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Karl der Große im Norden

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3.2. Karl Magnus und Schweden im 15. Jahrhundert

Die altwestnordische Karlamagnús sagaKarlamagnús saga ok kappa hans gilt als die Hauptvorlage bei der altschwedischen Bearbeitung des Stoffes um Karl den Großen. Ob sie auch die einzige war, kann nicht mehr zweifelsfrei beurteilt werden: Von den insgesamt zehn Episoden (þættir) der Saga sind in der altschwedischen Version gerade einmal zwei erhalten. Die in der Forschung geäußerte Hypothese, dass es eine umfangreichere, vollständige schwedische Version gegeben haben muss, lässt sich nicht weiter verifizieren. Die Inklusion des Textes Karl Magnus in die vier der wichtigsten schwedischen SammelhandschriftenSammelhandschrift des 15. Jahrhunderts zeugt jedoch vom Interesse und der Aktualität der Karlsdichtung für den schwedischen Literaturbetrieb dieser Zeit. Anhand eines historischen Abrisses wird im Folgenden der historisch-politische Kontext, in dem die Sammelhandschriften angefertigt wurden, beleuchtet werden, um so das politische, geistige und ästhetische Umfeld der schwedischen Übersetzer/ Redaktor und Kompilatoren der Handschriften zu konturieren.

Die Entstehungszeit der vier schwedischen SammelhandschriftenSammelhandschrift, Cod. Holm. D4Cod. Holm. D4, Cod. Holm. D4aCod. Holm. D4a, Cod. Holm. D3Cod. Holm. D3, AM 191 fol.AM 191 fol., fällt in die Periode der Kalmarer UnionKalmarer Union (1397–1523), obwohl man davon ausgehen kann, dass die Texte, die in den Handschriften überliefert sind, teilweise schon früher übersetzt wurden. Die Tatsache, dass diese Texte auch 100–150 Jahre nach ihrer Übersetzung – das gilt vor allem für die EufemiavisorEufemiavisor, deren Übersetzung ins Schwedische Anfang des 14. Jahrhunderts in Auftrag gegeben wurde – in den Handschriften enthalten sind, zeugt von ihren ästhetischen Qualitäten wie von einer Aktualität, welche vor dem Hintergrund der politischen und soziokulturellen Entwicklungen in Schweden zu Zeiten der Kalmarer Union verstanden werden kann. Auch die Wahl der Texte, ihre Platzierung innerhalb der Handschriften und die gemeinsame Tradierung können im Hinblick auf das Rezeptionsmilieu als intendiert betrachtet werden. In diesem Zusammenhang wird der Frage nachgegangen, inwiefern Sammelhandschriften als Zeugnis „for cultural exchange and identity formation by concentrating on the contextualisation and re-contextualisation“1 betrachtet werden können.

Die Zeit der Kalmarer UnionKalmarer Union wurde in der norwegischen, schwedischen und dänischen Forschung unter verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und kontrovers diskutiert. Im Folgenden werden die relevanten historischen Persönlichkeiten und Begebenheiten dieser Zeit präsentiert, die zur Einordnung und Interpretation der Texte der vier SammelhandschriftenSammelhandschrift beitragen können.

Als Wegbereiterin der Kalmarer UnionKalmarer Union gilt Margarete I., die als Tochter des dänischen Königs Waldemar Atterdag und Ehefrau des norwegischen Königs Hákon VI. Magnússon ohnehin die innernordischen dynastischen Verbindungen verkörperte. Nach dem Tod ihres Vaters 1375 wurden Margaretes „unionistische Bestrebungen“Kalmarer Union2 deutlich, als sie sich auch als schwedische Königin titulierte. Nach dem Tod ihres Mannes im Jahre 1380 wurde ihr Sohn Olaf als letzter männlicher Vertreter der Dynastie der folkungar König von Norwegen, starb aber sieben Jahre später. Daraufhin gelang es Margarete, sich durch die Adoption ihres Großneffen Bogislaw von Pommern-Stolp, der später den nordischen Königsnamen Erich bzw. Erik annahm, gegen die zurecht bestehenden Ansprüche der Mecklenburger auf die schwedische Krone durchzusetzen.3 Die politisch-dynastische Stabilisierung durch Margarete ermöglichte auch den Sturz des schwedischen Königs Albrecht III. von Mecklenburg (Regierungszeit 1368–1383), der in Schweden ohnehin keine starke Stellung hatte.Kalmarer Union4 Albrechts schwache Position resultierte aus seinen Bestrebungen, sich eine zuverlässige Anhängerschaft aus den heimischen Adligen zu schaffen, mit deren Hilfe er sich in Schweden behaupten wollte. Für diese adligen Einwanderer standen finanzielle Vorteile ebenso wie herausragende politische Stellungen in Aussicht, was für Unmut seitens der schwedischen Aristokraten als auch Bauern sorgte, die über hohe Abgaben klagten.

