weise durchaus kulturelle Impulse erhalten, diese manifestierten sich jedoch nicht in einer spezifischen Textproduktion.

Die Überlieferungslage speziell im Kloster BørglumBørglum lässt keinerlei Rückschlüsse auf lokale Textproduktionsumstände und Interessen dahinter zu, wie es beispielsweise für die Sammlung der erhaltenen Texte aus dem Kloster VadstenaVadstena möglich ist. Umso bedeutender erscheinen in diesem Kontext die beiden mit Børglum verknüpften Texte De profectione danorum in HierosalymamDe profectione danorum in Hierosalymam sowie die Karl Magnus Krønike, die unter anderem auch die Kreuzzugsthematik sowie die Reise Karls des Großen nach Jerusalem behandeln. Die Profectio legitimiert dabei das „imperiale Ausgreifen jenseits der Ostsee“10 im Zuge der von der Forschung als Kreuzzüge aufgefassten Wendenzüge und anderer kriegerischer Auseinandersetzungen Dänemarks11 ab der Mitte des 12. Jahrhunderts bis hin zum postreformatorischen Zeitalter. Ob die Kreuzzugsthematik dabei die literarische Produktion in Børglum bis ins Jahr 1480 bestimmt hat, kann aufgrund der Überlieferungslage nicht mehr beantwortet werden. Ebenfalls offen bleibt die Frage nach den Transmissionswegen der Karl-Materie vom norwegischen Hof bis nach Jütland. Doch wenn Hákon Hákonarson um 1230 das Kloster Marieskog in Dragsmark gestiftet hat, welches wiederum das Tochterkloster von Børglum war, ist der Weg der am norwegischen Hof entstandenen Karlamagnús sagaKarlamagnús saga ok kappa hans bis nach Børglum über Marieskog nicht ausgeschlossen. In diesem Fall wäre der Kulturtransfer der matière de France sowohl über das royale Bildungsprogramm Hákons auch über den Prämonstratenserorden realisiert worden.

4. Kontextstudien – Kontextualisierungen im Codex

Die Tatsache, dass die altostnordischen Zeugnisse der Karlsdichtung ausschließlich in SammelhandschriftenSammelhandschrift erhalten sind, ist in vielerlei Hinsicht beachtenswert. Es lohnt sich daher nicht nur der philologische Blick auf die einzelnen Texte, sondern auch auf deren Kontextualisierungen innerhalb einer Sammelhandschrift. Einzelne Texte wurden im Mittelalter stets kopiert, umgeschrieben und verändert; auf diese Weise wurden sie in verschiedenen Sammelhandschriften wechselnden gattungsbezogenen und sprachlichen Kontexten zugeordnet. Keith Busby bezeichnet diese Eigenart der mittelalterlichen Kompilationen als „dynamic of the codex“.1 Nimmt man an, dass die Schreiber/ Kompilatoren der Handschriften mit Bedacht die in Frage kommenden Texte auswählten und diese in eine bestimmte Reihenfolge setzten, erfuhren letztere durch den variierenden Bezugsrahmen stets neue Kontextualisierungen. Dies bietet gleichfalls die Möglichkeit zu weiterreichenenden Neuinterpretationen. Eine intrinsische Logik der mittelalterlichen Sammelhandschriften offenbart sich nicht unmittelbar. Die Codices sind durch eine Genre- und Sprachendiversität geprägt: Häufig finden sich volkssprachige neben lateinischen Texten, oder – wie im Falle der Børglumer Handschrift – Texte auf Dänisch und Niederdeutsch. Eine sorgfältige Analyse der Texte und deren Interaktionen untereinander kann jedoch behilflich sein, das dynamische Potenzial dieser Sammelhandschriften zu erfassen. Im Folgenden wird dieser Dynamik Rechnung getragen, indem Karl Magnus in Verbindung mit anderen Texten der jeweiligen Handschrift gesetzt wird. Angesichts der Heterogenität der Handschriften sind solch intertextuelle Verbindungen selten offensichtlich. In diesem Fall wird versucht, durch die Verortung der Texte in ihrer kontinentaleuropäischen, lateinischen oder volkssprachigen Tradition eine gemeinsame Linie in der Transmission, Rezeption oder Re-Intrepretation zu entziffern. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass nicht alle Texte sich durch narrative oder rezeptionsästhetische Aspekte mit einem roten Faden zu Karl Magnus zurückverfolgen lassen. Es wird gewiss pragmatische und praktische Gründe bei der Zusammenstellung einzelner Handschriften gegeben haben, oder aber persönliche Interessen der Auftraggeber, die sich aus der heutigen Sicht nicht mehr gänzlich nachverfolgen lassen.

Die vier schwedischen Handschriften, welche die Texte um Karl den Großen enthalten, nämlich Cod. Holm. D4Cod. Holm. D4, Cod. Holm. D4aCod. Holm. D4a, Cod. Holm. D3Cod. Holm. D3 und AM 191 fol.AM 191 fol., können der Kategorie der Laienhandschriften, lekmannahandskrifter, zugeordnet werden. Sie enthalten neben historischen, politischen, religiösen und unterhaltenden Werken auch Fachtexte.2 Im Gegensatz zu Klosterhandschriften beinhalten diese in der Regel öfter Verstexte; eine Tatsache, welche die Forschung zur Annahme verleitet, diese seien mündlich gedichtet und erst später niedergeschrieben worden.3 Sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich des Layouts sind die profanen Handschriften aus dem laikalen Umfeld homogener gestaltet: Größtenteils sind sie in der Kursivschrift mit einigen Rubriken in Blau und Rot verfasst, Illuminationen fehlen weitestgehend. Hier, so Jonas Carlquist, komme es mehr auf den Inhalt als auf die Gestaltung an.4