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Karl der Große im Norden

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6.6.2. Konung Alexander

Konung AlexanderDie einzige Handschrift, welche die altschwedische Bearbeitung der lateinischen Historia de preliis Alexandri Magni enthält, ist Cod. Holm. D4Cod. Holm. D4. Als „europäisches Modell der Auseinandersetzung mit dem Fremden“Alterität1 nimmt Alexander auch den altschwedischen Rezipienten in den mythischen Orient mit und lässt ihn an seiner textuell vermittelten Fremdheitserfahrung teilhaben. Sven-Bertil Jansson betrachtet in seiner Abhandlung zu Konung AlexanderKonung Alexander den Roman als „ett tidigt inhemskt utslag av en orientalistisk tanketradition“.Konung Alexander2 Obwohl die Gestalt Alexanders in der schwedischen Bearbeitung als den orientalischen Herrschern intellektuell und militärisch überlegen gezeichnet wird, ist seine Auseinandersetzung mit den fremden, wundersamen Welten nicht ausschließlich von militärischem Interesse geprägt – vor allem Alexanders Neugierde und sein Wissensdurst machen den Kontakt mit dem Fremden aus. Zugleich markieren jene fremden Welten für ihn die Grenzen der Menschheit und der Menschlichkeit. Demnach steht die Genese der Alteritätsdiskurse in Konung Alexander im Zeichen einer exotischen Raumerfahrung. Kursorisch soll hier die relevante Episode rekapituliert werden, um anschließend beurteilen zu können, ob der Bearbeiter während der Kompilation der Handschriften einem bestimmten kulturellen Muster bei der Wiedergabe orientalischer Topoi folgte.

Für die spezifisch altschwedische Konstruktion des Orients scheint die Episode um die Eroberung der Stadt und speziell der Burg des besiegten und geflohenen indischen Königs Porus (KoA, S. 150–153, 4555–4654) relevant.3 Wie auch schon Karl in der Konstantinopel-Episode in Karl Magnus ist Alexander der Große der bewundernde Zuschauer, wenn es um die Pracht des leuchtenden Palastes des indischen Königs Porus geht. Hier korrelieren die Beschreibungen der Paläste Porusʼ und Hugos des Starken in Bezug auf Säulen aus Gold.4

Die Palastwände sind besetzt „mz karbuncula ok amatist, smaragda mædher store list adamas ok margarite berilla godhe the skina hwite ok marghe andre stena flere“.5 Neben vielen Wundern, die Alexander dort zu sehen bekommt, erscheint hier auch wieder das Motiv der Automaten, in diesem Fall handelt es sich um einen goldenen Baum mit künstlichen Vögeln: „a hwario green ok hwariom qwist sat en foghil mz konstelik list“,6 die allesamt liebliche Töne von sich geben. Doch vor allem, wenn Porus sich an ihnen erfreuen oder seine Gäste beeindrucken will, lässt er sie durch die Windeinwirkung erklingen:

Tha Porus lyste wara gladh

æller han sina gæste til sik badh

tha lot han blæsa et mykit wædher

at all træn fyltos ther mædher.

[…]