In dieser politisch angespannten Atmosphäre gegenüber dem deutschstämmigen König war es, als der siebzehnjährige König Olaf von Norwegen und Dänemark, Sohn von Margarete und Hákon Magnusson 1387 starb, für Albrecht nahezu unmöglich, seine faktisch bestehenden Ansprüche auf die beiden Reiche durchzusetzen; denn Margarete ließ sich in die verfassungsrechtlich nicht vorgesehene Stellung eines weiblichen Königs erheben.5 Bald darauf verhandelte sie schon mit den Vertretern der schwedischen Aristokratie darüber, auch zur Königin des schwedischen Reiches zu werden. Durch eine gemeinnordische Regentin versprach sich der schwedische Adel eine stärkere Position und die Rückgewinnung des schwedischen Besitzes, welche durch die Regentschaft Albrechts III. und seine Bevorzugung der heimischen Adligen verloren gegangen waren. Im Februar 1389 erlitt Albrecht III. mit seinem Heer die entscheidende Niederlage bei Falköping, woraufhin er und sein Sohn Erich gefangen genommen wurden und sich bis 1395 in Margaretes Gewahrsam befanden.6 Auch nach seiner Freilassung und Rückkehr nach Mecklenburg wollte Albrecht seine Ansprüche auf den schwedischen Thron nicht aufgeben, und erst im November 1405 schloss er Frieden mit Margarete und Erik. Diese Ansprüche, so Detlef Kattinger, veranlassten Margarete dazu, eine Union zwischen Dänemark, Schweden und Norwegen zu initiieren, um so die dynastisch legitimierten Forderungen der Mecklenburger zu unterbinden.

Albrechts „labiles Herrschaftsgefüge“,7 das unter anderem auf der Präsenz der mecklenburgischen Aristokraten, Ritter und Knappen beruhte, wurde auf literarischem Wege aufgearbeitet: Das allegorische Gedicht Dikten om Kung AlbrektDikten om Kung Albrekt, das in der Handschrift Cod. Holm. D4Cod. Holm. D4 enthalten ist, wird in der Forschung als propagandistisch bewertet. Als Entstehungsmilieu wird hier das aristokratische Umfeld um den Reichsdrosten Bo Jonsson Grip angenommen, der „das Fatum König Albrechts in Schweden nicht nur als Ratgeber“8 bestimmte, sondern auch bei den politischen Regierungsaktivitäten Albrechts mitbestimmt zu haben scheint. Die Beteiligung von Bo Jonsson Grip, der gleichzeitig der Auftraggeber von Konung AlexanderKonung Alexander, einem weiteren Text der Handschrift Cod. Holm. D4 war, am politischen Geschehen um König Albrecht offenbart die Verflechtungen zwischen Politik und Literaturproduktion in Schweden während der Kalmarer UnionKalmarer Union.

