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Karl der Große im Norden

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Wdgers Verhalten als christlicher Kämpfer und treuer Vasall wird immer wieder durch ungünstige Situationen – Verrat oder Verleumdung – herausgefordert, doch stets handelt er tadellos, tapfer und überlegt. Seine heroische Singularität wird ihm formelhaft von mehreren Figuren attestiert: von Karl dem Großen persönlich, vom Gefolge des heidnischen Königs, von der Königstochter Gloriant und schließlich von BurnamanthBurnamanth selbst, dem monströsen heidnischen König.

Die dänische Überlieferung basiert dabei, wie schon anfangs erwähnt, auf der literarischen Tradition des idealtypischen Helden Ogier/ WdgerHolger Danske. Die zweite Traditionslinie in der altfranzösischen Ogier-Epik, in der sich der Däne als Empörer in einer konfliktträchtigen Situation mit Karl dem Großen befindet, war dem dänischen Bearbeiter entweder nicht bekannt – oder aber sie entsprach nicht dem Übersetzungsprogramm der altfranzösischen chansons de gestechansons de geste in Dänemark des 15. Jahrhunderts. Kulturtransferprozesse, als welche auch literarische Übertragungen klassifiziert werden, setzen bereits bei der Selektion des zu übertragenden Kulturguts, in diesem Falle eines fiktiven Helden, an. Die Entscheidung zwischen zwei Traditionslinien zugunsten der positiven Darstellung von Ogier kann somit bewusst getroffen worden sein, was zu einer nachfolgenden Genese des Nationalhelden sicher beigetragen hat. Die Bedeutung eines zwar importierten, an sich aber einheimischen Helden aus dem engsten Kreis des fränkischen Kaisers war für das dänische Literatur- und Kultursystem zur Zeit der Verfassung der Handschrift zweifellos schon erkennbar.

7.1.4. Andere Quellen: mediäval und postmediäval

Der Text der Karl Magnus Krønike ist neben der BørglumBørglum-HandschriftCod. Holm. Vu 82 in zwei weiteren gedruckten Versionen aus dem 16. Jahrhunderten erhalten: Das auf 1509 datierte Fragment des niederländischen Buchdruckers Gotfred von Ghemen stellt dabei einen der ältesten dänischen Drucke dar.1 Darauf basiert der Druck von Christiern Pedersen aus dem Jahre 1534, welcher allerdings einige Revisionen vor allem orthographischer und stilistischer Besonderheiten des Fragments von 1509 aufweist.2 Im selben Jahr erschien auch Pedersens OlgerHolger Danske Danskes Krønicke,Holger Danske3 die aufgrund von Pedersens mangelnden Französisch-Kenntnissen auf einer von ihm in Auftrag gegebenen neulateinischen Übersetzung des französischen Ogier le Dannoys basiert.Holger Danske4 Hier wird (H)Olger als Sohn des dänischen Königs Gøttriks (Gotfreds), bekannt aus Saxos Liber IX, identifiziert – eine Tatsache, die dem dänischen Nationalhelden scheinbare historische Verifizierbarkeit verleiht, die jedoch aus keiner historischen Quelle hervorgeht. Die bis ins 19. Jahrhundert populären dänischen Volksbücher gehen dann auf Pedersens Krønicke zurück, die einen historisch vermeintlich verbürgten vorbildlichen christlichen Kämpfer liefert: Zwischen 1572 und 1847 ist Pedersens Buch in 17 Auflagen gedruckt worden.5