ther mz fa the fughla thera röst

siwnga mz ful godhe tröst

hwar æpter sino eghno kön

mz sötom sang ok blidhom dön

swa som thera natura sigher

the siwnga alle ok ängin thigher. 7

Wie Brummack in Bezug auf das Motiv des Baumes mit singenden Vögeln anmerkt, hat es ähnliche Kunstwerke im frühen Mittelalter in Konstantinopel gegeben.8 Das Automaten-Motiv stellt darüber hinaus einen verbreiteten Topos der Beschreibungen orientalischer Kunstwerke dar,9 gerade für das Genre des Antikenromans. Vergleicht man jedoch die Schilderungen jenes Sonnenpalastes des byzantinischen Kaisers HugoHugo von Konstantinopel mit demjenigen des Porus, so sieht man hier leitmotivische Parallelen: In Karl Magnus werden hundert Säulen „alle aff gull“ (KM, S. 14, 2) sowie durch die Windeinwirkung erzeugten „alzskona liudh som fager waro“ (ebd., 8–9, allerlei schöne Laute) beschrieben, in Konung AlexanderKonung Alexander „thry hundrath stolpa all aff gull“ (KoA, S. 151, 4571 – drei Hundert Säulen aus Gold) sowie in Bezug auf artifizielle Vögel: „ther siwnga kunno söta thona“ (KoA, S. 152, 4610 – die süße Töne singen konnten) bzw. „mz sötom sang ok blidhom dön“ (ebd., 4626 – mit süßem Gesang und lieblichem Duft). Darüber hinaus korrelieren die beiden Episoden mit der Beschreibung des Gartens des Emirs in Flores och BlanzeflorFlores och Blanzeflor. Auch hier werden künstliche Vögel erwähnt, die durch Windeinwirkung Laute von sich geben: Die „foghla liknilse“ (FoB, S. 72, 1110) beginnen zu singen, wenn „the vædher komber støtelik, tha hafuer huart thera liwdh om sik“ (FoB, ebd., 72–73) – wenn der Wind plötzlich kommt, da bekommt jeder von ihnen eine Stimme. Diese artifiziellen Bauten dienen sowohl in Alexander als auch in Flores zur Unterhaltung und Erbauung der jeweiligen Herrscher:

Flores:

tha the then røstena høra fa

the lata thera grymhet falla

ok vordha genast blidhe allæ.10

Alexander:

the fylto thez hws mez sötan toon

sik frygdhadhe porus ij sin troon.11

Wie bereits erwähnt, gehören diese Texte verschiedenen literarischen Gattungen an, die Funktionen der Automaten, ob es sich nun um tönende Bäume mit artifiziellen Vögeln oder Kinderfiguren handelt, können als höfisch-repräsentativ bestimmt werden. Sie sind konstitutiv für die höfischen Zentren der Herrscher, die in den jeweiligen Texten als Feinde oder zumindest Rivalen dargestellt werden: HugoHugo von Konstantinopel der Starke in Karl, Emir von Babylonien in Flores, Porus in Alexander. Dabei unterstützen die Automatenbeschreibungen die deskriptiven Ausführungen der Pracht und des Wohlstandes, mit denen die Protagonisten Karl, Flores und Alexander konfrontiert werden, sie dokumentieren „als repräsentative Konstruktionen […] in erster Linie das sozialgesellschaftliche Renomee ihrer Besitzer“.12 Sie repräsentieren damit auch das Fremde, zuweilen das Dämonische oder das Exotische, das sich über die natürliche, das bedeutet, etwa in Karl Magnus, auch dezidiert christliche Schöpfung stellt. Die Automatendarstellungen als externe Markierungen des Fremden sind leitmotivisch in den hier beschriebenen Texten zu finden und begründen damit Orient-Diskurse in den Handschriften. Konung AlexanderKonung Alexander ist dabei eine der frühesten und umfangreichen Quellen in Bezug auf die literarische Vermittlung des Orient-Diskurses in der schwedischen Literatur.

7. Narrative Heldenkonstruktionen

Basierend auf der „strukturellen Amnesie“1 formatiert das heldenepische Universum die historischen Ereignisse, mythisiert und institutionalisiert das Erinnerungswürdige aus dem Fundus der Historie und produziert Helden als Repräsentanten eines Kollektivs, sich stets im Wertekonflikt zwischen Exemplarität und Individualität bewegend.2 Zweifellos ist die narrative Genese eines der größten Heroen des europäischen Mittelalters, Rolands, der Chanson de RolandRoland zu verdanken. Die inkonsistente Besetzung des auserwählten Zwölfer-Bundes rund um Karl, die auf verschiedene Überlieferungstraditionen zurückgeht, ermöglicht die narrative Verwurzelung einer für die skandinavische Literaturgeschichte besonders prominenten Heldenfigur, des späteren dänischen Nationalhelden HolgerHolger Danske Danske. Dabei geht seine Entwicklung zu ebenjenem dänischen nationalen Archetyp ausschließlich auf die literarischen Quellen, nämlich die übersetzte Karlsdichtung zurück, in denen er als ein assoziierter Held aus dem Kreise der Helden um Karl den Großen erscheint, denn in den historischen Werken, etwa Svend Aggesens Brevis Historia Regum Daniae oder Saxos Gesta Danorum, sucht man ihn vergebens.Holger Danske3