1396 wurde Erik, Margaretes Adoptivsohn, der zuvor schon zum norwegischen Erbkönig erhoben und zum dänischen König gewählt worden war, auch zum schwedischen König ernannt. „Symbolträchtig“9 fand die Krönung Eriks für alle drei Reiche am Dreifaltigkeitstag, dem 17. Juni 1397, in Kalmar in Anwesenheit der Adelsvertreter aller drei Reiche statt.10 Zwei Dokumente aus dieser Zeit bezeugen die verfassungsrechtlichen Aspekte der Union: Der Krönungsbrief und der Unionsbrief vom 13., möglicherweise 20. Juli 1397.11 Die Alleinherrschaft Eriks von PommernErik von Pommern begann jedoch erst 1412, nach dem Tod Margaretes. Wie Jens E. Olesen anmerkt, galt Erik von Pommern in der älteren, national orientierten Geschichtsschreibung Schwedens als ein deutscher König, der weder dänische noch norwegische und schon gar nicht schwedische Interessen wahrgenommen habe.12 Dabei war seine Außenpolitik, wie auch schon Margaretes, antihansisch ausgerichtet, was vor allem zur Verbesserung der Außenhandelsposition der Städte und zum Schutz der einheimischen Kaufleute beitragen sollte.13 Weiterhin war Erik außenpolitisch an den gestärkten Verbindungen mit Polen und den pommerschen und baltischen Gebieten interessiert und plante außerdem, die ehemals dänische Herrschaft über Estland zurückzuerlangen – dies war seine Vision eines dominium maris Baltici.Erik von Pommern14 Durch die Heirat Eriks mit Philippa von England im Jahre 1406 waren die vereinten nordischen Staaten gleichzeitig auch westeuropäisch ausgerichtet, was durch die Privilegien, die Erik den englischen Kaufleuten im Ostseeraum gewährte, nur verstärkt wurde.

Zwischen 1416 und 1432 prägte die zunächst juristische, später militärische Auseinandersetzung um Schleswig Eriks Handels- und Außenpolitik, in die alle drei Unionsreiche involviert waren. Bis zum Beginn der 1430er Jahre gab es vorerst keinen Widerstand gegen die Politik Eriks von PommernErik von Pommern: Als gelungen bezeichnet Olesen die Bestrebungen des Königs, die dänischen Reichsräte, die aus erfahrenen, ausgebildeten, gut situierten und dank des Besitzes von Schloßlehen ebenso militärisch bedeutsamen Personen bestanden, auf seine Seite zu ziehen und den Adel an seine Politik zu binden.15 In Schweden hingegen gab es schon zu Margaretes Zeiten Kritik seitens der Kirche an der königlichen Politik. In den Zeiten des Krieges um Holstein mussten auch die Kirchen für die Kriegssteuern aufkommen. Die Lehnspolitik Eriks war ein weiterer Grund für die Unzufriedenheit unter der schwedischen Aristokratie, denn die Rechenschaftslehen waren vor allem an Deutsche und Dänen vergeben worden.16

Neben der Kirche und Aristokratie wuchs die Ablehnung auch unter den Bauern gegen den Steuerdruck des Königs. 1434 mündete dieser Unmut im sogenannten Engelbrekt Engelbrektssons Aufstand, der sich vom Bergbaugebiet Dalarna auf große Teile Schwedens ausdehnte. Die wirtschaftliche Notlage der Bergbauern, die unter den ökonomischen und handelspolitischen Konflikten während der Regierungszeit Eriks litten, zählt zu einem der wichtigsten Faktoren des Aufstandes.Kalmarer Union17 Dem ‚gemeinen Mann‘ vom Lande (almoghe) schloss sich im August 1434 auch die Reichsaristokratie an. Zernack bezeichnet dies als „Konföderation der Stände“18 gegen die Krone im Namen ständischer Freiheit. Der landesweite Aufstand richtete sich vor allem gegen Eriks „absolutistische Politik, nicht gegen die Union als solche“.19 Die folgenden stattfindenden Verhandlungen mit dem schwedischen Reichsrat beim Unionstreffen in Kalmar im Sommer 1436 bestärkten die ratskonstitutionelle Programmatik gegenüber der autokratischen Unionsmonarchie. In Dänemark gestaltete sich die Situation ebenfalls kompliziert, es folgten Konflikte mit den dänischen Reichsräten 1436 und 1438. Schließlich wurde 1439 sowohl vom dänischen Reichsrat als auch von der schwedischen Adelsversammlung jeweils ein Absagebrief an Erik von PommernErik von Pommern ausgestellt.20 1440 folgte der norwegische Reichsrat den beiden anderen Reichen. Eriks Absetzung in allen drei Reichen kann als das Ende der unionistischen Politik eines regimen regale betrachtet werden: Eine zentralisierende Integrationspolitik des Unionkönigtums war nun kaum mehr möglich und zu einer 1439 in Jönköping vereinbarten gemeinsamen Königswahl kam es nie.21