Neben den zahlreichen Volksbüchern, die auf Pedersens Übersetzung von Ogier le Dannoys basieren, gibt es jedoch weitere Rezeptionszeugnisse, denen der Stoff der Karl Magnus Krønike zugrunde liegt. Hier handelt es sich vor allem um die dänische Ballade HolgerHolger Danske Danske ok BurmandBurnamanth (DgF 30),Holger DanskeBurnamanthRolandKarlamagnús saga ok kappa hans6 die in vier Varianten aus dem späten 16. und frühen 17. Jahrhundert erhalten ist. Auf eine ältere Version dieser Ballade referiert wohl auch Christiern Pedersen im Vorwort seiner Olger-Chronik, wenn er von „den gamle kempe vise“7 spricht – denn der 25 Jahre zuvor von Gotfred von Ghemen gedruckte Text der Karl Magnus Krønike kann damit wohl kaum gemeint sein.8 Die dänischen Balladen behandeln ausschließlich den Kampf zwischen Holger und Burmand, der um die Königstochter Gloriant ausgefochten wird. Auffällig ist die Transformation des Feindbildes: Während die französischen Quellen Burnamanth als einen mächtigen ägyptischen König präsentieren, ist es vor allem die konsistente Charakterisierung Burmands als Menschenfleisch fressendes Monster, die die dänischen Balladen kennzeichnet:

Hand well icke andit edde,

ind kiød aff chrestenn mand:

och hand well icke anditt dricke,

ind blod med ieder blend.9

Wie schon in der Karl Magnus Krønike überliefern die Balladen die Übergabe des (hier namenlosen) Schwertes an HolgerHolger Danske, allerdings nicht durch Gloriants Verlobten Caruell, der wohlgemerkt in der Balladenüberlieferung bereits als christlicher König fungiert, sondern durch die Dame persönlich. Offensichtlich findet hier eine Verschiebung des Christentum-Heidentum-Diskurses bis hin zur Eliminierung der Allianz zwischen Wdger und seinem heidnischen Verbündeten Caruel statt; der Gegner wird ebenfalls von einem mächtigen König zu einem furchterregenden Monster degradiert.

7.1.5. Holger Danske in Södermanland

Der Kampf zwischen HolgerHolger Danske und Burmand wird jedoch nicht nur von den dänischen Balladen thematisiert, auch in Schweden existieren Zeugen dieses offensichtlich beliebten Motivs. Während die überlieferten schwedischen Balladen aber auf die Zeit um 1630 datiert werden, gibt es ein weiteres Zeugnis für die frühe Holger-Rezeption in Schweden, nämlich die Wandmalereien in der Kirche Floda in Södermanland, die im Zuge der Restauration nach einem verheerenden Feuer im Jahre 1414 ab etwa 1420 entstanden sind. Die Wandmalereien der Floda-Kirche werden dem deutschstämmigen Maler Albertus Pictor zugeschrieben, einem der bekanntesten schwedischen Kirchenmaler des 15. Jahrhunderts.Holger DanskeBurnamanth1 Doch auf welchen Quellen beruhen die Wandmalereien, ist doch die Wdger-Episode in den vier existierenden schwedischen Handschriften nicht enthalten?

Das besagte Motiv, das sich im vierten Joch der Floda-Kirche befindet, wird auf 1485 datiert. Da die schwedische Karlsdichtung des 15. Jahrhunderts keinerlei Episoden mit WdgerHolger Danske als Hauptfigur enthält, kann diese nicht die Quelle der Inspiration für Albertus Pictor gewesen sein, aber auch auf der erst fünf Jahre vor der Malerei angefertigten BørglumBørglum-HandschriftCod. Holm. Vu 82, deren Rezeption in Schweden nicht nachzuweisen ist, können die Wandmalereien nicht beruhen. Für noch unwahrscheinlicher hält es Layher in seiner Analyse zu möglichen Quellen, dass Albertus mit der jüngeren Redaktion der altwestnordischen Karlamagnús sagaKarlamagnús saga ok kappa hans in Kontakt gekommen sein könnte.Holger DanskeKarlamagnús saga ok kappa hansBørglumCod. Holm. Vu 822