Auch Karl der Große erreichte die nördliche Hemisphäre auf literarischem Wege in Form der übersetzten Karlsdichtung. Losgelöst vom epischen Sagengedächtnis der Romania4 und nicht an das zyklische Potenzial der französischen Heldendichtung gebunden, erhielten die ostnordischen Übersetzer und Bearbeiter die Möglichkeit, das Bild Karls des Großen neu zu entwerfen, die diskursiv erzeugten Attribuierungen Karls als Krieger, als Christ oder Heiligen zu akzeptieren oder neu zu besetzen. Die Analyse der narrativen Identitätskonstruktionen des (vermeintlich) eigenen Helden HolgerHolger Danske Danske sowie des wirkungsmächtigen Frankenkaisers in den ostnordischen Bearbeitungen soll die Transmission der singulären Helden in den ostnordischen Raum beleuchten und deren Position und Funktion im literarischen System bestimmen.

7.1. Der (un-)dänische Held Holger Danske: literarische Quellen

Holger DanskeDie Figur des dänischen Nationalhelden1 gilt nach dem aktuellen Forschungsstand als ausschließlich literarisch generiert, die „réalité vivante“,2 die ihm von der dänischen Literatur- und Kulturgeschichte zugeschrieben wird, gehe auf jene anonymen Dichter des Mittelalters zurück, die Ogier Le Danois einen Platz in ihren Epen einräumten, aber auch jene, die die literarische Tradition fortgeführt haben, unter anderem B.S. Ingemann und H.C. Andersen. Die Versuche der älteren Forschung, die Figur Ogier le DanoisHolger Danske mit historisch verbürgten Personen zu identifizieren, so etwa mit dem Anführer der karolingischen Armee in Bayern, Audacar, der am historisch belegten Kriegszug gegen die Awaren im Jahre 788 an der vordersten Front kämpfte, vermögen nicht den Beinamen Le Danois und die somit zugeschriebene Zugehörigkeit zu Dänemark zu erklären.Holger Danske3

Eine der frühesten schriftlich belegten Erwähnungen des Names Ogier Le Danois (afr. Oger li Daneis) erfolgt in der Chanson de RolandRoland. Hier gehört Ogier nicht zum Kreis der Zwölf Verbündeten Karls des Großen, die ihr Leben bei der Schlacht von RoncesvallesRoncesvalles lassen, im Gegenteil: Als Anführer der Vorhut der karolingischen Armee entgeht Ogier der Katastrophe, was ihm eine literarische Karriere im post-roncesvallischen Zeitalter ermöglicht. Zwischen der Chanson de Roland und der um 1200–1220 von Raimbert de Paris verfassten Chevalerie d’Ogier, die den dänischen Helden in den Mittelpunkt stellt, gibt es eine Reihe von anderen Schriften, in denen Ogier in abgewandelter Form erscheint. Als Othgerius, allerdings ohne Beinamen, wird er in der lateinischen Schrift Conversio Othgerii militis (um 1080) erwähnt, in der er als einer der besten Ritter der karolingischen Armee sich ins Kloster Saint-Feron in Meaux zurückzieht. Im Voyage de Charlemagne (um 1150) begleitet Ogier Karl den Großen auf seiner vermeintlichen Pilgerfahrt nach Jerusalem und Konstantinopel. In der gab-Szene wird er als „li duc de Danemarche“ (PdC, S. 32, 519) eingeführt, spielt jedoch nur eine periphere Rolle, da sein Vorhaben nicht realisiert werden muss. Auch in den heldenepischen Gedichten Chanson d’Agolant (um 1150), in denen Ogier eine ganze Truppe Dänen im Krieg gegen Agolant anführt; in der Pseudo-Turpin ChronikPseudo-Turpin Chronik Historia Karoli Magni et Rotholandi (um 1150), deren Popularität durch etwa 139 Handschriften bezeugt wird, in Le Moniage Guillaume (um 1160) oder in der Chanson d’Aspremont (um 1188) wird der Däne erwähnt.