 

Der Unmut über Eriks Außenpolitik, der zum Aufstand von Engelbrekt Engelbrektsson führte, wurde auch in literarischer Form deutlich: In der 1439 verfassten Engelbrektskrönikan, die den ersten Teil der KarlskrönikanKarlskrönikan bildet, deren Abschrift im Cod. Holm. B42 enthalten ist, wird das Bild eines rex iniustus als Gegenmodel zu Eriks Herrschaft entworfen. In diesem kunstvoll aufgebauten Gedicht wird eindrucksvoll das Elend schwedischer Bevölkerung unter der Regierung Eriks geschildert, bis der Held Engelbrekt mit seinen militärischen Aktionen für den Umsturz sorgt.

Nach der Absetzung Eriks von PommernErik von Pommern wurde sein Neffe Christoph im April 1440 zum dänischen König gewählt. Die Entscheidung wurde von der schwierigen Situation im Lande begleitet: Die dänischen Bauern befanden sich im Winter 1439/1440 erneut im Aufstand und der abgesetzte König Erik von Pommern plante mit holländischen Verbündeten einen militärischen Schlag gegen Christoph.22 Die Schweden verfügten indessen mit dem Reichsverweser Karl KnutssonKarl Knutsson (Bonde), der seit dem Aufstand von Engelbrekt politisch und militärisch in Erscheinung getreten war, selbst über einen geeigneten Thronkandidaten, waren jedoch an der Aufrechterhaltung der Union interessiert, die zudem vor den Übergriffen von Eriks Armee auf die dänische und schwedische Küste gesichert werden musste. Am 13. September 1441 wurde Christoph zum schwedischen König gewählt und am nächsten Tag im Dom von Uppsala gekrönt, nachdem er zuvor eine Handfeste ausgestellt hatte. Diese umfasste 14 Punkte und schränkte insgesamt die königliche Macht schwerwiegend ein, die dominante Stellung des Reichsrates wurde indessen hervorgehoben.23 1442 wurde er zum König in Norwegen, das im Gegensatz zu den beiden anderen Reichen immer noch eine Erbmonarchie darstellte. Hier wurde Christoph von Bayern als Nachkomme Eriks von Pommern zu seinem Nachfolger erklärt. Am ersten Januar 1443 wurde er schließlich auch in Dänemark, im Dom von Ribe, zum dänischen König gekrönt.24 Seine Regierungsperiode währte jedoch nicht lange: 1448 verstarb er kinderlos. Seine Herrschaft wurde außenpolitisch vom Konflikt mit dem abgesetzten König Erik von Pommern geprägt. Innenpolitisch musste er die Bauernaufstände in Dänemark, vor allem in Jütland bekämpfen. In Schweden war die Entmachtung seines Gegenspielers Karl Knutsson das primäre Ziel von Christophs Politik. Er nutzte die Konflikte unter dem einheimischen Adel, um seine Machtposition zu stärken. Nach Auge sind jedoch auch in seiner Innenpolitik integrative Ansätze erkennbar: Trotz der recht kurzen Regierungszeit bemühte sich Christoph um einen allgemeinen Landfrieden in Schweden und Dänemark.25