Auf der Suche nach der schriftlichen Vorlage, welche die Gestaltung der Floda-Kirche beeinflusst haben kann, betont Layher aber zurecht: „It is incorrect to regard images as subordinate to the written word – as ‚illustrations‘ of a particular text version“.Holger Danske3 Welche zeitgenössischen Quellen Albertus bei der Visualierung des Zweikampfes verwendet haben kann, wird wohl nicht mehr eindeutig nachvollzogen werden. Ob es sich dabei um eine ältere Version der überlieferten Balladen DgF 30 und SMB 216, um eine mündlich tradierte Episode der Karlamagnús sagaKarlamagnús saga ok kappa hans oder ein sonst mündlich überliefertes Motiv des Kampfes handelt, die Deckenmalereien der Floda-Kirche bezeugen die Rezeption des späteren dänischen Nationalhelden in einer sonst in Schweden nirgendwo belegten Ikonographie.

7.1.6. „Paa Dannemarks gamle Dage …“Holger Danske1

Die spätmittelalterlichen Bearbeitungen der kontinentaleuropäischen europäischen Dichtung ebneten den Weg für die Biographie Holgers als dänischer Nationalheld mit identitätsstiftenden Funktionen bis ins 20. Jahrhundert hinein. So existiert eine Reihe an Volksliedern über den Helden in der Sammlung Om HolgerHolger Danske Danske og Stærk Diderik et vidnesbyrd om et frit Danmark (1591) von Anders Sørensen Vedel, in denen die für die ostskandinavische Balladendichtung konstatierbare Kontamination der Dietrich- und Karl-matière2 vollzogen ist. Dass dabei der historisch nicht verifizierbare Holger Danske, der – wenn überhaupt – um 800 gelebt haben muss, um Gefährte Karls gewesen zu sein, auf den historisch durchaus belegten König Dietrich/ Theoderich aus dem 6. Jahrhundert trifft, ist nichts Ungewöhnliches, schließlich ist Assimilation ein gängiges Verfahren in der Heldenepik, um die prominenten Helden verschiedener Epochen in einem geschlossenen Heldenzeitalter aufeinander treffen zu lassen. Vedels Volkslieder um Holger Danske sind als freie Bearbeitungen historischer Stoffe ohnehin eher als politische Allegorie auf das freie Königreich Dänemark einzuordnen.Holger Danske3 Auch Vedel verarbeitet das Motiv des Zweikampfes gegen BurnamanthBurnamanth im Lied Burman oc Olger Danske – hier fungiert Gloriant allerdings als die Braut Karls des Großen selbst. Bereits in den Volksliedern erhält der einstige Ogier eine selbstständige Existenz, die weit über die ihm zu Zeiten des Rolandsliedes zugeschriebene Bedeutung hinausgeht.4

Die Verankerung Holgers im kulturellen Bewusstsein Dänemarks erfolgt über mehrere Stationen: Vom königlichen Historiographen Claus Christoffersen Lyschander in dessen historischen Hauptwerk Danske Kongens Slectebog (1622) über Jens Baggesens und F.L.Æ. Kunzens Oper HolgerHolger Danske Danske (1789),Holger Danske5 N.F.G. Grundtvigs mehrere Schriften, u.a. Ragna-Roke (et danske Æmter) und B.S. Ingemanns Holger Danske. Et digt (1837) und schließlich bis hin zu H.C. Andersens Märchen Holger Danske (1845) bedienten sich dänische Kulturschaffende ihres eingewanderten Helden. Durch literarische und audiovisuelle Vereinnahmungen entwickelt die Figur Holger Danske ihr Potenzial als dänischer Idealheld, als Repräsentant des ‚echtenʻ Dänentums, der noch schlummert, doch jederzeit bereit ist, erweckt zu werden, um Dänemark in der Not beizustehen. Die Wirksamkeit der literarischen Strategien einer Heldengenese zeigt sich noch im 20. Jahrhundert, ziert doch seit 1908 eine Bronzestatue von Holger Danske, errichtet von Hans Peter Pedersen-Dan, nicht nur den Park in Marienlyst, sondern auch deren Replik die Kasematten im Schloss Kronborg in Helsingør, während sich noch im Jahre 1940 eine dänische Widerstandsgruppe gegen die deutsche Besatzung nach dem Helden benennt. Was hat aber dazu beigetragen, dass aus einer „(re-)importierten panokzidentalen Figur“6 ein derart wirkungsmächtiger Heros werden konnte? Hier kann der theoretische Rahmen dieser Arbeit, nämlich die PolysystemtheoriePolysystemtheorie sowie das Konzept des Kulturtransfers fruchtbar genutzt werden, wenn es um dynamische Wechselwirkungen zwischen den stratifikatorischen Systemen geht.