 

Diese periphere Rolle ändert sich mit der bereits erwähnten Chevalerie d’Ogier de Danemarche, deren erstes Kapitel, Les Enfances, in einer anderen Form schon vor der Entstehung der kompletten Chevalerie existiert haben kann und vermutlich erst später von Raimbert de Paris aufgegriffen wurde.4 Les Enfances berichtet über Ogiers Vater, den dänischen Herzog Gaufroit und seine Stiefmutter Belissent, womit das Rätsel um den Beinamen Le Danois literarisch aufgearbeitet wird, sowie über die Geiselhaft Ogiers am Hof Karls des Großen, während der zweite Teil der zyklisch angelegten Chevalerie bis zum Tod des Protagonisten reicht. Relevant ist im Hinblick auf die narrativen Funktionen der Heldenfigur Ogier seine Entwicklung innerhalb der Gattung von einem eher marginal auftretenden Helden aus dem Cycle du Roi, also einem an der Kreuzzugsthematik orientierten Typus der chansons de gestechansons de geste, zu einem atypischen Helden der Empörerepen, in denen Vasallitätskonflikte und deren kriegerische Bewältigung verhandelt werden.chansons de geste5

Ogiers Rolle in der Chevalerie wird von der Forschung kontrovers eingeschätzt. Die romanistische Forschung des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts scheut sich nicht vor Urteilen wie „Ogier est plus barbare, il est plus profondément Germain que la plupart de nos autres héros. Il n’a pas la raison d’Olivier, ni la grandeur de RolandRoland, ni la douceur de Renaud“,6 während Ernst Curtius im Epos nicht die Anzeichen von Primitivismus, sondern „von einer gesunkenen“ Kunst erkennt, die an die niederen Instinkte des Publikums appellieren, vor allem an „die Freude am Gräßlichen und Widerwärtigen“.7 Interessanterweise stellt Chevalerie d’Ogier die einzige chanson dar, in der Ogier Le Danois als ein Kontrahent Karls des Großen erscheint – denn auch in den später entstandenen heldenepischen Gedichten des 13. Jahrhunderts scheint sich die Tradition fortzusetzen, in der Ogier als treuer Vasall Karls fungiert.

Vor diesem Hintergrund der ambivalenten Positionierung des dänischen Helden ist Ogiers literarischer Weg zu seinem geographischen Ursprungsort umso signifikanter: In welcher Tradition lassen sich die ostnordischen, speziell dänischen Übersetzer verorten? Ob ein barbarischer, wenn auch heimischer Held im Kontext der Handschriften aus dem aristokratisch-höfischen (Schweden) bzw. klösterlichen Milieu (Dänemark) den ostnordischen Rezipienten nicht ebenso fremd erschien wie den romanistischen Forschern des 19. Jahrhunderts? Über die literarische Integration Ogiers Le Danois in die ostnordische Literatur und narrative Identitätskonstruktion eines Heros werden im Folgenden die relevanten Textstellen Auskunft geben.

7.1.2. Ogier Le Danois in der schwedischen Karlsdichtung

Die schwedische Überlieferung, bestehend aus den zwei Episoden, Karls Reise nach Jerusalem sowie der Schlacht von RoncesvallesRoncesvalles, lässt all jene Kapitel aus, die gerade Ogiers Rolle als Karls Vasall thematisieren. Die kurze Erwähnung Ogiers, in der schwedischen Bearbeitung Ødgers, offenbart aber seine Zugehörigkeit zum engsten Kreis der Gefährten Karls: In der Schlafgemach-Szene der Pilgerreise darf er sein æuentyr aussprechen, nämlich die Säule zu umfassen, auf der das Schloss steht, und diese zu zerstören. In der schwedischen Bearbeitung fehlt der Kommentar des Spions, der unter anderem die Wertung der Handlung als „Cist home est enragez!“Le Voyage de Charlemagne à Jerusalem et à Constantinople1 bzw. in der Karlamagnús sagaKarlamagnús saga ok kappa hans als „þu ert örviti“Karlamagnús saga ok kappa hans2 kommuniziert. Diese Beurteilung, die zumindest die französische Tradition, in der Ogier als Barbar einen anderen Heldentypus als RolandRoland oder Olivier verkörpert, unterstützen würde, fehlt in Karl Magnus. Seine nordische Herkunft wird aber auch an dieser Stelle nicht weiter konkretisiert, während er in der französischen Version explizit als „li dux de Denemarche“ (PdC, S. 32, 519) betitelt wird. Die beiden erhaltenen Kapitel illustrieren die Inkonsistenz der Zugehörigkeit Ogiers zum Kreis der Zwölf Gefährten: Während die ersten Episoden ihn zumindest als einen der Karl am nächsten stehenden Ritter positionieren, verschweigt das Kapitel um die Schlacht von Roncesvalles eine solche Zugehörigkeit.