Die Beurteilung Christophs durch die zeitgenössische Geschichtsschreibung fällt eher negativ aus: Die Reimchronik KarlskrönikanKarlskrönikan, die generell als „propagandaverk“26 (Propagandawerk) oder gar als „det stora propagandistiska mästerverket“,Karl Knutsson27 das große propagandistische Meisterwerk, gilt, das Karl KnutssonKarl Knutsson zur Legitimierung seiner Position durch seine Anbindung an die historischen Ereignisse um den Aufstand von Engelbrekt in Auftrag gegeben hatte,Karlskrönikan28 entwirft ein negatives Bild der kurzen Regierungszeit Christophs.29

Durch den frühen Tod Christophs sowie die fehlende testamentarische Regelung bezüglich der Thronfolge kam es nun im Norden zu einer doppelten Wahl: In Dänemark wurde Christian I. von Oldenburg vom dänischen Adel zum König gewählt, in Schweden erlangte der ehemalige Reichsverweser Karl KnutssonKarl Knutsson Bonde die Königswürde.30 Die Wahl Karls Knutsson, die eine eindeutige Verletzung der vereinbarten Unionsverträge darstellt, ist ein deutliches Indiz dafür, dass die nationalen Tendenzen in Schweden nun dominanter geworden sind.31 Die Bestrebungen der beiden Könige galten fortan der Sicherung der Insel Gotland sowie des noch freien norwegischen Throns. Die darauffolgenden Verhandlungen in Halmstad im Mai 1450 legten eine unionistische Thronfolgeregelung unter Einbezug der Söhne der beiden Könige fest, was durch den dänisch-norwegischen Unionsvertrag von Bergen 1450 wieder revidiert wurde, indem die dänisch-norwegische Thronfolge nur den Söhnen Christians vorbehalten blieb.32

Die Regierungszeit Karl KnutssonKarl Knutsson Bonde war außenpolitisch von der Konfrontation Schwedens mit Dänemark, innenpolitisch durch die Konflikte des Adelskönigs in Fragen des kirchlichen Eigentums, Lehenvergabe und „Steuerplünderung des gemeinen Mannes“33 geprägt. 1457 wurde unter der Führung des Erzbischofs Jöns Bengtsson (Oxenstierna) mit der Unterstützung seiner Verwandten Oxenstierna/ Vasa ein landesinterner Aufruhr gegen Karl Knutsson initiiert. Der Opposition der schwedischen Aristokratie schloss sich auch das Volk vom Lande an: Karl Knutsson wurde daraufhin abgesetzt und durch Christian I. abgelöst, der im Zeitraum 1457–1464 nun zum alleinigen Unionskönig wurde. Bis zu seinem Tod 1470 wurde Karl Knutsson noch zweimal 1464/65 sowie 1467 zum König berufen, hatte politisch jedoch kaum noch Einfluss. Nach seinem Tod wurde der Schritt zu einem erneuten Adelskönigtum nicht wieder gewagt.

Nach dem Tod Karls Knutsson konnte sein Neffe Sten Sture der Ältere das Amt des schwedischen Reichsverwesers übernehmen und nach dem Sieg über Christian I. bei Brunkenberg bis 1497 seine Macht in Schweden ausüben, bevor er von Christians Sohn Hans verdrängt wurde. 1501 konnte Sten Sture nach einem erfolgreichen Aufstand seine Stellung zurückerlangen. Seine Regierungszeit wurde von der betont schwedischen Reichspolitik gekennzeichnet, die unter anderem in der Gründung der Universität Uppsala im Jahre 1477 ihren Ausdruck fand.34 Das Ende der Kalmarer UnionKalmarer Union wurde mit dem sogenannten Stockholmer Blutbad besonders gewaltsam herbeigeführt, als der letzte Unionskönig Christian II. seine Unionsbestrebungen durch die Beseitigung der schwedischen Opposition im Anschluss an die Krönungsfeierlichkeit am 8. November 1520 durchsetzen wollte. Damit verlor er nicht nur den schwedischen, sondern 1523 auch den dänischen und norwegischen Thron und die Kalmarer Union wurde damit Geschichte.35