 

Das Konzept der PolysystemtheoriePolysystemtheorie, der offenen und dynamischen Sub- und Polysysteme, die interagieren und sich gegenseitig beeinflussen, veranschaulicht Holgers Evolution als Nationalheld „im Takt mit Dänemarks Verlust an historischer Bedeutsamkeit“.Holger Danske7 Die stratifikatorisch angelegten Systeme Literatur, Sprache, Politik oder Kultur bilden ein Polysystem, etwa Gesellschaft. Literatur selbst stellt ein eigenes Polysystem dar, das aus mehreren anderen Systemen – beispielsweise Gattungen oder übersetzten/ autochthonen Texten besteht, welche durch eine interne Anordnung von Zentren und Peripherien zentripetal bzw. zentrifugal interagieren. Definiert man nun Literatur und Politik als zwei benachbarte Systeme in einem Polysystem, so zeigt das Beispiel HolgerHolger Danske Danske, wie das politische System von den Dynamiken des literarischen Systems profitieren kann, indem politische Ereignisse und Krisen den Bedarf an neuen Identitätsangeboten evozieren, welche durch narrative und sprachliche Mittel realisiert werden. Hieraus erfolgen die Methoden des Rückgriffs auf Traditionen, in denen der angebliche „Volksgeist“ noch am greifbarsten ist, so etwa in Volksliedern, Märchen und Sagen.

An der Transformation Holgers von einer Nebenfigur aus dem französischen heroic ageheroic age in eine nationalmythische Figur ist dieser Prozess an einigen Stationen programmatisch nachvollziehbar. Schon zu Zeiten der Anfertigung der Børglumer Handschrift, vor und um 1480, befand sich Dänemark in einer schwierigen Lage, da diese Phase der Kalmarer UnionKalmarer Union von außen- und innenpolitischen Konflikten geprägt war.8 Im Machtkampf zwischen dem dänischen und schwedischen Adel kam es der dänischen Seite sicher nicht ungelegen, durch die Übersetzung der Karlsdichtung einen dänischen Helden aus dem Kreise Karls des Großen zu erhalten, auch wenn die lakonische, oft formelhafte Sprache der Karl Magnus Krønike noch kein elaboriertes programmatisches Heldenbild vorweisen kann. Die Eigenschaften der Figur WdgerHolger Danske Danske, wie etwa seine Loyalität, Tapferkeit, ebenso wie sein Verantwortungsbewusstsein, sind jedoch bereits in der Krønike angelegt. Sie dienen als literarisches Fundament für eine spätere Entwicklung, die so womöglich nie stattgefunden hätte, wäre die Wahl der skandinavischen, altwest- und altostnordischen, Bearbeiter/ Übersetzer auf den Stoff der anderen Traditionslinie der Ogier-Epik, nämlich die Empörergeste, gefallen.