Wie kann die Abwesenheit eines nordischen Helden in der schwedischen Bearbeitung interpretiert werden? Dass die schwedische Karlsdichtung aus ebenjenen zwei Kapiteln besteht, in denen Ogier/ Ødger am wenigsten thematisiert wird, hat sicherlich vor allem überlieferungshistorische Gründe. Die Frage, warum alle vier schwedischen Handschriften lediglich zwei Branchen der umfangreichen Karlamagnús sagaKarlamagnús saga ok kappa hans beinhalten, wird von der Forschung kaum mehr beantwortet werden können: Eine angenommene vollständige, jedoch verloren gegangene schwedische Übersetzung der Karlamagnús saga bleibt ein hypothetisches Konstrukt. Im Hinblick auf die Heldenfigur Ogier könnte seine Abwesenheit aber durchaus pragmatische Züge tragen: Zu Zeiten der Kalmarer UnionKalmarer Union, die von Konkurrenzverhältnissen in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht geprägt war, war es vermutlich nicht die Priorität der schwedischen Übersetzer/ Bearbeiter, einen dänischen Helden literarisch zu vermitteln und ihm einen größeren Raum als in der Vorlage einzuräumen – bedenkt man doch, dass in der einzigen Erwähnung Ogiers seine Herkunft nicht einmal thematisiert wird. Dass drei der vier schwedischen SammelhandschriftenSammelhandschrift im Auftrag der lokalen Aristokratenkreise angefertigt und von ebenjenen auch rezipiert wurden, unterstützt die Hypothese, dass eine dominantere Position Ogiers von Seiten des schwedischen Adels nicht erwünscht bzw. von keiner Relevanz war.

7.1.3. Wdger Danske in Dänemark

Holger DanskeDie stringente, aber doch umfangreiche Überlieferung der Karlsdichtung in Dänemark ermöglicht ein etwas differenzierteres Bild vom späteren Nationalhelden HolgerHolger Danske Danske, als es im benachbarten Land und damaligen Unionspartner Schweden der Fall ist. Wenn ein dänischer Held nun aus politischer oder ideologisch fundierter Motivation heraus keine zentrale Rolle in der schwedischen Bearbeitung zu spielen hatte, wäre es nicht nahe liegend, dass gerade die vergleichsweise späte dänische Übersetzung ihm diese einräumen würde? Welche Traditionslinien – die des treuen Vasallen oder die des barbarischen Empörers – vereinen sich in der dänischen Chronik und wie geht der mittelalterliche Bearbeiter/ Übersetzer mit dem Wissen um die literarische Herkunft Wdgers um? Die abschließende Frage ist die nach der Genese und Entwicklung des Nationalhelden in der dänischen Literaturgeschichte ausgehend von dem ersten literarischen Zeugnis – der Karl Magnus Krønike.

Die Episoden, die WdgerHolger Danske Danske als Helden erscheinen lassen, sind nicht konsistent zyklisch angelegt. Dennoch erfährt man im Verlaufe der Chronik von seiner Herkunft, der Geiselhaft an Karls Hof und seinen Taten, im letzten Kapitel der Chronik auch von seinem Tod. Welches Bild vermittelt die Chronik in Bezug auf einen vermeintlich einheimischen Helden, und welche Episoden erwiesen sich als besonders langlebig in literaturhistorischer Sicht?