Diese knappe Darstellung der Ereignisse des 15. Jahrhunderts in Schweden soll als historische Orientierungsgrundlage für die folgenden Kapitel bei der Interpretation der Texte in den für diese Arbeit relevanten schwedischen SammelhandschriftenSammelhandschrift dienen. Wirft man einen Blick auf deren Datierungen, so lässt sich festhalten, dass die älteste der vier schwedischen Handschriften, Cod. Holm. D4Cod. Holm. D4 auf die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts, vermutlich um 1420 datiert werden kann, Cod. Holm. D4aCod. Holm. D4a ist zwischen 1449 und 1463, Cod. Holm. D3Cod. Holm. D3 um 1488 und AM 191 fol.AM 191 fol. um 1492 entstanden, während die dänische Handschrift Vu 82Cod. Holm. Vu 82 auf 1480 datiert wird.36 Alle Handschriften wurden zur Zeit der Kalmarer UnionKalmarer Union in Auftrag gegeben und verfasst, obgleich sie Texte enthalten, die schon deutlich früher ihren Weg in den Norden gefunden haben oder sonst nicht überliefert sind. Wie bereits erwähnt, bediente sich Karl KnutssonKarl Knutsson Bonde der literarischen Gattung der Historiographie, um sein betont nationales konstitutionales Königtum zu legitimieren, weshalb er die Reimchronik KarlskrönikanKarlskrönikan in Auftrag gab. Die Historiographie war nach Zernack sein wichtigstes Herrschaftsmittel: „Die Schwachheit seiner Stellung zwang ihn, literarisch, historisch und propagandistisch sein schwankendes Königtum“37 zu begründen – damit erhielt die Historiographie Schwedens einen großen Auftrieb.38 An dieser Stelle ist die Interdependenz der literarischen und politischen Faktoren im Schweden des 15. Jahrhunderts offensichtlich. Auch Ingvar Andersson schreibt 1928: „Karl Knutsson hade skarp blick för den litterära verksamheten som faktor i det politiska spelet“.39 Die volkssprachigen Reimchroniken, unter anderem die von ihm in Auftrag gegebene Reimchronik Karlskrönikan, erhielten eine dominante Stellung, als die Historiographie im 15. Jahrhundert in Schweden als Waffe im politischen Machtkampf eingesetzt wurde.40 Im Hinblick auf die anderen Chroniken dieser Zeit, die Prosaiska KrönikanProsaiska Krönikan sowie Den lilla RimkrönikanDen lilla rimkrönikan, welche in den Handschriften Cod. Holm. D3 und Cod Holm. D4 enthalten sind, merkt Bengt R. Jonsson an: „Men givetvis kan också politiska synpunkter ha bestämt själva urvalet av texter“.41

Die historiographische Literatur besitzt das Potenzial, mentalitätsbildend zu wirken, sie „bemüht sich um den Sinn, und Sinn ist, was Kulturen konstruiert, nicht was der Geschichte immanent ist“.42 Die Geschichtsschreibung konnte, politisch oder heilsgeschichtlich konzentriert, Vergangenheit an die Gegenwart anknüpfen und als Propaganda-Werkzeug dienen.43 Sicherlich war es nicht nur der historiographischen Literatur vorbehalten, als Werkzeug didaktischer, ideeller und politischer Ideen und Orientierungsnormen zu fungieren. Die für die vorliegende Untersuchung relevanten Gattungen – chansons de gestechansons de geste, riddarasasögur, höfischer Roman – beinhalten neben der unterhaltenden Funktion auch die belehrende, vermittelnde Komponente. Wenn Karl KnutssonKarl Knutsson also einen scharfen Blick für die literarische Aktivität als Faktor im politischen Spiel hatte, kann man davon ausgehen, dass der schwedische Hochadel aus dem Umfeld Karls, dessen Angehörige als Auftraggeber dreier von insgesamt vier schwedischen Handschriften fungierten, an zeitgenössischen politischen oder gesellschaftlichen Ereignissen auf der Ebene der Literaturproduktion teilnahm. Es ist daher sinnvoll, einen genauen Blick auf die Auftraggeber und die Besitzer der Handschriften zu werfen, um sie dann in den historischen Hintergrund der turbulenten Ereignisse des 15. Jahrhunderts einzuordnen.