Die mit dem sog. Stockholmer Blutbad eingeleitete Auflösung der Kalmarer UnionKalmarer Union in den Jahren 1520–1523, die darauffolgende konfliktreiche Phase in der dänischen Geschichte, die schließlich 1534–1536 in der Grevens Fejde9 mündete und die Mitte des 16. Jahrhunderts zentrale, von dänischen und schwedischen Historikern gleichermaßen verhandelte Frage, welches Königreich älter sei,Holger Danske10 decken sich mit der gestiegenen Rezeption der Karl Magnus Krønike durch die Drucke. 1534 erschien in Malmö nicht nur Christiern Pedersens überarbeitete Version des Ghemen-Drucks, sondern ebenfalls seine eigene Übersetzung OlgerHolger Danske Danske Krønike, die, wie bereits erwähnt, den Grundstein für die weitere Rezeption des Stoffes in den dänischen Volksliedern und Balladen legte, aus denen die dänischen Dichter später schöpften. Bei sozialen und politischen Krisen im Dänemark des 16. Jahrhunderts interagieren nun das literarische und das politische System. Fasst man sowohl den Text der Karl Magnus Krønike als auch die von Christiern Pedersen angefertigte Version der Olger Krønike als Übersetzungen auf, so wird man ihnen im literarischen System ihrer Zeit, d.h. des 16. Jahrhunderts, eine zentrale Rolle zuordnen. Die Bewegung der übersetzten Texte von der Peripherie ins Zentrum kann laut Even-Zohar unter bestimmten Umständen eintreten – im Falle der übersetzten Chroniken ist die zentrale Position im literarischen System durch die Krise des benachbarten Systems Politik begünstigt worden.

Neben der fortschreitenden Nationsbildung in Dänemark des 19. Jahrhunderts sind es weitere innen- und außenpolitische Entwicklungen, die Holgers Biographie als identitätsstiftenden Nationalmythos forcieren: Der militärische Angriff der britischen Flotte auf Kopenhagen 1807, der Verlust Norwegens an Schweden 1814 sowie der Zweite Schleswigsche Krieg mit dem Verlust Schleswigs und Holsteins 1864 brachten Dänemark in eine tiefe Krise. Vor dem Hintergrund dieser politischen Ereignisse und des parallel dazu aufkeimenden Diskurses über die nationale dänische Identität ist auch die HolgerHolger Danske-Figur in den Werken von N.S.F. Grundtvig oder B.S. Ingemann einzuordnen. Der Rückgriff auf historische Figuren und die literarische Verarbeitung des historischen Materials ist eine bewährte Methode zur Konstruktion einer nationalen Identität. In Grundtvigs langem Gedicht Et Blad af Jyllands Rimkrønike (1815) wird Holger zu einer „Chiffre für das echte Dänentum“.Holger Danske11 Auch Ingemann bedient sich dieser Methode: In seinen historischen Romanzyklen, Valdemar Seier (1826) oder Prinds Otto af Denmark (1836), erscheinen historische Persönlichkeiten. Mit Holger Danske wird in Holger Danske, Et Digt (1837), einem Zyklus aus 66 Gedichten, das Repertoire zudem um eine mythologische Figur ergänzt.Holger Danske12 Spätestens hier wurde das Bild eines echten dänischen Helden, der schlummernd auf den Auftrag wartet, Dänemark in größter Not beizustehen, im dänischen kulturellen Bewusstsein zementiert. Weiterhin sei darauf hingewiesen, dass H.C. Andersen ebenfalls die Holger-Legende als Rahmen für eine kulturhistorische Einführung in die Geschichte Dänemarks im Märchen Holger Danske (1845)Holger Danske13 nutzte. Die Vergangenheit Dänemarks wird anhand einzelner historischer Figuren wie König Valdemar, aber auch Persönlichkeiten wie Tycho Brahe und Bertel Thorvaldsen präsentiert, Holger Danske hingegen wacht über Dänemark und „kan komme paa mange Maader, saa at der i alle Verdens Lande høres om Danmarks Styrke!“.14 Der nationale Identitätsdiskurs bei Andersen findet im Gegensatz zu Ingemann unter Einbeziehung einer europäischen Perspektive statt, demonstriert anhand der vielen fremden, „baade engelske, russiske og preussiske“15 Schiffe, die friedlich im Øresund vorbeisegeln und das alte Schloss Kronborg grüßen.