Das zweite Kapitel der Chronik „Udger Danske og BurnemandBurnamanth“1 entspricht dem III. Þáttr der Karlamagnús sagaKarlamagnús saga ok kappa hans „Aff Oddgeiri danski“, welcher wiederum nicht auf der ursprünglich komponierten chanson Les Enfances Ogier, sondern auf dem ersten Teil der später verfassten Chevalerie dʼOgier basiert. Bereits der erste Satz des Kapitels thematisiert Wdgers Herkunft: Sein Vater Jofrør, „fødder i danmark“ (KMK, S. 30, 13–14 – in Dänemark geboren ), gab Karl dem Großen seinen Sohn WdgerHolger Danske als Geisel, zu dem er „lydhen kærlegh“ (ebd., 16 – wenig Liebe) empfand. Nachdem Jofrør zudem eine Geisel vom Hofe Karls erhängen ließ, drohte Wdger zunächst dasselbe Schicksal, dem er sich mit folgender Erklärung ergeben wollte: „Wdger swaret ieg kann thet ickæ bætræ myn fader hauer lyden kærlighet tyll megh thet wolder myn steffmoder“.2 Nach dem Überfall des babylonischen Königs Amyrall auf Rom übergibt Karl Wdger drei Rittern, welche ihn am Galgen erhängen sollten. Diesmal entkommt Wdger dem Tod, indem er mit Herzog Neymis in den Kampf gegen die Heiden ziehen darf, und bedankt sich für die Ehre folgendermaßen: „Gud haue thes loff ath jeg mo met komme engen skall fræmærmere ware met syth swærd æn jeg mæn eth hoor, ær po myth howedh“.3 Wdgers Dankbarkeit gegenüber Karl dem Großen resultiert aus dessen Entscheidung, ihn trotz der Gräueltat seines Vaters am Leben zu lassen. Damit wird das hingebungsvolle Verhältnis Wdgers als Gefolgsmann begründet, der wenig Zuneigung von Seiten seines Vaters erfahren hat und zudem offensichtlich Opfer einer Intrige seiner Stiefmutter geworden ist.

In der darauffolgenden Schlacht kann sich WdgerHolger Danske behaupten: Er erschlägt Heiden, befreit christliche Kämpfer und rettet so Karls Armee vor dem Untergang. Entlohnt wird ihm seine Tapferkeit durch pathetische Worte vom Kaiser selbst: „Gud sy loffuet sade keyseren wdger haffuer holpet oss wel“4 sowie „Nw will jeg giffue tegh till alth thet tin fadher brødhet haffuer ok tag her en god hest och eth goth harnisk tw skallt føre myt banner i hwor wij ære i stryd“.5

Als Karls rechtmäßiger Gefolgsmann verkörpert WdgerHolger Danske den idealen Rittertypus: Er ist tapfer, loyal und schlagfertig. Sein tadelloses Verhalten wird gewürdigt, sowohl von Seiten Karls, etwa wenn er über Wdger sagt: „tølken rydder war icke i frankeryge“,6 als auch von Seiten der Heiden, die ihn gefangen halten: „thet ær skade ath han wyll ey bøge syn hals till then megtwgh mamenth so degelig man som han ær“.7 Neben seinen Fertigkeiten wird auch Dänemark als Herkunftsland und Wdgers isolierte Position in Karls Heer thematisiert, wenn Gloriant, die Verlobte des heidnischen Königs Caruel, zu ihrem Vater sagt:

wdger er en fwldage man giøren wel mod hannum han haffuer hwerken wenner eller frender ok ey medh keyseren han ær fød for norden (..) werden i danmark ok ær engen bædræ ryddere pa thenne sydene indieland.8

Leitmotivisch zieht sich die Thematik der Haft und des Todes durch Erhängen durch Wdgers Abenteuer: Wieder ist er Gefangener, diesmal am Hofe des heidnischen Königs Amyrall, dessen Männer für WdgerHolger Danske „ressæ en høgen galyæ“ (KMK, S. 54, 9 – einen hohen Galgen errichten). Auch diesmal entkommt Wdger dem Tod am Galgen durch eine günstige Gelegenheit, sich im Kampf zu bewähren – diese Episode des Kampfes gegen den König BurnamanthBurnamanth ist für die literarische Entwicklung Wdgers/ Holgers von besonderer Bedeutung und soll hier daher auf mögliche Komponenten, die für die Konstruktion der postchronikalischen Heldenfigur Holger Danske relevant gewesen sein werden, untersucht werden.