Die Genese des Nationalhelden HolgerHolger Danske Danske als Teil eines Identitätsdiskurses in Dänemark des 19. Jahrhunderts kann als Folge jenes Kulturtransfers betrachtet werden, der mit der Tätigkeit mittelalterlicher Übersetzer im Norwegen des 13. Jahrhunderts und Schweden bzw. Dänemark des 15. Jahrhunderts begann.

7.2. Karl der Große – rex iustus oder heiliger Sündiger?

rex iustusDas narrativ entworfene Herrscherbild von Karl dem Großen der altnordischen Literaturen basiert ausschließlich auf Bearbeitungen und Übersetzungen literarischer Stoffe. Es sind nicht Einhards Vita Karoli Magni (9. Jh.) oder das Werk Notkers des Stammlers Gesta Karoli Magni (883), auch nicht die anderen etablierten Genres der klerikalen Geschichtsschreibungen wie Chronistik oder Legende, welche die Grundlage der Karl-Rezeption in Skandinavien bilden, sondern Adaptionen volkssprachiger Heldenepik. Diese beruht zwar auf einem historischen Substrat, zeigt jedoch eine „fast konstitutiv anmutende Antiethik zur ‚professionellen‘, mithin klerikalen-lateinischen Historiographie“.1 Re-Interpretationen und Re-Arrangements historischer Figuren und Ereignisse kennzeichnen durchweg die Transmission volkssprachiger, romanischer wie germanischer, Epik. Das transferierte Herrscherbild beruht also bereits auf Interpretationen und Um-Schreibungen, unterliegt Prozessen adeliger oder klerikaler Interessensbildung und ist mitnichten der historischen Wahrheit verpflichtet: Jener Karl Magnus, der das altostnordische Literatursystem des 15. Jahrhunderts betrat, ist eine im weitesten Sinne literarisch-fiktionale Konstruktion der schwedischen und dänischen Bearbeiter. Lässt sich jedoch eine programmatische Ausrichtung in der Konstruktion jenes Herrscherbildes konstatieren?

Hier sei in aller Kürze ein kontrastierender Vergleich mit der altwestnordischen Saga erlaubt. Die Datierung der α-Redaktion der Karlamagnús sagaKarlamagnús saga ok kappa hans wird in der Forschung für die Zeit um 1250 angenommen, also zur Regierungszeit des norwegischen Königs Hákon Hákonarsson (1217–1263). Die Übersetzung der Saga ins Norwegische ist daher im Rahmen Hákons politischer Agenda zur Europäisierung seines Hofes einzuordnen, wobei die Übersetzungen zentraler kontinentaleuropäischer literarischer Stoffe als Träger höfischer Ideologie einen wichtigen Bestandteil von Hákons Programm darstellten. Vor diesem kulturell-politischen Hintergrund kann die generelle Übersetzungstendenz der Karlamagnús saga als höfisierend kategorisiert werden: Aus heldenepischen Figuren werden Repräsentanten einer europäischen Kultur, deren höfisch kodierte Verhaltensnormen der jungen aufstrebenden norwegischen Aristokratie eine Orientierungsgrundlage bieten: Aus chansons de gestechansons de geste werden riddarasögurriddarasögur.

Diese Entwicklung von der Heldenepik zum roman courtois trifft nach den Textanalysen der erhaltenen Handschriften nur bedingt für den ostnordischen Raum zu und muss im Hinblick auf die schwedische respektive dänische Transmission und Übersetzung und das darin konstruierte Herrscherbild differenziert betrachtet werden. Die frappierenden Unterschiede im Hinblick auf den Umfang der Überlieferung lassen unterschiedliche Rückschlüsse auf die Übersetzungstendenzen und die Funktionen des fränkischen Kaisers für das jeweilige kulturelle Umfeld zu.